Aus der Asche geboren - Mathilda Grace - E-Book

Aus der Asche geboren E-Book

Mathilda Grace

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Beschreibung

Als aus einer romantischen Nacht in seinem Club eine Vergewaltigung wird, bricht für Darren Walker eine Welt zusammen, denn er kennt Opfer und Täter und er hatte Pläne für den jungen Mann, der erst wenige Wochen zuvor unberührt ins »Black Shine« kam und nach einem erfahrenen Partner für sein erstes Mal suchte. Doch Darrens Hoffnung, Adrian für sich zu gewinnen, scheint nach dieser Nacht ebenso zerstört, wie seine Freundschaft zu Connor Alexander, der nicht darüber hinwegkommt, was er Adrian angetan hat. Und dass dieser nicht einmal Anzeige erstatten will – Darren ist hin- und hergerissen zwischen seinen wachsenden Gefühlen für Adrian und der Wut auf Connor, mit dem ihn eine Vergangenheit verbindet, die es Darren schlichtweg unmöglich macht, ihre langjährige Freundschaft einfach kampflos aufzugeben.

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Mathilda Grace

AUS DER ASCHE GEBOREN

 

 

Aus der Asche geboren

1. Auflage, Juli 2020

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

© 2020 Mathilda Grace

Am Chursbusch 12, 44879 Bochum

Text: Mathilda Grace 2019

Foto: StockSnap; Pixabay

Coverdesign: Mathilda Grace

Korrektorat: Corina Ponta

 

Web: www.mathilda-grace.de

 

Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.

 

Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden.

 

Aus der Asche geboren enthält homoerotische Szenen.

 

 

Danksagung

 

Mein Dank geht an Frau Mag. rer. nat. Corina Ponta, die mir in allen Fragen rund um die Themen Missbrauch und Traumabewältigung mit ihrer fachlichen Kompetenz beratend zur Seite stand.

 

 

 

 

Mathilda Grace

 

 

Vorgeschichte zu »Blind für die Wahrheit« 

 

 

 

 

- Drama -

 

 

Liebe Leserin, Lieber Leser,

 

ohne deine Unterstützung und Wertschätzung meiner Arbeit könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.

 

Mit deinem Kauf dieses E-Books schaffst du die Grundlage für viele weitere Geschichten aus meiner Feder, die dir in Zukunft hoffentlich wundervolle Lesestunden bescheren werden.

 

Dankeschön.

 

Liebe Grüße

Mathilda Grace

 

 

Als aus einer romantischen Nacht in seinem Club eine Vergewaltigung wird, bricht für Darren Walker eine Welt zusammen, denn er kennt Opfer und Täter und er hatte Pläne für den jungen Mann, der erst wenige Wochen zuvor unberührt ins »Black Shine« kam und nach einem erfahrenen Partner für sein erstes Mal suchte. Doch Darrens Hoffnung, Adrian für sich zu gewinnen, scheint nach dieser Nacht ebenso zerstört, wie seine Freundschaft zu Connor Alexander, der nicht darüber hinwegkommt, was er Adrian angetan hat. Und dass dieser nicht einmal Anzeige erstatten will – Darren ist hin- und hergerissen zwischen seinen wachsenden Gefühlen für Adrian und der Wut auf Connor, mit dem ihn eine Vergangenheit verbindet, die es Darren schlichtweg unmöglich macht, ihre langjährige Freundschaft einfach kampflos aufzugeben.

 

 

 

Prolog

Darren

 

 

 

 

Connor ist ein gottverdammter Glückspilz.

Ich kann mich heute Nacht wieder nicht entscheiden, ob ich neidisch sein, mich für meinen besten Freund freuen oder ihn nicht besser niederschlagen und mich danach selbst um Adrian kümmern soll, als die beiden schließlich nach hinten in eins der Privatzimmer des Clubs verschwinden, um dort mit Sicherheit viele unanständige Dinge zu tun, wie bereits seit Wochen. Dass sie zufrieden grinsen und augenscheinlich in bester Stimmung sind, macht es mir noch schwerer, meine Finger stillzuhalten und an der Bar zu bleiben, wo ich als Besitzer des 'Black Shine' hingehöre, falls ich nicht gerade Papierkram zu erledigen habe oder mich bewusst unter die Gäste mische, um zu hören, ob es irgendwo Probleme oder Sorgen gibt.

Aber danach steht mir derzeit wirklich nicht der Sinn. Mit einem Seufzen trinke ich ein Schluck von dem Bier, das Danny mir ungefragt hingestellt hat, und bemitleide mich nebenbei heimlich selbst.

Was würde ich nicht darum geben, hätte Adrian Macintosh sich bei seinem Einstand bei uns, ein Einstand, der im Übrigen einer Atombombe gleich kam und den keiner meiner Tops und Doms hier im 'Black Shine' jemals vergessen dürfte, anstatt für Connor für mich entschieden. Aber der süße Blondschopf war sich vom ersten Augenblick an hundertprozentig sicher, wen er für sein erstes Mal als Partner will, und in meinem Club haben seit jeher die Subs und Unberührten das letzte Wort.

Wie gesagt, gottverdammter Glückspilz.

Aus dem Augenwinkel sehe ich ein heiteres Grinsen hinter der Bar und werfe dem Übeltäter sofort einen tadelnden Blick zu, der Danny jedoch nicht sonderlich beeindruckt. Er gehört zu meinen Barkeepern und hat irgendwie nichts Besseres mehr zu tun, als mich mit meiner heimlichen Schwärmerei wegen Adrian aufzuziehen, seit er mich zufällig dabei ertappt hat, wie ich dem süßen Blondschopf etwas zu lange nachgestarrt habe.

»Soweit ich weiß, bist du zum Arbeiten hier«, grolle ich, als er leise lacht und nebenbei zwei Bier öffnet und sie zu weiteren Gläsern mit Whisky und einem Cocktail auf ein Tablett stellt, das vor ihm steht.

Danny gluckst, bis Ben, der auf die Bestellung gewartet hat, mit einem ebenso breiten Grinsen verduftet ist, bevor er sich zu mir lehnt, zwinkert und dann verführerisch raunt: »Soweit ich weiß, bist du ein anbetungswürdiger Kerl, und wärst du nicht mein Boss und ich nicht vergeben, würde ich dem Kleinen hier und jetzt mal richtig zeigen, was er verpasst, wenn er statt dir lieber Connor küsst.«

»Der Kleine heißt Adrian Macintosh«, murmle ich und als Dannys Grinsen daraufhin noch breiter wird, ist mir klar, dass ich ihm in die Falle gegangen bin. »Lass das.«

Er gießt ein Glas Chardonnay ein und reicht es an Maxwell Stone weiter, einem Stammgast, der uns bereits die ganze Zeit beobachtet und sich jetzt, weil Danny ans andere Ende der Bar gewinkt wird, zu mir dreht.

»So so, der große, böse Darren Walker hat sich also verliebt. Wie man so hört, hat der heiße Blondschopf dir für immer und ewig den Kopf verdreht und all die kleinen, niedlichen Subs in deinem Club weinen dir bereits Krokodilstränen nach, weil sie ahnen, dass du sie nie mehr in deinen Kerker sperren wirst.«

Genau so etwas habe ich befürchtet. Danny ist ein wirklich toller Barkeeper, aber er kann einfach nichts für sich behalten. Schon gar nicht, wenn es dabei um große Liebe, Gefühle, Herz und Schmerz und ein tolles Happy End geht. Wie ein Kerl wie er, der so sehr an die wahre Liebe glaubt, mit diesem kalten, gefühllosen Fisch, den er seinen derzeitigen Freund schimpft, zusammenleben kann, ist mir ein Rätsel, aber nun ja, die Liebe fällt nun mal dahin, wo sie hinfallen will.

Was auch für Maxwell gilt, der bereits allein ist, seit er das erste Mal ins 'Black Shine' kam, um sich hemmungslos an der Bar zu besaufen. Ich weiß bis heute nicht, was ihn in der Nacht hertrieb, aber mittlerweile ist er einer der Doms mit tadellosen Ruf und sehr beliebt bei den Subs, die hier ein- und ausgehen. Und dennoch bleibt er meistens lieber für sich, abgesehen von wenigen Sessions, die er ab und zu in einem der Privatzimmer genießt. Ich kenne ihn im Grunde kaum, aber ich vertraue ihm, sonst wäre er kein Mitglied meines Clubs, und ich weiß, dass er Ehrlichkeit zu schätzen weiß, deshalb wird er nicht weniger von mir bekommen.

»Und wenn es so wäre?«

Maxwells Augen weiten sich verblüfft, dann fängt er an zu lächeln und klopft mir wohlwollend auf die Schulter. »Du bist so ein Glückspilz. Ich beneide dich jetzt schon.« Er runzelt die Stirn. »Aber wieso hast du dann nicht …?«

»Weil er sich Connor ausgesucht hat«, nehme ich Maxwell die Frage aus dem Mund, denn Adrian ist hier im 'Black Shine' nicht nur mir aufgefallen.

Maxwell nickt. »Hart, aber fair. So kenne ich dich. Weißt du schon, wie du es anfang...?«

Er bricht mitten im Wort ab, als der Pieper an meiner Hose plötzlich mit einem schrillen Pfeifton losgeht. Ach du Scheiße. Das ist der Notruf für die Privatzimmer. Und heute Abend ist nur ein einziges Paar dort.

Ich bin schon auf halben Weg nach hinten, als Niko sich mir im Eilschritt anschließt. Er ist mein bester Türsteher, breit und hoch wie ein Kleiderschrank, und jederzeit bereit, seine Fäuste zu benutzen, wenn sich jemand im Club danebenbenimmt.

Wir erreichen Zimmer 3 zeitgleich mit Evan, ebenfalls einer meiner Türsteher und noch dazu ausgebildeter Sanitäter – für den Fall der Fälle.

»Oh mein Gott«, flüstert Niko schockiert, als wir durch die Tür sind und mir ein einziger Blick auf das Durcheinander von Dildos, Gleitgel und total zerwühlter Bettwäsche ausreicht, um zu wissen, was in diesem Raum gerade passiert ist, und wovor sich jeder gute Dom, Top oder Master insgeheim fürchtet.

Das Blut auf Adrians Körper, der seitlich auf dem Bett liegt, und seine geweiteten Augen sprechen eine ebenso eindeutige Sprache, wie der Schock auf Connors Gesicht, der am anderen Ende des Zimmers nackt auf dem Boden sitzt und nicht fassen kann, was er getan hat. Mein erster Gedanke ist, ihn zu packen und grün und blau zu schlagen. Mein zweiter gilt Adrian, und dem gebe ich dann auch nach, während Niko sich um Connor kümmert. Evan folgt mir und wir zucken beide genauso heftig zusammen wie Adrian, als ich ihn an der Schulter berühre.

»Adrian?« Es dauert einige Zeit, bis er blinzelt und zu mir hochsieht. »Evan ist Sanitäter, er wird dich untersuchen, okay? Er tut dir nichts, versprochen. Ich rufe die Polizei an und einen Krankenwagen.«

»Nein.«

Ich stutze irritiert. »Was?«

Adrian schüttelt leicht den Kopf. »Keine Anzeige, kein Arzt … Ich will keine Polizei.«

Was zur Hölle …? Das kann doch nicht sein Ernst sein. Ich tausche einen Blick mit Evan, der nur die Schultern zuckt, da er durch seinen Beruf natürlich genau weiß, was das bedeutet. In diesem Zimmer wurde soeben jemand vergewaltigt, aber wenn Adrian das weder zur Anzeige bringt noch dazu bereit ist, sich von einem Arzt untersuchen zu lassen, geschweige denn später gegen Connor auszusagen, wird kein Anwalt auf der Welt eine entsprechende Klage einreichen. Von einer Verurteilung ganz zu schweigen. Und das ist nicht richtig, egal, ob Connor mein bester Freund ist, für den ich im Moment ohnehin nur noch pure Verachtung empfinde.

Ich muss versuchen, Adrian zu überzeugen, gegen Connor vorzugehen. »Adrian, das ist nicht richtig, das weißt du.«

Er nickt, lächelt schwach. »Ich weiß, aber ich bin genauso schuldig wie Connor.«

Herrgott, ausgerechnet dieses Argument bringt er? Ich bin sprachlos und gleichzeitig werde ich langsam stinksauer, denn er ist hier das Opfer, verdammt noch mal. Er ist an gar nichts schuld. Kein Vergewaltigungsopfer, ganz gleich ob Mann, Frau oder Kind ist schuld, wenn sich ihnen jemand aufdrängt. Es ist schlimm genug, dass es selbst in der heutigen Zeit immer noch Menschen gibt, die Frauen in kurzen Kleidern sagen, sie hätten die Tat ja schließlich herausgefordert. Ich werde nicht zulassen, dass Adrian irgendeine Schuld auf sich nimmt, nur weil mein bester Freund nicht fähig war, sich zu beherrschen.

Ruhig bleiben, ermahne ich mich daher selbst, denn es bringt nichts, ihn anzuschreien. »Adrian ...«

»Nein«, unterbricht er mich sofort, sieht zu Evan, schluckt und schließt danach mit einem gequälten Gesichtsausdruck die Augen. »Er darf es sich ansehen. Aber keiner sonst. Und dann will ich nach Hause.«

Nein! Verflucht! Das darf er nicht tun.

Evan sieht mich fragend an und schüttelt sofort den Kopf, als ich den Mund öffne, um Adrian zu widersprechen. Ich will das leise und eindringliche »Das ist allein seine Entscheidung.« von Evan ignorieren, aber ich kann nicht, weil Evan recht hat. Ich lebe nach der Maxime schließlich schon mein halbes Leben lang und ich kann sie nicht einfach infrage stellen, nur weil mir gegen den Strich geht, wie Adrian sie gerade auslegt.

Ob es mir nun gefällt oder nicht, und in diesem Fall gefällt es mir überhaupt nicht, am Ende hat der Sub das Sagen.

Immer.

 

Eine halbe Stunde später ist Adrian mit Niko, der ihn fährt, auf dem Weg nach Hause. Ich habe Niko angewiesen, dafür zu sorgen, dass Adrian in seiner Wohnung ankommt, und so wie ich Nikos Beschützerinstinkt einschätze, wird er Adrian bis in dessen Wohnung begleiten und sich um ihn kümmern, bis der Kleine sicher und behütet im Bett liegt und schläft. Sofern er in dieser Nacht schlafen kann. Aber bestimmt findet Niko auch dafür eine Lösung, ich vertraue ihm.

Mir selbst vertraue ich im Augenblick allerdings überhaupt nicht, darum halte ich einen sicheren Abstand, als Evan wenig später mit Connor in mein Büro tritt, das ich direkt über dem Clubraum habe und wo ich durch eine Fensterfront hinunter auf die Tanzfläche sehen kann. Ich habe hier oben schon einige Männer vernascht und manchmal hat Connor, ein Glas Whisky in der Hand, schweigend in der Ecke gesessen und mir dabei zugesehen. Doch dazu wird es nie wieder kommen.

Connor sieht furchtbar aus, trotz der Dusche, zu der Evan ihn zuvor verdonnert hat, und er trägt andere Kleidung als die, mit der er hergekommen ist. Mit Sicherheit auch eine Idee von Evan, der als Sanitäter schon mit vielen Opfern zu tun hatte.

Für mich ist es allerdings das erste Mal.

Eine Vergewaltigung in meinem Club – ich bin immer noch vollkommen fassungslos.

Evan sieht mich besorgt an, geht aber wortlos, nachdem ich mit dem Kopf zur Tür deute. Ich warte, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hat, erst dann suche ich Connors Blick, der zu Boden starrt. Doch so leicht wird er mir nicht davonkommen, denn Connor wusste vom ersten Tag an, dass mir Adrian etwas bedeutet. Ich bin so wütend, dass ich kaum noch klar denken kann, und es nur mit Mühe schaffe, meine Hände jetzt nicht zu Fäusten zu ballen und ihn …

Ich atme tief durch. »Sieh mich an!«

Sein Kopf ruckt sofort zu mir hoch und sein Blick ist mehr als eindeutig. Er hat Angst vor dem, was ich jetzt sagen werde, und diese Angst ist auch berechtigt.

Wir sind Freunde. Beste Freunde sogar.

Oder besser gesagt, wir waren es, denn nach dem, was er in der letzten Stunde getan hat, weiß ich absolut nicht, ob ich ihn je wieder ansehen kann, ohne ihn verprügeln zu wollen. Ohne ihn für das zu hassen, was er Adrian angetan an. Selbst wenn ich es wollte, was ich nicht tue, kann ich nicht erlauben, dass er ab sofort noch mal einen Fuß in meinen Club setzt. Das Ganze wird sich herumsprechen und ich würde jedes in mich gesetzte Vertrauen verlieren, würde ich ihm erlauben, weiter im 'Black Shine' Gast zu sein.

Connor und ich, wir haben beide bereits Fehler gemacht im Leben, aber ich hätte nie erwartet, dass einer von uns fähig ist, einen so unentschuldbaren Fehler zu begehen. Connor hätte es besser wissen müssen. Er hätte sich beherrschen müssen. Ganz egal, wie sehr Adrian ihn bedrängt hat, mit ihm zu schlafen, und ich weiß, dass der Kleine genau das getan hat, weil es im 'Black Shine' nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal passiert ist – es ändert nichts. Als Top war es Connors Aufgabe, Adrian zu bremsen und so lange abzuwarten, bis der wirklich zu mehr bereit ist. Doch er hat versagt und darauf gibt es nur eine Antwort.

»Du bist hier nicht mehr willkommen.«

Connors Atem stockt kurz. »Es tut mir ...«

»Sag das Adrian, nicht mir«, unterbreche ich ihn eisig. »Du bist lang genug dabei, um zu wissen, worauf es ankommt. Du weißt, wie sie sein können. Männer, ohne jede Erfahrung sind gefährlich für uns, wenn wir nicht gut auf sie aufpassen. Wie oft hast du mir das selbst gepredigt, Connor? Wie oft?«

Er wird noch blasser, als er ohnehin schon ist. »Darren ...«

Connor verstummt abrupt, als ich zur Tür deute, rührt sich aber nicht, also muss ich wohl deutlicher werden. »Raus hier!«

Sein Entsetzen ist fast mit den Händen greifbar. »Darren ...«

»Halt den Mund!«

Ich lasse ihn nicht ausreden. Ich will seine Entschuldigung einfach nicht hören. Ich kann sie nicht hören. Er hat den Mann vergewaltigt, für den ich Gefühle habe, und er wusste das ganz genau. Er wusste, was Adrian mir hätte bedeuten können, was er für mich hätte werden können. Er wusste, wie vorsichtig wir Erfahrenen mit den Unschuldigen umgehen müssen, um eben genau das zu verhindern, was vorhin geschehen ist.

Er wusste all das. Trotzdem ist es passiert.

Mein bester Freund hat den Mann vergewaltigt, den ich …

Nein, ich will keine Erklärung, keine Entschuldigung, keine Bitten um Vergebung. Ich will nichts davon hören. Nicht heute, nicht morgen, niemals. Ich will nur noch, dass er verschwindet, weil ich ihn wirklich schlagen werde, wenn er es nicht tut, und weil ich nicht sicher bin, ob ich damit wieder aufhören könnte, sobald ich erst einmal angefangen habe.

»Geh, Connor!«

Seine Augen füllen sich mit Tränen. »Verzeih mir.«

Eher friert die Hölle zu, als dass ich ihm diese Tat vergebe. Ich wende Connor den Rücken zu. »Verschwinde aus meinem Club und komm nie wieder her!«

 

 

 

Kapitel 1

Adrian

 

 

 

1 Jahr später

 

Ich muss verrückt sein wieder hierherzukommen, aber ich kann einfach nicht länger fortbleiben.

Nicht nach sechs Monaten Therapie und der Einsicht, dass ich möglicherweise eine enge Freundschaft für immer zerstört habe, nur weil ich unbedingt etwas wollte, wofür ich eigentlich noch gar nicht bereit war.

Niko würde jetzt mit Sicherheit die Augen verdrehen, aber ich weiß tief in mir drin, dass das, was ich vorhabe, richtig ist. Und ich bin mittlerweile wieder gefestigt genug, um es zu tun. Auch etwas, das ich nur Nikos Sturkopf verdanke, der sich in all der Zeit, anfangs sogar ohne Darren davon zu erzählen, um mich gekümmert hat. Der jederzeit für mich da war, als meine Tage immer länger und meine Nächte zugleich immer kürzer wurden, weil ich Nacht für Nacht furchtbare Albträume hatte, bis ich mich am Ende kaum noch traute, überhaupt die Augen zu schließen.

Doch Niko hat den Augenblick erkannt, als es mir zu viel wurde und ich kurz davor stand, mich aufzugeben. An jenem Abend, als ich mit einer Flasche Alkohol und einer vollen Dose Tabletten auf meinem Bett saß, kam er vorbei. Mit leckerem Essen, seiner Gesellschaft, seiner Schulter, als ich schließlich in Tränen ausbrach und dann eine halbe Ewigkeit nicht aufhören konnte zu weinen, und der Telefonnummer eines Therapeuten, der ihm noch einen Gefallen schuldig war. Er hat mein Leben gerettet und das werde ich Niko niemals vergessen.

Ich weiß heute, dass ich an meiner Vergewaltigung damals nicht schuld bin, aber ich bin auch ehrlich genug zu mir selbst, um zu wissen, dass mein kindisches Verhalten schlussendlich dazu führte, dass Connor Alexander die Beherrschung verlor. Ja, es hätte niemals passieren dürfen, auch das weiß ich, aber ich kann nicht einfach alle Schuld auf Connor abschieben, wie Darren es getan hat, bevor er seinen besten Freund aus seinem Club und damit auch aus seinem Leben verbannt hat.

Darren Walker, dieser faszinierende Mann.

Hochgewachsen, sportlich, ein Selfmade-Millionär, der mit Immobilien innerhalb weniger Jahre ein gewaltiges Vermögen angehäuft hat und seit Jahren unzählige Wohltätigkeitsvereine und soziale Projekte für Obdachlose, Ausreißer und überhaupt arme Leute unterstützt.

Mich zum Beispiel, denn er hat meine Therapie bezahlt, die ich mir selbst nie hätte leisten können. Wie auch, wenn ich mir trotz zweier Jobs kaum meine Wohnung leisten konnte. Aber in Chicago gibt es nichts umsonst, für niemanden, und für arme, traumatisierte Studenten schon mal gar nicht. Mein Studium habe ich mittlerweile hingeworfen, worüber Niko not amused war, um es einmal so salopp auszudrücken, aber ich hatte im vergangenen halben Jahr einfach genug damit zu tun, die Kraft zu finden, mich nicht von der nächsten Brücke zu stürzen, und mit jetzt 23 Jahren habe ich noch genug Zeit, eines Tages einen neuen Versuch zu wagen.

Allerdings werde ich definitiv nicht weiter BWL studieren. Das habe ich ohnehin nur meinen Eltern zuliebe getan, weil sie der Meinung waren, mit BWL kann man beruflich so gut wie alles erreichen. Damit haben sie nicht einmal unrecht, aber es ist mein Leben, nicht ihres, und unsere Beziehung ist schwierig geworden, seit sie wissen, dass ich schwul bin. Ich liebe sie, das werde ich immer tun, aber wir haben uns schon ziemlich lange nicht mehr viel zu sagen.

Doch Darren Walker habe ich heute einiges zu sagen, auch wenn ich mich insgeheim davor fürchte, aber es muss sein – für mich selbst, für Darren und vor allem auch für Connor, zu dem ich hinterher gehen werde.

Tief durchatmend halte ich an der Ecke und sehe zum Club hinüber, der auf der anderen Straßenseite liegt. Er ist natürlich noch geschlossen, ich habe mich extra am frühen Nachmittag auf den Weg gemacht, da ich mit Menschenmassen noch nicht gut zurechtkomme, aber ich weiß, dass Niko auf mich wartet und mir öffnen wird, sobald ich ihm die verabredete Nachricht aufs Handy schicke.

Wie aufs Stichwort piept mein Handy und ich ziehe es aus der Tasche, um die Nachricht zu lesen.

Na? Stehst du draußen und traust dich nicht?

Woher weiß er das immer? Ich muss grinsen und verdrehe gleichzeitig die Augen, während ich ihm zurückschreibe, dass er aufhören soll, meine Gedanken zu lesen und mir stattdessen lieber die Tür öffnen. Das macht er danach auch innerhalb der nächsten Minute, während ich die Straße überquere und meine schweißnassen Hände an der Jeans abwische. Ich bin wirklich furchtbar nervös und Niko sieht es mir sofort an, denn er wirft mir das sanfte Lächeln zu, das er irgendwie für mich reserviert zu haben scheint, bevor er mir aufmunternd zunickt und kurz über meinen Handrücken streicht.

Auch etwas, das ich nur dank meiner Therapie inzwischen wieder zulassen kann – leichte Berührungen. Es klappt zwar noch nicht immer, aber es wird besser.

»Ist er schon da?«, frage ich leise und rücke näher an Niko heran, als er Anstalten macht zurückzutreten. Sofort kommt er wieder zu mir und bleibt an meiner Seite, denn er weiß, dass er der Einzige ist, dem ich das derzeit überhaupt erlaube.

»Ja. Brütet im Büro über Papierkram.« Jetzt löst er sich doch von mir und sieht mich prüfend an. »Wie geht’s dir heute? Sei ehrlich, Adrian.«

»Ich habe Angst«, gebe ich mit einem schiefen Grinsen zu, das ihn nicken lässt. »Ja, ich weiß, ich muss keine haben. Schon gar nicht vor Darren Walker, aber sag das mal meinem Kopf.«

Niko tippt mir neckend gegen die Stirn. »Keine Sorge, bald wird er aufhören, große Kerle als Feinde anzusehen. Lass ihm aber ruhig noch ein bisschen Zeit dafür.«

»Du hättest Psychologe werden sollen«, murmle ich, nicht zum ersten Mal übrigens, aber davon will er nichts wissen.

Niko winkt ab. »Ich bleibe lieber ein dummer Russe.«

»Du bist nicht dumm.«

»Stimmt«, sagt er und schmunzelt. »Aber es macht Spaß, es die Leute denken zu lassen. Vor allem die reichen Weißen, die ihre gepuderten oder operierten Näschen so weit oben tragen, dass es beim nächsten Sturm in ihre leeren Köpfe regnet.«

Ich muss ungewollt lachen und boxe ihm spielerisch gegen den Oberarm. Er kann so böse sein, wenn er es will, und leider hat er damit sogar oft recht, ich habe es unzählige Male erlebt, wenn ich mit ihm unterwegs war. Die Menschen sehen in ihm immer nur einen grobschlächtigen Russen mit Akzent, der als Türsteher arbeiten muss, weil er keinen Schulabschluss hat. Sie halten ihn für ungebildet, nur weil er anders aussieht und sich ihre Sprache aus seinem Mund etwas fremdartig anhört. Dabei ist Niko der sanfteste Mensch, den ich kenne, und zudem ist er unglaublich klug und gewitzt. Ich kenne jedenfalls niemanden sonst, der sich in einem Satz über die aktuelle Politik drüben in Washington ärgert und im zweiten darüber schwadroniert, ob Barack Obama es wirklich schaffen wird, das Gefangenenlager Guantanamo zu schließen. Der Mann weiß über alles Mögliche Bescheid, das bei mir nicht mal dann ankommt, wenn ich mir ganz bewusst die aktuellen Nachrichten anschaue.

»Komm schon, Tiger, ich weiß, du schaffst das«, muntert er mich auf und zieht mich ins 'Black Shine', zurück in das diffuse Licht, das ich früher unglaublich erregend fand, weil ich dabei so gut meine Fantasie spielen lassen konnte, während ich mir vorstellte, was ich an diesem Ort noch alles erleben will.

Gott, ich war so jung. So dumm.

Kopfschüttelnd schiebe ich die Erinnerungen zur Seite und halte mich dicht bei Niko, auch wenn überhaupt niemand hier zu sein scheint. Aber die Dunkelheit macht mich einfach noch nervöser, als ich es ohnehin schon bin, und erst im Durchgang, der zu der Treppe führt, die mich nach oben zu Darrens Büro bringt, werde ich ruhiger. An den Wänden leuchten unzählige kleine Lampen, die ein warmes Licht werfen und es damit den gefährlichen Schatten in den Ecken, die mich monatelang fast jede Nacht wachhielten, schwer machen.

»Eins, Eins, Null, Fünf.«

Ich sehe Niko verdattert an. »Was?«

»Der Code für das Türschloss«, antwortet er, umarmt mich ganz kurz und gibt mir danach einen leichten Klaps, der mich auf die unterste Stufe befördert. Ich sehe ihn empört an, aber er grinst nur. »Ihr seid ungestört, ich werde die Getränkelieferung annehmen, die in einer Stunde kommt. Danach wirbelt unsere Putztruppe durchs Haus und wann wir öffnen, weißt du ja. Ich fahre dich nach Hause, wenn du fertig bist.«

»Niko ...«

»Keine Widerrede«, unterbricht er mich und mustert mich einen Moment, ehe er seufzt. »Ich fahre dich auch zu Connor, du unverbesserlicher Sturkopf.«

»Woher …?«

Niko wendet sich lachend ab, ehe ich fragen kann, woher er das schon wieder weiß. Herrgott, wie macht er das? Ich meine, das frage ich mich schon seit Monaten, aber mal ehrlich, das ist doch nicht normal. Kann er wirklich so gut in Menschen lesen, wie ich den Eindruck habe? Oder klappt das nur bei mir, weil ich ein offenes Buch bin? Kopfschüttelnd gehe ich die Treppe nach oben, meinem Verderben entgegen. Ja, das ist übertrieben und völlig theatralisch, ich weiß, aber es fühlt sich gerade so an und mein Therapeut hat mir gesagt, dass es niemals falsch ist, unsinnige Gedanken zuzulassen, solange man sich darüber im Klaren ist, dass sie das auch sind.

Und mir ist grundsätzlich sehr wohl bewusst, dass Darren Walker mich weder fressen noch mir sonst etwas antun wird. Das hätte er nämlich bequemer haben können, indem er nicht meine Therapie bezahlt, sondern einfach nur abgewartet hätte, dass ich mich umbringe. Ich verziehe das Gesicht. Zynischer geht es nun wirklich nicht. Darren hat Niko, nachdem der ihm von meinen Geldproblemen erzählt hatte, regelmäßig nach mir gefragt, um auf dem Laufenden darüber zu bleiben, wie es mir geht, also ist das Mindeste, was ich diesem Mann schulde, ein verdammt großes Dankeschön. Und ich hoffe, er nimmt es mir nicht übel, dass ich vorhabe, ihm gleich nach dem Dankeschön ins Gewissen zu reden, was Connor angeht.

Ich stoße zitternd die Luft aus, als mir auffällt, dass ich vor der Tür stehe und mich nicht ins Büro traue, und tippe danach kurzerhand den Code in das eckige Ziffernkästchen neben der Tür, bevor ich es mir anders überlegen und flüchten kann. Ich flüchte schon viel zu lange. Ein Jahr, um genau zu sein. Damit ist ab heute ein für allemal Schluss.

Darren Walker sieht gut aus hinter seinem Schreibtisch. Es ist so ein großes Stück aus dunklem Holz. Hat vermutlich ein Vermögen gekostet, aber er kann es sich leisten und es passt zu ihm. Ich kann ihn mir jedenfalls nicht an einem Schreibtisch von Ikea vorstellen. Dieser Gedanke bringt mich zum Grinsen und ihn zum Stutzen, als er sich seufzend nach hinten lehnt und dabei feststellt, dass er nicht mehr allein im Raum ist, weil ich beim Eintreten kein Geräusch gemacht habe.

»Ähm … Adrian?«

»Hallo, Mister Walker.«

Er blinzelt verdattert, legt den Kugelschreiber zur Seite und erhebt sich, wobei er instinktiv das weiße Hemd glatt streicht, das ihm wie angegossen passt, was auch für die dunkelblaue Stoffhose gilt. Über der Lehne hängt ein gleichfarbiges Jackett, nach dem er jetzt greift, innehält und dann leise lacht, bevor er es loslässt und mir ein schiefes Grinsen schenkt.

»Entschuldige. Ich bin irgendwie noch bei den Bilanzen, im Übrigen das Langweiligste, was es im Leben eines modernen Geschäftsmannes gibt, finde ich, aber wer fragt mich bitte nach meiner Meinung?«

»Die tausend Leute, die für Sie arbeiten?«

Er gluckst schulterzuckend. »So viele sind es nicht, aber ja, vielleicht hast du recht. Wie kann ich dir …? Moment mal, wie kommst du überhaupt hier rein?«

»Niko hat mir den Code gesagt«, antworte ich und schiebe nervös die Hände in die Taschen meiner abgehalfterten Jeans, die ihre beste Zeit längst hinter sich hat, da ich ihm auf keinen Fall die Hand geben will. Das schaffe ich heute noch nicht und irgendwie spürt Darren Walker das und hält auf dem Weg zu mir abrupt inne, um sich danach stattdessen mit dem Hintern gegen seinen Schreibtisch zu lehnen.

»Ich verhaue ihn später dafür«, grollt er und zwinkert mir dabei zu, was mich kurz grinsen lässt. »Also? Wie kann ich dir helfen? Und sag bitte Darren, nicht Mister Walker, okay?«

Himmel, die Sache ist schwerer als ich gedacht habe, dabei ist er nett und freundlich und offenbar sehr daran interessiert, was ich zu sagen habe, wenn ich seinen Blick richtig deute. Es fällt mir trotzdem unsagbar schwer, ruhig zu bleiben und nicht rückwärts aus dem Raum zu flüchten, weil mich seine Statur einschüchtert, dabei ist oder war, das weiß ich ja nicht, Connor größer und breiter als er. Ihre ganze Art ist allerdings dieselbe und ich schätze, dass vor allem die das eigentliche Problem ist. Seltsam nur, dass ich vor Niko keine Angst habe, denn der hat noch mehr Muskelmasse zu bieten als Connor oder Darren.

»Ich bin gekommen, um mich zu bedanken«, bringe ich am Ende schließlich doch noch heraus und muss anschließend ein paar Mal tief durchatmen, weil mir schlecht wird. »Wegen der Therapie. Weil Sie … Weil du sie bezahlt hast.«

Darren schüttelt den Kopf. »Du musst dich nicht bedanken, Adrian. Du hast Hilfe gebraucht und nachdem, was dir hier im Club passiert ist ...«

»Also hast du es nur aus Schuldgefühlen getan?«, frage ich ruppig und wundere mich im selben Moment, als Darren mich überrascht ansieht, wo meine Abneigung dagegen herkommt, dass er es wirklich nur aus diesem Grund getan haben könnte. Und warum habe ich darüber eigentlich nicht schon viel früher nachgedacht, immerhin ist es logisch. Das 'Black Shine' ist sein Club und Connor sein Freund. Es geht um seinen Ruf und den will Darren natürlich nicht beschädigt wissen. Also nicht mehr, als es unbedingt nötig ist.

»Nein, Adrian«, antwortet Darren ernst und macht es jetzt mir nach, indem er seine Hände ebenfalls in den Hosentaschen verschwinden lässt. »Ich habe es getan, weil du dringend Hilfe brauchtest. Hilfe, die weder ich, Niko oder Connor dir je hätten geben können.« Er schnaubt kurz. »Er hätte dir wahrscheinlich einen Sonderpreis gemacht.«

Ich weiß genau, wen er meint und mir gefällt absolut nicht, wie finster er jetzt dreinschaut, während er an Connor denkt. »Hör auf damit«, fordere ich daher und schüttle den Kopf, weil er mir widersprechen will. »Nein, Darren Walker, das wirst du nicht tun. Du wirst ihm keine neuen Vorwürfe machen und du wirst mir auch nicht sagen, was ich zu denken habe. Ich hatte ein Jahr Zeit, mir darüber klarzuwerden, was ich denke. Ja, die Sache lief aus dem Ruder. Ja, ich wurde vergewaltigt. Nein, ich gebe Connor nicht komplett die Schuld daran.«

»Adrian!«

»Nein!«, brause ich genauso auf wie Darren, obwohl es mir Angst macht, als er sich vom Schreibtisch abstößt und mit den Händen durchs Haar fährt, dabei wild den Kopf schüttelnd, so als könne er nicht glauben, dass ich mir immer noch die Schuld gebe. Zumindest einen Teil der Schuld. »Es ist einzig und allein meine Entscheidung.«

»Wieso?«, zischt er und sieht mich finster an. »Wieso willst du ihn nicht anzeigen? Er hätte es verdient.«

»Er ist dein Freund.«

»Nicht mehr.«

»Macht eine Anzeige irgendetwas besser, Darren?«, will ich wissen und nicke, weil er verärgert schnaubt. »Eben, das tut es nämlich nicht. Es ändert nichts. Schon gar nicht bei Schwulen … Oder willst du mir jetzt wirklich weismachen, dass du noch nie mitbekommen hast, wie man männliche Opfer behandelt? Und wenn die dann auch noch schwul sind und in einen Club wie deinen gehen ...« Ich breche ab, als er plötzlich blass wird. »Das war nicht der Hauptgrund für meine Weigerung, aber es hat mich in meiner Entscheidung nur bestärkt. Ich wollte nicht, dass in einer Akte mein Name steht. Ich wollte nicht, dass das Ganze durch einen Prozess vielleicht publik wird und Connor einfach alles verliert, was er sich aufgebaut hat. Du weißt, wo er arbeitet und was er dort in Zukunft alles erreichen kann. Ich hatte ihn wirklich gern, Darren, und irgendwie ist das immer noch so. Vielleicht bin ich nicht ganz dicht, mag sein, aber er ist mir wichtig, genauso wie Niko oder du oder Danny. Ich war so gerne in deinem Club, behaupte jetzt ja nicht, dass du das nicht gewusst hast.«

»Natürlich wusste ich das«, flüstert er und sinkt mit einem tiefen Seufzen zurück gegen den Schreibtisch. »Du hast ständig gelacht und bist förmlich aufgeblüht. Jedes Mal habe ich euch zusammen beobachtet und mir gesagt, der Junge wird zu den Glücklichen gehören, die ein perfektes, erstes Mal erleben, weil ich wusste, wie Connor zu seinen Partnern ist, und ich war so neidisch auf ihn, als du ihn erwählt hast. Gott, der ganze Club ist vor Neid gestorben, als du Connor gewählt hast. Und dann hat er …« Darren bricht ab und fährt sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Ich kann einfach nicht … Wie konnte er dir das antun? Ausgerechnet er, der ganz genau weiß, wie wichtig das gegenseitige Einvernehmen beim Sex ist. Das werde ich diesem Mistkerl niemals verzeihen.«

Er tut mir so leid, weil er sich genauso quält, wie Connor es vermutlich seit jener Nacht tut, aber auch seine harschen Worte werden nicht das Geringste an meiner Entscheidung ändern. Und ich hoffe sehr, dass er mit der Zeit erkennt, dass das, was er tut, verkehrt ist. Nicht nur wegen Connor, nein, vor allem seinetwegen. Wütend zu sein ist das Eine, aber sich so sehr auf seine Wut zu versteifen, ohne dabei auch nur ansatzweise mal zu hinterfragen, wie es dazu kommen konnte, das ist definitiv nicht gesund für die Psyche. Der Meinung ist im Übrigen nicht nur mein Therapeut, der es schließlich wissen muss. Niko sieht das genauso und der hat Darren immerhin tagtäglich praktisch direkt vor der Nase.

»Tja«, sage ich leise, wohl wissend, welche sprichwörtliche Bombe ich gleich hochgehen lasse, aber ich bin weiter fest dazu entschlossen, »dann werde wohl ich derjenige sein, der das mit dem Verzeihen übernehmen muss.«

Darren erstarrt und nimmt abrupt die Hände vom Gesicht, um mich ungläubig anzustarren. »Du willst bitte was tun?«

»Darum bin ich hergekommen. Um mich zu bedanken und dir das zu erzählen«, erkläre ich ihm ruhig, obwohl in meinem Inneren ein wahrer Aufruhr herrscht. »Ich kann so nicht länger leben. Ich will nicht länger vor mir selbst davonlaufen. Und ich will nicht, dass er sich ewig schuldig fühlt. Ich kann ihn nicht dafür hassen oder ihm die Freundschaft aufkündigen, wie du es vor einem Jahr getan hast. So bin ich nicht. So will ich auch niemals sein. Darum wird Niko mich gleich zu Connor fahren, damit ich ihm dasselbe sagen kann wie dir.« Ein letztes Mal tief durchatmen, dann sehe ich ihn ernst an. »Ich verzeihe dir, was mir in deinem Club widerfahren ist und wogegen du nicht das Geringste hättest tun können.«

Darren klappt völlig fassungslos die Kinnlade runter, aber ich werde nicht warten, bis er seine Stimme wiederfindet. Nach einem kurzen Lächeln in seine Richtung mache ich kehrt und verlasse sein Büro ohne ein weiteres Wort. Ich habe getan, was ich hier unbedingt tun wollte, und wenn es mir nachher noch gelingt, dasselbe bei Connor zu tun, kann ich wirklich endlich anfangen loszulassen und nach vorn zu schauen. Ein Jahr habe ich gebraucht, um zu lernen, mit jener Nacht, die anfangs so wunderbar war und dann zu einem wahren Horrortrip wurde, umzugehen, und ab morgen werde ich mir in Ruhe überlegen, wie mein zukünftiges Leben aussehen soll.

 

 

 

Kapitel 2

Darren

 

 

 

 

Am späten Abend steht Niko pünktlich an seinem Platz vor der Tür und verhindert damit effektiv, dass ich ihn mir greife und erwürge.

Was hat er sich bloß dabei gedacht, Adrian diesen Floh mit der Vergebung in den sturen Kopf zu setzen und diesen dann auch noch auf Connor auszuweiten? Als hätte der Kleine nicht schon genug durchgemacht. Wie kann mein bester Türsteher und irgendwie auch Freund, sofern er mir nicht gerade wieder den letzten Nerv raubt, es wagen und …?

Knurrig mache ich kehrt, als mir klar wird, dass ich schon wieder, das dritte Mal mittlerweile, auf dem Weg zur Tür bin, um mir Niko vorzuknöpfen. Mein Weg an der Bar vorbei wird mit mehrfachem Kopfschütteln und besorgten Blicken meiner Barkeeper begleitet und ich sehe noch aus dem Augenwinkel, wie Danny mit einem Kollegen zu tuscheln beginnt. Aber nein, ich will es nicht wissen. Ich will nur eins wissen, und zwar, wie ich an Niko herankomme, um ihm den verräterischen Hals ein Stück umzudrehen, weil er nicht weniger verdient hat. Und im Anschluss daran, wenn ich seinen Hals wieder zurückgedreht habe, wird er mir gefälligst haarklein erzählen, wie er Adrian zu Connor gebracht hat und was dort vorgefallen ist.

Nun ja, sofern er das überhaupt weiß. Andererseits ist Niko durchaus zuzutrauen, dass er behauptet, von nichts zu wissen, obwohl er mit beiden gesprochen hat. Wenn der sture Russe nicht reden will, dann will er nicht reden. Schon gar nicht mit mir. Da kann ich sein Boss sein, soviel ich will.

Schlecht gelaunt kehre ich in mein Büro zurück, um mich endlich weiter um den anliegenden Papierkram zu kümmern, aber ich kann mich nicht konzentrieren und gebe ruckzuck auf, um stattdessen durch die Fenster nach unten auf die randvolle Tanzfläche zu schauen. Für einen normalen Wochentag ist viel los heute, aber morgen und am Wochenende, wenn wir wieder unsere beliebten Themennächte anbieten, wird noch viel mehr los sein. Die Nude-Night ist jeden Monat ein Renner, bei Jung und Alt gleichermaßen, denn wann gibt es schon mehr nackte Haut zu bewundern als an einem Abend, der höchstens Hose und Schuhe erlaubt, und selbst das gilt bei den Stammgästen mittlerweile als verpönt. Die meisten kommen in knappen und nicht viel der Fantasie überlassenden Strings, was allerdings so manches Mal nicht wirklich hübsch anzuschauen ist. Aber ich muss ja nicht hinsehen. Im 'Black Shine' ist jeder willkommen, egal wie perfekt oder unperfekt seine Figur ist, egal wie alt er ist, egal welche Spielarten er bevorzugt.

Ich runzle die Stirn, als ein Paar auf der Tanzfläche in einen Streit gerät, aber bevor ich nach meinem Handy greifen kann, sind bereits Ty und Garrett vor Ort, zwei weitere Jungs meiner Securitytruppe, und sie bekommen ruckzuck neue Arbeit, als ein Gast ein paar Meter weiter Ben entschieden zu nahe kommt und der sich das vehement verbittet.

Wenig später tanzt das Paar, als wäre nichts gewesen, und der aufdringliche Gast ist vor die Tür gesetzt. Sehr gut. Mein Team ist wirklich erstklassig und ich sollte ihnen vielleicht mal wieder einen kleinen Bonus gönnen. Geld habe ich schließlich genug, was mich ein weiteres Mal daran erinnert, dass sich auf meinem Schreibtisch die Arbeit stapelt.

Seufzend wende ich mich wieder den Papieren zu, um nach fünf Minuten erneut frustriert aufzugeben. Was interessieren mich Marktanalysen, Gewinnprognosen und Ausschüttungen an den Vorstand des Immobilienunternehmens, das ich gerade aufkaufen will, wenn meine gesamte Konzentration auf einem süßen Blondschopf liegt, der mir vorhin so kräftig die Leviten gelesen hat, dass ich selbst jetzt noch schwanke, ob ich deshalb sauer auf ihn sein oder ihn dafür bewundern soll. Zumindest sollte ich ihm kräftig den Arsch versohlen. Stolz kann ich dann ja immer noch auf ihn sein.

Herrgott, ich muss wirklich damit aufhören, mir Adrian an meiner Seite vorzustellen. Das mache ich jetzt seit einem Jahr, und was hat es mir, außer jeder Menge Frust im Bett, weil ich mittlerweile nicht mal mehr Lust auf einen One-Night-Stand oder eine kleine Session habe, eingebracht? Nichts.

Dabei würde er so perfekt an meine Seite passen. Ich hätte endlich meine Ruhe vor den ständigen Verehrern, männlichen wie weiblichen, dabei habe ich aus meiner Homosexualität nie einen Hehl gemacht, seit ich reich geworden bin und mir am sprichwörtlichen Arsch vorbeigeht, was andere Menschen über mich denken. Trotzdem versuchen immer wieder Frauen bei mir zu landen, die einen reichen Ehemann suchen, während es bei den Männern eher die jungen Hüpfer sind, die auf einen älteren Sugardaddy aus sind. Gegen letzteres habe ich nicht mal etwas einzuwenden, aber ich will Exklusivität und ich will einen Partner, der zu mir passt und der mich nicht nur wegen meines Geldes will.

Adrian wäre der Richtige, das weiß ich einfach, nur wie soll ich ihn von mir überzeugen? Und soll ich es überhaupt? Oder wäre es besser abzuwarten, bis es ihm wieder besser geht? Bis er sein Leben allein auf die Reihe bekommen hat? Er ist mir nie wie einer dieser Jungs vorgekommen, die einen Master suchen, der ihr Leben plant, aber wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, könnte es genau so sein. Ich habe Adrian heute das erste Mal seit einem Jahr wiedergesehen, und davor kannte ich ihn auch nur wenige Wochen. Ich erinnere mich, dass Connor mir von einem Studium erzählte, das Adrian angefangen hat, aber ob er das weitergeführt hat, weiß ich ebenso wenig, wie ich über die Schwere seiner Geldprobleme Bescheid weiß, die Niko mal in einem Nebensatz erwähnt hat, kurz nachdem ich mich dazu entschlossen hatte, Adrians Therapie zu bezahlen, weil er keine Krankenversicherung hat und trotz mehrerer Jobs kaum über die Runden kam.

Im 'Black Shine' und in meiner Firma gibt es das nicht, ich habe für sämtliche meiner Mitarbeiter Krankenversicherungen abgeschlossen, weil mir das wichtig ist und weil ich will, dass jeder, der für mich arbeitet, in der Hinsicht abgesichert ist.

Ein Räuspern hinter mir lässt mich zusammenzucken, ehe ich herumfahre und resigniert aufstöhne, weil Niko mich beim Träumen erwischt hat und mir mit einem missbilligenden Blick gerade sehr deutlich zeigt, was er davon hält, weil er natürlich weiß, wer das Objekt meiner Träumerei mit offenen Augen war und er sich wahrscheinlich nicht scheuen wird, mir eiskalt die Faust ins Gesicht zu schlagen, sollte ich es jemals wagen, mich Adrian gegenüber nicht anständig zu benehmen, was natürlich ebenfalls voraussetzt, dass der heiße Blondschopf eines Tages das ist, von dem ich mir schon wünsche, dass er es wird, seit ich ihn das erste Mal gesehen habe – mein Ehemann.

Ich straffe die Schultern, da ich meinem eigenen Türsteher nicht gegenübertreten werde wie ein beleidigter Teenager, den man beim Diebstahl von Kaugummi erwischt hat. »Ja, Niko?«

»Lass den Scheiß«, murrt er, verschränkt seine muskulösen Arme vor der Brust und lehnt sich hinterher mit dem Rücken gegen die Tür. »Wir müssen reden, Boss.«

Boss? So nennt er mich normalerweise nur, wenn es Ärger gibt. Ich runzle die Stirn. »Okay? Ich bin ganz Ohr, wenn mein bester Mann mir ...«

»Verdammt, hör endlich mit diesem Tonfall auf, Darren!«, fährt Niko mir abrupt über den Mund und ich bin davon so überrascht, dass ich ihn sprachlos anstarre, woraufhin er leise seufzt. »Boss, ernsthaft, hör gefälligst damit auf, uns von oben herab zu behandeln. Das kannst du mit diesen Anzugtypen in deinen Versammlungen machen, wenn du wieder losziehst um irgendwas Großes zu kaufen, aber nicht hier. Nicht im 'Black Shine'. Das bist nämlich nicht du und ich werde nicht zulassen, dass dieser Vorfall vom letzten Jahr dich in einen ganz anderen Menschen verwandelt … Du hörst mir jetzt zu!«, braust er auf, als ich ihm widersprechen will. »Ich verstehe dich. Ja, das tue ich wirklich. Das tut jeder hier im Club, da jeder von uns nach dieser Nacht monatelang stinksauer auf Connor war. Doch mit der Zeit lässt das nach und das muss es auch, weil alles andere einen irgendwann kaputt macht. Ich wollte Connor genauso an die nächste Wand klatschen wie du, aber nach einer Weile habe ich angefangen hinzusehen. Genau hinzusehen. Und zwar bei Adrian. Wir kannten ihn ein paar Wochen, ehe alles schiefging, ich kenne ihn mittlerweile seit Monaten und glaub mir, wenn ich sage, der Kerl könnte sogar einen Heiligen verführen, wenn er es darauf anlegen würde. Er hat dieses Unschuldige, das ihn so anziehend macht. Du weißt genau, wovon ich rede, leugne es ja nicht.«

Ja, da hat er recht. Ich nicke. »Ich weiß, was du meinst. Man sieht ihn nur an und will ihn sofort und für immer vor allem Unheil auf der Welt beschützen.«

Niko nickt zufrieden. »Ja. Und das hat sich noch gesteigert seit letztem Jahr, auch wenn Adrian das selbst wirklich absolut nicht bewusst ist. Dafür hat er im Moment viel zu viel Angst. Doch damals gab es diese Angst bei ihm nicht und ja, Connor hätte es besser wissen müssen, da gebe ich dir recht, da gibt dir jeder recht, nur kann ich mittlerweile verstehen, warum er die Beherrschung verloren hat, weil ich gesehen habe, was Adrian nur mit einem Lächeln bei anderen anrichten kann. Ein Junge wie er«, Niko grinst mich schief an und zuckt anschließend die Schultern, »Jungfrauen und Heilige, weißt du noch?«

Ich muss ungewollt grinsen, weil ich weiß, worauf er damit anspielt. Das kam ursprünglich mal von Connor, als wir vor einigen Jahren ernsthaft darüber diskutierten, warum schwule, junge Männer, die noch nie geküsst worden waren und zudem noch nie Sex hatten, auf uns Ältere oft so verführerisch wären, wie die Heilige Jungfrau für die Kirche und ihre Gläubigen. In der Hinsicht ist verführerisch vielleicht nicht das richtige Wort, aber es trifft bei uns definitiv zu, denn ich erinnere mich noch verdammt gut daran, wie viele Kerle sich Adrian förmlich an den Hals warfen, als er das erste Mal ins 'Black Shine' kam. Er hätte jeden Abend an jedem Finger einen neuen Mann für eine Nacht oder auch mehr haben können und doch hat er sich nur für einen entschieden – Connor.

»Ich soll Connor also einfach verzeihen, was er getan hat, nur weil er sich nicht beherrschen konnte, und anschließend so tun, als wäre nie etwas passiert?«

»Nein, du Idiot«, grollt Niko und verdreht die Augen. »Du sollst mit ihm reden. Dir seine Seite anhören. Genauso wie du dir früher oder später Adrians anhören solltest. Sie haben das zusammen verbockt, Darren. Ich rede dabei auch gar nicht von vergeben und vergessen, ich spreche nur vom Verstehen. Er ist dein bester Freund und du vermisst ihn, ganz gleich, wie sehr du seit Monaten über ihn schimpfst. Und wo wir hier gerade so offen und ehrlich zueinander sind, du gehst deinen eigenen Leuten mittlerweile furchtbar auf die Nerven.«

»Bitte?«, frage ich empört und Niko lacht, bevor er sich von der Tür abstößt und sie öffnet, um mich stehenzulassen. »Jetzt warte doch mal. Du kannst nicht einfach ...«

»Frag Danny, der wird es dir bestätigen. Deine Laune ist an manchen Tagen jenseits von Gut und Böse, und das fällt längst nicht mehr nur uns auf. Oder ist dir entgangen, dass Stone seit fast einem Monat keinen Fuß mehr in den Club gesetzt hat?«

Nein, das ist mir keineswegs entgangen und ich stand kurz davor, bei ihm anzurufen und zu fragen, ob es ihm gut geht, da es völlig untypisch für Maxwell ist, so lange nicht in den Club zu kommen. Dass seine Abwesenheit aber offensichtlich an mir liegt, damit habe ich, ehrlich gesagt, nicht gerechnet. Ich runzle die Stirn und Niko betrachtet mich nachdenklich, die Hand am Türgriff.

»Adrian tut das Richtige, indem er Connor verzeiht und dann neu anfängt, Darren.« Er hebt warnend eine Hand, als ich den Mund öffne. »Nein! Es reicht. Du bist nur so verbohrt, weil du in den Kleinen verliebt bist, aber er braucht keinen Ritter in einer schimmernden Rüstung, der ihn vor der Welt beschützt, sondern einen Freund, der ihn versteht und für ihn da ist, denn auch wenn es dir möglicherweise nicht aufgefallen ist, Adrian hat Angst vor dir. Seit letztem Jahr fürchtet er sich vor dunklen Räumen, vor Schatten, vor Menschen, vor lauten Stimmen und besonders vor großen, starken Männern, wie wir das nun mal sind. Männer wie Connor. Und deine unterschwellige Wut auf Connor macht Adrian erst recht Angst, obwohl er versucht hat, sich das heute nicht anmerken zu lassen. Er mag Kerle wie uns und Connor ist ihm wichtig. Du bist ihm im Übrigen auch sehr wichtig, obwohl sein Verstand sich derzeit noch weigert, sich näher mit dieser Tatsache auseinanderzusetzen. Und bevor du danach fragst, das weiß ich von seinem Therapeuten, der mir etwas schuldig war.« 

Moment mal, wie bitte? Ich starre Niko wütend an. »Dir ist doch hoffentlich klar, dass Gespräche zwischen Therapeut und Patient vertraulich sind?«

Niko grinst frech. »Ja. Genauso klar wie dir ist, dass du den seit Monaten im Selbstmitleid badenden Kerl vermisst, der mal dein bester Freund war.« Als ich nur schnaube, wird er sofort wieder ernst. »Ich war einige Male bei ihm in den vergangenen Wochen. Er weiß nichts davon, weil ich ihn nur aus der Ferne beobachtet habe, aber was ich dort sah, hat mich erschreckt, Darren.«

»Wie ist das gemeint?«, frage ich beunruhigt, weil mir sein besorgter Blick nicht gefällt. Niko ist kein Mann, der übertreibt oder Dinge aufbauscht. Wenn er sich so unübersehbar Sorgen um jemanden macht, dann gibt es dafür immer einen verflucht guten Grund.

»Fahr zu ihm.«

Ich schüttle störrisch den Kopf und da tritt Niko dicht vor mich und tippt mir auf die Brust, in der Höhe meines Herzens. »Du kannst bockig sein, soviel du willst. Du kannst ihn auch anschreien, soviel du willst. Von mir aus fahr hin und hau ihm eine runter, wenn du dich dann besser fühlst. Verdient hätte er es ohnehin. Egal, was du tust, Hauptsache, du fährst hin. Und tu es bald, Darren. Denn wenn du nicht endlich deinen feigen Hintern hoch bekommst, wird er Patrick folgen.«

»Feiger Hintern? Du … Moment, was?«

Ich atme scharf ein. Was hat er eben gesagt? Nein. Das kann nicht sein. Nikos Blick ist allerdings unmissverständlich, als ich erneut den Kopf schüttle, und anschließend läuft es mir eiskalt den Rücken runter, bei der Vorstellung, dass Connor vielleicht sterben könnte. Dass er denselben endgültigen Weg wählt, wie sein Bruder es damals getan hat. Großer Gott. Nein! Das werde ich nicht zulassen. So wütend ich auf ihn auch bin, er wird sich nicht einfach aus dem Leben davonstehlen, das kommt auf gar keinen Fall infrage.

»Hast du noch den Schlüssel zu seinem Haus?«, fragt Niko, während ich hin- und hergerissen bin, ob ich alles stehen- und liegenlassen soll, um noch heute zu Connor zu fahren, oder ob es nicht besser wäre, bis morgen zu warten. Aber seine Frage nach dem Schlüssel ist eindeutig, Niko will nicht abwarten und ich schätze, das ist mein Stichwort.

»Ja.«

Er geht zur Tür und zieht sie auf. »Na los. Wir kommen für den Rest des Abends auch ohne dich klar.«

Ich halte das für keine gute Idee, bei meiner Laune, sobald ich nur an Connor denke. »Niko, das ist ...«

»Und du wirst dich bei deinen Mitarbeitern für dein mieses Benehmen in den letzten Wochen entschuldigen«, fällt er mir ungerührt ins Wort und deutet dann mit strengem Blick in den Flur. »Komm mir jetzt ja nicht mit der Ausrede, dass das keine gute Idee ist, weil du gerade sauer auf ihn bist. Du bist von uns immerhin derjenige gewesen, der ihm letztes Jahr vorgeworfen hat, sich bei Adrian nicht beherrscht zu haben. Tja, mit gutem Beispiel voran, nicht wahr?«

Er nutzt meine eigenen Argumente gegen mich? Also jetzt schlägt´s aber gleich dreizehn. »Niko!«

»Boss!«

Ich ziehe unwillkürlich den Kopf ein. Den Tonfall kenne ich und es ist besser, jetzt nicht weiter mit Niko zu streiten, weil es sonst unschön wird. »Ich gehe ja schon«, nörgle ich daher und trete an ihm vorbei in den Flur. »Allerdings will ich, dass im schriftlichen Protokoll mit Rotstift vermerkt wird, dass ich mit deinem herrischen Befehlston nicht einverstanden bin.«

»Wir sind nicht bei Star Trek, hier gibt es kein Protokoll!«, kontert Niko eisig und wirft mir dann kurzerhand die Tür vor der Nase zu, bevor ich reagieren kann.

Ist das zu fassen? Ich stemme entrüstet beide Hände in die Seiten. »Das ist immer noch mein Büro!«

»Du bekommst es wieder, wenn du brav warst und deinem Freund verziehen hast.«

Also das ist doch wohl … »Niko!«

Die Tür wird mit einem unüberhörbaren Klicken verriegelt. »Abmarsch, Boss!«

Er sperrt mich aus meinem eigenen Büro aus, gibt es denn so was? Der Kerl ist Türsteher, verdammt noch mal, nicht mein schlechtes Gewissen. Wobei er mir das gerade sehr erfolgreich eingeredet hat, das muss ich ihm lassen. Russischer Mistkerl. Mit einem wüsten Fluch auf den Lippen mache ich kehrt, eile die Treppe runter und aus dem Club. Den Ersatzschlüssel für Connors Haus muss ich erst aus meinem Apartment holen und das wird eine Weile dauern. Hoffentlich reicht die Zeit aus, um mich innerlich ein bisschen abzukühlen, sonst dürfte das Erste, was Connor von mir sieht, wirklich eine Faust sein, die auf sein Gesicht zurast.

 

 

Kapitel 3

Adrian

 

 

 

 

Vielleicht hätte ich Niko doch bitten sollen zu bleiben, denn er hätte es problemlos geschafft, Connor ins obere Stockwerk in sein Schlafzimmer zu bringen und dafür zu sorgen, dass er ins Bett kommt. Stattdessen liegt der Mann, der mir vor einem Jahr so große Schmerzen beschert hat, jetzt auf seiner Couch im Wohnzimmer und schläft dort seinen Rausch aus, da ich, selbst wenn ich mich im Laufe des Abends dazu hätte durchringen können, Connor anzufassen, körperlich nie und nimmer in der Lage wäre, ihn die Treppe hochzuschaffen.

Ich hätte nicht so lange warten dürfen.

Ich hätte viel früher herkommen und verhindern müssen, dass er sich fast zu Tode trinkt.

Kopfschüttelnd sammle ich im gesamten Zimmer nach und nach insgesamt vierzehn leere Bierflaschen ein, ziehe hinterher unter dem Couchtisch eine leere Wodkaflasche hervor, dicht gefolgt von einer Whiskyflasche, deren Inhalt sich zum Teil auf den Teppich ergossen hat, und stelle alle Flaschen neben einen vermutlich seit Tagen überquellenden Mülleimer, der in einer riesigen Küche steht, die Connor früher vermutlich gerne zum Kochen benutzt hat, wenn ich mir das hohe Gewürzregal, die vertrockneten Kräuter in ihren farbenfrohen Töpfen auf dem Fensterbrett und den breiten Messerblock so ansehe, doch jetzt ist der ganze Raum nur noch eine einzige Müllhalde, voll mit leeren Essensverpackungen vom Chinesen, an dem wir auf dem Weg hierher vorbeigekommen sind, und Pizzaschachteln von diversen Lieferdiensten.

Seufzend begutachte ich das Chaos, entscheide mich jedoch dagegen, es gleich aufzuräumen. Stattdessen gehe ich zurück in den Flur und finde nach kurzem Suchen einen Vorratsraum oder eher Hauswirtschaftsraum, in dem neben Waschmaschine und Trockner auch Putzzeug zu finden ist, und das brauche ich jetzt, um das ekelhaft stinkende Erbrochene wegzuwischen, an dem Connor vorhin fast erstickt wäre, während er gleichzeitig vor lauter Tränen kaum reden konnte.

Gott im Himmel, er tut mir so leid. Dabei sollte ich wütend auf ihn sein. Ich sollte ihn schlagen und anschreien, aber nichts davon habe ich getan, weil ich den Ausdruck in seinen Augen nicht mehr aus dem Kopf bekomme, als er erkannte, wer da an seiner Haustür geklingelt hat.

In einem Moment hat er mich mit blutunterlaufenen Augen und aufgedunsenem Gesicht angestarrt, im nächsten lag er vor mir auf dem Boden und weinte, während er versuchte Worte zu bilden und sich bei mir zu entschuldigen. Immer wieder und wieder, bis mir schließlich klar wurde, dass er kurz davor stand, vollends die Nerven zu verlieren. Und da habe ich alles vergessen, was ich Connor hatte sagen wollen, und stattdessen seine Hand genommen und ihm wiederholt versichert, dass ich weiß, dass es ihm leidtut und dass ich ihm verzeihe. Es hat ewig gedauert zu ihm durchzudringen und noch viel länger, um ihn dann auf die wackligen Beine und ins Wohnzimmer zu bringen. Es wäre besser gewesen, ihn ins Bad zu schaffen, aber hinterher ist man ja bekanntlich immer klüger.

Die ganze Zeit betont durch den Mund atmend, säubere ich notdürftig den Eingangsbereich und werfe danach alles in eine Waschmaschine, die ich gerne einschalten würde, aber ich habe so ein modernes Teil noch nie gesehen und bevor ich sie kaputt mache, lasse ich lieber die Finger davon.

Und was mache ich jetzt?

Ich kann ihn auf keinen Fall alleinlassen, wer weiß, was er anstellt, wenn er wach wird und merkt, dass ich nicht mehr da bin. Vielleicht glaubt er dann, nur geträumt zu haben, und ich will wirklich nicht dafür verantwortlich sein, dass das Connor noch mehr zusetzt. Er sieht jetzt schon schlimm aus und wenn ich ehrlich bin, habe ich auch ein bisschen Angst, dass er sich etwas antut. Niemand, der noch bei klarem Verstand ist, säuft sich so die Hucke zu. Von dem verdreckten Haus mal ganz zu schweigen. Ich habe den Eindruck, dass es ihm heute so geht, wie mir vor einem halben Jahr, ehe ich mit der Therapie anfing, nachdem ich durch Nikos Unterstützung endlich eingesehen hatte, dass ich es allein nicht schaffe.

Ich gehe langsam zurück ins Wohnzimmer, um einen Blick auf Connor zu werfen und mich zu vergewissern, dass es ihm gut geht, aber er schläft immer noch, Gott sei Dank, und mein Weg führt mich weiter in die Küche. Sie ist ein wahrer Traum und nicht viel kleiner, wie meine gesamte Wohnung. Dazu der offene Durchgang in den Essbereich, an den sich ebenso offen das Wohnzimmer anschließt. Die Küche hat sogar eine Tür, die auf die Terrasse führt. Unglaublich. Da kann meine Bruchbude von Ein-Zimmer-Wohnung nicht mal ansatzweise mithalten.

»Himmel, das stinkt«, murmle ich angewidert und ziehe im nächsten Moment, obwohl es mitten in der Nacht ist, die Tür zur Terrasse auf, um frische Luft reinzulassen.

Und danach schiebe ich die Ärmel meines Shirts hoch und mache mich an die Arbeit. Irgendwas muss ich tun, während ich darauf warte, dass Connor aufwacht, also kann ich genauso gut ein bisschen aufräumen. Aber zuerst bekommen die armen Pflanzen im Haus etwas Wasser. Für die Küchenkräuter kann ich nichts mehr tun, aber die kleinen Bäumchen und Palmen in der Küche und im Wohnzimmer erholen sich vielleicht.

Nach kurzem Zögern sehe ich auch im Obergeschoss nach und gieße dort ebenfalls die wenigen Pflanzen, öffne Fenster, staple dreckige Wäsche zu mehreren Bergen direkt neben der Waschmaschine auf und mache mich zum Schluss an die mehr als eklige Küche. Allein um den Abfall rauszuschaffen, brauche ich ganze vier Müllbeutel, die leeren Flaschen lasse ich jedoch stehen. Connor soll sehen, wie viel er in letzter Zeit getrunken hat. Hoffentlich schockiert ihn das so sehr, dass er in Zukunft die Finger vom Alkohol lässt. Es wäre das Beste für ihn, sofern er vorhat, je wieder in seinem Beruf zu arbeiten. Ich frage mich ohnehin, was er in den vergangenen Monaten so getrieben hat, denn als Therapeut war er in seinem Zustand ganz sicher nicht tätig. Seine Patienten wären vor ihm davongerannt.

Aber das geht mich im Grunde ja überhaupt nichts an und ich werde mich hüten, ihn danach zu fragen. Ich sollte mir viel eher mal überlegen, was ich in nächster Zeit beruflich tue, weil das Haus hier definitiv ein Ort wäre, an dem ich mich richtig wohlfühlen könnte. Es ist Utopie, ich weiß, so viel Geld werde ich nie verdienen, um mir so etwas leisten zu können, aber es sollte doch wenigstens für mehr reichen, als für eine beengte, zugige Bruchbude, bei der meine Mutter vermutlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde, wüsste sie, wie ich seit Jahren hause. Aber mein Studium war nun mal nicht billig, trotz Stipendium, und meine Eltern einfache Leute. Sie haben immer alles getan, um mir so viel es geht zu ermöglichen, aber Chicago ist nun mal keine Kleinstadt, wo man mit weniger als tausend Dollar im Monat auskommen kann, sofern man keine Familie zu versorgen hat.

Ich brauche einen Job. Einen richtigen. Kein Einräumen von Kisten, kein Abwaschen von Tellern oder Sitzen an der Kasse. Verdammt, ich habe doch kein Stipendium erhalten, weil ich so dumm war. Im Gegenteil. Ich habe die Highschool als einer der Besten abgeschlossen, aber wahrscheinlich hätte ich mich von Anfang an gegen BWL entscheiden sollen. Vielleicht hätte ich schon damals das tun sollen, was ich eigentlich immer wollte – nämlich etwas mit Werbung. Ich wollte diese bunten Anzeigen erstellen, mit denen Unternehmen werben. Ich wollte helfen, Geschäfte nach außen hin möglichst gut aussehen zu lassen. Ich wollte die Firmeninhaber darin unterstützen, sich langsam, aber stetig einen guten Ruf aufzubauen.

Und dabei ging es mir nicht um die riesigen Unternehmen, denen es nur ums Geld scheffeln geht, sondern um die kleinen Leute. Um Menschen mit Ideen, eigenen Läden, Künstlern, all jenen, die eben kein sechsstelliges Budget für Werbung haben und um jeden Kunden kämpfen müssen.