Hart wie ein Stein - Mathilda Grace - E-Book

Hart wie ein Stein E-Book

Mathilda Grace

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Beschreibung

Sechs Jahre, vier Monate, dreizehn Tage – so lange dauerte sein Martyrium, bis es dem FBI endlich gelang, Maxwell Stone aus den Fängen seines Folterers zu befreien. Fünfzehn Jahre später lebt er unter einer neuen Identität zwar in Freiheit, ist aber immer noch ein Gefangener seiner zerstörten Psyche, die er nur durch einen strikten Tagesablauf und regelmäßige Besuche im 'Black Shine' aufrechterhält. Doch tief in seinem Herzen weiß Maxwell, dass das nicht genug ist. Er will die große Liebe. Diesen einen, ganz besonderen Partner, der einzig und allein für ihn bestimmt ist. Nur wie soll jemand, der so furchtbar verletzt wurde wie er, jemals wieder einem Mann vertrauen können?

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Mathilda Grace

HART WIE EIN STEIN

 

 

Hart wie ein Stein

1. Auflage, Mai 2023

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

© 2023 Mathilda Grace

Am Chursbusch 12, 44879 Bochum

Text: Mathilda Grace 2021

Foto: AquilaSol; Pixabay

Coverdesign: Mathilda Grace

Korrektorat: Corina Ponta

 

Web: www.mathilda-grace.de 

 

Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.

 

Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden.

 

Hart wie ein Stein enthält homoerotische Handlungen.

 

 

Danksagung

 

Mein Dank geht an Frau Mag. rer. nat. Corina Ponta, die mir in allen Fragen rund um die Themen Posttraumatische Belastungsstörung und Traumabewältigung mit ihrer fachlichen Kompetenz beratend zur Seite stand.

 

 

 

 

 

Mathilda Grace

 

 

Sidestory zu »Aus der Asche geboren«

 

 

 

 

 

- Drama -

 

 

Liebe Leserin, Lieber Leser,

 

ohne deine Unterstützung und Wertschätzung meiner Arbeit könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.

 

Mit deinem Kauf dieses E-Books schaffst du die Grundlage für viele weitere Geschichten aus meiner Feder, die dir in Zukunft hoffentlich wundervolle Lesestunden bescheren werden.

 

Dankeschön.

 

Liebe Grüße

Mathilda Grace

 

 

Sechs Jahre, vier Monate, dreizehn Tage – so lange dauerte sein Martyrium, bis es dem FBI endlich gelang, Maxwell Stone aus den Fängen seines Folterers zu befreien. Fünfzehn Jahre später lebt er unter einer neuen Identität zwar in Freiheit, ist aber immer noch ein Gefangener seiner zerstörten Psyche, die er nur durch einen strikten Tagesablauf und regelmäßige Besuche im 'Black Shine' aufrechterhält. Doch tief in seinem Herzen weiß Maxwell, dass das nicht genug ist. Er will die große Liebe. Diesen einen, ganz besonderen Partner, der einzig und allein für ihn bestimmt ist. Nur wie soll jemand, der so furchtbar verletzt wurde wie er, jemals wieder einem Mann vertrauen können?

 

 

Inhaltswarnung

 

Snuff-Clubs und Snuff-Filme gehören offiziell bis heute ins Reich der Mythen und Legenden, obwohl die letzten Skandale im Bereich der Kinderpornografie den unverkennbaren Beweis lieferten, dass es im Internet, besonders im Darknet, bereits seit langer Zeit keine Tabus mehr gibt.

 

Die Idee zu dieser Geschichte kam mir, als ich eine andere Buchreihe las, in der es ebenfalls um einen Snuff-Club ging. Ich habe das Thema aufgegriffen und ein Gay-Drama geschrieben, in dem der Snuff-Club selbst zwar der Vergangenheit angehört, das im letzten Moment gerettete Opfer jedoch bis heute unter einer schweren Posttraumatischen Belastungsstörung leidet.

 

In diesem Buch gibt es daher Szenen und Intrusionen (auch Flashbacks genannt), aus den Bereichen sexueller Missbrauch und Folter, die auf Leser verstörend wirken können.

 

 

Prolog

Maxwell

 

 

 

 

»Geh mit ihm aus.«

Ich spare mir jedes Wort zu seinem abstrusen Vorschlag, da er an Lächerlichkeit schwer zu überbieten ist. Nur weil ich mit dem Jungen getanzt habe, heißt das noch lange nicht, dass wir deswegen gleich heiraten müssen.

Obwohl er dazu kaum Nein sagen würde. Kein Wunder. Es hat mal eine Zeit gegeben, da hätten Frauen und auch Männer mir Geld dafür bezahlt, um mit mir auszugehen oder mich als ihren Ehemann an Land zu ziehen. Ich galt einst als verdammt gute Partie und weil ich zudem auch nicht der Hässlichste bin, habe ich das durchaus das ein oder andere Mal ausgenutzt.

»Ich war nicht immer ein netter Mensch, das weiß ich, doch dass ich eines Tages auf diese Art dafür bezahlen würde, hätte ich mir nicht einmal in meinen allerschlimmsten Albträumen vorstellen können.« Und ich weiß das so gut, weil ich in meinen Träumen schon derartig oft zu Tode gefoltert worden bin, dass ich davon heute nicht mal mehr aus dem Schlaf hochschrecke. Meine Psyche hat schon vor langer Zeit komplett abgeschaltet. Oder anders ausgedrückt, ich bin heute so abgebrüht, dass ich mittlerweile fürchte, eines Tages aufzuwachen und absolut gar nichts mehr zu fühlen.

Vielleicht habe ich es verdient.

Vielleicht war es mir ja vorbestimmt, so zu enden.

Als psychisches Wrack, dem nicht zu helfen ist.

Vollkommen kaputt und gebrochen.

Ich wäre längst tot, hätte ich nicht gelernt, mit einer Maske zu leben. Mein Innerstes hinter ihr und vor allem so tief in mir selbst zu vergraben, dass es niemand mehr finden kann, auch nicht der Mann, der im Moment neben mir sitzt und genau das wieder und wieder versucht.

Ich weiß nicht, was er in mir sieht, eines weiß ich allerdings mit Bestimmtheit, nämlich dass Ben etwas Besseres verdient als mich, auch wenn der Junge davon wahrscheinlich nichts hören wollen würde. Das will Danny ja auch nicht, der sehr beharrlich Kontakt zu mir hält, seit ich ihm in einem Anflug von Idiotie meine Handynummer gegeben habe, und den ich mittlerweile sogar für eine Zeit lang in meiner Nähe ertragen kann.

Gott sei Dank spürt Niko immer sehr schnell, wenn Danny zu überschwänglich wird und hält ihn dann zurück, um mir ein bisschen Raum zu geben. Der Mann sieht eindeutig zu viel für meinen Geschmack, darum halte ich mich abseits der Sessions, in denen ich Danny in BDSM unterrichte, von Niko auch so gut es geht fern.

Wenn das bei Ben doch auch nur so einfach wäre, aber seit wir auf Darrens Halloweenparty im 'Black Shine' miteinander getanzt haben, geht mir der Kerl nicht mehr aus dem Kopf und das macht mich langsam aber sicher wirklich wahnsinnig. Also noch wahnsinniger, als ich es ohnehin bereits bin.

»Ich rede nicht davon, eine Beziehung mit ihm anzufangen, Maxwell. Ich rede davon, wieder ein Gefühl für dich selbst zu entwickeln. Für alltägliche Interaktionen.«

Interaktionen.

Ich habe längst aufgehört zu zählen, wie oft er versucht hat, mich dazu zu bringen, mit neuen Leuten Kontakte einzugehen und sie zu halten. Doch diese Zeit ist lange vorbei. Ich bin sehr wohl in der Lage, Gespräche zu führen, durchaus auch einmal längere, sofern es die Situation erfordert, meine anhaltenden Kontakte zu Darren Walker und Danny Markow – mittlerweile ist er glücklich mit seinem störrischen Künstler verheiratet und hat an diesem wunderschönen Frühlingstag auch sofort seinen Nachnamen angenommen – beweisen es, viel mehr erlaube ich allerdings niemandem.

Den Grund dafür kennt mein Gegenüber, und was unseren gemeinsamen Bekanntenkreis angeht, ist er auch der Einzige, der weiß, was mich zu dem Mann gemacht hat, der ich heute bin, dennoch ist er nicht dazu bereit mich aufzugeben, wie alle anderen es längst getan haben, und ich wäre heilfroh, würde er sich ihnen endlich anschließen. Aber ich befürchte, dass er mir den Gefallen niemals freiwillig tun wird.

»Ich habe im Club genug Interaktion.«

Wenn man das Bestellen von Wein und die finsteren Blicke in Richtung der niedlichen Twinks dafür hält, die immer noch beharrlich versuchen, mich an all den Abenden, wo ich Zeit im Club verbringe, in eins der Hinterzimmer zu locken. Dabei bin ich, seit ich Danny unterrichte, mit keinem mehr in eines dieser Zimmer verschwunden. Langsam sollten sie es doch begreifen, dass mein Interesse daran erloschen ist.

Einzig für Danny und Niko mache ich momentan noch eine Ausnahme, aber auch diese ist zeitlich begrenzt, denn Danny lernt schnell und schon sehr bald wird er meine Hilfe in Bezug auf BDSM nicht mehr brauchen. Sie werden sich einen Dritten suchen müssen, damit Niko dauerhaft seine Wünsche ausleben kann, und mich würde nicht wundern, wenn sie diesen dritten Mann im 'Black Shine' finden.

»Auch mit Menschen, denen du etwas bedeutest?« Er hebt die Hand, ehe ich antworten kann. »Ich rede nicht von Leuten wie Darren, Danny oder Niko, Maxwell. Ich rede von Leuten, die in dich verliebt sind.«

»Ben ist überhaupt nicht in mich verliebt. Er schwärmt von mir, weil ich der große, böse Wolf bin.« Was eine Lüge ist und das weiß Connor genauso gut wie ich, aber er ist wie immer zu höflich, um mir solche Falschaussagen vorzuwerfen.

»Bens Gefühle gehen weit über eine harmlose Schwärmerei hinaus«, kontert er, weil er weiß, wie sehr mich dieser Tanz mit Ben aus der Bahn geworfen hat, dennoch bin ich seitdem nicht in der Lage, mich von ihm fernzuhalten, was mich jedes Mal aufs Neue im selben Maße irritiert, wie es mir Angst macht.

»Du weißt ganz genau, dass es einen Unterschied zwischen echter Liebe und bescheuerter Schwärmerei gibt. Versuch jetzt nicht wieder, mich mit deinem nervigen Psychogequatsche aus der Reserve zu locken.«

So ausfallend wollte ich eigentlich gar nicht werden, weil es ein Fehler ist, mich ihm gegenüber im Ton zu vergreifen, denn Doktor Connor Alexander entdeckt leider Gottes jedes noch so kleine Schlupfloch in meiner Psyche, die dermaßen zerstört ist, wie er es noch nie zuvor bei einem Menschen erlebt hat. Nicht, dass er das jemals offen in Worte gefasst hätte, das wäre völlig entgegen seiner Professionalität. Aber ich habe nicht vergessen, wie fassungslos, wobei das Wort es nicht mal ansatzweise trifft, er mich angesehen hat, nachdem ich ihm in einem Anfall von seelischer Schwäche sturzbetrunken erzählt habe, was man mir vor langer Zeit angetan hat.

»Ich bin Traumatherapeut, Maxwell, ich werde immer mit dir reden, wie du es meiner Meinung nach brauchst, und nicht, wie du es gern hättest. Würde ich dir diese Möglichkeit geben, hättest du längst abfällig die Nase über mich gerümpft, so wie über all die anderen Psychologen und Psychiater, mit denen du dein Glück versucht hast und die allesamt gescheitert sind, da du zu schlau bist und selbst zu viel von der Materie verstehst, um dir helfen zu lassen. Du würdest mich ablehnen, wenn ich dir auch nur eine Sekunde nachgebe.«

Dem kann ich nicht widersprechen, darum versuche ich es gar nicht erst. In der ersten Zeit habe ich es ein paar Mal getan, um ihn von mir wegzutreiben, aber das war für uns beide nicht gerade angenehm und es hat ihn auch nicht davon abgehalten, weiterhin zu mir zu kommen, um mit mir zu reden. Was das angeht, ist er unerbittlich, und zwar nicht nur zu mir.

Connor Alexander gehört nicht zu der Sorte Mensch, die es mir oder anderen leicht machen. Ganz im Gegenteil. Er kämpft für alle, bei denen er der Meinung ist, dass sie nicht selbst für sich kämpfen können, und er gibt dabei niemals auf. Er hat als Therapeut um seinen heutigen Schwager gekämpft, danach um seinen Verlobten, um Darren, Adrian, Niko, Danny – um jeden, der ihm etwas bedeutet, und ich gehöre zu diesem Kreis, ob ich es will oder nicht.

Deshalb wird er weiter um mich kämpfen und darum ist er so gut in seinem Job, was mich jetzt vor ein gewaltiges Problem stellt, denn wenn ich Connor wirklich loswerden will, muss ich ihn aufgeben, weil er das niemals tun wird.

Ich weiß allerdings nicht, ob ich das kann, denn so sehr ich mich über ihn ärgere, jedes Mal, sobald er mich wiederholt in die Ecke drängt, so sehr gehören unsere Gespräche zu meinem Alltag und ich brauche die festgelegten Strukturen, wie andere Menschen die Luft zum Atmen.

Und das weiß er, sein folgendes, schmales Lächeln verrät es mir, ehe er leise weiterspricht. »Du wirst es selbst tun müssen, Maxwell. Alle anderen haben dich aufgegeben und sich von dir abgewandt. Sie haben dir damit einen großen Gefallen getan, zumindest glaubst du das, doch ich bin nicht wie sie. Wenn du mich loswerden willst, musst du den ersten Schritt tun. Aber glaub ja nicht, dass ich es dir leicht machen würde. Das haben schon zu viele Menschen getan.«

Connor erhebt sich, um mein Haus zu verlassen, denn es ist der einzige Ort auf der Welt, an dem ich mich überhaupt sicher genug fühle, um solche Gespräche zu führen. Ich wünschte, er würde nicht wiederkommen, doch das wird er tun. Pünktlich wie ein Uhrwerk wird er in einer Woche wieder an meine Tür klopfen und ich werde sie ihm öffnen, so wie ich es bereits seit mehr als zwei Jahren tue.

»Warum?«, frage ich leise, als er gerade hinter mir die Tür meines Arbeitszimmers öffnet.

Wir reden immer hier, auch das gehört zu den festgelegten Strukturen, die mir einen Alltag erst ermöglichen. Ich habe so viele davon und lebe schon so lange nach ihnen, dass ich mich nicht mehr daran erinnere, wie es ist, ohne diese Regeln einen Tag zu überstehen. Wie normale Menschen das können, ist mir ein Rätsel, und die Zeiten, in denen ich mir genau eben diese Normalität zurückgewünscht habe, sind lange vergangen, weil es bedeuten würde, »normal« zu sein und ich heute weiß, dass ich das niemals war.

»Du kennst die Antwort auf diese Frage.«

Natürlich kenne ich sie, denn es ist keine neue Frage. Aber ich brauche seine Antwort, auch wenn sie immer gleich lautet. Vielleicht liegt es am heutigen Datum. An meinem Geburtstag bin ich immer, egal wie sehr ich dagegen ankämpfe, unsicherer und hoffnungsloser als sonst.

»Antworte mir!« Ich befehle es ihm, weil ich nicht darum bitten kann, obwohl ich mit einer ehrlich gemeinten Bitte wohl manchmal bedeutend mehr erreichen würde.

»Weil du es wert bist, Maxwell Stone.«

 

 

Kapitel 1

Maxwell

 

 

 

 

»Wenn du noch einmal mit deinem funkelnden Ehering vor meinem Gesicht herumwedelst, schlage ich dich nieder, klaue dir das verfluchte Ding und werfe es draußen in den erstbesten Gully, den ich finden kann.«

Danny sieht Ben empört an. »Das würdest du nie tun.«

»Natürlich nicht, aber ich kann dir damit drohen«, kontert der, zwinkert mir zu, während er mein Weinglas zum zweiten Mal auffüllt, bevor er sich wieder Danny zuwendet, der heute Abend offenbar vorhat, Ben in den Wahnsinn zu treiben. »Und jetzt lass mich arbeiten, sonst kannst du die Dekoration für die diesjährige Halloweenparty alleine vom Dachboden holen und natürlich auch alles alleine schmücken.«

»Ben!«

Ben lacht und wendet sich den ebenfalls lachenden Gästen zu seiner Linken zu, die sich schon eine halbe Stunde an ihren Cocktails festhalten, da sie völlig damit beschäftigt waren, sich gegenseitig schöne Augen zu machen. Mal sehen, wie lange es noch dauert, bis das junge Pärchen in eines der Hinterzimmer verschwindet, um sich ein bisschen zu amüsieren.

Hübsch sind sie beide und noch vor wenigen Jahren hätte ich ihren fragenden Blick in meine Richtung, den sie mir kurz nach ihrem Eintreffen an der Bar zugeworfen haben, wohl mit einem süffisanten Grinsen beantwortet und mich ihnen längst für eine Nummer in einem der Hinterzimmer angeschlossen. Doch heute habe ich an so etwas keinerlei Interesse mehr. Und das betrifft nicht nur das heiße Paar, sondern jeden Mann im Club, obwohl sie es regelmäßig versuchen, vor allem, wenn sie neu im 'Black Shine' sind. Bei Darrens Stammgästen hat es sich längst herumgesprochen, dass Maxwell Stone für niemanden mehr zur Verfügung steht, und vermutlich hat sich auch längst der Grund dafür herumgesprochen, seit wir an Halloween vor zwei Jahren miteinander getanzt haben.

Seltsam eigentlich, denn vor unseren Tanz hielt ich Ben all die Jahre für einen sexy Twink, der sich bestimmt ziemlich gut vögeln lassen würde. Noch seltsamer ist, dass ich es trotzdem niemals getan habe. Und so richtig komisch wurde es, als sich der liebe und nette Benjamin Fowler als Top herausgestellt hat, denn die Art und Weise, wie er mich in jener Nacht über die Tanzfläche geführt hat, ließ keinerlei Zweifel daran offen, dass ich und wahrscheinlich auch jeder andere Kerl im Club diesen Jungen schwer unterschätzt hat.

Ben Fowler mag wie ein Twink aussehen, mit seiner Statur, die mich immer an einen Balletttänzer erinnert, den tiefblauen Augen und den blonden Haaren, die er meist bis zu den Ohren trägt und damit wie der junge Paul Walker wirkt, dessen Filme ich bis zu seinem Tod ziemlich gerne geschaut habe. Dagegen sehe ich wahrscheinlich wie ein Schläger aus, schätze ich, und ich wäre nicht mal im Traum auf die Idee gekommen, dass Ben an mir interessiert ist, bis er es mir eindeutig klargemacht hat.

Leider hat er es nicht nur mir klargemacht und seit Danny Bescheid weiß, ist er fest entschlossen, uns zu verkuppeln, und das weiß ich, weil er es bereits seit Anfang des Jahres versucht und dabei nicht sonderlich subtil ist.

»Du bist so still heute«, murmelt Danny plötzlich und stellt mir ein Glas mit blauem Inhalt hin. »Probier den mal.«

Natürlich werde ich das nicht tun und das weiß er sehr gut, dem amüsierten Grinsen nach zu urteilen, als ich nur die Nase rümpfe, woraufhin er lacht und seine neueste Cocktailkreation an einen neugierig dreinblickenden Gast reicht, der ihn prompt in ein Gespräch über süße Cocktails verwickelt. Das lässt mir Gott sei Dank genügend Zeit meinen Wein auszutrinken und zu gehen, während er beschäftigt ist, doch draußen werde ich von einem ruhigen und zugleich äußerst resoluten »Warte bitte fünf Minuten.« von Garrett aufgehalten, der wie immer an der Tür die Stellung hält.

Sein Partner Ty ist nicht zu sehen, also wird er Pause haben, was Garretts Bitte um fünf Minuten erklärt. Eigentlich würde ich lieber gehen, aber so eine Bitte bekomme ich normalerweise nicht und ich gebe zu, dass ich zumindest etwas neugierig bin, was dieses in meinen Augen ungewöhnliche Paar von mir will, denn sie kommen mir wie siamesische Zwillinge vor, die nichts ohne den anderen tun, und ich weiß, dass sie schon längere Zeit auf der Suche nach einem Dritten sind.

Ich werde das nicht sein und das wissen sie auch, was mich nur noch mehr grübeln lässt, worum es gehen könnte. Je länger ich an meinem Wagen lehne, desto unruhiger werde ich, denn solche Situationen sind nicht gut für mich, Neugierde hin oder her. Ich brauche Sicherheit und hier sinnlos herumzustehen, ist alles andere als sicher. Noch dazu mit der Ungewissheit, dass Ty und Garrett etwas von mir wollen.

Fünf Minuten hat Garrett gesagt, doch nach einem Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass es bereits zehn sind, und ich werde keine weiteren fünf Minuten warten, weil ich sonst morgen zu nichts zu gebrauchen bin. Mein Tag ist vom frühen Aufstehen bis zum späten Schlafengehen durchgetaktet.

Ich habe Luft für spontane Termine oder unerwartete Dinge, aber nach den zwei Gläsern Wein will ich nur noch nach Hause und in mein Bett, denn der Alkohol wird für einen traumlosen Schlaf sorgen, und den brauche ich, denn auch wenn ich keine ständigen Albträume von meiner langen Zeit in Gefangenschaft mehr habe, träume ich, wie es jeder normale Mensch auch tut, und mein verräterisches Unterbewusstsein ist in letzter Zeit gut darin geworden, mir erotische Bilder vorzugaukeln, die niemals zur Realität werden dürfen.

»Maxwell.«

Ich schrecke auf, dann findet mein Blick das Paar, das jetzt mit langen Schritten auf mich zukommt. »Ihr seid zu spät.«

Ty nickt. »Entschuldige. Es hat leider länger gedauert, zwei von den Jungs nach draußen zu locken, damit sie uns ein paar Minuten vertreten. Es ist arschkalt heute Nacht, was dir wohl kaum entgangen sein wird.«

Um ehrlich zu sein, ist mir das nicht aufgefallen. Ich bin der Temperatur entsprechend angezogen, weil man das nun mal so tut und es auffällig wäre, wenn ich Anfang Oktober im T-Shirt herumlaufe. Mein Körper hat sich verändert und ich nehme die alltäglichen Temperaturen seit meiner Gefangenschaft anders wahr als normale Menschen. Ich kann frieren, das weiß ich und ich sehe es auch, wenn ich eine Gänsehaut bekomme, doch ich fühle die Kälte nicht. Ich fühle auch die Hitze im Sommer nicht so, wie es üblich ist. Ich schwitze normal, aber hätte ich nicht einen Plan, der mir sagt, dass ich nach dem Sport trinken und duschen muss, ich würde es nicht tun. Mir ist nicht warm, mir ist nicht kalt, und falls ich mich verletze, begreife ich das häufig erst, wenn ich irgendwo Blut an meinem Körper entdecke.

Allerdings habe ich nicht vor, das den beiden zu erzählen, denn es geht sie erstens nichts an und zweitens will ich endlich nach Hause. »Was wollt ihr mit mir besprechen?«, frage ich sie deshalb und hole gleichzeitig den Wagenschlüssel aus meinem Jackett, damit sie zum Punkt kommen.

»Wir möchten gerne wissen, ob du weiter Anspruch auf Ben erhebst und da du ein schwer zu fassender Mann bist, mussten wir diesen Weg über den Club gehen.«

Garretts Worte machen mich sprachlos. Wann habe ich bitte Anspruch auf Ben Fowler erhoben? Nur weil wir ein einziges Mal getanzt haben, heißt das nicht, dass der Mann mir gehört. Ich will überhaupt nicht wissen, was er im vergangenen oder in diesem Jahr in Bezug auf Männer schon hinter sich hat, denn bei seinem Aussehen hat er mit Sicherheit keinerlei Probleme, einen Mann für eine Nacht oder auch mehrere zu finden.

Ich entriegle mein Auto, denn dieses Gespräch ist beendet. »Ich erhebe keinen Anspruch auf ihn.«

»Wunderbar. Dann können wir ja unser Glück versuchen.«

Garretts Satz wirkt, als hätte jemand einen Eimer eiskaltes Wasser über mir ausgeschüttet, und wie sich das anfühlt, daran kann ich mich noch sehr gut erinnern, denn ich hatte vor allem in den ersten Wochen häufig das Vergnügen, wann immer ich vor Schmerzen bewusstlos wurde oder apathisch vor mich hin starrte, während mein Verstand einen Weg suchte, irgendwie zu überleben, was er mir Tag für Tag antat.

Und einen Teil von dieser Folter werde ich mit dem größten Vergnügen diesen zwei Mistkerlen antun, wenn sie es wirklich wagen sollten …

Nein! Halt! Stopp!

Ich bin nicht wie er und ich werde niemals so sein!

Ben werden sie trotzdem nicht bekommen. Jedenfalls nicht, wenn ich es verhindern kann. Auch wenn ich jetzt wohl besser nicht darüber nachdenke, wieso ich nicht einfach meiner Wege gehe und mich einen Dreck um das mögliche Liebesleben von Darrens Türstehern kümmere.

»Habt ihr mich eben um Erlaubnis gefragt, Ben in euer Bett legen zu dürfen?«, will ich ruppig wissen, statt die Autotür zu öffnen und mich gefälligst schleunigst auf meinen Heimweg zu machen, was ich wirklich so langsam tun sollte, denn in meiner Hosentasche vibriert es auf einmal. Das ist mein Alarm, den ich auf dreißig Minuten vor Mitternacht gestellt habe. Meine feste Zeit, um abends von der Couch aufzustehen, meinen Fernseher auszuschalten oder das Buch wegzulegen, und mich bettfertig zu machen. Diese beiden bringen meine Routine durcheinander und das werde ich teuer bezahlen müssen, wenn ich nicht bald von hier wegkomme.

Ty hebt eine Braue und verschränkt die Arme vor der Brust. »Ja, das haben wir getan, denn dass er an dir interessiert ist, ist kein Geheimnis. Wir waren uns nur nicht so sicher, ob dieses Interesse überhaupt auf Gegenseitigkeit beruht.«

»Tut es nicht!« Meine Antwort ist purer Instinkt und bereits laut ausgesprochen, da ist mir noch gar nicht klar, dass ich die Worte gesagt habe.

»Gut«, erklärt Garrett und tauscht einen Blick mit Ty, bevor er mir zunickt. »Danke. Dann können wir ja ...«

»Nein, könnt ihr nicht.«

Ich bin augenscheinlich völlig verrückt geworden, Ben den beiden nicht zu überlassen, da ich genau weiß, dass sie ihn gut behandeln würden. Trotzdem. Allein die Vorstellung, dass Ben vielleicht eine Beziehung mit dem Paar anfängt, behagt mir so was von überhaupt nicht, dass ich nicht fähig bin, den Mund zu halten und mir Ben auf diese Weise für immer vom Hals zu schaffen. Meine Hände fangen an zu zittern und mir bricht der Schweiß aus. Ich muss hier endlich weg, und zwar jetzt!

»Du hast gerade gesagt ...«

»Ich weiß, was ich gesagt habe«, unterbreche ich Ty wütend und trete dicht vor ihn. Er ist größer und um einiges breiter als ich, aber das kümmert meine durchdrehenden Nerven gerade nicht im Geringsten. »Er ist tabu. Habt ihr das verstanden?«

Ich muss mir das folgende, kurze Grinsen bei Ty einbilden, denn als ich zu Garrett sehe, runzelt der sichtlich verärgert die Stirn, aber er nickt und dem Nicken schließt Ty sich an, als sich unsere Blicke wieder treffen.

»Brav«, spotte ich von oben herab und drehe ihnen abrupt den Rücken zu. Im nächsten Moment fällt mir ein, dass es so etwas wie Manieren gibt und es besser wäre, selbige zu nutzen, alles andere dürfte selbst in meinem Fall etwas zu auffällig sein. »Gute Nacht.«

 

Zwei Tage später steht mein alljährlicher Gesundheitscheck an und obwohl ich wegen des komischen Gesprächs mit Ty und Garrett immer noch aufgewühlter bin, als gut für mich ist, sage ich Doktor Hiram Coffee nicht ab, denn dann wird er erst recht bei mir vor dem Tor auftauchen, um sicherzustellen, dass ich mich nicht aus Versehen vom Dachfirst gestürzt habe, denn ich bin einer der wenigen Patienten, bei denen er Hausbesuche macht und das wird sich wahrscheinlich auch nicht ändern, bis er in den Ruhestand geht oder ich tot umfalle.

Dieser Mann war der erste Mensch, nachdem das FBI mich im letzten Moment davor bewahrt hat, vor laufender Kamera ermordet zu werden, dem ich wieder so etwas wie Vertrauen entgegenbrachte, denn er hat eine Menge von Connor und er ließ sich nie von mir vertreiben, obwohl ich es in dem sicheren Haus außerhalb von Chicago mehr als einmal versucht habe, in dem ich damals untergebracht war, bis das FBI und besonders Coffee sich sicher waren, dass ich mich nicht umbringe, sobald sie mich nicht länger rund um die Uhr überwachen.

Egal wie oft ich ihn anschrie, anschwieg oder sogar Tassen und Gläser nach ihm warf – Hiram Coffee ist geblieben. Er hat meine Wunden versorgt, die äußeren und zum Teil auch jene, die er nicht sehen konnte, und er hat mich mit Erzählungen über seine Frau, seine Kinder und sein Leben wieder in eben jene Normalität zurückgeholt, die mir zu dem Zeitpunkt längst fremd geworden war.

Ich hatte vollkommen vergessen, was es heißt, einfach aus der Haustür nach draußen in die Sonne zu treten, bis Hiram es mir wieder gezeigt hat.

Er brachte eines Tages den Chardonnay mit, den ich heute noch in Darrens Club trinke, und er buk für mich eine Salami-Champignon-Pizza, nachdem ich ihn in einem Wutanfall und einem Gesicht voller Tränen angeschrien hatte, dass es absolut nichts geben würde, wofür sich das Leben lohnt.

Seine Pizza hat das verändert.

Er hat vieles verändert.

Er tut es immer noch. Sogar jedes Mal, sobald er nach mir sieht, denn Doktor Hiram Coffee ist die einzige Konstante, die mich seit meiner Rettung vor über fünfzehn Jahren begleitet.

Er mag kein Psychologe, Traumatherapeut oder Psychiater sein, trotzdem hat er mir oft mehr geholfen als diese Fachleute, von denen ich seit meiner Befreiung gefühlt an die eintausend gesehen habe. Am Ende ist es allerdings erst Connor gelungen, mich auf dieselbe Weise zu erreichen, wie Hiram es schon viele Jahre vor ihm gelungen ist.

Trotzdem habe ich den beiden bis heute nichts voneinander erzählt, und das tue ich auch dieses Mal nicht, während Hiram meinen Blutdruck misst, mein Herz und die Lunge abhört, mir etwas Blut abnimmt, das er später ins Labor schicken wird, um zu überprüfen, ob alles in Ordnung ist, und dann meine Statur in Augenschein nimmt. Er hat mich im vergangenen Jahr zum ersten Mal darauf hingewiesen, dass ich es mit dem Training nicht weiter übertreiben darf, sofern ich nicht eines Tages wie Arnold Schwarzenegger aussehen will, und auch wenn es zwei Monate dauerte, bis ich aufhörte, mich deshalb angegriffen zu fühlen, und noch mal einen Monat, um meinen Tagesablauf entsprechend zu ändern, hat es sich definitiv gelohnt, denn die ständigen Schmerzen in meinen Muskeln sind mit der Zeit auf ein erträgliches Maß gesunken und es gibt jetzt sogar Tage, an denen ich nach meinen Work-outs zwar völlig ausgepowert bin, es mir sonst aber körperlich wirklich gut geht.

Ohne Schmerzen wird es nie gehen, dafür hat mein Leben im Keller gesorgt, doch Hiram hat lange darum gekämpft, mir ein bestmögliches neues Leben zu ermöglichen, und als ich ihm von meinen Erfolgen berichte, nickt er sichtlich zufrieden.

»Wie geht es dir?«, fragt er, als wir schließlich in der Küche bei einer Tasse Tee zusammensitzen, denn Hiram trinkt keinen Kaffee und darum habe ich immer frischen Tee für ihn vorrätig, sobald sein Termin naht.

Wie gut, dass man heutzutage wirklich alles bis an die Tür oder in meinem Fall ans Tor liefern lassen kann, denn ich habe seit meiner Befreiung kein Geschäft mehr von innen gesehen, und damals war es kein Vergnügen, nicht aus dem Haus gehen zu können, weil ich dabei unweigerlich Gefahr lief, auch noch mein letztes bisschen Verstand zu verlieren.

Erst nachdem Hiram mich in die Sonne gelockt hat und ich später das 'Black Shine' entdeckt habe, bin ich in der Hinsicht vermutlich kein hoffnungsloser Fall mehr. Trotzdem werde ich mich hüten und freiwillig einen Supermarkt oder gar ein volles Shoppingcenter betreten. Ich würde mit Sicherheit ausflippen. Manchmal sind mir ja bereits die Gäste in Darrens Club zu viel und ich schaffe es nicht mal, mein Weinglas zu leeren.

Es gibt in meinem Leben gute, aber leider auch verdammt viele schlechte Tage. Und an den äußerst schlechten Tagen, die ich manchmal habe, ist mir selbst Hirams Anwesenheit zu viel. Heute ist aber nicht so ein Tag. Er ist zwar nicht perfekt, dank Ty und Garrett, die mir immer noch im Kopf herumschwirren, doch er ist erträglich und zudem hat mein Arzt eine Antwort verdient, obwohl sie ihm nicht gefallen wird.

»Die Frage stellst du mir jedes Jahr.«

Hiram schmunzelt. »Und du gibst mir jedes Jahr aufs Neue dieselbe nichtssagende Antwort, dass es dir gut geht.«

»Warum fragst du dann überhaupt noch?«, will ich wissen.

»Ich habe Hoffnung.«

Seine Worte verblüffen mich. »Worauf?«

»Dass du mich eines schönen Tages doch noch mit einer ehrlichen Antwort überraschen wirst.«

Und die Antwort wiederum überrascht mich und das sieht Hiram mir an, denn er lacht leise und widmet sich im nächsten Moment dem Tee, weil er mich gut genug kennt, um zu wissen, dass ich jetzt Zeit brauche, um mich zu sammeln und ihm dann bestimmt eine vernünftige Antwort geben zu können.

Er hat Hoffnung für mich, wo ich sie längst verloren habe. Genauso wie Connor. Und obwohl mir grundsätzlich klar ist, was Hiram und auch Connor so handeln lässt, zweifle ich doch immer wieder an beiden und drehe mich damit im Kreis, denn es gibt kein Vorankommen für mich. Manchmal glaube ich, für jeden Schritt nach vorne, der mir gelingt, falle ich zwei wieder zurück, und ich weiß einfach nicht, wie ich das ändern soll. Ich bin ein Gefangener in mir selbst und nur ich selbst kann diesen Weg unterbrechen oder eine andere Abzweigung nehmen. Ich weiß das alles, ich schaffe es nur nicht, diese Abzweigung auch zu nehmen. Womit wir wieder bei dem Kreis wären. Am Ende habe ich ein Gefängnis gegen ein anderes getauscht, aber auch das hat Connor mir schon sehr oft gesagt.

Und nicht nur er, fällt mir abrupt ein Gespräch ein, das ich mit Hiram hatte und das in einen Streit ausartete, der für mich in einem Nervenzusammenbruch gipfelte, weil Hiram mit dem Vorwurf, ich würde mich in meinem beschränkten Leben jeden Tag ein Stückchen mehr einrichten und nur noch vor mich hin leiden und mich dabei leider viel zu wohl fühlen, recht hatte. Geändert hat sich seit damals nichts und ich weiß, dass er mich sofort an die Hand nehmen und alles dafür tun würde, um mir zu helfen. Ich müsste ihn nur darum bitten. Doch genau das ist mir einfach nicht möglich. Weder bei Hiram noch bei Connor, und ich verstehe nicht, warum.

Connor hat einmal zu mir gesagt, dass der richtige Mensch zur richtigen Zeit kommen würde, und vielleicht warte ich auf diesen richtigen Menschen, wer immer er auch sein mag.

Aber darf mich das wirklich für den Rest meines Lebens daran hindern, zumindest ein bisschen auf andere zuzugehen? Jedenfalls so weit, wie es in meinen Möglichkeiten liegt. So wie jetzt gerade, denn mich unterhalten, das kann ich. Und Hiram wird immer zuhören. Ich könnte also die Probe aufs Exempel machen und mit ihm sprechen. Wirklich und ehrlich, nicht die oberflächlichen und im Grunde vollkommen bedeutungslosen Gespräche, die wir sonst meist haben und die wir bloß führen, da Hiram nach der Untersuchung jedes Mal darauf besteht, mit mir einen Tee zu trinken.

Möglicherweise wird heute ja der Tag der Überraschungen, auf den Hiram bereits seit so vielen Jahren hofft.

Einen Versuch ist es wert, nicht wahr?

»Ich habe jemanden kennengelernt. Sein Name ist Ben.« Ich verliere sofort den Mut, als Hiram mich verdattert ansieht, und zucke daher betont lässig die Schultern. Ich hätte nichts sagen sollen. »Ich rede zu viel.«

»Ganz im Gegenteil, dieser Thron gehört alleine mir, wenn ich bedenke, wie oft ich dir von Samira und unseren Kindern erzählt habe, wohl wissend, dass du bloß zu höflich warst, mir zu sagen, dass ich mich zur Hölle scheren soll.«

Moment mal … »Das habe ich nie gedacht.«

»Anfangs schon, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob du dir dessen überhaupt je bewusst warst. Deine Antwort gerade hat mir diese Frage übrigens beantwortet.« Er lächelt und gießt sich Tee nach. »Dein Verstand hat sehr viel zu verarbeiten und ich schätze, er wird wohl niemals komplett damit aufhören, dir Dinge eines Tages einfach vorzuenthalten, um auf diese Weise dafür zu sorgen, dass du geistig weit genug gesund bleibst, um zurechtzukommen. Und jetzt erzähl mir ein wenig von Ben.«

Soll ich wirklich? Vielleicht wäre es besser …

»Bitte«, sagt Hiram und reißt mich damit völlig unerwartet aus meinem beginnenden Gedankenkarussell heraus, das mich fast dazu gebracht hätte, ihn zu bitten, jetzt zu gehen.

Stattdessen trinke ich erst mal selbst einen Schluck Tee, um meine auf einmal staubtrockene Kehle zu befeuchten, bevor ich weiterrede. »Er ist Barkeeper in einem Club, den ich ab und zu besuche, um ein Glas Wein zu trinken. Ben hat ein persönliches Interesse an mir. Als Mann.«

»Beruht dieses Interesse auf Gegenseitigkeit?«, fragt Hiram und ich kann nur knapp verhindern, dass ich ihm die gleiche ruppige Antwort entgegenschleudere, die Garrett und Ty von mir bekommen haben.

»Vielleicht«, erkläre ich stattdessen unverbindlich und lege meine Hände um die Tasse. Eine Geste, die ich mir von Hiram abgeschaut habe, nachdem er mir erklärte, es würde ihn immer beruhigen, den warmen Tee durch das Porzellan zu spüren. Ich kann das zwar nicht nachempfinden, doch zumindest hatte ich einige Zeit damit zu tun, den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, um zu verhindern, dass ich mir an der heißen Tasse die Finger verbrenne.

Hiram weiß, dass ich ausschließlich Männer bevorzuge und er kennt zudem meine Probleme mit Temperaturen. Ersteres ist ihm egal und bei zweiterem ist er der ärztlichen Meinung, dass mein Nervensystem durch die lange Gefangenschaft ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen wurde. Allerdings habe ich bislang jede Untersuchung, die er mir diesbezüglich in den folgenden Jahren vorschlug, um mehr herauszufinden und vielleicht eine Lösung zu finden, verweigert, und ihm auch nie gesagt, dass er mit seiner Vermutung völlig falsch liegt, denn den Schlag einer Peitsche oder den eines Floggers spüre ich sehr deutlich. Meine Nerven funktionieren – nur nicht bei jedem Reiz.

»Du zögerst. Warum?«, fragt Hiram und lehnt sich auf dem Stuhl zurück. »Wegen deiner Vergangenheit? Wegen dem, was man dir angetan hat?«

Allein bei der Vorstellung, Ben davon erzählen zu müssen, denn dazu würde es kommen, wenn ich tatsächlich eines Tages in Betracht ziehe, ihn zu einem Teil meines Lebens zu machen, wird mir übel, aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich nicht will, dass Ben mir näher kommt.

»Ich kann ihm niemals geben, was er sich wünscht.«

Hiram runzelt die Stirn. »Woher willst du wissen, was Ben sich wünscht? Hast du ihn danach gefragt?«

Hiram ist so unschuldig, was solche Dinge angeht, und das werde ich ihm garantiert nicht wegnehmen, indem ich ihn jetzt in die Feinheiten und Spielarten des BDSM einweihe. Er weiß ohnehin schon viel zu viel und außerdem will ich nicht, dass er weiß, welche sexuellen Wünsche ganz tief in mir schlummern. Ich will sie einfach nur loswerden und nie mehr daran denken, dass sie der Grund dafür sind, dass ich heute ein Leben führe, das diese Bezeichnung nicht wirklich verdient.

»Ich weiß es.«

»Ah, du liest aus dem Kaffeesatz«, kontert er und lacht, als ich ihn unwirsch ansehe. »Verzeih mir den kleinen Scherz. Das ist der neue Lieblingssatz meiner Frau.« Er winkt belustigt ab. »Zurück zu Ben ...«

»Nein«, unterbreche ich ihn und schiebe den restlichen Tee von mir, denn es war ein Fehler, über Ben zu reden. »Wir sehen uns nächstes Jahr.«

Hiram widerspricht mir nicht, denn er weiß, dass ich nicht aus meiner Haut kann und dieses Gespräch hat sich soeben in etwas sehr Unangenehmes verwandelt. Etwas zu Persönliches. Vielleicht gibt es Ben auch nächstes Jahr noch in meinem Leben und vielleicht werde ich dann dazu bereit sein, Hiram wirklich von ihm zu erzählen. Heute bin ich es nicht.

Doch ich bin zumindest höflich und bringe Hiram zur Tür, wie ich es immer tue. Mit der Hand am Knauf hält er noch mal inne und lächelt mich an. »Was?«, frage ich ratlos.

»Ich habe immer darauf gehofft, dass eines Tages jemand auftaucht, um deine dicke Mauer, oder sollte ich besser sagen dein riesiges Tor da draußen, zu erklimmen und dein Herz zu erreichen. Ich hoffe sehr, dass Ben irgendwann dieser Mensch für dich sein kann.«

»Warum?«

Dieselbe Frage stelle ich Connor regelmäßig und ich ahne, wie Hirams Antwort lauten wird. Und natürlich enttäuscht er mich nicht.

»Weil du es verdienst, glücklich zu sein.«

 

Ich habe den nächsten Termin mit Connor abgesagt, weil es mir nicht gut ging.

Körperlich ist alles in Ordnung, das hat mir Hiram zudem längst schriftlich bestätigt, denn er schickt mir jedes Jahr einen Brief mit den Ergebnissen seiner Untersuchung. Was den Kopf und meine Psyche angeht, herrscht hingegen aktuell leider mal wieder der reinste Ausnahmezustand. Dabei weiß ich diesmal gar nicht so genau, woran es liegt. Die einzigen Gespräche der letzten Wochen hatte ich einmal mit Ty und Garrett und dann mit Hiram. Beides hat mich zwar aufgeregt, aber nicht so sehr, wie es früher oft der Fall war. Trotzdem bin ich ruhelos, starre stundenlang Löcher in die Luft und weiß tagelang kaum etwas mit mir anzufangen.

Einzig mein fester Tagesplan hält mich davon ab, morgens im Bett zu bleiben und auf was auch immer zu warten.

Vielleicht den Tod?

Ist es das?

Falle ich etwa wieder in die Depressionen, die mich in den ersten beiden Jahre nach meiner Befreiung dermaßen quälten, dass ich keinen Tag ohne Medikamente überstand? Es ist lange her, dass ich welche brauchte, doch vielleicht bin ich ja gerade wieder auf dem direkten Weg dahin zurück.

Doch das will ich auf keinen Fall. Ich will mich nicht wieder mit Tabletten betäuben müssen, bis ich am Ende nicht einmal mehr weiß, welcher Wochentag ist.

Das Handy beginnt zu klingeln und mein erster Impuls ist, es zu ignorieren. Stattdessen beuge ich mich auf dem Sofa vor, auf dem ich eine gefühlte Ewigkeit sitze, und werfe einen Blick aufs Display, denn meine private Nummer besitzen nur wenige Menschen und es könnte etwas Wichtiges sein.

Es ist Darren.

Mist.

Wenn ich ihn zu oft ignoriere, wird er Connor anrufen und das wird dafür sorgen, dass der bei mir auftaucht. Und zwar vor unserem wöchentlichen Termin, der in vier Tagen ansteht und den ich dieses Mal nicht absagen werde. Eine Absage lässt er mir durchgehen, bei einer zweiten wird es riskant, da dieser Mann mich dafür leider zu gut kennt.

Mein Handy verstummt und fängt kurz darauf erneut an zu klingeln. Seufzend nehme ich es vom Couchtisch.

»Hallo, Darren.«

»Hallo, Maxwell.«

Ich sage nichts.

»Du warst lange nicht mehr bei uns.«

Damit erzählt er mir nichts Neues, denn seit dem Gespräch mit Ty und Garrett habe ich keinen Fuß mehr ins 'Black Shine' gesetzt und auch nicht vor, daran in der laufenden Woche noch etwas zu ändern. Doch das ist allein meine Entscheidung und geht ihn nichts an.

»Ich weiß.«

Mehr sage ich nicht, weil ich heute schlicht nicht den Nerv habe, mich ausführlich mit Darren zu unterhalten, denn auch wenn ich weiß, dass er sich nur Sorgen um mich macht und er auch irgendwie so etwas wie ein Freund ist, weshalb ich immer mal wieder versuche, auf ihn zuzugehen, selbst wenn ich einen schlechten Tag habe – heute geht es absolut nicht.

»Schlechter Zeitpunkt?«, fragt er ruhig und beweist damit einmal mehr sein Einfühlungsvermögen. Meine Antwort ist ein schlichtes »Ja.«, was ihm nicht reichen wird, das ist mir klar, er hakt aber nicht nach und dafür bin ich ihm dankbar. »Brauchst du uns?«, will Darren stattdessen wissen und ich lehne ab, was er mit einem unaufdringlichen »Okay.« kommentiert.

Danach kehrt Schweigen ein. Er glaubt mir nicht, das weiß ich, aber damit wird Darren Walker leben müssen. Ich bin nun mal, wie ich bin, und heute Abend ist Gesellschaft das Letzte, was ich will und ertragen kann. Selbst wenn sie nur am Telefon ist und nicht vor meinem Tor steht, so wie Connor es tut, fällt mir abrupt auf, als mein Fernseher, der mit der Kamera am Tor und dem kompletten Alarmsystem im Haus verbunden ist, auf einmal einen stummen Alarm sendet – samt Bildausschnitt der Kamera vorne am Tor.

»Hast du ihn hergeschickt?«, will ich unwirsch wissen, weil ich Darren Walker so eine Aktion durchaus zutraue. Vor allem seit er mit Adrian verheiratet und glücklich ist. Die Ehe hat ihn verändert, auf eine gute Weise – sofern er nicht gerade meint, mir auf die Nerven fallen zu müssen, nur weil ich mal ein paar Wochen nicht im Club vorbeikomme, um ein oder zwei Gläser Wein zu trinken.

»Was?«, fragt Darren verwundert und räuspert sich gleich darauf. »Oh, du meinst Connor, oder? Er hat neulich überlegt, zu dir fahren. Aber das ist schon drei Tage her. Seither habe ich ihn nicht gesehen. Steht er vor deinem Tor?«

»Ja«, murre ich mit finsterem Blick.

»Dann lass ihn rein.« Auf mein Schnauben hin lacht Darren leise. »Du weißt, dass er nicht wieder gehen wird, also lass ihn einfach nach dir sehen. Vergiss nicht, wir mögen dich, Maxwell, und wir kümmern uns um die Menschen, die wir mögen. Ach ja, Danny lässt dir ausrichten, dass er an einem neuen, äußerst köstlichen Cocktail, seine Worte, für dich arbeitet.«

Ich lege schweigend auf und öffne nach einem erneuten, äußerst genervten Schnauben das Tor über die App an meinem Handy. Ich lebe in meinem Haus zwar wie ein Einsiedler, aber was Technik angeht, bin ich durchaus auf dem neuesten Stand. Vor allem, was meine Alarmanlage betrifft. Mein ganzes Haus ist vernetzt und ein Tippen auf der App würde ausreichen, um Alarm auszulösen. Zuerst bei der Sicherheitsfirma und danach bei der Polizei. Ein weiteres Tippen ruft dann den US-Marshal-Service auf den Plan, um mich hier wegzuschaffen, aber diesen letzten Schritt musste ich Gott sei Dank bislang nicht gehen. Es hat gereicht, die Polizei anzurufen, als vor ein paar Jahren drei besoffene Typen versucht haben, bei mir einzubrechen.

Nun ja, von dem Mann, der jetzt durchs Tor fährt, habe ich nichts zu befürchten – abgesehen von grauen Haaren, wenn er wieder versucht, mich zu therapieren.

Aus einer bockigen Laune heraus, lasse ich ihn dreimal an meine Haustür klopfen, bis ich ihm öffne, bekomme dafür aber nur ein Schmunzeln zu sehen. Seufzend gebe ich auf und lasse ihn stehen, denn er wird mir ins Arbeitszimmer folgen. Heute ist nicht unsere übliche Therapiestunde, doch das heißt nicht, dass ich ihn deswegen ab sofort wie einen Freund empfangen und zum Tee einladen muss. Connor kennt von meinem Haus nur das Nötigste, und dabei wird es bleiben.

»Den Jungs ist dein Fehlen im Club aufgefallen«, erklärt er sein Hiersein ohne jede Begrüßung, was ich Connor allerdings nicht ankreide, denn irgendwann im letzten Jahr sind wir über diesen Punkt hinausgekommen.

»Mir war nicht nach Wein«, sage ich schlicht und trete zum Fenster, um hinauszusehen. Ich will ihn weder ansehen noch will ich, dass er in meiner Mimik lesen kann, denn das kann er leider hervorragend.

»Auch nicht nach irgendeiner Art von Gesellschaft, nehme ich an?«, fragt er.

»Ich habe dich reingelassen, oder nicht?«, kontere ich und verschränke die Arme vor der Brust.

»Das ist keine Antwort.«

Es ist die einzige, die er heute bekommen wird, denn meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt. »Was willst du von mir hören? Eine Entschuldigung? Wenn ja«, ich drehe mich zu ihm und deute mit eisigem Blick zur Tür, »da geht es raus und du brauchst meinetwegen auch nicht wiederzukommen. Soweit ich weiß, hast du genug andere Patienten, die deine Hilfe wollen.«

»Du glaubst doch nicht, dass es so einfach ist, oder?«

Herrgott, er kann es einfach nicht lassen. Schnaubend sehe ich wieder aus dem Fenster. »Warum haust du nicht einfach ab und lässt mich in Ruhe? Die anderen haben ...«

»Ich bin nicht wie deine ehemaligen Therapeuten und das weißt du«, unterbricht Connor mich mit einer Ruhe, für die ich ihn am liebsten schlagen würde. »Genauso wie du weißt, dass ich bei vielen meiner Kollegen als Querdenker und Störenfried gelte, da ich immer eigene Wege gegangen bin. Was nützt denn eine Therapie nach Lehrbuch, die nichts bringt oder nicht dem entspricht, woran ich glaube? Man wird kein guter Therapeut, indem man nach Lehrbuch arbeitet, sondern indem man einen Weg findet, der zum jeweiligen Klienten passt. Und manchmal ist das nun mal der berühmte Holzhammer. Wahlweise könnte ich auch die gusseiserne Pfanne aus deiner Küche benutzen. Es wäre mir eine Freude, dir ein bisschen Verstand einzubläuen. Vielleicht würdest du dann ja endlich damit aufhören, wie ein Kleinkind zu schmollen und mit mir zu reden?«

Ich hör wohl nicht recht. Wütend fahre ich zu ihm herum. »Falls du nur hergekommen bist, um mich zu beleidigen ...« Weiter komme ich nicht, denn Connor verdreht die Augen und bringt mich damit nur noch mehr auf die Palme. »Was?«, blaffe ich ihn an und daraufhin erhebt er sich und verlässt den Raum. Ich bin zu verblüfft, um zu reagieren, und als ich mich endlich gefangen habe, ist er bereits wieder zurück und hat tatsächlich eine von meinen Pfannen in der Hand. »Versuch´s nur«, grolle ich und er schürzt die Lippen, um nicht lachen zu müssen, das sehe ich ihm an. Dieser Mistkerl. »Hör auf!«

»Nein.«

»Warum nicht?«

Connors Belustigung verschwindet aus seinem Blick und er legt die Pfanne behutsam auf den Couchtisch. »Weil du darauf wartest, Maxwell. Weil es genau das ist, was du willst, und ich habe noch nie das getan, was meine Klienten von mir wollten. Ich gebe dich nicht auf. Du hast es längst getan, aber ich werde dazu niemals bereit sein.«

Wir drehen uns in dieser Frage genauso im Kreis, wie ich in meinem Leben. »Das ist allein meine Entscheidung.«

Connor nickt. »Sicher ist es das. Aber dann sorgst du besser dafür, es schnell und richtig zu machen, denn sollte ich dich je mit einer Überdosis Tabletten oder aufgeschnittenen Pulsadern finden, sei dir sicher, dass ich dich einweisen lasse. So einfach kommst du mir nicht davon.«

Das ist keine leere Drohung, er meint es ernst und er würde sich sofort über meinen Kopf hinwegsetzen, wenn ich versuche mich zu töten und dabei scheitere. »Verfluchter Scheißkerl«, ist alles, was mir dazu einfällt, doch mit Beleidigungen werde ich bei diesem Mann nichts erreichen.

»Das reale Leben ist kein Ponyhof, Maxwell, und wir beide wissen das nur zu gut. Für manche Menschen ist das Leben ein einziger Kampf, aber sie schaffen es trotzdem. Sie halten durch und kämpfen bis zum Schluss, weil es immer ein Morgen gibt. Du siehst das anders? Schön für dich. Du willst sterben? Dann mach so weiter. Aber wenn du leben willst, wirklich leben und mit dir selbst und deinem Leben glücklich werden, dann wirst du etwas ändern und an dir arbeiten müssen. Leben oder Tod. Kämpfen oder den letzten Schritt tun. Zwei Möglichkeiten, die dir offenstehen, und vielleicht solltest du dich endlich mal für eine entscheiden.«

 

 

Kapitel 2

Ben

 

 

 

 

Ich habe Zweifel.

Ernste Zweifel sogar, ob das, was ich heute Abend vorhabe, wirklich eine gute Idee ist. Vor allem, weil ich uneingeladen an seine Tür klopfen will, und ich kenne ihn nicht gut genug, um einschätzen zu können, ob ich ihm in seiner Privatsphäre auch nur ansatzweise willkommen bin.

Es ist immerhin das Haus seines Mannes, vor dem ich hier parke, und Connor Alexander hält sein Privatleben zwar nicht geheim, es ist aber auch kaum Thema im Club. Er hat uns Cord Wilks in einer Nacht vorgestellt, die wohl jeder von uns gerne vergessen würde, und seitdem ist viel Zeit ins Land gegangen, in der Niko und Danny wieder auf die Beine gekommen sind und im Frühjahr schließlich geheiratet haben. Wir alle kennen Cord Wilks, aber eben nur ein bisschen, zumindest in meinem Fall ist das so, und ich möchte Connor eigentlich auch nicht in seinem wohlverdienten Feierabend stören.

Anderseits ist der Abend die einzige Zeit des Tages, in der ich Darrens besten Freund einigermaßen sicher erreichen kann, denn in wenigen Stunden muss ich zur Arbeit und tagsüber, wenn ich frei habe, hilft Connor in seiner Klinik all denen, die dringend seine Hilfe brauchen.

So wie Maxwell Hilfe braucht und darum kann und werde ich nicht wieder losfahren, denn wenn mir jemand einen guten Rat bezüglich Maxwell Stone geben kann, dann ist das nun mal Connor Alexander. Sicher könnte ich auch Darren fragen, doch er ist kein Traumtherapeut und zudem Maxwells Freund. Was ich hingegen brauche, ist eine direkte, ehrliche Einschätzung, ganz gleich, ob sie mir am Ende gefallen wird oder nicht, und die kann mir niemand sonst geben, denn kein anderer von uns im Club kennt Maxwell so gut, wie Connor es tut.

Trotzdem brauche ich eine weitere Viertelstunde, die ich im Wagen sitze und das Für und Wider abwäge, während ich die Umgebung beobachte und schmunzelnd dabei zusehe, wie ein Teenager von drei Männern vor dem Haus abgesetzt wird. Nur einer der Männer folgt ihm bis zur Haustür, und während der Teenager lacht und offenbar ein glücklicher, zufriedener Junge ist, bleiben die beiden anderen Männer draußen am Auto und werfen bereits nach kürzester Zeit unverkennbar misstrauische Blicke in meine Richtung.

Vielleicht komme ich lieber morgen wieder? Ich will gerade das Auto starten, als sich einer der Männer in Bewegung setzt, und zwar direkt auf mich zu. Scheiße. Jetzt kommt wegfahren nicht mehr infrage, darum ziehe ich den Schlüssel ab und öffne die Tür, um auszusteigen. Der Mann bleibt abrupt stehen, sein ganzer Körper spannt sich an, als wäre er auf dem Sprung oder besser gesagt, als stünde er kurz davor, mich anzugreifen. Ihm fehlt das komplette linke Ohrläppchen und er hat zudem eine dicke, lange Narbe am Hals, die bis unter seine Kleidung reicht und damit ebenso Bände spricht, wie die drei fehlenden Finger an seiner linken Hand. Großer Gott, was ist diesem Mann bloß Schlimmes passiert?

»Ich bin Ben«, sage ich ruhig, weil ich ihn nicht erschrecken möchte, erhalte aber keine Antwort. »Ich möchte zu Connor.«

»Bist du einer seiner Klienten?«, fragt der zweite Mann, der jetzt ebenfalls auf dem Weg zu uns ist, und obwohl ich nicht wüsste, was ihn das angeht, entschließe ich mich zu antworten, denn der Fremde vor mir wird immer nervöser und das gefällt mir gar nicht.

»Nein. Ich bin ein Freund.«

»Der vor seinem Haus steht und ihn belauert?«

»Tyler«, murmelt der zweite Mann leicht tadelnd, als er bei uns eintrifft, und legt im nächsten Moment eine Hand auf die Schulter desjenigen, der Tyler heißt. »Hallo, Ben. Ich bin Kade. Meinen Mann hast du ja bereits kennengelernt.«

Alles in mir rät davon ab, eine Hand auszustrecken und die Männer vernünftig zu begrüßen, darum lasse ich es und lehne mich stattdessen mit dem Rücken gegen die Fahrertür. Ich will die beiden nicht unbedingt gegen mich aufbringen, weil dieser Tyler etwas Gefährliches an sich hat, aber ich werde mich auch nicht vertreiben lassen. So stehen wir dann also vor dem Haus von Connors Partner herum und begutachten uns schweigend, bis einige Minuten später die Haustür aufgeht. Der Mann, der zuvor den Teenager reingebracht hat, tritt heiter lachend nach draußen und stutzt, als er uns entdeckt.

»Will ich wissen, was ihr da treibt?«, ruft er kopfschüttelnd herüber und fährt sich amüsiert durch sein schwarzes Haar, als Kade nur stöhnt und dabei auf Tyler zeigt, der das mit einem finsteren Blick kommentiert, während der dritte Mann auf uns zukommt. Er streckt mir lächelnd die Hand entgegen und bei ihm ergreife ich sie. »Hey, ich bin Garrett.«

Moment mal … »Tyler und Garrett?«, frage ich überrascht, was ihn lachen lässt, bevor er nickt.

»Ja, ich weiß. Connor hat uns schon von euren Türstehern erzählt, die wie mein Mann und ich heißen.«

Okay, jetzt bin ich völlig verwirrt. Sein Mann? Ich dachte bis eben, Kade wäre  …? Ach egal. Ich will das gar nicht wissen. Es geht mich ja im Grunde auch überhaupt nichts an, wer hier mit wem verheiratet ist oder auch nicht, immerhin kenne ich diese Männer nicht.

»Willst du zu meinem Bruder oder zu Connor?«

»Ich muss mit Connor reden. Es geht um einen Freund von uns«, antworte ich automatisch, während ich überlege, was mir hier noch alles entgangen ist. Welcher Bruder? Ich sehe absolut nicht mehr durch und das scheint Garrett zu erkennen, denn er gluckst und lehnt sich neben mich an den Wagen.

»Ich bin Garrett Wilks. Cord ist mein Bruder, Connor sein Mann und TJ ihr Sohn. Ach ja, ich bin wirklich und wahrhaftig mit den beiden Sturköpfen hier«, er nickt feixend zu Kade und Tyler hin, »verheiratet.«

»Garrett!«

Das war zweistimmig und klang sehr empört, aber Garrett lässt sich davon nicht stören, sondern grinst nur und deutet im nächsten Moment mit dem Kopf in Richtung Haus. »Geh ruhig. Cord fängt gerade mit dem Abendessen an, also dürfte Connor Zeit für dich haben. Ach ja, bist du allergisch gegen Tiere? Sie haben mittlerweile einen halben Zoo da drin.«

Ich muss unwillkürlich grinsen. »Nein, keine Allergie, aber danke für die Warnung.«

»Gern.«

Er klopft mir kumpelhaft auf die Schulter und lacht heiter, als Tyler daraufhin etwas murmelt, das ich nicht verstehe, aber er sieht in meinen Augen verdammt eifersüchtig aus und das amüsiert mich doch sehr, denn diese drei Männer könnten mich kaum weniger interessieren.

»Tyler?« Ich schweige, bis er mich ansieht. »Ich liebe einen Mann, der Probleme hat, und ich hoffe, dass Connor einen Rat für mich hat, wie ich ihm helfen kann.«

Es dauert, aber schlussendlich verschwindet alles zynische und misstrauische aus seinem Blick und auch die Anspannung seines Körpers weicht, ehe er zu Kade schaut, der anschließend zufrieden lächelnd seine Hand von Tylers Schulter nimmt. Die schützende Geste war unmissverständlich und ich würde mein letztes Hemd darauf wetten, dass Tyler mit Maxwell Stone eine Menge gemeinsam hat.

»Er kann helfen. Er ist der Beste, den es gibt.«

Damit hat Tyler definitiv recht, wenn ich daran denke, was Connor allein für uns Kerle im Club in den letzten Jahren getan hat. Von den ganzen anderen Patienten, die er behandelt, nicht zu reden. Ich will gar nicht wissen, wie vielen Menschen dieser Mann mit seiner Arbeit bereits das Leben gerettet hat, aber es dürften so einige sein. Und hoffentlich hat er bei Maxwell den gleichen Erfolg, denn auch wenn ich alles tun würde, um ihm zu helfen, ich bin nun mal kein ausgebildeter Therapeut. Was mich wieder zu meinem Hiersein führt.

»Danke«, sage ich nur, denn es ist an der Zeit, an Connors oder besser Cords Tür zu klopfen und die drei Männer vor mir verstehen mich und verabschieden sich.

Wenig später stehe ich dann vor der Tür, die mir geöffnet wird, bevor ich überhaupt die Chance auf ein erstes Anklopfen habe. Connor ist sichtlich amüsiert und winkt mich ohne ein Wort ins Haus, quer durch einen Eingangsbereich und vorbei an einer großen Küche, in der sein Mann gerade eine Kartoffel gegen einen gierigen Beagle verteidigt, aber trotzdem noch die Zeit hat, mir ein sichtlich amüsiertes »Hallo, Ben.« zuzurufen, ehe Connor mich ins Obergeschoss führt, vorbei an drei großen Katzen, die mich sehr argwöhnisch beäugen, bis in einen Raum gegenüber der Treppe, den er wohl als Arbeitszimmer benutzt, denn der Schreibtisch liegt voller Akten. Connor nimmt selbst auf dem Schreibtischstuhl platzt und überlässt mir damit den Zweisitzer, der gegenüber an der Wand steht.

»Ich dachte mir schon, dass du früher oder später bei uns auftauchst, um mit mir über Maxwell zu sprechen. Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass du vorher auf Garrett und seine Männer triffst. Hat Tyler dich in die Mangel genommen?«

Ich schmunzle unwillkürlich. »Ich glaube, er hat zu Anfang überlegt, mich umzulegen. Am Ende war er dann eifersüchtig auf mich, bis ich ihm versichert habe, nicht an ihm oder seinen Männern interessiert zu sein.«

Connor lacht leise und nickt dabei. »Ja, das klingt sehr nach Ty.« Er schlägt lässig die Beine übereinander. »Also? Was kann ich für dich tun?«

Direkt zum Punkt. Das gefällt mir. »Maxwell ...«

»Ist mein Klient und deshalb habe ich ihm gegenüber eine Schweigepflicht, die ...«

»Herrgott, Connor, hör auf damit!«, unterbreche ich ihn mit einem Schnauben, denn er hätte mich nicht ins Haus gelassen, nur um mir das zu sagen, und das wissen wir beide. Natürlich kann er mir nicht einfach Maxwells Akte reichen und mir alles erzählen, was ich wissen will, aber er kann mir zumindest ein paar Tipps geben.

Nach meinen Worten lacht er leise und erhebt sich, um ans Fenster zu treten und hinauszusehen. Ich verdrehe die Augen, weil ich ihn am liebsten ein bisschen schütteln würde, damit er den Mund aufmacht und mit mir redet, aber damit erreiche ich bei diesem Mann absolut gar nichts, also ist das Zauberwort in diesem Fall Geduld. Nur habe ich davon in Bezug auf Maxwell zu wenig und bereits nach kurzer Zeit werde ich unruhig.

Doch bevor ich etwas zu ihm sagen kann, geht die Tür auf und der schlaksige, hochgewachsene Teenager, den ich vorhin vor dem Haus gesehen habe, wirft einen Blick ins Zimmer und sieht mich mit gerunzelter Stirn an.

»Alles okay, Dad?«, fragt er dann an Connor gewandt, der sich lächelnd umdreht und ihn in den Raum winkt.

»Alles gut, TJ. Komm rein. Ich möchte dir Ben vorstellen. Er arbeitet im 'Black Shine' hinter der Bar und ist hergekommen, um mir die Leviten zu lesen.«

Der Junge lacht und kommt näher, um mir kurz die Hand zu schütteln, bevor er einen amüsierten Blick auf Connor wirft. »Bist du ihm etwa auch auf die Nerven gegangen, so wie Dad letzte Woche?«

»Ich weiß natürlich überhaupt nicht, wovon du da redest«, wehrt Connor umgehend ab, während ich die beiden sprachlos anstarre, denn diesen Connor Alexander, der seinen Sohn jetzt voller Zuneigung anlächelt und sich dabei betont unschuldig gibt und TJ dann sogar locker mit der Faust droht, als der ihm leise kichernd die Zunge herausstreckt, habe ich noch nie zuvor gesehen.

Dass er mit seinem Partner einen Teenager großzieht, weiß ich natürlich, aber dass der sonst immer so besonnene Doktor überhaupt zu derartig offenen Gefühlsregungen fähig ist und dass er sie mir gerade so unerwartet und vor allem unverblümt zeigt – wow. Einfach nur wow.

»Dad sagt, ihr habt eine halbe Stunde«, richtet TJ ihm dann aus und Connor bedankt sich, bevor er den Teenager bittet, uns wieder alleinzulassen. »Na klar … Bye, Ben.«

»Auf Wiedersehen«, murmle ich steif, was für einen Jungen in seinem Alter mit Sicherheit total uncool ist, aber ich habe immer noch Connors Lächeln vor Augen, an das ich mich erst gewöhnen muss, denn ich kenne ihn bislang nur als ernsten, eher zurückhaltenden Mann. Als Connor sich wieder hinsetzt, sehe ich ihn überrascht an.

»Nein, sag nichts«, kommt er mir zuvor und schlägt erneut die Beine übereinander. »Ich weiß, wie ich nach außen hin auf viele Menschen wirke und ich habe dir gerade einen Einblick auf den Mann gegeben, der ich ebenfalls bin, der jedoch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Und damit sind wir bereits beim Thema, denn ich werde niemals damit aufhören, Maxwell zu beschützen, weil ich mit Leib und Seele Therapeut bin.«

Das weiß ich, darum bin ich schließlich hergekommen. Ich war nur nicht darauf vorbereitet, dass Connor sich selbst zum Thema unseres Gesprächs macht und ich denke, es ist Zeit, das zu ändern, denn ich muss wirklich dringend mit ihm über den Mann reden, den er zu kennen glaubt, auch auf die Gefahr hin, dann vielleicht keine Antworten zu bekommen, weil er aus den sprichwörtlichen Wolken fällt.

»Ich weiß, wer er wirklich ist.«