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Liebe oder Karriere? Beides kann Luca Stone nicht haben, denn wenn er den Vertrag unterschreibt, der ihm von einem Musiklabel angeboten worden ist, muss er für die nächsten Jahre einen heterosexuellen Single spielen. Luca ist hin- und hergerissen, weil dieser Vertrag seinen Durchbruch als Musiker bedeutet, das Leben seines großen Traums. Doch ist dieser Traum es wert, auf das umwerfende Lächeln des Mannes zu verzichten, mit dem er seit Jahren heimlich Tisch und Bett teilt und der nur darauf wartet, dass Luca endlich genug Mut findet, offen an seiner Seite zu stehen?
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Mathilda Grace
KARRIERE VS. HERZ
Karriere vs. Herz
1. Auflage, Juni 2024
Impressum
© 2024 Mathilda Grace
Am Chursbusch 12, 44879 Bochum
Text: Mathilda Grace 2022
Fotos: GDJ, ractapoulous, geralt; Pixabay
Coverdesign: Mathilda Grace
Korrektorat: Corina Ponta
Web: www.mathilda-grace.de
Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.
Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden. Diese Geschichte handelt von einem fiktiven LGBT-Zentrum in Boston.
Karriere vs. Herz enthält homoerotischen Inhalt.
Mathilda Grace
Liebesroman
Mein lieber Leser,
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Ohne deine Unterstützung und Wertschätzung könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.
Dankeschön.
Liebe Grüße
Mathilda Grace
Das »Boston Hearts« ist ein privat geführtes LGBT-Zentrum für obdachlose und anderweitig gefährdete Jugendliche in Boston, eröffnet von dem Anwalt Maximilian Endercott vor über fünfundzwanzig Jahren. Heute betreiben er und sein Ehemann Elias, der gleichzeitig Arzt des Zentrums ist, das »Bostons Hearts« gemeinsam und haben seit der Gründung nach und nach acht teils schwer missbrauchte und traumatisierte Jugendliche als Ziehkinder angenommen und sie mit viel Liebe und Geduld großgezogen.
Diese Männer erzählen in der »Boston Hearts Reihe« ihre Geschichten.
Liebe oder Karriere? Beides kann Luca Stone nicht haben, denn wenn er den Vertrag unterschreibt, der ihm von einem Musiklabel angeboten worden ist, muss er für die nächsten Jahre einen heterosexuellen Single spielen. Luca ist hin- und hergerissen, weil dieser Vertrag seinen Durchbruch als Musiker bedeutet, das Leben seines großen Traums. Doch ist dieser Traum es wert, auf das umwerfende Lächeln des Mannes zu verzichten, mit dem er seit Jahren heimlich Tisch und Bett teilt und der nur darauf wartet, dass Luca endlich den nötigen Mut findet, um offen an seiner Seite zu stehen?
Prolog
Er hatte davon gehört.
Von dem Haus, an dessen Tür man Tag und Nacht klopfen konnte, wenn man niemanden mehr hatte.
Luca Stone wusste nicht, ob es dieses Haus wirklich gab.
Es war vielleicht nur ein Gerücht oder sogar eine Lüge, um kleine Jungs und Mädchen wie ihn anzulocken, aber nach drei Tagen, die er abgewartet hatte, weil er immer leise sein musste, wenn sie diese fremden Männer in ihrem Zimmer hatte, damit die ihm nichts antun konnten, spürte er, dass seine Mama nie mehr aufwachen würde.
Luca hatte solchen Hunger, doch in den Schränken in der Küche gab es nichts mehr zu essen und die kleine Dose, in die sie ihm immer Geld gelegt hatte, für den Fall, dass er Hunger bekam und sie gerade nicht da war, um ihm etwas zu kochen, war schon seit Wochen leer.
»Komm nicht raus, wenn sie da sind. Sie dürfen dich nicht sehen. Versprich es mir, Luca.«
Das hatte seine Mama immer flüsternd zu ihm gesagt und er hatte es ihr versprochen und war nie aus seinem Zimmer gekommen. Na gut, meistens jedenfalls. Manchmal hatte Luca es heimlich doch getan, denn es war ziemlich einfach gewesen, sich ins Badezimmer zu schleichen und aus dem Wasserhahn zu trinken, sobald er Durst hatte.
Und jetzt musste er sein Wort wieder brechen, denn es roch seltsam vor Mamas Zimmer und Luca traute sich nicht, zu ihr reinzugehen. Aber er hatte so großen Hunger und vielleicht, wenn es nicht gelogen war, gab es dieses Haus, und dort hatte man bestimmt etwas zu essen für ihn.
Deswegen nahm Luca am vierten Tag schließlich all seinen Mut zusammen und verließ sein Zuhause, in der Hoffnung, im »Boston Hearts« ein neues zu finden.
Zwei Tage später, so lange lief er durch die Stadt, bevor er sich traute einen Taxifahrer zu fragen, ob der so nett war, ihm etwas von seinem Sandwich abzugeben, weil ihm vor lauter Hunger übel und Mama fort war, erfuhr Luca, dass das »Boston Hearts« keine Erfindung war, denn besagter Taxifahrer wusste, wo es war und brachte ihn dorthin. Er wollte dafür nicht einmal Geld von Elias Endercott annehmen, der ihnen die Tür öffnete und sich geduldig seine Geschichte anhörte, ehe er dem netten Taxifahrer mehrmals dankte und Luca an die Hand nahm, um ihn in eine große Küche zu bringen, damit er endlich etwas zu essen bekam.
Und Luca aß.
Das dick mit Hühnchen, Käse und Salat belegte Sandwich, die köstliche Tomatensuppe mit geröstetem Toast, das kleine Schälchen Schokoladenpudding – er aß alles, was sie ihm in den kommenden Stunden hinstellten, während Elias mit einem weiteren Mann namens Maximilian telefonierte, dem von seiner toten Mama erzählte und dass er, Luca, jetzt niemanden mehr hatte, wobei Elias ihn immer wieder lächelnd anschaute und am Ende vor Glück fast zu strahlen schien und mehrfach »Ja, wirklich? Bist du dir sicher?« fragte, und was auch immer der andere Mann antwortete, Elias Endercott gefiel es.
Am selben Abend lag er müde in einem weichen Bett, unter einer flauschigen Decke, in einem kleinen Zimmer im »Boston Hearts«, und lauschte der tiefen, äußerst angenehmen Stimme von Maximilian Endercott, der mit Elias im Flur direkt vor der angelehnten Tür zu seinem Zimmer stand.
»Sie haben seine Mutter gefunden. Offenbar hat ihr letzter Freier sie eiskalt erwürgt. Die Polizei wird versuchen, den Täter zu finden, aber viel Hoffnung haben sie nicht. Die Tür war zu, als die Beamten dort eintrafen, was mich hoffen lässt, dass er sie nicht in dem Zustand gesehen hat.«
»Gott sei Dank«, hörte er Elias sagen.
»Er ist zwölf Jahre alt und war nie in der Schule.«
»Zwölf?«, echote Elias überrascht. »Das kann gar nicht sein, er ist so klein und zart.«
»Die Behörden haben es überprüft, die Geburtsurkunde ist sauber. Sie suchen jetzt nach Angehörigen von ihm, aber so wie es aussieht, war seine Mutter alles, was er hatte. Die Wohnung war sauber und aufgeräumt, es gibt viele Bücher. Sie hat ihn zu Hause unterrichtet, so gut sie konnte.« Luca hörte Maximilian seufzen. »Lily Stone ist ein typischer Fall all derer, die in diesem Staat leider durchs Raster fallen, aber sie hat sich gut um ihren Sohn gekümmert, haben mir die Polizisten erzählt, die in ihrer Wohnung waren. Einer hat vorhin übrigens scherzhaft gefragt, ob wir nicht das Dutzend vollmachen wollen.«
Elias lachte leise. »Ich glaube, acht sind wirklich genug. Wir werden schließlich nicht jünger.«
Luca wusste nicht, was Elias mit dieser Zahl meinte, aber er war zu satt und auch zu müde, um sich darum zu kümmern. Wenn es wichtig war, würden sie es ihm schon erzählen, daran glaubte er ganz fest, denn seine Mama hatte ihn nie angelogen und Elias hatte ihm bereits versprochen, das ebenfalls nicht zu tun. Luca glaubte ihm und er würde jetzt schlafen, da Elias ihm morgen früh Pfannkuchen machen wollte.
»Acht also, ja?«
Daraufhin kam keine Antwort, aber Luca hörte Maximilian ebenfalls lachen und beide Männer klangen dabei genauso wie seine Mama, wenn sie glücklich gewesen war. Deshalb lächelte er und schlief mit diesem Lachen in den Ohren ein.
Mit zwölf Jahren verlor Luca Stone seine Mutter.
Mit dreizehn wurde er der achte Sohn der Endercotts und bekam sieben Brüder, die es sich zur Aufgabe machten, gut auf das Küken ihrer Familie aufzupassen.
Mit vierzehn schenkten ihm seine Väter eine Gitarre, als sie erkannten, wie sehr er Musik liebte.
Mit achtzehn hatte er seinen ersten öffentlichen Aufritt in einer Bar mit Livemusik mitten im Zentrum von Boston.
Einen Tag später stellte ein Gast der Bar diesen Auftritt auf YouTube und machte Luca damit über Nacht zu einer lokalen Berühmtheit.
Kapitel 1
Luca
»Das ist Unsinn und eine bodenlose Frechheit noch dazu!«
Dem war kaum etwas hinzuzufügen und so perplex, wie er immer noch war, beließ es Luca bei einem Schulterzucken plus Nicken, denn seine erste Freude über den angebotenen Vertrag der Plattenfirma war ruckzuck in Frust und besonders auch in Verärgerung umgeschlagen.
Was bildeten sich diese Leute ein, von ihm zu verlangen, für mindestens fünf Jahre einen heterosexuellen Sänger zu spielen, damit man die erwarteten Verkaufszahlen und Gewinne nicht gefährdete. Luca hatte niemals ein Thema aus seiner sexuellen Orientierung gemacht, weder auf YouTube noch sonst wo, weil er der Meinung war, dass das Privatsache war und niemanden etwas anging, aber die Vorstellung, mindestens fünf Jahre lang so tun zu müssen, als würde er Frauen mögen und, sofern Luca den kurzen Nebensatz mit der Fake-Freundin im Vertrag richtig verstanden hatte, vielleicht ein- oder mehrmals gezwungen zu sein, mit Frauen auszugehen – alles in ihm sträubte sich davor, und das nicht nur, weil er längst einen Mann an der Seite hatte, den er über alles liebte.
Und das war ein weiteres Problem, das er hatte, sowohl mit dem Vertrag als auch mit seiner Familie, denn niemand wusste von Morgan McGregor, obwohl sie bereits seit fünf Jahren – die Zahl schien sein Schicksal werden zu wollen – ein Paar waren und Luca immer öfter darüber nachdachte, es erstens offiziell zu machen, indem er Morgan einen Ring an den Finger steckte, und zweitens ihn der Familie vorzustellen. Ob vor der Hochzeit oder danach, dessen war er sich noch nicht wirklich sicher, aber die Entscheidung hatte Zeit, denn im Moment war der Vertrag der Plattenfirma wichtiger.
»Du wirst das doch wohl nicht unterschreiben.«
Tja, und das war die Krux an der ganzen Sache, denn diese Entscheidung hatte Luca noch nicht getroffen. Der angebotene Vorschuss war hoch und dementsprechend verlockend, ebenso die Option auf weitere Alben und bessere Konditionen, wenn er gut ankam, und dass er das tat, wusste Luca. Er kannte seinen Wert sehr wohl und wäre er nicht gut, hätte ihn das Label kaum angefragt. Dieser Vertrag, so unmöglich er den Passus über die erwartete Sexualität seinerseits auch fand, war sein Sprungbrett in die Musikindustrie, die Chance auf Konzerte in Hallen vor tausenden von Menschen. Luca hatte Jahre auf so eine Chance hingearbeitet und zigtausende Dollar investiert, um vernünftige Studios zu mieten und sich ein Portfolio an Songs aufzubauen. Er hatte die unmöglichsten Jobs angenommen, um das alles zu finanzieren und seinen Vätern nicht mehr als unbedingt nötig auf der Tasche zu liegen, bis er schließlich durch Auftritte in Bars und Clubs, Streamingangebote und Onlineverkäufe genug verdiente, um das nicht mehr tun zu müssen.
Er arbeitete mit Dienstleistern, pflegte eine Homepage und war auf den wichtigen Social Media Plattformen vertreten, wo er gute Follower- und Klickzahlen aufweisen konnte. Das alles hatte Luca nicht reich gemacht und würde es auch nie, aber er verdiente jetzt genug, um laufende Kosten zu decken und jeden Monat einen kleinen Betrag zur Seite zu legen, weil seine Väter von ihm kein Geld wollten, weder für Unterkunft noch Logis. Darum sparte er das Geld, das er sonst für Miete und Sonstiges ausgegeben hätte, denn wer konnte schon sagen, wofür Luca es eines Tages brauchte.
Ein Verlobungsring fiel ihm da spontan ein und es war nicht so, dass er in letzter Zeit massig Lesezeichen von Juwelieren auf seinem Laptop angelegt hatte. Die paar Seiten. Das fiel doch gar nicht ins Gewicht. Zumindest so lange nicht, wie Morgan nicht zufällig einen Blick auf seinen Laptop warf, wenn er gerade mal wieder diese hübschen Goldringe begutachtete, so wie vorletzte Woche. Es war nur seiner raschen Reaktion zu verdanken, dass Morgan, anstatt der Homepage des Juweliers, auf die Seite ihrer Lieblingspizzeria geschaut hatte, womit seine vorherige Frage nach dem Abendessen geklärt gewesen war.
Egal. Es ging hier nicht um Morgan, sondern um den Traum seines Lebens, der mit diesem Vertrag in greifbare Nähe rückte, und Luca hätte längst unterschrieben, wenn da nicht, tja, diese unmögliche Klausel gewesen wäre.
»Dad ...« Weiter kam er nicht.
»Ja, mir ist bewusst, was dieser Vertrag für dich bedeutet. Es wäre dein Weg nach oben, die Erfüllung eines Traums, auf den du seit so vielen Jahren hinarbeitest. Von dem Vorschuss nicht zu reden, der mir sagt, dass sie sich viel von dir erhoffen, sonst wäre das nicht so eine hohe Summe.« Sein Vater erhob sich von dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch und trat ans Fenster, um nach draußen zu sehen. »Trotzdem … Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Was glauben die eigentlich, wer sie sind, dir so eine Klausel in deinen Vertrag zu schreiben?«
Luca schürzte die Lippen. »Ich weiß, Dad.«
»Trotzdem denkst du ernsthaft darüber nach, diese Klausel zu akzeptieren, oder? Ist dieser Plattenfirma zufällig entgangen, zu welcher Familie du gehörst? Dass es uns egal ist, ob jemand schwul, bi, trans oder auch hetero ist?« Maximilian grummelte vor sich hin und schüttelte den Kopf. »Du bist nicht hetero und ich finde es unmöglich, dass sie von dir erwarten, mindestens fünf Jahre so zu tun, als wärst du es … Was ist, wenn du dich in der Zeit verliebst und heiraten willst?«
Er musste seinen Vater vom Thema Beziehung abbringen, bevor er sich aus Versehen verplapperte, denn das wollte er auf keinen Fall. Morgan hatte etwas Besseres verdient, als in einem Nebensatz bei einer beruflichen Debatte als zukünftiger, achter Schwiegersohn vorgestellt zu werden.
Außerdem wäre es höflich, Morgan vorher zu fragen, ob es ihm überhaupt recht war, der Familie vorgestellt zu werden. Es war nicht so, dass sie beide es vermieden, über ihre Familien zu sprechen, ganz im Gegenteil. Luca hatte Morgan von Anfang an reinen Wein eingeschenkt, was seine beiden Väter, seine Brüder und vor allem was Adrian betraf, und er wusste ebenso, dass Morgans Familie in Schottland lebte, sein Freund zwei jüngere Brüder und eine Schwester hatte, und keiner von ihnen die raue Insel in Europa je verlassen hatte oder es jemals tun wollte.
Die McGregors waren sehr stolz auf ihren Ältesten, der als junger Mann ausgewandert war, um in den USA sein Glück zu suchen, aber der Stolz reichte nicht so weit, um ihren familiären Vieh- und Landwirtschaftsbetrieb auch nur für einen Tag hinter sich zu lassen und Morgan hier in Boston zu besuchen. Was das anging, waren die McGregors das vollständige Gegenteil seiner eigenen Familie und allein deswegen wollte Luca, dass Morgan eines Tages ein Teil der Endercotts wurde. Damit er wieder eine Familie bekam. Mit lauter Verrückten, allen voran einem alten, kupplerischen Großvater, der nichts unversucht lassen würde, um ihn an den Mann zu bringen.
Gott, Luca freute sich jetzt schon auf den Tag, an dem er vor Adrian hintreten und ihm breit grinsend unter die Nase reiben konnte, dass er sich seinen Ehemann selbst gesucht hatte.
»Hat Grandpa etwa schon wieder einen tollen Ehemann für mich gefunden?«, fragte er heiter, denn seit Leon vergangenen Herbst geheiratet hatte, präsentierte ihm Adrian alle naselang einen angeblich tollen Kerl, der perfekt für ihn wäre. Luca hatte sich mit keinem einzigen getroffen und würde das auch nicht tun, egal wie oft sein Großvater verkündete, er wäre alt genug, um zu heiraten und eine Familie zu gründen. Er würde sich nur mit einem Mann eine Familie aufbauen und der saß hoffentlich schon im Zug nach Boston, denn sie hatten sich durch Morgans Bauprojekt unten in New York City seit fast drei Wochen nicht gesehen und so langsam kroch Luca diesbezüglich wirklich auf dem sprichwörtlichen Zahnfleisch.
Maximilian gluckste heiter und sah über die Schulter zu ihm. »Er beschwert sich immer noch, dass du nicht mit diesem Mechaniker ausgehen wolltest. Ich weiß zwar nichts Genaues, aber unsere immer gut informierte Gerüchteküche, die übrigens auf die Namen Cole und Finn hört, besagt, dass er jetzt offenbar einen Arzt für dich ins Auge gefasst hat.«
Luca stöhnte leise auf. »Lass mich raten. Der Kinderarzt von Dares Zwillingen?«
Sein Vater nickte lachend. »So ein netter Mann und immer noch Single, dabei ist er schon Mitte Dreißig, bla bla bla … Ich habe am Ende auf Durchzug geschaltet und mich stattdessen in einer ruhigen Minute gefragt, wo du die letzten Wochen deine Nächte verbracht hast. Denn zu Hause warst du nicht.«
Mist, er hätte sich selbst denken können, dass es Maximilian früher oder später auffallen würde, obwohl Rose und Maria ihn immer deckten und so taten, als würden sie auch sein Zimmer sauber machen. Trotzdem hatte er nicht vor, seinem Vater heute von Morgan zu erzählen. Aber er konnte ihn ein wenig ärgern, das hatte er schon viel zu lange nicht mehr gemacht. Aus dem Grund gönnte sich Luca ein süffisantes Grinsen, das genau jene Reaktion hervorrief, auf die er gehofft hatte.
»Nein, erzähl es mir nicht. Bitte nicht. Dann müsste ich Dad anrufen und ihm erzählen, dass du das Kamasutra mit einem Unbekannten nachspielst, und auf das folgende Gezeter habe ich heute wirklich keine Lust und auch keine Zeit.« Maximilian schüttelte abwehrend die Hand und deutete dabei auf seinen Schreibtisch. »Siehst du diesen Berg an Papieren? Den muss ich heute noch bearbeiten, dabei würde ich viel lieber deinen Vater nackt ausziehen, um ...«
Um Gottes willen. »Dad!«, schimpfte Luca und fluchte, weil sein Vater leise lachte und »Wie du mir, so ich dir.« sagte, ehe er die Arme über den Kopf nahm und sich streckte. »Und jetzt raus mit dir. Es gibt in diesem Haus Leute, die arbeiten müssen und nicht auf der faulen Haut rumliegen können, wie die Jungs im Garten, denen ich mich bei der momentanen Hitze zu gerne anschließen würde.«
Noch ein Punkt, dem Luca nicht widersprechen konnte, da der Sommer in diesem Jahr scheinbar Rekorde brechen wollte, dabei hatten sie gerade mal Mitte Juli. Für den August verhieß das nichts Gutes, dabei hätte es dringend Regen gebraucht. Ihn selbst störte die Hitze nicht so sehr, aber er wusste, dass Dares Mädchen, überhaupt die Kinder im Zentrum und auch in seiner Familie, mit der Hitze genauso ihre Probleme hatten, wie seine Großeltern, denen Elias vor Tagen verboten hatte, ihre täglichen Spaziergänge zu anderen Zeiten als früh am Morgen oder auch spätabends zu machen. Sein Vater war in der Hinsicht wirklich unerbittlich und bei täglichen Temperaturen von dreißig Grad im Schatten war Vorsicht definitiv besser als Nachsicht.
Ihm fiel etwas ein. »Was ist eigentlich aus Kades Vorschlag mit dem Gartenpool für die Kids geworden?«
Maximilian winkte ab. »Bei den aktuellen Lieferzeiten wird das frühestens im Herbst was. Ich werde das für nächstes Jahr einplanen, aber diesen Sommer müssen wir ohne auskommen. Wenigstens hat das Haus eine vernünftige Klimaanlage.«
Luca nickte und erhob sich von dem Besucherstuhl, auf dem er bislang gesessen hatte. »Ich werde mir ein Eis schnorren, ehe ich fahre. Bis bald, Dad.«
»Luca?« Sein Vater wartete, bis er ihn anschaute. »Was wirst du wegen des Vertrags tun?«
Luca zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es noch nicht. In Ruhe über alles nachdenken, ein paar Nächte darüber schlafen, mir alle Vor- und Nachteile durch den Kopf gehen lassen und am Ende wahrscheinlich eine Münze werfen.« Er grinste frech, als sein Vater das Gesicht verzog. »Das war ein Scherz, Dad. Ich fahre ins Studio, um noch ein bisschen an meinen neuen Songs zu arbeiten. Wartet heute Abend nicht auf mich.«
»Oh nein, das erzählst du Elias schön selbst, dass du wieder mal nicht zum Abendessen nach Hause kommst«, konterte sein Vater belustigt und lachte, als Luca resigniert aufstöhnte, bevor er ihn mit einer entsprechenden Handbewegung aus dem Büro scheuchte.
Luca grinste, als er die Tür hinter sich zuzog, weil sein Vater immer noch lachte, dann machte er sich auf den Weg zu Elias' Büro, das allerdings leer war. Sein nächster Weg führte ihn nach unten in die Krankenstation, die sie im »Boston Hearts« bereits vor sehr langer Zeit eingerichtet hatten, denn bei einem Haus voller Kinder, Teenager und junger Erwachsener gab es immer irgendjemanden mit aufgeschürften Knien, einer Beule, blauen Flecken oder einem lästigen Schnupfen.
Und auch heute wurde sein Vater gebraucht. Vor allem um Tränen zu trocknen und eine sanfte Umarmung zu verteilen, da die Schiene am Fuß des Mädchens eindeutig unerwünscht, aber dem Blick seines Vaters nach zu urteilen, leider nötig war. Luca wartete geduldig, bis Elias die Behandlung beendet hatte und zu ihm in den Flur trat, wo er ihn mit einem Lächeln in seine Arme schloss.
»Schön, dass du hier bist. Warst du bei Maximilian?«
Luca nickte. »Er wollte sich den Vertrag ansehen und ist, um es mal höflich auszudrücken, nicht sonderlich begeistert davon, dass man mir vorschreiben will, hetero zu sein.«
»Verständlich. Und?«, fragte sein Vater. »Hast du schon eine Entscheidung getroffen?«
»Nein«, gab er zu und ließ sich von Elias zu der Fensterbank ziehen, die es auf jeder Etage an den großen Fenstern gab und wo die Kids oft in den Pausen saßen, wenn das Wetter zu mies war, um draußen zu sein. »Ich werde darüber noch eine Weile nachdenken, schätze ich.«
Außerdem wollte er mit Morgan reden, der eher von diesem Angebot gewusst hatte als seine Väter, aber dennoch genauso verärgert gewesen war. Nicht wegen ihrer Beziehung, sondern aus denselben Gründen wie Maximilian. Ein schwuler Künstler, Sänger, Schauspieler – was auch immer – sollte sich im Jahre 2024 wirklich nicht mehr verstecken müssen. Diese Zeiten lagen ja wohl lange hinter ihnen. Doch trotz seines Ärgers hatte sein Freund ihn und seine Bedenken, den Vertrag zu zerreißen, sehr gut nachvollziehen können, denn Sexklausel hin oder her, sonst war das Angebot großartig und, wie bereits gesagt, eine zu gute Chance, um sie aus einer Laune heraus abzulehnen. Auch aus diesem Grund wollte Luca sich Zeit nehmen, um zu überlegen, was er tun sollte.
Elias nickte zufrieden. »Kluge Entscheidungen sollte man nie aus einer Laune heraus treffen, da gebe ich dir recht. Bleibst du zum Essen?« Luca zog eine Grimasse und sein Vater lachte. »Das dachte ich mir schon. Du hast wieder neue Songs im Kopf, habe ich recht?«
»Ja. Ich habe Dad schon gesagt, dass ihr auch heute Abend nicht auf mich warten sollt. Er hatte aber zu viel Angst, dir das zu sagen, darum bin ich selbst gekommen.«
Elias gluckste heiter. »Darüber rede ich später mit ihm. Und er hat ja recht, du warst schon viel zu lange abends nicht mehr daheim. Aber du bist nun mal ein Künstler mit Leib und Seele, und das wissen nicht nur dein Vater und ich.« Sein Vater warf ihm einen spitzbübischen Blick zu. »Übrigens, ich habe da was von einem gut aussehenden Kinderarzt gehört, den du offenbar bald zu heiraten gedenkst?«
Luca stöhnte resigniert auf und ließ seinen lachenden Vater nach einem »Ich bringe ihn um.« auf der Bank zurück, um zum Studio zu fahren.
Doch vorher würde er einen kurzen Abstecher machen, um einen alten Mann aufzusuchen und ihn ein bisschen zu würgen. Nicht zu viel, das wäre schließlich kaum in Maximilians Sinne, aber ein wenig, damit Adrian in den kommenden Wochen Ruhe gab, was Lucas zukünftigen Ehemann anging.
Seine Großmutter sah ihm seine Überlegung natürlich sofort an, als sie ihm auf sein Klingeln hin die Tür öffnete, und lachte darüber. »Hallo, mein Liebling. Komm rein und lass um Gottes willen diese Hitze draußen. Ich habe frischen Eistee gemacht. Er ist hinten im Schuppen und baut irgendwas.«
»Bei dem Wetter?«, wunderte sich Luca, war aber beruhigt, als seine Großmutter gelassen abwinkte.
»Er hat einen Ventilator mit rausgenommen und die größte Mittagshitze ist ja schon vorbei. Außerdem fällt ihm die Decke auf den Kopf, wenn er nicht jeden Tag an irgendetwas werkeln kann, du kennst ihn doch.« Sie drückte ihm ein Tablett mit einer Glaskaraffe voller Eiswürfel, Zitronenscheiben und dazu zwei Gläsern in die Hand. »In einer Stunde rufe ich euch rein und du hast meine Erlaubnis, ihn notfalls an den Ohren mit ins Haus zu ziehen. Es gibt Spaghetti zum Abendessen.«
Luca seufzte genüsslich. »Mit extra Käse?«
Emma Endercott nickte lachend, denn natürlich kannte sie ihn zu lange und zu gut, um nicht zu wissen, was er gern hatte. »Im Kühlschrank steht schon Schokoladenpudding, für den ich nur noch die Soße kochen muss. Ach ja, wir werden alles selbst aufessen, sofern du lieber ins Studio fährst, um neue tolle Songs einzuspielen.«
Aha, Elias oder Maximilian hatten sie angerufen, als er noch auf dem Weg hierher gewesen war. Typisch. Doch Luca liebte seine Familie dafür umso mehr. »Ich hab dich lieb, Grandma.«
»Ich dich auch. Und jetzt raus aus meiner Küche.«
Mit dem Tablett bewaffnet, machte er sich auf den Weg raus in den Garten, dem man die Sommerhitze der letzten Wochen deutlich ansah, aber Adrian hielt nichts davon, den Rasen Tag um Tag zu sprengen und Unmengen Wasser zu verschwenden, das anderweitig gebraucht wurde. Er legte sich deshalb auch ab und zu mit den Nachbarn an, denn in Zeiten des Klimawandels gab es ja wohl Wichtigeres als einen sattgrünen Rasen. Luca sah das ähnlich, denn Boston hatte zigtausende Obdachlose, die bei dem Wetter gefährdet waren, weshalb Dare aktuell mehr damit beschäftigt war, Wasser, Hüte oder mal ein Eis zu verteilen, statt auf Streife zu gehen. Die andauernde Hitze brachte die Leute an ihre Grenzen und selbst er, obwohl Luca mit dem Wetter recht gut klarkam, hoffte, dass es sich bald etwas abkühlte.
Im Schuppen seines Großvaters war ein Hämmern zu hören und Luca lachte leise, als ein lästerlicher Fluch folgte. Eigentlich war Adrian ein guter Handwerker und fast begnadet talentiert, wenn es um Holzarbeiten ging. Aber nicht einmal das bewahrte ihn davor, sich ab und zu einen Hammer auf den Daumen zu schlagen, wenn auch aus Versehen.
Er öffnete grinsend die Tür und streckte Adrian die Zunge raus, als der ertappt zu ihm aufsah, um gleich darauf entrüstet zu schnauben. »Du kommst mir gerade recht, Bursche. Was hat mir dein Vater erzählt? Du verschmähst immer noch den tollen Arzt, den ich dir ausgesucht habe? Schäm dich.«
»Später«, erklärte er belustigt und goss für sie zwei Gläser Eistee ein, von denen er eines Adrian reichte. »Grandma hat mir erlaubt, dich an den Ohren zu ziehen, wenn du nichts trinkst … Ach ja, und wenn du mir nicht in einer Stunde ins Haus folgst, um zu essen.«
Sein Großvater kicherte heiter. »Spaghetti mit viel Käse?«
»Natürlich«, antwortete er amüsiert und trat zur Werkbank, um sich anzusehen, was Adrian gerade baute. »Wird das eine Wanduhr?« Auf seinen verblüfften Blick hin, schmunzelte sein Großvater und nickte dabei. »Für wen ist die?«
»Leon. Er schimpft ständig, dass er in seiner Werkstatt nie weiß, wie spät es ist, wenn er an diesen Schrottkisten schraubt, aber die normalen Wanduhren gefallen ihm alle nicht und Eric hat mich deshalb gebeten, ihm eine besondere zu bauen, als er das letzte Mal hier war und mir beinahe Emmas zukünftigen Blumenkasten abgeschwatzt hätte.« Adrian grinste, verdrehte aber zugleich die Augen. »Dieser Mann könnte einem Beduinen Sand verkaufen, es ist unglaublich.«
Luca lachte und trank einen Schluck Eistee, während Adrian es ihm nachtat und sich dann wieder der Uhr widmete. Es war ein schönes Stück, mit einem Rahmen aus Metall, der auf sechs verschiedenen farbigen Holzlatten geschraubt war. In der Mitte waren schon die Löcher für das Ziffernblatt und das Uhrwerk gebohrt. Ein echt schickes Teil, das er sich selbst definitiv an die Wand gehängt hätte. Das Design erinnerte ihn an diese schönen Vintage-Möbel, die er für Morgans Büro im Haus besorgt hatte, und sofern er sich richtig erinnerte, fehlten dem Raum immer noch ein Teppich oder ein Läufer, der dazu passte.
Andererseits besaß das ganze Haus glänzende Holzdielen, in einer tiefbraunen Farbe, das ein Teppich mitunter zu viel war und den schönen Boden verdeckte. Er würde in Ruhe darüber nachdenken müssen, ob Morgans Büro wirklich einen Teppich brauchte, so wie er auch über vieles andere nachdenken musste, unter anderem der Tatsache, dass dieser verflixte Vertrag in ihm den Wunsch weckte, Morgan zu heiraten. Nicht, dass der davon wusste oder sie je darüber gesprochen hätten, was bei ihrer fünf Jahre andauernden Beziehung eigentlich recht sonderbar war, doch darüber grübelte er besser nicht in diesem Schuppen nach, sonst kam Adrian ihm auf die Schliche und dann hätte er keine ruhige Minute mehr, bis Morgan und er tatsächlich verheiratet waren und ein bis drei Kinder hatten.
Aber vielleicht hatte sein Großvater zumindest einen Rat für ihn, was den Vertrag des Plattenlabens betraf. »Grandpa?«
»Ja, mein Lieblingsbursche?«
Luca grinste. »Komisch. Letztes Jahr war Leon dein erklärter Lieblingsbursche.«
Adrian winkte ab. »Papperlapapp. Neues Jahr, neues Glück. Sagt dir das was?« Sein Großvater zwinkerte ihm zu, ehe er sich wieder auf die Uhr konzentrierte. »Also? Was ist los?« Kurzes Schweigen, danach traf ihn ein drohender Blick. »Und wehe dir, wenn du mir jetzt sagte, dass du dir einen tätowierten Rocker geangelt hast. Dann lege ich dich übers Knie, Bursche.«
Luca prustete los.
Vollgefressen und mit einer Schüssel Reste, die Luca später mit Morgan teilen oder morgen mit ins Studio nehmen konnte, schloss er am späten Abend die Tür zu Morgans Haus auf und seufzte erleichtert, als er in den kühlen, maskulin eingerichteten Eingangsbereich trat, der sich dank ihm von dem ursprünglich ziemlich lieblos wirkenden Glas- und Steinpalast, der das Haus einst gewesen war, nach und nach in ein gemütliches Zuhause verwandelt hatte.
Ein Blick auf sein Handy verriet ihm, dass Morgan noch im Zug saß und hoffentlich, wie geplant, in einer Stunde durch die Tür treten würde. Ein lang ersehntes Wiedersehen, das, falls er großes Glück hatte, entweder unter der Dusche oder gleich im Bett endete. Luca war mit allem einverstanden, Hauptsache, es war ein nackter Schotte mit im Spiel, und er grinste, als ihn sein erster Weg nicht in die Küche zum Kühlschrank führte, sondern nach links in Morgans Büro, das sich ans Foyer anschloss.
Er schaltete das Licht ein, betrachtete den Schreibtisch und die Regale, warf einen Blick auf die bodenlangen Vorhänge, die zu beiden Seiten an den zwei Fenstern hingen. Nein, entschied er. Kein Teppich. Der Raum war perfekt wie er war.
Luca schaltete das Licht wieder aus, machte einen schnellen Rundgang durch Wohnzimmer, offenen Essbereich und Küche, und nickte zufrieden, als er die Briefe auf der Arbeitsplatte der Kücheninsel liegen sah. Kate, die gute Seele des Hauses, sorgte für die Pflanzen, holte täglich die Post ins Haus, machte sauber und – er beugte sich lächelnd über den Strauß duftender Lilien, die sie in einer eckigen Glasvase arrangiert hatte – sie sorgte für Farbtupfer in Form von Blumensträußen, sobald Morgan von einer Reise zurückkam oder auch einfach so zwischendurch.
»Danke, Kate«, murmelte er und stellte die Schüssel mit den Spaghetti in den Kühlschrank, der gähnend leer war. Dafür war Kate nicht zuständig und falls sie morgen frühstücken wollten, würden sie entweder vorher einkaufen oder sich ein Café in der Nähe suchen müssen. Wie er Morgan kannte, würde letzteres der Fall sein, denn sein Freund führte ihn gern aus. Vor allem, wenn sie sich wochenlang nicht gesehen hatten.
Dabei konnten sie beide durchaus kochen und wussten sehr wohl die Vorzüge eines vollen Kühlschranks zu schätzen, doch Luca gab sich nicht der Illusion hin, dass er jemals so häuslich werden würde wie seine Brüder. Zumindest die mit Kindern. Er vergaß viel zu oft die Zeit, wenn er im Studio arbeitete, und da Morgan nicht viel anders war, störte es sie beide nicht, einander mal ein paar Tage oder eine Woche kaum zu sehen.
Die letzten drei Wochen waren jedoch anders gewesen. Vor allem, seit er den Vertrag im Mailpostfach entdeckt hatte. Jeden Abend Telefonate, Diskussionen, ab und zu Schweigen oder die eine oder andere Runde Telefonsex als Ablenkung. Er war einer Lösung dabei keinen Schritt näher gekommen, deswegen hatte er am Ende auch seine Familie mit einbezogen, aber früher oder später würde er seine Wahl treffen müssen.
Doch noch hatte er etwas Zeit dafür und die verbrachte er heute Abend damit, eine Dusche zu nehmen, anschließend den Fernseher einzuschalten und ein wenig durch die Nachrichten zu zappen, um herauszufinden, was es auf der Welt Neues gab. Da Luca nichts fesselte, schaltete er auf eine Dokumentation über die Tiefsee um und nahm sich danach Block und Stift vom Couchtisch, die jederzeit dort für ihn bereitlagen, und begann eine Melodie vor sich hinzusummen, während er nach schönen Worten suchte, die zu dieser Melodie passen würden.
Aber auch das konnte seine Konzentration heute nicht lange fesseln und am Ende lag er dösend auf der Couch, während im Fernseher ein Drama über eine lesbische Serienmörderin lief, die sich Hals über Kopf in ihr nächstes Opfer verliebt hatte.
Genauso wie er sich damals in Morgan verliebt hatte.
Morgan McGregor und er, Luca Stone, – ein auf den ersten Blick völlig normales und bestimmt auch langweiliges Pärchen, sah man davon ab, dass sein Freund in Schottland geboren war, ihn um einen halben Kopf überragte und weit muskulöser war als Luca selbst, den jeder als blonden Sonnyboy ansah, was er beruflich bereits das eine oder andere Mal ausgenutzt hatte. Es hatte nämlich einige Vorteile, dem jungen Jared Leto ähnlich zu sehen und genauso stechend blaue Augen zu haben. Damit hörte die Ähnlichkeit zu dem Musikerkollegen aber auch schon wieder auf und das letzte, was Luca von ihm gesehen hatte, war ein Foto von einer Party der Schönen und Reichen gewesen, auf der Leto ausgesehen hatte, wie ein Hippie, der regelmäßig Gras rauchte und vergessen hatte, dass es solche profanen Dinge wie einen Bartschneider oder Scheren für die Haare gab.
Nein, da blieb er lieber bei Männern wie Morgan, die genau sein Typ waren, dachte Luca und kicherte albern, während er sich auf die Seite drehte. Adrian hätte dazu so einiges zu sagen gehabt, vor allem zu Morgans Alter, aber deswegen wusste sein Großvater auch nichts von ihm.
Luca war zwar klar, dass seinem Großvater im Grunde egal war, ob er sich einen jüngeren oder älteren Freund suchte, Pauls Männer waren dafür das beste Beispiel, aber im Moment hatte er nicht mal auf die übertriebenen, familiären Scherze Lust, die auf ihn niedergehen würden, sobald er ihnen Morgan als seinen Lebensgefährten vorstellte. Was er tun würde – eines Tages. Er hatte schließlich nicht vor, aus seinem sexy Schotten für immer ein Geheimnis zu machen. Doch derzeit fand er ihre Beziehung perfekt so und da Morgan in der Hinsicht bislang nichts gesagt hatte – was er sonst unter Garantie getan hätte, sein Freund war kein Mann, der ein Blatt vor den Mund nahm, wenn ihm etwas nicht passte –, gab es für ihn keinen Grund, eine große Sause zu organisieren, um Morgan offiziell seiner Familie vorzustellen.
Luca gähnte, rieb sich die Augen und warf dabei einen Blick auf die Uhr seines Handys. Erst zehn Minuten später als vorhin und Morgan hatte sich auch nicht gemeldet.
Verdammt.
Die Zeit verging heute gar nicht, während sie damals, als er Morgan aus Versehen in dieser Pizzeria angerempelt hatte, wo sie beide auf ihr Abendessen gewartet hatten, gefühlt verflogen war. Nach einer Entschuldigung und zwanzig Minuten weiterer Warterei hatten sie festgestellt, dass sie sich genauso über Gott und die Welt unterhalten wie sie über Football streiten konnten, und irgendwie war der Rest Geschichte, wie es immer so schön hieß. Er hatte die darauffolgende Nacht bei Morgan verbracht, in diesem furchtbar hässlichen Haus, das der erst kurz zuvor gekauft hatte, und so hatte es auch ausgesehen.
Übernommen von einem reichen Finanzmakler, der es nur ein- bis zweimal im Jahr für ein paar Tage bewohnt und deshalb keine Zeit in eine schöne Einrichtung investiert hatte, war Luca in ihrer ersten gemeinsamen Nacht beinahe rückwärts wieder aus der Tür geflüchtet, weil er geglaubt hatte, Morgan hätte ihn in ein sich im Bau befindliches Haus gebracht, und er war nicht scharf darauf gewesen, zwischen Bauschutt und Werkzeug Sex zu haben. Allerdings hatte Morgans folgende Verlegenheit ihn vom Gegenteil überzeugt und am Ende hatte er gelacht.
Morgan besaß zwar am Reißbrett und auf seinen Baustellen viele verschiedene Talente, doch von Hauseinrichtungen hatte er absolut keine Ahnung und aus diesem Grund war es Luca zugefallen, in den kommenden Monaten Möbel, Teppiche, eine neue Küche und vieles mehr zu kaufen, da die Edelstahlküche ihn jedes Mal an eine Schulküche erinnerte. Nach und nach waren Bilder für die Wände, Bücherregale und Bücher, weiche Decken und Kissen für die Couch im Wohnzimmer, eine Kaminumrandung, an der sie zu Weihnachten immer Socken aufhingen, und jede Menge Kleinkram dazugekommen.
Im Scherz hatte Morgan mal gesagt, dass das Schicksal ihm offenbar dieses Haus zum passenden Zeitpunkt beschert hatte, damit er es für sie einrichten und in ein gemütliches Zuhause verwandeln konnte. Damals hatte Luca darüber gelacht, aber in letzter Zeit stimmte er Morgan mehr und mehr zu. Er liebte es, abends vom Studio herzukommen, ganz gleich, ob er allein war oder Morgan auf ihn wartete. Er mochte nicht im Kaufvertrag stehen, aber es war genauso sein Zuhause wie Morgans.
Und diese Erkenntnis war mit ein Grund, wieso Luca schon seit einiger Zeit über Ringe, Verlobungen und den allerletzten Schritt nachdachte, der ihn fest und hoffentlich für immer an Morgan binden würde. Zumindest war das ein weiterer Traum von ihm, denn Luca wollte nur einmal heiraten, genauso wie es seine Väter, Großeltern und Brüder getan hatten.
Für ihre Familie existierte der Begriff Scheidung irgendwie nicht, und nicht weniger als den einen, perfekten Kerl wollte er für sich selbst. Und für Luca war das Morgan McGregor, dieser heiße, hochgewachsene Schotte mit den silbrig-grauen Schläfen, die ihn noch anziehender für ihn machten, und den schönsten braunen Augen, die ihm jemals untergekommen waren.
Ein weiterer Blick auf die Uhr ließ ihn stöhnen. Wie konnten nur fünf Minuten vergangen sein? Das war doch nicht normal. Er zwang sich, eine Weile gelangweilt fernzusehen, da er nicht ohne Morgan ins Bett gehen wollte, und als sein Handy dreißig Minuten später endlich vibrierte, stöhnte er vor Erleichterung und warf es, beim Versuch es vom Couchtisch zu nehmen, fast zu Boden.
»Na endlich«, murmelte er, um nur wenige Sekunden später enttäuscht zu seufzen, als er las, was Morgan geschrieben hatte.
Der Zug hat Verspätung. Geh schlafen, Luca.
Toll. Soviel zu ihrer gemeinsamen Nacht nach drei Wochen Trennung. Luca schnaubte. »Als ob ich jetzt schlafen könnte«, grollte er und legte das Handy zur Seite, ohne zu antworten. Er wusste nicht, was er schreiben sollte, und Morgan kannte ihn viel zu gut, um sich von einem Smiley oder irgendeiner Floskel täuschen zu lassen. Da schrieb er lieber gar nichts. Und ins Bett gehen würde er auch nicht, sondern wach bleiben, bis Morgan durch die Tür kam. Eine zweite Nachricht folgte und die sorgte dafür, dass sich seine schlechte Laune in Luft auflöste.
Ich wecke dich, sobald ich zu Hause bin.
Die dritte Nachricht kam, da lachte Luca noch, weil Morgan eindeutig in spielerischer Stimmung war und das üblicherweise dafür sorgte, dass er am nächsten Morgen einen empfindlichen Hintern hatte.
Bonuspunkte gibt es, wenn du nackt schläfst.
»Oh ja, eindeutig wunder Arsch«, gluckste Luca und erhob sich, um den Fernseher auszuschalten und ins Bett zu gehen.
Mal sehen, wann sein persönlicher Weckruf kam.
Kapitel 2
Morgan
Zwei Uhr morgens und es war immer noch viel zu heiß für seinen Geschmack, dachte Morgan, als er mit seinem Koffer aus dem Taxi stieg, nachdem er gezahlt hatte.
Der Sommer brach temperaturtechnisch Rekorde und nach all den Jahren, die er hier in Boston lebte, hatte er erwartet, sich irgendwann an die Hitzewellen, die damit meist einhergehende Schwüle oder die langen, harten Winter zu gewöhnen, doch das war nie passiert. Schottland war da anders, doch nicht mal die aktuellen fünfundzwanzig Grad würden ihn auf die karge Insel und zu seiner Familie zurückbringen, dazu war er hier viel zu glücklich. Besonders seit fünf Jahren, nachdem Luca mit vollem Tempo in ihn hineingerannt war und ihm damit sämtliche Luft aus den Lungenflügeln gepresst hatte.
Blondes Haar, große, blaue Augen, die schuldbewusst auf ihm gelegen hatten, während er nach Luft schnappte – Morgan hatte sich in Luca verliebt, bevor er dessen Namen wusste, und an diesen Gefühlen hatte sich seitdem nichts geändert. Er liebte auch seine Familie, seine Heimat aus Kindertagen, seinen Beruf als Architekt für Großbauprojekte und sein Haus, seitdem Luca daraus ein wunderschönes Zuhause für sie gemacht hatte, aber vor allem liebte er seinen Mann.
Nicht, dass Luca das war oder in nächster Zeit sein würde – obwohl Morgan ihn sofort und vom Fleck weg geheiratet hätte –, aber eines Tages würde er für den großen Schritt bereit sein und dann würde Morgan nicht zögern und ihn vor den ersten Traualtar schleppen, den er fand, bevor Luca noch auf die Idee kam, es sich im letzten Augenblick anders zu überlegen. Sein Mann war nämlich in der Hinsicht ein wenig zögerlich und teils sogar unstet, aber daraus hatte Morgan ihm nie einen Vorwurf gemacht und würde es auch niemals tun.
Luca war fünfzehn Jahre jünger als er, eine Tatsache, die er nie außer acht ließ, außerdem wusste Morgan, sobald er sich für etwas entschied, blieb er dabei. Und darauf wartete er geduldig, denn Luca würde sich am Ende für ihn entscheiden, dessen war er sich zu einhundert Prozent sicher.
Mit einem amüsierten Kopfschütteln schloss er die Haustür auf und schob sich noch auf der schmalen Veranda die teuren Halbschuhe von den Füßen, um möglichst jedes Geräusch auf dem Dielenboden zu vermeiden. Luca schlief zwar allgemein wie ein sprichwörtlicher Toter, aber nach ganzen drei Wochen Trennung hätte ihn nicht gewundert, im Wohnzimmer Licht zu sehen. Doch das Haus war dunkel und ruhig und so schlich er, nachdem er seinen Koffer neben der Treppe abgestellt hatte, in die Küche, um etwas zu trinken, wobei seine Gedanken zurück zu Luca schweiften, was sie eigentlich ständig taten, sofern er nicht gerade arbeitete oder sich an seinen seltenen und damit so kostbaren freien Abenden in einem Buch verlor.
Wer hätte gedacht, dass er jemals sein Herz an einen um so viele Jahre jüngeren Mann verlieren würde? Morgan selbst mit Sicherheit nicht und seine Brüder würden ihn vermutlich zuerst auslachen, weil sie nämlich beide der Meinung waren, dass die Liebe den passenden Mann oder die passende Frau fürs Leben aussuchte und nicht andersherum, aber dann würden sie einen Blick auf Luca werfen und ihn mit in den Stall nehmen, um ihm die Kühe, Schafe, Hühner, und nur Gott wusste, was an Tieren in den letzten Jahren noch auf ihrem Hof dazugekommen war, vorzustellen.
Aber noch wussten sie nichts von Luca und zuletzt hatte ihr Kontakt per Anrufen und Mail etwas gelitten, was vorrangig an seinem gestiegenen Arbeitspensum lag. Doch nachdem Morgan jetzt das Großprojekt in New York City fertiggestellt hatte, das ihm eine siebenstellige Bezahlung gesichert hatte, wollte er den Rest des Jahres kürzertreten, sich mehr Zeit für sich selbst, für Luca und die Frage, wie es in Zukunft privat und beruflich für ihn weitergehen sollte, nehmen, denn Morgan hatte nicht vor, bis ins hohe Alter hinein wie ein Besessener zu arbeiten.
Nötig hatte er das ohnehin nicht mehr und da er mit großen Schritten auf die Fünfzig zuging, dachte er immer öfter darüber nach, seinen Job in ein paar Jahren an den Nagel zu hängen und mit Luca eine Familie zu gründen, bevor er zu alt dafür war.
Bei der Überlegung gab es nur einen, aber dafür verdammt großen Haken – Charles Brubaker, sein Geschäftspartner und Mitinhaber des Architektenbüros, das sie beide vor mittlerweile über zwanzig Jahren eröffnet und sich über die Jahre hinweg einen guten Ruf aufgebaut und dadurch ein Vermögen verdient hatten. Darum besaß er auch ein altes Herrenhaus mit mehr Zimmern, als er wahrscheinlich jemals brauchen würde, einem riesigen Grundstück und jeder Menge teurer Klamotten, die er jederzeit gegen Jeans und Hemd tauschen würde, wenn man es nicht von ihm erwarten würde, gut auszusehen, sofern er nicht gerade auf seinen Baustellen unterwegs war und dort durchaus noch mit anpackte.
Das einzige, was er sich nie zugelegt hatte, war ein schickes, viel zu teures Auto, weil Morgan nie einen Sinn darin gesehen hatte, Stunden hinter dem Steuer im Stau zu verbringen, wenn er stattdessen genauso gut Bus, Bahn, das Flugzeug oder auch ein Taxi nehmen konnte. Spaß machte es ihm trotzdem, ab und zu der Beifahrer zu sein, besonders in Lucas altem Pick-up, den man so gut zum Fummeln benutzen konnte. Oder um wie zwei Teenager im Autokino zu knutschen.
Es gab eine Menge Dinge, die er mit Luca zum ersten Mal so bewusst erlebt hatte, und dieses Gefühl, sich geborgen und über alles geliebt zu fühlen, wollte er nie mehr aufgeben. Er war vielleicht der Ältere von ihnen, aber in Liebesdingen hatte Luca ihm einiges voraus und Morgan profitierte gerne davon, sobald sein Mann wieder eine seiner romantischen Anwandlungen hatte, die scheinbar seiner künstlerischen Ader entsprangen. So wie der Song, den Luca für ihn geschrieben hatte.
Morgan war tagelang völlig durch den Wind gewesen, denn wann bekam man schon mal ein Lied geschenkt, das eigens für einen selbst geschrieben und vertont worden war?
Luca Stone war der Mann seiner Träume, der Eine, von dem so viele Menschen auf der Welt hofften, dass er oder sie ihnen ebenfalls noch über den Weg lief, und es wurde wirklich Zeit, dass er die Treppe hochkam, um Luca wach zu küssen und ihm zu beweisen, wie sehr er ihn vermisst hatte.