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»Darf man einen Serienmörder lieben?« - Diese Frage stellt sich US-Marshal Lukas Hobbs seit Jahren, trotzdem hat er Staatsanwalt Kane Hobbs geheiratet, der auf der Liste der meist gesuchten Verbrecher der Vereinigten Staaten mit Sicherheit ganz oben stünde, wüsste das Land von seiner Existenz. Doch Moral und Anstand muss man sich in einer Zeit, in der selbst Männer und Frauen des Gesetzes nicht vor Folter und Mord zurückschrecken, um jene zu beschützen, die ihren Schutz dringend benötigen, erst einmal leisten können.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Mathilda Grace
SEELEN AUS STEIN
Seelen aus Stein
1. Auflage, Mai 2025
Impressum
© 2025 Mathilda Grace
Am Chursbusch 12, 44879 Bochum
Text: Mathilda Grace 2023
Fotos: Igor Ovsyannykov, Kjrstie; Pixabay
Coverdesign: Mathilda Grace
Korrektorat: Corina Ponta
Web: www.mathilda-grace.de
Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.
Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden.
Danksagung
Mein Dank geht an Frau Mag. rer. nat. Corina Ponta, die mir in allen Fragen rund um das Thema psychische Störungen mit ihrer fachlichen Kompetenz beratend zur Seite stand.
Mathilda Grace
Dieses Buch erzählt eine Nebengeschichte aus meiner Chicago-Reihe, speziell aus Band 5 & 6. Sie kann ohne Vorkenntnisse gelesen werden.
Mein lieber Leser,
mit deinem Kauf dieses Buches schaffst du die Grundlage für viele weitere Geschichten aus meiner Feder, die dir in Zukunft hoffentlich wundervolle Lesestunden bescheren werden.
Ohne deine Unterstützung und Wertschätzung könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.
Dankeschön.
Liebe Grüße
Mathilda Grace
»Darf man einen Serienmörder lieben?«
Diese Frage stellt sich US-Marshal Lukas Hobbs seit Jahren, trotzdem hat er Staatsanwalt Kane Hobbs geheiratet, der auf der Liste der meist gesuchten Verbrecher der Vereinigten Staaten mit Sicherheit ganz oben stünde, wüsste das Land von seiner Existenz. Doch Moral und Anstand muss man sich in einer Zeit, in der selbst Männer und Frauen des Gesetzes nicht vor Folter und Mord zurückschrecken, um jene zu beschützen, die ihren Schutz dringend benötigen, erst einmal leisten können.
Inhaltswarnung
Snuff-Clubs gehören offiziell bis heute ins Reich der Mythen und Legenden, obwohl die vielen Skandale der letzten Jahre im Bereich der Kinderpornografie deutliche Beweise dafür liefern, dass es im Internet, besonders im Darknet, seit langer Zeit keine Tabus mehr gibt.
Diese Geschichte handelt von einer Spezialeinheit, neben dem US-Marshal-Service, die weit abseits von Recht und Gesetz tätig ist, um die Menschheit vor den schlimmsten Auswüchsen ihrer eigenen Spezies zu beschützen.
Die Spezialeinheit Sektion ist fiktiv.
Ihre Fälle sind es mitunter nicht – ich habe sie jedoch so weit es geht verfälscht bzw. Details vermischt, um die Anonymität der Hinterbliebenen und/oder der Opfer zu bewahren.
In diesem Buch gibt es unterschiedlichste Szenen aus den Bereichen sexueller Missbrauch, Gewalt und Folter, die auf Leser verstörend wirken können.
Prolog
»Er ist wie Batman.«
Lukas hätte fast gelacht, als er das Flüstern hinter sich hörte, während sein Blick durch die Scheibe in den Verhörraum fiel, in dem Stanley Walker gerade jedes Verbrechen an Mädchen und Jungen gestand, an dem er beteiligt gewesen war.
Dass er das blutend und unter Todesangst tat, was niemals vor Gericht bestand haben würde, interessierte innerhalb ihrer Sektion niemanden, denn Stanley würde weder dieses Gebäude verlassen noch vor Gericht gestellt werden. Aber das wusste er im Moment noch nicht und darum redete er wie ein Wasserfall, während die Kameras jedes seiner Worte aufnahmen und in der Rechercheabteilung bereits die Computer heißlaufen dürften, in der Hoffnung, noch ein paar seiner Opfer lebend zu finden.
»Er ist eher der Schwarze Mann.«
»Mit dem Aussehen von Christian Bale. Also Batman.«
Lukas räusperte sich und konnte förmlich spüren, wie Marc und Sarah hinter ihm Haltung annahmen. Sie waren noch jung, im Vergleich zu ihm jedenfalls, erst drei Jahre dabei, und hatten trotz allem bereits eine gute Erfolgsquote aufzuweisen, deshalb waren sie rekrutiert worden. Kane und er holten niemanden ins Team, der nicht gewisse Voraussetzungen mitbrachte und auch ein wachsendes Potenzial aufwies.
Dennoch bedeutete das nicht, dass ihre Entscheidungen sich immer als richtig erwiesen, denn Marc hatte sich verändert, war mittlerweile ein Wackelkandidat und heute hier, um ihn in aller Ruhe zu begutachten und am Ende eine Wahl zu treffen, denn manche Neulinge brauchten etwas mehr Zeit und mitunter eine zweite Chance, die Lukas immer einzuräumen bereit war. Doch es gab Männer und auch Frauen, die es nicht schafften, weil sie plötzlich ein Gewissen bekamen oder sich verliebten und eine Familie gründeten und nicht mehr mit dem leben konnten, was in der Sektion getan wurde.
Das passierte selten, aber es kam vor, und es oblag in diesen Fällen Lukas, zu entscheiden, was geschehen sollte, denn Kane kannte für veränderte Loyalitäten nur eine Lösung.
»Er ist nicht Batman«, sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust, als Stanley im Verhörraum aufschrie, denn Kane war unzufrieden und mit einem gebrochenen Ellbogen sprach es sich leichter – zumindest war das Stanley Walker anzuraten, sonst würde er diesen Raum nicht mehr aufrecht verlassen. »Im Gegensatz zum schwarzen Rächer mit Cape und Maske kennt mein Ehemann kein Erbarmen. Nicht einmal euch gegenüber, solltet ihr jemals die Sektion oder ein Opfer gefährden.«
Kurzes Schweigen hinter ihm, dem ein scharfes Einatmen folgte, als Kane ein Skalpell auf den Tisch legte, woraufhin der Mann vor ihm, den sie nach fünfjähriger Suche endlich hatten schnappen können und der, soweit sie wussten, acht Mädchen und sechs Jungen entführt und für viel Geld an Kinderschänder verkauft hatte, zu weinen anfing.
»Bringt er ihn etwa da drin um? Ich dachte, wir haben dafür einen extra Raum«, murmelte Sarah und trat neben ihn. Sie war einerseits fasziniert und andererseits entsetzt wegen der Kälte und der unverkennbaren Brutalität, die Kane an den Tag legte, aber da sie als Polizistin bereits zwei Frauenmörder getötet und es erfolgreich als Notwehr ausgelegt hatte, aus Frust darüber, dass die Beweise nicht ausgereicht hatten, um beide für immer hinter Gitter zu bringen, würde sie damit zurechtkommen.
Ihr Profil hatte das deutlich gezeigt.
Bei Marc hingegen, der jetzt an seine andere Seite trat, lagen die Dinge heute anders als vor drei Jahren, und das war Lukas ebenso bewusst wie Kane, der von ihm heute Morgen unter der Dusche eine Entscheidung verlangt hatte.
Lukas wiegte überlegend den Kopf, denn wie Kane im Falle eines derart abartigen Täters wie Stanley Walker reagierte, war manchmal schwer vorauszuahnen. In den letzten Jahren war er beherrschter und ruhiger, was sein Einfluss war, das wusste er, aber es gab Tage, da brach der Psychopath in Kane völlig durch und dann konnte man nur noch beiseite treten und ihn einfach machen lassen. Und das war in der Sektion niemals ein Problem, denn es gab mehr als genug Menschen auf dieser brutalen Welt, die den Tod verdienten.
»Er hat heute einen miesen Tag«, sagte er und bekam dafür zwei ungläubige Blicke zugeworfen, die ihn grinsen ließen.
Marc räusperte sich vernehmlich. »Das da nennen Sie einen miesen Tag, Sir?«
»Ich würde gerne mal zusehen, wenn Ihr Mann einen guten Tag hat«, erklärte Sarah entschlossen und Lukas nickte schlicht, zufrieden mit sich, weil er richtig gewählt hatte. Zumindest bei Sarah, und früher oder später würde sie die Chance bekommen, Kane zuzusehen, wenn der sein gesamtes Potenzial als Folterer und Mörder entfaltete.
»Machen Sie weiter so einen guten Job, dann lässt sich das mit Sicherheit einrichten«, erklärte Lukas und behielt nebenbei Marc im Auge, als im Verhörraum aus einem Schrei abrupt ein Gurgeln wurde, das schnell verstummte.
Marc verzog den Mund, nur für einen Moment zwar, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle, doch die Sekunde hatte für Lukas gereicht. Kanes Einschätzung stimmte und das hieß, sie würden sich von Marc trennen müssen. Es stellte sich nur noch die Frage, in welcher Art und Weise das geschehen musste.
Kapitel 1
Marc sah gut aus.
Er war erholt, braun gebrannt und mit sich selbst und dem neuen Leben, das er heute auf dem Land führte, unverkennbar zufrieden. Lukas nickte ihm zu, bevor er den Mietwagen parkte und zu seinem ehemaligen Mitglied der Sektion aufschloss, das ihm glucksend sein Fernglas reichte und auf die Farm deutete. Lukas suchte und fand recht schnell, was Marc offenbar schon eine ganze Weile amüsierte. Er lachte kopfschüttelnd, ehe er das Fernglas zurückgab.
Dass er Maxwell Stone jemals so losgelöst und glücklich vor sich sehen würde – Lukas hätte nicht darauf gewettet, aber Ben Fowler hatte Wunder bewirkt und er wünschte den ungleichen Männern nur das Beste, genau wie er Tyler, Garrett und Declan das Beste wünschte, obwohl vor allem Tyler ihm das wohl für den Rest seines Lebens niemals wirklich glauben würde.
Nicht, dass Lukas es nicht verstand. Zwischen ihnen dreien war damals zu viel zerstört worden. Doch es hatte auch Gutes bewirkt, denn nachdem Garrett fast getötet worden war, hatten Kane und er sich hingesetzt und weitreichende Sicherheiten für ihre Männer und Frauen eingebaut. Natürlich gab es trotzdem weiterhin Verletzte, ab und zu auch Tote, aber längst nicht mehr so viele wie früher.
Die Sektion arbeitete heute effizienter, und darum bekamen Männer wie Marc eine zweite Chance auf ein neues Leben, bei dem sie Kane und ihm trotzdem nützlich sein konnten, statt sie in Selbstmordjobs zu verheizen oder ihnen selbst das Leben zu nehmen. Und Marc war hier draußen so nützlich, wie er es nur sein konnte, denn Maxwell Stone – obwohl er heute nicht mehr so hieß – war weiterhin in Gefahr. Mindestens so lange, wie sie die Hintermänner des Snuff Clubs nicht erwischten und davon waren sie derzeit noch weit entfernt.
»Es geht ihm gut?«, fragte er ruhig, obwohl Marc ihm, wäre es anders, längst Bescheid gegeben hätte.
Die Sektion behielt ihre Schutzbefohlenen im Auge.
Nicht alle, aber schwere Fälle wie diesen auf jeden Fall, weil die Gefahr für Leib und Leben bestehen bleiben würde, solange Maxwell, der auf seiner Farm gerade mit einem dreibeinigen Hund spielte, am Leben war. Und Lukas hatte dafür zu sorgen, dass es auch so blieb, selbst wenn das hieß, noch in dreißig oder vierzig Jahren Marshals abstellen zu müssen, die alle paar Tage einen Blick auf die Farm und ihre Bewohner warfen.
Sie hatten einige solcher Alt-Fälle, wie sie bei den Marshals genannt wurden, und eine Handvoll davon würde bis zu ihrem Tod streng bewacht und beschützt werden, da alles andere viel zu gefährlich gewesen wäre. Das kostete Unsummen, war aber nötig, und dank Kanes langjähriger Planung und auch Umsicht besaß die Sektion heute über genügend Mittel und Einfluss, um jede Frage nach Budgetkürzungen für diverse Schutzbefohlene im Keim zu ersticken.
Sein Mann würde nicht zulassen, dass der Marshal-Service ein unschuldiges Opfer aus Geldgründen sich selbst und damit in den meisten Fällen dem Tod überließ. Es war schlimm genug, dass sie erst vor acht Monaten einen ihrer eigenen Leute hatten exekutieren müssen, als herausgekommen war, dass der erstens Informationen über ihre Schutzbefohlenen an einen russischen Menschenhändlerring verkaufte und sich dafür zweitens mit kleinen Mädchen bezahlen ließ.
Kane hatte vor Wut getobt – höflich ausgedrückt –, als ihnen das ganze Ausmaß dieses Verrats bewusst geworden war, und nachdem er den Marshal fast zwei Tage lang verhört hatte, war von dem Mann nicht mehr genug übrig gewesen, um es in eine Urne zu füllen.
Ein Gutes hatte dieser Ausbruch allerdings gehabt, denn bis Weihnachten letzten Jahres waren selbst die finstersten Straßen und Ecken von Detroit so sicher gewesen wie seit Langem nicht mehr, denn Kane war jede Nacht auf die Jagd gegangen, bis das Monster in ihm endlich zufrieden gewesen war und sich Lukas wieder zugewandt hatte.
Es waren blutige Gewaltexzesse wie dieser, die ihn immer wieder daran zweifeln ließen, ob er das Richtige tat oder ob es nicht besser wäre, Kane im Schlaf zu erschießen, weil er einen echten Zweikampf gegen seinen Ehemann vermutlich mit dem Leben bezahlen würde, aber Lukas wusste, dass er das niemals fertigbringen würde, also war es müßig darüber nachzudenken, obwohl er es trotzdem tun würde. Spätestens, nachdem er das nächste Mal dazu gezwungen war, übel zugerichtete Leichen zu entsorgen, die man niemals finden durfte.
Wie gut, dass es im Keller der Sektion ein Krematorium gab, das regelmäßig im Einsatz und zudem Teil ihrer hauseigenen Energieversorgung war. Kane mochte ein äußerst gefährlicher Soziopath und Serienmörder sein, aber er war zugleich auch ein Tier- und Umweltschützer, und je unabhängiger die Sektion von äußeren Einflüssen, egal wie unbedeutend und klein sie waren, agieren konnte, umso besser, fand er.
Marc lachte leise und riss Lukas aus seinen Gedanken über Kane. »Es geht den beiden gut, Boss«, sagte Marc daraufhin mit einem offenen Lächeln. »Maxwell Stone ist psychisch stabil und sein Mann achtet darauf, dass das auch so bleibt.«
Alles war im grünen Bereich, so wie erwartet. Lukas nickte und hielt Marcs Blick fest. »Abgesehen davon, dass ich offiziell nicht mehr dein Boss bin … Wie geht es dir?«
»Gut.« Marc grinste, als er die Stirn runzelte. »Wirklich. Ich hätte mich gemeldet, ehrlich. Dieser Job hier draußen, am Arsch der Welt – es gefällt mir, auch wenn es manchmal ein bisschen einsam ist, das gebe ich zu. Allerdings kann ich wahrlich nicht behaupten, dass mir Detroit fehlt. Die Action im Job fehlt mir, aber nicht die Stadt selbst.«
Das konnte Lukas nachempfinden, denn Detroit war auch in seinen Augen nicht gerade die beste Stadt, um eine Familie zu gründen oder sich niederzulassen. Kein Wunder. In Detroit gab es fast täglich einen Mord und die Kriminalitätsrate war derart hoch, dass es hunderte von Staatsanwälten wie Kane gebraucht hätte, um die vielen Verbrechen, die täglich begangen wurden, zu verhandeln. Von den mindestens zwei oder eher drei neuen Gefängnissen, die gebraucht wurden, für die aber kein Geld da war, gar nicht zu reden.
Es war nicht alles schlecht, aber Kane hatte sich aus gutem Grund für Detroit als Hauptsitz ihrer Sektion entschieden, denn hier schauten die Leute weg und in den seit Jahren chronisch unterbesetzten und unterfinanzierten Behörden hielt man gerne die Hand auf, was Baugenehmigungen und positive Bescheide auf Anträge jedweder Art mitunter sehr beschleunigte. Zudem lag Detroit direkt an der kanadischen Grenze und für den Fall der Fälle hatte Kane Vorkehrungen getroffen.
Sollte es also eines Tages nötig sein, die Sektion für immer zu schließen und außer Landes zu flüchten, würden sie dafür, die Sprengung der Anlage und die Zerstörung aller gesammelten Daten auf den Sicherheitsservern inbegriffen, weniger als zwei Stunden brauchen.
Doch das waren sensible Interna und die gehörten erstens nicht hierher und zweitens nicht zu jenen Dingen, von denen Marc wusste, geschweige denn, dass er sie je erfahren hätte.
»Du bist der neue Sheriff«, konzentrierte sich Lukas daher wieder auf ihr Gespräch und Marc winkte ab.
»Was nicht heißt, dass ich viel zu tun hätte. Die Gegend hier ist verdammt ruhig.«
In seinen Augen blitzte es ganz kurz auf, doch Lukas kannte den Blick viel zu gut von sich selbst, als dass er ihm entgangen wäre. Er schmunzelte, denn genau auf diese Entwicklung hatte er gehofft. »Wie heißt sie?«
»Woher …?« Marc schaute ihn verblüfft an, dann verdrehte er mit einem Grinsen die Augen. »Sie sind echt gut, Boss.«
Dessen war sich Lukas bewusst und darum unterstand ihm auch seit Jahren ein exzellentes Team aus Männern und Frauen, für die er allesamt die Hand ins Feuer legen würde, denn das, was sie taten, war wichtig, und es gab sonst niemanden, der es tun konnte. Der dazu bereit gewesen wäre, moralische Grenzen zu überschreiten, die sie sich in der heutigen Zeit kaum noch leisten konnten, denn die Netzwerke der Menschenhändler und von Pädophilen, die das schlimmste Material in Form von Bild- und Videodateien oder auch Live-Chats miteinander und gegen Geld teilten, sprossen wie Pilze aus dem Boden, und das leider weltweit.
»Danke. Und?«, hakte Lukas nach, weil er mehr wissen und dabei sichergehen wollte, dass bei Marc nicht nur beruflich jetzt alles glatt lief, sondern auch privat. Gerade Letzteres war Marc in der Sektion zum Verhängnis geworden, doch hier und heute durfte er verliebt und glücklich sein.
»Madeline. Ich mag sie sehr.«
Da war ein gewisser Unterton in Marcs Stimme, den Lukas nicht auf sich beruhen lassen würde. »Aber?«
Marc schürzte unsicher die Lippen. »Ich habe Angst, ihr die Narben zu zeigen. Nicht jede Frau steht auf so was.«
Das stimmte natürlich, andererseits gab es genug Frauen in der Welt, die nicht nach Oberflächlichkeiten gingen, geschweige denn, in irgendeiner Weise danach urteilten. Marc würde das Risiko eingehen müssen, falls er mit Madeline eine gemeinsame Zukunft haben wollte. So wie er selbst vor Jahren das Risiko mit Kane eingegangen war.
Lukas schob beide Hände in die Hosentaschen. »Das stimmt zwar, aber du solltest es trotzdem tun. Zeig ihr, was sie mit dir an ihrer Seite im Leben erwartet.« Marcs leises »Warum?« ließ ihn mit dem Kopf schütteln. »Das weißt du doch. Ehrlichkeit ist alles. Wenn das jemand weiß, dann wir, Marc.«
Ein paar Minuten herrschte Schweigen zwischen ihnen, die Marc zum Nachdenken nutzte, bevor er erneut durchs Fernglas auf die Farm sah. »Manchmal«, begann er leise, »frage ich mich, wie lange Sie mich noch in der Sektion behalten hätten. Ich bin ja nicht dämlich. Ich kann mir denken, dass ich längst auf der Abschussliste stand, als der letzte Auftrag reinkam.«
»Den du mit Bravour gelöst hast«, sagte Lukas, weil er Marc weder belügen noch beschwichtigen wollte. Seine Männer und Frauen waren klug und sie verdienten die Wahrheit, auch wenn selbige manchmal wehtat.
»Und dabei fast ermordet worden wäre.«
»Auch das stimmt«, sagte Lukas und tippte Marc gegen den Oberarm, woraufhin der das Fernglas senkte und ihn anblickte. »Ja, du standest auf der Liste der Wackelkandidaten, und als du diesen Auftrag erfüllt hast, wusste ich, dass es dein letzter sein würde. Du warst zu dicht dran. Du hast gezögert. Anstand und Moral sind Dinge, die wir uns nicht immer leisten können, aber das bedeutet nicht, dass wir gefühllose Monster sind. Du warst einer zweiten Chance würdig, darum bist du jetzt hier, und das bedeutet, dass all diese Ereignisse dich am Ende zu Madeline geführt haben. Wenn du sie also liebst, wovon ich ausgehe, sag ihr, was du sagen kannst, und zeig ihr deine Narben. Du warst ein Polizist, bevor du zu uns kamst, und das darf sie durchaus wissen. Genauso wie sie wissen darf, dass du einen brutalen Serienmörder ohne Hilfe gefasst hast und dabei beinahe von diesem Mann ermordet worden wärst.«
Marc atmete tief durch, dann nickte er. »Danke.«
Lukas schüttelte den Kopf. »Nicht dafür. Wir waren alle mal normale Menschen, selbst Kane und ich, und in einigen von uns ist noch genügend Gefühl übrig, dass sie eines Tages vielleicht auch eine zweite Chance bekommen. So wie du, Marc.«
Wovon er Kane und sich ausnahm, und auch eine Handvoll weiterer Mitglieder der Sektion. Für sie würde es kein Zurück in die normale Welt geben. Niemals. Und sobald der Tag kam, an dem Männer wie Bradley und Steven oder Frauen wie Sarah, die mittlerweile leider zu viel Geschmack daran fand, sich von Kane anleiten zu lassen, die von seinem Mann und Lukas selbst aufgestellte, unsichtbare Grenze in puncto Grausamkeit, Folter und Wahnsinn überschritten, würden sie still entsorgt werden, denn Menschen wie diese konnten nicht auf die Welt außerhalb der Sektion losgelassen werden.
»Wie geht es Sarah?«
»Gut«, antwortete Lukas, was die Wahrheit war, und mehr musste Marc nicht wissen. »Sie leitet das Ermittlungsteam zum Snuff-Club, der Stone damals fast das Leben gekostet hätte, und sie hat einige vielversprechende Hinweise nach Osteuropa und Bulgarien entdeckt, denen sie aktuell nachgeht.«
Marc schwieg kurz, dann straffte er die Schultern und stellte sich vor ihn. »Ich weiß, ich bin kein Mitglied der Sektion mehr und habe daher auch keine Sicherheitsfreigabe, aber ...«
»Marc«, unterbrach Lukas ihn ruhig, denn er wusste genau, was sein ehemaliger Schützling von ihm wissen wollte. »Eines Tages werde ich hoffentlich eine Antwort für dich haben, doch noch ist es nicht so weit.«
Aus dem folgenden Blick sprach viel Frust, den er mit Marc teilte. Das taten sie alle, wenn wieder eine anfänglich gute Spur im Sande verlief, aber Marc gab nach, denn er wusste, wie lange es mitunter dauerte, die Täter dingfest zu machen oder, was oft genug vorkam, ihnen eine Kugel in den Kopf zu jagen. Ein paar mussten sie den Behörden lebend überlassen, alles andere wäre zu auffällig gewesen, aber seit selbst sein Boss im US-Marshal-Service es vorzog, Dinge, die die Sektion betrafen, nicht länger wissen zu wollen, solange sie nur genügend Pädophile, Mörder und sonstigen Abschaum, den man normalerweise nicht einmal mit der Kneifzange anfassen wollte, für immer von der Straße holten, verschwammen die Grenzen dessen, was man tun und was tabu sein sollte, mehr und mehr.
»Ich kann dir zumindest sagen, die Chancen, dass wir dank Sarah und Kane an die Hintermänner herankommen, sind jetzt weitaus größer als noch vor einem Jahr.«
»Gut«, knurrte Marc und sah zurück zur Farm. »Er und sein Mann sind mir ans Herz gewachsen, und dass ich jemals offen solche Worte sage, hätte ich niemals gedacht. Aber es ist so und ich wünsche mir für ihn und vor allem für die anderen Opfer, die wir nicht retten konnten, dass dieser Drecksladen bis zum letzten Mann ausgerottet wird.«
Kane würde das folgende nicht gutheißen, aber Lukas hatte Marc genauestens im Auge behalten, seit er aus der Klinik, der Reha und am Ende aus der Sektion entlassen worden war, ehe er ihm den Job hier draußen verschafft hatte, und er wusste, dass Marc diese letzten offenen Antworten für seinen Seelenfrieden brauchte, also war er bereit, gegen die Regeln zu verstoßen, die er mit aufgestellt hatte, um Marcs Psyche zu unterstützen.
»Wir haben drei ausgeschaltet. Zwei Männer, eine Frau. Die Frau in Australien, die Männer in den USA und Frankreich. Wir haben weitere vier unter Beobachtung, die noch weitermachen dürfen, weil es Opfer gibt, die am Leben sind. Sobald wir diese Opfer gefunden haben, werden die Täter beseitigt.«
Sarah und Kane hätten das mit einem zufriedenen »Gut.« kommentiert, doch Marc war nicht wie sie. Er war sanfter, auch wenn er im Notfall durchaus bereit wäre, wieder zu töten. Und darauf zählte Lukas. Darum hatte er ihm die Überwachung und den Schutz von Maxwell Stone und Ben Fowler anvertraut.
Jeder, der in der Sektion arbeitete, war psychisch krank, aber es gab Unterschiede. Es gab Abstufungen. Harte und weichere Einteilungen in den verschiedenen Bereichen, die sicherstellten, dass sie ihre Männer und Frauen vernünftig einsetzen konnten. Nicht jeder war für jede Arbeit geeignet, darauf mussten sie bei den Rekrutierungen genauestens achten, und weil er sich dabei als derjenige mit dem besten Instinkt herausgestellt hatte, oblag der Bereich mittlerweile ihm, obwohl Kane als Leiter von allem, was zur Sektion gehörte, ein Vetorecht besaß.
»Danke«, sagte Marc schließlich, nickte ihm lächelnd zu und verließ kurz darauf den schmalen Feldweg, um zurück in die Stadt zu fahren und seinem offiziellen Beruf nachzugehen.
Lukas blieb zurück und legte den Kopf in den Nacken, um zu schmunzeln, als der leichte Wind ein Lachen von der Farm bis zu seinem Beobachtungsposten herübertrug. Vielleicht war es wieder einmal Zeit für einen offiziellen Besuch, um Fowler damit zu ärgern, der ihm jedes Mal, wenn er vorbeikam, einen finsteren Blick zuwarf. Es war nicht so, dass der Mann ihn nicht leiden konnte, und Lukas selbst hatte absolut nichts gegen Ben Fowler, im Gegenteil. In einem anderen Leben hätte der gut zu Kane und ihm gepasst. Zumindest für eine Weile und wenn er sich mit einem Platz als Spielzeug im Schlafzimmer zufrieden gegeben hätte. Andererseits hatte Fowler von Anfang an etwas an sich gehabt, das es unmöglich machte, ihn auf einen Platz in ihrem Bett zu reduzieren, wo schon eine ganze Weile niemand mehr lag, außer Kane und ihm selbst.
Was sagte das wohl über sie beide aus?
Lukas schürzte die Lippen, da er die Antwort auf die Frage kannte, aber nicht weiter darüber nachdenken wollte, denn falls er jemals auf die Idee kam, von Kane Exklusivität zu verlangen, würde er seinen Ehemann und möglicherweise auch sein Leben verlieren. Stattdessen warf er lieber einen Blick auf sein Handy, das lautlos gestellt war.
Sechs Nachrichten, vier Anrufe, sieben E-Mails.
Im Grunde vollkommen normal, weil er seit zwei Tagen im Land unterwegs war, um nach seinen Schützlingen zu schauen, und eigentlich weitere drei Tage vor sich hatte. Doch es war die letzte E-Mail von Kane, die nur aus einem Satz bestand, die ihn erstens die Stirn runzeln ließ und zweitens dafür sorgte, dass er eilig in den Wagen stieg, während er gleichzeitig damit anfing, seine gebuchten Hotelzimmer zu canceln.
Der Besuch bei Maxwell würde warten müssen, weil er ein Menschenleben zu retten hatte – sofern es noch zu retten war.
Sarah überschreitet die Grenze.
»Warte mit dem Urteil, bis ich zurück bin!«
»Tue ich das nicht immer?«
Lukas hätte bei dem trockenen Konter fast gelacht, aber nur fast, denn Kane war unberechenbar, wenn er eine Gefahr für die Sektion sah, und falls Sarah den Rand der Klippe übersprungen hatte, war sie eine Gefahr. Sowohl für die Sektion als auch für all jene Opfer, die sie in der Zukunft retten wollten. Und das war etwas, das weder Kane noch er akzeptieren, geschweige denn tatenlos hinnehmen würden.
Dafür war ihre Arbeit einfach zu wichtig.
Und sie war auch notwendig, denn die Welt wurde von Tag zu Tag verrückter und vor allem digitaler, was es für Pädophile, Sadisten und andere Mörder, so wie Gruber, der Maxwell Stone beinahe ermordet hatte, immer leichter machte, an junge, naive Opfer zu kommen.
Darum gab es die Sektion. Sie mochten zwar nur eine kleine Einheit sein – Lukas wusste, dass es Sondereinheiten mit bis zu einhundert oder mehr aktiven Mitgliedern gab, dagegen war ihre Sektion mit fünfundzwanzig Mann, plus Kane und ihm, praktisch kaum mehr als eine Kindergartengruppe –, aber dafür waren sie besser ausgebildet, hatten weitaus bessere finanzielle Möglichkeiten und waren dem US-Marshal-Service nur noch auf dem Papier unterstellt. In der Realität besaßen sie längst Narrenfreiheit, solange sie es nicht zu weit trieben.
Das waren zumindest die Worte von Senior Special Agent Jeffrey Levingston gewesen, dem er als Marshal unterstellt war – zumindest offiziell. Inoffiziell interessierte ihn kein Stück, was sie wie taten, solange Lukas weiter regelmäßig Berichte schrieb und dabei Erfolge aufweisen konnte. Niemand in den Behörden konnte es sich offiziell leisten, Täter zu foltern und zu töten, aus dem Grund gab es schließlich Sondereinheiten, die unter jedem Radar operierten.
Allerdings halfen ihnen auch bestens ausgebildete Leute und ausreichend finanzielle Möglichkeiten nicht viel, wenn sie auf Dauer chronisch unterbesetzt waren, denn wenn Sarah aus dem aktiven Dienst ausschied, fehlte ihnen im Außeneinsatz ein komplettes Team, und das würde nicht lange gut gehen.
»Erzähl mir die Details«, sagte er daher und betrat nebenbei eine kleine Tankstelle im Nirgendwo, um sich ein paar Snacks und etwas zu trinken zu besorgen. »Ich bin in ein paar Stunden zurück, falls ich weiter so gut durchkomme. Wirst du zu Hause auf mich warten?« Er wusste, dass diese Frage hinterhältig war, denn solange Kane nicht in der Sektion war, war Sarah vor ihm sicher. Die Vollstreckung eines getroffenen Urteils, sofern es ein Teammitglied betraf, überließ sein Mann niemand anderem in der Sektion. »Ich kann uns Abendessen mitbringen.«
Es dauerte einen Augenblick, bis Kane reagierte. »Versuch nicht ständig, mich so stümperhaft zu manipulieren. Eigentlich müsstest du das vom Zusehen bei meinen unzähligen Verhören mittlerweile bedeutend besser beherrschen.«
Lukas grinste, während er zwei abgepackte Sandwichs, eine Tüte Trockenobst und drei Flaschen Wasser an sich nahm. »Ich würde mir echte Sorgen um dein immer so cleveres Köpfchen machen, wenn dir nicht klar wäre, dass ich dich eine Weile von Sarah fernhalten will. Wir treffen Urteile gemeinsam, Kane. So haben wir es beschlossen. Glaub du also nicht, dass ich mir das von dir wegnehmen lassen, nur weil es dich gerade juckt.«
»Täte es mich jucken, wäre ich bereits auf dem Weg in einen Club, um mir jemanden zu suchen, der mich kratzt«, kam eisig zurück und der drohende Unterton, es nicht zu weit zu treiben, was unverkennbar und würde Lukas dennoch nicht aufhalten. Er wusste genau, wie weit er gehen konnte, wie weit er Kane im Notfall reizen konnte, und von diesem Punkt war sein Mann im Moment noch weit entfernt.
»Das übernehme ich, sobald ich zu Hause bin. Und jetzt sag mir endlich, was vorgefallen ist.« Lukas nickte einem pickligen Teenager freundlich zu, der hinter der Kasse stand und ihn mit geweiteten Augen anstarrte, bezahlte sowohl den Sprit als auch seine wenigen Einkäufe, und fädelte sich kurz darauf auf dem Highway ein, wo Lukas Gas gab, denn die Straße war leer und er wollte so schnell wie möglich nach Detroit kommen. »Soweit ich mich erinnere, waren wir uns einig, ihr bis Jahresende Zeit zu geben, um ihre aktuellen Ermittlungen in Europa nicht zu gefährden, und sie dabei weiter genau zu beobachten. Was hat sich daran geändert?«
»Nichts, hätte sie nicht gestern einen Mann, der seine eigene Frau verprügelt, an beiden Händen an einem Baum aufgehängt und kastriert. Als öffentliche Warnung für die übrigen Männer im Dorf, sich gefälligst nie wieder an ihren Frauen, geschweige denn an Kindern zu vergreifen.«
Lukas fluchte lästerlich und laut, dann atmete er tief durch, um sich wieder zu beruhigen. Kein Wunder, das Kane Sarah so unerwartet auf die Abschussliste gesetzt hatte. »Was wissen wir schon über den Toten? Opfer? Täter? Beides?«, fragte er, denn sie vergriffen sich nicht an Tätern, deren Schuld nicht eindeutig feststand – Sarah wusste das.
»Jacob und Aaron haben Befragungen durchgeführt, jedoch ohne eindeutiges Ergebnis. Das angebliche Opfer, die Ehefrau, sagt kein Wort. Ihr Gesicht spricht dagegen eine recht deutliche Sprache, aber wenn sie nicht bestätigt, was ihr Mann getan hat, bringt uns das nicht weiter. Er war nur ein kleiner Mittelsmann und jetzt werden wir, dank Sarah, vorerst nicht an die Namen weiter oben auf der Leiter herankommen. Diese Spur ist damit kalt und wird es bleiben.«
Das war verdammte Scheiße. Sie hatten Monate gebraucht, um in Bulgarien die nötigen Kontakte vor Ort zu knüpfen, und er hatte Marc erzählt, dass Sarah auf einem sehr guten Weg war. Diese Aussage würde er wohl revidieren müssen.
»Was noch?«, fragte er mühsam beherrscht.
»Ich habe Sarah zurückbeordert. Adrian wird sie ersetzen, bis alles eingepackt ist. Er ist schon auf dem Weg. Ihr Rückflug landet in zwei Stunden, ein Team wird sie zur Sektion bringen. Sie ist suspendiert und findet das unfair und noch eine Menge mehr, was ich mir am Telefon bereits anhören durfte. Sie gab erst Ruhe, als ich ihr die Wahl ließ, sich gefälligst zu mäßigen oder ihren Bericht im Verhörraum abzugeben.«
Lukas grinste kurz, um gleich darauf den Kopf zu schütteln, denn die Drohung funktionierte immer. Niemand in der Sektion nahm freiwillig im Verhörraum Platz, schon gar nicht, wenn ihr oder ihm gegenüber Kane am Tisch saß.
»Ich habe Romanov gefunden.«
Lukas bremste so scharf, dass er von Glück reden konnte, dass weit und breit niemand hinter ihm fuhr. »Wann? Wo?«
»Letzte Nacht, Riverdale. Ich bekam einen Tipp, den ich auf den ersten Blick nicht für vielversprechend hielt, aber weil ich keine Lust auf eine weitere Nacht allein hatte, dachte ich mir, es könne nicht schaden, mal kurz hinzufahren. Stell dir doch bitte mein Erstaunen vor, als Romanov zufrieden lächelnd aus einer Pizzeria spazierte. Ich bin ihm bis zu einem Loft gefolgt, in dem er unter falschem Namen wohnt, und habe ihn direkt dingfest gemacht. Wir werden ihn morgen früh abholen.«
»Betäubung?«, fragte Lukas, denn die Methode hatte er vor sechs Jahren eingeführt, um Verbrecher gefahrlos einzufangen und später mit einem Team möglichst still und leise zur Sektion zu schaffen. So war Kane außen vor und konnte sich immer auf Informanten berufen, da selbst in der Sektion niemand wusste, dass er ein aktiver Serienmörder war. Lukas wusste zwar, dass es Kane betreffend einige Gerüchte über seinen Geisteszustand gab, aber keiner ihrer Männer und Frauen würde von sich aus so lebensmüde sein, das offen auszusprechen. Jedenfalls nicht Kane oder ihm selbst gegenüber.
»Du hast mir doch verboten, sie weiter mit nach Hause zu nehmen und geknebelt im Kofferraum zu lassen, bis ich Zeit für sie habe. Dabei halte ich das immer noch für die praktikabelste Lösung, werter Ehemann.«
Lukas schnaubte. »Fang ja nicht so an. Wenn man dich mit einem Entführungsopfer im Kofferraum erwischt, ist das weit weniger praktikabel, als wenn zufällig in einem Hotelzimmer oder in einem Apartment jemand über besagtes Opfer stolpert. Das steht also nicht zur Diskussion, Herr Anwalt.«
»Manchmal gehst du mir wirklich auf die Nerven.«
»Und seit wann kümmert mich das?«
»Lukas!«, kam in einem derartig scharfen Tonfall durch die Leitung, dass Lukas ungewollt zusammenzuckte, um gleich im Anschluss abfällig zu schnauben. »Arroganter Arsch!«
Oh ja, und das musste er auch sein, um Kane weiterhin und regelmäßig die Stirn zu bieten, denn wenn er sich jemals von seinem Ehemann den Mund verbieten ließ, konnte er genauso gut sein Testament machen. Kane Hobbs umgab sich nicht mit Leuten, die ihn langweilten. Und das Monster in ihm würde in dieser Hinsicht auch nicht vor Lukas haltmachen, da konnte er Kanes Ring am Finger tragen, soviel er wollte.
Lukas fiel der junge Mann an der Tankstelle wieder ein, der ihm die perfekte Möglichkeit bot, Kane auf eine für sie gute Art und Weise etwas zu ärgern. »Ich hatte auf dem Heimweg einen niedlichen Verehrer.«
»Ach ja?«
Der jetzt lauernde Tonfall war unverkennbar. Kane brauchte dringend Ablenkung von Sarah und dem, was er garantiert mit ihr tun würde, wenn Lukas ihn nicht besänftigte. Nur noch ein paar Stunden, dann war er wieder zu Hause und Kane würde ruhiger und zugänglicher werden. Wie meistens, wenn er ihn in greifbarer Nähe und somit in Sicherheit wusste.
»Blond, blaue Augen, höchstens Achtzehn, wenn überhaupt. Schlank, lange Finger mit gepflegten Nägeln, weich aussehende Haut«, wobei er die Pickel wegließ, die das Bild gestört hätten, das er in Kanes Kopf pflanzen wollte, weil sein Mann genau auf den Typ 'junge, süße Unschuld' abfuhr, sobald er sexuell Druck hatte, »volle Lippen, die sich garantiert wunderbar um meinen tropfenden Schwanz angefühlt hätten.«
Kane knurrte. »Red nur weiter.«
»Er hat mich ein bisschen an den Typen erinnert, den du an Weihnachten im Club aufgegabelt hast. Der Kleine war hin und weg, von zwei so heißen Männern wie uns gewollt zu werden, weißt du noch?« Lukas leckte sich mitsamt einem genüsslichen Raunen über die Lippen. »Ich frage mich ja, ob der Arsch von dem Bengel an der Tankstelle genauso eng wäre, wenn ich jetzt umdrehe und herausfinde, ob er auf echte Männer steht.« Kane atmete hörbar ein. »Wir haben schon eine Weile nicht mehr zu dritt gespielt, Kane. Vielleicht sollten wir es mal wieder tun. Ich meine, die weiche Haut, schlanke, helle Glieder, die meistens so wunderbar gelenkig sind. Und sie können mit ihren Mündern in einer Art und Weise umgehen, dabei könntest du noch was lernen.« Kane zischte einen Fluch und Lukas wusste, dass er so gut wie am Ziel war. »Vielleicht muss ich mal wieder ein wenig Unterricht nehmen, was meinen Mund angeht. Du stellst dich doch bestimmt gern als Übungsobjekt zur Verfügung, oder?«
»Sieh zu, dass du zur Sektion kommst, Lukas, und wenn du mich das nächste Mal mit Sex manipulieren willst, sorg dafür, dass du in Reichweite bist, damit ich dich fertigmachen kann.«
Lukas legte lachend auf.
Und wusste sofort, dass etwas nicht stimmte, als er um kurz vor Mitternacht endlich am Tor der Sektion eintraf, wo Thomas, der Nachtwächter, ihn zwar begrüßte, dabei aber seinem Blick kaum standhalten konnte, während er ihn auf das weitläufige Gelände ließ und das hohe, mehrfach gesicherte Tor hinter ihm sofort wieder schloss.
Das Tor und der Zaun, der das gesamte Areal umlief, waren nur zwei von mehreren Sicherheitsmaßnahmen, zu denen auch gehörte, keine unterbezahlten Wachkräfte einzusetzen, darum war Thomas Mitglied ihrer Truppe, obwohl er hier draußen den Anschein eines harmlosen Nachtwächters gab. Thomas war ein Außenagent gewesen, konnte den Job aus Altersgründen jedoch nicht mehr ausüben und war heute vollends zufrieden damit, dafür zu sorgen, dass kein Unbefugter sich zu dem Gelände Zutritt verschaffte.
Im normalen Leben war er IT-Spezialist, hatte einen Teil des Sicherheitssystems der Sektion entworfen und früher jahrelang für die digitale Sicherheit bei der CIA gesorgt. In einigen Jahren würde er in Pension gehen, denn auch dafür hatte Kane damals bei der Gründung seiner Sektion Vorsorge getroffen. Für den in seinen Augen unwahrscheinlichen Fall, dass einer seiner Leute lange genug überlebte, um sie in Anspruch zu nehmen. War das nicht der Fall, floss das Geld zurück an die Sektion, überwacht von einem Finanzgenie, das ebenfalls für sie arbeitete und vor acht Jahren mit Kanes Hilfe den Mörder seiner geliebten Frau, einen brutalen Sadisten, dingfest gemacht und beseitigt hatte.
Geschichten wie diese gab es in ihrer Truppe zuhauf, wobei vor allem die Älteren Kane treu ergeben waren, selbst wenn sie nicht mehr an Einsätzen teilnahmen. Lukas wusste, dass Kane die meisten manipuliert hatte, indem er dafür sorgte, dass sie Rache üben konnten, aber einige waren so sehr von ihrer Sache überzeugt, dass sie für lau bleiben würden.
Dasselbe galt für Simone, die ihn an der Tür erwartete und nach einem kurzen Nicken in seine Richtung kehrtmachte, um schnurstracks zu den Verhörräumen voranzugehen. Lukas ging ihr nach, ohne eine Frage zu stellen, denn er ahnte bereits, dass er für Sarah zu spät kam. Jetzt galt es nur noch herauszufinden, wie schlimm es ausgeufert war.
»Verdammt noch mal«, fluchte er wenig später, als Simone den Blick auf die breite Scheibe freigab, hinter der er schon oft gestanden und Verhöre von Kane beobachtet hatte.
Er schloss kurz die Augen, in der Hoffnung, dass die blutige Sauerei hinter der Scheibe nur eine Einbildung seinerseits war, aber als er wieder hinsah, hatte sich das Bild im Inneren vom Verhörraum nicht geändert – leider. Lukas sah zu Simone, die stumm hinter ihm wartete und seinen wütenden Blick stoisch erwiderte.
»Bericht!«, befahl er, denn bevor er sich auf die Suche nach Kane machte, wollte er Details wissen.
»Sie hat ihn provoziert. Er verlangte einen Bericht über den Vorfall in Bulgarien und den Einsatz an sich. Letzteres gab sie ihm, doch den Mord an dem Bauer hat sie heruntergespielt. Ein Wort gab das andere, wir haben Sarah bis auf den Flur gehört, als sie Kane anschrie. Warum es am Ende so eskalierte, weiß ich nicht, weil das Gespräch nicht als Verhör gedacht war, weshalb es keine zweifache Sicherung durch uns hinter der Scheibe gab.