Kaffee ins Herz - Mathilda Grace - E-Book

Kaffee ins Herz E-Book

Mathilda Grace

0,0
5,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dare Richards braucht seine morgendliche Dosis Kaffee genauso dringend wie die Luft zum Atmen. Allerdings bevorzugt er den Kaffee normalerweise in einem Becher und nicht auf seiner Uniform. Wirklich böse sein kann er dem süßen Blondschopf, der für das Malheur verantwortlich ist, aber auch nicht, denn die kleine Lilly findet ihn nett und das beruht vom ersten Augenblick an auf Gegenseitigkeit. Schade nur, dass ihr Vater, ein brummiger Glatzkopf, offenbar so gar nichts für einen kaffeesüchtigen Cop übrig hat.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

 

Mathilda Grace

KAFFEE INS HERZ

 

 

Kaffee ins Herz

1. Auflage, März 2021

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

© 2021 Mathilda Grace

Am Chursbusch 12, 44879 Bochum

Text: Mathilda Grace 2020

Fotos: GDJ, ractapoulous, geralt; Pixabay

Coverdesign: Mathilda Grace

Korrektorat: Corina Ponta

 

Web: www.mathilda-grace.de

 

Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.

 

Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden. Diese Geschichte handelt von einem fiktiven LGBT-Zentrum in Boston.

 

Kaffee ins Herz enthält homoerotischen Inhalt.

 

 

 

 

 

Mathilda Grace

 

 

 

 

 

 

Liebesroman

 

 

Liebe Leserin, Lieber Leser,

 

ohne deine Unterstützung und Wertschätzung meiner Arbeit könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.

 

Mit deinem Kauf dieses E-Books schaffst du die Grundlage für viele weitere Geschichten aus meiner Feder, die dir in Zukunft hoffentlich wundervolle Lesestunden bescheren werden.

 

Dankeschön.

 

Liebe Grüße

Mathilda Grace

 

 

Das »Boston Hearts« ist ein privat geführtes LGBT-Zentrum für obdachlose und anderweitig gefährdete Jugendliche in Boston, eröffnet von dem Anwalt Maximilian Endercott vor über fünfundzwanzig Jahren. Heute betreiben er und sein Ehemann Elias, der gleichzeitig Arzt des Zentrums ist, das »Bostons Hearts« gemeinsam und haben seit der Gründung nach und nach acht teils schwer missbrauchte und traumatisierte Jugendliche als Ziehkinder angenommen und sie mit viel Liebe und Geduld großgezogen.

 

Diese Männer erzählen in der »Boston Hearts Reihe« ihre Geschichten.

 

 

Dare Richards braucht seine morgendliche Dosis Kaffee genauso dringend wie die Luft zum Atmen. Allerdings bevorzugt er den Kaffee normalerweise in einem Becher und nicht auf seiner Uniform. Wirklich böse sein kann er dem süßen Blondschopf, der für das Malheur verantwortlich ist, aber auch nicht, denn die kleine Lilly findet ihn nett und das beruht vom ersten Augenblick an auf Gegenseitigkeit. Schade nur, dass ihr Vater, ein brummiger Glatzkopf, offenbar so gar nichts für einen kaffeesüchtigen Cop übrig hat.

 

 

Prolog

Dare

 

 

 

 

Eine Prügelei rettete Dare Richards das Leben.

Mit dreizehn Jahren, halb verhungert und seelisch sowie körperlich komplett gebrochen, versuchte er, das Fahrrad eines reichen Jungen zu klauen, um es zu verkaufen und sich von dem Geld seinen goldenen Schuss zu besorgen.

Er war fertig gewesen. Mit allem.

Dem Leben, das ihn schon gefickt hatte, als er noch nicht mal sprechen konnte, und auch mit seinen Erzeugern, die ihn am Ende für einhundert Dollar an einen Perversen verkauften, während Dare an jenem Tag glaubte, der nette, alte Mann mit den schlohweißen Haaren und einem buschigen Bart, der ihm einen Lutscher schenkte, wäre gekommen, um ihn zu retten.

Zwei Tage später wusste er es besser.

Zwei Wochen später wehrte er sich immer noch mit aller Kraft, wenn sie ihn stundenweise kauften, um mit ihm Spiele zu spielen, die er niemals spielen wollte.

Zwei Monate später hörte er auf zu kämpfen.

Zwei Jahre später war er zu alt, um dem Mann weiterhin genug Geld zu bringen, doch bevor der ihn umbringen konnte, so wie ein paar der anderen Jungen, die in diesen zwei Jahren gekommen und gegangen waren, kämpfte Dare ein letztes Mal um sein Leben und lief davon.

Er landete in einer kalten, grausamen Welt, in der es keine Heizung, keine wärmende Kleidung, kein frisches Wasser und nichts zu essen gab, sodass er am Ende gezwungen war, doch wieder mit Männern zu spielen, um nicht zu verhungern.

Irgendwann gab Dare auf und entschied, dass dieses Leben es nicht wert war, weiter gelebt zu werden.

Aber um es zu beenden, brauchte er Geld. Das dunkelblaue Fahrrad, mit den wehenden, bunten Fahnen am Lenker, würde ihm hoffentlich genügend davon einbringen, denn es stand vor einem riesigen Haus und war mit Sicherheit einiges wert.

Doch der Junge, dem es gehörte, wollte es nicht ohne einen Kampf hergeben, und seine Väter, zwei freundliche Männer, die nicht mit ihm spielen wollten, die sogar stinksauer wurden, als er ihnen das Angebot machte, wenn sie ihm dafür den Stoff besorgten, den er so dringend brauchte, damit das alles endlich aufhörte, wollten ihn dann nicht aufgeben.

Also kämpften sie um ihn.

Das allererste Mal in seinem so jungen und dennoch schon vollkommen verkorksten Leben tat jemand etwas für ihn und wollte nichts dafür haben.

Sie hielten ihn am Leben.

Sie holten ihn sogar zweimal in selbiges zurück, als er erst im Krankenhaus und dann in diesem Zentrum für Kinder und Jugendliche, das ihnen gehörte, trotzdem versuchte, sich über Nacht davonzustehlen. Sie schimpften laut mit ihm, während sie weinten und gleichzeitig versuchten, die starken Blutungen an seinen Unterarmen zu stillen.

Sie blieben bei ihm, als er im Krankenhaus wieder zu sich kam, mit Gurten an Händen und Füßen ans Bett gefesselt, um zu verhindern, dass er es erneut versuchte.

Sie blieben bei ihm, als er sie dafür, und weil sie ihm keinen Stoff besorgten, immer wieder anschrie, was sie stumm über sich ergehen ließen und stattdessen weinten.

Sie blieben bei ihm, als er bettelte und schlussendlich flehte, damit sie ihn gehenließen, was sie nicht taten.

Sie blieben sogar bei ihm, als er irgendwann verstummte, fest entschlossen, nie mehr auch nur ein Wort zu sagen.

Sie blieben. Einfach so.

Und sie brachten diesen anderen Jungen mit den strahlend blauen Augen mit, der ihn in den ersten Wochen trotzig ansah, um dann sein Bruder zu werden.

Sie brachten Dare in ihr Haus, ein riesiges Schloss mit drei langen Schornsteinen, gewaltigen Anbauten auf beiden Seiten, schwarzen Fensterläden, einem blühenden Garten, mehreren Angestellten und gefühlt eintausend Zimmern, von denen sie eines ihm überließen, bevor sie ihm ein eigenes Fahrrad, eigene Kleidung und Bücher kauften, und dann, als sie herausfanden, dass er weder lesen noch schreiben oder rechnen konnte, eine junge Frau engagierten, die es ihm beibrachte.

Er wurde ein Teil ihres Lebens und er ließ zu, dass sie auch ein Teil seines Lebens wurden.

Mit dreizehn war er bereit gewesen zu sterben.

Mit vierzehn hatte er einen Bruder und lernte langsam seinen Namen zu schreiben.

Mit fünfzehn rief er das allererste Mal »Dad.« quer durchs Haus, nachdem er ans Telefon gegangen war und eine höfliche Frau Doktor Elias Endercott zu sprechen wünschte, nur um im nächsten Augenblick beinahe einen Nervenzusammenbruch zu bekommen, als sein Vater in Tränen ausbrach.

Mit achtzehn hatte er bereits drei weitere Brüder, allesamt aus den schlimmsten Verhältnissen geholt und von Maximilian und Elias Endercott gerettet.

Und sie waren alle bei ihm, als er nur einige Monate später seinen Schulabschluss feierte und dann die Aufnahmeprüfung der Polizeiakademie absolvierte, um ein Cop zu werden.

 

 

Kapitel 1

Dare

 

 

 

 

Dare Richards fuhr geistesabwesend über die blasse Narbe an seinem linken Unterarm, weil sie schon den ganzen Morgen über störend juckte, während er gleichzeitig geduldig auf seine Kaffeebestellung wartete.

Er war ein bisschen spät dran heute, aber dafür konnte sein Captain ihm keinen Vorwurf machen. Wer auch immer auf die glorreiche Idee gekommen war, die Schichten umzustellen und damit seinen gesamten Tagesrhythmus umzuwerfen, brauchte sich hinterher auch nicht zu wundern, wenn er nicht pünktlich aus dem Bett kam. Dare kam sich vor, als litte er an Jetlag, und er wusste aus Erfahrung, dass er noch mindestens den Rest der Woche brauchen würde, um sich von seiner üblichen Spät- auf die Frühschicht umzustellen.

»Interne Anweisung«, hatte Captain Bolder ihm mit seinem typisch verärgerten Blick erklärt, der darüber hinwegtäuschte, dass der Mann ein großartiger Vorgesetzter war, der jederzeit dazu bereit war, für seine Männer und Frauen durchs Feuer zu gehen und der absolut nichts auf sie kommen ließ. Das hatte er bereits am Tag seiner Einstellung sehr eindrucksvoll bewiesen, als einer der alt eingesessenen Kollegen sich hinterrücks über Dares Homosexualität lustig gemacht hatte.

Ein langes, und laut ihrer internen Gerüchteküche mit der unmissverständlichen Drohung auf Aberkennung seiner Rente wegen ungebührlichen Verhaltens, unter vier Augen geführtes Gespräch später hatte Dares Kollege ihn bis zum Ruhestand, den er vor zwei Jahren ganze drei Tage hatte genießen können, ehe er bei einem Raubüberfall aus Versehen erschossen worden war, nie wieder angesehen oder auch nur ein einziges Wort mit ihm gewechselt und Dare war das ganz recht gewesen.

Er war schon immer mehr ein Einzelgänger und hatte nicht vor, daran etwas zu ändern. Wozu auch? Für Dare war es das größte, wenn er allein auf der Straße unterwegs war, in seinem üblichen Revier, wo man ihn kannte und wo vor allem die Kids wussten, dass sie ihn jederzeit um Hilfe bitten konnten, sobald es Ärger gab. Dare hatte Jahre und einige Undercovereinsätze gebraucht, um sich in der Gegend einen guten Ruf zu machen, und dank dieses Rufs und dem Wissen, wer seine Väter waren, war es ihm bereits mehr als einmal gelungen, obdachlose Kids von den Straßen zu holen.

Jonathan Price war so ein Fall.

Ein riesiges Talent auf der Sandbahn, und wenn der Junge so weitermachte, würde er in naher Zukunft mit Sicherheit den einen oder anderen Rekord brechen. Er ging seit letztem Jahr auf eine öffentliche Highschool und war dort mittlerweile einer der besten im Sportteam. Dare hätte nicht stolzer auf Jonathan sein können, wäre der Junge sein Sohn gewesen, und er freute sich immer, sobald er ins Zentrum kam und es Neuigkeiten zu berichten gab. Jonathan wollte unbedingt an den Olympischen Spielen teilnehmen und Dare war felsenfest davon überzeugt, dass er es eines Tages dorthin schaffen würde.

»Dare, dein Kaffee ist fertig«, rief Liam ihm vom Tresen aus zu und lachte leise, als Dare genießerisch stöhnte. »Würdest du doch bloß mal für mich so stöhnen.«

Die Umstehenden kicherten und Dare griff sich mit einer theatralischen Geste an die Brust, denn die lockere Flirterei mit Liam Grant, dem Besitzer vom »Café Sugar« und zugleich sein bester Freund, war hier fast schon legendär, auch wenn sowohl Liam als auch Dare wussten, dass sie niemals zu etwas führen würde. Dafür waren ihre Lebenspläne einfach zu verschieden, und das wusste Dare, da Liam und er sich in einer lauwarmen Nacht vor ein paar Jahren, daran konnte er sich trotz eines Mordskaters, den er am nächsten Tag gehabt hatte, leider noch genau erinnern, gegenseitig ihre Herzen ausgeschüttet hatten, was betrügerische Lover anging, nachdem Liam überraschend von seinem Freund sitzengelassen worden war.

Seit damals waren sie beste Freunde und damit hatte Liam für Dare praktisch den Bruderstatus, denn er hatte sonst keine Freunde und war auch nicht sonderlich scharf darauf, welche zu finden. Ihm reichte seine Familie. Und Liam, der ihn gerade frech angrinste.

»Baby, du weißt doch, ich lebe nur dafür, dir persönlich zu Diensten zu sein …« Dare machte eine künstlerische Pause und erwiderte hinterher das Grinsen. »Das gilt aber nur, solange du deine Klamotten anbehältst, da ich dich sonst ruckzuck wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhafte.«

Die übrigen Kunden im Café grölten vor Lachen, während Dare sich verbeugte und dann von Liam, der ebenfalls lachte, aber dennoch die Zeit hatte, ihm eine Kusshand zuzuwerfen, seinen Kaffee entgegennahm, den er dringend brauchte. Ohne einen heißen, starken Kaffee konnte ein Tag nicht gut werden, schon gar nicht, wenn er so früh begann wie dieser.

Dare gönnte sich vorsichtig den ersten Schluck und genoss die herrliche Wärme, die daraufhin durch seinen Körper floss, in vollen Zügen, während er zurück an den runden Stehtisch trat, an dem er bereits zuvor gewartet hatte, um nach seinem Handy zu greifen und einen Blick auf die Uhr zu werfen. Fünf Minuten Kaffeepause würde er sich jetzt einfach noch gönnen, denn im Café war es mollig warm, ganz im Gegensatz zu der Eiseskälte draußen von der Tür, die von geschätzt einem Meter Schnee begleitet wurde.

Und das im April. Einen dermaßen späten Wintereinbruch gab es in Boston auch nicht alle Tage.

Sein Handy begann zu klingeln und nach einem Blick aufs Display fing Dare umgehend an zu grinsen. Der frühe Morgen wurde gerade um Längen besser. »Du solltest dich in die Ecke stellen und mindestens die nächsten zwölf Stunden schämen, dass du es wagst, mich bei der geilsten Morgenbeschäftigung zu stören, die sich ein Mann im Leben gönnen kann.«

»Die gönnst du dir besser erst wieder, wenn du verheiratet bist«, grollte eine tiefe und von Dare über alles geliebte Stimme an sein Ohr und brachte ihn zum Lachen.

»Vergiss es, Grandpa, du bist ertappt. Cole ist vielleicht auf dich reingefallen. Mich kriegst du in diesem Jahrhundert nicht vor den Altar. Und bevor du wieder fragst: Nein, ich habe mir meinen Bart immer noch nicht abrasiert.«

»Frecher Bursche. Wo treibst du dich rum?«

»Im Sugar. Ohne Kaffee ist der Tag nicht lebenswert. Schon gar nicht bei dieser Kälte. Es hat letzte Nacht wieder geschneit, was du vermutlich längst weißt. Wieso ein Mann deines Alters immer mitten in der Nacht aufstehen muss, und das auch noch freiwillig, ist mir ein Rätsel, aber bitte. Jedem seine verrückten Hobbys.« Sein Großvater, Adrian Endercott, lachte dröhnend, Dare grinste zufrieden und dabei kam ihm ein Gedanke, der ihn abrupt und heftig schaudern ließ. »Sag mal, wer fährt Dad heute eigentlich ins Zentrum?«

»Maximilian bringt ihn, keine Sorge.« Adrian feixte hörbar. »Emma hat deinem Vater nämlich vor drei Tagen, nachdem der erste Schnee gefallen war, lang und breit erklärt, welche Strafe ihn erwartet, sollte er noch ein einziges Mal zulassen, dass sich Elias hinter das Steuer eines Wagens setzt, nach dem Desaster im letzten Jahr.« Adrian seufzte hörbar. »Nur weil Derrick jetzt Coles Protzkiste fahren darf, heißt das noch lange nicht, dass Elias plötzlich ein dezentes Talent hinter dem Steuer entwickelt hätte. Aber hört dein Vater auf mich, wenn ich ihm sage, dass es eine ganz blöde Idee ist, es Elias ruhig noch mal versuchen zu lassen? Nein. Und was hatten wir anschließend davon? Ein demoliertes Garagentor. Der schöne Lexus.«

Dare prustete los. »Ich glaube, Dad war die riesige Beule an Elias' Stirn bedeutend wichtiger als die Delle in seinem Auto.«

»Er hätte ihn übers Knie legen sollen.«

»Das würde Dad nie tun, das weißt du genau. Verrate mir lieber, aus welchem Grund du mich um diese Unzeit anrufst. Mein köstlicher Kaffee wird langsam kalt und ich muss gleich zum Dienst. Eigentlich bin ich sogar schon zu spät.«

Adrian schnaubte. »Ich finde es immer noch unerhört, dass man dich von jetzt auf gleich in die Frühschicht stecken kann. Was denken sich diese Kretins bei dir in der Personalabteilung eigentlich? Wir haben dich schon kaum zu Gesicht bekommen, als du Spätschicht hattest und in Zukunft müssen wir Termine ausmachen, um unseren Enkel wenigstens zwei- oder dreimal pro Jahr in die Arme nehmen zu dürfen oder wie stellen die sich das vor? Deine Großmutter vermisst dich ganz furchtbar.«

Von wegen, dachte Dare belustigt und schüttelte, sich dabei ein Lachen verkneifend, den Kopf. Der einzige, der seine Enkel ständig vermisste, schimpfte ihm gerade ins Ohr, denn wenn Emma Endercott eines nicht war, dann anhänglich. Außerdem riefen Dare und seine Brüder sie regelmäßig an oder schickten ihr Nachrichten aufs Handy, WhatsApp sei Dank.

Er ließ seinen Großvater wettern und gönnte sich erst mal einen weiteren Schluck Kaffee. Jetzt war er perfekt temperiert. Dare genoss noch einen Schluck und bemerkte mehr aus dem Augenwinkel das Öffnen der Tür vom Café, dicht gefolgt von einem hellen Lachen und zwei strohblonden Zöpfen, die von rosafarbenen Haargummis gehalten wurden.

Dare schmunzelte, als ein kleines Mädchen, er schätzte sie auf vielleicht vier bis fünf Jahre, rückwärts ins Café tanzte und mit ausschweifenden Gesten auf einen Mann einredete, der ihr folgte. Er hörte ein empörtes »Daddy!«, als der Mann etwas zu ihr sagte, und Dare grinste darüber, während sein neugieriger Blick über alte und klobig aussehende Winterstiefel, eine blaue Jeans und darüber einen dick gefütterten Mantel wanderte, die einen äußerst ansprechenden Männerkörper bedeckten, sofern Dare nach den kräftigen Oberschenkelmuskeln ging, die dank des engen Jeansstoffs gut zur Geltung kamen.

Als sein Blick schließlich beim Gesicht des Mannes ankam, stockte Dare allerdings irritiert, denn er hatte einiges erwartet, doch mit Sicherheit keinen Glatzkopf im mittleren Alter, der im ersten Moment auf ihn wirkte, als wäre er gerade erst aus dem Gefängnis entlassen worden.

Plötzlich sahen ihn graue Augen mürrisch an und nach den ersten Sekunden schlich sich ein resigniertes Erkennen in den Gesichtsausdruck des Fremden. Offensichtlich hatte Dare seine Mimik nicht so gut unter Kontrolle wie sonst immer, denn dass der Mann ihn jetzt als Polizisten voller Vorurteile abstempelte, war für ihn unübersehbar. Das wollte er auf gar keinen Fall auf sich sitzen lassen. Dare war ein Cop geworden, um Menschen zu helfen und nicht, um sich schweigend vorwerfen zu lassen, andere Leute sofort in Schubladen zu stecken, nur weil sie eine Glatze hatten.

»Grandpa, ich rufe dich später zurück.«

Er wartete gar nicht auf eine Reaktion, sondern steckte sein Handy ein, nahm den Kaffee und setzte sich in Bewegung, um zu dem Mann hinüberzuschlendern, der mit Ärger rechnete, so wie er seine Tochter halb hinter seine Beine zog, die ungerührt weiter auf ihn einsprach und nicht bemerkte, was los war.

Mit Liam hatte er allerdings nicht so viel Glück, doch Dare schüttelte schweigend den Kopf, als er dessen fragenden Blick auf sich spürte. Und weil er außerdem nicht vorhatte, heute als erste Tat eines noch folgenden, langen Arbeitstages ein kleines Mädchen zu erschrecken, das wie ein süßer Engel aussah, ging er einen Schritt vor Vater und Tochter in die Hocke und setzte dabei ein freches Grinsen auf.

»Hallo.« Jetzt bemerkte ihn die Kleine und kicherte, als er ihr höflich die Hand hinstreckte. »Ich bin Dare, und du?«

»Lilly«, antwortete sie und nahm seine Hand, nachdem sie sich mit einem Blick nach oben versichert hatte, dass ihr Vater damit einverstanden war. Schlaues Mädchen.

»Hi, Lilly. Hast du was dagegen, wenn ich kurz mit deinem Dad rede? Er ist doch dein Dad, oder?« Dare riss übertrieben die Augen auf. »Oder ist er dein Bodyguard? Haut er mich um, weil ich mit dir flirte?«

Das Mädchen gluckste heiter und schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre Zöpfe flogen. »Daddy haut doch nicht.« Sie sah wieder hoch. »Darf ich zu Liam?«

»Natürlich, mein Schatz«, brummte es über ihm und Dare zwinkerte Lilly neckend zu, bevor er sich erhob und wartete, bis sie am Tresen angekommen war, wo Liam schon zur Stelle war und sie hochhob. Offenbar waren die beiden hier genauso Stammgast wie Dare selbst. Er schaute zurück zu seinem jetzt ziemlich finster dreinblickenden Gegenüber und streckte ein weiteres Mal die Hand aus. »Officer Dare Richards. Und nein, ich halte dich nicht für einen Verbrecher. Ich war bloß mächtig überrascht.«

Es dauerte eine Weile, bis er eine Antwort bekam, während seine Hand ignoriert wurde. »Warum?«

Dare trank erneut von seinem Kaffee und entschied dabei, ehrlich zu bleiben, denn damit kam man immer am weitesten. »Weil deine Tochter ein süßer Engel ist und du nicht in meine Vorstellung eines Superdaddys gepasst hast. Aber das ist mein Problem und nicht deines.«

Die erste Reaktion war ein enorm unentschlossenes »Hm.«, aber weil Dare nicht im Traum daran dachte, sein freundliches Lächeln aufzugeben oder die Hand wegzunehmen, überzeugte das den misstrauischen Fremden wohl schlussendlich, denn es folgte ein fester Händedruck, bevor sich der Mann ein bisschen entspannte. Es war zwar nicht genug, dass Dare gesagt hätte, sein Gegenüber würde sich in seiner Gegenwart wohlfühlen, aber zumindest schien er nicht mehr jede Sekunde nach seiner Tochter rufen und vor ihm weglaufen zu wollen.

Als Cop rief er solche Reaktionen oft hervor, besonders bei Leuten, die vorbestraft waren oder schlechte Erfahrungen mit Polizisten gemacht hatten. Leider nahm vor allem Letzteres in den letzten Jahren zu, seit ein paar schießwütige Cops im Land es innerhalb kürzester Zeit geschafft hatten, seine komplette Berufssparte in Verruf zu bringen, und das machte seinen Job nicht gerade leichter, dafür aber um einiges gefährlicher.

Dare machte den Menschen keinen Vorwurf, weil sie Angst hatten. Er hatte einen dunkelhäutigen Bruder und wusste, wie tief der Rassismus in den USA dank ihres rechtsradikalen und homophoben Präsidenten mittlerweile wieder in der Mitte der Gesellschaft verankert war. Und er wusste leider auch, dass er in einigen Straßen von Boston heute vorsichtiger sein musste, als noch vor fünf Jahren, und falls seine Väter jemals erfuhren, wie nah er vor ein paar Wochen dran gewesen war, von einem Drogendealer erstochen zu werden – nein, er wollte besser gar nicht genauer darüber nachdenken, wie das von seiner ständig besorgten Familie aufgenommen werden würde, darum hatte er bislang auch niemandem davon erzählt. Nicht einmal Liam wusste Bescheid.

Seine Narbe begann plötzlich wieder zu jucken. Dare nahm den Kaffeebecher in seine andere Hand und schob den Ärmel hoch, um sich zu kratzen, was er eigentlich nicht tun sollte, das würde die Haut bloß weiter reizen, aber bei dem Wetter hatte er immer Probleme, vor allem mit der Narbe an seinem linken Unterarm. Die am rechten Arm war nicht so empfindlich.

»Daddy, guck mal!«

Dare konnte nicht schnell genug reagieren, als der blonde Engel namens Lilly überraschend neben ihnen auftauchte und dabei aus Versehen einen eben eintretenden Gast erschreckte, der einen Ausfallschritt zur Seite machte und in ihn lief. Heißer Kaffee ergoss sich über seine Uniform und Dare bedankte sich insgeheim bei allen Göttern, die ihm auf die Schnelle einfielen, dass er dank des Wetters so dick angezogen war, sonst wäre er jetzt schon jammernd und fluchend durch die Gegend gehüpft. Dare wusste aus leidlicher Erfahrung zu gut, wie heißer Kaffee schmerzen konnte, und den Fehler, seinen Becher gedankenlos auf das Armaturenbrett des Streifenwagens zu stellen, hatte er in seiner Ausbildung nur ein einziges Mal gemacht.

»Sorry«, murmelte der Gast, sein Handy am Ohr, und ging an ihnen vorbei, ohne sie überhaupt richtig wahrzunehmen.

Dare verdrehte die Augen, ließ sich ansonsten aber nichts anmerken. Solche Leute waren prädestiniert dafür, eines Tages aus Versehen überfahren zu werden, da sie ihre Umwelt völlig ausblendeten – Hauptsache, das Handy war rund um die Uhr in ihrer Reichweite. Furchtbar. Er hatte schon viel zu häufig Fußgänger und Radfahrer tot auf der Straße liegen sehen, weil ihre Aufmerksamkeit nicht auf den Verkehr gerichtet gewesen war, und er würde sich nie daran gewöhnen, an Haustüren zu klopfen und verdatterten Hinterbliebenen erklären zu müssen, dass ein von ihnen geliebter Mensch nur wegen seiner eigenen Unachtsamkeit tot war.

Lillys Aufmerksamkeit galt im Moment jedoch vollständig ihm, als sie sanft an seinem Hosenbein zog, während Dare das Malheur auf der Uniform begutachtete. Der schöne Kaffee. Er hockte sich zu ihr und schenkte ihr ein fröhliches Lächeln, als sie die Unterlippe vorschob, weil er nicht wollte, dass sie sich schuldig fühlte.

»Was ist los, Süße?«

»Entschuldige.« Sie hielt ihm einen dicken Keks hin. »Liam hat mir Schokoladenkekse gemacht. Der ist für dich.«

Normalerweise hätte er abgelehnt, aber Lilly sah so traurig aus und bei Keksen konnte er oft nicht widerstehen, obwohl er es sich immer wieder vornahm, um nicht dick zu werden. Das wäre bei seinem Beruf nicht gerade hilfreich und er wollte auf gar keinen Fall wie ein paar seiner Kollegen mit Übergewicht enden, die man an den Schreibtisch verbannt hatte, da sie zum täglichen Streifendienst nicht mehr zu gebrauchen waren.

Nur machten Liams Backkünste Dare die selbst auferlegte Abstinenz bei Süßigkeiten nicht leicht, denn im »Sugar« gab es die besten Kekse der ganzen Stadt, fand er und beugte sich mit einem Zwinkern zu Lilly hinüber.

»Glaubst du, dein Daddy spendiert mir einen neuen Kaffee, während wir Kekse essen?«, fragte er flüsternd, wohl wissend, dass sie von oben sehr genau belauscht wurden. Das folgende Seufzen sprach eindeutig dafür. »Schwarz, bitte«, schob er laut nach und gluckste heiter, als Mister Unbekannt das mit einem Schnauben kommentierte. »Ich achte auf Lilly, wenn das okay für dich ist?«

»Bleibst du kurz bei Officer Richards, Maus?«

»Okay, Daddy.«

Wenig später wurde ihm ein neuer Becher Kaffee, inklusive einer Rolle Küchenpapier in die Hände gedrückt. »Mit besten Grüßen von Liam. Du sollst gefälligst deine Kaffee-Sauerei auf dem Boden wegwischen, bevor ein Gast darauf ausrutscht, sich ein Bein bricht und das Café verklagt.«

Dare stöhnte und sah zum Tresen. »Danke sehr, Liam.«

Heiteres Lachen war die einzige Antwort, die er erhielt und dann schaute er zurück zu Lilly, die ihn angrinste. »Hey, lachst du etwa über mich?«

»Daddy putzt auch nicht gerne«, verpetzte sie ihren Vater, der das offensichtlich gar nicht amüsant fand, aber davon ließ sich Dare nicht stören. Die Kleine war einfach zu niedlich und er würde sich nicht die gute Laune verderben lassen, nur weil ihr Vater ein maulfauler Glatzkopf mit grauen Augen war. Die er an seine Tochter vererbt hatte, fiel Dare abrupt auf, bevor er leise lachend damit anfing den verschütteten Kaffee so gut es ging von seiner Uniform und dem Fußboden zu wischen. Am Ende half Lilly ihm dabei und hatte, ihrem glücklichen Lachen nach zu urteilen, sogar jede Menge Spaß.

Dare liebte Kinder. Vor allem solche süßen wie Lilly, die mit einem unschuldigen Staunen durch die Welt liefen und sich bis zu einem gewissen Alter um absolut nichts Sorgen machten. Kinder wie sie waren sein täglicher Ausgleich zum Job und zu all dem Grauen, das er im »Boston Hearts« ständig sah. Das er selbst früher so lange erlebt hatte. Darum war er jeden Tag aufs Neue draußen auf den Straßen unterwegs und rettete so viele Kinder, wie er konnte.

»Wir müssen los«, brummte es von oben und Dare reichte Lilly wieder seine Hand, um ihre Finger mit einem neuen Blatt Küchenrolle trocken zu reiben und sich zu verabschieden.

»Es hat mich sehr gefreut, dich kennenzulernen, Lilly.«

»Du bist nett, dich mag ich«, erklärte sie entschlossen und schüttelte seine Hand.

»Dankeschön«, murmelte er und konnte nicht verhindern, dass er rot wurde, als Lilly sich einfach vorbeugte und ihm mit einem Kichern einen nassen Kuss auf die Wange drückte. »Oh, auf den werde ich gut aufpassen«, versprach er und erhob sich, um den Blick ihres Vaters zu suchen. »Pass gut auf sie auf.«

Die grauen Augen zogen sich zusammen, so als würde ihr Besitzer überlegen, ob das als Drohung gemeint war, aber dann entspannte sich Lillys Vater ein wenig und nickte, bevor er die Hand seiner Tochter nahm und mit ihr das Café verließ. Lilly winkte ihm von draußen und Dare winkte amüsiert zurück. Er konnte gar nicht anders. Ein tolles Mädchen. Und ganz anders als ihr Vater, der augenscheinlich der ganzen Welt misstraute, aber allen voran jedem, der eine Uniform trug.

»Wow, wer hätte das gedacht.«

Dare sah fragend zu Liam, der in seine Richtung kam und dabei belustigt dreinschaute. »Was?«

»Er kommt seit knapp sechs Monaten mit ihr her und das war das allererste Mal, dass jemand mehr als ein mürrisches Brummen aus ihm herausbekommen hat.« Liam nahm ihm die schmutzigen Küchentücher ab, um sie in den Mülleimer gleich neben der Eingangstür zu werfen. »Die Kleine ist ein richtiger Engel und liebt Kekse, genau wie du.« Liam kicherte. »Aber ihr Vater ist eine echt finstere Type. Zumindest dachte ich das, bis ich einmal zufällig gesehen habe, wie er Lilly anlächelt.« Liam seufzte genüsslich. »Umwerfend, sage ich dir.«

»Wie heißt er eigentlich?«, fragte Dare interessiert, als ihm aufging, dass er das immer noch nicht wusste.

Liam zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Er bestellt sich Kaffee, Lilly bekommt Kekse und ab und zu Kakao, wenn sie mehr Zeit haben, dann gehen sie wieder. Ich schätze, die Süße besucht die Vorschule zwei Straßen weiter.«

Dare nickte zustimmend. Das würde passen und alt genug war Lilly dafür. Sein Funkgerät erwachte mit einem Knacken zum Leben und Dare stöhnte auf, nachdem er der blechernen Stimme gelauscht hatte, die von einer Schlägerei einige Häuser weiter berichtete, der ein kindischer Streit um einen Parkplatz vorangegangen war. Mit einem weinerlichen Jammern drückte er Liam den Kaffeebecher in die Hand, den er jetzt leider nicht mehr würde trinken können, und eilte nach draußen, während hinter ihm schallendes Gelächter zu hören war.

Beste Freunde waren manchmal wirklich die Pest.

 

 

Kapitel 2

Blake

 

 

 

 

Einmal Verbrecher, immer Verbrecher.

Blake Hartley kannte es nicht anders.

Seit er vor sechs Monaten völlig unerwartet auf Bewährung entlassen worden war, nachdem er ein von zwei Jahren wegen Diebstahl abgesessen hatte, und man ihm das vorübergehende Sorgerecht für Lilly übertragen hatte, weil seine Mutter tot war und Lillys leibliche Mutter sich nach ihrer Geburt wortlos aus dem Staub gemacht hatte, wurde er fast jeden Tag schikaniert. Von seinem schmierigen Bewährungshelfer, miesen Bullen, die immer wieder unangemeldet in seinem Apartment auftauchten und es durchsuchten, um eine Möglichkeit zu finden, ihn noch für den Rest der zwei Jahre einbuchten zu können, den Leuten in Lillys Vorschule, einfach von allen.

Ein verurteilter Dieb als Erzieher für so ein süßes Mädchen war in ihren Augen ein Affront ohne Ende, und grundsätzlich gab Blake ihnen darin sogar recht. Er war ein Versager, der im Leben nie etwas auf die Reihe bekommen hatte, bis er besoffen und high Lilly gezeugt hatte. Sein süßes Wunder. Sein ein und alles auf dieser Welt. Für sie hatte er es besser machen wollen und war gescheitert. Wie immer.

Aber jetzt, dank dieser unerwarteten Chance, sich noch mal beweisen zu können, wollte er es endlich richtig machen. Für Lilly, denn es gab sonst niemanden mehr in seinem Leben. Seit seine Mutter kurz vor Weihnachten vollkommen überraschend an einem Herzinfarkt gestorben war, gab es nur noch Lilly und ihn, und falls Blake sich nicht endlich zusammenriss, würde er daran schuld sein, dass seine lebensfrohe und fröhliche Tochter früher oder später in einem Heim landete.

Ob es das war, was er wollte?

Dass Lilly ohne Familie und ohne Zuhause aufwuchs.

Ohne ihren Vater.

Eine Frau hatte ihm diese Fragen gestellt, als sie letztes Jahr zu ihm in den Knast gekommen war und ihm angeboten hatte, an einem geförderten Resozialisierungsprogramm von Boston teilzunehmen, das speziell Kleinverbrecher wieder ins normale Leben eingliedern wollte. Durch den Tod seiner Mutter und als Vater von Lilly hätte er die perfekten Voraussetzungen, in dem Programm aufgenommen zu werden, und wenn er nicht wolle, dass seine Tochter bei Fremden lebte, sollte er gefälligst endlich den Arsch hoch und sein Leben auf die Reihe kriegen.

Linda Miller, die für Lillys Fall zuständige Mitarbeiterin im Jugendamt, war, abgesehen von seiner Mutter, die einzige, die je an ihn geglaubt hatte, und sie tat es immer noch, denn diese Frau war der felsenfesten Überzeugung, dass jeder eine zweite Chance verdiente, besonders wenn er ein so großartiger Vater war wie Blake. Das war jedenfalls ihre Meinung und zu dieser Meinung stand sie jedes Mal, wenn sie Lilly und ihn besuchte, obwohl sie damit auf weiter Flur wohl ziemlich allein war.

Blake rechnete indes jeden Tag damit, erneut verhaftet und für den Rest der zwei Jahre weggesperrt zu werden, nachdem man ihm etwas untergeschoben hatte. Das hatten diese miesen Cops bisher nicht gemacht, sobald sie seine Wohnung auf den Kopf stellten, aber was nicht ist, das würde bald werden. Blake gab sich da keinerlei Illusionen hin. Früher oder später würden sie ihm etwas anhängen, seit er sich geweigert hatte, für seinen korrupten Bewährungshelfer ein Ding zu drehen, und das war es dann mit seinem Versuch, Lilly ein guter Vater zu sein.

Blake hatte darüber nachgedacht, Linda zu erzählen, was in dem Haus des Bewährungshelfers vor sich ging, der Zimmer an seine Klienten vermietete, wenn sie keine Wohnung fanden, aber ohne einen Beweis – wer würde einem verurteilten Dieb wie ihm schon glauben? Selbst wenn Lillys Bearbeiterin es tat, wovon er ausging, was brachte ihm das am Ende? Nichts. Er hätte einen guten Anwalt gebraucht, der sich für ihn einsetzte, keinen Pflichtverteidiger, der Leute wie ihn als Störfaktor oder Sprungbrett für eine bessere Karriere ansah.

Aber einen Anwalt, der für ihn kämpfte, konnte sich Blake von dem bisschen Geld, das er für das Einräumen von Regalen bekam, nun mal nicht leisten und die finanzielle Unterstützung aus dem Resozialisierungsprogramm gab er für Lilly aus, denn für sie war das Geld schließlich gedacht.

Nein, ihm würde keiner helfen und Blake konnte den Kopf nur so bedeckt wie möglich halten, in der Hoffnung, dass der Arsch von Bewährungshelfer bald einen anderen Ex-Häftling fand, den er für seine Diebestouren einspannen konnte.

Er hatte bereits sechs Monate durchgehalten. Wenn er noch ein weiteres halbes Jahr schaffte, war er frei und konnte Lilly nehmen und Boston hinter sich lassen. Irgendwo weit weg auf dem Land ganz neu anfangen, wo niemand wusste, dass er ein Ex-Knacki war. Sich einen guten Job suchen, ein kleines Haus mit Garten für Lilly. Vielleicht ein Hund. Sie sprach immer mal wieder davon, einen Welpen haben zu wollen, und Blake fand, dass es schön wäre, ein Haustier zu haben. Und eben besagten Garten, in dem sie dann ein bisschen Obst und Gemüse für den eigenen Bedarf anpflanzen konnten.

Kleine Träume, mehr hatte Blake nie gehabt, doch ob er sie sich je würde erfüllen können, stand in den Sternen. Besonders seit er diese korrupten Bullen an der Backe zu kleben hatte, die alles tun würden, um ihn ein weiteres Mal scheitern zu sehen, und dieses Mal würde es auch das letzte Mal sein. Er hatte zig Anzeigen in seiner Akte, von denen zwei zu einer Verurteilung geführt hatten. Die dritte würde ihm wahrscheinlich zwanzig oder sogar noch mehr Jahre in einem Gefängnis weit weg von Boston einbringen, und sobald es dazu kam, würde er Lilly nie wiedersehen.

Vielleicht sollte er es einfach tun. Ein paar kleine Einbrüche für seinen Bewährungshelfer, damit er Ruhe hatte. Er wusste von anderen im Haus, dass der Kerl zwar ein mieses Arschloch war, aber die Leute am Ende laufen ließ, wenn sie taten, was er wollte, es sei denn, sie wurden dabei von den Bullen erwischt. Dann ließ er sie fallen wie eine heiße Kartoffel, weil er genau wusste, dass niemand es wagen würde, gegen ihn auszusagen.

Blakes Problem war nur, dass er Linda versprochen hatte, in Zukunft nicht mal mehr daran zu denken, irgendwo etwas zu stehlen – für Lilly. Damit sein kleines Mädchen die Chance auf ein gutes Leben hatte. Denn das war sein Job als Vater und er hatte ohnehin viel zu lange gebraucht, um das zu erkennen. Gott sei Dank war Lilly ein Sonnenschein und liebte ihn über alles, obwohl er sie die ersten Jahre ihres Lebens meistens bei seiner Mutter geparkt hatte, um auf Tour zu gehen.

---ENDE DER LESEPROBE---