Portland Head Light - Mathilda Grace - E-Book

Portland Head Light E-Book

Mathilda Grace

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Beschreibung

Überarbeitete Neuauflage, November 2018 Auf der Suche nach einem neuen Leben beschließt Dominic Felcon den Winter in einer Kleinstadt in Maine zu verbringen. Weit weg von seinen Freunden und der Hektik seines bisherigen Lebens, genießt er die angenehme Ruhe, die das Leben in Cape Elizabeth mit sich bringt. Doch mit dieser Ruhe ist es schlagartig vorbei, als Cameron Salt eines Nachts vor seiner Tür steht. Jener Mann, der Dominics Gefühlswelt bereits vor Monaten vollkommen auf den Kopf gestellt hat, ohne das überhaupt zu wissen.

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Mathilda Grace

PORTLAND HEAD LIGHT

Portland Head Light

2. Auflage, November 2018

Impressum

© 2018 Mathilda Grace

Am Chursbusch 12, 44879 Bochum

Text: Mathilda Grace 2010

Foto: Myriams-Fotos; Pixabay

Coverdesign: Mathilda Grace

Web: www.mathilda-grace.de

Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.

Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden.

Romance

Liebe Leserin, Lieber Leser,

ohne deine Unterstützung und Wertschätzung meiner Arbeit könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.

Mit deinem Kauf dieses E-Books schaffst du die Grundlage für viele weitere Geschichten aus meiner Feder, die dir in Zukunft hoffentlich wundervolle Lesestunden bescheren werden.

Dankeschön.

Liebe Grüße

Mathilda Grace

Auf der Suche nach einem neuen Leben beschließt Dominic Felcon den Winter in einer Kleinstadt in Maine zu verbringen. Weit weg von seinen Freunden und der Hektik seines bisherigen Lebens, genießt er die angenehme Ruhe, die das Leben in Cape Elizabeth mit sich bringt. Doch mit dieser Ruhe ist es schlagartig vorbei, als Cameron Salt eines Nachts vor seiner Tür steht. Jener Mann, der Dominics Gefühlswelt bereits vor Monaten vollkommen auf den Kopf gestellt hat, ohne das überhaupt zu wissen.

Für den großen Schweiger in meiner Familie.

Ich liebe dich.

Prolog

Lieber Dominic,

wie kann ich mich bei dir, meinem Kind, für etwas entschuldigen, für dass es keine Entschuldigung gibt?

Ich weiß es nicht, also fange ich einfach an, in der Hoffnung, dass du meine Worte eines Tages lesen wirst, immerhin bist du der einzige Grund, warum ich das tue. Und du bist ein toller Grund, Dominic. Das warst du schon als Baby. Meine Güte, wie schnell doch damals die Zeit verging. Aber so war unser Leben mit dir von Anfang an. Gerade erst geboren, warst du plötzlich schon ein Junge, der ganz allein auf seinen stämmigen Beinchen stand. Und mit jedem Tag wurdest du ein Stückchen größer und auch ein wenig erwachsener. Verrückte Welt, aber so war sie nun mal.

Und sehr bald, wenn du erwachsen bist, wirst du deinen eigenen Weg finden und es mit Sicherheit besser machen als ich. Oh, das Allerwichtigste vergesse ich beinahe noch – ich liebe dich, Dominic, das habe und werde ich immer tun. Trotz allem.

Dabei habe ich früher gar nicht daran geglaubt, jemals ein Kind zu haben. Jedenfalls nicht so früh. Als ich mit dir schwanger wurde, gehörten Kinder für mich noch nicht zu meinem Leben. Ich war jung und so verliebt. Weißt du, ich habe in meinem Leben einige Fehler gemacht, und mir ist bewusst, dass es für mich lange zu spät ist, dass ich es nie mehr gutmachen kann. Dennoch möchte ich, dass du weißt, dass ich froh bin, weil unser Staat dir ein Leben ermöglichte, welches ich dir nicht geben konnte.

Aber dazu später mehr. Erst mal möchte ich dir erzählen, wie es überhaupt dazu kam. Ich möchte dir erzählen, wie die Krankheit über mich kam, die unser Leben so abrupt und für immer zerstörte.

Schleichend ist der Ausdruck, den meine Ärzte hier verwenden. In meinen Augen überfiel sie mich von hinten, als ich machtlos war. Das ist Unsinn, ich weiß, aber ich empfinde es noch immer so. Und auch wenn ich weiß, dass meine Phasen der Normalität kürzer werden und die der Schizophrenie immer stärker durchbrechen, gebe ich die Hoffnung nicht auf. Solange wie möglich, möchte ich dir schreiben und dir erzählen, wer ich wirklich bin.

Wer ich bin, wenn diese drängende Stimme tief in meinem Kopf mir keine Dinge zuflüstert.

Ich war ein glückliches Kind. Wie du es warst, bis ich unsere Familie zerstörte. Ich hatte eine schöne Kindheit, war gut in der Schule und beliebt bei meinen Freunden. Ich lernte deinen Vater in der Schule kennen. Er war der Bruder meiner Freundin, jünger als ich und er wollte Karriere machen. Sein Plan war es die Schule zu beenden und nach Los Angeles zu gehen. Als Musiker. Ganz zu Anfang habe ich darüber geschmunzelt. Aber dann hörte ich ihn spielen und änderte meine Meinung. Ich begleitete ihn zu kleineren Auftritten in Bars, unterstützte ihn in seinen Träumen und träumte irgendwann mit ihm, denn er hatte das Talent und vor allem den nötigen Willen, um ganz groß rauszukommen.

An Weihnachten lud er mich zu sich nach Hause ein. Ich werde das Weihnachtsfest bei seiner Familie nie vergessen. Ich liebte diese alte und heimelige Art seiner Eltern, die kitschige Musik und den Weihnachtsbaum, der derart mit Lichtern behangen war, sodass man nur mit abgeschirmten Augen vor ihm sitzen konnte. Aber vor allem liebte ich deinen Vater.

Dann warst du plötzlich auf dem Weg. Es war ein Schock. Für uns beide. Aber wir liebten dich fast sofort und so änderte dein Vater seine Pläne. Er ging nicht nach Los Angeles, um Musiker zu werden, und ich ging nicht auf die Universität, um zu studieren und einen gut bezahlten Job zu bekommen.

Wir bekamen dich, ohne zu wissen, wie begrenzt unsere Zeit mit dir sein würde.

Weißt du, Dominic, es gibt so viele Menschen auf dieser Welt, die Dinge tun, die einfach nur widerwärtig sind, und ich bin zu einem von ihnen geworden. Ich weiß nicht, inwieweit du mit deinen zwei Jahren damals begriffen hast, was ich tat. Und ich weiß auch nicht, wie du heute darüber denkst. Ich kann es nur vermuten und ich glaube, dass du mich hassen musst. Und wer sollte es dir verübeln? Aber vielleicht wirst du mir eines Tages ja schreiben. Und vielleicht wirst du mich sogar einmal besuchen.

Ich würde sehr gerne erfahren, wie du aussiehst und was aus dir geworden ist. Und ich hoffe so sehr, dass ich noch lange genug bei Verstand sein werde, um dir zu erzählen, was damals alles geschah.

In Liebe,

Mum

1. Kapitel

Maine war das komplette Gegenteil seines alten Lebens, das aus dem Reisen von Motorradrennen zu Motorradrennen, von Party zu Party, aber vor allem aus sehr viel Gestank und Krach bestanden hatte.

Vielleicht zog ihn darum diese Stille, die hier herrschte, von dem stetigen Rauschen des Meeres einmal abgesehen, so sehr an. Dominic konnte sich zumindest nicht daran erinnern, dass er früher jemals in der Nacht einfach so mitten auf einer Straße gestanden, die Stille um sich herum genossen und die unzähligen Sterne am Himmel beobachtet hatte. An all den Orten, wo er bisher gelebt hatte, war es sogar in tiefster Nacht oft viel zu hell gewesen, um überhaupt einen einzigen Stern am Himmel ausmachen zu können.

Hier hatte er damit keine Probleme. In Cape Elizabeth wurden die Bürgersteige jeden Abend pünktlich hochgeklappt und spätestens um Mitternacht schlief der gesamte Ort. Das war die Zeit, in der Dominic sich in seinem alten Leben, als Besitzer eines Motorradrennstalls und als Fahrer in selbigem, oft gerade fertiggemacht hatte, um auf die Piste zu gehen.

Aber diese Pisten gab es für ihn nicht mehr.

Statt dem lauten Dröhnen der Motoren, hatte er seit einigen Wochen nur noch das Rauschen des Meeres in den Ohren, und der ständige Geruch nach Abgasen, Öl, Benzin und Leder, war ersetzt worden durch den erdigen Duft der Wälder überall um die Stadt herum und dem salzigen Geruch des Wassers. In den frühen Morgenstunden, die Dominic gern am Hafen verbrachte, kam dann noch der Geruch von Fisch dazu.

Die Bewohner dieses Städtchens führten ein beschauliches Leben, kümmerten sich liebevoll um ihre Touristen und waren auf eine, ihm anfangs recht fremde Art und Weise, freundlich, ehrlich und derartig offen, dass Dominic in den ersten Tagen nach seiner Ankunft die meiste Zeit komplett irritiert gewesen war, da er diese Ehrlichkeit der Menschen nicht einzuschätzen gewusst hatte. Es hatte niemanden hier gekümmert, dass er der Neue in der Stadt gewesen war. Er war von Anfang an genauso willkommen gewesen wie jeder andere, und daran hatte Dominic sich erst einmal gewöhnen müssen.

Mittlerweile kannte er einige der Bewohner bereits mit Namen und sie freuten sich, wann immer er bei ihnen vorbeikam. Egal ob es Charlies Diner am Ende der Straße war, Melissas Bäckerei gleich gegenüber, oder Henry mit seinem Zeitungs- und Tabakgeschäft, der den lieben langen Tag vor seinem Geschäft auf einer wackligen Bank saß, um mit Franklin, dem gutmütigen Besitzer der Videothek nebenan, zu tratschen.

Sie fragten ihn jedes Mal, wie es ihm ging, wenn er vorbeikam, um  sich eine Zeitung und Kleinkram zu kaufen, und Dominic mochte diese Menschen von Tag zu Tag mehr. Vermutlich hatte er auch deshalb beschlossen, den Winter hier zu verbringen und war gestern von der gemütlichen Pension, in der er nach seiner Ankunft vor einem Monat untergekommen war, in sein neues Haus an den Klippen gezogen. Andrew, der verwitwete Fischer, dem er erst seinen Laster repariert und dann regelmäßig vorbeigekommen war, um mit dem alten Mann zu plaudern, hatte ihm sein Haus einfach vererbt, als er vor zwei Wochen an seinem schwachen Herzen gestorben war.

Dominic war aus allen Wolken gefallen und hatte das Erbe zuerst ausschlagen wollen, aber da der alte Andrew keine Kinder und keine sonstige Familie hatte, gab es außer ihm niemanden, der an dem Haus interessiert gewesen wäre, und aus dem Grund hatte Dominic dem Bitten des Nachlassverwalters nachgegeben und das Erbe angenommen. Und da war er nun. In einer Kleinstadt in Maine, auf der Suche nach einem neuen Leben, und so neugierig wie ein kleines Kind, das in einem Spielzeugladen abgesetzt worden war.

Dominic lachte leise und legte den Kopf in den Nacken, um die Augen zu schließen und sich vom sanften Wind umwehen zu lassen. Dafür, dass bereits später Herbst war, war es in den langen Nächten noch immer angenehm warm, aber das würde sich recht bald ändern. Der uralte Fred, ein ehemaliger Fischer, der trotz Ruhestand jeden Morgen am Pier zu finden war, hatte ihm gestern gesagt, dass es spätestens in einer Woche empfindlich kälter werden würde, und da Fred dafür berühmt war, das Wetter vorhersagen zu können, hatte Dominic vor, noch in dieser Woche seinen Vorratsraum aufzustocken und sein Haus für den Winter klarzumachen.

»Ha! Unser großer Schweiger. Du bist aber früh dran heute.«

Dominic zuckte überrascht zusammen und drehte sich um, um direkt auf Freds zahnloses Lächeln zu schauen, der einige Schritte hinter ihm auf seinen Gehstock gestützt stand und dabei war, sich aus dem Inhalt seiner Tabakdose eine Zigarette zu drehen. Dominic grinste und deutete auf den Tabak.

»Das wird deiner holden Anna aber gar nicht gefallen.«

Anna war Freds Ehefrau und das seit mittlerweile sechzig Jahren, und die holde Anna, Fred nannte sie immer so, mochte es gar nicht gern, wenn ihr Mann rauchte, deswegen tat Fred es immer heimlich, was sie natürlich wusste. Aber was sie nicht sah, konnte Anna ihm nun einmal nicht vorwerfen.

Diese beiden waren für Dominic der Inbegriff einer funktionierenden Ehe, basierend auf tiefstem Vertrauen und ehrlicher Liebe. So etwas gab es heutzutage gar nicht mehr, jedenfalls nicht in seiner Generation.

»Pah!« Fred steckte sich seine Zigarette an und trat auf ihn zu. »Wenn ich meiner holden Anna erzähle, dass du noch gar nicht im Bett warst, vergisst sie meine Zigarette und hält dir einen Vortrag über Schlaf und seinen Nutzen.«

Dominic versuchte empört auszusehen, gab es aber schnell auf und grinste stattdessen. »Du weißt, dass man das Erpressung nennt, oder? Und woher willst du wissen, dass ich noch gar nicht im Bett war?«

»Ich weiß es eben«, antwortete Fred spitzbübisch und zwinkerte ihm zu. »Lass uns zum Pier gehen. Vielleicht entdecken wir heute endlich eine passende Meerjungfrau für dich. Meine holde Anna ist ja schon vergeben.«

Dominic lachte und folgte Fred gemächlich die Straße runter zum Hafen. Die Art von Gespräch hatten sie in den letzten Wochen oft geführt und er genoss die alberne Neckerei des alten Fred jedes Mal aufs Neue, der es sich zur Aufgabe gemacht zu haben schien, ihn verkuppeln zu wollen. Es war für Fred ein Unding, dass ein Mann wie er, in den besten Jahren, wie Fred sagte, alleine durchs Leben ging, und Dominic würde den Teufel tun und ihm widersprechen. Man widersprach einfach keinem Menschen, der seit sechzig Jahren eine sehr glückliche Ehe führte, auch wenn Dominic nicht vorhatte, an seinem Singledasein in naher Zukunft etwas zu ändern.

Der uralte Fred behielt recht.

Eine knappe Woche später zog ein Küstensturm über Cape Elizabeth hinweg, der die Stromversorgung der Stadt für eine Nacht lahmlegte und mehrere Bäume entwurzelte, die bis weit in den Tag hinein die Straßen blockierten. Ein Dank an seinen Generator, der ohne zu Mucken ansprang und Dominic Strom und Wärme lieferte. Alle, die außerhalb der Stadt lebten, hatten für derartige Fälle Generatoren, die ihre Versorgung sicherstellten, falls man während eines Sturms von der Stadt abgeschnitten wurde, was im Herbst und Winter durchaus der Fall sein konnte. Und sollte Fred weiter recht behalten, würde Cape Elizabeth einen verdammt harten Winter erleben.

Diese Aussicht schreckte Dominic nicht, ganz im Gegenteil. Deshalb war er schließlich hier. Also nicht wegen eines harten Winters, aber um in Ruhe darüber nachzudenken, was er mit seinem restlichen Leben anfangen wollte. Und wie konnte man in Ruhe nachdenken, wenn dauernd Menschen um einen herum waren? Menschen wie David, Adrian oder Nick. So sehr er die Bande mittlerweile zu schätzen wusste, Dominic wollte sie im Moment nicht um sich haben. Deswegen hatte er außer David niemandem erzählt, wo er war, denn die Nachricht, dass er seinen Rennstall und das dazugehörige Team verkauft hatte, war im Sommer wie die sprichwörtliche Bombe eingeschlagen. Aber auf David war in solchen Dingen Verlass. Dominic hatte seinen Freund gebeten zu schweigen und David schwieg.

Es war Dominic nicht leichtgefallen, ihn darum zu bitten, denn ihm war bewusst, dass David und ihre Freunde sich natürlich Sorgen machen würden, wohin er verschwunden war, aber vor allem, warum er das getan hatte, doch derzeit wollte er sich damit nicht befassen. Dominic wusste nur, dass es richtig gewesen war, den Rennstall und sein bisheriges Leben aufzugeben, denn nach Davids Unfall hatte er keine Nacht mehr durchschlafen können, ohne aus schlimmen Albträumen hochzuschrecken, in denen er David verbrennen sah.

Und da er so auf Dauer keinen Rennstall leiten konnte, vor allem nicht, weil er es von Tag zu Tag mit größerem Widerwillen getan hatte, war Dominic die Entscheidung für den Verkauf am Ende nicht schwer gefallen. Seine Jungs würden auch ohne ihn zurechtkommen, das wusste er und deshalb machte er sich diesbezüglich auch keine Sorgen. Die Rennen würden weitergehen, nur eben ohne ihn.

Beginnendes Telefonklingeln riss Dominic aus seinen Grübeleien. Wer rief denn auf seinem Festnetzanschluss an? Diese Nummer kannte doch noch gar keiner. Abgesehen von David, aber der rief immer auf dem Handy an. Dominic zog es aus der Tasche, während er hinüber in die Küche ging, wo sein Telefon an der Wand hing, um einen Blick auf das Display zu werfen. Schwarz. Mist. Der Akku war schon wieder leer. In letzter Zeit vergaß er ständig, sein Handy aufzuladen. Vielleicht sollte er das Ding abschaffen. Außer für die Telefonate mit David benutzte er es ohnehin nicht mehr.

Dominic nahm ab und klemmte sich den Hörer zwischen Schulter und Ohr, um sich nebenbei einen Kaffee zu machen. »Wer stört?«

»Hallo, du großer Schweiger«, begrüßte ihn David amüsiert und Dominic stöhnte auf.

»Ich hätte dir nicht davon erzählen sollen.«

David lachte. »Wieso nicht? Der uralte Fred hat doch recht. Eine Quasselstrippe bist du ja wirklich nicht. Wieso geht dein Handy eigentlich nicht? Hast du wieder das Aufladen vergessen? Wie geht es dir?«

Dominic musste schmunzeln. Seit David Adrian geheiratet hatte und augenscheinlich überglücklich war, hatte er sich von einem ruhigen Typ zu einer echten Labertasche gemausert und er wurde immer noch lebhafter. Gott sei Dank, dachte Dominic nur, denn er hatte noch viel zu gut den David vor Augen, der er im Krankenhaus nach seinem schweren Motorradunfall gewesen war. Ein seelisches Wrack und völlig mit den Nerven am Ende. Aber das war lange her und mittlerweile ging es David wieder gut.

»Hast du Quasselwasser getrunken, bevor du mich angerufen hast?«, neckte er David und lachte, als der schnaubte. »Mir geht es übrigens gut und bei meinem Handy ist der Akku leer. Hab wieder vergessen ihn aufzuladen. Ich sollte das Ding abschaffen, ich benutze es ja doch nicht.«

»Hm, behalte es lieber. Wenigstens für den Notfall, falls du mal eingeschneit bist oder so. Was macht dein Haus? Und vor allem, hat der uralte Fred schon eine Meerjungfrau für dich gefunden? Übrigens, habe ich dir schon erzählt, dass ...«

Guter Einwand mit dem Handy, fand Dominic und nickte schweigend, David weiter zuhörend. Es war entspannend, dessen Stimme zu hören, sich die Neuigkeiten aus Baltimore erzählen zu lassen und nebenbei darauf zu warten, dass der Kaffee durchlief. Seit ihrem letzten Telefonat hatte sich nicht viel verändert, weder in Baltimore, bei David und Adrian, noch bei allen anderen Jungs, die sie zu ihrem Freundeskreis zählten. Es lief alles seine geregelten Bahnen, und als David begann über Weihnachtspläne zu reden, fiel Dominic abrupt ein, dass er keine Ahnung hatte, ob Andrew überhaupt im Besitz von Weihnachtsdekoration war, und falls nicht, dass er sich welche besorgen musste.

»Hörst du mir überhaupt zu?« Davids empörte Frage riss Dominic aus seiner Grübelei, ob er auf dem Speicher wohl fündig werden würde, was weihnachtliche Dekoration betraf.

»Ja, sicher«, antwortete er. »Ich überlege gerade, ob ich den Speicher nach Weihnachtszeug durchsuchen soll. Ich habe keine Ahnung, ob Andrew so etwas besaß.«

»Du meinst diesen Speicher, in dem mehr Spinnen wohnen, als im Wald vor deiner Haustür?«, fragte David amüsiert und Dominic schauderte bei dem Gedanken.

Genau aus dem Grund hatte er bislang jeden Gang auf den Speicher tunlichst vermieden. Spinnen waren widerlich. Diese Viecher mit ihren acht Beinen und den unzähligen Augen, die einen anstarrten und ... Dominic schüttelte die Gänsehaut ab, die ihn bei der Vorstellung befallen wollte, als er David lachen hörte. »Ich wäre lieber still, wenn ich du wäre. Du magst diese Krabbler schließlich genauso wenig wie ich.«

»Ich weiß«, stimmte David ihm zu. »Aber ich muss trotzdem jedes Mal darüber lachen. Tut mir leid.«

»Tze«, maulte Dominic, lächelte aber im nächsten Moment bereits wieder. »Was macht deine neue Ausstellung und, noch viel wichtiger, was macht dein Anwalt?«

»Im Westen nichts Neues«, antwortete David und ehe Dominic reagieren konnte, polterte es durchs Telefon. »Mist. Ich wusste, dass der Nagel nicht hält, aber dieser Sturkopf von Anwalt musste ja wieder seinen Willen durchsetzen.«

Dominic schüttelte grinsend den Kopf. »Sturkopf? Seinen Willen durchsetzen? Das erzählte ich Adrian bei Gelegenheit.« David schnaubte nur, was ihn lachen ließ. »Was ist denn diesmal zu Bruch gegangen?«, wollte er dann neugierig wissen.

David seufzte. »Er hat mir letzte Woche eine von diesen tollen Gartenlaternen zum Aufhängen geschenkt, und wollte sie unbedingt allein an der Veranda festmachen.«

»Allein? Warum hat er denn nicht Nick gefragt?«, wunderte sich Dominic verblüfft, denn wenn Adrian Quinlan eines nicht war, dann handwerklich begabt. Er war wirklich ein erstklassiger Anwalt und er war David auch ein toller Ehemann, aber einen Hammer sollte man diesem Mann niemals freiwillig in die Hand geben. Beim letzten Mal hatte er, statt eines Nagels, ein tiefes Loch in die Wand geschlagen. Davor hatte Adrians Daumen dran glauben müssen und davor wiederum ...

Dominic kicherte bei der Erinnerung daran, wie Adrian, bei dem Versuch ein Bild aufzuhängen, plötzlich nur noch einen Griff in der Hand gehabt hatte, weil sich der Hammerkopf gelöst und beinahe Nick getroffen hatte.

»Sehr witzig«, murrte David, lachte dann aber mit mit ihm. »Tja, die Laterne ist jedenfalls hin.«

»Hat Adrian noch alle Finger?«

»Dom!«

Dominic prustete los. »Sorry, aber du weißt sehr wohl, dass diese Frage berechtigt ist. Irgendwann bringt er sich noch mal um. Erinnere dich nur an seinen letzten Versuch mit der Bohrmaschine.«

»Bloß nicht«, wehrte David beinahe schon entsetzt ab. »Ich hätte niemals gedacht, dass es etwas gibt, von dem Adrian keine Ahnung hat, aber im handwerklichen Bereich hat er eindeutig zwei linke Hände.«

Und das war noch höflich ausgedrückt, fand Dominic, denn die Aktion mit der Bohrmaschine hatte die Garage der beiden fast in ein Trümmerfeld verwandelt, weil Adrian es irgendwie geschafft hatte, über das Stromkabel zu stolpern, mit der Bohrmaschine dabei in ein Regal gekracht war und dieses dann gegen einen Stützbalken gefallen war, der Gott sei Dank gehalten hatte. Und noch mal Gott sei Dank, war Adrian bei der ganzen Aktion nichts passiert. Nun ja, von einem verstauchten Finger einmal abgesehen. Dieser meistens recht ernste und immer so korrekte Anwalt, wurde zum größten Chaoten, sobald Handwerksgeräte im Spiel waren.

»Du solltest das ganze Zeug heimlich verschwinden lassen und es auf Diebe schieben«, überlegte Dominic laut und grinste, als David lachte.

»Das würde er bemerken, dafür kennt er mich zu gut und weiß, was ich davon halte, wenn er wieder einen seiner Anfälle hat und unbedingt etwas bauen will. Möglicherweise hätte ich beim letzten Mal nicht demonstrativ unser Telefon in der Hand behalten sollen, um im Fall der Fälle gleich die 911 anrufen zu können.«

Dominic konnte nicht anders, als erneut zu lachen. Diese beiden, ein Künstler und ein Anwalt, passten so perfekt zusammen wie Topf und Deckel. Obwohl er von solchen Sprüchen eigentlich nichts hielt, in dem Fall stimmte es, denn David war glücklich mit Adrian und der mit David. Und nur darauf kam es schließlich an.

Ein herrisches Kratzen an der Außentür, die von der Küche in seinen Garten hinausführte, erregte Dominics Aufmerksamkeit. Das konnte doch nur einer sein. »Warte mal kurz«, bat er und entriegelte die Tür, um Montana reinzulassen, der ihn aus dunklen Augen vorwurfsvoll ansah, um danach hoheitsvoll zu seinem Napf hinüber zu laufen und sich demonstrativ vor ihn zu setzen. Dominic stöhnte auf. »Du bist so was von verwöhnt, dass du echt glaubst, ich springe, sobald du mich auch nur anguckst, oder?« Der große, graue Kater, den er mit Andrews Haus schlichtweg mitgeerbt hatte, maunzte zustimmend und Dominic musste erneut lachen, genau wie David.

»Du und ein Kater als Haustier, ich kann es immer noch nicht ganz glauben.«

»Es gab ihn nun mal umsonst dazu«, sagte Dominic schulterzuckend und holte die Dose mit dem Katzenfutter aus dem Kühlschrank, bevor Montana noch auf die Idee kam, ihm in die Hacken zu beißen, damit er sich gefälligst etwas beeilte.

Dieser freche Kater war sich wirklich für nichts zu fein, sobald es um seinen Magen ging, das hatte Dominic bereits mehr als einmal schmerzhaft feststellen müssen. Er war immer noch erstaunt darüber, dass das Tier ihn überhaupt ohne Protest als neuen Hauseigentümer und damit als neues Herrchen akzeptiert hatte.

»Hier, du Vielfraß«, murmelte er und stellte den jetzt mehr als vollen Napf auf den Boden.

»Ist er eigentlich pflegeleicht?«, wollte David wissen.

»Keine Ahnung«, antwortete Dominic. »Ich hatte noch nie eine Katze. Er kommt und geht, wie es ihm passt, benutzt das Klo, wenn ich ihn nicht vorher raus lasse, und wird eigentlich nur rabiat, wenn ich das Futter nicht schnell genug hinstelle.«

»Schmust er?«

»Und wie. Aber nur, wenn er will.« Dominic grinste. »Dann ist er allerdings noch schlimmer als dein verrückter Hund. Außer, dass ich bisher keine feuchte Katzenzunge im Gesicht hatte, hat Montana an kuscheln und schmusen alles zu bieten.«

»Bezeichne Minero nicht als verrückt.« David kicherte. »Cameron hat nach dir gefragt«, meinte er im nächsten Augenblick übergangslos und Dominic erstarrte.

Cameron Salt war Davids ehemaliger Physiotherapeut, der David in den ersten Wochen und Monaten nach seinem Unfall das Laufen wieder beigebracht hatte, und obwohl David ihn mittlerweile nicht mehr als Therapeut brauchte, waren er und Cameron Freunde geblieben und trafen sich regelmäßig.

»Warum?«, wollte er schließlich wissen.

»Oh, nur so. Wir waren letzte Woche zusammen essen. Danach hat er mich in einen Buchladen geschleppt und nebenbei gefragt, was du so machst und wie es dir geht.«

»Was hast du gesagt?«, wollte Dominic wissen und kämpfte nebenbei gegen das eben noch nicht dagewesene flaue Gefühl im Magen an.

»Das Übliche«, antwortete David. »Es ginge dir gut und du bist irgendwo in Maine, so wie du mich gebeten hast.«

Dominic ertappte sich dabei, wie er verlegen auf die Bodenfliesen starrte, die dringend gewischt werden sollten, und sich fragte, ob er mit seiner Bitte von David nicht zu viel verlangte. Immerhin log der seinetwegen seit Monaten ihre gemeinsamen Freunde an. »Ich bin ein Arschloch, oder?«

David seufzte. »Ja und nein. Ja, weil ich nicht gern die Leute belüge, die mir wichtig sind. Nein, weil ich verstehe, warum du mich darum gebeten hast. Du brauchst eine Auszeit und ich werde das nicht torpedieren. Ich werde dich auch nicht nach dem Grund fragen, warum du seit einer Weile immer so wortkarg wirst, wenn die Sprache auf Cameron kommt.«

Mist. Dominic verzog das Gesicht.

Er hätte sich denken können, dass es seinem Freund auffallen würde. Sein Problem an der Sache war nur, auch wenn David ihn danach gefragt hätte, Dominic hätte ihm keine Antwort geben können. Er wusste nicht, was der Grund dafür war, dass ihm allein bei der Erwähnung des Namens von Davids Physiotherapeut regelmäßig komisch wurde. Das berühmte, mulmige Gefühl im Magen, oder wie immer man das nennen sollte.

»Willst du vielleicht darüber reden?«, fragte David mitfühlend, als sein Schweigen offenbar zu lange dauerte, und Dominic schüttelte den Kopf.

»Nein«, murmelte er, als ihm einfiel, dass David ihn nicht sehen konnte. »Ich muss erst darüber nachdenken.«

»Okay«, sagte David schlicht und meinte es auch so, und das war einer der Gründe, warum Dominic ihn seinen Freund nannte, denn David bedrängte ihn nicht zum Reden, solange er das nicht wollte. »Mist verdammter.«

»Was ist?«, fragte Dominic alarmiert.

»Ich habe die Zeit vergessen. Adrian kommt gleich und ich wollte kochen.«

Dominic blinzelte irritiert. »Du kochst?«

»Ich versuche es zumindest«, schränkte David amüsiert ein, kein bisschen beleidigt über seine Verwunderung. »Also falls du nachher ein starkes Beben spürst, habe ich vermutlich unsere Küche in die Luft gejagt.«

Sie verabschiedeten sich unter viel Gelächter und einigen frechen Neckereien seinerseits, und Dominic entschied danach, dass er gleich all seinen Mut zusammennehmen und den Speicher erobern würde, auch auf die Gefahr hin, dort einer Armee von dicken Spinnen gegenüberzustehen und schreiend davonzulaufen. Gott sei Dank konnte ihn niemand sehen, dachte Dominic, als er ein paar Minuten später, bewaffnet mit einer Fliegenklatsche und Insektenspray, nach oben ging.

»Was hast du denn gemacht?«, fragte Maggie ihn am nächsten Morgen, die mit ihrem Mann Kyle den kleinen Gemischtwarenladen unterhielt, in dem er gerne einkaufte, und sah ihn verblüfft an. »Bist du überfallen worden?«

Dominic verkniff sich ein Seufzen, da sie schon die siebente Person heute war, die ihn das fragte, und versuchte sich an einem völlig unschuldigen Blick. »Das war ein Unfall.«

Dabei hatte er vorhin nur schnell zur Bank gewollt, um ein paar fällige Rechnungen zu bezahlen, und er war extra früh gegangen, in der Hoffnung, dass ihm dort keiner über den Weg lief, den er kannte, um das Missgeschick von gestern nicht erklären zu müssen.

Natürlich war er auf die halbe Stadt getroffen, beziehungsweise auf genau den Teil, den er kannte. Angefangen vom uralten Fred samt seiner Anna an der Hand, hin zu Franklin, und zuletzt war ihm auch noch Melissa über den Weg gelaufen, die zwar umwerfend Brot backen konnte, aber gleichzeitig leider auch die Klatschbase in der Stadt war. Das war der Nachteil an Kleinstädten. Jeder kannte jeden und Neuigkeiten, ganz egal welcher Art sie waren, verbreiteten sich schneller als die Polizei erlaubte, was auch auf seinen Unfall zutraf.

Maggie kam hinter der Kasse hervor und baute sich mit einem mütterlich strengen Blick vor ihm auf. »Wenn ich das sagen würde, mit meinen gerade mal 1,60m an Körpergröße, und dabei so ein Veilchen im Gesicht hätte wie du, würde irgendwer die Cops rufen, weil man denken würde, Kyle hätte mich verprügelt. Bei dir mit deinen knappen 1,90m zieht das allerdings nicht. Also? Was ist passiert?«

Normalerweise hätte er einfach das Blaue vom Himmel gelogen, nur um nicht die peinliche Wahrheit gestehen zu müssen, aber das würde Maggie ihm mit Sicherheit übel nehmen, so besorgt wie sie ihn und sein Veilchen zurzeit musterte. Dominic seufzte und gab nach. »Die Spinne war schuld.«

Maggie runzelte die Stirn. »Eine Spinne?«

»Ja, die auf Andrews Speicher. Ich habe sie erst gesehen, als das riesige Biest schon auf meiner Schulter saß, und ich hasse Spinnen. Und ... Na ja ... Bei dem Versuch sie loszuwerden, bin ich gegen die Tür gestolpert.« Maggies Mundwinkel begannen verdächtig zu zucken. »Erzähl das bitte nicht Kyle.«

»Zu spät«, meinte der auf einmal hinter ihm und Dominic stöhnte auf. Im selben Moment fingen die beiden an zu lachen.

»Ich kann euch gerade überhaupt nicht leiden«, murrte er und kam doch nicht um ein Grinsen herum, als Maggie ihn unterhakte und dann mit sich durch die Gänge zog, direkt auf die Weihnachtsdekoration zu, dabei immer noch lachend.

»Anna hat mich natürlich längst angerufen und es mir erzählt, aber ich konnte nicht anders, als dich zu necken. Noch dazu kann ich Spinnen genauso wenig leiden wie du, willkommen im Club also.« Sie ließ von ihm ab, stemmte ihre Hände in die Seiten und schaute ihn fragend an. »So! Da wären wir. Was brauchst du denn?«

Dominic sah ratlos auf die Kugeln, Sterne, Holzpyramiden, Rahmen mit Kerzen für das Fenster, Lichterbögen und Unmengen von anderem Glitzer- und Kleinkram. »Alles? Andrew hatte nur eine Holzpyramide auf dem Speicher, die ich aber erst mal in Schuss bringen muss.«

»So eine große?«, überlegte Maggie. »Drei Stockwerke und ein tanzender Engel obendrauf?«

»Genau«, nickte Dominic verwundert. »Du kennst sie?«

»Ja«, antwortete Maggie und lächelte dabei wehmütig. »Die hat seiner Frau gehört. Nachdem sie starb, hat er sie nicht mehr aufgestellt.« Sie zwinkerte ihm zu. »Sag mir Bescheid, wenn du für die Pyramide Ersatzteile brauchst. Sie ist viel zu schön, um nicht wieder benutzt zu werden. Aber erst mal kümmern wir uns jetzt darum, dass dein Haus bald weihnachtlich aussieht.«

2. Kapitel

Mein geliebter Sohn,

man sollte annehmen, dass Menschen ab einem gewissen Alter mit genügend Verstand gesegnet sind, um zu wissen, wann sie Fehler machen. Allerdings sieht die Realität diesbezüglich ziemlich lasch aus. Die meisten Menschen haben zwar den Verstand, machen aber mit Begeisterung ständig kleine und auch große Fehler und nennen ihre Unfähigkeit dann lapidar Erfahrungen sammeln.

Ich nehme mich davon nicht aus, ganz im Gegenteil. Fehler habe ich genug gemacht, aber ich habe wenigstens den Schneid mir selbst einzugestehen, dass ich Blödsinn veranstaltet habe und immer noch veranstalte.

Ich weiß nicht mehr, wann mir das zum ersten Mal bewusst geworden ist, aber ich weiß, wann ich den Punkt überschritt, an dem ich mich nicht länger mit meiner Unfähigkeit herausreden konnte, wie die meisten anderen Menschen es ihr ganzes Leben lang tun. Bin ich zynisch geworden mit der Zeit? Ja, wahrscheinlich. Ziemlich sicher sogar. Wer sein Leben hinter verschlossenen Türen und mit Eisengittern vor den Fenstern verbringt, so wie ich es tue, wird irgendwann entweder zynisch oder verrückt.

Da mir Letzteres bereits vor Jahren als Diagnose gestellt wurde, muss ich mich wohl auf den Zynismus berufen.

Es ist nicht immer leicht, diesen Zynismus stecken zu lassen, um sich keine Feinde zu machen. Davon habe ich auch hier genug. Die Pfleger sind böse zu mir, wenn ich meine Pillen nicht nehmen will. Dabei frage ich mich, was falsch daran ist, einen klaren Kopf behalten zu wollen, um dir weiter schreiben zu können. Aber nein, ich muss ja meine bunten Pillen nehmen.

Wie das Schicksal es so will, haben viele Menschen nicht nur mit dem Thema Unfähigkeit so ihre Probleme, sondern auch mit dem in meinen Augen harmlosen Wort Zynismus. Ich bin keine Frau, die Menschen allgemein hasst, auch wenn es heute wohl danach klingt, ich kann nur mit den meisten Leuten, die hier leben, nicht das Geringste anfangen. Ein paar von ihnen sabbern den ganzen Tag. Oder sie kichern ständig, als wären sie verrückt.

Dein Vater hat nie gekichert. Er hat gelacht. Ein wunderschönes Lachen. Ich kann es immer noch hören.

Es tut mir leid, Dominic. Ich weiß, dass ich heute anders bin, als ich sein will. Und ich weiß auch, dass diese verdammten Pillen mich mehr und mehr in etwas verwandeln, dem die meisten Leute lieber aus dem Weg gehen. Ich will das aber nicht. Ich will nicht zu diesen sabbernden und kichernden Dingern werden, die in all den anderen Zimmern ihr Dasein fristen. Ich will ich sein. Deine Mum.

Und am liebsten würde ich für immer und ewig vergessen, was der Grund dafür ist, dass ich hier sein muss und nie wieder deine Mum sein kann. Doch mein Unterbewusstsein sorgt mit schöner Regelmäßigkeit dafür, dass ich es nicht tue.

Ich liebe dich, mein Sohn, und ich wünschte, diese Albträume würden endlich aufhören.

Sei immer stark,

Mum

Eine Woche später war Dominic immer noch damit beschäftigt, einen Platz für die ganze Weihnachtsdekoration zu finden, die er mit der Hilfe von Maggie für sein Haus ausgesucht hatte, und langsam aber sicher musste er fertig werden, denn das Wochenende stand vor der Tür und damit der erste Advent.

Andrews alte Pyramide stand bereits, denn die hatte er zuerst instandgesetzt und seither wartete sie auf der Kommode im Wohnzimmer darauf benutzt zu werden.

Aber für heute war Schluss mit dem Dekorationsmarathon. Er hatte Hunger und war müde, und deshalb räumte Dominic die letzten beiden Tüten einfach beiseite und ging rüber in die Küche, um sich etwas zu essen zu machen, Montana zu füttern und danach mit einer Kanne Tee ins Wohnzimmer hinüberzugehen, um vor dem Schlafengehen etwas fernzusehen. Dominic hatte es sich gerade auf der Couch gemütlich gemacht, als sein Handy zu klingeln begann. Nach einem Blick auf die Uhr, es war nach neun Uhr abends, entschied er, David zu ignorieren. Wenn es wirklich wichtig war, würde der ihm eine Nachricht schicken, das hatten sie so ausgemacht. Ansonsten konnte es bis morgen waren.

Dominic zappte durchs Programm, als das Klingeln aufhörte, und blieb bei Der Grinch hängen, einer der Filmklassiker für Weihnachten schlechthin. Den kannte er zwar in und auswendig, aber um den Abend gemütlich ausklingen zu lassen, war der Film genau richtig. Montana sprang zu ihm auf die Couch, maunzte und rollte sich dann auf der Decke zusammen, die er für den Kater hingelegt hatte. Dominic betrachtete den Stubentiger schmunzelnd und trank einen Schluck Tee, um im nächsten Moment die Stirn zu runzeln, als ein lautes Piepen seines Handys ihm eine eingegangene Nachricht ankündigte. Scheinbar war es wichtig. Dominic nahm sein Handy vom Couchtisch und rief die Nachricht auf.

Bitte geh ran!

Noch bevor er sich über die Dringlichkeit wundern konnte, begann sein Handy wieder zu klingeln. Dieses Mal nahm er sofort ab. »Was ist denn los?«, fragte er, ohne einen Gedanken an eine Begrüßung zu verschwenden.

»Cameron ist weg«, antwortete David beunruhigt und Dominic konnte Adrian im Hintergrund mit jemandem diskutieren hören. »Adrian gibt gerade eine Vermisstenanzeige für ihn auf«, erklärte David ihm im nächsten Moment. »Ich dachte mir zuerst nichts dabei, als er heute früh nicht wie verabredet zum Frühstück kam, weil ich vergessen hatte, unseren Anrufbeantworter abzuhören. Er sagt immer Bescheid, falls ihm etwas dazwischenkommt. Aber vorhin war ich noch in der Galerie, weil ich mit Maddison etwas wegen der neuen Ausstellung besprechen wollte, und sie ist doch in Behandlung bei ihm.«

Dominic nickte nur. Das wusste er alles. David konnte langsam mal zum Punkt kommen. »Was hat sie gesagt?«, fragte er, während ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Cameron wurde vermisst. Großer Gott, wenn dem Mann etwas passiert war, würde es David das Herz brechen.

»Es gab einen Unfall in der Klinik.« David schluckte hörbar für ihn durchs Telefon. »Eines seiner Kinder ist ihm mitten in der Reha an einer Gehirnblutung weggestorben. Er war mit ihr im Wasser und hat es erst gemerkt, als sie schon tot war.«

»Mein Gott«, murmelte Dominic entsetzt und ließ sich nach hinten gegen die Couch sinken. »Wie lange ist das her?«

»Zwei Tage, inklusive heute. Sein Chef hat ihn danach nach Hause geschickt, weil er einen Schock hatte. Kein Wunder. Seither hat ihn niemand gesehen. Adrian war vorhin mit Nick bei Camerons Wohnung. Nichts. Der Vermieter hat ihnen geöffnet, als er erfuhr, worum es ging, aber die Wohnung sieht normal aus. Abgesehen von der Tatsache, dass Kleidungsstücke fehlen. Adrian vermutet, er hat sich abgesetzt, aber das Abklappern von Freunden und Bekannten hat bisher nichts gebracht. Nick klingelt jetzt sämtliche Krankenhäuser, Flughäfen und Bahnhöfe durch, und ich wollte dir ... Also, ich wollte ...«

David geriet ins Stottern und Dominic kam ein Verdacht. »Er weiß, wo ich bin, oder?«

»Ja«, gab David leise zu und sprach gleich weiter, ehe Dominic ihn anschreien konnte. »Bitte sei nicht sauer. Ich brauchte jemand zum Reden und er hat natürlich gemerkt, wie stark es mir an die Nieren geht, weil du weggegangen bist. Und den Anderen durfte ich doch nichts sagen.«

Mist. Wie sollte er David denn jetzt noch böse sein? Immerhin war es seine Schuld, dass der überhaupt erst in die Lage gekommen war, für ihn lügen zu müssen. Dominic seufzte. »Es tut mir leid, David. Ich wollte nicht, dass du ... Ach, Scheiße.«

»Es ist okay«, beschwor ihn David. »Ich weiß, dass du diese Zeit für dich brauchst, und vielleicht taucht Cameron morgen schon wieder auf, wer weiß das schon?« David räusperte sich, was Dominic verriet, dass sein Freund allerdings nicht daran glaubte, dass Cameron allzu bald wieder bei ihnen auftauchte. »Und ... Na ja ... Ich wollte dich wenigstens vorwarnen, falls er zu dir kommt.«

Da war etwas in Davids Stimme, was ihn aufhorchen ließ. »Wieso sollte er ausgerechnet bei mir auftauchen?«

»Keine Ahnung, aber möglich wäre es doch, oder?«

Die Erkenntnis traf ihn wie die sprichwörtliche Faust mitten ins Gesicht. David log ihn an. Dominic konnte nicht erklären, warum er sich dessen so sicher war, aber er wusste es einfach. »Du lügst mich an.« David schwieg, was ein Schuldeingeständnis war. Dominic verkniff sich einen lästerlichen Fluch. »Was verschweigst du mir?«, schaffte er stattdessen ruhig zu fragen, auch wenn es tief in ihm heftig zu brodeln begann.

»Er mag dich«, antwortete David und Dominic ahnte, dass da noch etwas nachkam, als David in der nächsten Sekunde seufzte. »Obwohl mögen nicht gerade das Wort ist, was ich dafür verwenden würde, um ehrlich zu sein.«

Verdammt! Dominic schloss gequält die Augen. Er hatte es gewusst. Schon an dem Tag, als sie sich im Krankenhaus nach Davids schwerem Unfall das erste Mal über den Weg gelaufen waren. Schon damals war da irgendetwas gewesen, das er weder greifen, noch in Worte hatte fassen können. Aber er hatte es von Beginn an gespürt. Vielleicht waren es die merkwürdigen Blicke gewesen, die Cameron ihm immer wieder heimlich zugeworfen hatte, und die er wider besseres Wissen schlichtweg ignoriert hatte, weil er nichts mit ihnen anzufangen gewusst hatte. Jetzt war Dominic klar, warum ihm diese Blicke so seltsam vorgekommen waren. Jetzt kannte er den Grund. Nur was fing er mit der Erkenntnis an, dass Cameron Salt offensichtlich in ihn verliebt war?

Der erste Advent kam und ging.

Genauso wie der erste Schneesturm, der in der Nacht von Sonntag auf Montag wieder für Stromausfälle und blockierte Straßen sorgte.

- Ende der Buchvorschau -

Impressum

Texte © Copyright by Mathilda Grace Am Chursbusch 12 44879 Bochum [email protected]

Bildmaterialien © Copyright by Foto: Myriams-Fotos; Pixabay Coverdesign: Mathilda Grace

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ISBN: 978-3-7393-1032-9