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Cord Wilks hat seine Zukunft seit jeher klar vor sich gesehen. Er möchte eine Frau und Kinder, weil eine eigene Familie immer sein größter Wunsch war. Für das Sexuelle gibt es schließlich einschlägige Clubs oder Callboys. Nur hat er mit Mitte Vierzig immer noch keine passende Frau gefunden und sein schwules Sexleben liegt brach, seit er Connor Alexander kennengelernt hat. Jenen Traumatherapeuten, der seinem Schwager geholfen hat, ins Leben zurückzufinden, und der ihn auf eine Art und Weise ansieht, die Cords Nacken jedes Mal aufs Heftigste prickeln lässt. Blöd nur, dass Connor kein Interesse an einer heißen Affäre hat und auch nicht im Traum daran denkt, neben seiner zukünftigen Ehefrau das fünfte Rad am Wagen zu spielen.
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Seitenzahl: 427
Veröffentlichungsjahr: 2019
Mathilda Grace
BLIND FÜR DIE WAHRHEIT
Blind für die Wahrheit
1. Auflage, September 2019
Impressum
© 2019 Mathilda Grace
Am Chursbusch 12, 44879 Bochum
Text: Mathilda Grace 2018
Foto: SplitShire; Pixabay
Coverdesign: Mathilda Grace
Korrektorat: Corina Ponta
Web: www.mathilda-grace.de
Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.
Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden.
Danksagung
Mein Dank geht an Frau Mag. rer. nat. Corina Ponta, die mir in allen Fragen rund um die Themen Missbrauch und Traumabewältigung mit ihrer fachlichen Kompetenz beratend zur Seite stand.
Sidestory zu »In Erfüllung seiner Pflicht«
- Drama -
Liebe Leserin, Lieber Leser,
ohne deine Unterstützung und Wertschätzung meiner Arbeit könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.
Mit deinem Kauf dieses E-Books schaffst du die Grundlage für viele weitere Geschichten aus meiner Feder, die dir in Zukunft hoffentlich wundervolle Lesestunden bescheren werden.
Dankeschön.
Liebe Grüße
Mathilda Grace
Cord Wilks hat seine Zukunft seit jeher klar vor sich gesehen. Er möchte eine Frau und Kinder, weil eine eigene Familie immer sein größter Wunsch war. Für das Sexuelle gibt es schließlich einschlägige Clubs oder Callboys. Nur hat er mit Mitte Vierzig immer noch keine passende Frau gefunden und sein schwules Sexleben liegt brach, seit er Connor Alexander kennengelernt hat. Jenen Traumatherapeuten, der seinem Schwager geholfen hat, ins Leben zurückzufinden, und der ihn auf eine Art und Weise ansieht, die Cords Nacken jedes Mal aufs Heftigste prickeln lässt. Blöd nur, dass Connor kein Interesse an einer heißen Affäre hat und auch nicht im Traum daran denkt, neben seiner zukünftigen Ehefrau das fünfte Rad am Wagen zu spielen.
Prolog
Cord
»Du willst nicht mich, Cord. Du suchst bloß ein dummes, kleines Blondchen, das sich mit deiner Vorstellung einer heilen Familie zufrieden gibt. Die dich heiratet, für dich zwei Kinder wirft und sich dann um Haus und Herd kümmert, während du dich abends durch fremde Betten vögelst und tagsüber kleine Kinderseelen rettest.«
Amber wirft mir einen angewiderten Blick zu und legt ihre Unterwäsche zurück in die Tasche, die sie erst vor einer Stunde ausgepackt hat, um das Wochenende bei mir zu verbringen. Ein Wochenende, das nun nicht mehr stattfinden wird, und ich schätze, es wird auch kein anderes geben. Jedenfalls nicht mit ihr. Dabei frage ich mich immer noch, was falsch gelaufen ist. Wir haben uns zur Begrüßung geküsst, ich hatte für uns ein Abendessen gekocht und dachte, wir könnten vorher noch eine heiße Nummer dazwischenschieben. Vielleicht hätte ich nicht versuchen sollen, sie zu überreden?
»Ich dachte, du wärst der Richtige. Das dachte ich wirklich, denn ich habe dich sehr gern, Cord. Aber irgendetwas stimmt nicht mit dir. Ich bin nicht hergekommen, um Sex zu haben, ich wollte Zeit mit dir verbringen. Dich besser kennenlernen, aber ich schätze, das interessiert dich überhaupt nicht. Du magst ein sehr guter Kinderpsychologe sein, aber privat, als Mensch, bist du einfach nur ein Arschloch.« Sie legt sich den Riemen ihrer Tasche über die Schulter und sieht mich mitleidig an. »Such dir Hilfe. Wir leben im 21. Jahrhundert, Frauen sind schon längst keine Gebärmaschinen oder Haushälterinnen mehr. Die Zeiten haben wir, Gott sei Dank, hinter uns.«
»Amber ...«
»Nein!«, unterbricht sie mich rigoros und drängt sich an mir vorbei aus dem Schlafzimmer. »Ich bin keine Nutte und ich lasse mich nicht so behandeln.«
Wie bitte? Das ist doch wohl nicht ihr Ernst. »Ich habe dich nie wie eine … Amber!«
»Was?« Sie fährt sichtlich erbost zu mir herum. »Gefällt dir die Wahrheit nicht? Wir hatten immer nur Sex, Cord. Er war toll, das bestreite ich nicht, und ich kann auch nicht behaupten, dass du kein aufmerksamer Mann wärst. Aber es läuft immer alles nur zu deinen Bedingungen. Du gibst nichts von dir preis. Wenn ich frage, wie es deinem Bruder geht, blockst du ab. Will ich wissen, wie dein Tag war, blockst du ab. Ich kann dir alles erzählen und du hast immer einen Rat für mich, aber du lässt mich nicht an dich heran. Gäbe es nicht die ganzen Bilder an den Wänden, wüsste ich nicht mal, dass du eine Familie hast. Wir treffen uns seit Monaten und ich habe keinen von ihnen je getroffen. Du siehst es nicht so, ich weiß, aber du behandelst mich wie eine Nutte, die man sich nach Hause bestellt, sobald man Druck hat. Das einzige, was zwischen uns dabei fehlte, war die Bezahlung. Leb wohl, Cord.«
Die Tür knallt hinter Amber zu und zurück bleibt Stille, bis Sammy sich aus dem Wohnzimmer traut und leise jaulend um meine Beine streicht. Ich nehme ihn hoch und kraule ihn hinter den Ohren, weil er das liebt und weil er scheinbar der einzige ist, der mich so nimmt, wie ich bin.
Mein Handy piept und das kann eigentlich nur einer sein. Ich ziehe es aus der Tasche und rufe die Nachricht auf.
Sie hat sexy Beine und ist stinksauer.
Ich schätze, mein Hintern bleibt weiter unberührt.
Dieses gottverdammte Arschloch. Wieso tut er das? Warum lässt er mich nicht einfach in Ruhe? Ich hätte mich nie auf sein bescheuertes Spiel einlassen sollen, aber beim ersten Mal fand ich es aufregend und irgendwie auch lustig, dabei sollte ich es in meinem Alter eigentlich besser wissen. Doch jetzt ist es zu spät und ich werde ihn nicht mehr los. Wahrscheinlich steht er wieder draußen auf der anderen Straßenseite und beobachtet mein Haus. Wie ein unheimlicher Stalker, der er nicht ist, und das ist auch der einzige Grund, warum ich noch nie die Polizei gerufen habe. Für ihn gehört das zum Spiel und es ist ein Spiel, das er gewinnen will, seit er mir ins Gesicht gesagt hat, dass er mich ficken will und dass er mich auf gar keinen Fall mit einer Ehefrau teilen wird.
Anschließend gab irgendwie ein Wort das andere, bis ich zum Schluss zugestimmt hatte, sein Spiel zu spielen.
Es war einfach zu verlockend. Ich bekomme seinen Arsch, wenn ich eine Frau finde, die sich auf mich einlässt. Auf meine Pläne für Haus, Kinder und Familie. Und er bekommt meinen Arsch, sollte ich fünf Mal versagen. Amber war Nummer vier und langsam beschleicht mich der Verdacht, dass ich auch bei der letzten Nummer den Kürzeren ziehen werde. Danach wäre ich fällig, aber das wird nicht passieren. Niemals. Eher springe ich von einer Brücke, als ihm oder überhaupt irgendeinem Kerl meinen Arsch zu überlassen.
Der Psychologe in mir zieht gerade eine Augenbraue sehr langsam nach oben, denn er weiß, was mit mir los ist. Genauso wie Amber es wusste, obwohl ihr eine Erklärung fehlt. Sie wird auch niemals eine erhalten. Keiner wird das. Ich werde allein damit fertig. Wozu bin ich schließlich Psychologe geworden? Ich kenne alle Tricks, alle Techniken.
Morgen habe ich die Stimme in mir, die mich in den letzten Monaten immer heftiger in seine Richtung drängt, wieder zum Verstummen gebracht.
Ich brauche Doktor Connor Benjamin Alexander nicht.
Und ich werde dieses verfluchte Spiel gewinnen!
Kapitel 1
Cord
Braungebrannt und mit einem breiten Grinsen im Gesicht baut sich Garrett dicht vor mir auf. Er sieht gut aus. Zufrieden. Glücklich. Fröhlich. Genauso wie seine beiden Männer, die ihm schmunzelnd folgen, je einen Koffer an beiden Händen.
Als Garrett mir eine Nachricht schrieb und fragte, ob ich sie vom Flughafen abholen würde, war das keine Frage, die einer Antwort bedurfte. Natürlich hole ich sie ab, immerhin möchte ich wissen, wie es Garretts ewigem Sorgenkind geht. Und ich wollte mir auch ein Bild von ihm und Kade machen, aber auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung zu sein. Der Urlaub hat ihnen sichtlich gut getan und der Roadtrip einmal kreuz und quer durch Australien hat bei allen für reichlich Farbe auf der Haut gesorgt, auch wenn mir Garretts Nase etwas zu rot erscheint. Er hatte eindeutig einen Sonnenbrand.
Ich lasse mich lächelnd umarmen, auf die Schulter klopfen, schüttle Hände und sehe dann befriedigt dabei zu, wie sie sich auf Sheila und Sammy stürzen, die ich im Auto gelassen hatte. Jetzt im Winter kann man das tun, denn ich wollte sie nicht mit in den überfüllten Flughafen nehmen. Die Wiedersehensfreude dauert vor allem bei Tyler eine Weile und schließlich gesellt sich Garrett zu mir.
»Was ist los? Du bist irgendwie seltsam.«
»Seltsamer als sonst?«, frage ich neckend und mein Bruder lacht leise, bevor er den Kopf schüttelt.
»Nein, einfach anders. Als wärst du mit deinen Gedanken sonst wo, aber nicht hier.«
Er hat recht, aber das werde ich ihm nicht erzählen. Mein Bruder ist heute glücklich und soll es bleiben. Der Weg dahin war weit genug. Sie haben so lange und unzählige Rückschläge gebraucht, um Tyler zurückzubekommen, da haben sie sich ein bisschen Ruhe und Frieden redlich verdient. Ich komme schon zurecht, das tue ich schließlich immer.
»Ein neuer Klient«, sage ich schlicht, was keine Lüge ist, da ich seit heute die Akte von Thomas James Christansen, genannt TJ, auf dem Tisch habe.
Ein 15-jähriger Trotzkopf, der von mir für das Jugendamt psychologisch begutachtet werden soll, nachdem sie ihn wegen Verdachts auf familiäre Gewalt aus seiner Familie genommen haben. Trisha, die zuständige Sachbearbeiterin, mit der ich in den letzten Jahren schon mehrmals zusammengearbeitet habe, befürchtet, dass der Junge vom Vater geschlagen wird, doch nach dem Anschauen eines Gesprächs, das sie im Jugendamt mit TJ geführt und für mich auf Video aufgenommen hat, habe ich das Gefühl, dass der schlaksige Teenager größere Probleme hat, als nur einen prügelnden Vater. Obwohl das allein bereits furchtbar genug wäre.
»Schlimm?«, fragt Garrett leise und mitfühlend, hakt aber nicht weiter nach, als ich nur nicke, denn er weiß, dass mir die Schweigepflicht heilig ist und er hat genug Anstand, Bruder hin oder her, nicht weiter nachzuhaken. Das würde er nie tun, sobald es um meine Klienten geht, aber ich sehe ihm deutlich an, dass er sich Sorgen macht, also werfe ich meinen Plan, die drei zu Hause abzusetzen und zurück in die Praxis zu fahren, kurzerhand über den Haufen.
»Gehen wir was essen? Ich lade euch ein«, erkläre ich und deute auf Garretts Nase. »Und dann will ich alles über diesen roten Zinken in deinem Gesicht wissen, der eindeutig zu viel Sonne abbekommen hat.«
»Cord!«
Lachend ziehe ich ihn hinter mir her zu meinem Wagen. Ich bin gut im Ablenken und außerdem möchte ich noch ein paar Worte mit Tyler wechseln. Ich wäre ein Idiot, wenn ich mir die Gelegenheit, das zu tun, durch die Lappen gehen lasse.
Meine leichte Sorge erweist sich im Laufe der kommenden Stunde allerdings als unbegründet. Tyler geht es gut und Kade geht sehr viel ungezwungener mit ihm um, als noch vor einem knappen Dreivierteljahr, nachdem er und Garrett Huskydame Sheila für Tyler besorgt hatten. Connor hat recht, sie brauchen uns nicht mehr, obwohl ich den Psychologen in mir vermutlich nie ganz werde abschalten können, sobald es um Garrett und seine Männer geht. Er ist nun mal mein kleiner Bruder und ich will, dass er glücklich ist.
»Mum hat gefragt, wann wir mal wieder zum Essen bei ihr und Dad vorbeischauen«, sagt Garrett in die angenehme Stille hinein, die sich gebildet hat, seit wir in dem kleinen Park, den wir uns nach dem Essen gesucht haben, damit die Hunde noch eine Runde toben können, allein auf der Bank sitzen und Tyler und Kade zusehen, wie sie lachend Äste für Sheila und Sammy werfen. Sammy liebt die Hundedame der drei und umgekehrt ist es genauso. Ich habe schon darüber nachgedacht, ihn Tyler zu schenken, weil ich in letzter Zeit immer lange arbeite und es für Sammy die bessere Entscheidung wäre, wenn er in einem Zuhause lebt, wo man sich angemessen um ihn kümmert. Bei dem alten Foolish war das kein großes Problem, aber Sammy ist noch so jung. Er braucht die Gesellschaft und vor allem eine vernünftige Erziehung.
Meine drei Katzen stört es nicht, wenn ich den ganzen Tag außer Haus bin, aber für Sammy muss ich immer öfter eine Lösung finden, denn ihn in die Praxis mitzunehmen, war zwar anfangs eine gute Idee, ist aber im Augenblick nur sporadisch machbar, seit ich damit begonnen habe, mit mehreren Klienten zu arbeiten, die an Tierallergien leiden.
»Cord?«
Ich sehe entschuldigend zu Garrett. »Ja, ich weiß. Sie denkt, ich arbeite zu viel und hat mir letzte Woche angedroht, dich auf mich anzusetzen, sobald ihr wieder da seid.«
Er gluckst leise. »Ach daher weht der Wind. Und? Hat sie recht? Arbeitest du zu viel?«
»Ich denke ernsthaft darüber nach, Sammy deinem zweiten Mann zu schenken.«
Garrett sieht mich überrascht an. »Was? Aber ...«
Er bricht ab, als ich seufze und wieder zu den Hunden und Tyler und Kade sehe. »Ich habe mehrere Kinder mit Allergien, die jede Woche in die Praxis kommen, und mit meinem neuen Klienten bald so viel zu tun, dass er ständig allein wäre, wenn ich niemanden finde, bei dem er bleiben kann. Und ich will ihn auch nicht andauernd Mum und Dad aufs Auge drücken. Tyler ist nach Sammy genauso verrückt wie nach Sheila, es wäre das Beste für ihn.«
»Cord, du liebst diesen Hund.«
Natürlich liebe ich Sammy, darum zögere ich ja auch schon so lange, doch ich muss eine Entscheidung treffen. Für mehr Zeit für ihn und damit weniger Zeit für meine Klienten, oder ich wähle die Kinder, was bedeutet, Sammy muss noch länger hintenanstehen, aber das werde ich ihm nicht antun. Es wäre nicht richtig und das hat er nicht verdient. Ich kann mich nicht aufteilen und ich kann auch nicht einfach einige meiner leicht verletzlichen Klienten abgeben. Nicht jetzt, wo ich sie endlich erreicht habe und sie mir vertrauen, dass ich ihnen helfe. Dass ich für sie da bin, solange sie mich brauchen.
Der einzige, mit dem ich derzeit noch nicht mal angefangen habe zu arbeiten, ist Thomas, doch den will ich nicht an einen Kollegen weitergeben, auf keinen Fall. Warum das so ist, kann ich mir im Moment noch nicht erklären, aber ich werde mir die Zeit nehmen es herauszufinden, wenn Trisha ihn morgen zum ersten Mal in meine Praxis bringt.
Was mich wieder auf Sammy zurückbringt und ich schaue mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu, wie mein Beagle an Tyler hochspringt, der ihn lachend hinter den Ohren krault. Es muss sein. Selbst wenn es mich umbringt.
»Ich will ihn nicht weggeben, Garrett, aber mir fehlt einfach die Zeit für ihn, und das ist ihm gegenüber nicht fair. Tyler und Kade nehmen Sheila mit in die Werkstatt.« Ich sehe meinen Bruder fragend an. »Glaubst du, es würde sie stören, wenn er ab sofort …?«
»Natürlich nicht, du Idiot«, fährt Garrett mir ins Wort und verschränkt mit verärgertem Blick die Arme vor der Brust. »Du sollst ihn einfach nicht weggeben müssen.«
»Sammy ist großartig, Garrett. Ich habe nur die Wahl, ihn zu euch zu geben oder meine jungen Patienten an Kollegen zu verweisen, und das kann ich einfach nicht. Nicht jetzt, wo ich endlich zu ihnen durchgedrungen bin, verstehst du?«
»Das hätte Connor bei Tyler auch nicht getan.«
Ich verkneife mir ein erleichtertes Seufzen. Er versteht es. Es gefällt ihm nicht, aber dennoch versteht er mich. Wie konnte ich überhaupt daran zweifeln? »Diese Kinder brauchen mich. Ich kann meine Gespräche mit ihnen jetzt nicht aufgeben. Das würden sie mir nie verzeihen.«
»Und deine drei Felltiger?«, fragt Garrett, was mich grinsen lässt.
»Fressen mir weiterhin die Haare vom Kopf und sind froh, wenn sie mein Bett für sich alleine haben.«
Garrett lacht und legt einen Arm um meine Schultern. »Na gut, großer Bruder, weil du es bist. Um das Essen bei unseren Eltern am Wochenende kommst du aber trotzdem nicht herum, das ist dir doch klar, oder?«
Ich stutze irritiert. »Dieses Wochenende? Davon war vorhin aber noch nicht die Rede.«
»Das habe ich dir ja auch verschwiegen«, feixt Garrett und erhebt sich, bevor ich ihn dafür finster ansehen kann. »Tyler? Kommst du mal? Cord will dich etwas fragen.«
Ein paar Stunden später ist Sammy mit seinen Sachen, dem Hundekorb und jeder Menge Streicheleinheiten auf dem Weg in sein neues Zuhause, wo er sich schnell einleben wird. Tyler war von dem neuen Familienzuwachs begeistert und dank ihm und seiner unübersehbaren Freude bin ich von neuen Fragen aus Kades Richtung verschont geblieben. Zumindest für heute, obwohl ich mir keine Illusionen mache, dass das so bleibt. Er will wissen, was los ist, seine Blicke haben ihn verraten, und er ist bei weiten nicht so leicht zu beruhigen wie Garrett. Ich kann bei Kade nicht den Bruderbonus ausspielen, denn seit ich mich im Zuge von Tylers Therapie um ihn gekümmert habe, hat er seinen Beschützerinstinkt auf mich ausgeweitet.
Eine amüsante Geste – dachte ich anfangs zumindest. Bis er damit begann, ab und zu bei mir anzurufen, um zu fragen, wie es mir geht. Er war dabei die ersten Male derartig subtil, dass mir überhaupt nicht auffiel, dass seine Fragen wegen Tyler nur ein Vorwand waren. Dieser Mann ist gut und im Gegensatz zu Garrett, der absolut nicht lügen und sich auch nicht sonderlich gut verstellen kann, ist Kade in beidem richtig versiert. Und so brauchte es einen ganzen Sommer, bis ich dahinterkam, was er wirklich bezweckte und ihn höflich aber bestimmt abblockte.
Aufgegeben hat er deshalb aber nicht, im Gegenteil. Er hat einfach die Taktik gewechselt und ist von subtiler Höflichkeit auf direkte Ansprachen umgeschwenkt, was bedeutet, dass er, genau wie Connor Alexander, alle Nase lang uneingeladen vor meiner Haustür auftaucht. Doch während der werte Doc meist im Wagen sitzen bleibt und mich nur aus der Ferne beobachtet, klingelt Kade ungeniert an der Tür und lädt sich ungefragt, mit einer Tüte voll chinesischer Köstlichkeiten als Bestechung, zum Essen ein. Und leider liebe ich chinesisches Essen.
Darum weiß ich auch jetzt schon, dass ich davon in einigen Tagen wieder genug für zwei oder drei weitere Mahlzeiten im Kühlschrank zu stehen haben werde, aber bis dahin bleibt mir ausreichend Zeit, endlich wieder Klarschiff zu machen, mein Haus auf Vordermann zu bringen und mir eine gute Taktik zu überlegen, wie ich morgen früh den ersten Kontakt zu Thomas herstellen und am Wochenende das geplante Essen bei meinen Eltern, samt ihren gefühlt eintausend neugierigen Fragen über mein Leben, schadlos überstehen kann.
Es fühlt sich seltsam an, als ich nach dem Staubsaugen, Bad putzen und Müll wegbringen ins Wohnzimmer trete und mein Blick wie gewohnt zum Fenster schweift, wo jetzt etwas fehlt. So ohne Sammy und seinen großen Schlafkorb wirkt die Stelle leer und ich bin einen Augenblick lang versucht, die Palme ein Stück nach rechts zu verschieben, die vor dem Mauerstück zwischen meinen beiden bodentiefen Fenstern steht. Aber was würde das bringen? Das bringt mir Sammy auch nicht zurück und egal wie sehr ich mir sage, dass es richtig war, er fehlt mir jetzt schon, denn Sammy hat mich von der Sekunde an geliebt, als Garrett ihn mir vor anderthalb Jahren grinsend in die Arme gedrückt hat. Und ich musste nicht mal viel dafür tun. Hunde sind so herrlich unkomplizierte Tiere, die einem beinahe alles verzeihen und selbst dann noch begeistert an der Tür auf einen warten, wenn man sie den ganzen Tag allein gelassen hat.
Sammy hat meinem Haus Leben eingehaucht und das fehlt jetzt. Zumindest mir, denn ich bezweifle, dass Oscar, Sherlock und Harry Potter sonderlich traurig darüber sind, nicht mehr von begeistertem Bellen aus ihrem Schönheitsschlaf gerissen zu werden, sobald ich nach Hause komme. Wo stecken die drei überhaupt? Seit ich den Staubsauger rausgeholt habe, sind sie verschwunden. Wie immer. Da hat man drei riesige Kater mit genügend Fell, um sich einen Wintermantel daraus anfertigen lassen zu können, doch sobald sie meinen Staubsauger sehen, sind sie kleiner als der berühmte Fingerhut. In der Kratztonne hockt jedenfalls keiner meiner Felltiger und auch ihr großer Kratzbaum in der Ecke ist verwaist.
Mein Blick wandert durch das Wohn- und Esszimmer. Ich habe nicht viele Möbel und damit auch nicht viele Verstecke. Ein Esstisch zu meiner Rechten, weiter in der Mitte steht eine gemütliche Wohnlandschaft, davor ein Tisch und gegenüber in die Wand ist ein Kamin eingelassen, der von überquellenden Bücherregalen gesäumt wird. Ein Stück über dem Kamin hängt ein Flachbildfernseher, den ich ewig nicht mehr benutzt habe. Ich lese lieber, das war schon immer so.
Zwischen den beiden Schiebetüren, die auf meine geflieste Terrasse hinausführen, steht eine Kommode und verteilt im Raum zwei pflegeleichte Palmen. Gäbe es nicht die unzähligen Familienschnappschüsse an der Wand neben der Tür, könnte mein Wohnzimmer aus einem Musterhaus stammen.
Ein Gedanke, der mir nicht zum ersten Mal kommt, aber ich habe bisher nie einen Sinn darin gesehen, etwas an meiner Einrichtung zu ändern. Wozu auch? Erst wenn ich Kinder und eine Frau habe, wird aus diesem Haus ein echtes Zuhause für mich werden. Solange reicht das hier, entscheide ich ebenfalls nicht zum ersten Mal und gehe durch die Diele zur Treppe, die ins Obergeschoss führt. Wahrscheinlich liegen die drei friedlich beisammen in meinem Bett.
Oben gibt es, direkt angeschlossen an mein Schlafzimmer, ein großes Bad mit Wanne und einer Dusche. Den Gang runter habe ich ein zweites, kleineres Duschbad einbauen lassen. Für die Kinder. Sie werden ihre Privatsphäre wollen, wenn sie älter werden, und eines Tages werde ich mein Arbeitszimmer wohl in ein zweites Kinderzimmer umwandeln müssen. Ich möchte zwei oder drei Kinder, mehr geht räumlich einfach nicht. Und ich hoffe, dass ihre zukünftige Mutter sich nicht zu sehr daran stört, dass die Hälfte unseres Ehebetts im Augenblick wieder einmal besetzt ist.
Mit einem amüsierten Schnauben lehne ich mich mit der Schulter gegen den Türrahmen. »Euch ist schon bewusst, dass ihr unten einen deckenhohen Kratzbaum und eine kuschelige Kratztonne habt? Vom Sofa gar nicht zu reden.«
Sie gewähren mir nicht mal einen Blick. Stattdessen drehen sich ein weißes, ein braunes und ein schwarzhaariges Ungetüm im nächsten Moment gemeinsam einmal um die eigene Achse, so als hätten sie sich abgesprochen, und dann werde ich weiter stoisch ignoriert. Das ist so typisch für die Brüder, dass ich mir ein Lachen verkneifen muss.
»Und euch habe ich aus dem Tierheim gerettet. Verwöhnte Bande«, murmle ich kopfschüttelnd und mache mich auf den Weg nach unten. Es wird Zeit, etwas zu essen, und hinterher werde ich mich noch für ein paar Stunden in meine Fallakten vertiefen, die ich mir auf dem Heimweg, nachdem ich Garrett, seine Männer, Sheila und Sammy nach Hause gebracht hatte, aus der Praxis geholt habe.
Ein neuer Klient bedeutet jedes Mal einen vollständigen Neuanfang für mich und Thomas James Christansen soll nicht denken, dass ich, nur weil ich mit dem städtischen Jugendamt zusammenarbeite, zu deren oft völlig überarbeiteten und dazu chronisch unterbezahlten Psychologen gehöre, die Gutachten nach reiner Aktenlage im Akkord verfassen, weil sie für eine vernünftige Begutachtung überhaupt keine Zeit haben.
Ich nehme mir die Zeit, die ich für meine jungen Klienten brauche, und genau aus diesem Grund schickt das Jugendamt immer wieder Verdachtsfälle zu mir, obwohl ich mehr koste als so mancher meiner Kollegen. Garrett hat einmal scherzhaft zu mir gemeint, warum ich mir nicht ein paar der sogenannten Reichen und Schönen als Patienten an Land ziehe, die für ihre Haus- und Hofpsychiater gerne mal ein Vermögen ausgeben, aber dafür bin ich nicht der Typ. Ich will Menschen, vor allem Kindern und Jugendlichen, wirklich helfen, und mich nicht mit den Kinkerlitzchen verwöhnter Leute herumärgern, die schon einen Nervenzusammenbruch kriegen, wenn die Handtasche nicht zum Kleid passt oder die Paparazzi sie betrunken in einer Bar erwischt haben. Dass das bei unserem traurigen Witz von einem Gesundheitssystem nicht gerade leicht ist, weiß ich aus langjähriger Erfahrung leider nur zu gut, aber ich versuche es trotzdem immer wieder aufs Neue.
Mein Telefon klingelt, während ich dabei bin, mir ein extra dick belegtes Sandwich zu machen, und weil ich eine Hand mit Salami und die andere mit Käse voll habe, benutze ich meinen kleinen Finger, um den Anruf entgegenzunehmen, ohne vorher auf das Display zu sehen. Wahrscheinlich hat Garrett nichts zu tun oder Mum will wissen, ob ihr Jüngster gut heimgekommen ist, da sie ihn auf gar keinen Fall stören möchte, weil er ja nun mal heute erst wieder nach Hause gekommen ist.
»Wer stört mich bei meinem Abendessen?«
»Du hattest einen schönen Nachmittag, habe ich gehört.«
Mir rutscht die Salamipackung aus den Fingern und landet auf den Küchenbodenfliesen. »Mist.«
Connor lacht leise. »Du bist immer so höflich zu mir. Weißt du, ich könnte eines schönen Tages auf die Idee kommen, mir darauf etwas einzubilden.«
Das glaube ich ihm unbewiesen. Arroganter Mistkerl. »Wie soll das bitteschön gehen, bei dem großen Ego, das du bereits mit dir herumträgst?«
»Gut gekontert, Cord, das muss ich dir lassen.«
»Nicht wahr?«
»Was gibt es zum Abendessen?«
Ich schaue auf meine Küchenarbeitsfläche, die aussieht, als hätte jemand ein Massaker aus Salatblättern, Wurst, Käse und Mayonnaise auf ihr veranstaltet. »Sandwiches.«
»Wie langweilig. Ich biete mehr.«
Nicht darauf einlassen, denke ich noch und frage ihn dann doch, weil ich leider nicht anders kann. Der Mann macht mich wahnsinnig. »Vergiss es. Ich will gar nicht wissen, was du dir heute Abend für ein Fünf-Gänge-Menü zauberst.«
»Er sind keine fünf Gänge. Unter der Woche werden es nur an guten Tagen mehr als zwei. Die Gourmetküche hebe ich mir für die Wochenenden und für dich auf.«
»Ich war noch nie bei dir essen«, erinnere ich ihn eisig, weil ich selbiges auch gar nicht vorhabe, nur scheint er das ständig zu vergessen oder, was bei Connor Alexander genauso möglich ist, er ignoriert es einfach, in der Hoffnung, eines Tages seinen Dickkopf durchsetzen zu können.
»Ein Grund mehr für mich weiterhin zu üben. Irgendwann wirst du der duftenden Verführung meiner Küche folgen.«
»Werde ich nicht«, halte ich dagegen, obwohl mir bei der Vorstellung, mich in seinem Haus aufzuhalten, eine Gänsehaut über den Rücken läuft. Ich weiß, wo er wohnt, obwohl ich mich immer noch mächtig darüber ärgere, dass ich mich überhaupt dazu herabgelassen und ihm hinterher spioniert habe.
An jenem Abend fand ich es nur recht und billig, gleiches mit gleichem zu vergelten, immerhin lungert er auch ständig vor meiner Haustür herum. Keine drei Stunden später kam ich mir vor wie ein Vollidiot und bin wieder nach Hause gefahren. Und da er meinen unerwünschten Besuch bei sich seither nicht erwähnt hat, bin ich offenbar unentdeckt geblieben.
Gott sei Dank.
»Außerdem hat das Geruchstelefon noch keiner erfunden«, erkläre ich Connor trocken. »Du kannst mir also viel von einer angeblich duftenden Verführung in deiner Küche erzählen.« Schon während ich die Worte ausspreche, wird mir bewusst, wie zweideutig man sie verstehen kann. »Ich meine ...«
»Du willst in meiner Küche verführt werden?«, unterbricht mich Connor, der sich diese Steilvorlage nicht entgehen lassen kann. Was habe ich auch anderes erwartet?
»Nein!«
»Ich verstehe, du willst vorher natürlich eine ausführliche Aufzählung meiner geplanten Küchenverführung. Soll ich jede Einzelheit bis ins Detail beschreiben oder reicht dir fürs Erste ein grober Überblick?«
Um Himmels willen, bloß nicht, ist mein nächster Gedanke, denn wenn ich eines in den vergangenen drei Monaten gelernt habe, in denen er mir von Woche zu Woche etwas energischer nachstellt, dann, dass Connor Alexander ein wahrer Zauberer mit Worten sein kann. So wie ich ihn einschätze, würde es ihm sogar gelingen einem Inuit Schnee zu verkaufen. Oder einem Beduinen Sand. Oder mir ein sehr gutes Essen. Er versucht es jedenfalls regelmäßig, seit Amber im letzten Jahr, ein paar Tage nach Halloween, aus meinem Leben verschwunden ist. Und irgendwie scheint er ein inneres Gespür dafür entwickelt zu haben, sobald ich wieder anfange, mich erneut nach einer Frau umzusehen, denn kaum habe ich die nächste, mögliche Mutter meiner zukünftigen Kinder ins Auge gefasst, bringt er sich mit einem Anruf wieder in Erinnerung, was bei den letzten beiden Frauen dazu führte, dass sie nach einem ersten Date genauso schnell wieder aus meinem Leben verschwanden, wie sie darin aufgetaucht waren.
Es kommt mir langsam so vor, als gönne Connor mir nicht, mich zum fünften Mal wegen unserer blöden Wette scheitern zu sehen, doch das Schlimmste daran ist, dass mich das nicht mal ein klein wenig ärgert. Wenn ich nicht scheitere, kann er die Wette nicht gewinnen und mein Arsch bleibt unangetastet. Allerdings finde ich dann auch keine Ehefrau für die Familie, die ich mir wünsche. Ich bin mir noch nicht sicher, was davon das Schlechtere für mich ist. Im Augenblick weiß ich nur, dass eine neue Frauensuche erst mal warten muss, bis ich Thomas kennengelernt habe und einschätzen kann, ob er meine Hilfe nötig hat und sie vor allem auch will.
»Hattest du schon einmal die Akte eines möglichen neuen Patienten auf deinem Tisch und wusstest, ohne ihn je gesehen zu haben, dass er deine Hilfe braucht?«, frage ich Connor, ohne darüber nachzudenken, doch als ich ihn hinterher bitten will, das Gesagte wieder zu vergessen, kommt kein einziger Ton aus meinem Mund.
Was hat er nur an sich, dass ich seit fast einem Jahr alles versuche, um ihn von mir fernzuhalten und dennoch jedes Mal mit ihm rede, sobald er anruft oder an meiner Tür klingelt? Er ist nicht mal mein Typ. Nicht dass ich einen festgelegten Typus von Mann hätte. Bei Frauen weiß ich genau, was ich will, doch die Männer, mit denen ich mich heimlich vergnüge oder besser gesagt vergnügt habe, bis Connor Alexander auf der Bildfläche erschien, müssen einfach nur verfügbar sein und Lust auf eine schnelle Nummer haben. Ob klein oder groß, dick oder dünn, blond oder braunhaarig – ein Arsch ist ein Arsch. Und selbst wenn ich auf bärtige Riesen mit ergrauten Schläfen jenseits der Vierzig abfahren würde, wäre ich nicht so lebensmüde, mich jemals auf einen einzulassen.
»Ja«, sagt Connor auf einmal und ich blinzle irritiert. Dann fällt mir meine vorherige Frage wieder ein.
»War deine Annahme richtig? Brauchte er deine Hilfe?«
»Ja.«
»Hast du sie ihm gegeben?«
»Soweit ich konnte, ja.«
Wie meint er das? Ich runzle die Stirn. »Das heißt?«
»Er ging mir nach einigen Wochen zu nah, um ihn noch als reinen Patienten ansehen zu können. Seine Geschichte hat mich an die meines Bruders erinnert.«
Der Selbstmord. Garrett hat mir davon erzählt und ich mag mir nicht einmal vorstellen, wie schlimm es damals für Connor gewesen sein muss, den eigenen Bruder auf eine so furchtbare Art und Weise zu verlieren. Dabei hätte man ihm durchaus helfen können. Er könnte heute noch leben, wenn die US-Army weniger Geld in Waffen investieren und sich stattdessen mehr um die psychischen Probleme jener Soldaten kümmern würde, die sie schon seit Jahrhunderten von einer Hölle in die nächste schickt, um sie schlussendlich eiskalt sich selbst zu überlassen, sobald diese Männer und Frauen nicht mehr so funktionieren wie gewünscht.
Tyler ist für diese verfehlte Politik das beste Beispiel, doch er hatte Connor und dafür werde ich ihm immer dankbar sein, denn ohne seine Hilfe – wer weiß, wo Garrett und Kade heute wären. An Tyler will ich in dem Fall gar nicht denken, denn ich weiß, wo er heute wäre, hätte er den Absprung nicht geschafft.
»Dein Klient … Hast du ihn an einen Kollegen verwiesen?«
»Nach einem langen Kampf, ja.«
Ich weiß sofort, was er meint. »Er wollte es nicht und warf dir vor, ihn loswerden zu wollen.«
»Natürlich. Viele reagieren so, wenn ein Fall einer Seite zu persönlich wird, das weißt du selbst am besten. Aber am Ende hat er verstanden, aus welchem Grund ich seine Behandlung nicht länger fortsetzen konnte und durfte.«
Ich nicke gedankenverloren, denn diese Erfahrung habe ich ebenfalls bereits gemacht und es war keine, die ich unbedingt wiederholen wollen würde. Kinderseelen sind so zerbrechlich, obwohl mir jeder 13-jährige jetzt sofort widersprechen würde. Teenager sind noch mal eine ganz eigene Gattung, die sich oft für sehr cool und allwissend hält. Mit ihnen muss ich noch viel behutsamer umgehen, als beispielsweise mit einem 8-jährigen Klienten, der in seiner geistigen Entwicklung schlichtweg noch nicht so weit ist wie ein Teenager. Dennoch sind es vor allem Teenager, die mir, selbst nach Abschluss einer Therapie, jedes Mal lange im Gedächtnis bleiben.
»Hast du noch Kontakt zu ihm?«, frage ich daher, obwohl mir klar ist, dass mich das im Grunde nichts angeht und er mir das eigentlich auch nicht sagen darf. Oder es zumindest nicht tun sollte. Doch daraus kann ich ihm keinen Vorwurf machen, falls er mir jetzt antwortet, immerhin habe ich mit der Fragerei angefangen. Wieder einmal. Verflixt.
»Sporadisch. Er schickt mir Postkarten zu Weihnachten und meinem Geburtstag. Ich rufe ihn dafür an. Er braucht das und mir tut es gut zu hören, dass er heute glücklich ist.«
Es gelingt mir nur mit Mühe, ein Seufzen zu unterdrücken. Er ist ein sehr guter Traumatherapeut und vermutlich ein noch viel besserer Mensch. »Du bist ein guter Arzt, Connor.«
»Ich weiß.«
Ich kann das Grinsen in seiner Stimme hören und schnaube leise. »Arrogant bist du auch.«
»Das gefällt dir doch … Also? Möchtest du einen Teller von meiner köstlichen Tomatensuppe, mit ofenwarmem Baguette und einer selbstgemachten Kräuterbutter?«
Soweit kommt es noch. »Nein!«
»Na gut, dann esse ich eine Portion für dich mit.«
Connor legt auf, bevor ich noch etwas sagen kann, und ich bin so verdattert von diesem abrupten und für mich auch recht überraschend kommenden Gesprächsende, dass mir erst einige Zeit später auffällt, dass Oscar, Sherlock und Harry Potter dabei sind, sich über den Inhalt der auf dem Boden liegenden Salamipackung herzumachen.
Kapitel 2
Connor
»Köstliche Tomatensuppe, mit ofenwarmem Baguette und einer selbstgemachten Kräuterbutter?«, wiederholt mein bester Freund, Darren Walker, feixend und lässt seinen Blick betont auffällig über seinen Tresen schweifen, bevor er erleichtert die Luft ausstößt. »Puh, ich dachte schon, du hättest meinen Club in eine von diesen Schnöselküchen verwandelt, ohne mir etwas davon zu sagen.«
Er lacht, als ich mit einem Seufzen die Augen verdrehe und ihn tadelnd ansehe. »Lauschen ist unhöflich.«
»Ohne etwas zu trinken an meiner Bar zu sitzen und völlig schamlos am Telefon mit heißen Männern zu flirten, die hier keine Gäste sind, ebenfalls«, kontert er und lacht erneut, als ich ergeben die Hände in die Luft recke. »Irgendwann hetzt er dir dafür die Bullen auf den Hals.«
Ich muss ungewollt schmunzeln. »Weil ich mit ihm flirte? Wohl kaum.«
»Nein, weil du ständig bei ihm vorbeifährst und sein Haus beobachtest«, hält Darren dagegen und schüttelt den Kopf, was ich nicht kommentiere, weil wir darüber nicht zum ersten Mal diskutieren. Er hält es für unprofessionell und hat damit auch recht, ich kann aber dennoch nicht damit aufhören. Cord Wilks ist meine ganz persönliche Büchse der Pandora und ich will da sein, wenn sich der Deckel öffnet, ganz egal, was dann aus uns beiden wird. »Du solltest das wirklich sein lassen, bevor er die Geduld mit dir verliert. Seit wann läuft ein Dom denn seinem Sub hinterher?«
»Darren ...«
»Ja, ja«, grollt er. »Du bist kein Dom und er ist kein Sub. Er wird auch nie einer sein, bla bla … Ich kenne die Schallplatte, du legst sie schließlich seit Monaten regelmäßig auf. Aber ich sage dir, dass das Bullshit ist. Wäre er nicht interessiert, hättest du längst eine Klage am Hals, und wärst du nicht so verrückt nach ihm, dass er dir das Gehirn vernebelt, würdest du einfach an seiner Tür klingeln und die Fronten ein für allemal klären.«
Wenn es so einfach wäre, dann wäre ich diesen Weg längst gegangen, doch ich muss vorsichtig sein. Und behutsam. Das spüre ich jedes Mal, wenn ich ihn sehe oder mit ihm rede. Cord ist immer in Alarmbereitschaft, auch wenn ich der Einzige in seinem Umfeld zu sein scheine, dem das auffällt. Wenn ich bei ihm zu schnell zu weit vorpresche, macht er für immer dicht.
»Dann verliere ich ihn.«
»Ach so? Hast du heute Morgen im Kaffeesatz gelesen und weißt daher, wie er reagieren wird?«
Ich schenke Darren einen warnenden Blick, der ihn jedoch nicht im Mindesten beeindruckt. Er kennt mich einfach zu gut und er lässt sich von mir absolut nichts sagen. Da kann ich der in seinen Augen beste Traumatherapeut von Chicago sein – mit dem perfekten bösen Blick, wie er es gerne nennt – so viel ich will. Darren und ich haben in den vergangenen zwanzig Jahren zu viel zusammen erlebt, sodass wir im jeweils anderen lesen können, wie in einem aufgeschlagenen Buch.
Ich wünschte mir, so leicht ginge es bei Doktor Cord Wilks auch. Doch der Mann ist ein Buch mit sieben Siegeln für mich, von denen ich bisher keins auch nur angekratzt habe, und das macht mich langsam aber sicher vollkommen fuchsig. Seit ich ihn wegen seines Bruders Garrett vor zwei Jahren kontaktiert habe, lässt er mich nicht los, und ich weiß, dass es ihm ebenso geht, aber Cord hat eine dermaßen dicke Mauer aus Abwehr und Misstrauen um sich herum aufgerichtet, dass ich bis heute nicht geschafft habe, ihm näher zu kommen. Dabei will ich genau das, und zwar am liebsten gestern. Doch irgendetwas ist in Cords Leben vorgefallen, das der Grund für diese ständige Abwehrhaltung und diesen albernen Unsinn mit einer Ehefrau, die er angeblich sucht, ist.
Ich werde aus ihm nicht schlau und ich hätte mich niemals zu dieser albernen Wette hinreißen lassen sollen. Das weiß ich, aber damals hielt ich sie in einem kurzen Anfall von geistiger Umnachtung für eine gute Idee. Sie hat allerdings nur dazu geführt, dass ich in den letzten Monaten zusehen musste, wie Cord eine Frau nach der anderen verschlissen hat und dabei immer wütender auf mich wurde. So geht es nicht weiter. Ich muss mir irgendetwas einfallen lassen, bevor er Frau Nummer fünf kennenlernt, die ihm mehr bedeutet, aber die er am Ende genauso wenig an seiner Seite halten können wird, wie all die anderen zuvor, obwohl durchaus die Gefahr besteht, dass er das nie vor mir und vor allem vor sich selbst zugeben wird.
Cord Wilks steht nicht ausschließlich auf Frauen, doch aus irgendeinem Grund hat er panische Angst davor, einen Mann als festen Partner auch nur in Betracht zu ziehen.
Mögliche Gründe dafür gibt es leider unzählige, wenn das jemand weiß, dann ich, immerhin habe ich beruflich oft genug mit traumatisierten Menschen zu tun. Und genau darum kann und will ich nicht wild herum spekulieren. Früher oder später wird er mir sagen, was passiert ist, und bis es soweit ist, werde ich weiter um einen festen Platz in seinem Leben kämpfen, ob ihm das nun gefällt oder nicht.
»Connor? Bist du dir wirklich sicher bei ihm?«
Ich sehe zu Darren, der mein Gedankenkarussell offenbar sehr genau beobachtet hat, denn sein Blick ist ernst. Er macht sich Sorgen. Um mich genauso wie um Cord, den er nicht mal kennt. Nur wird das nichts für ihn ändern, denn Darren und ich wissen aus schmerzlicher Erfahrung leider nur zu gut, wie schlimm es enden kann, wenn man sich nicht unter Kontrolle hat, oder, wie in seinem Fall, viel zu viel davon besitzt und erst loslässt, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, um es mal so salopp auszudrücken. Dass wir heute immer noch Freunde sind, verdanken wir nur seinem Ehemann Adrian und das werden wir dem niemals vergessen.
»Ich war mir noch nie bei etwas so sicher, Darren.«
Er betrachtet mich noch einige Augenblicke, dann nickt er und lächelt. »Mann, ich wünsche dir alles Glück der Welt, das weißt du, und wehe, dieser Mistkerl ist es nicht wert, dass du so lange auf ihn wartest.«
»Er ist es wert und ich werde so lange auf ihn warten, wie ich warten muss, um sein Vertrauen zu gewinnen.«
»Ich will ihn kennenlernen. Und das ist keine Bitte, klar?«
Ich gluckse heiter. »Das wirst du, Darren. Sobald ich sicher sein kann, dass er nicht tot umfällt, wenn ich ihn in deinen von der Eingangstür bis hin zur verstaubten Dachluke verdorbenen Fetischclub bringe.«
Darren schnaubt abfällig. »Hey, das 'Black Shine' hat keine verstaubte Dachluke.« Im nächsten Augenblick grinst er. »Aber verdorben sind wir hier alle, das kann ich nicht leugnen.«
Ein gutes Stichwort für mich. »Apropos verdorben, wo hast du eigentlich deinen Ehemann gelassen?« Nach der Frage wird Darrens Grinsen überheblich, was mir alles sagt. »War er etwa schon wieder böse?«
»Sehr böse. Er denkt gerade im Keller darüber nach.«
Ich muss lachen. »Du hast ihn ins Verlies gesperrt?«
»Er war heute wirklich sehr böse.« Darren zieht sein Handy aus der Tasche. »Und er hat sein Handy in der Hand, um mich zu rufen, sobald er bereit ist, Buße zu tun.«
»Wie lange wartest du darauf schon?«
Nach der Frage setzt Darren einen Gesichtsausdruck auf, mit dem er wie eine sehr glückliche und zudem äußerst satte Katze vor der leeren Milchschale wirkt. »Drei Stunden.«
Und mehr will ich gar nicht wissen. Wie ich Adrian kenne, hat er Darren solange getriezt, bis der ihm den frechen Hintern versohlt und ihn anschließend zur Strafe auf die Sklavenbank geschnallt hat. Was bei den beiden etwa einmal pro Woche der Fall ist, da bekommt man als bester Freund des Paares Routine darin, Adrian irgendwo splitterfasernackt zu finden, und sei es im Badezimmer, mit dem Gesicht zur Wand. So wie neulich, als ich bei ihnen zum Abendessen eingeladen war. Das Darren und ich dann jedoch zu zweit essen mussten. Sehr zu meiner Belustigung übrigens. Die zwei haben sich eindeutig gesucht und gefunden, holpriger Start hin oder her.
Ich schüttle amüsiert den Kopf. »Ihr seid unmöglich.«
»Und du liebst uns trotzdem«, kontert Darren trocken und zwinkert mir zu. Tja, wo er recht hat …
Wir klatschen uns lachend ab und Darren stellt mir eine kleine Flasche Wasser vor die Nase, weil er weiß, dass ich unter der Woche nur selten etwas trinke, ehe er sich ein Bier nimmt. Wir verlassen die Theke und suchen uns einen Platz an einem der momentan noch leeren Tische, die überall an den Seiten des Tanzbereichs verteilt sind.
In zwei, drei Stunden wird es voller werden, das ist immer so, und besonders an den Wochenenden hat Niko draußen an der Tür jede Menge zu tun, um dafür zu sorgen, dass wirklich nur Besucher in Darrens Club kommen, die wissen, was sie in diesem Etablissement erwartet. Für Neulinge und Neugierige ist das 'Black Shine' trotz Bar und Tanzbereich zu speziell, und deshalb öffnet er ihn beiden Besuchergruppen nur noch einmal im Monat zu einer Themennacht für Unerfahrene.
»Kommst du am Wochenende mal wieder rein? Adrian hat nach dir gefragt.«
»Ich kann ihn ja im Verlies besuchen, bevor ich gehe«, sage ich, ohne es ernst zu meinen, denn ich würde mich nie in eine Session zwischen den beiden einmischen, es sei denn, ich hätte das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Aber Darren und Adrian sind ein Traumpaar und werden es auch bleiben, darauf würde ich sogar mein letztes Hemd verwetten. Trotzdem muss Darren mir jetzt einen finsteren Blick zuwerfen, schon aus Prinzip.
»Wenn du dafür nackt am Andreaskreuz landen willst, nur zu. Ich wette, dir hat schon lange keiner mehr den geilen Arsch versohlt.«
Ich seufze gespielt theatralisch. »Was für ein Angebot. Aber du weißt, ich hebe mich für meinen zukünftigen Mann auf.«
»Oh, du meinst Mister affengeiles Fahrgestell, umwerfend graue Augen, schwarze Haare, in die du gerne mal fest greifen willst, plus Riesenabwehrmauer um sein Herz?«
Er sagt das nicht abfällig, nur ein wenig spöttisch, um mich mit meiner Verliebtheit zu necken, aber ich ziehe eine gequälte Grimasse und Darren wird sofort wieder ernst.
»Er ist der Eine, oder? So wie Adrian es für mich ist.«
Ich beschränke mich auf ein Nicken, weil alles andere eine Lüge wäre und Darren ohnehin weiß, was mit mir los ist. Das wissen alle meine Freunde im Club, denn seit ich Cord kenne, habe ich keine Nacht mehr in den Spielzimmern verbracht und bin nie wieder mit einem Gast nach Hause gegangen. Und das wird sich auch nicht ändern, denn ich will nur noch Cord, auch wenn der Weg in sein Herz sehr lang und steinig sein wird.
»Wie geht’s denn seinem Schwager?«
Darren kennt keine genauen Details, das verbietet mir die Berufsethik, aber er und Adrian wissen etwas mehr als unsere übrigen Freunde, denn ich vertraue ihnen und ich bin es ihnen schuldig. Außerdem würden sie nie etwas nach außen dringen lassen, das ich ihnen anvertraue.
»Tyler hat mir eine Nachricht geschrieben, als sie gelandet waren. Wir treffen uns morgen auf einen Kaffee.«
Darren nickt. »Gute Idee, das lenkt dich ein bisschen ab. Du grübelst mir in den letzten Wochen eindeutig zu viel.«
Das ist mir bewusst, aber ich kann nicht anders. Cord klang am Telefon so allein und einsam, aber ich befürchte, ihm ist das überhaupt nicht bewusst. Oder aber, was noch viel schlimmer wäre, er weiß es und verdrängt es. Vor allen, die ihm wichtig sind, denn ich bezweifle, dass Garrett oder seine Eltern auch nur die geringste Ahnung von unserer dummen Wette und den ständigen Frauen haben, die er mit in sein Bett nimmt und von denen er bislang keine einzige seiner Familie vorgestellt hat. Er hat sich so stark auf diesen angeblichen Lebenstraum mit einer hübschen Ehefrau und zwei bis drei Kindern versteift, dass es höllisch schwer werden wird, ihm klarzumachen, dass dieser Weg der Falscheste ist, den er einschlagen kann.
Cord würde mit einer Frau niemals glücklich werden, und das sage ich nicht nur, weil ich ihn liebe, das sage ich, weil ich es weiß. Ich erlebe seit Monaten praktisch hautnah mit, wie er sich um Frauen bemüht und sie ihn am Ende trotzdem, eine nach der anderen, wutentbrannt verlassen, da sie spüren, dass er ihnen nicht gehört und es auch nie tun wird. Ich habe ihn bei ein paar seiner Dates beobachtet und er war der perfekte Gentleman für jede dieser Frauen. Doch er war bei keiner von ihnen mit dem Herzen dabei und das lässt sich keine Frau auf Dauer von einem Mann gefallen. Jedenfalls keine von diesen intelligenten Schönheiten, die er sich immer aussucht.
Solche Frauen wünschen sich einen starken Partner an ihrer Seite, und keinen Kerl, für den sie so austauschbar sind, wie es für Hugh Hefner seine Bunnys waren.
»Und? Was hast du als nächstes vor, Cord betreffend?«, will Darren schließlich wissen und boxt mir spielerisch gegen den Oberarm, als ich die Lippen schürze und schweige. »Hey, keine Geheimnisse unter Freunden.«
»Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Morgen treffe ich mich mit Tyler und dann sehe ich weiter.«
»Du willst also spontan bleiben?«
Ich nicke. »Cord ist zu klug für große Pläne. Er würde sich darauf einstellen und gegensteuern, und sobald ich ihm auch nur einen einzigen Vorteil gegen mich zugestehe, verliere ich ihn, bevor ich ihn überhaupt hatte.«
Tyler Mason sind solche Überlegungen indes vollkommen fremd, stelle ich am nächsten Tag wieder einmal zufrieden fest, als er sich über das große Stück Schokoladenkuchen hermacht, das ich ihm zum Kaffee spendiert habe.
Er ist nicht dumm, im Gegenteil, aber seine Gefangenschaft in Afghanistan hat ihn verändert und heute ist es im Umgang mit ihm am besten, wenn man direkte Sätze oder einfache und klare Aussagen nutzt. Würde ich diesen Weg bei Cord gehen, käme ich nicht sehr weit, aber Tyler vertraut mir und darum beantwortet er meine Fragen nach seinem Wohlbefinden ohne Argwohn und erzählt mir dann begeistert von Sammy, den sie gestern bei sich aufgenommen haben, weil Cord so viel arbeitet und nicht mehr genügend Zeit für ihn hat.
Die Aussage entlockt mir ein Stirnrunzeln, das Tyler nicht entgeht. Und mir entgeht nicht, wie er darauf reagiert. Er hat etwas, ist aber unsicher, ob er darüber sprechen soll. Ich sehe ihm seinen inneren Zwiespalt an und ich weiß, dass ich darauf reagieren muss. Manchmal braucht er einen Schubs, um sich zu entscheiden, ob er mit mir sprechen möchte oder ob er noch nicht bereit dazu ist. Ich akzeptiere seine Entscheidung immer, obwohl es mir diesmal schwerer fallen wird als sonst, weil es um Cord geht.
»Möchtest du darüber reden?«
Tyler schiebt das letzte Drittel seines Kuchens zur Seite, als wäre ihm der Appetit vergangen, und sieht sich unruhig nach allen Seiten um. Aber wir sind im Moment die einzigen Gäste des kleinen Klinikcafés, in dem wir uns getroffen haben, da ich so im Notfall schnell erreichbar bin und er sich hier eindeutig sicherer fühlt, als er es in einem Café in der Innenstadt voller Menschen tun würde.
»Ich liebe Sammy und Sheila.«
»Ich weiß«, stimme ich ihm zu, als er nicht weiterspricht. »Und du wirst dich gut um Sammy kümmern, solange Cord es nicht selbst tun kann.«
Tyler nickt. »Ja.«
Ich warte geduldig auf seine nächsten Worte.
»Er ist falsch«, sagt Tyler nach einiger Zeit und runzelt über seinen eigenen Satz die Stirn. Er scheint sich nicht ganz sicher, wie er das, was er mir sagen will, richtig ausdrücken soll. Also warte ich weiter ab und gebe ihm Gelegenheit, andere Worte zu finden. »Er ist wie ich damals. Er sagt, dass es ihm gut geht, aber das tut es nicht.«
»Er spielt euch etwas vor?«
Tyler sieht mich an und nickt heftig. »Ja. Er lächelt, aber es ist nicht echt. Kade weiß es auch.«
»Und Garrett?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Ahnt er etwas?«, frage ich und Tyler nickt erneut. »Hast du mit deinen Männern schon darüber gesprochen?« Diesmal ist seine Antwort ein Kopfschütteln, während sein Blick nervös über die Umgebung gleitet. »Weil du dir nicht sicher bist?«
Noch ein Kopfschütteln und in der Sekunde wird mir sein Dilemma klar. Tyler weiß genau, dass mit Cord etwas nicht stimmt, weil er selbst Garrett und Kade über Monate hinweg eine heile Welt vorgespielt hat, und sein Schwager macht jetzt das gleiche. Er hat schlichtweg Angst, mit Garrett darüber zu sprechen, denn er will ihn nicht beunruhigen und Cord würde ohnehin alles abstreiten, so wie Tyler es früher getan hat.
»Du magst Cord«, stellt er plötzlich in den Raum und reißt mich damit aus meinen Gedanken.
»Natürlich mag ich ihn. Dich mag ich schließlich auch.«
Er grinst kurz, dann schüttelt er den Kopf und zieht seinen Teller mit dem Schokoladenkuchen wieder zu sich. Scheinbar hat er sich weit genug beruhigt, sodass sein Appetit langsam zurückkehrt. Sehr gut.
»Nein. Du magst Cord.«
Er betont das Wort magst in einer Art und Weise, die mir klarmacht, dass ich mit dem Vorhaben mich gegenüber ihm, Garrett und Kade bedeckt zu halten, was meine Gefühle für Cord angeht, grandios gescheitert bin.
---ENDE DER LESEPROBE---