Bärenjagd im Chentei - Kurt David - E-Book

Bärenjagd im Chentei E-Book

Kurt David

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Beschreibung

Ein Deutscher fliegt mit der AN-2, auch „Posthummel“ genannt, von Ulan Bator in den Nordosten der Mongolei. Es ist ein abenteuerlicher Flug, für die 600 Kilometer brauchen sie fast einen ganzen Tag. Im Sturzflug nähern sie sich kleinen Dörfern und Siedlungen, um die Post abzuwerfen und dann im Steilflug wieder an Höhe zu gewinnen. Aber das ist nichts gegen das Sturmgebiet, durch das sie fliegen. Endlich in Dadala gelandet, freut sich der Deutsche schon auf den nächsten Tag, an dem es auf Bärenjagd gehen soll. Als sie endlich einen Bären sehen, erinnert er sie an einen tollpatschigen Teddybären, nicht ahnend, welche Gefahren auf ihn warten.

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Impressum

Kurt David

Bärenjagd im Chentei

ISBN 978-3-96521-854-3 (E-Book)

Das Buch erschien erstmals 1970 im Verlag Neues Leben Berlin als Heft 298 der Reihe „DAS NEUE ABENTEUER“.

© 2023 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

I

Dem Leser wird es hoffentlich jetzt wie mir ergehen, als ich in Ulan-Bator auf das Flugzeug wartete, mit dem ich in den Nordosten der Mongolei fliegen sollte: Er ist gespannt, neugierig und von abenteuerlichen Gedanken erfüllt, wie die Bärenjagd verlaufen wird. Hier noch das genaue Datum: Der 4. August 1965. Das steht in meinem Tagebuch wie alles, was diesem Morgen folgte.

Das Flugzeug war eine AN–2, ein Doppeldecker, auch „Posthummel“ genannt; außer Passagieren bringt es noch Briefe, Päckchen und Pakete in die entlegensten Steppen und Wüsten.

Der zweite Pilot hängte die kleine eiserne Leiter aus der Einstiegluke, und als ich hochkletterte, sagte mein Dolmetscher lustig: „Also dann auf zur Bärenjagd!“ Mir kam sein Humor ein bisschen verdächtig vor. Es hatte geklungen wie: Na ja, was tut man nicht alles für seine Gäste.

In der Maschine war es sehr kalt, und wir hockten mit hochgeschlagenen Kragen auf Kisten mit uigurischen Schriftzeichen, die neben den grauen Postsäcken an der Außenwand standen. Ein Stück ab von uns saßen eine Frau und ein Mädchen mit ängstlichen Gesichtern. Als der Propeller zu rotieren begann und der Motor die kleine Maschine kräftig durchschüttelte, hielten sich die Frau und das Mädchen fest die Ohren zu. Sie wagten nicht aus den runden Fenstern zu blicken, auch nicht, als wir schon tausend Meter hoch waren und das Flugzeug etwas ruhiger flog.

Zunächst schwebten wir über ein Gebirge mit dunklen Schluchten und schmalen Felsspalten. Auf der einen Seite der Berge wuchs Wald, dünn und mager, auf der anderen ragten Felsen zu uns herauf. Über den Gipfeln kreisten Raubvögel. Die Hauptstadt war schon nicht mehr zu sehen, und unter uns dehnte sich die gelbe Steppe. Auf ihr lag der schwarze Schatten unseres Flugzeuges und glitt tief neben uns her. Die Maschine blieb immer so tausend Meter hoch, und wir konnten alles gut sehen. Aber es war noch nichts weiter zu sehen: nur Gras, sanfte Hügel, ausgetrocknete Salztümpel, die wie weiße Teller auf der Steppe leuchteten. Als die AN–2 nach Nordosten einschwenkte, schien die Sonne uns ins Gesicht.

Der Dolmetscher hockte da und rauchte. Er hieß Songino, zu Deutsch etwa „Zwiebelplatz“; wer kann schon für seinen Namen. Songino hatte von 1959 bis 1964 in Leipzig studiert, und er war ein schmächtiger, langer Kerl mit dunklen Augen und schwarzem Haar. Wenn er Lust hatte, sprach er aus Jux sächsisch, mongolisches Sächsisch. Wer darüber nicht lachte, musste schon ein Gesicht aus Stein haben.

„Wie lange werden wir fliegen?“, fragte ich.

„Nach Dadala?“ Das war der geheimnisvolle Ort, wo wir hinwollten.

„Hm.“

„Es sind sechshundert Kilometer“, antwortete Songino. Er blickte zu den Piloten. Die Tür zur Kabine stand offen, und über der Tür hing ein schwarzer Fliegermantel. Songino ging zu den zwei Flugzeugführern, umarmte sie von hinten und brüllte etwas in ihre Ohren. Sie lachten dann alle drei, und der Dolmetscher kam zurück und sagte: „Das liegt am Wind. Mal so, mal so. Zwischenlandungen sind auch, wegen der Post.“

Ich nickte. „Und wie lange werden wir nun ungefähr rechnen müssen?“

„Vier Stunden, fünf Stunden, sechs Stunden“, sagte Songino lächelnd. „Ist das wichtig?“

„Natürlich nicht.“ Eigentlich war es wirklich unwichtig, wie lange wir flogen, nur, man ist es gewöhnt, genaue Vorstellungen von Zeit und Entfernungen zu haben. Hier war das anders, weil hier alles weiter, größer, höher, tiefer ist als zu Hause.

„Und weshalb habt ihr gelacht?“, fragte ich misstrauisch und blickte auf die zwei Piloten, die, in dicke Wattekombinationen gehüllt, vor ihrer Steuerung saßen.

„Ach, die“, antwortete Songino, „die machten Witze über uns und fragten mich, ob wir auch genügend Honig mit hätten für die Bären zum Anlocken.“

„Du hast ihnen erzählt?“

„Natürlich, die fragten doch, wer du bist und so.“

Hätte er ihnen nicht zu erzählen brauchen, dachte ich. Sicher sehen die in mir jetzt einen, der nur auf Bären aus ist.

„Sie sagten auch noch, ich sollte auf dich gut aufpassen.“

„Warum denn das?“

Songino lachte wieder. „Na ja, weil so ein Europäer meist gar nicht ahnt, was ein Bär anrichten kann. Die sehen so gemütlich aus, im Film, meine ich, im Zoo.“

„Das stimmt, gemütlich sehen sie aus. Du hast viele gesehen, ja?“

„Ich?“ Songino sah mich verwundert an. „Nicht einen einzigen.“

„Das ist nicht wahr.“

„Wenn ich’s sage. Moment mal …“

„Also doch!“

„Im Leipziger Zoo, also bei euch zu Hause.“

Ich war etwas enttäuscht; denn ich hatte geglaubt, es könne hier keinen Menschen geben, der noch keinen Bär gesehen hatte. „Aber es gibt viele?“

„Mehr als genug“, antwortete Songino lässig, „für uns beide reichen sie.“

Ich kannte ihn nun schon drei Wochen, war mit ihm durch die Steppe und die Wüste Gobi gefahren; wir hatten zusammen in Jurten übernachtet, Pannen beseitigt, Wolkenbrüche und Gewitter ausgehalten und halbe Nächte am Feuer mit Erzählen verbracht, aber es gab noch immer Augenblicke, wo ich nicht genau wusste, ob seine Worte ernst oder spöttisch gemeint waren. Bewundernswert dagegen war seine Offenheit; es gab nichts, was er mir nicht sagte, auch wenn’s manchmal wie ein Schlag auf den Kopf wirkte. Das ist sehr beachtenswert, wenn man Gast in einem fremden Land ist. Also schätzte ich Songino schon dieser prächtigen Eigenschaft wegen.

Plötzlich schrie die Frau auf. Das Mädchen quietschte auch, und dann fielen beide von den Postsäcken. Das kam daher: Die Maschine kippte rechts ab und verlor schnell an Höhe. Ich guckte aus dem Fenster und sah einen Fluss mit ein paar Sandbänken darin, und am Fluss entlang reihte sich Jurte an Jurte.

„Der wirft jetzt Post ab“, sagte Songino.

Freilich, sehr elegant war das nicht, wie die zwei mit dem Flugzeug umgingen, aber offensichtlich machte es ihnen sogar Spaß, ihre Posthummel im Sturzflug auf das Dörfchen niedergehen zu lassen.

Der zweite Pilot kam aus der Kabine, lachte, schüttelte den Kopf und hob die Frau und das Mädchen wieder auf die Säcke. Die Frau schimpfte, sie schimpfte sogar heftig, aber das störte den Flieger nicht. Er nahm einen Postsack, zerrte ihn zur Tür, und die Tür machte er auch noch auf, und ich sah wieder den Fluss, jetzt durch die Einstiegsluke und ganz nah. Ich dachte fast, gleich fliegen wir ins Wasser, so tief schwebten wir am Ufer entlang und an den Weiden vorbei. Mit einem mächtigen Ruck schob der Pilot den Sack zur Tür hinaus, und ich blickte schnell aus dem Fenster. Natürlich, den Postsack sah ich nicht mehr, aber einige Leute, die losrannten, sicher dorthin, wo er lag.

Dann ging es im Steilflug wieder nach oben, und die Frau machte ein sehr böses Gesicht. Später wiederholte sich das noch zweimal; denn wir hatten genügend Säcke an Bord, und die Frau schimpfte auch nicht mehr, sah aber neben dem stummen Mädchen, das ganz blass war, verdrossen aus. Ich hatte Mitleid mit ihr und dem Mädchen.

Von Bären und der Jagd nach ihnen redete ich nicht mehr, und Songino fragte: „Das Fliegen macht dir wohl gar nichts?“

„Nein, meinetwegen können die herumkurven wie sie wollen. Mein Magen reagiert nicht.“

Songino nickte zufrieden.

Hätte ich gewusst, was uns in der nächsten Stunde bevorstand, wäre ich mit meiner Äußerung etwas zurückhaltender gewesen. Aber zunächst landeten wir in einem Bezirksstädtchen, das Under-Chan hieß und von dem ich vor Wind und Staub nichts sah. Das Flugzeug wurde aufgetankt, und ein paar kräftige Männer mit grauen Filzhüten, die mit Kinnschnüren festgebunden waren, schoben große Kisten in das Flugzeug. Die Kisten waren sehr schwer, und mit Post hatten sie nichts zu tun.

„Da sind nur Steine drin“, sagte Songino.

„Besondere Steine?“

„Nur Steine, so wie sie hier herumliegen, weißt du. Das machen die immer so, wenn der Wind geht.“

„Wind geht?“

„Zwischen Under-Chan und Dadala geht ein bisschen Wind. Da ist so eine Gegend, wo der Wind nie aufhört. Und da beladen sie das Flugzeug mit den Kisten, damit es recht schwer wird, verstehst du.“