Beißen für Anfänger - Katie MacAlister - E-Book
SONDERANGEBOT

Beißen für Anfänger E-Book

Katie MacAlister

4,3
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die lang erwartete Vorgeschichte zu "Ein Vampir in schlechter Gesellschaft". Die junge Telepathin Francesca Ghetti wird von ihrer Mutter nach Europa mitgeschleppt, wo sie sich einem Wanderzirkus anschließen. Dort trifft sie den attraktiven Vampir Ben, der ihr Herz sofort höher schlagen lässt. Dieses Buch beinhaltet die beiden Novellen "Beißen für Anfänger - Hexenzirkus" und "Beißen für Anfänger - Geisterblues".

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 507

Bewertungen
4,3 (20 Bewertungen)
12
3
5
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



KATIE MACALISTER SCHREIBT ALS KATIE MAXWELL

BEISSEN FÜR ANFÄNGER

Roman

Ins Deutsche übertragen

von Patricia Woitynek

Zu diesem Buch

Francesca Ghetti wäre einfach nur gern ein durchschnittlicher Teenager mit einem normalen Leben. Zugegeben, ganz normal ist es nicht, wenn man bei der kleinsten Berührung die Gedanken anderer lesen kann – aber Fran setzt alles daran, ihre Gabe geheim zu halten. Umso entsetzter ist sie, als ihre Mutter sie mit nach Europa schleppt, wo sie sich einem magischen Wanderzirkus namens GothFaire anschließen. Als Fran allerdings auf den umwerfend gut aussehenden Ben trifft, erscheint ihr das Zirkusleben gar nicht mehr so schrecklich. Doch die Sache mit Ben hat einen kleinen Haken: Er ist ein Vampir, und angeblich ist Fran die Einzige, die in der Lage ist, seine Seele zu retten. Ziemlich hohe Ansprüche an die »erste große Liebe« (und alles andere als normal), aber Bens Küsse sind so unwiderstehlich, dass Fran beschließt, dem Übernatürlichen eine Chance zu geben. Und es ist ihr auch plötzlich gar nicht mehr so egal, dass der Zirkus in Schwierigkeiten steckt. Denn ein Dieb treibt sein Unwesen, der schon mehrfach auf magische Weise den Safe des Direktors ausgeräumt hat. Obwohl Fran sich zunächst heftig dagegen sträubt, ihre Gabe zu offenbaren, ist schon bald klar, dass sie die Einzige ist, die den Dieb enttarnen und GothFaire vor dem Ruin retten kann.

Für alle Fans von Ben und Fran,

die mir schrieben, weil sie das eine oder andere Buch

der Reihe nicht finden konnten. Ich hoffe, ihr habt Freude an diesem neuen Teil!

Hexenzirkus

1

»Was willst du zuerst machen – deine Aura fotografieren lassen oder die Hexe um einen Zauber bitten?«, fragte ein Mädchen.

Kennt ihr diesen seltsamen Knirps, der in The Sixth Sense tote Menschen gesehen hat? Verglichen mit mir ist er Daniel Durchschnitt.

Ein Jugendlicher mit einem schwarzen Rucksack antwortete dem Mädchen. »Ich möchte den Dämonologen kennenlernen. Ich hatte in letzter Zeit eine tierische Pechsträhne. Vielleicht ist ein Dämon daran schuld. Er kann mir bestimmt sagen, ob ich von einem Dämon besessen bin.«

Na schön, der Knirps konnte also Geister sehen – geschenkt –, aber war seine Mutter eine waschechte Hexe?

»Ich weiß nicht, ob Dämonen dir eine Pechsträhne einbrocken könnten, John«, gab das Mädchen stirnrunzelnd zu bedenken. »Das klingt mehr nach einem Fluch. Vielleicht sollten wir als Erstes der Hexe einen Besuch abstatten und dich von ihr auf einen Fluch überprüfen lassen.«

Verbrachte er etwa seine Tage damit, mit einer Schaustellertruppe kreuz und quer durch Europa zu reisen, die mehr über Geister, Dämonen und diverse andere paranormale Dinge wusste als über Bankomaten, Handys und die neueste heiße Mieze bei American Idol?

Die Stimme des Mädchens bohrte sich in meine irrlichternden Gedanken. »Ich habe gehört, dass sie einen Vampir haben, der jede Nacht das Blut eines Freiwilligen trinkt! Das will ich unbedingt sehen!«

Ach ja, die Vampire hatte ich ganz vergessen. Nicht dass es auf dem Gothic-Markt welche gegeben hätte, aber trotzdem, wo hatte ich nur meinen Kopf?

»He, Lindsay, guck dir mal das Mädchen da drüben an. Sie sieht irgendwie schräg aus. Meinst du, sie gehört zur Show?«

Ich wette, der Sixth-Sense-Knabe hat anschließend in einem normalen Zuhause bei einer normalen Mutter gelebt und eine normale Schule mit anderen normalen Kindern besucht. Mann, ich würde liebend gern ein bisschen Tote-Menschen-Seherei in Kauf nehmen, um von so viel Normalität umgeben zu sein.

»Pscht, sie könnte dich hören.«

Das Mädchen und der Junge, beide vermutlich ein paar Jahre älter als ich, blieben vor mir stehen und nutzten die Gelegenheit, mich verstohlen zu mustern. Ich versuchte, so zu tun, als wäre überhaupt nichts seltsam daran, dass ich vor einem Zelt stand, dessen Seite mit einer roten Hand bemalt war, während ich die eigenen Hände in den Hosentaschen vergrub, um sicherzustellen, dass ich nichts berührte. Nichts anfassen, nichts sagen, so lautete mein Motto.

»Ach, denk dir nichts; wahrscheinlich spricht sie nicht mal Englisch. Jedenfalls sieht sie mit ihrer bleichen Haut und den pechschwarzen Haaren nicht normal aus. Meinst du, sie ist eine von den Goths?«

Könnte meine Optik eventuell daher rühren, dass ich einen italienischen Vater und eine hellhäutige skandinavische Mutter habe? Ach wo.

Das Mädchen kicherte. Ich schickte ein kleines Stoßgebet an die Göttin, Imogen ihren Hintern in Bewegung setzen und zu ihrem Stand zurückkehren zu lassen, damit ich nicht länger hier herumstehen und mich von diesen mundanen Trotteln angaffen lassen musste.

Mundan ist einer der Begriffe, die man aufschnappt, wenn man mit einer Freakshow reist. Er steht für uncoole Leute, für solche, die nicht hip genug sind, um den Schaustellern das Wasser zu reichen.

»Vielleicht ist sie ein Vampir! Sie sieht aus wie einer, findest du nicht? Ich sehe förmlich vor mir, wie sie dein Blut trinkt.«

Ich wandte mich ab, damit sie nicht sahen, wie ich die Augen verdrehte. Es mochte eine Rarität sein, so tief im ungarischen Hinterland auf Amerikaner zu treffen, trotzdem war meine Freude darüber, Landsleuten zu begegnen, bei Weitem nicht groß genug, um gleich nach ihrem Blut zu lechzen. Abgesehen davon wusste doch jeder, dass nur Männer Vampire waren.

»Francesca, es tut mir ja so leid!« Imogens lange blonde Mähne wehte hinter ihr her, als sie an dem Paar vorbei hinter ihren Tisch hastete, wo sie sich die Staffelei und das Schild schnappte, das verkündete, dass sie bereit war, aus Händen und Runensteinen zu lesen. Ohne das Pärchen, das sie beobachtete, zu beachten, stellte sie die Staffelei an der Ecke des Zelts auf und platzierte das Schild darauf, während sie in typischer Imogen-Manier vor sich hinplapperte. Sie sprach mit einem rauchigen, weichen Akzent, der zum Teil britisch, zum Teil etwas anderes war, das ich nicht bestimmen konnte. Allerdings war ich auch noch nicht lange genug in Europa, um mehr zu beherrschen als: Hallo. Auf Wiedersehen. Danke. Wie viel kostet das? Ich würde noch nicht mal meinen Hund diese Toilette benutzen lassen. Wo ist die saubere? Und das in drei verschiedenen Sprachen (Deutsch, Französisch und Ungarisch – falls das jemanden interessiert).

»Vielen Dank, dass du auf meine Sachen aufgepasst hast. Absinthe hat darauf bestanden, mich zu sehen – offenbar gab es einen weiteren Raub. Du bist ein Schatz, dass du nichts angefasst hast. Du weißt, ich mag es nicht, wenn jemand die Steine berührt, und Elvis hat mich wieder damit genervt, mir beim Aufbauen helfen zu wollen, was lächerlich ist, denn wie dir bekannt sein dürfte, hat er eine orangefarbene Aura, und Leute mit orangefarbener Aura sind Gift für mich, wenn ich kurz danach aus den Runen lesen soll. Aber ich muss dir etwas Aufregendes erzählen! Mein Bruder kommt mich besuchen!«

Ich richtete mich aus meiner gewohnheitsmäßig krummen Haltung auf und bedachte das Pärchen mit einem breiten, zahnlastigen Grinsen, um zu demonstrieren, dass ich keine Fangzähne hatte. Ich war so groß wie der Junge (eins dreiundachtzig) und ebenso kräftig, wenn nicht sogar kräftiger. Diese Tatsache schien ihm ein wenig Unbehagen zu bereiten. Das Mädchen errötete leicht, dann packte es seinen Freund am Arm und zog ihn zu dem großen Zelt, in dem nach den Zaubershows die Band spielt.

Die Ironie meines Versuchs, mich normal zu geben, entging mir nicht. So bin ich nun mal gestrickt – mit Ironie kenne ich mich aus. Zu meinem Leidwesen, muss ich gestehen. »Sie dachten, ich wäre ein Vampir«, sagte ich zu Imogen, die ihr blaues Runentuch ausschüttelte.

Sie lupfte eine goldblonde Augenbraue. »Du? Aber du bist doch weiblich.«

Ich nahm wieder meine gekrümmte Haltung ein, um weniger wie ein bulliger Rugbyspieler auszusehen, und zupfte an meinem T-Shirt, damit ich zierlicher, hübscher, dünner wirkte … mehr wie ein Mädchen eben. »Ja. Ich schätze, sie kennen die Regeln nicht.«

Sie murmelte etwas, das wie mundaneVollpfosten klang, und arrangierte drei Tontöpfe mit Runen an der einen Seite des Runentuchs. »Absinthe sagt, dass die Band sich mitten in der Nacht mit den Einnahmen von letzter Woche davongemacht hat, aber Peter meint, dass das nicht stimmen kann, weil nur er und Absinthe die Kombination zum Tresor kennen und er nicht aufgebrochen wurde. Sie ist nach Deutschland gefahren, um eine neue Band aufzutreiben.«

Ich nagte an der rissigen Haut meiner Unterlippe. Das war der dritte Diebstahl in zehn Tagen. Obwohl es mir zutiefst widerstrebte, Absinthe recht geben zu müssen, deutete alles darauf hin, dass die Band Dreck am Stecken hatte, wenn sie sich bei Nacht und Nebel davongestohlen hatte. »Was machen wir wegen heute Abend?«

»Peter will eine einheimische Band engagieren. Ich hoffe, sie ist gut. Die letzte, die er angeheuert hat, war unterirdisch schlecht.«

Ich legte den Kopf schräg und klemmte mir die Haare hinters Ohr, dabei wünschte ich mir zum tausendsten Mal, es wäre nicht so spaghettigerade. Andere Leute hatten Locken – sogar meine Mutter hatte welche. Warum ich nicht? »Du bist die einzige Person, die ich kenne, die Mozart leibhaftig hat musizieren hören und trotzdem Gothic-Bands für die Offenbarung hält.«

Imogen bedachte mich mit ihrem typischen listigen Lächeln. »Mozart war ein Rotzlöffel. Talentiert, aber trotzdem ein Rotzlöffel. The Cure dagegen – das ist echte Musik.«

Versteht ihr jetzt, was ich meine? Ist es etwa normal, eine vierhundertjährige Unsterbliche als beste Freundin zu haben?

»Was ist los, Fran? Du siehst auf einmal so niedergeschlagen aus. Ist Elvis dir wieder auf die Pelle gerückt? Möchtest du, dass ich –«

Ich schüttelte den Kopf. »Du weißt, dass er für keine andere Augen hat als für dich. Abgesehen davon bin ich größer als er. Ich glaube, er hat Angst, ich könnte ihn vermöbeln, sollte er einen Annäherungsversuch wagen.«

Imogen trat von den Duftkerzen, die sie gerade angezündet hatte, zurück, neigte den Kopf zur Seite und taxierte mich. Die Geste wirkte bei ihr viel hübscher als bei mir, weil sie eine lange Lockenpracht hatte, während mein kurzer, kinnlanger Pagenkopf aus glatten, schwarzen Haaren bestand, denen weder Lockenwickler noch der chemische Umformungsprozess einer Dauerwelle Fülle zu verleihen vermochten. »Ich verstehe. Du fühlst dich wieder einmal unzulänglich.«

Ich konnte nicht anders, als das mit einem Lachen zu quittieren. Mit einem netten zwar, weil ich Imogen mochte, trotzdem musste ich lachen. »Wieder. Genau. Verrat mir, wann ich je nicht unzulänglich bin.«

»Ich denke, die bessere Frage wäre, warum du dich so fühlst.«

Ich scannte die Umgebung, um mich zu vergewissern, dass niemand in der Nähe war und uns belauschen konnte – nicht dass jeder, der mit dem Gothic-Markt zu tun hatte, zwingend in der Nähe sein musste, um mitzuhören (ich würde mein gesamtes Taschengeld dieses Sommers darauf verwetten, dass die Gedanken des Sixth-Sense-Knaben nicht von Gedankenlesern abgehört worden waren). »Willst du die ganze Liste? Du kriegst sie! Zum einen habe ich in etwa die Größe und Statur eines durchschnittlichen Highschool-Rugbyspielers.«

»Sei nicht albern, die hast du nicht. Du bist ein reizendes Mädchen, hochgewachsen und gut proportioniert. In ein paar Jahren werden die Männer dir zu Füßen liegen.«

»Ja, vor Angst vielleicht«, brummte ich, dann sprach ich rasch weiter, ehe sie sich gezwungen sah, weitere nette Dinge über mich zu sagen. Man musste mich nur anschauen, um zu erkennen, dass ich eine übergroße, ungeschlachte Monstrosität war. Ich brauchte kein feinfühliges, zartes Mitgefühl von der feinfühligen, zarten Imogen. »Zweitens hat mein Vater ein Mädchen geheiratet, das nur wenige Jahre älter ist als ich, und mir erklärt, er brauche für diesen Neustart sechs Monate allein mit ihr, was bedeutet, dass, als meine Mutter einen Job bei einem Wander-Gothic-Markt in Europa annahm, ich sie begleiten musste.«

»Das mit deinem Vater tut mir leid«, sagte Imogen, ihre Stirn so tief in Falten gelegt, als würde ihr das wirklich zu Herzen gehen. Das war eine der Eigenschaften, die ich an Imogen schätzte: Sie war grundehrlich. Wenn sie dich mochte, dann mochte sie dich wirklich und trat ein für dich gegen alles und jeden oder was auch immer dein Leben zu einem wandelnden Albtraum machte. »Es ist falsch von ihm, dich aus seinem Leben zu verbannen. Er sollte es besser wissen.«

Ich machte ein Gesicht, das meine Mutter als Schnute bezeichnet hätte. »Mom sagt, dass er in der Midlife-Crisis steckt, darum hat er sich einen Sportwagen und eine Trophäenfrau zugelegt. Aber das ist in Ordnung. Ich habe sowieso nicht gern bei ihm gelebt.« Was eine große, fette Lüge war. Ich konnte bloß hoffen, dass Imogens Lügendetektor mich bei dieser nicht ertappte. Nur für den Fall, dass doch, nahm ich schleunigst zu meinem nächsten Beschwerdepunkt Zuflucht. »Drittens ist dieser Jahrmarkt kein herkömmlicher, mit Popcorn und Zuckerwatte und gefühlsduseligen Countrysängern. Oh nein, dieser Jahrmarkt strotzt vor Leuten, die mit den Toten reden, echte Magie wirken, Gedanken lesen und anderes verrücktes Zeug tun können. Gerade noch hatte ich ein relativ normales Leben, mit normalen Freunden, einer normalen Schule und einer fast normalen Mutter in Oregon, als ich plötzlich zu Fran, der Freak-Königin, mutierte, die den Sommer mit Leuten verbringt, vor denen die meisten Menschen sich so erschrecken würden, dass sie es ihr Lebtag nicht mehr vergessen. Wenn das nicht Grund genug ist, bekümmert zu wirken, dann weiß ich nicht, was sonst.«

»Die Leute hier sind keine Freaks, Fran. Du bist inzwischen lange genug bei uns, um das zu wissen. Sie verfügen lediglich über seltene Begabungen, genau wie du.«

Ich schob die Hände tiefer in die Hosentaschen, bis ich das weiche Material der Latexhandschuhe an meinen Fingerspitzen spürte. Meine »Begabung« war etwas, worüber ich nicht gern sprach. Mit niemandem, allerdings wusste außer Imogen und meiner Mutter sowieso niemand davon. Vermutlich hegte Absinthe einen Verdacht, aber sie konnte nichts unternehmen. Sie fürchtete sich vor dem, was meine Mutter mit ihr anstellen würde, sollte sie versuchen, sich mit mir anzulegen.

Zugegeben, manchmal war es praktisch, eine Hexe zur Mutter zu haben. Doch die meiste Zeit war es einfach nur ätzend. Was würde ich nicht dafür geben, eine Mutter zu haben, die als Sekretärin arbeitete und wusste, wie man Plätzchen buk …

»Mich hältst du nicht für einen Freak, oder?« Imogens blaue Augen wurden schwarz. Wie sie mir erzählt hatte, war das eine der Besonderheiten, die ihre Art kennzeichnete. Die Farbe ihrer Augen veränderte sich bei starken Gefühlsregungen.

»Nein, dich nicht – du kannst nichts dafür, dass dein Vater ein Vampir war.«

»Ein Dunkler«, korrigierte sie und nestelte an den Kerzen, Spezialanfertigungen meiner Mutter, Beschwörungskerzen, durchwirkt mit Zauberformeln und Kräutern, um die Klarheit des Geistes und die Kommunikation mit der Göttin zu fördern.

Ich nickte. Eins der ersten Dinge, die Imogen mir über die Vampire erzählt hatte, war, dass sie Wert auf die richtige Bezeichnung legten: Sie waren mährische Dunkle. Allerdings hießen nur die Männer Dunkle; die Frauen nannte man schlicht Mährinnen. »Du bist kein Freak, nur weil dein Vater von einem Dämonenfürsten verflucht wurde. Immerhin trinkst du kein Blut oder so.«

Imogen zuckte die Achseln. »Ich habe es probiert. Es schmeckt nicht besonders. Ich bevorzuge Frankovka.« Das war Imogens Lieblingswein und das Einzige, was sie trank. Sie hatte das Zeug kistenweise gebunkert und schleppte es von Stadt zu Stadt mit. Sie sagte, dass es sie an ihre Heimat Tschechien erinnere. »Ich denke, liebe Francesca, dass das, was du am dringendsten brauchst, Freunde sind.«

Ich trat gegen einen Grasbuckel und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Imogen ein paar Symbole in die Luft zeichnete. Bannzeichen nannte sie sie. Sie waren ähnlich wie Schutzzauber, nur dass man sie in die Luft malen musste. Alle Vampire – Verzeihung, Mähren – konnten Bannzeichen malen. Meine Mutter hatte Imogen in den Ohren gelegen, es ihr beizubringen, doch aus irgendeinem Grund hatte diese abgelehnt. »Ich habe Freunde, jede Menge sogar.«

Was eine weitere Lüge war. Ich hatte auch zu Hause keine echten Freunde, hielt es jedoch für überflüssig, mich als noch mitleiderregender darzustellen.

»Nicht in Oregon, sondern hier. Du brauchst hier Freunde.« Sie blickte nicht auf, während sie ein weiteres Symbol auf das Runentuch zeichnete.

»Ich habe auch hier Freunde. Dich zum Beispiel.«

Sie lächelte, dann winkte sie mich zu sich. Ich beugte mich vor, und mein Nacken prickelte, als ihre Finger wenige Millimeter von meiner Stirn entfernt durch die Luft tanzten. Sie hatte schon bei einer früheren Gelegenheit ein Bannzeichen für mich gemacht, nämlich direkt nach meiner Ankunft, als Elvis – der marktinterne Meister des Flirts – versucht hatte, mich anzubaggern. Von einem Bannzeichen geschützt zu werden fühlt sich komisch an, so als wäre die Luft um einen herum zäh und schwer. Man kommt sich vor wie in einem Kokon. Ich habe nie erlebt, dass solch ein Schutzbann wirklich funktionierte (meine Mutter hatte eine kleine Unterredung mit Elvis, in der es um das Verschrumpeln und Abfallen seiner Männlichkeit ging, sollte er ihre Tochter auch nur mit dem kleinen Finger anrühren), trotzdem war es eine nette Geste von Imogen, ein wenig von ihrer magischen Kraft auf mich zu verwenden. »Ich fühle mich geehrt, Fran. Und du bist in der Tat eine meiner Lieblingsfreundinnen.«

Ich bemühte mich, mein Lächeln zu unterdrücken. Imogen sprach wie jemand in einem alten englischen Film – mit akzentuierten Vokalen, absolut perfekter Grammatik und einer abgehobenen Wortwahl, nur war das Ganze durchmischt von salopper Umgangssprache, die im Vergleich dazu seltsam anmutete. Sie wusste das jedoch nicht, und ich wollte ihre Gefühle nicht verletzen. »Und ich mag Peter. Er ist nett, wenn er nicht gerade vor Absinthe katzbuckelt.«

»Ja, das ist er. Die beiden sind schon ein merkwürdiges Paar …« Sie deponierte die Geldkassette, in der sie ihre Einnahmen verstaute, unter dem Tisch und klopfte den Staub vom Stuhl. »Wusstest du, dass sie Zwillinge sind?«

Ich schüttelte den Kopf. Sie sahen nicht wie Zwillinge aus. Absinthe hatte pinkfarbenes Haar, bleistiftdünne Brauen und ein sprödes Lächeln, während Peter gedrungen war, mit beginnender Glatze und hübschen, freundlichen Augen. Mir war zu Ohren gekommen, dass sie den Markt den Leuten abgekauft hatten, die ihn früher betrieben, sich jedoch in alle Winde zerstreut hatten, nachdem herausgekommen war, dass wiederum ihre Vorbesitzer psychopathische Killer gewesen waren, die in ganz Europa Dutzende Frauen ermordet hatten.

Verwundert es da noch, dass ich nach Hause möchte?

»Aber das sind sie, auch wenn sie sich nicht ähnlich sehen. Es scheint fast, als hätte der eine all die guten Eigenschaften abbekommen und der andere die bedauerlichen.«

Ich grinste, nachdem ich mich rasch vergewissert hatte, dass niemand in der Nähe war (wenn es um Absinthe geht, kann man nicht vorsichtig genug sein). »Und dann ist da auch noch Soren. Er ist ebenfalls ein Freund.«

»Ja, dann ist da auch noch Soren«, bestätigte sie, als sie sich hinsetzte und ihren berüschten Siebzigerjahre-Spitzenrock im Stevie-Nicks-Stil glattstrich. Ich konnte sehen, dass sie versuchte, nicht allzu wissend dreinzugucken, so, wie es die Erwachsenen oft tun, wenn man über einen gleichaltrigen Jungen redet. Die Sache ist die, dass Imogen nur wenige Jahre älter wirkt als ich, also um die zwanzig, darum vergesse ich manchmal, wie lange sie tatsächlich schon auf der Welt ist, was sie erwachsener macht als jeden Erwachsenen, den ich kenne. »Er ist ein sehr süßer Junge.«

»Er ist ganz okay«, antwortete ich betont nonchalant. Ich legte keinen Wert darauf, dass Imogen jedem erzählte, ich sei in Soren verschossen. Das war ich nicht, nur für den Fall, dass ihr euch wundert. Soren war fünfzehn (ein Jahr jünger als ich, sieben Zentimeter kleiner und etwa sieben Kilo leichter), mit sandfarbenem Haar und einem sommersprossigen Gesicht. Doch da er auf dem Markt der Einzige in meinem Alter war, hingen wir zusammen rum.

»Ich denke, vielleicht …« Imogen sah hoch und lächelte die drei jungen Frauen, die sich ihrem Tisch näherten, strahlend an. Sie fragten sie etwas auf Ungarisch, und nach einem entschuldigenden Blick zu mir antwortete sie und winkte sie zu den Stühlen auf der anderen Seite des Tischs. Kundschaft. Ich fühlte mich ein wenig verloren und hätte gern noch länger mit Imogen geplaudert, doch das Erste, was ich lernen musste, nachdem meine Mutter mich vor einem Monat hierhergeschleift hatte, war, dass zahlende Kunden Vorrang hatten. Ich verabschiedete mich mit einem kleinen Winken von Imogen, dann zog ich ab, um nachzusehen, was Soren trieb.

Der Gothic-Markt wird in der Regel in Hufeisenform arrangiert, mit dem großen Zelt im Bauch des Us und den individuellen Buden an den Schenkeln – die mit den »Begabungen« auf der einen Seite, die Verkaufsstände auf der anderen. Es waren keine Campingzelte, denn sie bestanden aus schwerem Segeltuch und bestachen durch wilde Farben mit noch wilderen Mustern, und sie verfügten über eine offene Front, manche sogar über eine Holzverkleidung zur Verstärkung. Die meisten ließen sich zügig auf- und abbauen und in langen Segeltuchtaschen verstauen. Soren half meist beim Auf- und Abbau, zudem übernahm er andere anfallende Arbeiten, die eigentlich Sache seines Vaters (Peter) waren, nur hatte der nie die Zeit, sie zu erledigen.

Ich spazierte an den Zeltreihen entlang und schlängelte mich zwischen den ersten Marktbesuchern hindurch, dabei lauschte ich auf die verschiedenen Sprachen um mich herum, verstand jedoch nichts. Da gerade die Sonne untergegangen war, brannten bereits die großen Scheinwerfer, die die Gassen säumten, und warfen geisterhafte Schatten auf die sanften Wellen und Mulden des grasbewachsenen Feldes, auf dem der Gothic-Markt gastierte. Verlockende, würzige Aromen drifteten von den Speisezelten heran und vermischten sich mit dem schwachen, nachklingenden Duft der sonnengewärmten Erde unter meinen Sandalen. Ich winkte meiner Mutter zu, die gerade jemanden wegen eines Zaubers beriet. Davide, ihr Kater, lag unter ihrem Stuhl, die Vorderpfoten unter die Brust geklemmt, die weißen Schnurrhaare zuckend, und beobachtete, wie ich vorbeischlenderte. Davide mochte mich nicht wirklich, aber meistens machte ich gute Miene zum bösen Spiel, und das nicht nur, weil ich ein Faible für Katzen hatte, sondern auch, weil meine Mutter fand, dass er sehr weise sei.

Eine Katze. Weise. Na, von mir aus.

Ich fand Soren zusammen mit einer Gruppe Männer in fast identischen Jeansjacken, die gerade Verstärker und Tontechnik von einem ramponierten alten Laster luden. Die Ersatzband war eingetroffen.

»Hey«, sagte ich.

»Hey«, gab Soren zurück. Wir waren cool miteinander.

»Wie heißt die Band?«, fragte ich, während er mit einem Verstärker kämpfte, der fast so groß war wie er. Ich hievte mir das eine Ende auf die Schulter und half ihm, das Gerät von dem Laster und auf einen Rollwagen zu wuchten.

»Weinende Orks. Sie sehen toll aus, findest du nicht?«

Wir beobachteten, wie sie sich um ein Mischpult gruppierten. Ich zuckte mit den Schultern. »Sie sehen aus wie jede andere Band.« Eher würde ich sterben als zuzugeben, dass Gothic-Musik nicht wirklich meinen Geschmack traf. Ich stand auf Balladen, mochte Frauen wie Loreena McKennitt und Sarah McLachlan. Typen, die davon sangen, dass sie jemandem die Handgelenke aufschlitzen und ewig zusehen wollten, wie das Blut herausströmte, ließen mich eher kalt.

»Ich habe sie letzte Nacht gehört. Sie sind gut. Du wirst sie mögen.« Ich zuckte wieder mit den Schultern. »Bring das bitte für mich nach drinnen. Zu Stefan. Das ist der Mann mit nur einem Ohr.«

Soren ließ eine schwere Kabelrolle in meine Arme plumpsen, was mir ein leises Grunzen entlockte. Das verdammte Ding wog eine gefühlte Tonne. Vorsichtig bahnte ich mir den Weg um die Verstärker, das aufgestapelte Tonequipment und die zahlreichen Kisten herum, dann stolperte ich in die Gasse zwischen dem Laster und dem Zelt.

Und lief schnurstracks vor ein Motorrad.

2

»Narng.«

Dunkelheit waberte durch meinen Kopf, aber es war nicht die vertraute Dunkelheit hinter meinen Lidern und auch nicht die zweimal erlebte Dunkelheit einer Narkose, sondern eine wirklich schwarze Finsternis, die von Kummer erfüllt war und von … Sorge.

Bist du verletzt? Tut dir irgendetwas weh?

»Gark«, sagte ich. Zumindest denke ich, dass das von mir kam. Ich fühlte, wie meine Lippen sich bewegten, aber ich glaube nicht, dass ich je zuvor das Wort »gark« verwendet habe, warum also sollte ich es jetzt sagen, zu dieser düsteren Traurigkeit, die direkt in meinen Kopf sprach?

Gark. Ich kenne dieses Wort nicht. Ist es ein neuer Ausdruck?

»Mmrfm.« Ja, das war eindeutig ich, die da redete. Ich erkannte das »Mmrfm.« Ich benutzte es jeden Morgen. Sobald der Radiowecker anging. Ich war eine Schlafmütze und hasste es, geweckt zu werden.

Du siehst nicht verletzt aus. Hast du dir den Kopf gestoßen?

Das Motorrad! Ich war überfahren worden. Wahrscheinlich war ich tot. Oder lag im Sterben. Bestenfalls im Koma.

Du bist mir direkt vors Motorrad gelaufen. Ich konnte nicht mehr ausweichen. Du solltest lernen, die Augen aufzusperren, bevor du zwischen Lastern heraustorkelst.

Und du hättest nicht so rasen sollen, antwortete ich in Gedanken der Stimme, die wie der allerweichste Samt über mein Gehirn strich. Dabei war ich weder überrascht noch schockiert oder auch nur platt, dass jemand mit mir sprechen konnte, ohne Worte zu benutzen. Immerhin lebte ich nun schon einen ganzen Monat auf dem Gothic-Markt. Ich hatte seltsamere Dinge erlebt.

Die Stimme lächelte. Ich weiß, das klingt dämlich, denn wie kann eine Stimme lächeln? Aber sie tat es. Ich fühlte das Lächeln so eindeutig in meinem Kopf, wie ich die Hände spürte, die über meine Arme strichen, offenbar, um mich auf Verletzungen zu untersuchen.

Oh nein! Jemand fasste mich an! Dann berührte er meine Hände und …

Mein Hirn wurde von Bildern geflutet – es war wie eine Diashow seltsamer, zeitlich unzusammenhängender Momente. Da war ein Mann in einem dieser langen, opulent bestickten Mäntel, wie Revolutionäre sie trugen. Er vollführte eine weit ausholende Bewegung mit den Armen und wirkte furchtbar selbstzufrieden über irgendetwas, aber kaum, dass ich ihn optisch richtig zu fassen bekam, löste er sich auf und wurde zu einer Vision von Morast und Regen und Blut, das von einem toten Mann tropfte, der sich der Kleidung nach im Ersten Weltkrieg befand. Er lag rücklings ausgestreckt in einem Graben, die Augen blicklos ins Leere starrend, während der Regen über seine Wangen und in sein Haar rann. Es war Nacht, und die Luft war erfüllt von den Gerüchen nach Schwefel und Urin und anderen Dingen, die ich lieber nicht identifizieren wollte. Dieses Bild löste sich ebenfalls auf – Göttin sei Dank! – und verwandelte sich in das einer Frau mit einer riesigen – und ich meine riesigen, nämlich buchstäblich meterhohen – gepuderten weißen Perücke und einem an der Hüfte gigantisch ausladendem Kleid, aus dem fast ihr Busen heraussprang. Sie hob den Rocksaum an und zog ihn langsam zurück, um ihr Bein zu entblößen, als wäre es etwas Besonderes (was es nicht war), dabei gurrte sie etwas auf Französisch über Sinnesfreuden.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!