Silver Dragons - Drachen lieben heißer - Katie MacAlister - E-Book

Silver Dragons - Drachen lieben heißer E-Book

Katie MacAlister

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Beschreibung

May Northcott ist mit ihrem Latein am Ende. Seit ihr Auftraggeber, der Dämon Magoth, all seine magischen Kräfte verloren hat, weicht er nicht mehr von ihrer Seite. Mays Geliebter, der attraktive Werdrache Gabriel, ist davon natürlich gar nicht begeistert. Da findet May einen schwer verletzten Mann vor ihrer Haustür - eine Warnung des gefährlichen Werdrachen Baltic. Ein Krieg der Drachen scheint unvermeidlich, und May fürchtet um das Leben ihres Geliebten Gabriel.

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Inhalt

Titel

Widmung

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Impressum

DRACHEN LIEBEN HEISSER

Roman

Ins Deutsche übertragen

von Margarethe van Pée

Für meinen Freund Brian Murphy, weil er mich zum Lachen bringt, mich gnadenlos neckt und mich schimpfen lässt, ohne auch nur ein einziges Mal zu sagen: Das hast du dir selbst eingebrockt, Schätzchen!

1

»Kopf ab!«

Ich blickte von meinem Laptop auf. Mitten im Wohnzimmer stand ein Mann und zeigte mit dramatischer Geste auf eine Frau an der Tür.

»Ich verlange, dass du diesen … diesen … Drachen wegen Ungehorsam bestrafst!«

»Ja, ja, wer es glaubt …«, murmelte eine Stimme vom Fußboden.

Magoth betrachtete den Hund, der auf einem sonnenbeschienenen Fleck lag und sich durch einen Stapel pornographischer Comics las, mit zusammengekniffenen Augen. »Ich habe dir keine Erlaubnis gegeben, in meiner Gegenwart zu sprechen, Dämon.«

»Große Neuigkeit – du bist gar kein Fürst mehr, deshalb kann ich sagen, was ich will. Stimmt’s, May?«

Ich wollte gerade nicken, besann mich aber dann eines Besseren. Ich hatte zwar nicht viel Erfahrung mit Jim, dem Dämon in Hundegestalt, aber doch genügend, um ihm nicht gleich seinen Willen zu lassen. »Nein, du kannst sagen, was Aisling dir zu sagen erlaubt hat, als sie dich zu uns geschickt hat. Und wenn ich mich recht erinnere, hat sie dich angewiesen, dass du zu niemandem frech sein sollst.«

Jim, der seinen tatsächlichen Namen Effrijim viel zu mädchenhaft fand, grinste, was nicht einfach war, wenn man bedachte, dass er die Gestalt eines zottigen schwarzen Neufundländers hatte. »Sie hat gesagt, wenn ich dich verärgere, würde sie mich nach Akasha schicken, bis das Baby volljährig ist. Aber jeder weiß ja, dass Doppelgänger nicht so leicht zu verärgern sind, deshalb ist alles in Ordnung.«

»Wären wir jetzt in Abaddon«, knurrte Magoth, »würdest du auf dem Bauch angekrochen kommen und mich um Gnade anwinseln. Es wäre eine nutzlose Geste – trotzdem würde ich dir erlauben, mich weiter um Vernichtung anzuflehen und dich schreiend vor Schmerzen zu winden, bis ich schließlich deiner endlosen Qual überdrüssig wäre.«

»Ja, ja.« Jim wandte sich wieder seinem Comic zu. »Das habe ich alles schon mal gehört.«

Magoth blies sich auf, bis ich dachte, er würde platzen. Ich überlegte, ob die Rechnung für die Reinigung wohl den Unterhaltungswert aufwiegen würde, entschied mich jedoch dagegen. »Was gibt es, Maata?«, fragte ich die Frau, die an der Tür stand und uns amüsiert beobachtete.

»Magoth …«

»Für dich immer noch Prinz von Abaddon Magoth, Drache!«, erklärte der Mann. »Oder Lord Magoth. Oder meinetwegen auch Seine Unheilige Hoheit Magoth.«

»Magoth«, wiederholte Maata, »hat schon wieder versucht, in den Keller einzudringen.«

Ich zog eine Augenbraue hoch und musterte den Dämonenlord im Exil, früheren Stummfilmstar und Träger eines (buchstäblich) verfluchten Penis, der in ohnmächtiger Wut im Raum herumrannte. Über die Jahrhunderte waren unzählige Frauen auf seine Attraktivität hereingefallen, deshalb hatte Magoth keinen Grund, eine andere Gestalt anzunehmen. Allerdings hätte er es auch jetzt gar nicht mehr gekonnt, selbst wenn er gewollt hätte.

»Siehst du, wie ich behandelt werde? Das ist unerträglich, Gemahlin! Ich bestehe darauf, dass du diesem Lakaien eine Lektion erteilst! Ich lasse mir doch von einer Sklavin nicht sagen, was ich zu tun oder zu lassen habe. Sie hat mir Gewalt angedroht! Mir! Sie verdient eine ausführliche, einfallsreiche Bestrafung, weil sie es gewagt hat, mich so zu behandeln!«

»Es war meine Schuld. Ich war gerade auf der Toilette, und er hat die Gelegenheit genutzt, um an den Eingang zum Tresorraum zu gelangen«, sagte Maata entschuldigend. »Es wird nicht wieder vorkommen.«

»Es war der reine Zufall, dass ich genau in dem Moment im Keller war, als die Sklavin das Zimmer verlassen hatte.« Magoth schniefte. Ich kaufte ihm seine vorgetäuschte Selbstgerechtigkeit nicht einen Moment lang ab.

»Du bist an mir vorbeigeschlichen, als ich im Badezimmer war«, beschuldigte Maata ihn.

»Ich bin ein Dämonenlord! Ich schleiche nicht!«, erwiderte er empört.

»Erstens«, sagte ich und zählte die Punkte an meinen Fingern ab, »bist du kein Dämonenlord mehr. Zumindest in technischer Hinsicht nicht. Zweitens ist Maata eine von Gabriels Elitewachen, keine Sklavin, und du wirst sie mit dem gebührenden Respekt behandeln. Und drittens bin ich nicht deine Gemahlin, also hör auf, mich so zu nennen.«

»Du bist meine Gemahlin«, beharrte er und kniff die Augen zusammen.

»Du hast dich von mir gelöst, als du festgestellt hast, dass man dich aus Abaddon herausgeworfen hat, weißt du noch?«

»Das geschah in der Hitze des Augenblicks. Du weißt sehr wohl, dass ich nicht die Scheidung eingeleitet habe. Bis es mir gefällt, dich aus dieser Stellung zu entlassen« – er lächelte und ich dankte meinem Schicksal, dass wir nicht in Abaddon waren, sonst hätte ich ein bisschen von meiner Seele verloren –, »oder bis du stirbst, bleibst du meine Gemahlin.«

»Danke für die Belehrung.« Wie immer, wenn ich bedroht wurde oder eine starke Emotion empfand, regte sich das Stück Drachenherz, das ich in mir trug. Es zu beherrschen, hatte mich viel Mühe gekostet. Ich lächelte Gabriels Bodyguard an. »Danke, Maata. Ich kümmere mich schon darum.«

»Besser du als ich«, murmelte sie und lächelte schief.

»Soll ich ihn mir ein bisschen vorknöpfen?«, fragte Jim. Er erhob sich und trottete langsam auf Magoth zu. »Ich würde ihm ja direkt an die Nüsse gehen, aber dieser Fluch macht mir ein bisschen Angst.«

»Versuch es nur«, sagte Magoth. Seine Augen glitzerten in einem unheiligen Licht.

Jim blieb stehen und warf mir einen besorgten Blick zu. »Du hast doch gesagt, er hätte hier keine Macht, oder?«

»Fünfundneunzig Prozent seiner Macht stehen ihm nicht zur Verfügung, genau«, erwiderte ich.

Jim erstarrte. »Oh Mann! Ich habe gedacht, all seine Macht wäre flöten gegangen!«

»Das ist ja auch so. Na ja, alle Macht abgesehen von fünf Prozent.«

»Fünf Prozent? Ach, du liebe Güte, May! Wir müssen uns dringend mal unterhalten über den Unterschied zwischen einem Dämonenfürsten ohne jede Macht und einem mit genügend Macht, um einen sechstklassigen Dämon zu zerquetschen.«

Magoth lächelte wieder. Eine dünne schwarze Machtranke griff nach Jim.

Der Dämon jaulte auf und wich zur Tür zurück. »Feuer von Abaddon, verstehst du keinen Spaß? Ich habe doch nur Spaß gemacht, Eure dunkle kaiserliche Majestät. Äh … Ich glaube, jetzt kommt Hart, aber herzlich. Ihr wisst ja, wie gerne ich Stefanie Powers gucke. Bis später, Eure Eminenz unheiliger Finsternis.«

Als sich die Tür hinter Jim geschlossen hatte, schenkte ich Magoth meine volle Aufmerksamkeit. In den letzten sechs Wochen, in denen Magoth bei Gabriel und mir gewohnt hatte, hatten wir festgestellt, dass der Dämonenlord nur einen winzigen Bruchteil seiner Kräfte wiedererlangt hatte, aber man wird nicht Fürst von Abaddon, ohne ein paar Tricks aufzuschnappen.

»Du weißt, dass der Keller und der gesamte untere Bereich tabu sind, bis die Arbeiter fertig sind, Magoth. Wir haben es dir ausführlich erklärt, als sie begonnen haben, die Schatzkammer zu bauen.«

Er blickte mich schmollend an. »Wie die Sterblichen sagen, du bist nicht mein Boss.«

»Vielleicht nicht, aber du bist hier nur geduldet, eine Tatsache, die ich dir anscheinend immer wieder ins Gedächtnis rufen muss. Wenn du Gabriel irritierst, indem du dir gewaltsam Zutritt zu seiner Schatzkammer verschaffst, wird er dich auf die Straße setzen.«

Er trat hinter den Schreibtisch, an dem ich saß, und fuhr mit dem Finger meinen Arm hinauf. Ich bekam beinahe eine Gänsehaut. Seine Berührung war so kalt, dass der Luft um mich herum alle Wärme entzogen wurde. »Ah, aber du würdest doch deinem schuppigen Freund nicht erlauben, das zu tun, oder, meine süße, süße May?« Er hauchte mir einen kalten Kuss auf meinen Nacken. Ich ballte die Fäuste, dass meine Handflächen schmerzten. Auch ohne hinzusehen wusste ich, dass sich meine Finger in lange, scharlachrote Krallen verwandelt hatten. Das Stück Drachenherz löste verlockende Visionen in mir aus, und ich sah Magoth tot auf dem Boden zu meinen Füßen liegen.

Beinahe hätte ich dem Drachenherz nachgegeben, aber ich rief mir ins Gedächtnis, dass es für mich kein Zurück mehr gab, wenn ich mich erst einmal darauf eingelassen hatte. Und so sehr ich Gabriel liebte, so glücklich ich war, die Gefährtin eines mächtigen – und witzigen, weltgewandten und unglaublich sexy – Wyvern zu sein, so wollte ich doch nicht den Rest der Ewigkeit als Drache verbringen.

»Man hat dich gewarnt, mich zu berühren«, sagte ich so neutral wie möglich. Das Stück Drachenherz kämpfte darum, mich zu beherrschen, aber ich hatte nicht umsonst über hundert Jahre als Magoths Sklavin überlebt. Ich hatte gelernt, meine Emotionen unter Kontrolle zu halten.

Sein kalter Atem glitt über meinen Hals, aber dann siegte seine Klugheit. Er schob meinen Laptop beiseite und legte sich lasziv auf den Schreibtisch. »Du willst mich doch auch.«

»Ich will Gabriel«, erwiderte ich. Erneut drohte das Stück Drachenherz mich zu überwältigen.

Er lächelte verführerisch. »Dein Drache mag ja deine Doppelgänger-Bedürfnisse befriedigen, aber das Tier in dir will mich, süße May. Ich kann es spüren.«

»Ich bin kein Tier«, erwiderte ich grob. Ich räusperte mich. Ich würde mich von ihm nicht reizen lassen.

Er beugte sich leicht vor, die Augen halb geschlossen. Ich kannte die Zeichen – schließlich war ich oft genug das Opfer seiner Verführungsversuche gewesen. Wenn ich ihn eine Weile gewähren ließ, dann konnte ich ihn vielleicht mit irgendeiner interessanten Kleinigkeit ablenken. Magoth liebte glänzende Dinge, ob er sie anfassen konnte oder nicht.

»Sag mir nicht, dass du es nicht auch fühlst«, sagte er und blickte mich an. Er hatte nicht genug Macht, um mich mit einem Zauber zu belegen, deshalb dachte ich mir am besten irgendein interessantes Konversationsthema aus.

Zu meiner Überraschung und meinem äußersten Entsetzen jedoch beugte ich mich ebenfalls vor, bis meine Lippen seine berührten.

Das Drachenherz überschwemmte mich mit Emotionen, heiß und fremd, und plötzlich verspürte ich ein brennendes Verlangen, mich mit ihm zu paaren.

»Nein«, keuchte ich entsetzt und wich zurück. Nicht einmal, seit ich Gabriel kennen gelernt hatte, war ich Magoth anders als mit Hass und Abscheu begegnet. Was war nur auf einmal los mit mir?

Mental rief ich ein Bild des Mannes ab, den ich von ganzem Herzen liebte, dachte an seine warme, milchkaffeebraune Haut, an die Grübchen, die mir die Knie weich werden ließen, die silbernen Sprenkel in seinen Augen, das Feuer, das nur er in mir entzündete. Ich brannte für ihn. Nur für ihn.

Rasch trat ich die winzige Flamme aus, die auf dem Boden emporzüngelte.

»Siehst du? Das Tier in dir sagt ja, meine Süße. Gib ihm nach. Ich will dir zeigen, welch köstliche Lust ich dir bereiten kann.«

Ich musste mich zwingen, mich zu erheben. »Es ist kein Tier. Es ist ein Fünftel des Drachenherzens, und es beherrscht mich nicht. Du kannst ruhig aufhören, mich zu verführen, weil es sowieso nicht funktioniert. Und muss ich dich daran erinnern, was Gabriel dir angedroht hat, als er dich letztes Mal dabei erwischt hat, wie du Liebe mit mir machen wolltest?«

»Ich mache keine Liebe. Ich mache Ekstase«, antwortete er, aber seine Hand fuhr unwillkürlich schützend vor seinen Schritt. »Du kannst protestieren, so viel du willst, meine Anbetungswürdige, die Tatsache bleibt bestehen, dass wir beide wissen, die Flitterwochen mit deinem Drachen sind vorbei, und ich bin es, den du wirklich willst.« Er glitt vom Schreibtisch und trat auf mich zu.

»Hör auf, einen Blick in Gabriels Schatzkammer werfen zu wollen, hör auf, Maata zu belästigen, und hör auf, mich verführen zu wollen«, sagte ich und wich zur Tür zurück. Ich riss sie auf und rannte hinaus, bevor er mir antworten konnte, aber sein spöttisches Gelächter folgte mir, als ich den Flur entlang zur Treppe lief, die in den Keller führte.

Maata saß auf einem Stuhl unten an der Treppe und las ein Buch. Sie blickte auf und zog die Augenbrauen hoch, als sie mein gerötetes Gesicht sah. Da ich normalerweise ruhig und beherrscht war, war ihr wohl klar, dass das Drachenherz mich wahnsinnig machte.

»Wo ist er?«, fragte ich.

Sie wusste genau, wen ich meinte. »Er überprüft das Schloss. Sie haben die Tür eingebaut.«

»Danke.« Rasch lief ich zu dem Loch im Betonboden und stieg die Metallleiter herunter, die auf den felsigen Untergrund führte. Lampen hingen trunken von der Decke, und ein dumpfer, modriger Geruch lag in der Luft. Das war nicht weiter überraschend, wenn man bedachte, dass die Arbeiter dieses unterirdische Gewölbe erst im vergangenen Monat ausgehoben hatten. Eine Reihe von grabähnlichen Gängen endete in einem großen Raum, in dem Gabriel seine größten Schätze aufbewahren wollte.

Zwei Wachen erschienen, als ich die letzten Meter zum Boden von der Leiter sprang. Lächelnd grüßten sie, als ich vorbeilief, ebenso wie drei weitere silberne Drachen, die gerade Kisten auspackten.

Was sie so amüsierte, war meine unziemliche Hast, das war mir klar. Aber es war mir egal. Dass ich das Stück Drachenherz nicht kontrollieren konnte, mochte Gabriels Leute – die jetzt auch meine waren – ja erheitern, aber sie verstanden mich auch.

Eine weitere Metallleiter führte zu einem noch tieferen Level, und dann lag der Eingang zur Schatzkammer vor mir. Die Tür war aus Metall, so wie in den Tresorräumen großer Banken, schwer und dick, durch Explosionen oder Werkzeug nicht zu zerstören. Drei Hightech-Schlösser und ein Netzhaut-Scanner hielten selbst die geschicktesten Tresorknacker in Schach. Später würden noch Zauber in die Tür eingearbeitet werden, um den Raum auch vor den Mächten zu schützen, die über die Fähigkeiten der sterblichen Welt hinausgingen.

Ich blieb stehen, als ich nur einen Drachen vor der Tür sah.

»Gabriel?«, fragte ich Tipene, den zweiten Bodyguard von Gabriel.

Er wies mit dem Kopf auf die Tür. »Sie überprüfen die Alarmanlage.«

Ich überlegte, ob ich die zehn Minuten warten sollte, bis Gabriel und die Sicherheitsexperten wieder auftauchten, aber ich wusste die Antwort eigentlich schon. Rasch trat ich direkt vor die Tür, die Augen auf das Schloss gerichtet.

Tipene sah mir interessiert zu, als ich die Hände ausschüttelte und verzweifelt versuchte, den Kopf klar zu bekommen, damit ich mit dem Schloss »reden« konnte.

»Ich habe nie verstanden, warum Doppelgänger das können«, sagte er, als ich meine Hände auf das Schloss legte und die Augen zumachte, um mich besser konzentrieren zu können.

»Das weiß ich auch nicht. Ich bin nur dankbar, dass ich es kann.«

»Ich glaube nicht, dass du Glück hast. Das ist ein MacGyver 512-Titaniumcarbon-magnetisch-elektronisches Schloss, äußerst präzise eingestellt. Es ist so hochmodern, dass es noch nicht einmal auf dem Markt ist. Ich weiß, dass du meisten Schlösser öffnen kannst, aber dieses hier wirst selbst du nicht aufbekommen, May.«

»Wir werden sehen.« Ich überredete das Schloss, mir ein paar Geheimnisse preiszugeben. Mit Interesse stellte ich fest, wie raffiniert und gut es gebaut war. Die meisten Schlösser leisten nur wenig Widerstand, bevor sie sich für mich öffnen, aber dieses hier war anders. Es reagierte nicht auf die übliche Überredung, so dass ich zu brutaler Kraft greifen musste. Während ich mich durch die zahlreichen Level des Schlosses arbeitete, notierte ich mir im Geiste, Gabriel zu sagen, dass zu viel Design manchmal eher schadete.

Schließlich erlag der letzte Bolzen meiner Willenskraft, und ich lächelte dem verblüfften Tipene zu, als ich die Tür aufriss.

»Wie …?«, setzte er an, aber ich wartete das Ende der Frage nicht ab.

Die drei Männer, die sich im Gewölbe über ein Clipboard beugten, fuhren herum, als sich die Tür öffnete.

»Vögelchen!« Gabriels Stimme und seine Arme, die sich um mich schlangen, gaben mir das Gefühl, nach einer langen Reise nach Hause gekommen zu sein.

Ohne mich um die Drachenetikette zu kümmern, küsste ich ihn. Ich brauchte die Sicherheit, die nur er mir geben konnte.

»Ich glaube es nicht«, sagte einer der beiden Männer, als ich meine Finger in Gabriels weiche Dreadlocks grub. »Sie kann unmöglich dieses Schloss geöffnet haben. Das ist einfach unmöglich. Niemand kann diese Tür öffnen. Vielleicht haben wir sie nicht richtig verschlossen …«

»Feuer«, flüsterte ich in Gabriels Mund.

Sein Drachenfeuer wirbelte durch mich hindurch und setzte mich in Flammen.

»Sie war verschlossen«, sagte der zweite Mann. »Und die Tatsache, dass die Gefährtin des silbernen Drachen hier ist, zeigt ja wohl allzu deutlich, dass das Schloss keineswegs so unmöglich zu überwinden ist, wie dein Unternehmen behauptet. Und das ist ja meine Rede – die beste Alarmanlage der Welt taugt nichts, solange man die Tür so leicht aufbrechen kann.«

»Meine Schlösser kann man nicht leicht aufbrechen«, knurrte der erste Mann. »Da stimmt doch etwas nicht.«

»Was ist los?«, fragte Gabriel und löste sich von mir.

»Wir müssen Magoth loswerden.« Mehr wollte ich vor den Männern nicht sagen. Gabriel hatte sie zwar mit dem Bau seiner Schatzkammer beauftragt, aber keiner von ihnen war ein Drache, und ich war mir nicht sicher, wie weit er ihnen vertraute.

»Hey, May, ich wollte dir nur sagen, dass Magoth deine Brieftasche gefunden hat und schon wieder mit deiner MasterCard in der Hand am Telefon hängt. Hey, Gabe, alles klar? Oh! Schöne Schatzkammer! Ist das da ein MacGyver 512? Drake hat auch eins bestellt.« Jim trat um die beiden Sicherheitsexperten herum und warf einen interessierten Blick auf die Arbeiten.

»Ja, István hat ihn vor ein paar Tagen hier abgeladen«, erklärte ich Gabriel, der mir einen überraschten Blick zuwarf. »Da Aislings Geburtstermin bereits verstrichen ist, findet Drake anscheinend, dass sich alle wohler fühlen würden, ohne dass Jim ständig Bemerkungen darüber macht, sie sähe aus wie ein überreifer Pfirsich, der jeden Moment platzt.«

»Ich habe nicht Pfirsich, sondern ›Pickel‹ gesagt, aber Drake hat gedroht, mich zu Hackfleisch zu verarbeiten, wenn ich ihm nicht aus den Augen ginge«, erwiderte Jim nonchalant. »Aber es ist alles gut. Solange Ash damit beschäftigt ist, das Baby herauszudrücken, hat sie May zu meiner Chefin gemacht, und May liebt mich. Stimmt’s, May?«

Gabriels Quecksilber-Augen blitzten auf. »Was hat Magoth denn jetzt schon wieder gemacht?«

»Wir müssen ihn einfach loswerden«, sagte ich leise. Hoffentlich verstand er die Botschaft in meinen Augen. »Auf der Stelle.«

»Stimmt doch, May«, beharrte Jim. »Du liebst mich, oder? Ich bin dein Liebling!«

Gabriel musterte mich prüfend. »Hat er dich angefasst?«

Seufzend hob ich die Hand. Statt aus meinen normalen, sommersprossigen Fingern bestand sie aus langen, eleganten Silberfingern mit scharlachroten Krallen. »Das Stück Drachenherz funktioniert nicht richtig. Es scheint durcheinander zu sein. Und je eher Magoth weg ist, desto schneller kann ich es richten.«

»Wer ist dein Daddy? Genau, der unglaublich gut aussehende und auf pelzige Weise männliche Jim! Ich gehöre ganz dir, meine Süße, und bin von Ash autorisiert, dir jeden Wunsch von den Augen abzulesen, vor allem wenn du mir Futter geben und mir den Bauch kraulen möchtest.«

»Du meinst doch nicht …« Gabriels Augen weiteten sich.

Ich nickte.

»Ich bringe ihn um.«

Er sagte die Worte leise und mit seiner normalen, samtweichen Stimme, aber die Bedrohung, die darunter lag, war so spürbar, dass mir das Blut in den Adern gefror.

»He! Ich wollte dich nicht beleidigen!« Erschrocken wich Jim zurück. »Wenn May mich nicht am Bauch kraulen soll, dann macht es eben jemand anderer. Aber wenn ich dir einen Rat geben kann, Gabe: Vielleicht solltest du mal über koffeinfreien Kaffee nachdenken.«

»Das kannst du nicht«, sagte ich traurig. Das Stück Drachenherz blieb ruhig und gab sich zufrieden damit, mal wieder alles aufgewühlt zu haben. »Er ist immer noch unsterblich, und vielleicht haben wir ja Gelegenheit, ihn wieder in Abaddon abzuladen.«

Eine kleine Rauchwolke drang aus Gabriels Nase. Ich gab ihm rasch einen kleinen Kuss und knabberte an seiner Lippe.

»Oh ja, davon rede ich doch die ganze Zeit«, sagte Jim vom Fuß der Metallleiter her.

Ich warf dem Dämon einen finsteren Blick zu. »Verschwinde!«

»Ich wollte doch nur …«

»Verschwinde!«, befahl ich ihm erneut. »Sag Magoth, wenn er noch einmal etwas aus diesem teuren Sexshop bestellt, dann schiebe ich ihm seinen dreißig Zentimeter langen, mit Stacheln besetzten Dildo dorthin, wo die Sonne niemals scheint.«

Jim warf mir einen verletzten Blick zu, bevor er meinem Befehl gehorchte. »Und ich dachte, bei dir wäre es lustiger. Du warst in der letzten Zeit viel zu oft mit Aisling zusammen, wirklich!«

»Komm hier herein«, sagte Gabriel und zog mich tiefer in die Kühle der halbfertigen Schatzkammer. Um magische Angriffe abzuwehren, waren ihre Wände mit Stahl und Eisen verstärkt, und sie wirkte wie ein kleiner Weinkeller mit ihren langen, glänzenden Regalen, die darauf warteten, mit Gabriels Schätzen gefüllt zu werden, die er in England aufbewahrte. »Bist du sicher, Vögelchen? Du hast nicht an mich gedacht, und das Stück Drachenherz hat so reagiert?«

Lächelnd küsste ich ihn auf die Nasenspitze. »Mir gefällt der Gedanke, dass du nicht einen Augenblick lang denkst, ich könnte Magoth anziehend finden.«

»Phh.« Er machte eine abfällige Geste. »Du liebst nur mich. Ich weiß, dass du dich nie zu ihm hingezogen fühlen könntest.«

Ich verriet ihm nicht, dass Magoth sehr nahe daran gewesen war, mich zu verführen. »Normalerweise regt sich das Drachenherz nur beim Gedanken an dich, aber dieses Mal war das nicht der Fall. Und doch glaube ich auch nicht, dass ich auf ihn so reagiert habe. Es war, als ob …« Ich versuchte, das Gefühl in sinnvolle Worte zu fassen. »Es war, als ob das Drachenherz auf die dunkle, gefährliche Macht reagierte, die er repräsentiert. Ich habe noch nie so in Magoths Gegenwart empfunden, deshalb kann ich nur vermuten, dass das Stück Drachenherz auf einmal Macht will.«

»Aber das ergibt keinen Sinn«, sagte Gabriel und schüttelte so nachdrücklich den Kopf, dass seine schulterlangen Locken wippten. »Die einzelnen Stücke des Drachenherzens besitzen doch selber Macht. Sie würden niemals nach mehr streben.«

»Ich verstehe es ja auch nicht. Ich sage dir nur, wie es sich anfühlte. Und ich kann Magoth wirklich nicht mehr ertragen. Vielleicht sollte ich Bael noch eine E-Mail schicken …«

»Nein.« Gabriel beugte sich vor und gab mir einen Kuss. »Mir wäre es wirklich lieber, du würdest dich von Abaddon fernhalten.«

»Ich bin die Gattin eines Ex-Fürsten von Abaddon«, erklärte ich sanft und legte den Finger auf seine gerunzelte Stirn. »Ich kann mich gar nicht von Abaddon fernhalten. Als Bael Magoth aus Abaddon verbannt hat, hat er gesagt, er wolle die Verbannung auf zwei Monate begrenzen, und diese Zeit ist beinahe um. Vielleicht könnte ich Bael ja dazu bewegen, ihn wieder in seine Ämter einzusetzen. Ich kann damit leben, seine Dienerin zu sein, Gabriel, aber ich kann es nicht ertragen, wenn das Stück Drachenherz mich zu etwas treibt, das wir alle bedauern werden.«

»Wir können das Stück Drachenherz nicht aus dir entfernen, ohne die anderen Stücke beisammenzuhaben, damit sie das ganze Herz neu bilden«, erwiderte er. Seine Stimme klang gequält. Er berührte meine Wange und schob mir zärtlich eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Und das geht auch nicht ohne eine richtige Schatzhöhle. Die Stücke des Drachenherzens sind immerhin die wertvollsten Reliquien der Drachen, Vögelchen.«

»Ich weiß.« Ich schmiegte meine Wange einen Moment lang in seine Handfläche. Ich wusste schon gar nicht mehr, wie es war, ihn zu lieben, ohne dass das Stück Drachenherz mich zu einer Drachengestalt zwang.

»Wenn die Schatzkammer erst einmal fertig ist, dann können wir nach dem letzten Stück Drachenherz suchen und die Zeremonie beginnen, um dich von dem, das du in dir hast, zu befreien …«

»May? Da ist jemand für dich an der Tür.«

Jims Stimme unterbrach Gabriel, und wir drehten uns beide um, um dem pelzigen Dämon einen bösen Blick zuzuwerfen.

»Jim, Aisling scheint dir große Freiheiten zu lassen, aber du unterbrichst ein privates Gespräch. Ehrlich gesagt ist mir egal, wer …«

»Ich glaube, den Typ willst du sehen«, sagte Jim und warf mir einen wissenden Blick zu.

Ich runzelte die Stirn. »Wer ist es denn?«

»Dieser Diebesfänger, der dich gefangen und vor das Komitee geschleppt hat.«

»Savian?«, fragte ich und sah im Geiste sofort den charmanten, wenn auch ein wenig hinterhältigen Engländer vor mir. »Was macht er hier?«

»Er stirbt«, erwiderte Jim kurz und bündig.

2

Es ist erstaunlich, wie schnell Drachen sich bewegen können, wenn es sein muss. Jim hatte die Worte noch nicht ganz ausgesprochen, als Gabriel und Tipene auch schon weg waren, als seien sie nie hier gewesen. Auch ich hielt mich nicht damit auf, Jim zu fragen, warum Savian gerade vor unserer Tür starb. Ich glitt in den Schatten und raste zur Haustür.

»Ist er tot?«, fragte ich und schlüpfte wieder aus dem Schatten heraus.

Tipene hob gerade einen leblosen Körper von den Stufen auf. Blut bedeckte den weißen Stein und tröpfelte über die Stufen hinunter auf die Straße.

Gabriel war nicht überrascht, mich zu sehen, aber Maata, die die Tür aufhielt, zuckte zusammen, als ich aus den Schatten direkt neben ihr auftauchte.

»Ich vergesse immer wieder, dass du das kannst«, sagte sie und lächelte kläglich. »Es ist ein bisschen unheimlich, wenn du auf einmal so aus dem Nichts erscheinst.«

»Ich komme nicht aus dem Nichts, sondern war nur vor deinem Blick verborgen«, sagte ich und schaute auf Savian.

Beim Anblick des blutigen, zerschlagenen Körpers wünschte ich jedoch, ich hätte es nicht getan.

»Er ist nicht tot«, antwortete Gabriel. »Tipene kümmert sich um ihn, bis ich mir seine Verletzungen ansehen kann. Maata, komm mit mir. Vögelchen, kannst du erkennen, wer ihn hierhin gelegt hat?«

»Wie soll sie das erkennen können?«, fragte Maata.

»In der Schattenwelt sehen die Dinge anders aus«, sagte ich und blickte mich um.

Sie runzelte die Stirn. »Ich bin verwirrt. Du hast doch gerade gesagt, dass wir dich nicht sehen können, wenn du in den Schatten gehst. Warum sollte denn dann etwas anders aussehen? Oder warte – meinst du vielleicht das Träumen?«

»Das Jenseits, das Träumen, die Schattenwelt … das sind nur unterschiedliche Wörter für dasselbe Ding. Es ist einfach eine andere Realität, aber nur ein paar Menschen haben Zugang zu ihr. Wenn ich in der Schattenwelt bin, kann ich Zeichen sehen, die in unserer Welt nicht sichtbar sind. Gabriel?«

Vor unserem Haus schien hell die Sonne. Es waren zwar nicht viele Leute unterwegs, aber ich wollte auf keinen Fall, dass einer der Passanten mitbekam, wie ich in den Schatten verschwand. Gabriel und Maata stellten sich sofort so hin, dass sie die Sicht zur Straße versperrten, so dass ich unbemerkt in die Schattenwelt schlüpfen konnte.

Die Straße, in der wir wohnten, sah auch in der Schattenwelt nicht viel anders aus, nur die Winkel waren leicht verschoben, sodass alles ein wenig schief wirkte. Ansonsten sah ich jedoch nichts Auffälliges … bis ich zu Boden blickte. »Oh, hier haben wir ja etwas.«

»Was ist los?« Gabriels schattenhaftes Bild stand auf einmal neben mir, als ich mich bückte, um einen Fleck auf dem Bürgersteig zu berühren.

Lächelnd richtete ich mich auf und zeigte ihm meine Hand. »Ich bin so froh, dass deine Mutter dir beigebracht hat, in die Schattenwelt zu gehen, auch wenn du nicht körperlich hier sein kannst. Es sind arkane Spuren.«

»Arkan? Von einem Magier?«

»Möglicherweise. Drachen verlieren Drachenschuppen, elementare Wesen Spuren ihres Elements, Dämonen hinterlassen kleine Flecken mit Dämonenrauch, und Theurgen hinterlassen eben arkane Spuren.« Ich blickte mich nach weiteren Anzeichen um.

»Dann könnte es also durchaus ein Magier sein, jemand, der arkane Macht verwendet.«

»Ja, es könnte ein Magier sein, aber auch andere Theurgen verwenden arkane Macht – Orakel und Wahrsager zum Beispiel. Es könnte jeder von ihnen sein.«

»Und Drachenschuppen?«, fragte Gabriel, als ich auf der Suche nach Spuren die Straße entlangging.

»Eine ganze Menge, aber sie sind ein paar Stunden alt, deshalb nehme ich an, sie sind von den Silberdrachen. Frische kann ich nicht sehen. Verdammt.« Ich richtete mich auf. »Die Spur ist schon weg. Elementarwesen und Theurgen sind am schwersten zu verfolgen, weil ihre Spuren so rasch verblassen. Es tut mir leid, Gabriel, ich kann dir nichts anderes sagen als …«

»May, komm zu mir zurück.«

Ich blickte zu Gabriels Gestalt, die neben mir stand. Seine Stimme klang befehlend, ein Umstand, der ungewöhnlich für ihn war. »Was ist?«

»Komm zu mir zurück.« Seine Augen glitzerten wie Quecksilber vor schwarzem Samt. »Komm dorthin, wo mein Körper ist.«

»Wir sind doch nur zwei Blocks von zu Hause entfernt, und ich möchte mich gerne noch ein bisschen umschauen. Immerhin besteht die Chance, dass nicht alle Spuren weg sind.«

Sein Abbild löste sich vor meinen Augen auf, und seine Stimme war nur noch ein Echo in der Luft. »In Träumen ist noch ein anderer Drache.«

Ich wirbelte herum und griff augenblicklich zu dem Dolch, den ich am Knöchel trug, obwohl ich wusste, dass die Waffe nichts ausrichten konnte gegen den einzigen Drachen, der ebenfalls in die Schattenwelt eindringen konnte. »Baltic?«

Eine amüsierte Stimme drang aus der Ferne zu mir. Der höchst gefährliche frühere Wyvern, den wir einst für tot gehalten hatten, der aber offensichtlich äußerst lebendig war, war relativ weit von mir weg. »Ah, da spricht die silberne Gefährtin. Ein Doppelgänger, sagt mir mein Gehilfe, deshalb ist dein Wyvern auch dem Fluch entkommen. Wie clever von Gabriel, eine Frau zur Gefährtin zu nehmen, die theoretisch gar nicht geboren ist.«

»Ärgerst du dich, dass du an diese Möglichkeit nicht gedacht hast, als du die silbernen Drachen verflucht hast, dass ihnen nie eine Gefährtin geboren werden soll?«

Ich spürte, dass Gabriel neben mir stand, nur durch die Realitäten getrennt. Seine Stimme klang jedoch weit weg, als er mir erneut befahl, zu ihm zurückzukehren.

»Du hast ein freches Mundwerk«, antwortete Baltic. Seine Stimme klang jetzt näher. Natürlich war es Wahnsinn, mich mit ihm anzulegen, aber ich wollte die Gelegenheit nutzen, etwas über den geheimnisvollen Drachen, der für so viele unserer Probleme verantwortlich zu sein schien, herauszufinden. »Gabriel toleriert das vielleicht, aber ich nicht.«

Ein Nebel glitt an mir vorbei und formte sich zu einem wütenden Mann. Er warf mir einen zornigen Blick zu, baute sich aber beschützend vor mir auf. »Bedrohst du schon wieder meine Gefährtin, Baltic? Dir ist es letztes Mal schon nicht gelungen, sie mir zu nehmen; wie kommst du auf den Gedanken, dass du jetzt mehr Erfolg haben könntest?«

Kurz herrschte verblüfftes Schweigen, dann antwortete der geheimnisvolle Drache: »Deine Schamanenmutter muss sich tief in Schulden gestürzt haben, um dir wiederholt Zutritt ins Jenseits zu erkaufen, Gabriel.« Zur Sicherheit erwähnten wir gar nicht erst, dass sich Gabriel nicht wirklich in körperlicher Form in der Schattenwelt aufhielt. »Und doch wird die Zeit kommen, in der du ihr nicht zu Hilfe eilen kannst.«

Gabriel erstarrte bei der Beleidigung, erwiderte aber nur: »Dein Köder ist unzulänglich. Hast du noch mehr, oder ist das dein einziges Angebot?«

Baltics Lachen hallte über die leere Straße der Schattenwelt. Interessiert stellte ich fest, dass er sich anscheinend wieder weiter entfernte. Mit Gabriel und mir zusammen wollte er sich wohl nicht anlegen. »Du hast beinahe eine so scharfe Zunge wie deine Gefährtin. Bedauerlich, dass ihr beide zum Schweigen gebracht werdet, wenn ich mein Stück Drachenherz herausnehme.«

Gabriel gab einen dumpf grollenden Laut von sich, als ob er gleich die Geduld verlieren würde.

»Dein Stück?«, rief ich, um ihn abzulenken. »Du hast es Kostya gegeben und hast keinen Anspruch mehr darauf.«

»Diesem Hurensohn würde ich nicht den Dreck unter meinen Stiefeln geben«, knurrte die Stimme. »Dieser Narr von Diebesfänger dachte, er könne mich erpressen.«

»Savian?«, fragte ich. Kurz war ich verwirrt, aber dann fiel mir ein, dass Gabriel und ich vor ein paar Monaten einen toten Diebesfänger gefunden hatten. »Oder Porter?«

»Glaub bloß nicht, dass du Erfolg haben wirst, nur weil du einen Weg gefunden hast, den Fluch zu umgehen«, sagte Baltic leise. »Das wird dir nicht gelingen. Deine Tage sind gezählt, Wyvern. Ich werde deine Gefährtin und das Stück Drachenherz in ihr bekommen. Genieß beides, solange du sie noch besitzt.«

»Ist er weg?«, fragte ich kurz darauf.

Gabriel nickte. »Es war nicht klug, ihn anzugreifen, Vögelchen.«

»Ich wusste ja, dass du ganz in der Nähe bist, und er war weiter weg. Außerdem bin ich es leid, immer nur Vermutungen anzustellen. Es ist Zeit, dass wir ein paar Antworten auf all die Fragen bekommen, die wir zu ihm haben. Ich konnte ihn allerdings nicht geradeheraus fragen, ob er tatsächlich Baltic ist.«

Gabriels Gestalt verschwand, und auch ich trat in einer Gasse wieder in die Realität ein. Er reichte mir die Hand, und wir liefen nach Hause.

»Er hat auf jeden Fall seine Identität nicht geleugnet, auch nicht, dass er der Urheber des Fluchs ist.«

Ich warf ihm einen Blick zu, als wir die Treppe vor dem Haus emporliefen, wobei wir der Blutlache sorgfältig auswichen. »Hältst du ihn nicht für Baltic? Nur weil er die Gestalt eines weißen Drachen angenommen hat, als du mich aus Abaddon gerettet hast?«

Gabriel zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, es ist klar, wer er ist. Aber wichtiger ist, was er ist. Er ist mächtiger, als er sein sollte, und deshalb mache ich mir Sorgen um deine Sicherheit, vor allem jetzt, wo du das Stück Drachenherz in dir trägst. Ich will nicht, dass du ihm alleine begegnest.«

»Du bist süß, wenn du mich beschützen willst, aber ich kann dir versichern, es ist nicht nötig. Ich kann mich selbst gegen ihn zur Wehr setzen.«

»Ja«, sagte Gabriel und öffnete die Tür zu einem der freien Zimmer. »Davor habe ich ja Angst.«

Eine Stunde später tat ich meine Pflicht als Gefährtin eines Wyvern. »Hallo, meine Schöne. Ich nehme nicht an, dass ich in der Unterwelt bin?«

Der Mann vor mir sah aus, als sei er zusammengeschlagen worden. Sein Gesicht war zwar immer noch geschwollen, aber die Stelle, wo seine Wange aufgerissen worden war, heilte schon wieder. Seine Stimme war rau und seine Lippen aufgesprungen, aber die vorsichtige Erheiterung in seinen Augen sagte mir, dass es Savian schon wieder viel besser ging.

»Ich war nicht da, aber ich denke, es sieht ein bisschen wie Abaddon aus und nicht wie das beste Gästezimmer mitten in London«, antwortete ich.

Er versuchte zu lächeln, zuckte aber vor Schmerzen zusammen und begnügte sich damit, einen Mundwinkel hochzuziehen. »Ich nehme an, du hast mich geheilt?«

Ich schüttelte den Kopf und wies auf den Mann an der anderen Seite des Bettes. »Das war Gabriel, dank seines magischen Silberdrachen-Speichels.«

Stöhnend schloss Savian die Augen. »Bitte, sag mir, dass er mich nicht geleckt hat.«

Gabriel lachte.

»Versteh mich nicht falsch – ich bin dir sehr dankbar, dass du mich gesund gemacht hast –, aber der Gedanke, von jemand anderem als einer nackten Frau, die auf mir sitzt, geleckt zu werden …«

»Reg dich nicht auf«, sagte ich leichthin. »Ich kann dir versichern, dass Gabriel eine Salbe verwendet hat. Was ist mit dir passiert? Du siehst aus, als wärest du von einem Lastwagen überfahren worden.«

»So fühle ich mich auch«, antwortete er und bemühte sich, sich aufzurichten.

Gabriel half ihm, und ich rückte die Kissen hinter ihm zurecht. Er seufzte zufrieden, als er sich zurücklehnte.

»Ich bin im Übrigen nicht von einem Was getroffen worden, sondern von einem Wer. Jetzt weiß ich auch, warum sie uns auf der Diebesfänger-Akademie gesagt haben, wir sollten uns nicht mit Goetisten einlassen.«

»Mit wem?«, fragte Gabriel.

Ich setzte mich vorsichtig auf die Bettkante.

Savian antwortete nicht sofort, sondern warf Gabriel nur einen merkwürdigen Blick zu.

»Na los, mach schon«, erklärte dieser ihm zu meiner Überraschung. »Sie würde es sowieso bald herausfinden.«

»Sie, das soll wohl ich sein. Was würde ich herausfinden? Und warum habt ihr Geheimnisse vor mir?« Ich überlegte, ob ich mich ärgern sollte.

»Ich kenne den Namen der Frau nicht, aber ich vermute, es ist die, die sie Thala nennen.«

»Thala?« Den Namen kannte ich nicht. Fragend blickte ich Gabriel an.

Er schüttelte den Kopf. »Der Name kommt mir nicht bekannt vor.«

»Sie ist hübsch. Sehr hübsch. Und sie täuscht einen damit«, sagte Savian stirnrunzelnd. Bei der Erinnerung zuckte er leicht zusammen. »Keine Frau sollte so hübsch und zart aussehen wie sie und mir dabei so etwas antun können. Es hat sie noch nicht einmal besonders angestrengt.«

»Wie hat sie denn ausgesehen?«, fragte ich.

»Ein bisschen größer als du, nicht so zierlich. Braune Augen und die prachtvollsten roten Haare, die ich jemals gesehen habe.«

»Rote Haare?« Ich warf Gabriel einen Blick zu. »Die Frau, die Cyrene, Maata und ich in Fiats Haus bei Baltic gesehen haben, hatte rote Haare, und auch die übrige Beschreibung passt auf sie. Ich hielt sie für einen Drachen, aber Maata meinte, sie sei von gemischtem Blut.«

Gabriel blickte mich nachdenklich an. »In welcher Verbindung stand sie mit dem, den du gesucht hast?«, fragte er Savian.

»Begleiterin, Bodyguard, Geliebte, Ehefrau, Freundin – ich habe keine Ahnung. Sie war dort, wo du ihn vermutet hast, deshalb besteht wohl eine Art enge Verbindung zu ihm. Ich weiß nur, dass sie offensichtlich nicht gerne überrascht wird, dass sie zahlreiche Methoden kennt, um Männer außer Gefecht zu setzen und dass sie gründlich mit arkanen Mächten vertraut ist«, antwortete er und betastete vorsichtig sein Gesicht. »Ich glaube, sie hat versucht, mir mit irgendeinem Zauber den Kopf abzureißen.«

»Es überrascht mich, dass du sie nicht überwältigt hast«, sagte ich und dachte daran, wie er mich in Paris vors Gericht geschleppt hatte.

Er verzog erneut das Gesicht zu einem halben Lächeln. »Es ist mir gerade so gelungen, sie davon abzuhalten, mich umzubringen. Ich weiß nicht, wo sie trainiert worden ist, aber da möchte ich auch mal gerne hin.«

»Ein Zauber«, sagte Gabriel langsam. »War sie ein Magier?«

»Das bezweifle ich. Ihre Macht fühlte sich … anders an. Nicht rein. Diese Sache mit dem Halbdrachen, die May erwähnt hat, passt. Sie besaß eine Kraft, die über alles hinausgeht, was für Sterbliche normal ist.«

»Wenn die Frau, die ich gesehen habe, diese Thala ist, dann hast du irgendwas gemacht, was mit Baltic zu tun hatte.« Ich blickte Gabriel ausdruckslos an. »Möchtest du es mir erklären?«

Er grinste, der Schuft. Ich bemühte mich zwar sehr, mir nichts anmerken zu lassen, aber beim Anblick seiner Grübchen schmolz ich jedes Mal dahin. Irgendwie wusste er das auch, und ich zweifelte nicht daran, dass er sie bewusst einsetzte, um mich zu schwächen. Das Stück Drachenherz wusste es auch, und am liebsten hätte ich mich auf der Stelle auf ihn gestürzt. »Du wusstest doch, dass ich das fehlende Stück finden musste.«

»Ja, aber ich hatte eigentlich erwartet, dass wir es zusammen tun«, antwortete ich. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du hast Unterricht bei Drake genommen, wie man seiner Gefährtin auf die Nerven geht. Also spuck es schon aus.«

Schief grinsend nickte Gabriel Savian zu. »Ihr Wunsch ist mir Befehl. Also spuck es aus.«

»In Ordnung, aber ich möchte nicht, dass einer sauer auf mich wird.« Savian schwieg einen Moment lang, dann lächelte auch er. »Es sei denn, so sauer, dass du deinen Freund sausen lässt und mich vorziehst.«

Gabriel kniff die Augen zusammen.

Das Stück Drachenherz bedachte Savians Vorschlag ernsthaft, aber ich warf ihm nur einen verweisenden Blick zu.

»Man kann es ja schließlich mal versuchen«, sagte Savian gespielt seufzend. Dann fuhr er in geschäftsmäßigem Tonfall fort: »Wie von dir angewiesen, überprüfte ich Örtlichkeiten in Berlin, Paris, St. Petersburg und Riga. Es gab jedoch nur in der letzten Stadt Spuren von Aktivität des fraglichen Individuums.«

»Riga«, sinnierte ich. »Russland?«

»Lettland«, korrigierte Savian.

»Ich glaube, ich weiß, wo das ist«, sagte ich und nickte. »Aber warum versuchst du, die Identität der Person geheim zu halten, die du für Gabriel finden sollst? Ich nehme an, du solltest Baltic aufspüren, oder?«

Savian warf Gabriel einen unbehaglichen Blick zu. »Wir wissen beide, wie wichtig es ist, das Stück Drachenherz zu finden. Ich habe einfach die zweckdienlichste Methode gewählt«, sagte Gabriel schließlich mit einer kleinen, unglücklichen Geste.

Ich musterte ihn einen Moment lang. »Einverstanden, aber warum wolltest du das unbedingt ohne mich tun?«

»Du steckst doch sowieso in der Sache drin, Vögelchen. Du bist mehr involviert als jeder andere, den ich benennen könnte«, erwiderte Gabriel. »Ich habe nur den Diebesfänger gebeten, das fehlende Stück aufzuspüren.«

»Und das hat ihn zu Baltic geführt?«

Gabriel schürzte die Lippen. Offensichtlich wollte er eine Einschränkung hinzufügen, wie er es immer tat, wenn ich den geheimnisvollen Drachen beim Namen nannte.

»Du hast doch gesagt, es sei klar, wer er ist, Gabriel. Ich finde, wir sollten uns langsam über diese Identitätsfragen hinwegsetzen. Er ist Baltic.«

Zu meiner Überraschung nickte Gabriel. »Ich stimme dir zu. Ich bin zwar noch nicht dahintergekommen, wie er wiederauferstanden ist – Drachen sind nicht wie Sterbliche. Man kann sie nicht einfach so wieder zum Leben erwecken, und Wyvern schon gar nicht. Eigentlich gilt die Regel, wenn wir erst einmal tot sind, sind wir tot – aber darüber möchte ich jetzt nicht diskutieren. Wir haben keinen Beweis dafür, dass Baltic noch ein Stück Drachenherz besitzt. Ich glaube ja, er hat es Kostya gegeben. Oder vielmehr, Kostya weiß, wo es sich befindet.«

»Wie kommst du darauf?«, fragte ich. »Du weißt doch, wie Kostya sich wegen des Stücks, das wir ihm abgenommen haben, aufgeführt hat. Um es wiederzubekommen, wäre er bereit gewesen, alle silbernen Drachen auszulöschen, und ich glaube nicht, dass er sich so verhalten würde, wenn er noch ein Stück in seinem Besitz hätte.«

»Ich will ja gar nicht behaupten, dass er das Modana-Phylakterion bereits besitzt. Baltic hat schließlich selbst erklärt, dass er nicht der Typ sei, um so etwas Wertvolles einfach an einen Erben weiterzugeben. Aber er hat Kostya immerhin als Erben anerkannt, und das bedeutet, dass Baltic ihm so weit vertraut hat, dass er ihm gesagt hat, wo sich seine Schatzkammer befindet und wie er hineinkommt.«

»Ein interessanter Gedanke«, sagte ich langsam. »Aber dann erhebt sich die Frage, warum Kostya bei Baltics Tod nicht in die Schatzkammer eingedrungen ist. Vorausgesetzt, er war nicht nur schwer verwundet, sondern tatsächlich tot, und ist später irgendwie wiederauferstanden.«

»Wie kommst du denn auf die Idee?«, fragte Gabriel.

Savian blickte von einem zum anderen, als verfolge er ein Tennismatch. Jetzt unterbrach er uns und rieb sich den Kopf. »Ich wünschte, ihr würdet nur auf einer Seite stehen. Mir tut der Kopf weh.«

Wir achteten gar nicht auf ihn.

»Glaubst du, Kostya war in Baltics Schatzkammer?«, fragte ich.

»Also, ich glaube schon«, sagte Savian. »Wenn ich die Position als Anführer der Drachen übernommen hätte, würde ich doch bestimmt als Erstes in die Schatzkammer meines ehemaligen Chefs marschieren.«

»Aber Kostya war ein Jahrhundert lang im Adlerhorst in Nepal eingesperrt.« Ich hielt inne und überlegte, was Aisling mir von Kostya erzählt hatte. »Gabriel, hast du nicht gesagt, er sei beinahe tot gewesen, als du ihn gefunden hast?«

»Ausgezehrt und verletzt, aber nicht so nahe dem Tod, wie man meinen sollte, Vögelchen. Um einen Drachen, vor allem einen Wyvern, zu töten, muss man sich schon ganz besonders anstrengen. Aber darum geht es gar nicht – nach dem Sturz von Baltic hat sich Kostya freiwillig in den Adlerhorst zurückgezogen, um seine Wunden zu lecken und von der Rückkehr an die Macht zu träumen. Eingesperrt wurde er erst kürzlich. Das ist höchstens ein paar Jahre her.«

»Von Baltic«, sagte ich und versuchte, Ordnung in meine verwirrten Gedanken zu bringen.

Gabriel warf mir einen seltsamen Blick zu. »Wenn Kostya wirklich in seine Schatzkammer eingedrungen ist, glaubst du, dass sich Baltic dann damit begnügt hätte, Kostya einfach nur einzusperren?«

»Nein, er hätte ihn bestimmt vernichtet.« Savian nickte.

»Ja, ihr habt recht. Wonach sollte Savian dann suchen? Nach dem Ort, an dem sich die Schatzkammer befindet? Nach dem Stück Drachenherz? Oder nach Baltic?«

»Wenn möglich nach allen dreien«, antwortete Savian und rieb sich erneut den Hinterkopf. »Aber die Schatzkammer war das Wichtigste.«

»Und du hast sie in Lettland gefunden?«

»Ja, die Stelle, an der sie einmal gewesen ist. Das heißt, ich habe Baltics Festung gefunden.«

»Dauva«, sagte Gabriel. Er wirkte geistesabwesend. »Du hast Dauva gefunden. Viele haben schon danach gesucht, aber die Spuren sind schon lange verschwunden.«

Erneut zeigte Savian sein schiefes Lächeln. »Die meisten Drachen besitzen einfach nicht die Fähigkeiten, um durch die Schutzschichten zu sehen, die über die Überreste gelegt worden sind. Ehrlich gesagt habe selbst ich sie nicht auf Anhieb gefunden. Aber durch die Berichte, die du mir mitgegeben hast, wusste ich, dass es da sein musste, deshalb habe ich weiter nach Anzeichen gesucht, und vor zwei Tagen habe ich schließlich eins gefunden.«

»Den Eingang zur Schatzkammer?«, fragte ich. Jedes Haar an meinem Körper stand mir zu Berge bei dem Gedanken an Gold. Das Stück Drachenherz, das nie besonders subtil vorging, überschwemmte mich mit Verlangen nach Gabriel. Stumm flehend blickte ich ihn an und umklammerte die Bettdecke, um mich nicht auf ihn zu werfen.

»Gefährtin«, sagte er. Seine Augen blitzten silbern, und seine Stimme wurde tief vor Erregung. Sie glitt wie Seide über meine empfindliche Haut. Ich stöhnte.

»Bin ich hier überflüssig?«, fragte Savian amüsiert.

»Das ist das Stück Drachenherz«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Du darfst Gold nicht erwähnen.«

»Habe ich doch gar nicht. Oh, die Schatzkammer.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe sie nicht gefunden, ganz zu schweigen von Go … äh … dieser glänzenden Substanz, die auf Drachen wie ein Aphrodisiakum wirkt. Ich muss wohl ganz in der Nähe der Schatzkammer gewesen sein, aber bevor ich einem wirklich verlockenden Duft nachgehen konnte, fand mich diese rothaarige Teufelin. Danach habe ich mich nur noch darum gekümmert, dass meine Haut da blieb, wo sie hingehörte.«

Savians ruhige, sachliche Stimme dämpfte meine Glut ein wenig. Auch Gabriel hörte auf, mich mit den Augen auszuziehen, und richtete seinen Blick auf Savian. Aber er wirkte angespannt, und ich wusste nur zu gut, dass ich nur eine rote, scharfe Kralle auszustrecken brauchte, damit er die Beherrschung verlor.

»Mayling«, warnte er mich.

»Jemand, der anderer Leute Gedanken lesen kann, sollte sich nicht über das beschweren, was er vorfindet«, erwiderte ich. Es kostete mich unglaubliche Mühe, meine Emotionen in den Griff zu bekommen.

Savian lachte. »Selbst ich wusste, was du gedacht hast, May. Und wenn ich nicht das Gefühl hätte, meine Gliedmaßen würden mir abfallen, wenn ich aufstünde, würde ich euch zwei alleine lassen, auch wenn ich erneut darauf hinweisen möchte, dass ich zurzeit frei bin.«

Einer von Gabriels Fingern zuckte, und Savians Haare fingen Feuer.

»Was zum … Ich nehme alles zurück. Ich bin überhaupt nicht frei. Au! Könntest du …«

Ich warf Gabriel einen dankbaren Blick zu, weil er für Ablenkung gesorgt hatte. Dann wandte ich mich wieder Savian zu, der wie wild auf seinem Kopf herumpatschte. »Du solltest einen Drachen besser nicht necken.«

»May!«

Ich löschte das Feuer. »Aber das tue ich nur, weil ich das Ende deiner Geschichte hören will. Diese Frau hat dich also in Lettland zusammengeschlagen. Und wie bist du nach London gekommen?«

Er tätschelte forschend seinen Kopf, dann warf er mir einen bösen Blick zu. »Ich war übrigens gerade beim Friseur.«

»Lettland?«, fragte ich.

»Ich bin nicht dort oben zusammengeschlagen worden. Für was für einen Diebesfänger hältst du mich denn? Ich lasse mich doch nicht an einem Ort angreifen, der mir nicht vertraut ist. Wenn ich so naiv wäre, wäre ich schon seit Jahrzehnten tot. Als ich alle Bindezauber gelöst hatte, war mir klar, dass nur ein Goetist, und zwar ein ziemlich mächtiger, in der Lage war, so einen komplizierten Zauber zu spinnen.«

Ich blickte Gabriel an. »Ist es normal, dass Drachen Goetisten engagieren, um ihre Schatzhöhlen beschützen zu lassen?«

»Nein. Die meisten Drachen verwenden einen Bann, den jeder ziehen kann. Allerdings verwendet man manchmal Dämonen, um sie zu brechen.«

»Das stimmt. Aisling hat mir erzählt, sie hat den Bann an Fiats Schatzkammer mit Dämonen gebrochen. Aber warum legt jemand einen Runenzauber um diese Schatzkammer?«

Das schien Gabriel auch zu verwirren. Jedes Mitglied der Anderwelt weiß, dass Personen, die Magie anwenden, in zwei Lager gespalten sind: Goetisten und Theurgen. Goetie bezieht sich auf die dunkle Magie, die von denen angewendet wird, die Verbindungen zu Abaddon haben, wohingegen Theurgen – Magier und Wahrsager – ihre Macht aus Quellen in der Menschenwelt beziehen. Andere, wie Nekromanten, verwenden beide Quellen.

»Drachen erhalten ihre Macht aus theurgischen Quellen«, überlegte ich laut. »Warum sollte Baltic also einen Goetisten zum Versiegeln seiner Schatzkammer nehmen?«

»Es macht keinen Sinn«, antwortete Gabriel und wandte sich nachdenklich an Savian. »Bei Drachen sind die dunklen Mächte weniger effektiv als bei Menschen.«

»Das weiß jeder«, sagte Savian und zupfte sich Asche aus den Haaren.

»Es ist nur ein weiteres verwirrendes Teil eines Puzzles, das wir wahrscheinlich nie werden lösen können«, beklagte ich mich. Ich wandte mich an Savian. »Was ist passiert, nachdem du die Schatzkammer gefunden hast?«

Er verzog das Gesicht. »Leider war eine der Binderunen eine Falle. Wahrscheinlich hat sie die Rothaarige auf den Plan gerufen. Und bis ich gemerkt hatte, was los war, war sie schon ganz nahe. Ich hielt es für klüger, das Gebiet zu verlassen und es ein anderes Mal zu versuchen, aber als ich zurück nach Riga kam, stellte ich zwei Dinge fest.«

Wir blickten ihn erwartungsvoll an.

Er lächelte schief. »Zunächst einmal merkte ich, dass sie sich durch die einfachen Methoden, die ich benutzte, nicht von meiner Spur abbringen ließ. Als ich im Hotel ankam, war sie mir dicht auf den Fersen. Es war reines Glück, dass ich sie sah, bevor sie mich erblickte, weil ich durch den Hintereingang ging.«

»Und das Zweite?«

Savian betastete vorsichtig die noch nicht ganz verheilte Wunde an seinem Nacken. »Sie war nicht allein.«

»War Baltic bei ihr?«, fragte Gabriel.

»Nein. Zumindest glaube ich das nicht. Ihr habt doch gesagt, dass dieser Drache arkane Macht anwendet, und der Drache, der der Teufelin geholfen hat, mich durch ganz Lettland, Deutschland und Teile von Frankreich zu verfolgen, roch überhaupt nicht nach Magie. Ich schüttelte ihn in Paris ab. Zuerst dachte ich, ich wäre sie beide los, aber die Rothaarige stürzte sich auf mich, bevor ich dich erreichen konnte. Ich glaubte, sie würde mich umbringen, aber sie hörte auf, kurz bevor es mit mir zu Ende war, und ließ mich in einer Gasse hier in der Nähe liegen.«

»Das ist äußerst seltsam«, sagte ich. Gabriel schwieg, aber ich sah ihm an, dass er genauso verwirrt war wie ich.

»Nein, nein, es ist schon in Ordnung. Du brauchst dich nicht bei mir zu bedanken, weil ich fast gestorben wäre, als ich einen Auftrag von dir ausführte. Die schmerzhaftesten Verletzungen, die ich erlitten habe, sind nichts im Vergleich zu deiner Dankbarkeit. Ein zusätzlicher Bonus ist keineswegs erforderlich. Keiner Erwähnung wert.« Savian lehnte sich zurück in die Kissen und wedelte schwach mit der Hand.

»Ich bin sicher, du wirst außergewöhnlich gut bezahlt«, sagte ich und erhob mich. »Und was deine Verletzungen angeht, so sind sie fast verheilt. In wenigen Stunden wird nichts mehr davon zu sehen sein. Morgen kannst du ohne Weiteres wieder nach Lettland fahren.«

Er riss die Augen auf. »Zurück nach Lettland?«

»Natürlich.« Ich lächelte Gabriel an. Er ergriff meine Hand und verschränkte seine Finger mit meinen.

»Wir müssen das Stück Drachenherz haben«, sagte er zu Savian. »Und wir sollten besser nicht darauf warten, dass Kostya es findet. Wir müssen selber aktiv werden.«

»Ihr meint, ihr müsst das Stück Drachenherz selber holen?«

Gabriel nickte.

»Kostya wird vermutlich nicht allzu glücklich darüber sein, wenn wir in seiner Schatzkammer herumstochern«, erklärte ich.

»Dann müssen wir ihn eben mitnehmen.«

»Glaubst du, er hat es schon?«, fragte ich.

Gabriel schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht. Abgesehen von den Bindezaubern ist Dauva mit so viel Mühe versteckt worden, dass die Schatzkammer noch unberührt da sein muss. Warum sollte man sonst die Ruinen verbergen? Und deinen Erfahrungen mit Kostyas Schatzkammer nach zu urteilen, verwendet er einen völlig anderen Schutzmechanismus.«

»Ja.« Ich dachte an den Bann, der in die Tür von Kostyas Schatzkammer eingelassen war. Er war theurgischen Ursprungs – genau das, was ich zu finden erwartet hatte. »Du hast recht. Also, auf nach Lettland.«

»Ich bin viel zu schwach, um irgendwohin zu reisen«, protestierte Savian. »Ich bin fast getötet worden.« Ich lächelte ihn freundlich an.