Vampire lieben gefährlich - Katie MacAlister - E-Book

Vampire lieben gefährlich E-Book

Katie MacAlister

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Beschreibung

Für Pia Thomason ist der Traum einer romantischen Hochzeit in Erfüllung gegangen - wenn auch nicht so, wie sie es sich vorgestellt hat. Außerdem fangen damit ihre Probleme nun erst richtig an. Sie fühlt sich zwischen zwei Vampiren hin und her gerissen: ihrem Angetrauten Kristoff und seinem besten Freund Alec. Auch als Pia in ihre Heimatstadt Seattle zurückkehrt, verläuft ihr Leben keineswegs in ruhigeren Bahnen. Die Gemeinschaft der Vampire verfolgt Kristoff und Pia wegen eines Verbrechens, das sie begangen haben sollen.

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Inhalt

Titel

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

Der neue Anfang

Impressum

Katie MacAlister

Roman

Ins Deutsche übertragen von Bettina Oder

 

Prolog

„Er ist hier.“

„Echt? Wo? Lass mich mal sehen!“

Ich spürte einen Luftzug hinter mir, als Magda herübereilte, um ebenfalls einen Blick zu erhaschen. „Bist du sicher, dass er das ist?“

Ich schob den schweren blauen Tweedvorhang vorsichtig beiseite, wodurch sich ein winzig kleiner Spalt zwischen Vorhang und Fenster auftat, durch den ich den Mann vor meiner Haustür beobachten konnte. „Er muss es sein. Sieh ihn dir doch nur an.“

„Das würde ich ja, wenn du mal deine Hand wegtust … Ah.“ Magda hatte, wie ich fand, die Stimme einer Opernsängerin, mit warmem Timbre und einem spanischen Akzent, der gleichzeitig charmant und sexy klang. „Na ja, er hat eine Sonnenbrille an, das stimmt schon, aber die tragen eine Menge Leute.“

„Abends?“, fragte ich.

Sie schürzte die Lippen. „Er hat aber nicht so lange Haare wie Alec.“

„Das nicht, aber sieh dir mal diesen spitzen Haaransatz an. Das schreit doch geradezu nach Vampir. Genau wie der Filzhut, den er da in der Hand hält.“

„Quatsch. Das ist doch nur ein Hut.“

Ich zeigte mit dem Finger darauf. „Das ist nicht nur ein Hut. Er ist aus Leder und total stylish, und sämtliche Vampire, die ich gesehen habe, haben so was Ähnliches getragen.“

„Hmpf. Viele Männer tragen so was. Und lange Staubmäntel auch.“

„Also, ich bitte dich! Kennst du sonst irgendwen, der angezogen ist wie jemand, den ein Agent in seine Kartei für männliche europäische Models aufnehmen würde und der zudem eine Sonnenbrille und einen Hut trägt und förmlich nach Sex und Gefahr riecht?“

„Äh …“ Sie verzog das Gesicht, während sie überlegte. „Ach, ich weiß auch nicht. Bist du sicher, dass das der Bote ist?“

„Absolut.“

„Hmm.“ Magdas Kinn ruhte auf meiner Schulter, während wir uns hinter dem Vorhang drängten. „Er könnte doch so ein religiöser Spinner sein, der dich bekehren will. Oder ihm ist das Benzin ausgegangen, und er muss mal dein Telefon benutzen. Oder vielleicht ist er ein Geist, der sich verirrt hat und jetzt deine Hilfe braucht, um den Ort zu finden, den die Geister Himmel nennen.“

„Die Isländer nennen ihn Ostri, und er ist kein Geist.“

„Woher weißt du das? Hast du dein Dingsbums an?“

Ich hob meine Hand. Ein kleiner ovaler Mondsteinanhänger baumelte sachte an einem silbernen Armband.

„Okay, dann ist er also kein Geist. Lass ihn doch einfach rein, und dann werden wir schon sehen, wer er ist.“

„Machst du Witze?“, fragte ich und sah sie mit scharfem Blick an. „Er ist ein Vampir! Hast du denn überhaupt keine Ahnung? Du darfst einen Vampir niemals in dein Haus bitten, denn wenn du das einmal gemacht hast, kann er jederzeit hereinkommen, wann immer er will.“

Ihre Lippen kräuselten sich. „Im Gegensatz zu, sagen wir mal, einem normalen Mann?“

„Du weißt schon, was ich meine.“

„Warum fragst du nicht einfach Kristoff?“, fragte sie desinteressiert und wandte sich ab.

Ich ließ den Vorhang fallen und starrte meine Freundin quer durch das kleine Wohnzimmer hinweg wütend an. „Du weißt ganz genau, dass ich von diesem speziellen Mann kein einziges Wort gehört habe, seit dieser grauenhaften Zeit in Island, als ich am Ende plötzlich seine Auserwählte war statt Alecs. Er hasst mich, weil ich an die Stelle seiner toten Freundin getreten bin. Ich könnte ihn auf gar keinen Fall fragen, selbst wenn ich wüsste, wo er sich gerade aufhält, aber das weiß ich sowieso nicht, und darum brauchen wir darüber auch gar nicht erst zu reden.“

„Mach dich doch nicht lächerlich!“, sagte Magda. Sie ließ sich auf meine Couch fallen und winkte mit der Hand in Richtung Bogengang, der in meine Küche führte. „Da ist er doch. Du kannst ihn alles fragen, was du willst.“

Mir klappte die Kinnlade herunter, als sich ein Schatten aus der Dunkelheit des angrenzenden Zimmers löste und ein Mann ins Licht trat. Ein Paar Augen von reinstem Türkis blickte mich durchdringend an, und mein Herz begann so heftig zu klopfen, dass ich fürchtete, es würde mir die Brust sprengen.

„Pia“, sagte Kristoff mit dieser wunderschönen Stimme mit dem italienischen Akzent, bei deren Klang ich mich stets fühlte, als ob er meine bloße Haut mit Samt streicheln würde.

„Wie … wie bist du denn hierhergekommen?“, stammelte ich. Mein Gehirn war von seinem Anblick und Duft und Klang vollkommen überwältigt, wie er da so vor mir stand, dicht genug, dass ich mich jederzeit auf ihn stürzen könnte.

„Du bist meine Auserwählte“, sagte er und machte einen Schritt auf mich zu. Das Licht einer in der Nähe stehenden Lampe warf einen goldenen Schein auf ihn, die kantigen Flächen seines Gesichts und die kleine Kerbe in seinem Kinn lagen im Schatten, doch die kurzen schokoladenbraunen Locken, die gerade noch die Spitzen seiner Ohren berührten, glänzten – diese Locken, ich wusste es nur zu genau, waren so weich wie Satin. Und sein Mund … oh, dieser Mund mit den üppigen, sensiblen Lippen, die mich vor Verlangen glatt in den Wahnsinn treiben könnten, die mir auf der Stelle seinen Geschmack wieder ins Gedächtnis riefen: diesen teils süßen, teils würzigen Geschmack, der so unverwechselbar zu Kristoff gehörte. Meine Knie drohten sich auf der Stelle in Pudding zu verwandeln. Ich umklammerte eine Stuhllehne, um zu verhindern, dass ich mich augenblicklich zu seinen Füßen in eine riesige Pfütze auflöste. „Wir sind für alle Ewigkeit aneinander gebunden, Pia. Ich kann getrennt von dir nicht existieren.“

„Aber …“ Zu diesem Zeitpunkt hatte mein Gehirn auch den letzten Rest von Nützlichkeit verloren und konzentrierte sich ausschließlich darauf, mir eine Million kleiner, intimer Momente mit ihm in Erinnerung zu rufen. Ich zwang es mühsam, sich von diesen äußerst angenehmen Bildern zu trennen und sich zumindest den Anschein zu geben, es sei ein funktionstüchtiges Organ. „Aber wir waren doch getrennt. Fast zwei Monate lang.“

„Kristoff hatte nicht damit gerechnet, dass du die Schritte der Vereinigung mit ihm vollziehen würdest“, sagte eine männliche Stimme hinter mir.

Der Bote, der vor meiner Tür gestanden hatte, befand sich jetzt in der Türöffnung. Ich musste ein paarmal blinzeln, als mir klar wurde, dass ich ihn schon einmal gesehen hatte. „Du bist Andreas. Du bist Kristoffs Bruder.“

„Er hatte nicht damit gerechnet, seine Auserwählte zu finden“, fuhr Andreas fort. Sein Gesicht ähnelte nur entfernt den Zügen des Mannes, der mich in meinen Träumen heimsuchte.

„Da ging’s ihm genau wie mir, aber ich bin nicht weggelaufen“, sagte ich. Ich wandte mich wieder Kristoff zu, um ihn zu fragen, wieso er nicht ein einziges Mal in den zwei Monaten, seit ich ihm das Leben gerettet und ihm dabei unbeabsichtigterweise auch noch seine Seele zurückgegeben hatte, Kontakt mit mir aufgenommen hatte. Aber noch bevor ich den Mund aufmachen konnte, zog er sich wieder in die Schatten zurück.

„Du bist meine Auserwählte“, wiederholte er, als ihn die Dunkelheit verschluckte. Der tief bewegte Klang seiner Stimme lag noch in der Luft, als er vollständig verschwand. „Wir sind miteinander verbunden.“

„Warte …“ Ich machte einen Schritt auf ihn zu.

Andreas ergriff meinen Arm und sagte mit eindringlicher Stimme: „Er hatte nicht erwartet, von dir gerettet zu werden.“

„Aber ich konnte nicht anders“, versuchte ich zu erklären. Doch Andreas schüttelte einfach nur den Kopf und verschwand durch die Tür.

„Ich hatte keine Wahl.“ Ich sah mich mit ausgestreckten Armen nach irgendjemandem um, dem ich meine Lage erklären könnte. Magda seufzte, legte ihre Zeitschrift hin und stand auf.

„Ray ruft nach mir. Ich muss jetzt gehen. Aber wir sind bald wieder hier, und dann können wir über alles reden, okay?“

„Du verlässt mich?“, fragte ich, mit einem Mal von Panik erfüllt, als sie auf die dunkle Küche zuging. „Du lässt mich hier allein?“

Sie blieb kurz stehen und schüttelte den Kopf; ihre Lippen waren zu einem sanften Lächeln verzogen. „Ich bin in Wirklichkeit gar nicht hier, Pia. Das ist bloß ein Traum, sonst nichts.“

„Aber Kristoff war hier.“ Ich zeigte auf die Tür zu meinem Schlafzimmer. „Er stand genau da. Ich hab ihn doch gesehen.“

Sie sagte nichts, sondern schenkte mir nur noch einmal ein kurzes Lächeln. Und dann löste auch sie sich in nichts auf.

„Ich habe ihn gesehen!“, sagte ich trotzig in das nunmehr leere Zimmer hinein. „Kristoff, ich habe dich gesehen. Kristoff?“

Das Echo meiner Stimme war alles, was ich hörte.

Ich schlang die Arme um meinen Körper und sank mit einem herzzerreißenden Schluchzen zu Boden, während mein Herz seinen Namen hinausschrie. Kristoff!

Pia?

Seine Stimme erklang sanft in meinem Kopf; sanft und vertraut und warm. Alle meine Sinne wurden mit einem Schlag von der Erinnerung an ihn überflutet. Das reichte, um mich aus meinem Traum zu reißen. Heiße Tränen rannen mir aus den Augenwinkeln, während mein Bewusstsein zurückkehrte und zugleich jenes tief gehende Gefühl des Verlusts, das inzwischen mein ständiger Gefährte zu sein schien.

Während mein Verstand noch darum kämpfte, sich von der Benommenheit des Traums zu befreien, wurde mir klar, was passiert war. Ich hatte aus den Tiefen meines Traums heraus nach Kristoff gerufen, und er hatte geantwortet. Obwohl ich wusste, dass Auserwählte und ihre Dunklen häufig die Fähigkeit besaßen, sich mit Gedanken zu verständigen, war unser Abschied doch so dramatisch gewesen, dass ich es gar nicht erst versucht hatte.

Pia?

Das Wort hallte noch in meinem Kopf nach; ein Gefühl widerwilliger Besorgnis schien darin zu liegen, das nicht verflog, als das Echo schon längst verklungen war.

Ja, ich bin’s. Tut mir leid. Ich hab geschlafen. Ich wollte dich nicht stören. Das Schweigen, das meinen Kopf erfüllte, war letztendlich gar kein Schweigen. Ich spürte, dass es von Gefühlen durchströmt war, aber er war wachsam und verhinderte, dass ich sie ebenfalls fühlen konnte. Trotzdem würde ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Ich … ich hab mir deinetwegen Sorgen gemacht, Kristoff. Geht es dir gut?

Schlaf wieder ein.

Ich vergrub mein Gesicht im Kissen und bemühte mich, die Endgültigkeit seiner Worte zu ignorieren und mir einzureden, dass ich nicht gespürt hätte, wie sein Geist sich aus meinem zurückzog, aber das nützte überhaupt nichts. Trotz meines allabendlichen Gelübdes, nicht an ihn zu denken, nicht von ihm zu träumen und nicht weinend aufzuwachen, passierte genau das jedes Mal wieder.

Irgendwann einmal hatte ich auf eine gemeinsame Zukunft mit Kristoff gehofft. Dieses winzige Fünkchen Hoffnung schrumpfte zu einem Nichts zusammen und wurde davongeweht, während ich wieder die Knie an den Leib zog und mit den Armen umklammerte. Der Schmerz über Kristoffs Zurückweisung ließ mich in tiefster Verzweiflung schluchzen, während die langen Stunden der Nacht zögerlich einer freudlosen Dämmerung wichen.

 

1

Krach!

„Tut mir leid! An meinem Wagen ist ein Rad lose“, sagte ich entschuldigend zu der Frau, deren Einkaufswagen ich gerade gerammt hatte, während ich versuchte, meinen eigenen durch die Tür des Supermarkts zu manövrieren.

Mein Opfer hob das Paket Klopapier auf, das bei dem Zusammenstoß aus seinem Wagen gefallen war, und winkte mir beschwichtigend zu. „So was kommt vor. Möge das Licht mit Ihnen sein“, sagte es mit sanfter Stimme.

„Du hast mich angerufen, um mir zu sagen, dass an deinem Einkaufswagen ein Rad eiert?“ Eine belustigte Stimme lachte leise in mein Ohr, während ich vor mich hinfluchte und versuchte, den Wagen einhändig dazu zu bringen, meinem Willen zu folgen.

„Nein, ich hab dich angerufen, weil du mir eine Nachricht hinterlassen hast, dass ich dich anrufen soll. Verdammt! Tut mir wirklich leid, aber er macht einfach, was er will. Haben Sie sich wehgetan? Oh, gut. Ich zieh ihn dann mal ein Stück zurück, damit Sie Ihren Schuh aus dem Maul dieses gefräßigen Monsters befreien können.“

Ein junger Mann mit freundlichem Gesicht lächelte mir wenig überzeugend zu, während er sich hinkniete, um seinen Schuh aus dessen misslicher Lage unter dem Rad des Wagens zu befreien. Seine Stimme wurde von seiner Position und dem Lärm auf dem belebten Parkplatz leicht gedämpft. „Halb so schlimm. Möge das Licht mit Ihnen sein.“

„Oh, Pia.“ Magda lachte noch lauter. Ihre Stimme drang deutlich aus dem Handy, das ich mir zwischen Wange und Schulter geklemmt hatte, während ich meinen Kampf mit dem Wagen auf den letzten Metern zu meinem Auto fortsetzte. „So was Komisches kann aber auch nur dir in einem Supermarkt passieren.“

„Zum Teil ist das aber auch deine Schuld“, grummelte ich, während es mir in letzter Sekunde gelang zu verhindern, dass der Wagen plötzlich seitlich ausbrach und einen schnittigen knallroten Porsche rammte, der gleich neben meinem von diversen Blessuren gezeichneten Hyundai parkte. „In der Sekunde, wo du angerufen hast, ist der Wagen ausgerastet, und es ist echt unmöglich, so ein Ding mit nur einer Hand zu lenken. Aber es ist schön, dich zu hören.“

„Gleichfalls. Und nur so am Rande: Ich habe mit meinem Anruf lediglich auf deine Nachricht reagiert. Füllst du deine Vorräte wegen mir auf?“

„Jepp. Auf deinen ausdrücklichen Wunsch hin habe ich größere Mengen von Tierfleisch und Meeresfrüchten für meinen neuen Grill gekauft. Eins kann ich dir versprechen: Du wirst ausflippen, wenn du meine Jakobsmuscheln mit Ingwer und Knoblauch probierst.“

„Oh, Pia, also, was das betrifft …“

„Entschuldigung?“ Ich drehte mich um, um zu sehen, wer mich da am Ärmel zupfte. Der Mann, dessen Schuh mein Wagen eben hatte verschlingen wollen, hielt mir ein leuchtend blaues Päckchen vor die Nase. „Ich glaube, das ist Ihnen eben aus dem Wagen gefallen. Ich kaufe diese Marke jedenfalls nicht.“

„Ursprünglich hatte ich vor, eine Woche bei dir zu bleiben und dann für eine Woche zu meiner Schwester nach Vancouver zu fahren, aber …“

Ich verzog das Gesicht, als ich die extragroße Vorratspackung Monatsbinden entgegennahm, die er mir hinhielt. „Das Leben scheint es heute darauf abgesehen zu haben, mich in Verlegenheit zu bringen. Danke schön.“

Er lachte. „Machen Sie sich nichts draus. Ich bin verheiratet und kenne mich mit allen Arten von weiblichen Produkten bestens aus. Obwohl ich glaube, dass ich diese spezielle Sorte noch nie gesehen habe. Bedeutet ‚stärkere Tage‘ das, was ich glaube, dass es bedeutet?“

„… und dann hat sich Ray doch noch freinehmen können, und ich dachte, ich mach lieber zwei Wochen draus, wenn es dir nichts ausmacht …“

Ich warf die Binden schnell in den Kofferraum und bemühte mich, die tiefe Röte, die meinen Körper gerade in Richtung Gesicht hinaufstieg, kraft meines Willens zu unterdrücken. „Vielen Dank. Ich glaube, ich sterbe gleich wegen akuter Beschämung.“

Er lachte erneut und schlenderte davon, wobei er mir noch einmal freundlich zuwinkte. „Auf gar keinen Fall würde ich irgendein Licht auf der ganzen Welt schwächen wollen, und ganz besonders nicht Ihres, also gehe ich jetzt lieber.“

„Pia? Pia, hörst du mir überhaupt zu?“

„’tschuldigung. Ich hab mir nur gerade gewünscht, ein Loch würde sich vor mir auftun und mich mit Haut und Haaren verschlucken …“ Ich verstummte und blickte dem jungen Mann hinterher, der jetzt einen blauen Minivan bestieg. „Hat er gerade gesagt, was ich glaube, gehört zu haben?“

„Das weiß ich nicht, ich konnte ihn nicht hören. Ich war nämlich zu beschäftigt damit, dir von der Änderung in meinen unbedeutenden Plänen zu erzählen. Oh Mann, das ist aber wirklich nicht dein Tag, oder?“ Magdas Stimme war vor Lachen kaum zu verstehen.

„Wenn du wüsstest …“ Ich überlegte einen Moment lang und schüttelte dann den Kopf. „Ich muss mich wohl verhört haben. Wie du schon ganz richtig vermutest, hatte ich einen überaus interessanten Tag.“ Ich schleuderte die restlichen Einkäufe ebenfalls in mein Auto, schob den Einkaufswagen dahin zurück, wo er hingehörte, und ließ mich in meinem Wagen auf den glühend heißen Sitz fallen, wo ich gleich die Klimaanlage bis zum Anschlag aufdrehte. „Warte mal kurz, ich stöpsel nur das Headset ein … Schon viel besser. Also, wo waren wir? Oh! Du hast was von Änderungen in deinen Plänen gesagt? Sag mir jetzt bloß nicht, dass du mich doch nicht besuchen kommst!“

„Würde ich meiner Lieblings-Zorya denn so was antun?“

Ich zog eine Grimasse, als ich dieses Wort hörte. „Du weißt doch ganz genau, dass ich eine Ex-Zorya bin. Die nächstgelegene Abteilung der Bruderschaft befindet sich in Südkalifornien, und ich habe ganz bestimmt nicht vor, ihnen meine Dienste anzubieten.“

„Wir können über deine Zukunft sprechen, wenn wir da sind.“

„Wir?“ Ich setzte zurück und fuhr langsam über den Parkplatz und durch das kleine Städtchen hoch oben in den Bergen, ungefähr eine Stunde Fahrzeit von Seattle entfernt. Mein bescheidenes Haus befand sich am Rande der Stadt, eingebettet zwischen hohen Tannen und einer nahezu senkrechten Felswand.

„Ray kommt mit. Natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht.“

„Ausmachen? Nö, ich finde ihn nett.“ Ich musste mich schon anstrengen, um mir ein Bild von dem Mann ins Gedächtnis zurückzurufen, den Magda auf der Single-Reise kennengelernt hatte, die wir vor zwei Monaten gemacht hatten. Das Einzige, woran ich mich noch erinnern konnte, war, dass er groß und sehr schlank war, mit dünner werdendem Haar und sanften Augen, und dass er insgesamt ziemlich harmlos wirkte. Um ehrlich zu sein, schien er nahezu unsichtbar zu werden, wenn Magda in der Nähe war, aber diesen Effekt hatte sie bei vielen Leuten. Sie war so voller Leben und Farbe, mit blitzenden schwarzen Augen, und ihre Lebensfreude war ansteckend. „Dann läuft’s also immer noch gut mit euch beiden, was?“

„Besser als je zuvor“, schnurrte sie. „Er hat seinen Terminplan umgestellt, damit er einen ganzen Monat mit mir verbringen kann, bevor er nach Denver zurückmuss. Ist das nicht süß? Und darum hatte ich gehofft, dass es dir nichts ausmacht, wenn er mit zu Besuch kommt. Ich schwöre dir, er ist absolut stubenrein und er hat versprochen, still und zufrieden in der Ecke zu sitzen und zu lesen oder sich einen Film anzusehen, wenn wir Mädels ein bisschen Zeit für uns haben wollen.“

„Klingt perfekt“, sagte ich. Ich parkte mein Auto in dem winzigen Carport, der zu meinem genauso winzigen Haus gehörte. Als ich anschließend meine Einkäufe nach drinnen trug, geriet ich etwas außer Atem.

„Alles okay mit dir?“, erkundigte sich Magda, als ich die schweren Taschen mit einem erleichterten Stöhnen auf dem Küchentisch ablud.

„Ja, ich bin nur nicht in Form. Und bevor du fragst – nein, ich hatte noch keine Zeit, um mich in diesem Fitnessstudio für Frauen anzumelden, wie ich eigentlich gesagt hatte.“

Magda kicherte. „Mollig ist in, Süße. Das sage ich dir doch schon die ganze Zeit.“

„Na klar doch. In deinem Fall mag das ja zutreffen, aber ich gehe einfach nur auf wie ein Hefekloß. Wer auch immer behauptet, dass eine Frau, die sich nach einem Mann verzehrt, dahinsiecht und verkümmert, erzählt komplette Scheiße. Ich hab zehn Pfund zugenommen, seit ich aus Island zurück bin.“

„So wie Kristoff und du euch auf Island aufgeführt habt, würde ich sagen, er ist ein Mann, der eine Frau mit üppigen Kurven durchaus zu schätzen weiß, also musst du dir deswegen wohl keine Sorgen machen.“

Die Vision unseres mitternächtlichen Stelldicheins in einer Scheune erschien wieder vor meinem inneren Auge. Brennende Hitze strömte durch meinen Körper, als ich mich an das Gefühl erinnerte, wie Kristoffs Mund meinen Hals und meine Brüste liebkoste. Aber mit dieser Erinnerung kam zugleich auch noch eine weitere: die, wie Kristoff seinen Geist wortlos aus meinem zurückzog.

Ich bezweifelte ja gar nicht, dass er mich körperlich begehrte, trotz all meiner Mängel … aber eine Auserwählte sollte so viel mehr sein.

Wie konnte ich einem Mann etwas bedeuten, der mich gar nicht wollte?

„Pia? Bist du noch dran?“

„Ja.“ Ich räusperte mich und versuchte nicht so zu klingen, als ob ich jeden Moment in Tränen ausbrechen würde.

Ihre Stimme war augenblicklich von Mitgefühl erfüllt. „Oh, Schätzchen, es tut mir so leid. Ich hätte das Thema Kristoff gar nicht erst anschneiden sollen.“

„Nein, ist schon gut. Es ist nur so, dass ich heute Morgen diesen komischen Traum hatte. Deshalb hab ich dich auch angerufen. Erinnerst du dich noch daran, dass ich dir von diesem Boten erzählt habe, den die Vampire mir schicken wollten? Ich hab geträumt, dass er hier war und irgendwie warst du auch hier, genau wie Kristoff und sein Bruder, und alles kam mir so real vor, bis ich dann aufgewacht bin.“

„Das haben Träume nun mal so an sich.“

„Ich weiß, aber das war … also, irgendwie anders. Ach, Mist, da ist irgendwer an der Tür. Ich will eigentlich gar keinen sehen.“ Ich schnappte mir ein Papiertaschentuch und betupfte meine Augen, während ich ins Wohnzimmer ging. An der Haustür zögerte ich kurz, dann flitzte ich rasch zum Fenster, um einen Blick auf die Veranda hinaus zu werfen.

„Dann mach ich am besten Schluss.“

„Nein, ist schon okay. Das sind nur so ein paar religiöse Spinner oder so.“ Ich beobachtete einen Mann und eine Frau, die eine kleine Broschüre hinter das Fliegengitter steckten, bevor sie wieder gingen.

„Oh nein. Ich erzähle denen immer, ich wäre Kannibalin, und schon hab ich Ruhe.“

„Das hab ich auch schon versucht. Ich hab gesagt, ich wäre Anarchistin, und dann haben sie mich jede Woche besucht, um mich zu retten.“ Ich öffnete die Haustür gerade weit genug, dass ich mir die Broschüre schnappen konnte, und schloss sie rasch wieder, um mich auf die Couch neben dem Fenster fallen zu lassen. „Und wie lange wollt ihr beiden bei mir bleiben? Die ganze Woche, wie geplant, oder wollt ihr lieber noch ein bisschen Zeit für euch haben und rumknutschen?“

Ich wollte nicht zugeben, wie sehr ich mich auf Magdas Besuch gefreut hatte. Auch wenn mein Job in einem Tierheim, das sich auf ältere Tiere spezialisiert hatte, die in einem anderen Heim vermutlich eingeschläfert worden wären, mich wirklich ausfüllte, schien mir mein Leben seit meiner Rückkehr aus Island so … leer. Es war, als ob ein Teil von mir fehlte. Etwas, das ich früher besaß, war jetzt weg, und ich war nur noch eine leere Hülle. Ich erwartete ja nicht, dass Magda das ändern würde, aber sie war eine sehr gute Freundin geworden, und die Aussicht auf ihren Besuch hatte mich unendlich aufgeheitert.

„Nein! Das ist die gute Nachricht. Nachdem Ray jetzt einen ganzen Monat hat, hab ich meinen Chef dazu überredet, mir noch eine Woche zusätzlich freizugeben, und das heißt, ich habe jetzt zwei Wochen Zeit für dich und dann noch eine bei meiner Schwester, bevor wir wieder nach San Francisco zurückmüssen. Aber natürlich nur, wenn du uns so lange ertragen kannst. Ray, gibst du mir mal bitte das Basilikum? Nein, von dem frischen. Und könntest du mal eben diese Zwiebel klein hacken? Entschuldige, Pia, wir machen gerade Spaghetti.“

„Klingt lecker. Und von wegen ertragen …“ Ich lachte, aber mit einem grimmigen Unterton. „Es könnte passieren, dass ich euch gar nicht wieder weglasse.“

„Na ja, wir werden sehen, wie lange du noch so denkst, wenn dann erst mal Kristoff auftaucht und sich lang und breit dafür entschuldigt, dass er sich wie ein Obertrottel aufgeführt hat.“ Ihre Stimme wurde auf einmal ganz leise. „Wo wir gerade davon reden … Soll ich es Ray eigentlich erzählen? Ich meine, dass du eine Zorya bist und über Kristoff und die Du-weißt-schon-wer und das ganze Zeug?“

Ich massierte mir die Stirn. In letzter Zeit schien ich diese leichten bohrenden Kopfschmerzen überhaupt nicht mehr loszuwerden. „Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Ich bin ja keine Zorya mehr, und nach diesem Morgen muss ich wohl der Tatsache endgültig ins Auge sehen, dass Kristoff nie mehr … Ach, Scheiße. Da ist schon wieder jemand an der Tür.“

„Versuch’s diesmal mit dem Kannibalentrick. Ich garantiere dir, das funktioniert.“

„Tut mir leid, aber ich bin nicht interessiert“, sagte ich, noch bevor ich die Tür vollständig geöffnet hatte. Doch angesichts des Mannes, der auf der Schwelle stand, blieben mir die Worte im Hals stecken. „Arrk.“

„Was ist?“, fragte Magda. „Was ist mit dem Park?“

Der Mann blickte mir in die Augen und hob eine Augenbraue. „Sind Sie Pia Thomason?“

„Äh!“, sagte ich und schlug ihm die Tür vor der Nase zu. „Oh mein Gott, Magda, er ist es!“

„Er? Wer denn?“

Ein Gefühl von Déjà-vu ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen, als ich mit einem Satz zur Couch hechtete und den Vorhang am Fenster beiseiteschob, um einen weiteren Blick auf den Mann zu erhaschen. Er klopfte noch einmal.

„Na, der Bote. Du liebe Güte, das haben wir doch alles schon durchgemacht!“

„Was haben wir gemacht?“ Magda klang verwirrt.

„Das hier, das haben wir alles schon erlebt! Das war der Traum, den ich heute Morgen hatte.“

Einen Augenblick hörte ich nur leises, unverständliches Gemurmel aus dem Hörer, bis Magda ihre Hand wieder von der Sprechmuschel nahm und sagte: „Schatzi, würdest du mir bitte diese Flasche Olivenöl aus dem Keller holen? Das italienische. Pia hat gerade eine kleine Krise, und das kann ein paar Minuten dauern.“

Ich hörte Ray noch etwas sagen, bevor er sich auf den Weg machte, um zu tun, worum Magda ihn gebeten hatte.

„Ich habe keine Krise“, zischte ich, ohne den Blick von dem Mann auf meiner Veranda zu wenden. „Vor meiner Haustür steht nur gerade der Bote, das ist alles. Nur ein Vampir, der gekommen ist, um mir Gott weiß was anzutun.“

„Ray lässt dich übrigens ganz lieb grüßen, und er hofft, dass deine Krise nicht zu schlimm ist“, sagte sie schnell noch, bevor sie fortfuhr: „Woher weißt du denn, dass der Mann der Bote ist? Vielleicht ist es ja jemand ganz anderes. Vielleicht noch so ein Religions-Fuzzi? Oder vielleicht will er dir ein Abo andrehen?“

Ich beäugte den Fremden noch einmal, der gerade erneut die Hand hob, um zu klopfen. „Er ist über einen Meter achtzig groß und trägt ein maßgeschneidertes schwarzes Sakko mit passender Hose, ein scharlachrotes Hemd, das aussieht, als ob es aus Rohseide wäre, und Schuhe, die vermutlich teurer sind als mein Auto.“

„Das könnte doch wirklich praktisch jeder sein“, behauptete Magda. Der Klang von Gemüse, das klein gehackt wurde, begleitete ihre Worte.

„Und einen Hut, den er sich so aufgesetzt hat, dass sein Gesicht vor der Sonne geschützt ist. Das ist alles ganz genauso wie in meinem Traum. Obwohl … Wie sich herausstellte, war der Bote Andreas, und dieser Typ ist definitiv nicht Kristoffs Bruder.“

Wir schwiegen beide einen Moment lang.

„Okay, also, diese Beschreibung klingt wie ein Du-weißt-schon-wer.“

„Vampir.“

„Genau. Ray, mein engelsgleicher Ausbund an Hilfsbereitschaft, das ist in der Tat eine Flasche Olivenöl, allerdings griechisches und kein italienisches, und ich weigere mich, griechisches Olivenöl für Spaghetti zu verwenden. Würde es dir etwas ausmachen … Danke, Liebster.“ Magda schwieg, während das schwache Geräusch sich entfernender Schritte über das Telefon zu hören war. „Alles klar, er ist wieder weg. Pia, du wirst den Vampir hereinlassen müssen.“

„Will ich aber nicht“, erwiderte ich störrisch. Ich wandte dem Fenster den Rücken zu und stierte finster in mein Schlafzimmer. Ich wusste natürlich ganz genau, dass Kristoff keineswegs dort herausspaziert kommen würde, so wie er es in meinem Traum getan hatte, aber ich konnte es mir einfach nicht verkneifen hinzugucken. „Mein Leben läuft im Augenblick richtig gut. Irgendwie. Mehr oder weniger. Ach, zum Teufel, es ist der reinste Albtraum, aber das Ganze wird doch höchstens nur noch schlimmer, wenn sich jetzt auch noch der Mährische Rat, oder wie auch immer sich diese Vampire nennen mögen, einmischt.“

„Also, so wie ich mich an die erinnere, hast du wohl keine Wahl. Die schienen mir ziemlich hartnäckig zu sein.“

Das Klopfen an meiner Tür wurde immer lauter. Offensichtlich hatte der Bote das Warten langsam satt. „Ist mir egal. Ich muss den Kerl irgendwie loswerden. Was war das noch mal, was Vampire nicht ausstehen können? Knoblauch und Weihwasser? Mit Letzterem kann ich nicht dienen, aber ich habe Knoblauchbrot. Meinst du, das könnte funktionieren?“

„Pia, meine Süße …“ Magdas Stimme klang zunehmend frustriert, während ich in die Küche marschierte und eine Tüte durchwühlte, bis ich das Knoblauchbrot entdeckt hatte. „Ich glaube wirklich nicht, dass es die Lösung deiner Probleme ist, so zu tun, als ob sie nicht existieren.“

Der Vampir auf meiner Türschwelle hatte inzwischen aufgehört zu klopfen, sondern donnerte geradezu gegen die Tür. „Wünsch mir Glück“, sagte ich noch und legte das Telefon dann hin, um das Knoblauchbrot aus der Verpackung zu schälen. Ich schwang es wie eine Keule, als ich gleich darauf die Haustür aufriss.

Magdas Stimme drang schwach, aber verständlich aus dem Telefon. „Pia? Pia? Was machst du denn? Oh Mann, sie ist aber manchmal auch zu albern …“

„Das hier ist Knoblauch, und ich schrecke nicht davor zurück, ihn einzusetzen!“, brüllte ich den Vampir an und fuchtelte ihm mit dem Brot vor der Nase herum.

Er sah es kurz an, dann wanderte sein Blick zu mir, ein Ausdruck schierer Ungläubigkeit auf seinem Gesicht. „Brot?“, fragte er. In seiner Stimme lag der seidenweiche Ton irgendeines europäischen Akzents.

„Mit Knoblauch drauf.“ Ich klappte das Brot auf, um ihm die kleinen Knoblauchstücke zu zeigen, mit denen die Butter gesprenkelt war. „Also bleiben Sie zurück!“

Er streckte die Hand aus, berührte die Knoblauchbutter und leckte sich die Fingerspitze ab. „Wirklich lecker.“

„Sie sind kein … Knoblauch ist für Sie nicht giftig?“ Ich fiel aus allen Wolken.

Er schloss kurz die Augen, während sein Gesicht einen gemarterten Ausdruck annahm. „Nein, das ist nur ein von Menschen geschaffener Irrtum. Ich nehme an, dass Sie Pia Thomason sind? Ich bin …“

„Auf gar keinen Fall!“ Ich blickte mich verzweifelt um, als er Anstalten machte, mein Haus zu betreten. Ich schnappte mir die religiöse Broschüre und streckte sie ihm entgegen.

Er zuckte nicht zurück, er kreischte nicht und rannte auch nicht fluchtartig davon. Er nahm sie einfach und warf mir einen schwer geprüften Blick zu. „‚Der Wachturm‘?“

Ich sackte in mich zusammen und stützte mich an der Tür ab. Ich hätte wissen müssen, dass das nicht funktioniert – immerhin hat Kristoff mich in eine Kirche geschleift, um mich zu heiraten –, aber das war das Einzige, was ich hatte.

Er nahm mir das Knoblauchbrot ab und legte es samt der Broschüre auf den Tisch neben der Tür. „Pia Thomason, ich bin hier auf Geheiß des Mährischen Rates. Wie Sie zweifellos wissen, wurde Ihnen die Anordnung erteilt, vor dem Rat zu erscheinen, um Fragen zu beantworten, die sich seit den Geschehnissen im Juni dieses Jahres ergeben haben. Um Ihnen maximale Sicherheit und Bequemlichkeit zu garantieren, werde ich Sie nach Wien begleiten, und ich bin autorisiert, für jegliche finanziellen Ausgaben aufzukommen – in einem vernünftigen Rahmen selbstverständlich –, die auf Sie im Zuge dieser Reise zukommen. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie noch nicht gepackt haben?“

Ich nahm das Handy wieder in die Hand und sagte: „Es ist doch der Bote und er ist sowohl gegen Knoblauch als auch gegen religiösen Kram immun. Er will, dass ich nach Wien komme.“

„Hab ich gehört. Wir können ja inzwischen auf dein Haus aufpassen, wenn du willst …“

„Das wird nicht nötig sein. Ich ruf dich später noch mal an.“ Ich beendete das Gespräch und wandte mich wieder dem Vampir zu. Genau wie die anderen Männer seiner Spezies hätte er sich auch auf dem Laufsteg einer Modenschau zu Hause gefühlt. Ich fragte mich, ob wohl irgendwo eine Regel existierte, nach der alle Vampire umwerfend sexy sein mussten. „Als der Rat mir diese E-Mail geschickt hat, in der angekündigt wurde, dass Sie kommen, hab ich denen doch geantwortet, dass ich nicht die Absicht habe, mich ihren mittelalterlichen Verhörmethoden auszuliefern. Christian Dante ist der Chef des Rats, oder?“

Der Vampir neigte zustimmend den Kopf. „Er ist der Geschäftsführer, richtig.“

„Er war doch da, in Island, als der ganze Mist passiert ist. Na ja, zumindest den größten Teil hat er mitgekriegt. Ich hab ihm damals alles erzählt, was ich wusste, also habe ich dem Rat weiter nichts zu sagen.“

„Sie sind eine Mitternachts-Zorya der Bruderschaft …“

„Bin ich nicht“, unterbrach ich ihn mit erhobener Hand.

Er blickte ostentativ auf den Mondsteinanhänger, der an meinem Handgelenk baumelte.

„Nicht mehr.“ Ich senkte meine Hand. „Ich hab diese Zorya-Sache aufgegeben. Wenn es irgendjemanden gäbe, dem ich den Stein geben könnte, würde ich es ja tun, aber hier gibt es keine Gruppe der Bruderschaft, wofür ich allerdings auch zutiefst dankbar bin, wenn ich ehrlich sein soll. Sie können also ruhig auf direktem Weg zu Ihrem heiligen Rat zurückgehen und denen mitteilen, dass ich Nein gesagt habe.“

Er schwieg einen Augenblick lang. Seine dunklen Augen maßen mich auf eine Weise, die mir ziemlich unangenehm war. In Gedanken ging ich sämtliche pflockähnlichen Gegenstände durch, die ich im Haus haben könnte. „Ich sollte Ihnen sagen, dass mein Befehl, Sie vor den Rat zu bringen, Ihre Wünsche nicht berücksichtigt.“

Ich hob das Kinn und entgegnete seinem durchdringenden Blick mit einem Blick meinerseits, der – wie ich hoffte – nichts von der Angst verriet, die sich auf einmal in meinem Bauch breitmachte. „Soll das eine Drohung sein?“

„Nein. Nur eine Feststellung der Tatsachen. Ich bin damit beauftragt, Sie vor den Rat zu bringen, und das werde ich tun.“

Seine arrogante Erklärung war glücklicherweise genau das, was ich brauchte. Meine Angst verwandelte sich in Wut. Wut darüber, dass diese Vampire derart selbstherrlich waren. Wut darüber, dass der Mann vor mir sich einbildete, mit mir machen zu können, was er wollte. Und Wut darüber, dass ich überhaupt in diese Lage geraten war. Wo war denn Kristoff, wenn ich ihn brauchte, um mich vor dem Zorn seiner Vampirbrüder zu beschützen? Warum war er nicht hier, wo er eigentlich sein sollte, zutiefst dankbar, dass ich ihm seine Seele wiederbeschafft hatte?

So langsam begann ich vor Wut zu kochen. Mein Zorn wuchs und wurde stärker, bis er drohte, mich zum Platzen zu bringen.

„Nein!“, schrie ich plötzlich und öffnete die Arme mit einem Ruck ganz weit. Aus meinen Händen drang ein hell leuchtendes, blendendes blau-silbrig-weißes Licht, das nach oben und unten einen Bogen beschrieb und mich in einer Sphäre strahlenden Lichts einschloss.

Der Vampir schrie auf, als ihn die Strahlen des Lichts berührten, und warf sich rücklings durch die offene Tür nach draußen.

„Ich lasse mich nicht so behandeln!“, brüllte ich ihn an. Das Licht nahm noch an Intensität zu. „Weder von dir noch von deinem Rat, noch von irgendjemandem! Hast du verstanden? Von niemandem!“

Der Vampir wollte etwas sagen, aber ich knallte die Tür zu und schloss ab, bevor ich wie ein Häufchen Elend auf dem Fußboden zusammensank. Mein Gesicht lehnte am kühlen Holz, während sich das Licht, das mich einhüllte, langsam wieder in nichts auflöste.

 

2

„Tierheim Letzte Hoffnung, Pia am Apparat. Nein, tut mir leid, unser Tierheim ist bis zum Ende des Monats geschlossen. Einige der Gebäude müssen umgebaut werden, darum sind die Tiere inzwischen in einem Übergangsheim untergebracht worden, damit die Bauarbeiten und der ganze Krach sie nicht stören.“ Ich tippte etwas in die Tastatur, sodass die Informationen über die Anruferin auf meinem Bildschirm erschienen. Sie hatte vor, ein Tier zu adoptieren, hatte sich aber noch nicht entschlossen, welchen Hund sie wollte. Jetzt betrat ein Pärchen das Büro und steuerte meinen Schreibtisch an, nachdem sie sich kurz umgesehen hatten. Ich legte die Hand aufs Telefon. „Ich bin gleich für Sie da.“

Die Frau lächelte und nickte und ging zum Schwarzen Brett hinüber. Ich schenkte der Anruferin nur noch meine halbe Aufmerksamkeit, da ich die Frau beobachtete und mich fragte, wieso sie mir bekannt vorkam.

„Sicher, Sie können die provisorische Unterkunft unserer Hunde gerne besuchen, auch wenn wir keinerlei Adoptionen durchführen, bis der Umbau fertig ist.“ Ich hängte den Hörer ein und schenkte dem Mann am Empfangstresen ein strahlendes, professionelles Lächeln. „Kann ich Ihnen helfen?“

„Leiten Sie dieses Tierheim?“ Er blickte sich im Büro um.

„Nein, ich bin nur der Internet-Guru und außerdem für die Verwaltung der Spenden und die Beschaffung von Geldmitteln zuständig. Ich fürchte, unser Büro ist augenblicklich geschlossen. Genauer gesagt wollte ich selbst gerade gehen. Bei uns wird nämlich zurzeit umgebaut und …“

„Sie sind Pia“, unterbrach der Mann mich.

„Ja“, erwiderte ich langsam. Ich betrachtete ihn ein bisschen genauer. Irgendetwas an ihm kam mir bekannt vor. „Tut mir leid, aber ich habe ein schrecklich schlechtes Gedächtnis für Gesichter. Kennen wir uns?“

„Nicht offiziell, nein.“ Er lächelte. Jetzt kam auch die Frau zu uns herüber und lächelte mich an. Plötzlich argwöhnisch, stand ich langsam auf. „Wir haben uns vor einer Woche getroffen, wenn man das so nennen kann. Vor dem Safeway. Ihr Einkaufswagen ist gegen den meiner Frau gestoßen und schien später eine auffallende Anhänglichkeit an meinen Schuh zu entwickeln …“

„Ach ja“, sagte ich. Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus. Ich warf einen Blick auf den Stein, der sachte an dem Armband an meinem rechten Handgelenk hin und her baumelte. Nicht dass er mir durch ein wie auch immer geartetes Zeichen zu verstehen gegeben hätte, dass die beiden etwas anderes gewesen wären als die, die sie zu sein schienen, aber trotzdem richteten sich die Härchen in meinem Nacken auf. „Woher kennen Sie meinen Namen?“

Das Lächeln des Mannes wurde noch breiter. „Eine neue Zorya ist immer ein Grund zum Feiern, ganz egal, wo sie sich befindet.“

„Oh nein.“ Ich bewegte mich langsam rückwärts. „Sie sind Schnitter.“

Er verbeugte sich. „Wir haben die Ehre, der Bruderschaft des Gesegneten Lichts anzugehören.“

„Dann habe ich mich damals im Geschäft also doch nicht verhört. Und Sie …“ Ich wandte mich zu der Frau um. „Sie haben auch irgendwas von wegen Licht gesagt.“

Sie trat vor, blieb kurz vor mir stehen und knickste unbeholfen. „Ich bin Janice Mycowski. Das hier ist Rick, mein Mann, und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie aufregend es ist, Sie persönlich zu treffen.“

„Dann … was machen Sie da eigentlich, verfolgen Sie mich?“, fragte ich ungläubig.

„Oh nein! So was würden wir nie tun“, sagte sie. Ihre schmutzigbraunen Augen sahen mich bestürzt an. Sie warf einen besorgten Blick auf ihren Mann. „Wir haben uns nur so furchtbar gefreut, dass Sie hier sind, in unserer Gegend. Als wir die Nachricht erhielten, dass eine neue Zorya bestimmt wurde und dass sie aus Seattle kommt, da waren wir natürlich ganz aus dem Häuschen. Aber dann berichteten die Gouverneure, dass Sie ein wenig verwirrt seien, und sie baten uns, Sie dabei zu unterstützen, ein paar Dinge zu klären. Sie können sich wohl vorstellen, was für eine Ehre das für uns ist, einer Zorya hilfreich zur Seite stehen zu dürfen. Das alles ist so spannend.“

„Ähm, also gut. Für mich wäre es ebenfalls eine Ehre und aufregend und so, aber ich bin keine Zorya mehr.“ In meiner Magengrube machte sich eine grauenhafte Vorahnung breit. „Ich hab den Job schon vor fast zwei Monaten an den Nagel gehängt. Äh, wobei genau sollen Sie mir eigentlich helfen?“

Janice legte die Hände ineinander und sah erst ihren Mann und dann mich vor Freude strahlend an. „Die Gouverneure haben uns gebeten, Ihnen alle Fragen zu beantworten, die Sie vielleicht haben. Rick ist wirklich außerordentlich bewandert, was die Geschichte der Bruderschaft angeht, und ich habe schon über zweihundert Einführungsversammlungen geleitet. Also, es gibt wohl keine Frage, auf die wir beide gemeinsam keine Antwort wüssten.“

„Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, niemals ein Hilfsangebot auszuschlagen, aber ich fürchte, ich verstehe immer noch nicht ganz. Sie sprechen dauernd von irgendwelchen Gouverneuren, aber ich weiß gar nicht, wovon Sie da eigentlich reden.“ Die Kopfschmerzen, die jetzt anscheinend immerzu wie eine dunkle Wolke über mir schwebten, wurden stärker.

„Der Gouverneursrat“, erklärte Rick.

„Gouverneursrat?“ Ich sah ihn fragend an und rieb mir die Stirn. „Ich dachte, der Zenit herrscht über die Bruderschaft.“

„So ist es normalerweise auch, aber der letzte Zenit …“ Janice warf ihrem Mann einen weiteren Blick zu.

Er setzte ihren Satz fort. „Der letzte Zenit wurde von diesem vampirischen Abschaum ermordet, gegen den er so tapfer kämpfte.“

„Augenblick mal! Also, zuerst einmal sind Vampire kein Abschaum. Ich kenne eine ganze Reihe von ihnen, und das sind wirklich nette Leute.“

Die Mienen der beiden erstarrten zu einer Maske voller Abscheu.

„Sie … kennen sie?“, fragte Rick schließlich.

„Allerdings.“ Ich verschränkte herausfordernd die Arme und wartete nur darauf, dass einer von ihnen es wagte, etwas zu sagen. Die Bruderschaft und die Dunklen hatten absolut nichts füreinander übrig – ganz im Gegenteil; man könnte sagen, dass sie sich im Kriegszustand befanden. Aber mir war es inzwischen vollkommen egal, was die Bruderschaft davon hielt, dass ich Umgang mit Vampiren hatte. Genau genommen zog ich es sogar in Betracht, ihnen anzuvertrauen, dass ich Kristoffs Auserwählte war. Das dürfte wohl reichen, damit sie mich in Zukunft mit ihren Angelegenheiten nicht mehr behelligen würden.

Auf der anderen Seite könnte es aber auch mein Ableben bedeuten. Die Bruderschaft kannte kein Pardon, wenn es um Vampire und deren Kumpel ging.

Janice und Rick tauschten Blicke aus. „Das ist … ungewöhnlich“, sagte Rick schließlich. „Ich weiß nicht genau, was ich dazu sagen soll.“

„Tja, ich habe noch ein paar Neuigkeiten, die Sie interessieren dürften. Diese Vampire, denen Sie die Schuld für den Tod des Zenits geben, sind unschuldig. Sie wurde von einem der Ihren erschossen und getötet.“

„Nein.“ Janice schüttelte den Kopf. „Der Direktor des Gouverneursrats war dort. Ich habe seinen Bericht über die grauenhafte Tragödie gelesen, und darin stellt er eindeutig fest, dass er nur dort war, um den Zenit zu beschützen. Sie wurde von einem Vampir umgebracht. Sie wurde mit seiner Waffe erschossen.“

Ich saugte einen Augenblick lang nachdenklich an meiner Unterlippe, während ich mich hinter den Empfangstresen begab, um ein wenig Distanz zwischen uns zu bringen. Ich erwartete nicht unbedingt, dass sie sich mit Messern auf mich stürzen würden, aber während meines Aufenthalts auf Island waren weitaus seltsamere – und tödlichere – Dinge geschehen, und wenn ich auch sonst vielleicht nichts gelernt haben mochte, so doch eins, und zwar mit einem gehörigen Maß an Vorsicht ans Werk zu gehen, wenn es um die Bruderschaft ging.

„Ich war auch dort, wissen Sie“, sagte ich schließlich.

Ihre Augen weiteten sich überrascht.

Ich nickte. Inzwischen war ich neugierig geworden. Ich glaubte zu wissen, über wen sie da sprachen, obwohl ich nicht gewusst hatte, dass er der Direktor war: Frederic Robert, ein Franzose mit sanfter Stimme, der es gewohnt war, Macht zu besitzen und mit ihr umzugehen. Aber der saß in Island im Gefängnis, auch wenn es ihm offensichtlich gelungen war, auf irgendeine Art und Weise mit der Bruderschaft Kontakt aufzunehmen und einen Bericht abzuliefern. Die Frage, die mich im Augenblick am meisten interessierte, war, wieso er den Schnittern vorenthalten hatte, dass ich ebenfalls Zeugin der Ereignisse gewesen war. „Ich habe genau gesehen, was geschehen ist, und ich kann Ihnen versichern, dass Denise nicht von einem Vampir erschossen wurde. Aber das spielt ja eigentlich sowieso keine Rolle, oder? Tatsache ist, dass sie tot ist, und ich bin nicht länger eine Zorya. Also, auch wenn ich mich wirklich geschmeichelt fühle, dass Sie sich so freuen, mich kennenzulernen, fürchte ich, dass Sie sich auf eine Enttäuschung gefasst machen müssen. Ich habe nicht vor, meine Zorya-Tätigkeit wieder aufzunehmen.“

„Unglücklicherweise funktioniert das so nicht“, entgegnete Rick.

„Es spielt überhaupt keine Rolle, wie genau die Prozedur der Entzoryafizierung abläuft – ganz egal, was ich tun muss, ich werde es tun“, sagte ich entschieden. „Ich werde den Stein mit Vergnügen an jeden übergeben, der diesen Job machen will, Hauptsache, jemand nimmt ihn mir ab, und zwar bald. Am besten schon vorgestern.“

Janice wich vor mir zurück, als ich mit dem Armband in der Hand auf sie zuging, um es ihr zu überreichen. Sie hob die Hände, als ob sie mich abwehren wollte. „Oh nein, ich kann das nicht annehmen. Das ist der Mitternachtsstein!“

„Irgendwer muss ihn aber nehmen“, beharrte ich. „Ich werde ihn mit Gewissheit nicht bis in alle Ewigkeit behalten.“

„Sie sind die Zorya“, sagte Rick, das Kinn eigensinnig vorgeschoben.

„Ach, um Gottes willen …“

Da öffnete sich polternd die Tür, und eine Frau trat ein. Ihre Gegenwart und Stimme schienen den ganzen Raum mit Sonnenschein zu erfüllen. „Bist du bereit fürs Mittagessen? Ray hat da ein absolut göttliches kleines Restaurant gefunden. Es sieht aus, als ob es direkt aus … Wie hieß noch mal diese Serie, die in Alaska spielt, Ray?“

Magda stand mitten im Türrahmen und drehte sich nach Ray um, aber alles, was ich von ihm sah, war seine winkende Hand, während er über den Bürgersteig in Richtung Straße ging. Magda zuckte die Achseln und wandte sich mit einem Lächeln wieder mir zu. „Ist auch egal. Obwohl, er meinte, der Kuchen da ist ein absolutes Muss. Oh, tut mir leid. Ich hab gar nicht gemerkt, dass du beschäftigt bist.“

Die letzte Bemerkung war an Rick und Janice gerichtet.

„Die gehören zur Bruderschaft“, sagte ich. Mein Frust machte mich ziemlich kurz angebunden. „Das ist meine Freundin Magda. Sie war zusammen mit mir in Island. Sie weiß über Vampire und eure Leute Bescheid.“

„Dann muss sie auch wissen, von welch entscheidender Bedeutung es ist, dass Sie Ihre Fähigkeiten für das Gute und nicht für das Böse einsetzen“, begann Janice, aber mittlerweile war ich mit meiner Geduld wirklich am Ende. Wenn es nicht die Vampire waren, die irgendwas von mir wollten, dann waren es die Schnitter, die von mir verlangten, ihre Drecksarbeit zu erledigen. Ich rieb mir die Schläfen, stinksauer, mich mitten in einem Krieg wiederzufinden, der überhaupt nichts mit mir zu tun hatte. „Sie dürfen der Menschheit jetzt nicht den Rücken zukehren, nicht, wo wir uns in so einer starken Position befinden, nicht, wo wir die Möglichkeit haben, die Vampire ein für alle Mal auszulöschen …“

„Wie viele Vampire haben Sie in Ihrem Leben eigentlich schon kennengelernt?“, schrie ich unvermittelt los, sodass Janice erschrocken verstummte.

Magda zwinkerte mir zu. „Äh, Pia, ich bezweifle, dass es irgendetwas nützt, die arme Frau anzu…“

„Also ich habe keinerlei Zweifel.“ Ich wandte mich von Magda wieder Janice zu und nagelte sie mit einem Blick fest, der ihr eigentlich glatt die Schuhe hätte ausziehen sollen. „Wie viele?“

„Ich … wir …“ Janice warf ihrem Mann einen verängstigten Blick zu, der daraufhin ihre Hand nahm und an ihrer Stelle antwortete.

„Genau genommen haben wir noch nie einen Vampir kennengelernt, aber wir müssen mit dem Bösen ja auch wohl kaum freundschaftlich verkehren, um es zu erkennen.“

„Böse, dass ich nicht lache!“, wetterte ich. Ich fuchtelte wild mit den Händen durch die Luft, während ich mit schweren Schritten auf sie zustampfte. Mir war durchaus klar, wie unhöflich ich mich aufführte, aber ich konnte einfach nicht mehr anders.

Zu meiner heimlichen Freude wichen sie zurück. Magda warf mir ein nachsichtiges Lächeln zu, während sie sich an die beiden wandte.

„Die Vampire sind wirklich gar nicht mal so übel, wissen Sie. Manche von denen sind sogar ziemlich nett. Ich schätze, sie haben im Laufe der Jahre einen ziemlich zweifelhaften Ruf erworben, weil sie so … na ja, so heftig sind. Nett, aber schon heftig. Und verflucht sexy.“

„Nett!“ Janice blieb das Wort fast in der Kehle stecken.

„Ja, richtig nett. Sie sind genauso wenig böse wie Sie“, sagte ich, bemüht, mich wieder etwas zu beruhigen. „Nein, das nehme ich zurück – sie sind sogar wesentlich weniger böse als Sie, weil sie nämlich nicht blind irgendeinem Dogma folgen, das von ihnen verlangt, eine ganze Gruppe von Leuten einzig und allein aufgrund ihrer Herkunft zu hassen. Also ehrlich, manchmal denke ich, die Bruderschaft ist kein bisschen besser als die Nazis! Wie können Sie es wagen, mir zu erzählen, die Vampire wären die Bösen, wenn Sie sich noch nicht mal die Mühe gemacht haben, auch nur einen von ihnen kennenzulernen!“

„Aber das geht doch gar nicht! Das sind alles blutdürstige …“, wandte Janice ein, nur um gleich wieder von mir abgewürgt zu werden.

„Oh nein, das sind sie ganz und gar nicht. Sicher, sie wehren sich, aber sie haben es ganz bestimmt nicht darauf angelegt, irgendjemandem Schaden zuzufügen. Ihr macht sie jetzt seit so vielen Jahren schlecht, dass wahrscheinlich niemand von euch auch nur die leiseste Ahnung hat, wie sie in Wirklichkeit sind. Sicher, es ist bedauerlich, dass sie sich verteidigen mussten, und das mag einige Todesfälle verursacht haben, aber wenn ihr sie nicht angreifen würdet, gäbe es überhaupt keine Toten!“

„Amen.“ Magda nickte brüsk.

Janice richtete sich kerzengerade auf. „Ach, dann gäbe es keine Toten? Diese … Ungeheuer, die Sie so vehement verteidigen, haben diverse Mitglieder der Bruderschaft auf Island angegriffen und getötet. Sie haben sie ohne jeden Grund angegriffen, also, Sie müssen schon entschuldigen, aber ich glaube Ihnen kein einziges Wort.“

„Nennen Sie mich etwa eine Lügnerin?“ Ich verschränkte die Arme und rang mühsam um Fassung.

Janice warf ihrem Mann erneut einen nervösen Blick zu.

Normalerweise bin ich kein Mensch, der Spaß daran hat, jemand anders einzuschüchtern, aber langsam begann ich zu erkennen, was daran verlockend sein könnte – zumindest bei derartig verbohrten Menschen, die sich weigerten, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Wenn es ihr dabei helfen würde, die Wahrheit zu begreifen und sie erkennen zu lassen, dass ich in keiner Weise an das glaubte, wofür die Bruderschaft stand, bei Gott, dann würde ich eben der furchterregendste Mensch der Welt werden.

„Nein, ich würde eine Zorya nie derart beleidigen. Ich bin sicher, dass man Sie getäuscht …“

Ich trat einen Schritt auf sie zu und kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. „Gut, denn im Gegensatz zu Ihnen war ich auf Island und ich kann Ihnen versichern, dass die einzigen Schnitter, die ums Leben gekommen sind, ein paar Typen waren, die vorhatten, einen Dunklen namens Kristoff und mich kaltblütig abzuschlachten. Sie haben uns ohne jede Vorwarnung und völlig grundlos angegriffen und ihm einfach so ins Gesicht gesagt, dass sie vorhätten uns beide umzubringen. Er hat uns einfach nur verteidigt, und, ganz offen gesagt, wenn Kristoff nicht da gewesen wäre, um mich zu beschützen, dann wäre ich jetzt nicht mehr am Leben.“

Das ließ die beiden für ein Momentchen verstummen.

„Sind Sie sicher, dass es Mitglieder der Bruderschaft waren, die Sie angegriffen haben?“, fragte Rick langsam, nachdem Janice und er einige zweifelnde Blicke ausgetauscht hatten. „Hat Ihnen der Vampir erzählt, dass sie zur Bruderschaft gehören? Vielleicht hat er sich getäuscht, oder Sie haben etwas missverstanden.“

„Nein, sie gehörten definitiv zur Bruderschaft. Das wurde mir später bestätigt.“

„Das verstehe ich nicht“, sagte Janice mit gerunzelter Stirn. „Warum sollten sie eine Zorya angreifen?“

Ich blickte Magda kurz an. Jetzt war ich aber wirklich gespannt, was Frederic ihnen von den Ereignissen auf Island erzählt hatte. Er wusste ganz genau, dass ich eine Auserwählte war, aber er schien es keiner Erwähnung für würdig befunden zu haben.

Magda schüttelte nur ganz kurz den Kopf. Offenbar war sie genauso ratlos wie ich.

„Das spielt jetzt keine Rolle. Entscheidend ist die Tatsache, dass Sie einfach blindlings und ohne jede Rechtfertigung den Prinzipien einer Organisation folgen.“

„Sie können uns glauben, wir sind keine dummen Schafe“, erwiderte Janice rasch. „Die Bruderschaft läutert die sterbliche Welt schon seit fast fünfhundert Jahren vom Bösen. Das wäre wohl kaum möglich gewesen, wenn es keinen Grund für solche Handlungen gegeben hätte. Es gibt Präzedenzfälle.“

„Präzedenzfälle“, wiederholte ich in höhnischem Tonfall. „Also, wenn das nicht zeigt, dass hier die Blinden den Nicht-Sehenden folgen, dann weiß ich auch nicht. Sagen Sie mal, wissen Sie überhaupt, warum die Bruderschaft mit der Verfolgung der Vampire angefangen hat?“

„Äh … nein“, gab Rick zu. Er wirkte leicht beschämt. „Ich habe einige Nachforschungen über die Bruderschaft angestellt, aber ich bin bislang noch nicht zu den frühen Aufzeichnungen gekommen. Wir sind erst seit ein paar Jahren dabei, nachdem Janice eine schlechte Erfahrung mit einem bösen Wesen gemacht hatte.“

„Ich gehe mal davon aus, es handelte sich nicht um einen Vampir“, sagte Magda.

„Nein, es war eine Nekromantin, eine Frau, die versuchte, eine Armee von Untoten zu beschwören“, sagte er in aller Ernsthaftigkeit.

Magda und ich starrten ihn nur an.

„Sie machen wohl Witze?“, sagte sie. „Eine Armee von Untoten? So was wie Zombies?“

„Es handelt sich wohl eher um wandelnde Leichname, soviel ich verstanden habe“, antwortete Rick.

Ich blinzelte Magda an. Sie blinzelte zurück. Dann sagte sie: „Das ist so … so …“

„Hollywoodmäßig“, beendete ich den Satz an ihrer Stelle.

„Als ob ein Drehbuchautor für B-Movies durchgedreht wäre“, sagte sie zustimmend.

„Ist auch egal.“ Ich schüttelte mich innerlich, um die Bilder aus Die Nacht der lebenden Toten aus meinem Gehirn zu verbannen und mich auf Wichtigeres zu konzentrieren. Leichter gesagt als getan. „So ein verdammter Mist! Jetzt hab ich vergessen, was ich eigentlich sagen wollte.“

„Vampire sind gut; die Bruderschaft ist verrückt“, half mir Magda geistesabwesend aus. „Hast du eigentlich eine Ahnung, was genau ein Untoter ist?“

Ich ignorierte ihren Versuch, mich abzulenken. „Der springende Punkt ist, dass Sie keinen Grund zu der Annahme haben, dass Vampire bösartige Untote sind, die es verdient haben, gnadenlos abgeschlachtet zu werden, und ich zumindest weigere mich, Teil einer solchen Organisation zu sein.“

„Aber Sie sind ein Teil davon“, beharrte Janice.

„Nur bis ich jemanden finde, dem ich den Zorya-Stein übergeben kann.“

„Sie waren ein Teil der Vorfälle auf Island“, sagte Rick mit gerunzelter Stirn. „Sie waren in alle diese Todesfälle verwickelt.“

„Ich hab’s Ihnen doch schon gesagt, es wurden nur ein paar Leute getötet, und die hatten uns angegr…“

„Die Vampire haben die gesamte isländische Abteilung ausgelöscht!“, unterbrach mich Janice. „Es handelt sich um wenigstens vierzehn Menschen insgesamt, die Ihre Freunde auf dem Gewissen haben.“

Ich starrte sie einen Augenblick lang mit vor Erstaunen weit geöffnetem Mund an, bevor ich etwas erwidern konnte. „Sie sind nicht alle tot! Zwei sind von der isländischen Polizei festgenommen worden, auch wenn der Zenit inzwischen tot ist, aber es war kein Vampir, der sie erschossen hat. Die anderen befinden sich im Gewahrsam der Vampire, aber die sind auch nicht tot.“

„Woher wollen Sie das wissen?“, fragte sie, und einen Moment lang war ich sprachlos.

Dann warf ich Magda einen Blick zu. „Christian würde die Leute doch nicht umbringen, oder?“

Sie wirkte skeptisch. „Ich glaube nicht. Nicht ohne Grund jedenfalls. Hat er dir irgendwas darüber gesagt, was er mit ihnen vorhat?“

„Nein“, antwortete ich. Mit gerunzelter Stirn versuchte ich mir die Geschehnisse der vergangenen Monate noch einmal ins Gedächtnis zurückzurufen. „Aber sie haben auf keinen Fall vierzehn Leute. Sie haben nur ein paar von ihnen gefangen genommen: Mattias und Kristjana, und die beiden, die Frederic mitgebracht hat.“

„Dann sind wir, wie es scheint, wohl nicht die Einzigen, die man beschuldigen kann, blindem Vertrauen anheimzufallen“, entgegnete Janice. „Sie wissen doch überhaupt nicht, ob die Vampire die Bruderschaft, also Ihre eigenen Leute, gut behandeln. Sie nehmen das nur an, aber Sie haben keine Ahnung, was wirklich mit ihnen geschehen ist. Sie könnten auch genauso gut tot sein.“

Ich wollte ihr widersprechen, aber mich überkam das unangenehme Gefühl, dass jegliche Erklärung, die ich abgeben könnte, genauso dürftig klingen würde wie ihre blindwütigen Angriffe. „Sie haben recht. Ich weiß nicht mit Gewissheit, dass sie nicht tot sind, aber ich bezweifle ernsthaft, dass das der Fall ist.“

„Sie haben nicht gezögert, andere zu töten.“ Janice’ Blick wirkte berechnend. „Warum sollten sie zögern, mit diesen Gefangenen ebenso zu verfahren?“

„Ich hab’s Ihnen doch jetzt schon ein paarmal erklärt: So sind sie einfach nicht. Sie wollen Gerechtigkeit für den Tod ihrer Vampirbrüder, sicher, aber sie haben diesen Krieg nicht angefangen und sie wollen ihn auch nicht fortführen. Können Sie dasselbe über die Bruderschaft sagen?“

„Wenn Sie das, was Sie sagen, wirklich ernst meinen“, sagte Janice, nachdem ihr Mann und sie schweigend Blicke ausgetauscht hatten, „dann wird es Ihnen doch sicher nichts ausmachen, Beweise vorzulegen.“

„Wie das?“, fragte ich misstrauisch, da ich eine Falle hinter ihren Worten vermutete.

Janice hob das Kinn. „Der Direktor des Gouverneursrats hat uns gesandt, um mit Ihnen zu verhandeln. Jawohl, so ist es, um zu verhandeln.“

„Was denn genau?“, erkundigte ich mich und lehnte mich gegen den Schreibtisch.

Magda trat an meine Seite, um für alle deutlich sichtbar ihre Unterstützung zu zeigen.

„Der Direktor sagte uns schon, dass Sie sich weigern würden, Ihre Pflicht zu erfüllen.“

„Ich dachte, das hätte ich bereits mit meinen Antworten auf die Briefe und E-Mails deutlich gemacht, mit denen Ihre Leute mich bombardiert haben und in denen sie verlangen, ich solle ihnen doch bei der ein oder anderen Läuterung aushelfen.“

Sie musterte mich eine Sekunde lang, die Lippen fest aufeinandergepresst und leicht geschürzt, als ob ihr ein unangenehmer Geruch in die Nase steige. „Der Direktor hat uns autorisiert, über einen Weg zu verhandeln, wie Sie Ihrer Karriere als Zorya ein Ende setzen könnten.“

„Ausgezeichnet.“ Ich machte Anstalten, das Armband mit dem Mondstein abzunehmen.