Club Freitag der Dreizehnte Teil 1 - E. Y. Meyer - E-Book

Club Freitag der Dreizehnte Teil 1 E-Book

E. Y. Meyer

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Beschreibung

E.Y. Meyer, mehrfach preisgekrönter Deutschschweizer Schriftsteller und 2011 Nobelpreiskandidat, erzählt die Geschichte einer stetigen »Wandlung« von der Epoche der europäischen Aufklärung bis in die Gegenwart. Erfahrungen, Nachforschungen und philosophische Reflexionen aus vielen Jahren verarbeitet Meyer in der ihm eigenen und prägnanten Sprache zu einem breit angelegten Fresko. Immer geht es ihm dabei auch um die Schweiz: Ein Club von dreizehn Männern trifft sich an Orten, die mit Wandlungen und mit wichtigen Persönlichkeiten in den letzten paar Jahrhunderten zusammenhängen, zum Beispiel auf der St. Petersinsel im Bielersee, wo Jean-Jacques Rousseau als verfolgter Emigrant lebte, oder auf der Ufenau im Zürichsee, die man mit der Gestalt des Humanisten Ulrich von Hutten verbindet. So entfaltet sich ein mehrstimmiger Reisebericht – ein Bericht von einer Reise durch Raum und Zeit; ein sozial- und geistesgeschichtliches Panorama, verknüpft mit Leben und Denken der dreizehn Clubmitglieder.

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E.Y.MEY­ER

Club Frei­tagder Drei­zehn­teTeil 1Wand­lung

Ro­man zur Jahr­tau­send­wen­de

 

Erst­mals er­schie­nen 2012

© 2021 E.Y.MEY­ER

ey­mey­er.ch

 

 

Co­ver:

Bron­ze­kopf des Au­tors

Ge­schaf­fen 1997 von PAN YI QUINAca­de­my of Arts & De­sign

Tsing Hua Uni­ver­si­tyBei Jing, Chi­na

 

El arte es una men­ti­ra que nos acer­ca a la ver­dad

Pa­blo Pi­cas­so

 

Ob­wohl die­ser Ro­man auf re­a­len Er­eig­nis­sen ba­siert, sind ei­ni­ge der dar­in ge­schil­der­ten Cha­rak­tere vom Au­tor ge­schaf­fe­ne Kom­po­si­ti­o­nen oder Er­fin­dun­gen, und eine An­zahl von Epi­so­den sind fik­tiv.

 

Mit Aus­nah­me ge­wis­ser Fi­gu­ren und his­to­ri­scher Er­eig­nis­se sind die Cha­rak­tere, Er­leb­nis­se und Na­men der por­trä­ti­er­ten Per­so­nen fik­tiv, und jede Ähn­lich­keit mit Na­men oder bio­gra­phi­schen Da­ten ir­gend­wel­cher Per­so­nen ist voll­kom­men zu­fäl­lig und un­be­ab­sich­tigt.

 

Das The­a­ter-Ho­tel Cha­sa de Ca­pol und des­sen Be­sit­zer, E.T.A. und Ra­mun Schwei­zer, sind ein re­a­ler Ort und zwei real exis­tie­ren­de Men­schen, die der Au­tor so wahr­haf­tig, wie es ihm mög­lich ist, dar­ge­stellt hat.

 

Ein Tref­fen des CLUBS FREI­TAG DES DREI­ZEHN­TEN hat in der Cha­sa de Ca­pol nie statt­ge­fun­den.

 

Ka­pi­tel

PRO­LOG

1

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6

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9

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EPI­LOG

DANK

 

PRO­LOG

Es war das ers­te Mal, dass wir noch nur sie­ben wa­ren. Als Ein­zi­ger war ich schon am Don­ners­tag an­ge­reist.

Zü­rich, Wa­len­see, Sar­gan­ser­land. Tan­ken und Kaf­fee auf der Rast­stät­te Hei­di­land. Lan­d­quart, Prät­ti­gau, Da­vos, Flüe­la­pass. Zer­nez, Na­ti­o­nal­park, Ofen­pass.

Der Will­kom­mens­drink im leicht er­höht ne­ben der Dorf­stras­se ge­le­ge­nen klei­nen Gar­ten der Vil­let­ta Ca­po­li­na, wo E.T.A. auf mich war­te­te, war ein­mal mehr, wie er­hofft, ein Ve­ne­zia­no.

Im reich mit Sgraf­fi­to-Mo­ti­ven ver­zier­ten mäch­ti­gen weis­sen Haus auf der an­de­ren Stras­sen­sei­te, dem mehr als fünf­hun­dert Jah­re al­ten ein­s­ti­gen Gra­fen­sitz, war­te­te un­ter dem Dach, nach dem Auf­stieg über die aus­ge­tre­te­nen stei­len Holz­trep­pen, die sich durch drei Stock­wer­ke hin­durch­zo­gen, wie üb­lich das Zim­mer auf mich, an des­sen Tür die wap­pen­för­mi­ge schwa­r­ze Ta­fel mit den weis­sen Frak­tur­buch­sta­ben hing, die sei­nen Na­men form­ten:

WALT­HER VON DER VO­GEL­WEI­DE

Da­nach be­frei­te ich mich von der Hit­ze des Un­ter­lan­des im fünf­zehn Me­ter lan­gen, seit sei­nem Bau rund dreis­sig Jah­re vor der Jahr­tau­send­wen­de wohl­tu­end alt ge­wor­de­nen, da und dort re­no­vie­rungs­be­dürf­ti­gen, aber sei­nen Zweck im­mer noch zur Ge­nü­ge er­fül­len­den Swim­ming­pool.

Im Was­ser­ge­viert am Rand des baum­rei­chen Parks auf der Rück­sei­te des mäch­ti­gen Hau­ses. Auf der Tal­sei­te. Mit dem Blick über die grü­nen Wie­sen und Wäl­der hin­weg, hin­ter de­nen rings­um die hell­grau­en Fels­wän­de auf­rag­ten. Mit den hoch oben ver­ein­zelt noch auf ih­nen lie­gen­den, weiss leuch­ten­den klei­ne­ren oder grös­se­ren Schnee­fel­dern.

Die wil­den, un­re­gel­mäs­sig em­por­ra­gen­den Za­cken, die den Ho­ri­zont in die Wei­te des strah­len­den Him­mels­blau schnit­ten, das sich über ih­nen ins Un­end­li­che wölb­te.

Das Abend­es­sen da­nach im ver­ge­hen­den Licht der sich auf den Ofen­pass hin­un­ter­sen­ken­den Son­ne. Am Fuss der hoch auf­ra­gen­den vier­stäm­mi­gen Er­len­grup­pe ober­halb des Swim­ming­pools. Mit dem Rü­cken zu der dem mäch­ti­gen Haus an­ge­bau­ten Ka­pel­le und dem sich über ihr er­he­ben­den ehe­ma­li­gen Hos­piz­teil. Am Erl­kö­nig-Tisch.

Rhä­ti­sche Ur­kü­che. Die von Ra­mun, der das Haus in­zwi­schen führ­te, ohne Elek­tri­zi­tät, nur auf Holz- und Gas­feu­er zu­be­rei­te­te, aus vier Gän­gen be­ste­hen­de Pro­pos­ta dad hoz.

Die Emp­feh­lung des Gast­ge­bers.

Die Piè­ce de ré­si­s­tan­ce: ein Lamm­kar­ree mit Thy­mi­an­krus­te, Sa­fran­ri­sot­to und Ge­mü­se aus dem ei­ge­nen Gar­ten.

AD RE­CEP­TI­O­NEM PAU­PE­RUM SEU AD CON­SO­LA­TI­O­NEM OM­NI­UM AL­PES TRAN­SEUN­TI­UM.

Zur Auf­nah­me der Ar­men oder zum Trost al­ler die Al­pen Über­schrei­ten­den.

Die De­vi­se, un­ter der einst der Fürst­bi­schof von Chur den Hos­piz­be­trieb ver­an­lasst hat­te.

Nach dem Ein­dun­keln des Him­mels, dem Ver­drän­gen des hin­ter den Ber­gen her­vor­drin­gen­den letz­ten Scheins der un­ter­ge­gan­ge­nen Welt­licht­quel­le und dem Sicht­ba­r­wer­den der ers­ten Ster­ne wie­der ins Haus zu­rück­ge­kehrt, in den schwa­r­zen Le­der­ses­seln vor dem Ka­min­feu­er im wei­ten Auf­ent­halts­raum, der das Eck­ge­biet der Ma­r­co-Polo-Bar mit­ein­schloss, dann die Ge­sprä­che mit E.T.A. und sei­nem Sohn so­wie vier wei­te­ren Haus­gäs­ten.

Zwei Rent­ner­paa­re, die ge­mein­sam in ei­nem Klein­bus reis­ten. Der eine Mann ein welt­weit tä­tig ge­we­se­ner In­ge­ni­eur. Der zwei­te ein ehe­ma­li­ger Be­sit­zer ei­ner Bo­den­be­lags­fir­ma. Bei Wein, Bier und ei­ni­gen Gläs­chen Ar­ven­geist.

Die an­dern tra­fen am Frei­tag ein. Am spä­ten Vor­mit­tag oder frü­hen Nach­mit­tag. Fuchs und Gi­lo­men mit dem Post­au­to. Frank, Gerd, Vin­zenz und Qui­rin mit ih­ren Pri­va­t­au­tos.

 

Frei­tag, der Drei­zehn­te. Es war un­ser fünf­und­zwan­zigs­tes Tref­fen.

 

1

Das ers­te Tref­fen hat­te fünf­zehn Jah­re zu­vor statt­ge­fun­den. Zwei Mo­na­te spä­ter im Jahr. Am Frei­tag, dem 13. Au­gust 1993.

Nicht zu­fäl­lig in ei­ner an­de­ren Lan­des­ge­gend. Nicht in den Ber­gen. Nicht in den Al­pen. Son­dern in fla­che­ren Ge­fil­den.

An ei­nem Ort, der mir seit mei­ner Ju­gend ver­traut war. Den ich da­mals oft und auch spä­ter im­mer wie­der auf­ge­sucht hat­te.

Es war eine In­sel auf ei­ner In­sel so­zu­sa­gen.

Die St. Pe­ters­in­sel im Bi­e­ler­see. Im Schwei­zer See­land. Dem Land der drei Seen am Süd­fuss des Schwei­zer Ju­ras. Auch be­kannt als Rous­seau-In­sel.

Ein Ort, der gleich­zei­tig sei­ne na­tür­li­che Schön­heit be­wahrt und eine wei­ter­füh­ren­de geis­tes­ge­schicht­li­che Be­deu­tung hat­te. Ein geo­gra­phisch und his­to­risch mit ei­ner be­son­de­ren Be­deu­tung be­setz­ter und im Be­wusst­sein der Mensch­heit ver­an­ker­ter Raum so­mit, der für das We­sent­li­che un­se­rer Tref­fen stand. Für alle wei­te­ren Tref­fen weg­wei­send sein soll­te.

Eine In­sel der Er­in­ne­rung.

In ei­nem Land, das eine In­sel war.

Eine In­sel in Eu­r­o­pa.

Eine In­sel in der Welt.

Eine In­sel im Uni­ver­sum.

Die Idee zu den Tref­fen, den Zu­sam­men­künf­ten ei­ner be­son­de­ren Art, hat­te ich ein Jahr zu­vor ge­habt.

Im drit­ten Jahr nach der so­ge­nann­ten Wen­de, mit der die Spal­tung der Welt ein­mal mehr ver­meint­lich auf­ge­ho­ben wor­den war. Neun­zehn­hun­dertzwei­und­neun­zig.

In Zah­len: 1992.

Her­aus­ge­for­dert durch die Ab­sur­di­tät der Be­haup­tung des US-ame­ri­ka­ni­schen Po­li­tik­wis­sen­schaft­lers Fran­cis Fu­ku­ya­ma vom Ende der Ge­schich­te, das mit dem Zu­sam­men­bruch der UdSSR und der von ihr ab­hän­gi­gen so­zi­a­lis­ti­schen Staa­ten er­reicht wor­den sei.

Ein­ge­lei­tet durch den Fall der Ber­li­ner Mau­er 1989.

Im zwei­hun­derts­ten Jahr nach dem Be­ginn der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on.

Das be­haup­te­te Ende hat­te mich ge­reizt, et­was da­ge­gen­zu­set­zen. Und was hät­te das an­de­res sein kön­nen als sein Ge­gen­teil.

Und was konn­te das Ge­gen­teil ei­nes En­des an­de­res sein als ein An­fang.

Ein An­fang also.

Aber ein An­fang von was?

Der An­fang ei­ner Ge­schich­te.

Aber was für ei­ner Ge­schich­te?

Mis­ter Fu­ku­ya­ma hat­te sich vor­ge­stellt, dass sich, im Sin­ne von He­gels Ge­schichts­phi­lo­so­phie, nach der es tat­säch­lich zu ei­nem Ende im Sin­ne ei­ner letz­ten Syn­the­se kom­men soll, in der es kei­ne welt­po­li­ti­schen Wi­der­sprü­che mehr gibt, die Prin­zi­pi­en des Li­be­ra­lis­mus in Form von De­mo­kra­tie und Markt­wirt­schaft nun bald end­gül­tig und über­all auf der Welt durch­set­zen wür­den.

Sein Buch war 1992 er­schie­nen.

Ich hat­te an den Schwa­r­zen Frei­tag an der Wall­street von 1929 ge­dacht. Ein Frei­tag, der dort we­gen der Welt­zeit­ver­schie­bung, an­ders als in Eu­r­o­pa, ei­gent­lich ein Don­ners­tag ge­we­sen war.

Und ich hat­te an das ge­dacht, was nicht erst jetzt, nach der so­ge­nann­ten Wen­de, son­dern be­reits zu­vor schon seit Jah­ren, seit Jahr­zehn­ten wie­der an der Bör­se ge­sch­ah.

An all die Skan­da­le, die, in di­rek­tem oder in­di­rek­tem Zu­sam­men­hang mit der Bör­se, im­mer mehr west­li­che De­mo­kra­ti­en in im­mer kür­ze­ren In­ter­val­len er­schüt­tert hat­ten.

An all die Ge­scheh­nis­se in der Wirt­schaft und in der Po­li­tik, die das Ver­trau­en in de­ren Glaub­wür­dig­keit, in die Glaub­wür­dig­keit der bes­ten al­ler schlech­ten Staats­for­men, von de­nen die schlech­tes­ten na­tür­lich die kom­mu­nis­ti­schen wa­ren, im­mer stär­ker ins Wan­ken ge­bracht hat­ten.

Und mir war die Stein­frau ein­ge­fal­len.

Die Frau, bei der ich das Mee­res­au­ge ge­kauft hat­te.

Das Na­xos-Auge. Das Oc­chio di San­ta Lu­cia.

Das kreis­run­de, aus Ka­l­zi­um­ka­r­bo­nat be­ste­hen­de Ara­go­nit-Stück, das den in den Welt­mee­ren le­ben­den Krei­sel­schne­cken als Oper­cu­lum dient. Als Schutz­tür.

Das Shi­va-Auge.

Ihr Mann war, wie ich aus Ge­sprä­chen mit ihr er­fah­ren hat­te, Mit­glied ei­nes Clubs, der zu den merk­wür­digs­ten ge­hör­te, von de­nen ich Kennt­nis hat­te. Des viel­leicht selt­sams­ten Ver­eins, von dem ich je ge­hört hat­te.

Sein Name:

CLUB FREI­TAG DER DREI­ZEHN­TE

Ge­grün­det im Hol­ly­wood. Nicht in Hol­ly­wood. Im Hol­ly­wood.

In ei­nem Re­stau­rant an ei­nem Fluss in der Nähe von Bern, das sich die­sen Na­men im Ver­lauf der Ame­ri­ka­ni­sie­rung der Welt, also auch der Schweiz, zu­ge­legt hat­te.

Eine Grup­pe von drei­zehn Män­nern, die sich an ei­nem Frei­tag, der ein Drei­zehn­ter war, zu­fäl­lig ge­trof­fen und ad hoc be­schlos­sen hat­ten, sich ab so­fort an je­dem Drei­zehn­ten, der auf einen Frei­tag fällt, wie­der zu ver­sam­meln und den Tag im Kreis von Gleich­ge­sinn­ten zu ver­brin­gen.

Die Re­geln, die die drei­zehn Män­ner auf­stell­ten, wa­ren ein­fach und klar.

Die Grup­pe durf­te nur aus drei­zehn Män­nern be­ste­hen, und die Zu­sam­men­künf­te be­gan­nen im­mer um Punkt drei­zehn Uhr drei­zehn.

Mit­glie­der, die dem An­lass ohne Ent­schul­di­gung fern­blie­ben, wur­den aus­ge­schlos­sen.

Ei­ser­nes Ge­setz war, dass alle Mit­glie­der an ei­nem Frei­tag, dem Drei­zehn­ten, nicht ar­bei­ten gin­gen, um, wie es in der Club-Ord­nung hiess, den Ar­beit­ge­ber vor Scha­den und Un­g­lück zu be­wah­ren, wel­che durch un­se­re Ar­beit an die­sem Tag ent­ste­hen könn­ten.

Je­weils ein Mit­glied muss­te die Ge­stal­tung des Ta­ges über­neh­men und die an­de­ren, die nicht wuss­ten, was sie er­war­te­te, da­mit über­ra­schen.

Man mach­te Be­sich­ti­gun­gen, Wan­de­run­gen, Fahr­ten mit Re­stau­rant-Trams, Kut­schen, Klein­bus­sen. In Bern und in der Um­ge­bung von Bern. In an­de­ren Schwei­zer Städ­ten. Ir­gend­wo auf dem Land.

Ab und zu be­gab man sich auch über die Lan­des­gren­ze hin­aus, ins El­sass, in den Schwa­rz­wald, in den fran­zö­si­schen Jura, ins ita­lie­ni­sche Aos­ta-Tal.

Eine an­de­re Re­gel, die ernst ge­nom­men wur­de, ob­wohl sie nicht in der Ord­nung stand, war, dass man, wenn die Aus­flü­ge in ein Ess- und Trink­ge­la­ge aus­ar­te­ten, um kein Ri­si­ko ein­zu­ge­hen, erst am Vier­zehn­ten, also am Sams­tag, wie­der nach Hau­se zu­rück­kehr­te.

Wo­bei es, wie mir die Stein­frau ver­ri­et, auch vor­kam, dass es der Fünf­zehn­te, also der Sonn­tag, wur­de.

An­sons­ten wa­ren ein Huf­ei­sen und ein vier­blätt­ri­ges Klee­blatt, die auf dem leuch­ten­den Gold­grund des kreis­run­den Club­si­g­nets zu se­hen wa­ren, das Ein­zi­ge, was den von den Club­mit­glie­dern al­ler­dings nie so ge­nann­ten Schwa­r­zen Frei­ta­gen ent­ge­gen­ge­hal­ten wur­de.

Angst, dass ih­nen ein Un­g­lück zu­stos­sen könn­te, hat­ten die Män­ner nicht. Wes­halb sie, wie die Ord­nung fest­hielt, an die­sen Ta­gen eben auch we­ni­ger sich selbst, son­dern ihre Ar­beit­ge­ber be­schüt­zen woll­ten.

Eine Mit­glied­s­chaft in die­sem Club, der, je­den­falls in Eu­r­o­pa, of­fen­bar ein­zig­ar­tig war, hät­te den An­fang ei­ner Ge­schich­te be­deu­ten kön­nen.

Al­ler­dings hät­te ich da­mit, da ich mein ei­ge­ner Ar­beit­ge­ber war, gleich­zei­tig auch mich selbst be­schützt.

Aber dies ta­ten an­de­re Club­mit­glie­der auch. Wie bei­spiels­wei­se der Mann der Stein­frau, der in Ge­schäfts­räu­men, die an ih­ren As­tro- und Edel­stein­la­den grenz­ten, als un­ab­hän­gi­ger Ver­si­che­rungs­bro­ker tä­tig war.

Pro­ble­ma­ti­scher wäre ge­we­sen, dass ich auf die War­te­lis­te hät­te ge­setzt wer­den müs­sen, die es, we­gen gros­ser Nach­fra­ge, in­zwi­schen gab.

Dass ich also auf Aus­sch­lüs­se hät­te hof­fen müs­sen, zu de­nen es sel­ten kam. Oder, ma­ka­b­rer, auf To­des­fäl­le.

Und zu­dem hät­te ein sol­cher Bei­tritt auch nur für mich per­sön­lich der An­fang ei­ner Ge­schich­te sein kön­nen. Denn die Ge­schich­te des Clubs sel­ber hat­te schon fünf­zehn Jah­re zu­vor be­gon­nen. 1977 also.

Was tun?

Ich be­schloss, sel­ber einen Club zu grün­den.

Einen ei­ge­nen Club.

Einen ei­ge­nen Club, der je­doch den glei­chen Na­men tra­gen soll­te:

CLUB FREI­TAG DER DREI­ZEHN­TE

Mit den glei­chen Grund­re­geln.

We­nigs­tens im Prin­zip.

Aber mit ei­ner er­wei­ter­ten Sinn­ge­bung.

Ei­ner er­wei­ter­ten Ziel­set­zung.

Ich hat­te mich des­halb zu­nächst noch et­was ge­nau­er mit dem Stel­len­wert be­schäf­tigt, den der ver­meint­li­che Un­g­lücks­tag im welt­wei­ten Aber­glau­ben ein­nimmt.

Und ich war, wie hät­te es an­ders sein kön­nen, schon bald dort ge­lan­det, wo man oft lan­det, wenn man sich auf sol­che Fra­gen ein­lässt.

Dort, wo man, wenn es um Ur­sprün­ge die­ser Art geht, je­den­falls wenn es die west­li­che, die jü­disch-christ­lich ge­präg­te Kul­tur be­trifft, im­mer lan­det.

Bei der Bi­bel.

Dies galt für den Wo­chen­tag so­wohl wie für die Zahl. Für den Frei­tag so­wohl wie für die Drei­zehn, die bei­de für sich, wie es schien, als Tag und als Zahl schon lan­ge als ein Un­g­lücks­sym­bol an­ge­se­hen wur­den.

Denn nach christ­li­cher Über­lie­fe­rung wur­de Je­sus an ei­nem Frei­tag ge­kreu­zigt. Und an ei­nem Frei­tag sol­len auch Adam und Eva von den ver­bo­te­nen Früch­ten des Baums der Er­kennt­nis ge­ges­sen ha­ben.

Beim Abend­mahl wie­der­um, das dem Kreu­zi­gungs­frei­tag vor­an­ging, wa­ren drei­zehn Per­so­nen an­we­send. Wo­bei der Ver­rä­ter Ju­das der Drei­zehn­te ge­we­sen sei.

So wie in der Wis­sen­schafts­welt das Uni­ver­sum als Nach­wir­kung des Ur­knalls ein kos­mi­sches Hin­ter­grund­rau­schen zu ha­ben scheint, scheint in der Men­schen­welt al­les einen re­li­gi­ösen Hin­ter­grund zu ha­ben.

In der jü­di­schen Tra­di­ti­on soll die Drei­zehn, die das ge­schlos­se­ne Zwöl­fer­sys­tem und des­sen har­mo­ni­sie­ren­de Wir­kung in der Bi­bel über­schrei­tet, al­ler­dings eine Glücks­zahl sein. Und weil sie über der Zwölf steht, so­gar ein Sym­bol Got­tes.

Umso bes­ser für die Drei­zehn.

Das ers­te, von der Bi­bel un­ab­hän­gi­ge ge­schicht­lich be­zeug­te Er­eig­nis, bei dem sich die bei­den ein­zel­nen Un­g­lücks­sym­bo­le, der Frei­tag und die Drei­zehn, dann, wie es schien, plötz­lich ver­eint und zu ei­nem neu­en, noch mäch­ti­ge­ren Be­dro­hungs­zei­chen zu­sam­men­fügt hät­ten, sei dann die vom fran­zö­si­schen Kö­nig Phil­ipp dem Vier­ten, ge­nannt der Schö­ne, be­foh­le­ne Ver­haf­tung al­ler Tem­pel­rit­ter ge­we­sen.

Am Frei­tag, dem 13. Ok­to­ber 1307.

Die, so­weit be­kannt, ers­te lan­des­weit am glei­chen Tag aus­ge­führ­te po­li­zei­li­che Kom­man­doak­ti­on. Ein bru­ta­ler Über­ra­schungs­coup, der letzt­lich zur fast völ­li­gen Aus­lö­schung des eben­so mys­te­ri­ösen wie rei­chen Temp­ler­or­dens ge­führt habe.

Wirk­lich als My­thos in­stal­liert wor­den sei der Frei­tag, der Drei­zehn­te, als Schre­ckens­ter­min aber erst sechs­hun­dert Jah­re spä­ter.

Durch ein bel­le­tris­ti­sches Werk.

Einen Bör­sen­ro­man.

1907 ge­schrie­ben von ei­nem ame­ri­ka­ni­schen Mul­ti­mil­li­o­när, der sich sei­nen Reich­tum durch Spe­ku­la­ti­o­nen er­wor­ben hat­te, mit dem schlich­ten und ein­fa­chen Ti­tel:

FRY­DAY THE THIR­TEENTH.

In Deut­sch­land noch im glei­chen Jahr er­schie­nen als:

Frei­tag, der Drei­zehn­te.

Eine heu­te sim­pel und ba­nal an­mu­ten­de Ge­schich­te.

Ein Wall­street-Mak­ler, den eine Frau vom rech­ten Weg ab­ge­bracht hat, löst, um eine Fir­ma in den Ruin zu trei­ben, an be­sag­tem Frei­tag durch Ak­ti­en­tricks einen Kurs­rutsch aus. Er er­reicht zwar sein Ziel, doch der Sieg stürzt ihn zu­gleich ins Ver­der­ben.

Die neue Kom­bi­pho­bie, die teuf­li­sche Paa­rung von Wo­chen­tag und Da­tum, führ­te im Zeit­al­ter der Mas­sen­me­di­en dann zu ei­ner Flut wei­te­rer Bü­cher, zu Fil­men und Lie­dern, die der von ihr er­zeug­ten Angst hul­dig­ten.

Das hat­te 1916 mit ei­nem deut­schen Kri­mi­na­l­film be­gon­nen, in dem die An­ge­hö­ri­gen ei­ner Fa­mi­lie von Eu­len­stein plötz­lich sta­r­ben, wenn Frei­tag, der Drei­zehn­te war, und hat­te wei­ter­ge­führt bis zur heu­ti­gen Flut der sich an Bru­ta­li­tät stets von neu­em zu über­tref­fen ver­su­chen­den Hor­ror­fil­me aus Hol­ly­wood, die zu be­wei­sen schei­nen, dass wir Men­schen den Schre­cken wol­len, ihn brau­chen, ihn ha­ben müs­sen.

So dass das Aus­mass der Frei­tag-der-Drei­zehn­te-Furcht in­zwi­schen so­gar für die Me­di­zin re­le­vant ge­wor­den zu sein scheint, die da­für auch einen wis­sen­schaft­li­chen Na­men be­reit­ge­stellt hat.

Pa­ras­ka­ve­de­ka­tria­pho­bie.

In­ter­es­san­ter als der Ro­man, der den My­thos be­grün­det ha­ben soll, war im Üb­ri­gen, wie nicht sel­ten der Fall, die Le­bens­ge­schich­te des Au­tors sel­ber. Die wirk­li­che Ge­schich­te, die ihn das Buch hat­te schrei­ben las­sen.

Tho­mas Wil­li­am Law­son, so der Name des Man­nes, hat­te, aus ein­fa­chen Ver­hält­nis­sen stam­mend, als Tee­n­a­ger ohne ab­ge­schlos­se­ne Schul­bil­dung das Bör­sen­hand­werk er­lernt, mit dreis­sig sei­ne ers­te Mil­li­on ge­macht und mit drei­und­vier­zig be­reits fünf­zig Mil­li­o­nen be­ses­sen.

Dann hat­te er sich, wie man heu­te sa­gen wür­de, als bes­tens in­for­mier­ter In­si­der zu ei­nem frü­hen War­ner und Kri­ti­ker der Ma­chen­schaf­ten in der Fi­nanz- und Wirt­schafts­welt ent­wi­ckelt.

Da er mit sei­nen Vor­schlä­gen für Ver­bes­se­run­gen und Ab­hil­fe bei den Miss­stän­den aber kein Ge­hör fand, hat­te er sich ent­täuscht wie­der dem Bör­sen­markt zu­ge­wandt, dort an die al­ten Er­fol­ge al­ler­dings nie mehr an­knüp­fen kön­nen.

So dass er, fünf­und­zwan­zig Jah­re spä­ter, acht­und­sech­zig­jäh­rig, als ein für sei­ne Ver­hält­nis­se ar­mer Mann ge­stor­ben war.

Zu­vor, auf dem Hö­he­punkt sei­nes Reich­tums und sei­ner Macht, hat­te er sich – Wil­li­am Ran­dolph Hearst, El­vis Pres­ley und Mi­cha­el Jack­son las­sen grüs­sen – für sechs Mil­li­o­nen ein Heim bau­en las­sen, das er DRE­AM­WORLD nann­te.

Mit ei­ner ei­gens da­für ge­bau­ten Yacht, die er IN­DE­PEN­DENCE nann­te – auch hier gibt es heu­te wie­der be­kann­te Nach­fol­ger –, hat­te er im Ame­ri­ca’s Cup ge­gen den schot­ti­schen Tee­ma­gna­ten Sir Tho­mas Lip­ton an­zu­tre­ten ver­sucht, wor­auf der New Yor­ker Yacht­club sein Boot al­ler­dings hat­te sper­ren las­sen.

Die jah­re­lan­gen Span­nun­gen zwi­schen ihm und den rei­chen Mit­glie­dern des Clubs hat­ten mög­li­cher­wei­se auch dazu bei­ge­tra­gen, dass er kurz dar­auf den gröss­ten Scho­ner der Welt bau­en liess.

Das gröss­te Se­gel­schiff sei­ner Zeit.

Den ein­zi­gen Sie­ben­mast­scho­ner der See­fahrts­ge­schich­te, den er nach sich selbst nann­te.

Die THO­MAS W. LAW­SON, die, fünf Jah­re nach­dem sie vom Sta­pel ge­lau­fen war, von ei­nem Or­kan vor den sü­deng­li­schen Scil­ly-In­seln ge­gen eine Fel­sen­in­sel ge­wor­fen wur­de, wo sie heu­te noch sieb­zehn Me­ter un­ter dem Mee­res­s­pie­gel als Wrack liegt.

Die Ka­ta­s­tro­phe, bei der von den neun­zehn Men­schen an Bord nur der Ka­pi­tän und der Ma­schi­nist über­leb­ten, ge­sch­ah in der Nacht vom 13. auf den 14. De­zem­ber 1907.

Dem Jahr, in dem sein Bör­sen­ro­man er­schie­nen war.

Und der Wo­chen­tag, auf den da­mals der 13. De­zem­ber fiel, war ein Frei­tag ge­we­sen.

Von Law­sons DRE­AM­WORLD soll heu­te noch ein gran­dio­ser Was­ser­turm zeu­gen, den er im Stil ei­ner deut­schen Rit­ter­burg hat­te ausstaf­fie­ren las­sen.

Re­a­li­tät und Fik­ti­on.

Dich­tung und Wahr­heit.

Wenn es denn dem Men­schen mög­lich sein soll­te, aus der Ge­schich­te zu ler­nen. Er­fah­run­gen wei­ter­zu­ge­ben.

Und wenn dies auch nur in­di­rekt wür­de ge­sche­hen kön­nen.

Mit Bü­chern. Mit Ro­ma­nen Mit Ge­schrie­be­nem. Mit münd­lich Wei­ter­ge­ge­be­nem. Mit Er­zäh­lun­gen. Mit Sprach­a­r­beit, Bild­a­r­beit, Laut­a­r­beit, Klang­a­r­beit, Kul­tu­r­a­r­beit.

Mit geis­ti­ger Ar­beit, die wür­de hel­fen kön­nen, sich un­nö­ti­ge, weil selbst ver­schul­de­te Ka­ta­s­tro­phen als not­wen­di­ge bru­ta­le Lehr­meis­ter zu er­spa­ren.

Prin­zi­pi­ell vor­aus­seh­ba­res Un­g­lück zu ver­mei­den.

Zu ver­hin­dern.

Über­f­lüs­sig zu ma­chen.

Kla­rer als der un­ge­si­cher­te Hin­ter­grund des Ta­ges, der zum Tag des neu zu grün­den­den Clubs wer­den soll­te, war das Ka­len­da­ri­sche.

Da je­des Jahr min­des­tens einen und höchs­tens drei Frei­ta­ge hat, die auf einen Drei­zehn­ten fal­len.

So dass sich die drei­zehn Mit­glie­der also min­des­tens ein­mal und höchs­tens drei­mal im Jahr tref­fen wür­den.

Nicht zu viel. Nicht zu we­nig.

Blieb die Fra­ge, wer als Mit­glied in Fra­ge kam.

Des Wei­te­ren, wie der Sinn und Zweck um­schrie­ben wer­den soll­te, der drei­zehn Män­ner wür­de über­zeu­gen kön­nen, in ei­nem sol­chen Club Mit­glied zu wer­den.

Män­ner selbst­ver­ständ­lich, von de­nen je­der, so wie Grou­cho Marx von den Marx Bro­t­hers, von sich be­haup­ten wür­de, dass er kei­nem Club an­ge­hö­ren möch­te, der ihn als Mit­glied auf­nimmt.

Was soll­ten das also für Män­ner sein?

Wohl in An­leh­nung an den Ver­rä­ter Ju­das, der sich als Ers­ter vom Abend­mahls­tisch er­ho­ben und spä­ter Selbst­mord ver­übt ha­ben soll, sei im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert in den USA die Angst man­cher Men­schen, sich an Frei­ta­gen mit zwölf an­de­ren an einen Tisch zu set­zen, zu ei­nem The­ma ge­wor­den.

Wenn drei­zehn Per­so­nen bei Tisch sit­zen wür­den, müss­ten noch im sel­ben Jahr die ers­te und die letz­te Per­son ster­ben, habe es ge­heis­sen.

Als Re­ak­ti­on dar­auf hät­ten mu­ti­ge Män­ner den Thir­teen Club ge­grün­det, des­sen Mit­glie­der mehr­mals jähr­lich, stets frei­tags, in fei­nen Re­stau­rants in Drei­zehn­er­run­den di­niert hät­ten.

Man habe sich einen net­ten Abend ge­macht und so dem Schick­sal die Stirn ge­bo­ten.

Eine Art Vor­stu­fe für einen CLUB FREI­TAG DEN DREI­ZEHN­TEN also, bei der sich die Drei­zehn aber noch aus­sch­liess­lich auf die Teil­neh­mer­zahl be­schränkt hat­te und die Frei­ta­ge noch nicht zu­sätz­lich die­je­ni­gen Frei­ta­ge ge­we­sen wa­ren, die auf einen Drei­zehn­ten fie­len.

Gut.

Also soll­ten die Män­ner, die es jetzt zu su­chen galt, ver­mut­lich noch mu­ti­ge­re sein. Noch wag­hal­si­ge­re, noch ver­rück­tere, noch wei­se­re oder noch kla­rer se­hen­de.

Wo fin­den?

Wo in den in­zwi­schen, am Ende des zwei­ten Jahr­tau­sends der christ­li­chen Zeit­rech­nung, dich­test be­völ­ker­ten Ge­gen­den Eu­r­o­pas, wie nun auch die Schweiz eine ge­wor­den war?

Wo in je­nen Welt­tei­len, in de­nen man im All­tag eine im­mer dich­te­re Men­ge von Men­schen um sich hat, zu de­ren Aus­sen- und In­nen­le­ben man im Grun­de kaum noch einen Be­zug, eine Be­zie­hung hat.

Kaum noch eine ech­te, eine wirk­li­che Be­zie­hung.

Wo, wenn die Dich­te im glei­chen Aus­mass wächst wie die Ent­fer­nun­gen, wie der Ab­stand, den man zu den we­ni­gen Men­schen hat, die man noch als ech­te Freun­de be­zeich­nen kann.

Wo, wenn man in ei­nem Teil der Welt lebt, in dem einen täg­lich eine In­for­ma­ti­ons­flut über­schwemmt, die kaum noch et­was mit dem wirk­li­chen Le­ben, mit dem Le­ben de­rer zu tun hat, die gleich­zei­tig im glei­chen Zeit­raum mit ei­nem le­ben.

Wenn man nichts mehr vom Le­ben, vom Le­ben der An­de­ren, weiss.

Dem Le­ben de­rer, die den glei­chen Raum und die glei­che Zeit auf ei­nem be­schränk­ten, ei­nem klei­nen Teil die­ses Pla­ne­ten gleich­zei­tig mit ei­nem er­le­ben und durch­le­ben.

Wenn al­les bloss noch ab­s­trak­tes, vir­tu­el­les Wis­sen ist. Kein wirk­li­ches Ver­ste­hen mehr.

Wenn ech­te Freun­de oft nicht mehr in der un­mit­tel­ba­ren Nähe des ei­ge­nen Le­ben­s­or­tes le­ben.

Falls die­ser Ort über­haupt noch mehr als ein Wohn- und Ar­beit­s­ort ist.

Gab es in der Schweiz noch zwölf sol­che Men­schen?

Män­ner, die in­ter­es­siert und in der Lage sein wür­den, die über­zeugt wer­den konn­ten, Mit­glie­der in ei­nem Club zu wer­den mit ei­nem Na­men wie:

CLUB FREI­TAG DER DREI­ZEHN­TE

Sinn und Zweck des Clubs soll­te, stell­te ich mir vor, der Ge­dan­ke­n­aus­tausch zwi­schen Men­schen sein, die er­kannt hat­ten, die wuss­ten oder ahn­ten, dass der Mensch ein We­sen ist, das na­tur­ge­mäss in zwei Wel­ten lebt.

Men­schen, die ver­stan­den, ein­ge­se­hen und sich da­mit ab­ge­fun­den hat­ten, dass die Welt, die wir für die un­se­re hal­ten, ob­wohl sie in ei­ner be­stimm­ten Wei­se auch die un­se­re ist, nur ein klei­ner Aus­schnitt, und zwar ein sehr viel klei­ne­rer Aus­schnitt, als wir mei­nen oder bis­her ge­meint ha­ben, aus ei­ner un­end­lich viel grös­se­ren Welt ist, die sich, wie un­se­re Welt, wie­der­um aus vie­len wei­te­ren Wel­ten zu­sam­men­setzt, die in ei­ner für den Men­schen un­vor­stell­bar gros­sen Zahl oder auch in ei­ner zahl­lo­sen Wei­se vor­han­den sind.

Men­schen, die wis­sen oder ah­nen, dass wir in die­sen zwei Wel­ten im­mer und je­der­zeit gleich­zei­tig le­ben.

Men­schen, die wis­sen oder ah­nen, dass die grös­se­re Welt nicht das alte Jen­seits ist, nicht jene aus Him­mel und Höl­le be­ste­hen­de jen­sei­ti­ge Welt, in die wir erst nach un­se­rem Tod ge­lan­gen, wie man frü­her glaub­te und teil­wei­se im­mer noch glaubt, son­dern eine Welt, in der wir in und mit un­se­rer ei­ge­nen klei­nen Welt be­reits hier und jetzt le­ben.

Men­schen, die wis­sen oder ah­nen, dass die grös­se­re Welt be­reits die Ewig­keit ist, in die wir nicht erst ge­lan­gen, wenn wir tot sind, son­dern in der wir, wie alle Le­be­we­sen, be­reits sind, wenn wir le­ben.

Men­schen, die um die­se neu in un­se­rem Be­wusst­sein er­schei­nen­de Kom­ple­xi­tät wis­sen, von der ei­ni­ge Wis­sen­schaft­ler mei­nen, durch die Be­schäf­ti­gung mit ihr wür­de die Mensch­heit nun über­haupt erst an­fan­gen, die Welt zu ver­ste­hen.

Wirk­lich zu ver­ste­hen.

Men­schen, die gleich­zei­tig aber auch um das Un­ge­heu­re die­ser für un­se­ren Geist neu­en Kom­ple­xi­tät wis­sen und über­zeugt sind, dass wir uns nur mit äus­sers­ter Vor­sicht und Zu­rück­hal­tung mit ihr be­schäf­ti­gen dür­fen.

Dass wir sie zwar zu ver­ste­hen ver­su­chen kön­nen, dass wir mit Ein­grif­fen in sie je­doch so be­hut­sam wie mög­lich sein soll­ten.

Men­schen, die über­zeugt sind, dass vor der Un­ein­schätz­bar­keit der Ge­fah­ren, die das Un­ge­heu­re die­ser Kom­ple­xi­tät birgt, auf den Land-, Meer- und Luft­kar­ten der Ewig­keit in der glei­chen Art ge­warnt wer­den soll­te, wie dies einst auf den al­ten Welt­kar­ten ge­sch­ah, an de­ren Rän­dern ge­schrie­ben stand:

BEYOND THIS POINT ARE MONS­TERS

Denn wer von uns könn­te schon be­haup­ten, dass er im Geist wirk­lich ge­rüs­tet sei, um in die Ab­grün­de zu bli­cken, von de­nen un­ser Be­wusst­sein durch die Na­tur bis­her, zu un­se­rem Vor­teil, fern­ge­hal­ten wur­de und zum gröss­ten Teil im­mer noch wird?

Könn­te es nicht, im Ge­gen­teil, so sein, dass wir von man­chen Aspek­ten des Wis­sens um das im­men­se Ver­bor­ge­ne in uns be­reits eben­so be­droht sind, wie wir es durch die ge­wal­ti­gen Ent­de­ckun­gen der Phy­si­ker in der Welt aus­ser uns sind?

Wie heisst es in den Un­ter­grund­s­ta­ti­o­nen der eng­lisch­spra­chi­gen Me­tro­po­len:

MIND THE GAP

Ei­ni­ge Män­ner, von de­nen ich glaub­te, dass sie ein sol­ches Be­wusst­sein ent­wi­ckelt hat­ten, gab es in mei­ner nä­he­ren Um­ge­bung. Ei­ni­ge in an­de­ren Ge­gen­den des Lan­des.

Män­ner, die ihr Le­ben in ver­schie­dens­ter Wei­se ver­bracht hat­ten und in un­ter­schied­li­cher Wei­se zu ei­nem sol­chen Be­wusst­sein ge­kom­men wa­ren.

Nähe und Di­stanz.

 

2

Drei­zehn wa­ren be­reit ge­we­sen mitz­u­ma­chen. Auch wenn sie nicht ga­ran­tie­ren konn­ten, bei je­dem Tref­fen da­bei zu sein.

Ei­ni­ge hat­ten zu mei­ner Über­ra­schung er­staun­lich schnell zu­ge­sagt. Lang­jäh­ri­ge Freun­de, bei de­nen es zwi­schen­durch al­ler­dings auch im­mer wie­der Pe­ri­o­den ge­ge­ben hat­te, in de­nen wir ohne Kon­takt wa­ren.

Aber auch Freun­de, die ich noch nicht lan­ge kann­te, zu de­nen aber be­reits eine mehr oder we­ni­ger star­ke geis­ti­ge Ver­bin­dung ent­stan­den war.

Fuchs und Gi­lo­men kann­te ich schon vom Gym­na­si­um her. Von dort auch die Ge­wohn­heit, Drit­ten ge­gen­über von uns nur mit dem Fa­mi­li­enna­men zu spre­chen.

Bei­de hat­ten an­sch­lies­send So­zio­lo­gie und Be­triebs­wirt­schaft stu­diert. Fuchs hat­te sein Le­ben der in­ter­na­ti­o­na­len Zu­sam­me­n­a­r­beit ge­wid­met. Gi­lo­men war Wirt­schafts­jour­na­list ge­wor­den.

Vol­pi, wie wir Fuchs in der Schu­le auch ge­nannt hat­ten, von Vol­po­ne, al­ter Fuchs, hat­te in zwan­zig Län­dern Afri­kas und aus­ser in Gu­ya­na auch in je­dem Land Süd­ame­ri­kas ge­ar­bei­tet. Eben­so in fast al­len ost­eu­ro­pä­i­schen Län­dern, in der So­wje­t­u­ni­on, in Vi­et­nam, in Aus­tra­li­en.

Auch Gi­lo­men war in der Welt her­um­ge­kom­men. Al­lein oder mit sei­ner Frau, die lan­ge als Ste­war­dess für die da­mals noch exis­tie­ren­de na­ti­o­na­le Flug­ge­sell­schaft ge­ar­bei­tet hat­te. Die Swis­sair.

Fuchs hat­te eine Bo­li­vi­a­ne­rin ge­hei­ra­tet, eine aus­ge­bil­de­te Buch­prü­fe­rin, mit der er aus Süd­ame­ri­ka in die Schweiz zu­rück­ge­kehrt war. Jetzt war er ge­schie­den.

Bei­de, Fuchs und Gi­lo­men, hat­ten je zwei Kin­der.

Einen Sohn.

Eine Toch­ter.

Alle drei hat­ten wir da­mals vier Jah­re vor un­se­rem fünf­zigs­ten Ge­burts­tag ge­stan­den.

Ge­zeugt nach dem Ende des zwei­ten Welt­kriegs, hat­ten wir die gan­ze zwei­te Hälf­te des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts durch­lebt. Fast je­den­falls, wenn man von den acht Jah­ren ab­sah, die uns noch be­vor­stan­den.

Män­ner, je nach­dem wie man es sieht, im bes­ten Al­ter oder in der Mid­life Cri­sis. So­ge­nann­te be­stan­de­ne Män­ner, die ih­ren Le­bens­weg ge­macht hat­ten. Die den grös­se­ren Teil da­von nun aber be­reits hin­ter sich sa­hen.

Die an­dern wa­ren äl­ter. Zwei jün­ger.

Der Äl­tes­te war drei­und­fünf­zig. Der Jüngs­te drei­und­dreis­sig.

Bis auf drei wa­ren alle in der Schweiz ge­bo­ren.

Die äl­tes­ten Freun­de, nach Fuchs und Gi­lo­men, wa­ren Qui­rin und Ar­nulf.

Dann folg­ten Die­ter, Paul und Vin­zenz.

Dann Si­mon.

Dann Frank und Gerd.

Dann Ro­bert und Ar­nold.

Qui­rin hat­te ich ken­nen­ge­lernt, als er mich nach dem Er­schei­nen mei­nes zwei­ten Buchs zu ei­ner Le­sung ein­ge­la­den hat­te.

Er war un­ser Spe­zi­a­list für Re­li­gi­on und Mys­tik.

Ken­ner ma­gi­scher Orte, Ver­an­stal­ter von Rei­sen zu sol­chen Or­ten, Ver­fas­ser von Bü­chern über ma­gi­sches Rei­sen und Stan­dard­wer­ken über Pa­ra­cel­sus und Ni­klaus von Flüe.

Gym­na­si­al­leh­rer. His­to­ri­ker. Phi­lo­soph. Schrift­stel­ler.

Als Metz­gers­sohn aus ei­nem Dorf auf dem Hoch­pla­teau, das in der Schweiz Mit­tel­land ge­nannt wird, hat­te er in ei­ner al­pi­nen Klos­ter­schu­le eine ka­tho­li­sche In­ter­nats­er­zie­hung er­hal­ten.

Die weit von der Metz­ge­rei sei­ner El­tern ent­fernt lie­gen­de Klos­ter­schu­le hat­te er un­be­dingt be­su­chen wol­len, weil sein elf Jah­re äl­te­rer Bru­der sie schon be­sucht hat­te und er be­fürch­te­te, dass die­ser ihm da­vo­nei­len könn­te.

Aber schliess­lich war der Bru­der, der neun Mo­na­te und zehn Tage vor Qui­rins Ge­burt einen schwe­ren Un­fall ge­habt hat­te, an des­sen Fol­gen er sein Le­ben lang litt, ein Jahr vor dem ers­ten Tref­fen un­se­res Clubs, erst sechs­und­fünf­zig Jah­re alt, ge­stor­ben.

Kör­per­lich zwar nicht ganz so hoch­ge­wach­sen wie un­se­re drei Rie­sen, konn­te die­ser Mann, was sein Ge­dächt­nis be­traf, es mit je­nen je­doch spie­lend auf­neh­men.

Es war rie­sig.

Wes­halb ich ihm für mich auch den Na­men Zy­klop ge­ge­ben hat­te. Ab­ge­lei­tet von En­zy­klo­pä­dist.

Qui­rin war ein wan­deln­des Le­xi­kon.

Mit ei­nem phä­no­me­na­len Ge­dächt­nis nicht nur für ex­ak­te Da­ten, für Ta­ges­zah­len oder Jah­res­zah­len, son­dern auch für Zu­sam­men­hän­ge. Für Ge­schich­ten der Ge­schich­te. Noch und noch.

Für Le­bens­ge­schich­ten von In­di­vi­du­en. Für de­ren Ver­flech­tun­gen in his­to­ri­sche Pro­zes­se. Für die bis in die letz­ten Ein­zel­hei­ten ge­hen­den dra­ma­ti­schen Ver­äs­te­lun­gen so­wohl der in­di­vi­du­el­len Le­bens­ge­schich­ten wie der über­grei­fen­den ge­schicht­li­chen Tra­gö­di­en und Ko­mö­di­en.

Von den An­fän­gen der Ge­schichts­schrei­bung bis heu­te.

Er war, wenn er ein­mal zu spre­chen be­gon­nen hat­te, kaum noch zu brem­sen. Da­her viel­leicht auch sein Vul­go. Sein Stu­den­ten­na­me:

SCHOCK.

Aus­ser­dem war er ein lei­den­schaft­li­cher Or­ni­tho­lo­ge.

Wo im­mer un­se­re Tref­fen statt­fan­den, wies er auf Vö­gel hin. Auf sol­che, die dort üb­li­cher­wei­se vor­ka­men. Auf sol­che, die dort sel­ten wa­ren. Auf sol­che, die es nur an die­sen Or­ten zu ent­de­cken gab.

Sei­ne Lieb­lin­ge wa­ren der Kirsch­kern­beis­ser, der Klei­ber und der Raub­wür­ger.

Zwei Töch­ter.

Ma­ria-The­re­sia und Ka­the­ri­na.

Eine Po­li­zis­tin. Eine Bank­frau.

Ar­nulf, der Hof­meis­ter, war ei­ner un­se­rer drei Rie­sen. Ein Zwei­me­ter­mann. Und er war auch ei­ner der drei von uns, die nicht in der Schweiz ge­bo­ren wa­ren.

Ihn hat­te ich ken­nen­ge­lernt, weil er für die Ver­nis­sa­ge mei­nes vier­ten Buchs ein Ex Li­bris ge­stal­tet hat­te. Ein mit dem Da­tum ver­se­he­ner Ein­kle­be­zet­tel, der vom Ver­lag nur an die­sem Abend als ex­klu­si­ve Zu­ga­be an die Käu­fer des Bu­ches ab­ge­ge­ben wur­de.

Er hat­te am längs­ten ge­zö­gert, bis er zum Mit­ma­chen be­reit ge­we­sen war.

Noch wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs in Wien, im da­mals von den Na­zis be­setz­ten Ös­ter­reich ge­bo­ren, war er mit sei­nen El­tern, als er sechs Jah­re alt war, in die Schweiz ge­kom­men.

Und er war nicht nur kör­per­lich, son­dern auch was sei­ne Ar­beit be­traf, ein Rie­se ge­wor­den.

Ein Gi­gant.

Nach ei­ner Ty­po­gra­phen­leh­re hat­te er ein paar Jah­re als Büh­nen­ma­ler ge­ar­bei­tet. Dann war er als frei­schaf­fen­der Künst­ler schnell in die Liga der hoch­do­tier­ten, in­ter­na­ti­o­nal be­kann­ten Zeich­ner und Ma­ler auf­ge­stie­gen. Mit Ar­bei­ten, die im­mer rie­si­ge­re For­ma­te an­ge­nom­men hat­ten.

Sein Ta­lent: das meis­ter­haf­te hyper­re­a­lis­ti­sche Zeich­nen in Trom­pe-l’oeil-Ma­nier.

Der bis­he­ri­ge Hö­he­punkt sei­nes Rie­sen­werks war eine Eins-zu-Eins-Wie­der­ga­be sei­nes ers­ten Ate­li­er­raums. Der Ar­beits­s­tät­te, die er sich in ei­nem in ei­ner Mul­de hin­ter dem ers­ten Hö­hen­zug am rech­ten Ufer des Neu­en­bur­ger­sees ge­le­ge­nen neo­go­ti­schen, an einen Sek­ten­bau er­in­nern­den Haus ein­ge­rich­tet hat­te.

Ge­schaf­fen für die 6. Do­cu­men­ta in Kas­sel.

Mit tau­sen­den, hun­dert­tau­sen­den oder Mil­li­o­nen von Blei­stift- und Fa­rb­stift­s­tri­chen auf Holz­plat­ten. In der re­a­len Grös­se der Wän­de, der De­cke und des Bo­dens. Aufs pein­lichs­te ge­nau. Bis hin zu den to­ten Flie­gen in den Ecken.

Wie je­der Künst­ler kein ein­fa­cher Mensch.

Er trank un­ge­heu­re Men­gen Weiss­wein, den er als An­triebs­mit­tel für sei­ne tag­täg­li­che Fleiss­a­r­beit brauch­te.

So dass ich ihm ei­nes Ta­ges, als wir zu­sam­men am Trin­ken wa­ren, scher­zes­hal­ber ge­sagt hat­te, ob er sei­ne Stri­che nicht lie­ber in Form von ein­mal quer durch­ge­stri­che­nen Vie­rer­grup­pen an­ord­nen wol­le.

Da­mit er je­des Mal sa­gen kön­ne:

Schon wie­der fünf Fran­ken!

Da­ne­ben war er ein aus­ge­zeich­ne­ter Koch und gross­zü­gi­ger Gast­ge­ber. Phan­ta­sie­voll. Sprach­mäch­tig. Wenn auch nicht sel­ten in bis­si­ger, iro­ni­scher Wei­se.

Selbst­ver­ständ­lich ehr­gei­zig.

Eine Ra­be­lais-Fi­gur.

Ein Gar­gan­tua.

Ein Pan­ta­gruel.

Bit­te Klop­fen und nicht Ein­tre­ten!

So hat­te er eine sei­ner Ausstel­lun­gen ge­nannt.

Zum zwei­ten Mal ver­hei­ra­tet.

Ein Sohn und eine Toch­ter aus ers­ter Ehe.

Ein Sohn in zwei­ter Ehe.

Die­ter, un­ser zwei­ter Rie­se, war, ob­wohl das für Schwei­zer wie ein Witz klin­gen mag, Ap­pen­zel­ler.

Ge­bo­ren und auf­ge­wach­sen in dem Schwei­zer Kan­ton, des­sen Be­woh­nern man nach­sagt, sie sei­en so klein, dass Wit­ze über sie ge­macht wür­den.

Un­ser äl­tes­tes Mit­glied. Di­plo­mat im Dienst des Eid­ge­nös­si­chen De­par­te­ments für aus­wär­ti­ge An­ge­le­gen­hei­ten.

Ein ent­schie­de­ner Ver­tre­ter der An­sicht, dass die­ser Pla­net, den wir Erde nen­nen, schon seit dem Be­ginn des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts völ­lig über­völ­kert sei. Da­her auch die bei­den Welt­krie­ge, die vor­über­ge­hend et­was Raum ge­schaf­fen hät­ten.

Er hat­te nach ei­ner Han­dels­ma­tur ein kur­z­es In­ter­mez­zo beim da­mals noch exis­tie­ren­den Schwei­ze­ri­schen Bank­ver­ein ge­ge­ben, ei­ner der da­mals noch vier gröss­ten Ban­ken der Schweiz, und dann in Ne­pal als Ent­wick­lungs­hel­fer ge­ar­bei­tet.

Da­nach Wirt­schafts­s­tu­di­um und Di­plo­ma­ten­aus­bil­dung.

Dann auf Pos­ten in Me­xi­ko, Neu-Del­hi, Dha­ka und Ot­ta­wa. Spä­ter Ca­ra­cas und Bonn.

Ihn hat­te ich ken­nen­ge­lernt, als er Lei­ter der Sek­ti­on für kul­tu­rel­le und Un­es­co-An­ge­le­gen­hei­ten in der Zen­tra­le des EDA in Bern ge­we­sen war.

Er hat­te mich emp­fan­gen, weil ich bei die­ser Dienst­stel­le an­ge­fragt hat­te, ob man mir be­hilf­lich sein kön­ne, in Ot­ta­wa den his­to­risch ku­rio­sen Pracht­bau der dor­ti­gen fran­zö­si­schen Bot­schaft zu be­sich­ti­gen.

Den Ab­ste­cher nach Ka­na­da plan­te ich, weil mir da­mals ein mehr­mo­na­ti­ger New-York-Auf­ent­halt be­vor­stand und ich für den Ro­man, an dem ich ar­bei­te­te, das Bot­schafts­ge­bäu­de als Schau­platz ver­wen­den woll­te.

Dass der Mann, Die­ter, zu­vor schon ein­mal in Ot­ta­wa auf Pos­ten ge­we­sen war, war ein Zu­fall.

Eben­so, dass ich das Haus kann­te, das er spä­ter in ei­nem Dorf nahe von Bern kauf­te. Es hat­te ei­nem re­nom­mier­ten Psych­i­a­ter ge­hört, der sich für Li­te­ra­tur in­ter­es­sier­te und von dem ich des­halb Jah­re zu­vor schon ei­ni­ge Male zum Es­sen ein­ge­la­den wor­den war.

Zum Zeit­punkt, als ich mei­ne An­fra­ge an ihn rich­te­te, war Didi, wie wir ihn meist nann­ten, ein­mal mehr in die Zen­tra­le des EDA nach Bern zu­rück­be­or­dert wor­den. Dort nun tä­tig als Ko­or­di­na­tor für in­ter­na­ti­o­na­le Flücht­lings­po­li­tik.

Bei ei­nem Bau­ern am Rand des Dor­fes, in dem das Haus stand, das der in­zwi­schen ver­stor­be­ne Psych­i­a­ter sich einst hat­te bau­en las­sen, hat­te er ein ei­ge­nes Pferd im Stall.

Nei­der nann­ten ihn des­halb einen Her­ren­rei­ter.

Da­ne­ben war er ein gros­ser Ver­eh­rer nicht nur der of­fen­sicht­li­chen, son­dern auch der ver­bor­ge­nen Schön­hei­ten der Frau­en.

Und manch­mal auch et­was mehr.

Zu­nächst über lan­ge Jah­re ver­hei­ra­tet mit ei­ner Ju­gend­lie­be aus dem Ap­pen­zel­ler Dorf, in dem sie bei­de ihre Kind­heit und Ju­gend ver­bracht hat­ten, war er in­zwi­schen von die­ser Frau ge­schie­den.

Kin­der­los.

Paul, des­sen Be­kannt­schaft ich durch Die­ter ge­macht hat­te, war als ein wei­te­rer Schwei­zer Spit­zen­be­am­ter in ei­ner Sphä­re tä­tig, die man nicht so­fort mit die­sem klei­nen Land in Ver­bin­dung ge­bracht hät­te.

Er ar­bei­tet zwar wie Die­ter für das EDA, aber nicht als Di­plo­mat, son­dern als Chef des Bü­ros für Welt­rau­man­ge­le­gen­hei­ten.

Zum Aus­gleich, oder wohl zu­tref­fen­der zur spie­gel­bild­li­chen Er­gän­zung sei­ner Be­schäf­ti­gung mit dem Uni­ver­sum, kreuz­te die­ser Mann mit dem von ihm selbst kon­stru­ier­ten kleins­ten Dampf­schiff der Schweiz, dem er den Na­men Fünk­li, klei­ner Fun­ke, ge­ge­ben hat­te, wann im­mer er sich da­für Zeit neh­men konn­te, über den Thu­ner- und den Bri­en­zer­see.

Da­bei war er, im Ge­gen­satz zu dem, was man hät­te er­war­ten kön­nen, von sei­ner Aus­bil­dung her nicht etwa Na­tur­wis­sen­schaft­ler, son­dern Ju­rist.

Aber mit ei­ner Dok­tor­a­r­beit über Raum­fahrt und Völ­ker­recht.

Auch er sah, wie Die­ter, in der Über­völ­ke­rung des Pla­ne­ten die gröss­te Ge­fahr, die es für die Mensch­heit heu­te gibt.

Er hat­te die Rech­te mit der gan­zen Viel­falt ih­rer Deu­tungs­mög­lich­kei­ten stu­diert und be­trach­te­te sich als der Wis­sen­schaft ver­pflich­te­ter Auf­klä­rer und Feind des Aber­glau­bens. Er hat­te des­halb der Idee des Clubs zu­nächst zwar skep­tisch ge­gen­über­ge­stan­den, sie schliess­lich aber trotz­dem amüsant ge­fun­den.

So wie er, eine an­de­re Ei­gen­heit von ihm, so­wohl we­der Ufos noch wei­te­re Uni­ver­sen als je­nes, das uns bis heu­te be­kannt ist, aus­sch­lies­sen woll­te.

Ich fra­ge mich, war­um es heu­te ein­fa­cher ist, fi­nan­zi­el­le Mit­tel für die wis­sen­schaft­li­che Er­for­schung des Paa­rungs­ver­hal­tens von Glüh­würm­chen zu be­schaf­fen als für die se­ri­öse Un­ter­su­chung des Ufo-Pro­blems.

So ei­nes sei­ner Ar­gu­men­te.

Weit über neun­zig Pro­zent der welt­wei­ten Ufo-Sich­tun­gen könn­ten zwar als Ver­wechs­lung mit kon­ven­ti­o­nel­len Him­mels­er­schei­nun­gen, so sei­ne wei­te­re Ar­gu­men­ta­ti­on, ge­trost auf den Müll be­för­dert wer­den.

Ihn in­ter­es­sie­re der har­te Kern der un­ge­klär­ten Sich­tun­gen, der üb­rig blei­be.

Auch in die­sem Fall ver­mag ich die Igno­ranz der of­fi­zi­el­len Wis­sen­schaft nicht zu be­grei­fen.

Des­halb sei­ne Fra­ge:

War­um gibt es nicht mehr an­er­kann­te For­scher, die er­ken­nen, dass da et­was Merk­wür­di­ges im Gang sein könn­te?

Dass die NASA, die über­haupt nicht eine so ganz zi­vi­le Raum­fahrt­be­hör­de, son­dern ein Re­gie­rungs­arm sei, der Re­gie­rungs­po­li­tik durch­füh­re, stets die Wahr­heit sage, be­zweif­le er.

---ENDE DER LESEPROBE---