Die Erhebung der Romanfiguren - E. Y. Meyer - E-Book

Die Erhebung der Romanfiguren E-Book

E. Y. Meyer

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Beschreibung

Unglaublich, aber wahr: Romanfiguren verwandeln sich in Wesen aus Fleisch und Blut und revoltieren gegen den Autor, der sie geschaffen hat. In dieser Erzählung lässt E. Y. Meyer, der Autor des Sensationsromans »In Trubschachen«, einen emeritierten Philosophie-Professor einen Bericht über das Schicksal eines jungen Schriftstellers schreiben, der einst sein Schüler gewesen war, der dann, nachdem er einen Roman über ein Dorf in der Schweiz geschrieben hatte, aber unter merkwürdigen Umständen plötzlich verschwand und wie vom Erdboden verschluckt blieb. Der Grund dafür, dass er den Bericht schreibt, obwohl er seinem jungen Freund einst das Versprechen gegeben hatte, über die möglichen Hintergründe, die zu seinem Verschwinden geführt haben, zu schweigen, ist eine Postkarte, die bei ihm eingetroffen ist. Eine Postkarte, die in einem westafrikanischen Land aufgegeben worden war und auf der Vorderseite eine bunte Marktszene zeigte. Auf deren Rückseite aber nur der Name des Professors und seine Adresse standen und das englische Wort „Well“ zusammen mit dem Buchstaben „M“. Wenn man den Roman »In Trubschachen« gelesen hat, verspricht das Lesen dieser Erzählung wunderbaren zusätzlichen Genuss.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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E.Y.Mey­er

Die Er­he­bungder Ro­man­fi­gu­ren

Er­zäh­lung

Mit ei­nem Nach­wort vonHeinz Schafroth

 

Erst­mals er­schie­nen 1975

Als eine von den drei Er­zäh­lun­gen

in dem Suhr­kamp-Ta­schen­buch

«Eine ent­fern­te Ähn­lich­keit»

Neu­fas­sung

© 2021 E.Y.MEY­ER

ey­mey­er.ch

 

 

Co­ver:

Bron­ze­kopf des Au­tors

Ge­schaf­fen 1997 von PAN YI QUINAca­de­my of Arts & De­sign

Tsing Hua Uni­ver­si­tyBei Jing, Chi­na

 

In­halt

I      Die Er­he­bung der Ro­man­fi­gu­ren

II      Von al­len ver­stan­den: Die Fremd­spra­che Po­e­sie

 

I Die Er­he­bung der Ro­man­fi­gu­ren

Nen­nen Sie mich An­drás. Felsölo­ci. Auch wenn dies mög­li­cher­wei­se nicht mein rich­ti­ger Name ist oder ein Name, un­ter dem mich nie­mand mehr kennt.

Aber der Name tut nichts zur Sa­che. Und wenn Sie die nach­fol­gen­den Zei­len ge­le­sen ha­ben, wer­den Sie viel­leicht ver­ste­hen, war­um.

Es geht da­bei um ein Ver­spre­chen, das ich ei­nem Freund ge­ge­ben habe, von dem ich nicht weiss, ob er noch lebt. Oder ob er in­zwi­schen viel­leicht tot ist.

Nach lan­gem Zö­gern habe ich mich, trotz ge­wis­ser im­mer noch un­ge­klär­ter Res­te dar­in, je­doch ent­schlos­sen, die Ge­schich­te – so wie ich sie er­fah­ren habe und so wahr­haf­tig, wie mir das mög­lich ist – in ih­rem gan­zen mir be­kann­ten Um­fang zu er­zäh­len.

Denn auch ich bin nur ein Mensch mit sei­nen Feh­lern und Schwä­chen.

Und so, wie mein Freund sich mir an­ver­traut hat, hal­te auch ich es jetzt nicht mehr aus, ohne mich eben­falls je­man­dem an­zu­ver­trau­en.

Zu­dem glau­be ich, dass ich, nach al­lem, was bis­her ge­sche­hen ist, gar nicht mehr schwei­gen darf, son­dern dass es – ich zö­ge­re nicht, es zu sa­gen – mei­ne mensch­li­che Pflicht ist zu spre­chen.

Eine un­an­ge­neh­me und ver­mut­lich nicht un­ge­fähr­li­che Pflicht zwar, aber eben doch eine je­ner Pflich­ten, von de­nen ich glau­be, dass man als Mensch nicht um sie her­um­kommt.

Durch den Lauf, den die Er­eig­nis­se ge­nom­men ha­ben, füh­le ich mich auch nicht mehr an das mei­nem Freund ge­ge­be­ne Ver­spre­chen ge­bun­den, bis er es mir sage, nie­man­dem, auch mir seit lan­gem be­kann­ten Men­schen ge­gen­über, et­was von sei­nen Ver­mu­tun­gen und Be­fürch­tun­gen ver­lau­ten zu las­sen oder auch nur an­zu­deu­ten.

Ich sol­le, wenn die Spra­che auf die­ses The­ma kom­me, am bes­ten gar nicht dar­auf ein­ge­hen und auf das Ri­si­ko ei­ner Brüs­kie­rung mei­ner Ge­sprächs­part­ner hin kur­zer­hand ein an­de­res an­schnei­den.

Vor­sichts­mass­nah­men, die mir zu­erst als mass­los über­trie­ben und lä­cher­lich vor­ge­kom­men sind, von de­ren da­ma­li­ger Be­rech­ti­gung ich nun aber je län­ger, je mehr über­zeugt, ja so­gar mehr als über­zeugt bin.

Trotz­dem kann ich mir kei­ner Schuld be­wusst sein, da ich – auch das muss ich sa­gen – ein­mal ge­ge­be­ne Ver­spre­chen, und wenn sie mir noch so lä­cher­lich vor­ge­kom­men sind, bis jetzt im­mer ge­hal­ten habe, und es mir auch jetzt nicht leicht­ge­fal­len ist und der aus­ser­or­dent­li­chen und un­ge­wöhn­li­chen Be­ge­ben­hei­ten, die statt­ge­fun­den ha­ben, be­durft hat, mich ein Ver­spre­chen, das ich ei­nem Freund – wie ich jetzt so­gar zu glau­ben mei­ne, mei­nem bes­ten Freund – ge­ge­ben habe, bre­chen zu las­sen.

Das ein­zi­ge, was mich in der letz­ten Zeit, in der ich mich fast aus­sch­liess­lich mit die­ser Ge­schich­te be­schäf­tigt habe, im­mer wie­der an mei­ner Schuld­lo­sig­keit zwei­feln liess und letzt­lich viel­leicht auch den An­sto­ss zu dem Ver­such ge­ge­ben hat, mir da­durch, dass ich die Ge­schich­te je­man­dem er­zäh­le, end­gül­ti­ge Kla­r­heit dar­über zu ver­schaf­fen, ist die Fra­ge, ob ich mei­nen Freund von sei­nem letz­ten, ent­schei­den­den Ent­schluss, von dem er sich durch nichts hat­te ab­brin­gen las­sen, viel­leicht nicht doch noch – wenn es nicht an­ders ge­gan­gen wäre, in Got­tes Na­men halt mit Hil­fe der Po­li­zei oder ei­nes Arz­tes und von Kran­ken­wär­tern – hät­te ab­hal­ten und sei­ne Aus­füh­rung hät­te ver­hin­dern kön­nen.

Et­was, das ich da­mals auch er­wo­gen, schliess­lich aber, da er zu die­sem Zeit­punkt viel­leicht über­ner­vös und über­reizt, kei­nes­falls je­doch krank oder gar ge­mein­ge­fähr­lich ge­we­sen war, als voll­kom­men un­ver­hält­nis­mäs­sig ver­wor­fen hat­te.

Mög­li­cher­wei­se wäre es für mei­nen Freund bes­ser ge­we­sen, für ei­ni­ge Zeit un­ter ir­gend­ei­nem Vor­wand fest­ge­hal­ten zu wer­den, aber wer – aus­ser ihm selbst – hät­te das schon ent­schei­den und ver­ant­wor­ten kön­nen.

Ob­wohl ich mei­ne gan­zen Kräf­te da­für ein­ge­setzt hät­te, dass ihm der Auf­ent­halt, in ei­nem Ge­fäng­nis, ei­ner Ner­ven­heil­an­stalt oder wo im­mer, so an­ge­nehm wie mög­lich ge­stal­tet, und er nach ei­ner an­ge­mes­se­nen Zeit wie­der, ohne Nach­tei­le da­von­zu­tra­gen, ent­las­sen wor­den wäre.

Dass ich, als mich mein Freund das ers­te Mal be­such­te, um mir von den Er­eig­nis­sen zu er­zäh­len, die den An­fang der hier noch ein­mal zur Spra­che kom­men­den Ge­schich­te bil­de­ten, ge­ra­de in Lan­ge-Eich­baums 1948 er­schie­ne­n­em Nietz­sche-Buch – »Nietz­sche, Krank­heit und Wir­kung« – las, muss als rei­ner Zu­fall an­ge­se­hen wer­den und kann nichts mit der Ver­hal­tens­wei­se mei­nes Freun­des im wei­te­ren Ver­lauf der Ge­scheh­nis­se zu tun ha­ben.

Und wenn ich mir – wahr­schein­lich noch zu stark un­ter dem Ein­druck der Lek­tü­re ste­hend – zu­nächst trotz­dem ein­bil­de­te, ir­gend­ei­nen va­gen Zu­sam­men­hang zwi­schen der Si­tua­ti­on mei­nes Freun­des und dem In­halt des Bu­ches zu spü­ren, so hat sich das spä­tes­tens ge­än­dert, als sich das, was mein Freund be­fürch­tet und be­reits da­mals mit ei­ner er­staun­li­chen Kla­r­heit vor­aus­ge­se­hen hat, zu ver­wirk­li­chen be­gann...

»... ich kann mir nicht hel­fen», hat­te mein Freund ge­sagt, «aber ich wer­de das Ge­fühl nicht los, dass sich hin­ter die­ser An­ge­le­gen­heit mehr ver­birgt, als es den An­schein macht. Und ich ver­si­che­re Dir, dass ich nicht eher Ruhe ge­ben wer­de, als bis ich her­aus­ge­fun­den habe, ob mich die­ses Ge­fühl ge­täuscht hat oder nicht. Je­mand an­de­res als Du wür­de viel­leicht ver­su­chen, mei­ne Ver­mu­tun­gen der über­be­an­spruch­ten und über­for­der­ten Fan­ta­sie ei­nes schrei­ben­den und Ge­schich­ten er­fin­den­den Aus­sen­sei­ters und Schön­geis­tes zu­zu­schrei­ben und als eine der üb­li­chen Un­wahr­schein­lich­kei­ten aus dem Be­reich der li­te­ra­ri­schen Kon­struk­ti­o­nen ab­zu­tun, und ich wür­de nicht ein­mal viel da­ge­gen ein­wen­den kön­nen. Und doch habe ich mei­ne Grün­de und auch ei­ni­ge hand­fes­te Hin­wei­se für die An­nah­me, dass die jetzt in Er­schei­nung tre­ten­den Per­so­nen und In­sta­n­zen nicht die ei­gent­li­chen Ur­he­ber des­sen, was sich da an­zu­bah­nen be­ginnt, sind, son­dern dass da ganz an­de­re Leu­te da­hin­ter­ste­cken, de­nen das nie­mand auch nur im Ge­rings­ten zu­trau­en wür­de. Leu­te, wie sie sonst nur in Ro­ma­nen vor­zu­kom­men schei­nen...«

Als aus­lö­sen­des Mo­ment für mei­nen Ent­schluss, die Ge­schich­te nicht län­ger für mich al­lein zu be­hal­ten, ist aber schlus­s­end­lich die in mir zur Ge­wiss­heit ge­wor­de­ne Ah­nung zu be­trach­ten, dass es mei­nem Freund nie mehrmög­lich sein wird, mich, wie er es als denk­bar of­fen­ge­las­sen hat­te, von mei­nem Ver­spre­chen zu ent­bin­den, zu nie­man­dem da­von zu spre­chen.

Eine Ge­wiss­heit, die ich mir auch durch be­stimm­te Vor­komm­nis­se in der al­ler­letz­ten Zeit nicht neh­men und er­schüt­tern las­se, die nun ih­rer­seits ohne Zwei­fel mei­nen ei­ge­nen über­reiz­ten Sin­nen und Ner­ven zu­ge­schrie­ben wer­den müs­sen – ob­wohl sich zu den auf Ein­bil­dung zu­rück­zu­füh­ren­den Ein­drü­cken, mei­nen Freund für kur­ze Au­gen­bli­cke an den ver­schie­dens­ten Or­ten plötz­lich wie­der­ge­se­hen zu ha­ben, auch eine so kon­kre­te und nach­prüf­ba­re Tat­sa­che wie das Ein­tref­fen ei­ner Post­kar­te aus ei­nem west­afri­ka­ni­schen Land ge­sell­te, die ne­ben mei­ner An­schrift nur das eng­li­sche Wort «Well»und den Buch­sta­ben «M» auf­wies.

Wer im­mer die­se Ge­schich­te hö­ren wird, soll selbst ent­schei­den, ob er auch mei­nen dies­be­züg­li­chen Fest­stel­lun­gen Glau­ben schen­ken oder ob er mich als Mit­be­tei­lig­tenin der Ge­schich­te se­hen will, der letzt­lich auch schon ihr Op­fer gewor­den ist – ganz zu schwei­gen von dem, was er von der Sa­che mit der Post­kar­te hal­ten will.

Da­für, dass ich schon ganz von An­fang an in ent­schei­den­der Wei­se an der Ge­schich­te be­tei­ligt bin, gibt es zwar kei­ne nach­weis­ba­ren Grün­de, son­dern ein­zig und al­lein mei­neAus­sa­gen, aber eine sol­che Be­tei­li­gung zu be­strei­ten wäre eben­so lä­cher­lich wie sinn­los, da ihre Tat­be­stän­de von ei­ner Ge­wöhn­lich­keit und Harm­lo­sig­keit sind, die ein Vor­aus­se­hen auch nur der ge­rings­ten schwer­wie­gen­den Fol­gen, die sich aus ih­nen er­ge­ben könn­ten, für einen nicht über­mäs­sig ängst­li­chen und miss­traui­schen Men­schen schlicht und ein­fach un­mög­lich ma­chen.

Oder was hät­te ich mir denn da­bei den­ken sol­len, als ich mei­nem Freund für einen Auf­ent­halt über Weih­nach­ten und Neu­jahr ein Dorf und einen Gast­hof emp­fahl, in dem ich mich selbst schon zu mei­ner völligen Zu­frie­den­heit auf­ge­hal­ten hat­te.

Oder als ich es ihm er­mög­lich­te, in ei­ner – wie man, glau­be ich, ru­hig sa­gen kann – zur­zeit im­mer noch füh­ren­den deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur­zeit­schrift, de­ren Her­aus­ge­ber zu mei­nen Freun­den ge­hört, eine sei­ner Ge­schich­ten zu ver­öf­fent­li­chen, die ich im­mer noch gut fin­de und de­ren Ver­öf­fent­li­chung mir als durch­aus ge­recht­fer­tigt er­schie­nen war?

»... ich glau­be», hat­te ich ge­sagt, «es wäre wich­tig, dass wir mei­nen Freund dazu brin­gen könn­ten, die­se Ge­schich­te von dir in sei­ner Zeit­schrift zu ver­öf­fent­li­chen. Aber ich will dir dies­be­züg­lich kei­ne falschen Hoff­nun­gen ma­chen, da mein Freund ein recht lau­ni­scher und nicht ge­ra­de freu­di­ger Brie­fe­schrei­ber ist und du dich des­halb un­ter Um­stän­den auf eine lan­ge War­te­zeit ge­fasst ma­chen musst. Ich weiss auch nicht, wie ihm die Ge­schich­te ge­fal­len wird, oder ob wir ihm nach ei­ni­ger Zeit noch eine neue Fas­sung, viel­leicht mit ei­nem an­de­ren Schluss, schi­cken soll­ten, da­mit er die dann ein­mal bringt. Das hängt oft ganz von Zu­fäl­len ab. Nach ei­nem hal­b­en oder gan­zen Jahr er­in­nert er sich plötz­lich wie­der an die Ge­schich­te, und dann kann sie schon in der nächs­ten Num­mer ab­ge­druckt sein...«

Wie mei­nen bis­he­ri­gen Be­mer­kun­gen zu ent­neh­men ist und ob­wohl es zu­nächst viel­leicht be­frem­dend sein mag, habe ich mich im Wei­te­ren – aus Grün­den, die im Ver­lau­fe der Ge­schich­te un­schwer aus­zu­ma­chen sein wer­den – auch dazu ent­schlos­sen, auf die Nen­nung von Na­menin Be­zug auf Orte und Per­so­nenzu ver­zich­ten, was je­doch nicht heisst, dass ich mich, bei ge­wis­sen im­mer noch mög­li­chen Wen­dun­gen, zu ei­nem frü­he­ren oder spä­te­ren Zeit­punkt nicht doch dazu durch­rin­gen könn­te, die­se im In­ter­es­se ei­nes hö­he­ren An­spru­ches preis­zu­ge­ben.

Ich ge­stat­te mir aber, mei­ne Er­zäh­lung mit ei­ni­gen an­de­ren An­ga­ben eher all­ge­mei­ne­rerNa­tur zu der Per­son mei­nes Freun­des zu be­gin­nen, die ich für das Ver­ständ­nis der wei­te­ren Er­eig­nis­se um ihn her­um für un­ab­läs­sig hal­te, wo­bei da ohne Zwei­fel in ers­ter Li­nie eine mei­ner Mei­nung nach of­fen­sicht­li­che Be­ga­bung für das Schrei­ben und sein mehr oder we­ni­ger ernst­haft er­klär­tes Ziel, den Be­ruf ei­nes so­ge­nann­ten frei­en Schrift­stel­lers aus­zu­ü­ben, zu nen­nen wäre.

---ENDE DER LESEPROBE---