Darwin und die Götter der Scheibenwelt - Terry Pratchett - E-Book

Darwin und die Götter der Scheibenwelt E-Book

Terry Pratchett

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Beschreibung

Drei unnachahmlich unterhaltsame Sachbücher aus Sicht der Gelehrten der Scheibenwelt – unverzichtbar für alle Terry- Pratchett-Jünger: Als Ergebnis eines missglückten Experiments besitzen die Zauberer der Unsichtbaren Universität plötzlich ein Miniaturweltall: die irdische Rundwelt. Unter Führung der weisen Magier verfolgen wir die Geschichte unseres Universums vom Urknall bis zum Internet und darüber hinaus.

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Entdecke die Welt der Piper Fantasy: Übersetzung aus dem Englischen von Andreas Brandhorst und Erik Simon Andreas Brandhorst übersetzte die erzählenden, Erik Simon die wissenschaftlichen Kapitel. Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe 1. Auflage 2012 ISBN 978-3-492-95954-4 © 2005 Terry und Lyn Pratchett, foat Enterprises, Jack Cohen Titel der englischen Originalausgabe: »The Science of Discworld 3: Darwin’s Watch«, Gollancz, London 2005 Deutschsprachige Ausgabe: © Piper Verlag GmbH, München 2006 Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München Umschlagabbildung: Katarzyna Oleska Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Angenommen, beim Wandern über die Heide … hätte ich eine Uhr auf dem Boden gefunden, … so wäre, glauben wir, die Schlussfolgerung unausweichlich: dass die Uhr von jemandem gemacht worden sein muss.

WILLIAM PALEYNatürliche Theologie

Der göttliche Entwurf – der von Paley entdeckte bewusste Schöpfungsvorgang, von dem wir jetzt wissen, dass er die Existenz und die zielbewusste Gestalt allen Lebens erklärt – hat immer eine Absicht. Wenn man von Gott sagen kann, dass Er die Rolle des Uhrmachers in der Natur spielt, so ist Er ein alles sehender Gott.

PFARRER CHARLES DARWINTheologie der Arten

Es ist etwas Erhabenes um diese Auffassung des Lebens …, dass, während sich unsere Erde nach den Gesetzen der Schwerkraft im Kreise bewegt, aus einem so schlichten Anfang eine unendliche Zahl der schönsten und wunderbarsten Formen sich entwickelt hat und noch weiter entwickelt.

PFARRER RICHARD DAWKINSDie Entstehung der Arten

Die natürliche Zuchtwahl, der blinde, unbewusste, automatische Vorgang, den Darwin entdeckte und von dem wir heute wissen, dass er die Erklärung für die Existenz und offensichtlich zweckmäßige Gestalt allen Lebens ist, zielt auf keinen Zweck … Wenn man von ihr sagen kann, dass sie die Rolle des Uhrmachers in der Natur spielt, dann die eines blinden Uhrmachers.

RICHARD DAWKINSDer blinde Uhrmacher

Angenommen, beim Wandern über die Heide … hätte ich eine Uhr auf dem Boden gefunden. Ich glaube, die Schlussfolgerung ist unausweichlich: Ein unaufmerksamer chronometrischer Vermesser muss sie verloren haben.

PRESERVED J. NIGHTINGALETotal veruhrt

Was die Rundwelt betrifft

Die Scheibenwelt ist real. So sollte eine Welt funktionieren. Zugegeben, sie ist flach und ruht auf dem Rücken von vier Elefanten, die auf dem Rückenschild einer durchs All fliegenden Schildkröte stehen, aber bedenken Sie die Alternativen.

Stellen Sie sich zum Beispiel eine kugelförmige Welt mit einer dünnen Kruste auf einem Inferno aus flüssigem Felsgestein und Eisen vor. Eine zufällige Welt, bestehend aus den Resten alter Sterne, Heimat von Leben, das immer wieder gnadenlos ausgelöscht wird von Eis, Gas, Fluten oder vom Himmel fallenden Felsen, die mit einer Geschwindigkeit von mehr als dreißigtausend Kilometern in der Stunde unterwegs sind.

Eine derart unwahrscheinliche Welt sowie der Kosmos, der sie umgibt, wurden zufälligerweise von den Zauberern der Unsichtbaren Universität* [* Das größte magische Bildungsinstitut der Scheibenwelt. Aber das wissen Sie sicherlich, oder?] erschaffen. Es war der Dekan der Unsichtbaren Universität, der an dem rohen Himmelsgewölbe herumspielte und es destabilisierte, was – wenn die Erinnerung des Volks bis zu einem subsubsubsubatomaren Partikelniveau reicht – vielleicht zu dem Glauben führte, dass jemand mit einem Bart hinter allem steckt.

Das Universum der Rundwelt ist in seinem Innern unendlich und durchmisst von außen gesehen etwa dreißig Zentimeter. Es befindet sich in einer Glaskugel in der UU, und man begegnete ihr mit Interesse und auch mit Sorge.

Vor allem mit Sorge. Die Zauberer finden es beunruhigend, dass sie überhaupt kein Narrativium enthält.

Narrativium ist kein Element im üblichen Sinn, sondern ein Attribut aller anderen Elemente, und dadurch verwandelt es sie, im okkulten Sinne, in Moleküle. Eisen enthält nicht nur Eisen, sondern auch die Geschichte von Eisen, den historischen Hintergrund von Eisen, den Teil von Eisen, der gewährleistet, dass es auch in Zukunft Eisen bleiben wird, eine eisenartige Aufgabe zu erledigen hat und nicht zum Beispiel Käse ist. Ohne Narrativium hat das Universum keine Geschichte, keinen Zweck, keine Bestimmung.

Doch unter der alten magischen Herrschaft von »Wie im Großen, so im Kleinen« strebt das verkrüppelte Universum der Rundwelt auf einem gewissen Niveau nach seinem eigenen Narrativium. Eisen sucht anderes Eisen. Dinge drehen sich. In Ermangelung von Göttern, die Leben erschaffen, hat es das Leben entgegen allen Erwartungen fertig gebracht, sich selbst zu erschaffen. Doch die Menschen, die sich auf dem Planeten entwickelt haben, glauben in ihrem Herzen, dass es so etwas wie Götter gibt. Sie glauben an magischen, kosmischen Zweck und daran, dass sich Chancen von eins zu einer Million in neun von zehn Fällen bewahrheiten. Sie suchen Geschichten in der Welt, die ihnen die Welt bedauerlicherweise nicht erzählen kann.

Die Zauberer fühlen sich deshalb ein wenig schuldig und haben mehrmals in die Geschichte der Rundwelt eingegriffen, als diese auf dem falschen Weg zu sein schien. Sie ermutigten Fische (oder fischartige Geschöpfe), das Meer zu verlassen. Sie besuchten die Protozivilisationen der Nachkommen von Dinosauriern und Krabben. Sie beobachteten verzweifelt, wie Eiszeiten und Kometen immer wieder alle höheren Lebensformen auslöschten. Und sie fanden einige von Sex besessene Affen, die schnell lernten, insbesondere wenn Sex daran beteiligt war oder mit beträchtlichem Einfallsreichtum daran beteiligt werden konnte.

Wieder griffen die Zauberer ein und wiesen darauf hin, dass man mit Feuer besser keinen Sex haben sollte. Außerdem ermutigen sie sie dazu, den Planeten vor dem nächsten großen Aussterben zu verlassen.

Geholfen hat ihnen dabei Hex, die magische Denkmaschine der Unsichtbaren Universität, die sehr leistungsfähig ist und von der Rundwelt aus gesehen, die für Hex nur eine Subroutine darstellt, wie ein Gott erscheinen muss, allerdings geduldiger.

Die Zauberer glauben, alles geklärt und geregelt zu haben. Mithilfe einer Technomantie namens Wissenschaft haben die Affen davon erfahren, dass ihre Welt permanent bedroht ist, und vielleicht entgehen sie dem kalten oder feurigen Ende.

Und doch …

Der springende Punkt an den ausgefeiltesten Plänen ist die Tatsache, dass sie nicht oft schief gehen. Sie gehen manchmal schief, aber nicht oft, weil sie nämlich, wie bereits gesagt, besonders ausgefeilt sind. Die Pläne der Zauberer hingegen, die hereinplatzen, herumschreien, alles bis zum Mittag in Ordnung bringen wollen und das Beste hoffen … sie gehen meist sofort schief.

Es gibt eine Art Narrativium auf der Rundwelt, wenn man nur richtig hinsieht.

Auf der Scheibenwelt sagt das Narrativium dem Fisch, dass er ein Fisch ist, was ein Fisch ist und dass er weiterhin ein Fisch sein wird. Auf der Rundwelt sagt etwas im Innern des Fischs, dass er ein Fisch ist, ein Fisch war … und irgendwann etwas ganz anderes sein wird …

… vielleicht.

EINS

Sonstiges

Es regnete. Das war natürlich gut für die Würmer.

Charles Darwin blickte durch die Rinnsale am Fenster in den Garten.

Würmer, tausende von ihnen, dort im sanften Regen. Sie verwandelten die Abfälle des Winters in Lehm, schufen Boden. Wie … praktisch.

Gottes Pflüge, dachte er und verzog das Gesicht. Es waren Gottes Eggen, die ihm derzeit zusetzten.

Seltsam, wie sehr das Rauschen des Regens nach dem Flüstern von Menschen klang.

An dieser Stelle bemerkte er den Käfer. Er kletterte innen an der Scheibe hoch, ein grünes und blaues tropisches Juwel.

Ein zweiter befand sich weiter oben und klopfte vergeblich an die Scheibe.

Einer landete auf dem Kopf.

Das Knistern und Rascheln von Flügeln erklang. Fasziniert beobachtete Darwin die glühende Wolke in der Ecke des Zimmers. Sie gewann Gestalt …

Für eine Universität ist es immer nützlich, ein Sehr Großes Ding zu haben. Es beschäftigt die jüngeren Leute, zur Erleichterung der älteren (insbesondere dann, wenn das SGD ein Stück vom Zentrum der Bildungsstätte entfernt ist), und es verwendet viel Geld, das sonst nur herumläge und Probleme verursachte oder von der soziologischen Fakultät ausgegeben würde, oder vielleicht beides. Es hilft auch dabei, Grenzen hinauszuschieben, und dabei spielt es keine Rolle, welche Grenzen, denn wie jeder Forscher weiß: Auf das Hinausschieben kommt es an, nicht auf die Grenzen.

Es ist auch gut, wenn das Sehr Große Ding größer ist als die Sehr Großen Dinge aller anderen. In diesem besonderen Fall ging es um die Unsichtbare Universität, die größte magische Universität auf der Welt, und natürlich musste ihr SGD größer sein als jenes, das die Mistkerle an der Universität von Braseneck bauten.

»Ihres ist eigentlich nur ein RGD, ein Recht Großes Ding«, sagte Ponder Stibbons, Leiter der Abteilung für unratsam angewandte Magie. »Sie hatten damit so viele Probleme, dass es wahrscheinlich nur ein GD ist!«

Die alten Zauberer nickten zufrieden.

»Und unseres ist bestimmt größer?«, fragte der Oberste Hirte.

»Ja«, bestätigte Stibbons. »Wie ich meinen Gesprächen mit den Leuten von Braseneck entnehmen konnte, ist unser SGD in der Lage, zweimal so große Grenzen dreimal so weit hinauszuschieben.«

»Ich hoffe, darauf hast du sie nicht hingewiesen«, sagte der Dozent für neue Runen. »Wir wollen doch nicht, dass sie ein … ein … ein NGD brauen.«

»Ein was, Herr?«, fragte Ponder höflich, und sein Tonfall bedeutete: ›Ich kenne mich mit diesen besonderen Dingen aus, und du solltest nicht so tun, als wüsstest du ebenfalls Bescheid.‹

»Äh … ein Noch Größeres Ding?«, erwiderte Runen und merkte, dass er sich auf unbekanntes Territorium wagte.

»Nein, Herr«, sagte Ponder freundlich. »Der nächste Schritt wäre ein Riesig Großes Ding, Herr. Man hat Folgendes postuliert: Wenn wir jemals imstande sind, ein RGD zu bauen, kennen wir die Gedanken des Schöpfers.«

Die Zauberer schwiegen. Eine Fliege schwirrte vor dem hohen, mit einem steinernen Mittelpfosten versehenen Fenster, dessen buntes Glas ein Bild des Erzkanzlers Sloman zeigte, wie er die Spezielle Graupeltheorie entwickelte. Nachdem sie ein wenig Fliegendreck auf Erzkanzler Slomans Nase hinterlassen hatte, flog sie durch ein kleines Loch nach draußen, das vor zweihundert Jahren ein von einem vorbeifahrenden Karren aufgewirbelter Stein in die Fensterscheibe geschlagen hatte. Zu Anfang hatte sich niemand um das Loch gekümmert, weil alle mit anderen Dingen beschäftigt gewesen waren. Jetzt kümmerte sich niemand darum, weil es zur Tradition gehörte.

Die Fliege war in der Unsichtbaren Universität geboren und wegen des starken permanenten magischen Felds weitaus intelligenter als die durchschnittliche Fliege. Seltsamerweise wirkte sich das magische Feld nicht auf Zauberer aus, vielleicht deswegen, weil die meisten von ihnen ohnehin intelligenter als Fliegen waren.

»Ich glaube, das möchten wir nicht, oder?«, fragte Ridcully.

»Es könnte für unhöflich gehalten werden«, pflichtete ihm der Professor für unbestimmte Studien bei.

»Wie groß wäre ein Riesig Großes Ding?«, fragte der Oberste Hirte.

»Genauso groß wie das Universum«, sagte Ponder. »Jedes Partikel des Universums wäre Teil von ihm.«

»Ziemlich groß …«

»Ja, Herr.«

»Schwer unterzubringen, denke ich.«

»Zweifellos, Herr«, sagte Ponder, der schon seit einer ganzen Weile nicht mehr versuchte, den älteren Mitgliedern des Lehrkörpers Große Magie zu erklären.

»Na schön«, brummte Erzkanzler Ridcully. »Danke für deinen Bericht, Stibbons.« Er schniefte. »Klingt faszinierend. Kommen wir zum nächsten Punkt: Sonstiges.« Er sah sich am Tisch um. »Und da es nichts Sonstiges gibt …«

»Äh …«

Das war ein schlechtes Wort an dieser Stelle. Ridcully mochte keine Komitee-Angelegenheiten, und von Sonstigem hielt er erst recht nichts.

»Ja, Rincewind?«, sagte er und blickte finster über den Tisch.

»Ähm …«, erwiderte Rincewind. »Ich glaube, das heißt Professor Rincewind, Herr?«

»Meinetwegen, Professor«, sagte Ridcully. »Na los, es ist längst Zeit fürs Frühstück.«

»Die Welt ist verkehrt, Erzkanzler.«

Die Zauberer blickten zu dem Teil der Welt, der sich durch Erzkanzler Sloman Wie Er Die Spezielle Graupeltheorie Entwickelt erkennen ließ.

»So ein Unfug«, sagte Ridcully. »Die Sonne scheint! Es ist ein schöner Tag!«

»Nicht diese Welt, Herr«, entgegnete Rincewind. »Die andere.«

»Welche andere?«, fragte der Erzkanzler, und dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck.

»Nicht …?«, begann er.

»Doch«, sagte Rincewind. »Jene Welt. Sie ist verkehrt. Schon wieder.«

Jede Organisation braucht jemanden, der sich um die Dinge kümmert, um die sich sonst niemand kümmern will oder um die man sich – wie die anderen insgeheim glauben – nicht kümmern muss. Rincewind hatte neunzehn solche Aufgaben; unter anderem war er für Arbeitsschutz* [* Der N’tuitiv-Stamm des Wiewunderlands hatte den Posten des Arbeitsschutzbeauftragten noch vor dem des Medizinmanns erfunden, und erst recht vor der Zähmung des Feuers oder der Erfindung des Speers. Diese Leute jagen, indem sie darauf warten, dass Tiere tot umfallen, und dann essen sie ihr rohes Fleisch.] zuständig.

Als Unerhörter Professor für grausame und ungewöhnliche Geografie war er für die Kugel verantwortlich. Sie lag auf seinem Schreibtisch im düsteren Kellerflur, wo er arbeitete – seine Arbeit bestand hauptsächlich darin, auf jemanden zu warten, der ihm grausame und ungewöhnliche Geografie präsentierte.

»Erste Frage«, sagte Ridcully, als der Lehrkörper über feuchte Steinplatten ging. »Warum arbeitest du hier? Was ist mit deinem Büro?«

»In meinem Büros ist es zu heiß, Herr«, antwortete Rincewind.

»Du hast darüber geklagt, es sei zu kalt!«

»Ja, Herr. Im Winter. Dann bildet sich Eis an den Wänden, Herr.«

»Wir haben dir reichlich Kohle gegeben, oder etwa nicht?«

»Jede Menge, Herr. Man bringt mir jeden Tag einen Eimer, wie es die Tradition verlangt. Das ist das Problem. Die Eimerträger verstehen mich nicht. Sie bringen mir nicht weniger Kohle, sondern nur gar keine. Um sicherzustellen, dass ich es im Winter warm habe, muss ich den ganzen Sommer über heizen, was bedeutet, dass es in meinem Büro zu heiß ist, um darin zu arbeiten. Lass die Tür zu, Herr!«

Ridcully, der die Tür gerade geöffnet hatte, schloss sie schnell wieder und wischte sich mit einem Taschentuch das Gesicht ab.

»Hübsch warm«, sagte er und blinzelte sich den Schweiß aus den Augen. Dann wandte er sich der Kugel auf dem Schreibtisch zu.

Sie durchmaß etwa dreißig Zentimeter, von außen gesehen. Im Innern war sie unendlich – die meisten Zauberer haben kein Problem mit solchen Tatsachen. Sie enthielt alles, das existierte, wobei »alles, das existierte« relativ zu verstehen war. Im normalen Stadium blieb sie auf einen winzigen Teil des Alles fokussiert, einen kleinen Planeten, derzeit von Eis bedeckt.

Ponder Stibbons drehte das unten an der Kugel befestigte Omniskop und betrachtete die frostige kleine Welt. »Nur Ruinen am Äquator«, berichtete er. »Sie haben nicht das große Himmelshakending gebaut, das ihnen erlaubt hätte, den Planeten zu verlassen.* [* Siehe Die Gelehrten der Scheibenwelt.] Wir müssen irgendetwas übersehen haben.«

»Nein, wir haben alles geregelt«, widersprach Ridcully. »Erinnerst du dich? Die Bewohner verließen ihre Welt, bevor das Eis kam.«

»Ja, Erzkanzler«, sagte Stibbons. »Und auch wieder nicht.«

»Wenn ich dich darum bitte, das zu erklären – verwendest du dann Worte, die ich verstehe?«, frage Ridcully.

Ponder blickte zur Wand, und seine Lippen bewegten sich, als er Sätze ausprobierte. »Ja«, sagte er schließlich. »Wir haben die Geschichte der Welt geändert und sie in eine Zukunft geschickt, in der die Leute entkommen konnten, bevor das Eis kam. Offenbar ist danach etwas geschehen, das die Geschichte erneut verändert hat.«

»Noch einmal? Beim letzten Mal steckten Elfen dahinter!«* [* Siehe Die Philosophen der Rundwelt.] »Ich bezweifle, dass sie es erneut versuchen, Herr.«

»Aber wir wissen, dass die Leute ihre Welt vor dem Eis verließen«, sagte der Dozent für neue Runen. Er blickte von einem Gesicht zum anderen und fügte unsicher hinzu: »Oder?«

»Wir haben schon einmal gedacht, es sei alles in Ordnung«, bemerkte der Dekan trübsinnig.

»In gewisser Weise, Herr«, beantwortete Ponder die Frage. »Aber das Rundwelt-Universum ist … weich und unbeständig. Selbst wenn wir sehen, wie eine Zukunft stattfindet – die Vergangenheit kann sich ändern, sodass es aus dem Blickwinkel der Rundweltbewohner gar nicht zu der Zukunft kommt. Es ist so, als … nähme man die letzte Seite eines Buchs heraus und ersetzte sie durch eine neue. Man kann die alte Seite noch lesen, aber vom Standpunkt der Figuren des Buchs aus gesehen ist das Ende anders … oder auch nicht.«

Ridcully klopfte ihm auf den Rücken. »Ausgezeichnet, Stibbons!«, lobte er. »Du hast nicht einmal Quanten erwähnt!«

»Aber ich vermute, dass sie daran beteiligt sind«, seufzte Ponder.

ZWEI

Paleys Uhr

Die Szene: eine Rundfunk-Plauderstunde im Bible Belt der Vereinigten Staaten vor ein paar Jahren. Der Moderator nimmt Anrufe von Zuhörern über die Evolution entgegen, ein Konzept, welches jedem gottesfürchtigen Südstaaten-Fundamentalisten ein Gräuel ist. Das Gespräch läuft ungefähr so ab:

Moderator: Also, Jerry, was denken Sie von der Evolution? Sollten wir Darwins Theorien überhaupt beachten?

Jerry: Dieser Darwin hat nie ’nen Nobelpreis gekriegt, oder? Wenn er so großartig ist, wieso hat er dann keinen Nobelpreis?

Moderator: Ich denke, da ist eine Menge dran, Jerry.

Solch ein Gespräch hat tatsächlich stattgefunden, und der Moderator meinte es nicht ironisch. Aber Jerrys Argument ist nicht so umwerfend, wie er glaubte. Charles Robert Darwin starb 1882. Der erste Nobelpreis wurde 1901 vergeben.

Natürlich kennen sich Leute, die es durchaus gut meinen, in historischen Feinheiten oft nicht aus, und es wäre unfair, ihnen das zur Last zu legen. Durchaus fairerweise aber kann man ihnen etwas anderes vorwerfen: Der Moderator und der Anrufer hatten ihre Gehirne nicht eingeschaltet. Warum führten sie denn überhaupt diese Diskussion? Weil, wie jeder gottesfürchtige Südstaaten-Fundamentalist weiß, praktisch jeder Wissenschaftler Darwin für einen der Größten aller Zeiten hält. Dieser Behauptung wollte Jerry eigentlich den Garaus machen. Nun dürfte es ziemlich offensichtlich sein, dass die Nobelpreisträger (für Wissenschaften) in einem Vorgang ermittelt werden, der maßgeblich auf den Empfehlungen von Wissenschaftlern beruht. Und die waren, wie wir schon wissen, mit überwältigender Mehrheit der Ansicht, Darwin befinde sich im Baum der Wissenschaft irgendwo in der Nähe des Wipfels. Wenn also Darwin keinen Nobelpreis erhalten hatte, konnte es nicht daran liegen (wie die Zuhörer schlussfolgern sollten), das Komitee habe nicht viel von seiner Arbeit gehalten. Es musste einen anderen Grund geben. Und der Hauptgrund war nun mal die Tatsache, dass Darwin tot war.

Wie diese Geschichte zeigt, ist die Evolution im Bible Belt immer noch ein heißes Eisen; sie wird dort mitunter ›evilution‹ (von evil: das Böse) genannt und gilt gemeinhin als Teufelswerk. Etwas weiter denkende Gläubige – vor allem in Europa, darunter der Papst – sind schon lange zu der Erklärung gelangt, dass die Evolution keine Gefahr für die Religion darstellt: Es ist einfach die Art und Weise, wie Gott die Dinge geschehen lässt, in diesem Fall, wie er Lebewesen herstellt. Die Leute im Bible Belt mit ihrer simplen fundamentalistischen Denkweise hingegen sehen eine Bedrohung, und sie haben Recht. Die feinsinnige Art, Evolution und Gott unter einen Hut zu bringen, ist ein fauler Kompromiss, eine Ausflucht. Wieso? Weil die Evolution eine riesige Bresche in ein Argument schlägt, das sonst als der beste bisher erfundene Gottesbeweis gelten könnte, und zwar in das ›Argument des Entwurfes‹.* [* Es heißt so, weil es vom Phänomen des Entwurfs ausgeht und daraus auf die Existenz eines kosmischen Entwerfers schließt.] Das Weltall ist Ehrfurcht gebietend in seinen Ausmaßen, erstaunlich in seiner Komplexität. Jeder Teil davon passt genau zu jedem anderen Teil. Nehmen Sie die Ameise, den Ameisenlöwen und das Löwenmaul. Jedes ist perfekt an seine Rolle (oder seinen ›Zweck‹) angepasst. Die Ameise ist dazu da, vom Ameisenlöwen gefressen zu werden, der Ameisenlöwe dazu, Ameisen zu fressen, und das Löwenmaul … nun ja, Bienen mögen es, und das ist gut. Jeder Organismus weist deutliche Indizien für einen ›Entwurf‹ auf, als sei er speziell erschaffen worden, um einen Zweck zu erfüllen. Ameisen haben gerade die richtige Größe, um von Ameisenlöwen gefressen zu werden, Ameisenlöwen haben die geeigneten Gliedmaßen, um Sandtrichter zu graben, in die die Ameisen fallen. Das Löwenmaul hat genau die richtige Form, um von Bienen befruchtet zu werden. Und wenn wir einen Entwurf sehen, kann der Entwerfer gewiss nicht weit sein.

Viele Leute finden dieses Argument einleuchtend, vor allem dann, wenn es ausführlich und in allen Einzelheiten dargelegt und der ›Entwerfer‹ ganz groß geschrieben wird. Doch Darwins ›gefährliche Idee‹, wie Daniel Dennett sie im gleichnamigen Buch* [* D. Dennett: Darwin’s Dangerous Idea (deutsch Darwins gefährliches Erbe, 1997).] genannt hat, wirft eine Menge Sand ins Getriebe des kosmischen Entwurfs. Sie bietet einen alternativen, sehr einleuchtenden und scheinbar einfachen Prozess, in dem für einen Entwurf kein Platz ist und für einen Entwerfer keine Notwendigkeit besteht. Darwin nannte diesen Prozess ›natürliche Auslese‹ bzw. ›natürliche Zuchtwahl‹* [* Die deutschen Übersetzungen von Darwins Entstehung der Arten verwenden den alten Begriff ›Zuchtwahl‹, was auch zum ursprünglichen Gedankengang Darwins passt; im allgemeineren Kontext der Evolution spricht man aber seit langem eher von ›Auslese‹ oder ›Selektion‹. – Anm. d. Übers.], wir sprechen heute von ›Evolution‹.

An der Evolution gibt es vieles, was die Wissenschaftler noch nicht verstehen. Die Einzelheiten, die hinter Darwins Theorie stehen, sind immer noch Glückssache, und jedes Jahr verschieben sich Meinungen, wenn die Wissenschaftler versuchen, ihr Verständnis zu vertiefen. Die Bewohner des Bible Belt verstehen von Evolution noch viel weniger, und für gewöhnlich verzerren sie sie zu ›blindem Zufall‹. Ihnen ist nicht im Mindesten daran gelegen, ihr Verständnis zu vertiefen. Aber sie verstehen viel besser als die kraftlosen Europäer, dass die Evolutionstheorie ein sehr gefährlicher Angriff auf die Psychologie religiösen Glaubens ist. Nicht auf dessen Substanz (denn alles, was die Wissenschaft entdeckt, kann der Gottheit zugeschrieben und als Mechanismus betrachtet werden, wie Er die zugehörigen Ereignisse geschehen lässt), wohl aber auf seine Haltung. Wenn Gott erst einmal vom tagtäglichen Betrieb der Welt losgelöst und irgendwo hinter der DNS-Biochemie und dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik untergebracht wird, ist es nicht mehr so offensichtlich, dass Er von grundlegender Bedeutung für das Leben der Menschen sein muss. Vor allem gibt es keinen besonderen Grund mehr zu glauben, dass Er überhaupt irgendwie auf das Leben der Menschen einwirkt oder dies auch nur will, sodass die fundamentalistischen Prediger durchaus arbeitslos werden könnten. Und daher kann das Fehlen eines Nobelpreises für Darwin ein Diskussionsgegenstand im amerikanischen Regionalfunk sein. Es ist auch die allgemeine Richtung, in der sich Darwins eigenes Denken entwickelte – er begann sein Erwachsenenleben als Theologiestudent und beschloss es als etwas gequälter Agnostiker.

Von außen – und erst recht von innen – sieht der Prozess wissenschaftlicher Forschung ungeordnet und verwirrend aus. Man ist versucht zu glauben, Wissenschaftler seien selber unordentlich und verwirrt. In gewisser Hinsicht sind sie es – das gehört zur Forschung. Wenn man wüsste, was man tut, wäre es keine Forschung. Aber das ist nur eine Entschuldigung, und es gibt bessere Gründe, warum man diese Art von Verwirrung erwarten, ja sogar wertschätzen sollte. Der beste Grund lautet, dass es eine äußerst wirksame Methode ist, die Welt zu verstehen, und zwar so, dass man diesem Verständnis recht gut trauen darf.

In ihrem Buch Verteidigung der Wissenschaft – in vernünftigen Grenzen* [* Mit wenigen Ausnahmen, wo die englischen Bezeichnungen auch hierzulande üblich sind, übersetze ich im laufenden Text die Titel von Büchern und Zeitschriften bzw. verwende die Titel vorhandener Übersetzungen (soweit sie brauchbar sind). Für Forscher und Nachforscher gibt es am Ende des Buches eine Liste mit den Originaltiteln. – Anm. d. Übers.] erhellt die Philosophin Susan Haack den Wirrwarr der Wissenschaft mit einer einfachen Metapher, dem Kreuzworträtsel. Liebhaber dieser Rätsel wissen, dass die Lösung eine wirre Angelegenheit ist. Man arbeitet die Fragen nicht der Nummer nach ab und schreibt die Wörter an die richtige Stelle, um auf wohlgeordnete Weise zur richtigen Lösung zu kommen, falls es nicht gerade ein einfaches Direkträtsel* [* Fast alle deutschen Kreuzworträtsel sind einfache Direkträtsel, wo z. B. die Frage ›Schachfigur‹ und die Antwort ›Läufer‹ lautet. In angloamerikanischen Kreuzworträtseln könnte die Frage ›Bleibt immer auf derselben Farbe‹ lauten – ohne Hinweis, dass es überhaupt um Schach geht. – Anm. d. Übers.] und man selber ein Experte ist. Vielmehr geht man die Fragen ziemlich zufällig an, nur von einem vagen Gefühl geleitet, welche am leichtesten aussehen (manche Leute finden Anagramme leicht, andere hassen sie). Man vergleicht vermutete Antworten mit anderen, um sicherzustellen, dass alles passt. Man findet Fehler, radiert sie aus, trägt Korrekturen ein.

Das klingt vielleicht nicht nach einem vernünftigen Prozess, aber das Ergebnis ist durchweg vernünftig, und die Proben und Abwägungen – passen alle Antworten zu den Rätselfragen, passen die Buchstaben alle zueinander? – sind stringent. Ein paar Fehler bleiben vielleicht stehen, wo mehrere Lösungen sowohl zur Frage als auch zu den kreuzenden Wörtern passen, aber derlei Fehler sind selten (und nicht unbedingt Fehler, sondern Nebenlösungen, die der Erfinder des betreffenden Kreuzworträtsels übersehen hat).

Der Prozess der wissenschaftlichen Forschung, schreibt Haack, ähnelt sehr der Lösung eines Kreuzworträtsels. Lösungen für die Rätsel der Natur kommen vereinzelt und kunterbunt durcheinander. Wenn man sie an den Lösungen für andere Rätsel überprüft, passen die Antworten manchmal nicht zusammen, und dann muss etwas geändert werden. Theorien, die einst als zutreffend galten, erweisen sich als Unsinn und werden verworfen. Vor ein paar Jahren hatte die beste Erklärung für den Ursprung der Sterne eine einzige kleine Schwachstelle: Sie musste davon ausgehen, die Sterne seien älter als das Weltall, in dem sie sich befinden. Zu jedem konkreten Zeitpunkt wirken manche von den Antworten der Wissenschaft sehr solide, manche weniger, manche sind zweifelhaft … und manche fehlen ganz.

Abermals: Das klingt kaum nach einem vernünftigen Prozess, aber es führt zu einem vernünftigen Ergebnis. All das Überprüfen, Zurückverfolgen und Abändern erhöht sogar unser Vertrauen in das Ergebnis. Immer eingedenk, dass nichts bis ins Letzte bewiesen, nichts endgültig ist.

Kritiker nehmen diesen wirren und verwirrenden Prozess der Entdeckung oft zum Anlass, die Wissenschaft in Misskredit zu bringen. Diese dummen Wissenschaftler können sich nicht einmal untereinander einigen, sie überlegen es sich andauernd anders, alles, was sie sagen, ist provisorisch – warum sollte irgendwer dieses Durcheinander glauben? Dabei interpretieren die Kritiker eine der größten Stärken der Wissenschaft falsch, indem sie sie als Schwäche hinstellen. Wer rational denkt, muss immer bereit sein, seine Meinung zu ändern, wenn die Tatsachen es erfordern. In der Wissenschaft ist kein Platz für Dogmen. Natürlich bleiben viele einzelne Wissenschaftler hinter diesem Ideal zurück, sie sind auch nur Menschen. Ganze Schulen des wissenschaftlichen Denkens können in eine intellektuelle Sackgasse geraten und sich in Ablehnung verrennen. Im Großen und Ganzen aber werden die Irrtümer früher oder später aufgedeckt – von anderen Wissenschaftlern.

Die Wissenschaft ist nicht das einzige Gebiet menschlichen Denkens, das sich auf so flexible Weise entwickelt. Die Geisteswissenschaften* [* Das Englische hat für ›Geisteswissenschaften‹ ein besonderes Wort, humanities, und zählt sie nicht zu den Wissenschaften (sciences) im engeren Sinne. Wenn in diesem Buch von Wissenschaft die Rede ist, liegt des Schwergewicht also immer auf den Naturwissenschaften. – Anm. d. Übers.] tun auf ihre eigene Art Ähnliches. Die Wissenschaft jedoch unterwirft sich dieser Disziplin stärker, systematischer und wirksamer als praktisch jede andere Denkmethode. Und sie verwendet Experimente zur Überprüfung an der Wirklichkeit.

Religionen, Kulte und pseudowissenschaftliche Bewegungen verhalten sich anders. Es kommt äußerst selten vor, dass Religionsführer ihre Ansicht über irgendetwas ändern, was schon in ihrem Heiligen Buch steht. Wenn das, woran man glaubt, als offenbarte Wahrheit gilt, unmittelbar aus Gottes Mund, dann ist es heikel, Irrtümer einzugestehen. Umso mehr Anerkennung verdienen also die Katholiken, die zugegeben haben, dass sie zu Zeiten Galileis in Bezug auf die Stellung der Erde im Mittelpunkt des Weltalls geirrt haben und bis vor kurzem auch in Bezug auf die Evolution.

Religionen, Kulte und pseudowissenschaftliche Bewegungen widmen sich anderen Fragen als die Wissenschaft. Die Wissenschaft lässt im Idealfall Wege für weitere Nachfragen offen. Sie sucht immer nach neuen Methoden, alte Theorien zu überprüfen, auch wenn diese gut abgesichert erscheinen. Sie wirft nicht einfach einen Blick auf die Geologie des Grand Canyon und gibt sich mit dem Glauben zufrieden, dass die Erde mindestens Hunderte von Jahrmillionen alt ist. Sie überprüft das, indem sie neue Entdeckungen berücksichtigt. Nachdem die Radioaktivität entdeckt wurde, war es möglich, genauere Daten für geologische Ereignisse zu ermitteln und sie mit dem zu vergleichen, was man aus den Sedimentschichten der Gesteine gefolgert hatte. Daraufhin wurden viele Daten berichtigt. Als die Kontinentalverschiebung sich ins Bild schob, brachte sie völlig neue Methoden mit sich, diese Daten zu ermitteln, und man machte davon alsbald Gebrauch. Wieder wurden Daten berichtigt.

Wissenschaftler – in ihrer Gesamtheit – wollen ihre Fehler finden, um sie loswerden zu können.

Religionen, Kulte und pseudowissenschaftliche Bewegungen möchten die Zugänge zu weiteren Nachfragen verriegeln. Sie wollen, dass ihre Anhänger keine Fragen mehr stellen und das Glaubenssystem anerkennen. Der Unterschied ist krass. Nehmen wir beispielsweise an, Wissenschaftler seien zu der Überzeugung gelangt, es sei etwas dran an den Theorien Erich von Dänikens, wonach alte Ruinen und Bauwerke das Werk außerirdischer Besucher sein müssen. Dann würden sie anfangen, Fragen zu stellen. Woher kamen die Außerirdischen? Welche Art von Raumschiffen hatten sie? Warum sind sie zur Erde gekommen? Weisen alte Inschriften auf eine Rasse Außerirdischer hin oder auf viele? Welches Muster bilden die Besuche? Wohingegen Däniken-Gläubige sich mit allgemeinen Außerirdischen zufrieden geben und weiter keine Fragen stellen. Außerirdische sind die Erklärung für die Ruinen und Bauwerke – das war’s, Problem gelöst.

Für die frühen Verfechter eines göttlichen Entwurfes und für ihre modernen Wiedergänger, den Kreationismus und die als ›intelligentes Design‹* [* Design meint im Englischen Entwurf, Konstruktion oder Bauplan, im Deutschen eigentlich nur die äußere Gestaltung. Für diese spezielle Idee scheint sich aber der Begriff ›intelligentes Design‹ im Deutschen durchzusetzen. – Anm. d. Übers.] firmierende neueste quasireligiöse Masche, ist mit der Schöpfung der Lebewesen (durch Gott, einen Außerirdischen oder einen nicht näher bestimmten intelligenten Entwerfer) das Problem gelöst, und wir brauchen uns nicht weiter umzuschauen. Sie ermutigen uns nicht, nach Tatsachen zu suchen, die unseren Glauben widerlegen könnten. Nur nach Dingen, die ihn bestätigen. Erkennen Sie an, was wir Ihnen sagen, stellen Sie keine Fragen.

Aber die Wissenschaft unterdrückt ja ebenfalls Fragen, entgegnen die Kulte und Religionen. Ihr nehmt unsere Ansichten nicht ernst, ihr lasst diese Art von Fragen nicht zu. Ihr versucht zu verhindern, dass wir unsere Ideen als Alternative zu eurer Weltsicht in den Schulstoff bringen.

In gewissem Maße trifft das zu – insbesondere der Teil über den Schulstoff. Aber es geht um den Unterricht in wissenschaftlichen Fächern, also sollte da Wissenschaft gelehrt werden. Wohingegen die Behauptungen der Kulte und der Kreationisten wie auch der Hinterzimmer-Theisten, die das intelligente Design verfechten, keine Wissenschaft sind. Der Kreationismus ist einfach ein theistisches Glaubenssystem und bietet für seine Glaubenssätze überhaupt keine überzeugenden wissenschaftlichen Beweise. Die Indizien für außerirdische Besuche sind schwach, zusammenhanglos und größtenteils ohne weiteres durch ganz gewöhnliche Aspekte alter menschlicher Kulturen zu erklären. Die Verfechter des intelligenten Designs behaupten, Beweise für ihre Ansichten zu haben, doch diese Behauptungen halten nicht einmal einer oberflächlichen wissenschaftlichen Überprüfung stand, wie in zwei 2004 erschienenen Büchern belegt ist, Warum intelligentes Design versagt, herausgegeben von Matt Young und Taber Edis, und Erörterungen des Designs, herausgegeben von William Dembski und Michael Ruse. Und wenn bestimmte Leute (wohlgemerkt: keiner von den oben erwähnten) behaupten, der Grand Canyon sei ein Beweis für Noahs Sintflut – ein berüchtigter Fall aus der jüngsten Vergangenheit –, dann ist es nicht besonders schwer, sie zu widerlegen.

Der Grundsatz der Redefreiheit besagt, dass solche Ansichten nicht unterdrückt werden sollen, aber nicht, dass man sie in den wissenschaftlichen Schulunterricht einführen sollte, ebenso wenig, wie wissenschaftliche Alternativen zu Gott in die Sonntagspredigt gehören. Wenn man seiner Weltsicht einen Platz im Schulstoff sichern will, muss man sie wissenschaftlich belegen. Da jedoch Kulte, Religionen und alternative Glaubenssysteme die Leute davon abbringen, unbequeme Fragen zu stellen, können sie solcherart Beweise niemals beibringen. Nicht nur der Zufall ist blind.

Das wissenschaftliche Bild von dem Planeten, der gegenwärtig unsere Heimat ist, von den Lebewesen, die ihn mit uns teilen, und vom Weltall ringsum hat seine gegenwärtige Gestalt im Laufe von Jahrtausenden angenommen. Die Entwicklung der Wissenschaft geht überwiegend schrittweise vor sich, ein See des Verständnisses, angefüllt durch den unablässigen Zustrom zahlloser winziger Regentropfen. Wie das Wasser in einem See kann das Verständnis auch wieder verdunsten – denn was wir heute zu verstehen glauben, kann morgen als Unsinn entlarvt sein. Wir sprechen lieber von ›Verständnis‹ als von ›Wissen‹, denn die Wissenschaft ist sowohl mehr als auch weniger als eine Sammlung unabänderlicher Tatsachen. Sie ist mehr, da sie Organisationsprinzipien bietet, die das erklären, was wir uns unter Tatsachen vorstellen – die seltsamen Wege der Planeten am Himmel ergeben einen Sinn, wenn man erst einmal verstanden hat, dass die Planeten von Gravitationskräften bewegt werden und dass diese Kräfte mathematischen Regeln gehorchen. Sie ist weniger, weil das, was heute als Tatsache erscheint, sich morgen als Fehldeutung von etwas anderem erweisen kann. Auf der Scheibenwelt, wo offensichtliche Dinge für gewöhnlich wahr sind, umkreist tatsächlich eine winzige und unbedeutende Sonne die gewaltige, bedeutsame Welt der Menschen. Wir haben lange Zeit geglaubt, auch unsere Welt sei so eingerichtet: Jahrhunderte lang war es eine ›Tatsache‹, und zwar eine offensichtliche, dass die Sonne um die Erde kreist.

Das große Organisationsprinzip der Wissenschaft sind Theorien, kohärente Gedankengebäude, die eine große Zahl von ansonsten isolierten Tatsachen erklären und fortwährenden Überprüfungen standgehalten haben, die darauf abzielten, die Theorien zu Fall zu bringen, wenn sie nicht der Wirklichkeit entsprachen. Sie sind nicht einfach als eine Art wissenschaftlicher Glaubensakt angenommen worden. Vielmehr haben Leute versucht, sie zu widerlegen – zu beweisen, dass sie falsch sind –, ohne dass ihnen das bisher gelungen wäre. Damit ist noch nicht bewiesen, dass die Theorie wahr ist, denn es gibt immer neue Quellen für mögliche Widersprüche. Isaac Newtons Gravitationstheorie zusammen mit seinen Bewegungsgesetzen war – und ist immer noch – gut genug, um die Bewegungen der Planeten, Planetoiden und der anderen Himmelskörper im Sonnensystem mit hoher Genauigkeit in allen Einzelheiten zu erklären. In bestimmtem Zusammenhang jedoch, wie bei Schwarzen Löchern, ist sie inzwischen von Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie abgelöst worden.

Warten Sie ein paar Jahrzehnte, und gewiss wird etwas anderes an diese Stelle treten. Es gibt eine Menge Anzeichen, dass an der vordersten Front der Physik nicht alles zum Besten steht. Wenn Kosmologen eine bizarre ›dunkle Materie‹ annehmen müssen, um zu erklären, warum Galaxien nicht den bekannten Gesetzen der Schwerkraft gehorchen, und dann eine noch absonderlichere ›dunkle Energie‹ ins Spiel bringen, um zu erklären, warum Galaxien sich mit zunehmender Geschwindigkeit voneinander entfernen, und wenn es für diese beiden Mächte der Finsternis praktisch keine weiteren, unabhängigen Indizien gibt, dann kann man die bevorstehende Veränderung geradezu riechen.

Das Gros der Wissenschaft geht schrittweise vor, ein Teil aber radikaler. Newtons Theorie war einer der großen Durchbrüche in der Wissenschaft – kein Regenschauer, der die Oberfläche des Sees kräuselte, sondern ein intellektuelles Gewitter, das einen wütenden Sturm auslöste. Darwin und die Götter der Scheibenwelt handelt von einem weiteren intellektuellen Gewitter: der Evolutionstheorie. Darwin hat für die Biologie so viel geleistet wie Newton für die Physik, aber auf ganz andere Weise. Newton entwickelte mathematische Gleichungen, die es den Physikern ermöglichten, Zahlen auszurechnen und sie bis in viele Dezimalstellen zu überprüfen; es war eine quantitative Theorie. Darwin drückte seine Idee in Worten aus, nicht in Gleichungen, und sie beschreibt einen qualitativen Prozess, keine Zahlen. Dennoch war ihr Einfluss mindestens so gewaltig wie der von Newtons Theorie, möglicherweise sogar größer. Der von Darwin entfesselte Sturm wütet noch immer.

Die Evolution ist also eine Theorie – eine der einflussreichsten, weitreichendsten und wichtigsten, die jemals entwickelt wurden. In diesem Zusammenhang lohnt sich der Hinweis, dass das Wort ›Theorie‹ oft in einem ziemlich abweichenden Sinn verwendet wird, nämlich für eine Idee, die zur Überprüfung vorgestellt wird. Genau gesagt müsste man das eine ›Hypothese‹ nennen, aber das ist ein so pingeliges, pedantisches Wort, dass die meisten Leute es lieber vermeiden. Sogar Wissenschaftler, die es besser wissen müssten. ›Ich habe eine Theorie‹, sagen sie. Nein, sie haben eine Hypothese. Es wird Jahre, vielleicht Jahrhunderte dauern, um daraus eine schlüssige Theorie zu machen.

Die Evolutionstheorie war einst eine Hypothese. Jetzt ist sie eine Theorie. Ihre Gegner klammern sich an das Wort und vergessen seine doppelte Bedeutung. ›Nur eine Theorie‹, sagen sie wegwerfend. Aber eine echte Theorie kann nicht so einfach abgetan werden, nachdem sie so vielen rigorosen Überprüfungen standgehalten hat. In dieser Hinsicht gibt es viel bessere Gründe, die Evolutionstheorie ernst zu nehmen als jede Erklärung des Lebens, die etwa auf religiöser Überzeugung beruht, denn die Religionen halten es nicht mit Widerlegungsversuchen. In diesem Sinne sind Theorien die solidesten, glaubhaftesten Teile der Wissenschaft. Sie sind alles in allem wesentlich glaubwürdiger als die meisten anderen Erzeugnisse des menschlichen Geistes. Was jene Leute also meinen, wenn sie ihren abfälligen Spruch aufsagen, müsste eigentlich ›nur eine Hypothese‹ lauten.

Davon konnte in der Frühzeit der Evolutionstheorie die Rede sein, heute aber zeugt solch eine Haltung einfach nur von Ignoranz. Wenn überhaupt etwas eine Tatsache sein kann, dann die Evolution. Man muss sie zwar eher aus im Gestein abgelagerten Hinweisen schlussfolgern oder neuerdings aus dem Vergleich der DNS-Codes verschiedener Lebewesen, statt dass man sie mit bloßen Augen direkt in Echtzeit sieht, aber man braucht keinen Augenzeugenbericht, um aus Beweismaterial logische Schlüsse zu ziehen. Das Beweismaterial aus mehreren voneinander unabhängigen Quellen (wie Fossilien und der DNS) ist überwältigend. Die Evolution ist derart fest etabliert, dass ohne sie unser Planet überhaupt keinen Sinn ergibt. Lebewesen können sich im Laufe der Zeit verändern und tun das auch. Die Fossilbelege zeigen, dass sich die Lebewesen über größere Zeiträume hinweg wesentlich verändert haben, so weit, dass völlig neue Arten entstanden sind. Geringere Veränderungen können heute in Zeiträumen von nur einem Jahr beobachtet werden, bei Bakterien sogar binnen Tagen.

Evolution findet statt.

Was zu diskutieren bleibt, vor allem unter Wissenschaftlern, ist die Frage, wie die Evolution stattfindet. Wissenschaftliche Theorien entwickeln sich ihrerseits, passen sich an neue Beobachtungen, neue Entdeckungen an wie auch an neue Deutungen alter Entdeckungen. Theorien sind nicht in Steintafeln gemeißelt. Die größte Stärke der Wissenschaft liegt darin, dass Wissenschaftler, wenn sie mit ausreichenden Beweisen konfrontiert werden, ihre Meinung ändern. Nicht alle, denn Wissenschaftler sind Menschen und haben dieselben Schwächen wie wir alle, aber genug, damit die Wissenschaft vervollkommnet werden kann.

Sogar heute gibt es Starrköpfe – nicht die Mehrheit, obwohl sie eine Menge Lärm machen, aber eine nicht zu vernachlässigende Minderheit –, die leugnen, dass jemals Evolution stattgefunden hat. Die meisten von ihnen sind Amerikaner, weil eine Laune der Geschichte (im Verein mit einigen eigenartigen Steuergesetzen) die Evolution zu einem der wichtigsten Lehrstoffe in den Vereinigten Staaten gemacht hat. Da geht es in der Schlacht zwischen Darwins Anhängern und Gegnern nicht einfach um hochgeistige Fragen. Es geht um Dollars und Cents und darum, wer Herzen und Hirne der nächsten Generation beeinflussen wird. Der Kampf tarnt sich als religiös und wissenschaftlich, aber im Grunde ist er politisch. In den Zwanzigerjahren erklärten es vier Staaten (Arkansas, Mississippi, Oklahoma und Tennessee) für gesetzwidrig, Kinder an öffentlichen Schulen in Evolution zu unterrichten. Dieses Gesetz blieb fast ein halbes Jahrhundert lang in Kraft; es wurde schließlich 1968 vom Obersten Gerichtshof aufgehoben. Das hindert Befürworter der ›Schöpfungswissenschaft‹ nicht an wiederholten Versuchen, diese Entscheidung zu umgehen oder sie sogar rückgängig machen zu lassen. Im Großen und Ganzen ist ihnen das jedoch nicht gelungen, unter anderem deshalb, weil die Schöpfungs-›Wissenschaft‹ keine Wissenschaft ist; es fehlt ihr an intellektueller Strenge, sie hält keiner objektiven Überprüfung stand, und manchmal ist sie einfach nur bekloppt.

Man kann der Ansicht sein, dass Gott die Erde erschaffen hat, und niemand kann einem das Gegenteil beweisen. In diesem Sinne ist solch ein Glaube vertretbar. Wissenschaftler werden vielleicht meinen, dass diese ›Erklärung‹ nicht sehr hilfreich ist, irgendetwas zu verstehen, aber das ist ihr Problem; allen verfügbaren Beweisen zufolge könnte es sich so zugetragen haben. Es ist aber nicht sinnvoll, der Bibelchronologie des angloirischen Bischofs John Ussher zu folgen und anzunehmen, der Schöpfungsakt habe sich im Jahre 4004 vor Christi Geburt ereignet, denn es gibt überwältigende Beweise, dass unser Planet weitaus älter ist – eher 4,5 Milliarden Jahre als sechstausend. Entweder versucht Gott vorsätzlich, uns in die Irre zu führen (was denkbar wäre, aber nicht gut zu den üblichen religiösen Botschaften passt und durchaus Ketzerei sein kann), oder wir stehen auf einem sehr alten Felsbrocken. Angeblich glauben 50 % der Amerikaner, die Erde sei vor weniger als 10 000 Jahren erschaffen worden, und falls das stimmt, ist es ziemlich traurig für das teuerste Bildungswesen der Welt.

Amerika schlägt von neuem eine Schlacht, die in Europa vor einem Jahrhundert ausgekämpft wurde. Das europäische Ergebnis war ein Kompromiss: Papst Pius XII. akzeptierte in seiner Enzyklika von 1950 die Wahrheit der Evolution, doch es war kein totaler Sieg für die Wissenschaft.* [* Isaac Asimov zufolge ereignete sich der praktischste und dramatischste Sieg der Wissenschaft über die Religion im 17. Jahrhundert, als die ersten Kirchen Blitzableiter bekamen.] Die Bibel, wie sein Nachfolger Johannes Paul II. sanft ausführte, »will nicht lehren, wie die Himmel gemacht wurden, sondern wie man in den Himmel kommt«. Die Wissenschaft war gerechtfertigt, indem die Evolutionstheorie allgemein anerkannt war, doch frommen Menschen stand es frei, diesen Prozess als die Art und Weise zu deuten, wie Gott Lebewesen erzeugt. Und das ist eine sehr gute Art und Weise, wie Darwin erkannt hat; also können alle zufrieden sein und mit dem Streit aufhören. Den Kreationisten dagegen scheint nicht wirklich aufgegangen zu sein, dass sie, wenn sie ihre religiösen Vorstellungen an einem sechstausend Jahre alten Planeten festmachen, sich einen Bärendienst erweisen und sich keinen gangbaren Ausweg lassen.

Darwin und die Götter der Scheibenwelt handelt von einer viktorianischen Gesellschaft, wie es sie nie gegeben hat – nun ja, nachdem die Zauberer eingriffen, hat es sie nicht mehr gegeben. Es ist nicht die Gesellschaft, wie sie die Kreationisten gern hätten, denn die wäre weitaus ›fundamentalistischer‹, voller selbstgerechter Leute, die allen anderen sagen, was sie zu tun haben, und die jede echte Kreativität ersticken. Das wirkliche viktorianische Zeitalter war ein Paradox: eine Gesellschaft mit einer sehr starken, aber ziemlich flexiblen religiösen Grundlage, wo es als sicher galt, dass Gott existiert; eine Gesellschaft jedoch, die eine ganze Reihe von intellektuellen Revolutionen hervorbrachte, die ziemlich direkt zur heutigen weltlichen Gesellschaft des Westens führten. Wir dürfen nicht vergessen, dass es sogar in den USA eine verfassungsmäßige Trennung von Staat und Kirche gibt. (Sonderbarerweise hat das Vereinigte Königreich, praktisch eines der weltlichsten Länder auf der Welt – kaum jemand geht zur Kirche, außer zu Kindtaufen, Hochzeiten und Begräbnissen –, eine eigene Staatsreligion und eine Monarchin, die behauptet, von Gottes Gnaden zu sein. Anders als die Scheibenwelt braucht die Rundwelt keinen Sinn zu haben.) Jedenfalls waren die echten Viktorianer ein gottesfürchtiges Volk, doch ihre Gesellschaft ermutigte Einzelgänger wie Darwin, abseits der üblichen Gleise zu denken, was weit reichende Folgen haben sollte.

Eine Kette von Uhren zieht sich durch die ganze metaphorische Landschaft der Wissenschaft. Newtons Bild vom Sonnensystem, das nach exakten mathematischen ›Gesetzen‹ abläuft, wird oft als ›Uhrwerk-Universum‹ bezeichnet. Das Bild ist nicht schlecht, und das Orrery* [* So genannt nach einem Grafen Orrery. Die im Deutschen üblicheren Begriffe ›Astrolabium‹ und ›Armillarsphäre‹ sind nicht ganz dasselbe – sie bilden ebenfalls Planetenbewegungen mechanisch nach, aber nicht als anschauliche Modelle, sondern zu Zwecken der Messung bzw. Berechnung. – Anm. d. Übers.] – ein Modell des Sonnensystems, dessen Zahnräder winzige Planeten umlaufen lassen – sieht ziemlich wie ein Uhrwerk aus. Uhren gehörten zu den kompliziertesten Maschinen des 17. und 18. Jahrhunderts, und sie waren wahrscheinlich die verlässlichsten. Selbst heute sagen wir, dass etwas ›wie ein Uhrwerk‹ funktioniert, und haben das noch nicht durch ›atomare Exaktheit‹ ergänzt.

Bis zum viktorianischen Zeitalter war die Taschenuhr zum Inbegriff eines verlässlichen Geräts geworden. Darwins Ideen sind eng mit einer Taschenuhr verknüpft, die wiederum sinnreiche mechanische Perfektion verkörperte. Die fragliche Uhr wurde von dem Geistlichen William Paley eingeführt, der drei Jahre vor Darwins Geburt starb. Sie figuriert im ersten Absatz von Paleys großem Werk Natürliche Theologie, erstmals 1802 erschienen.* [* Es ist alt genug, um das lange s zu verwenden, wie wir es auf der Scheibenwelt mitunter auch als f parodiert haben. Wir haben der Ver uchung widertanden, außer in dieer Fußnote.] Am besten bekommt man ein Gefühl für seine Gedankengänge, wenn man seine eigenen Worte verwendet:

Angenommen, beim Wandern über die Heide stieße ich mit dem Fuß an einen Stein und würde gefragt, wie der Stein dorthin gekommen sei; so könnte ich vielleicht antworten, dass er meines Wissens schon immer dort gelegen habe; vielleicht wäre es nicht einmal besonders leicht zu zeigen, wie absurd diese Antwort ist. Aber angenommen, stattdessen hätte ich eine Uhr auf dem Boden gefunden und es würde die Frage gestellt, wie die Uhr an diesen Ort geraten ist, so würde mir schwerlich die Antwort einfallen, die ich zuvor gegeben hatte, dass nämlich meines Wissens die Uhr schon immer dort gewesen sei. Warum aber sollte diese Antwort für die Uhr nicht ebenso gut wie für den Stein taugen? Warum ist sie im zweiten Fall nicht zulässig wie im ersten? Aus diesem Grunde und keinem anderen, nämlich, dass wir, wenn wir die Uhr näher betrachten, feststellen (anders als bei dem Stein), dass ihre verschiedenen Teile zu einem Zweck geformt und zusammengesetzt sind, d. h. dass sie so geformt und abgestimmt sind, um Bewegung hervorzubringen, und dass jene Bewegung so reguliert ist, dass sie die Stunde des Tages anzeigt; dass, wenn die verschiedenen Teile anders geformt wären, als sie sind, eine andere Größe hätten oder auf irgendeine andere Weise oder in anderer Reihenfolge angeordnet wären, als sie es sind, entweder überhaupt keine Bewegung in der Maschine ausgeführt werden könnte oder aber keine, die dem Zweck entspräche, dem sie jetzt dient.

Paley behandelt dann weiter die Bauteile einer Uhr und kommt so zum Kern seines Arguments:

Nachdem wir diesen Mechanismus beobachtet haben, so wäre, glauben wir, die Schlussfolgerung unausweichlich: dass die Uhr von jemandem gemacht worden sein muss, dass es irgendwann und irgendwo einen Feinmechaniker (oder mehrere) gegeben haben muss, der die Uhr zu dem Zweck geformt hat, dem wir sie tatsächlich entsprechen sehen, der ihre Konstruktion ersonnen und ihre Verwendung geplant hat.

Darauf folgt eine lange Reihe von nummerierten Absätzen, wo Paley sein Argument im Einzelnen erörtert, es auf Fälle ausweitet, wo beispielsweise einige Teile der Uhr fehlen, und mehrere Einwände gegen seine Überlegungen zurückweist. Das zweite Kapitel knüpft an die Geschichte an, indem es eine hypothetische ›Uhr‹ schildert, die Kopien ihrer selbst herstellen kann – eine bemerkenswerte Vorwegnahme des Konzepts einer von-Neumannschen-Maschine aus dem 20. Jahrhundert. Es gäbe immer noch gute Gründe, stellt Paley fest, auf die Existenz eines ›Entwicklers‹ zu schließen; die Kunstfertigkeit des ›Entwicklers‹ verdiene dann umso größere Hochachtung. Zudem würde der verständige Beobachter

… überlegen, dass zwar die Uhr vor ihm in gewissem Sinne der Hersteller jener Uhr war, die sie im Verlauf ihrer Bewegungen hergestellt hat, dies aber in einem sehr unterschiedlichen Sinne als dem, wie etwa ein Tischler der Hersteller eines Stuhles ist.

Er entwickelt diesen Gedanken weiter und verwirft eine mögliche Vermutung: dass, wie ein Stein durchaus schon immer da gewesen sein kann, auch eine Uhr schon immer da gewesen sein könne. Das heißt, es könnte eine Kette von Uhren geben, jede von der Vorgängerin hergestellt, eine Kette, die unendlich weit in die Vergangenheit zurückreicht, sodass es keine erste Uhr gab. Eine Uhr, sagt er uns, ist jedoch etwas ganz anderes als ein Stein: Sie ist entwickelt worden. Steine mögen schon immer existiert haben – wer weiß? –, Uhren aber nicht. Sonst hätten wir ›Entwicklung, aber keinen Entwickler, Beweise für einen Entwurf, aber keinen Entwerfer‹. Paley verwirft diese Vermutung aus verschiedenen metaphysischen Gründen und stellt fest:

Die Schlussfolgerung, die die erste Untersuchung der Uhr, ihrer Funktion, ihrer Konstruktion und ihrer Bewegung nahe legt, lautete, dass es als Ursache und Autor jener Konstruktion einen Feinmechaniker gegeben haben muss, der ihren Mechanismus verstanden und ihre Verwendung entworfen hat. Diese Schlussfolgerung ist unumgänglich. Eine zweite Untersuchung liefert uns eine neue Entdeckung. Wir stellen fast, dass die Uhr im Laufe ihrer Bewegung eine andere Uhr herstellt, die ihr ähnlich ist; und nicht nur das, vielmehr nehmen wir darin ein Organisationssystem wahr, welches zusätzlich für diesen Zweck berechnet wurde. Welche Auswirkung hätte diese Entdeckung auf unsere erste Schlussfolgerung, oder welche müsste sie haben? Welche andere – wie schon gesagt wurde –, als unsere Bewunderung für die Kunstfertigkeit, die für die Gestaltung solch einer Maschine aufgewandt wurde, über alle Maßen zu steigern!

Wir alle sehen schon, worauf der gute Herr Pfarrer hinauswill, und im dritten Kapitel ist er am Ziel. Statt einer Uhr betrachte man ein Auge. Keins, das auf der Heide liegt, sondern sich in einem Tier befindet, welches auf einer Heide liegen kann. Dazu nun sagt er: Vergleichen Sie das Auge mit einem Fernrohr. Es gibt so viele Ähnlichkeiten, dass wir daraus schließen müssen, das Auge sei ›zum Sehen hergestellt‹ worden, ebenso wie das Fernrohr. Gut dreißig Seiten anatomische Beschreibung untermauern die Behauptung, dass das Auge zum Zwecke des Sehens entworfen sein muss. Und das Auge ist nur ein Beispiel: Nehmen Sie einen Vogel, einen Fisch, eine Seidenraupe oder eine Spinne. Nun endlich stellt Paley ausdrücklich fest, was alle seine Leser von der ersten Seite an kommen sahen:

Gäbe es in der Welt der Erfindung kein anderes Beispiel als das des Auges, so würde es allein genügen, um die Schlussfolgerung zu stützen, die wir daraus ziehen: dass es notwendigerweise einen intelligenten Schöpfer geben muss.

Da haben wir es in nuce. Lebewesen sind so sinnreich aufgebaut und funktionieren so wirkungsvoll, dass sie nur nach einem Entwurf entstanden sein können. Ein Entwurf setzt aber einen Entwerfer voraus. Ergo existiert Gott, und Er war es, der die großartige Vielfalt des Lebens auf der Erde erschaffen hat. Was bleibt da noch zu sagen? Der Beweis ist vollständig.

DREI

Theologie der Arten

Drei Stunden später …

Die alten Zauberer traten vorsichtig durch den Forschungstrakt für hochenergetische Magie, zum Teil deswegen, weil er nicht ihr natürliches Habitat war, aber auch weil viele Studenten den Boden als Aktenschrank und unangenehmerweise als Speisekammer verwendeten. Pizza ist recht schwer von einer Sohle zu entfernen, insbesondere der Käse.

Im Hintergrund – immer im Hintergrund des Forschungstrakts für hochenergetische Magie – befand sich Hex, die Denkmaschine der Universität.

Gelegentlich bewegten sich Teile von ihr, beziehungsweise von »ihm«. Ponder Stibbons hatte es schon vor einer ganzen Weile aufgegeben, verstehen zu wollen, wie Hex funktionierte. Vermutlich war Hex die einzige Entität im Universum, die verstand, wie Hex funktionierte.

Irgendwo im Innern von Hex geschah Magie. Zauberformeln wurden nicht auf ihre Bestandteile wie Kerzen, Stäbe und Sprechgesänge reduziert, sondern darauf, was sie bedeuteten. Es passierte zu schnell, um es zu beobachten, und vielleicht auch zu schnell, um es zu verstehen. Nur in einem Punkt war Ponder sicher: Leben spielte bei den Vorgängen eine wichtige Rolle. Wenn Hex tief nachdachte, kam ein hörbares Summen von den Bienenstöcken an der Rückwand, wo Schlitze ihnen Zugang zur externen Welt gewährten, und alles hörte auf zu funktionieren, wenn man das Ameisenvolk aus dem großen gläsernen Labyrinth in der Mitte des Apparats entfernte.

Ponder hatte seine magische Laterne für eine Präsentation aufgestellt. Er mochte Präsentationen. Eine Präsentation führte dazu, dass für einen kurzen Moment im Chaos des Universums alles gut organisiert wirkte.

»Hex hat die Geschichte der Rundwelt mit der letzten Version verglichen«, verkündete er, als die Zauberer Platz nahmen. »Dabei hat er wichtige Veränderungen bemerkt, die im so genannten neunzehnten Jahrhundert begannen. Bitte das erste Bild, Rincewind.« Ein gedämpftes Brummen ertönte von hinter der Laterne, und das Bild einer dicklichen, älteren Frau erschien auf der Leinwand. »Das ist Königin Victoria, Herrscherin des Britischen Reichs.«

»Warum zeigt ihr Kopf nach unten?«, fragte der Dekan.

»Vielleicht deshalb, weil es auf einer Kugel eigentlich kein Oben gibt«, erwiderte Ponder. »Aber ich wage zu vermuten, dass das Bild falsch herum eingeschoben wurde. Das nächste Bild bitte, und pass besser auf.« Grummel, klick. »Ah, ja, dies ist eine Dampfmaschine. Während der Herrschaft von Victoria kam es zu wichtigen Entwicklungen bei Wissenschaft und Technik. Es war eine aufregende Zeit. Allerdings … Nächstes Bild, bitte.« Grummel, klick.

»Falsches Bild!«, rief Ridcully. »Es ist gar nichts zu sehen!«

»Aha, nein, Herr«, sagte Ponder fröhlich. »Auf diese dynamische Weise soll gezeigt werden, dass die gerade beschriebene Periode gar nicht stattfand. Sie sollte stattgefunden haben, aber das ist nicht der Fall. Bei dieser Version der Rundwelt wurde das Britische Reich nicht so groß, und die anderen Entwicklungen waren weniger bedeutsam. Die große Welle der Entdeckungen lief aus. Es begann eine Zeit der Stabilität und des Friedens.«

»Klingt gut«, kommentierte Ridcully und bekam dafür einen Chor aus »Hört, hört!« von den anderen Zauberern zu hören.

»Ja, Erzkanzler«, sagte Ponder. »Und auch wieder nein. Den Planeten verlassen, erinnerst du dich? Die große Eiszeit in fünfhundert Jahren? Auf dem Land überleben keine Lebensformen größer als eine Küchenschabe?«

»Niemand hat sich darum gekümmert?«, fragte Ridcully.

»Nicht bis es zu spät war, Herr. In der Welt, die wir verließen, erreichten die Menschen nur siebzig Jahre nach dem ersten Flug den Mond.«

Ponder blickte in leere Gesichter.

»Das war eine bemerkenswerte Leistung«, fügte er hinzu.

»Wieso?«, fragte der Dekan. »Uns hat das keine Mühe bereitet.«

Ponder seufzte. »Auf einer Kugel sind die Dinge anders, Herr. Dort gibt es keine magischen Besen und fliegenden Teppiche. Man erreicht den Mond nicht einfach, indem man vom Rand springt und versucht, auf dem Weg nach unten der Schildkröte auszuweichen.«

»Wie haben es jene Menschen angestellt?«, fragte der Dekan.

»Sie verwendeten Raketen.«

»Meinst du die Dinger, die emporfliegen und in einem bunten Lichterreigen auseinander platzen?«

»So war es zu Anfang, Herr, aber zum Glück fanden sie eine Möglichkeit, die Raketen am Auseinanderplatzen zu hindern. Das nächste Bild, bitte …« Auf der Leinwand erschien ein Gebilde, das nach alten Pantalons aussah. »Ah, dies ist unser alter Freund, die Hose der Zeit. Darüber wissen wir alle Bescheid. Das bekommt man, wenn die Geschichte in zwei Richtungen verläuft. Wir müssen jetzt herausfinden, warum es zu der Teilung kam. Das bedeutet, dass ich …«

»Nähern wir uns jetzt der Stelle, an der du Quanten erwähnst?«, warf Ridcully rasch ein.

»Ich fürchte, das steht kurz bevor, Herr, ja.«

Ridcully stand auf und raffte seine Umhänge. »Ah. Ich glaube, ich habe gerade die Glocke fürs Mittagessen gehört, meine Herren. Zur rechten Zeit, denke ich.«

Der Mond ging auf. Um Mitternacht las Ponder Stibbons, was Hex geschrieben hatte, ging dann über den taufeuchten Rasen zur Bibliothek, weckte den Bibliothekar und bat um ein Buch namens Die Entstehung der Arten.

Zwei Stunden später kehrte er zurück, weckte den Bibliothekar erneut und bat um Theologie der Arten. Als er damit ging, hörte er, wie die Tür hinter ihm abgeschlossen wurde.

Noch etwas später schlief er mit dem Gesicht in Pizza ein. Beide Bücher lagen offen auf seinem Schreibtisch, voller Lesezeichen und Sardellen.

Neben ihm surrte Hex’ Schreibvorrichtung. Zwanzig Federkiele tanzten hin und her, drehten sich an mit Federn betriebenen Armen – der Tisch sah aus, als lägen dort mehrere große Spinnen auf dem Rücken. Jede Minute fiel ein Blatt auf den Boden, wo sich bereits ein Stapel gebildet hatte …

Ponder träumte von Dinosauriern, die zu fliegen versuchten. Sie platschten immer, wenn sie den Boden vor der Klippe erreichten.

Er erwachte um halb neun, las sich durch die angesammelten Unterlagen und stieß einen gedämpften Schrei aus.

Na schön, na schön, dachte er. Wir brauchen uns nicht unbedingt zu beeilen. Wir können die Sache jederzeit ändern. Das bedeutet Zeitreise ja.

Wir haben gehört, wie es Mitternacht geschlagen hat, heißt es. Die Zauberer hatten auch gehört, wie es ein, zwei und drei Uhr geschlagen hatte, und sie waren gewiss nicht daran interessiert, irgendetwas um halb neun zu hören. Nur Erzkanzler Ridcully saß im Großen Saal – er mochte ein ungesundes Frühstück nach seinem Lauf am frühen Morgen.

»Ich habe sie entdeckt!«, verkündete Ponder mit nervösem Triumph und legte die beiden Bücher vor den überraschten Zauberer.

»Was hast du entdeckt?«, fragte Ridcully. »Und achte darauf, wohin du deine Sachen legst, Mann! Du hättest fast den Teller mit dem Schinken umgestoßen!«

»Ich weiß jetzt, an welcher Stelle sich die Hose der Zeit teilte«, erklärte Ponder.

»Ausgezeichnet!«, erwiderte Ridcully und griff nach der Flasche mit brauner Soße. »Erzähl mir nach dem Frühstück davon, in Ordnung?«

»Es ist ein Buch, Herr! Zwei Bücher, um ganz genau zu sein! Er hat das falsche Buch geschrieben! Sieh nur!«

Ridcully seufzte. Vor dem Enthusiasmus von Zauberern gab es keinen Schutz. Er kniff die Augen zusammen und las den Titel des Buchs, das Ponder Stibbons hielt:

»Theologie der Arten. Und?«

»Charles Darwin hat es geschrieben, Erzkanzler. Er erregte großes Aufsehen damit, denn das Buch erklärte die Mechanismen der Evolution auf eine Weise, die den bis dahin geltenden Überzeugungen widersprach. Die maßgeblichen Kreise gingen dagegen an, aber es setzte sich durch und hatte erheblichen Einfluss auf die Geschichte. Äh … den falschen.«

»Warum?«, fragte Ridcully und köpfte vorsichtig ein gekochtes Ei. »Worum geht es in dem Buch?«

»Ich habe nur flüchtig hineingesehen, Erzkanzler, aber offenbar wird die Evolution als ein Vorgang beschrieben, an dem eine allmächtige Gottheit ständig beteiligt ist.«

»Und?« Ridcully nahm eine Scheibe Toastbrot und schnitt sie in Streifen.

»So funktioniert das auf der Rundwelt nicht, Herr«, sagte Ponder geduldig.

»Aber so funktioniert es hier, mehr oder weniger. Ein Gott kümmert sich darum.«

»Ja, Herr. Aber du erinnerst dich bestimmt daran …« – Ponder sagte es so wie »Bestimmt hast du es vergessen.« – »… dass wir auf der Rundwelt keine Spuren von Gottium gefunden haben.«

»Mag sein«, räumte der Erzkanzler ein. »Aber warum sollte der Mann nicht trotzdem ein solches Buch geschrieben haben? Scheint ein recht ordentliches Buch zu sein. Steckt vermutlich viel Gedankenarbeit drin.«

»Ja, Herr«, sagte Ponder. »Aber das Buch, das hätte geschrieben werden sollen …« Er knallte ein anderes Buch auf den Tisch. »… ist dies.«

Ridcully nahm es. Es hatte einen bunteren Einband als die Theologie, und der Titel lautete:

Wiedersehen mit DarwinDIE ENTSTEHUNG DER ARTENvon Pfarrer Richard Dawkins

»Ich glaube, ich kann beweisen, dass die Welt ein anderes Bein der Hose der Zeit wählte und die Menschheit den Planeten nicht vor der nächsten Eiszeit verließ, weil Darwin das falsche Buch schrieb«, sagte Ponder und trat zurück.

»Warum hat er das falsche Buch geschrieben?«, fragte Ridcully verwundert.

»Ich weiß es nicht, Herr. Ich weiß nur dies: Bis vor einigen Tagen schrieb dieser Charles Darwin ein Buch, in dem es hieß, dass die Evolution natürlich funktionierte, ohne einen Gott. Jetzt stellt sich plötzlich heraus, dass er jenes Buch nicht geschrieben hat. Stattdessen schrieb er eins, in dem eine Evolution erläutert wird, die nur deshalb funktioniert, weil in jedem Stadium ein Gott eingreift.«

»Und dieser andere Bursche, Dawkins?«

»Er meint, Darwin hätte alles richtig hinbekommen, bis auf den Teil mit dem Gott. Man braucht keinen, schreibt er.«

»Man braucht keinen Gott? Aber er ist doch eine Art Priester!«

»Äh … in gewisser Weise, Herr. In der Vergangenheit, in der Charles Darwin Theologie der Arten schrieb, war es mehr oder weniger obligatorisch, heiligen Orden beizutreten, um zu studieren. Dawkins meinte, die Evolution geschähe von ganz allein.«

Ponder schloss die Augen. Ridcully allein war eine viel bessere Zuhörerschaft als der übrige Lehrkörper, der das Frage-und-Antwort-Spiel zu einer feinen Kunst entwickelt hatte. Aber der Erzkanzler war ein praktischer, vernünftiger Mann und fand die Rundwelt deshalb schwer zu verstehen. Sie war kein vernünftiger Ort.

»Da komme ich nicht ganz mit. Wie kann die Evolution von ganz allein geschehen?«, fragte Ridcully. »Es ergibt doch keinen Sinn, wenn niemand da ist, der weiß, was vor sich geht. Es muss doch einen Sinn geben.«

»In der Tat, Herr«, erwiderte Ponder. »Aber wir sprechen hier von der Rundwelt, erinnerst du dich?«

»Der andere Bursche, dieser Dawkins, hat es doch richtig gestellt, nicht wahr?«, brummte Ridcully. »Du hast gesagt, es sei das richtige Buch.«

»Aber zur falschen Zeit. Es war zu spät, Herr. Er schrieb sein Buch erst hundert Jahre später. Es verursachte großes Aufsehen …«

»Ein gottloses, nehme ich an?«, fragte Ridcully munter und tauchte einen Toaststreifen ins Ei.

»Haha, Herr, ja! Aber es war trotzdem zu spät. Die Menschheit befand sich bereits auf dem Weg zum Aussterben.«

Ridcully nahm Theologie und drehte das Buch, wodurch Butter darauf geriet.

»Scheint ganz harmlos zu sein«, sagte er. »Götter lassen alles geschehen … Vollkommen vernünftig.« Er hob die Hand. »Ich weiß, ich weiß! Dies ist die Rundwelt, ja. Aber wo es etwas so Kompliziertes wie eine Uhr gibt, dort muss es auch einen Uhrmacher geben.«

»Das meinte der Darwin, der das Theologie-Buch geschrieben hat, Herr, aber er wies darauf hin, dass der Uhrmacher Teil der Uhr bleibt«, sagte Ponder.

»Er ölt sie und so?«, fragte Ridcully fröhlich.

»In gewisser Weise, Herr. Metaphorisch.«

»Ha!«, sagte Ridcully. »Das große Aufsehen ist kein Wunder. Solche Dinge gefallen Priestern nicht. Sie winden sich immer, wenn’s mystisch wird.«

»Oh, die Priester? Sie waren davon begeistert«, entgegnete Ponder.

»Was? Hast du nicht ›maßgebliche Kreise‹ erwähnt, die dagegen waren?«

»Ja, Herr«, bestätigte Ponder Stibbons. »Damit meine ich die Philosophen und Wissenschaftler. Die Technomanten. Aber sie verloren.«

VIER

Paleyontologie

Paleys Metapher von der Uhr, auf die Ridcully anspielt, hat immer noch Kraft, genug, dass Richard Dawkins seiner neodarwinistischen Entgegnung von 1986 den Titel Der blinde Uhrmacher gab. Dawkins* [* Und zwar der Richard Dawkins in unserem Bein der berühmten Hose der Zeit, der ganz entschieden nicht dem geistlichen Stand angehört.] stellte klar, dass es nach seiner Ansicht – und der der meisten Evolutionsbiologen der letzten fünfzig Jahre – für lebende Organismen keinen Uhrmacher im Sinne Paleys gegeben hat: »Paley bringt seine Argumente mit leidenschaftlicher Ehrlichkeit vor und verfügt über das beste biologische Wissen seiner Zeit, aber was er sagt, ist falsch – absolut und in großartiger Weise falsch.« Wenn wir aber, sagt Dawkins, dem Uhrmacher eine Rolle zuweisen müssen, dann muss es die Rolle der natürlichen Auslese sein, wie sie Darwin dargelegt hat. Dann hat der Uhrmacher keine Vorstellung von einem Zweck: Er ist blind. Es ist ein hübscher Titel, aber leicht misszuverstehen, und er ebnet den Weg für Erwiderungen wie unlängst ein Buch von William Dembski Wie blind ist der Uhrmacher? Dembski ist ein Fürsprecher des ›intelligenten Designs‹, eines modernen Aufgusses von Paley mit auf einen neueren Stand gebrachter Biologie, der die alten Fehler in neuen Zusammenhängen wiederholt.* [* Eingehende und wohl überlegte Entgegnungen auf die wichtigsten Behauptungen der Verfechter intelligenten Designs sowie einige ihrer Erwiderungen finden Sie in Warum intelligentes Design versagt von Matt Young und Taner Edis sowie in Erörterungen des Designs von William Dembski und Michael Ruse. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jemand Wie intelligent ist der Designer? schreibt.] Wenn Sie eine Uhr auf einer Heide fänden, wäre ihr erster Gedanke wahrscheinlich nicht, dass es einen Uhrmacher gegeben haben muss, sondern einen Besitzer der Uhr. Sie würden entweder dem Besitzer sein Eigentum zurückgeben wollen oder aber schuldbewusst um sich schauen, um sicher zu sein, dass niemand sieht, wie Sie sie einstecken. Paley sagt uns, dass wir, wenn wir beispielsweise eine Spinne am Wegesrand finden, den Drang verspüren, auf die Existenz eines Spinnenmachers zu schließen. Aber er sieht keinen Drang, die Existenz eines Spinnenbesitzers zu schlussfolgern. Warum wird die eine Rolle in der menschlichen Gesellschaft betont, die andere aber unterschlagen?

Außerdem wissen wir, wozu eine Uhr dient, und das färbt unser Denken. Nehmen wir an, unser Spaziergänger auf der Heide habe im 19. Jahrhundert stattdessen ein Mobiltelefon gefunden, das ein achtloser Zeitreisender aus der Zukunft zurückgelassen hat. Er schlösse aus der komplizierten Form wahrscheinlich immer noch auf einen ›Entwurf‹ … aber auf einen Zweck? Welchen erkennbaren Zweck hätte ein Handy im 19. Jahrhundert ohne Netz von Übertragungsstationen? Es ist nicht möglich, sich ein Handy anzuschauen und auf einen augenscheinlichen Zweck zu schließen. Wenn die Batterie leer ist, tut es überhaupt nichts. Und wenn am Wegesrand ein Computerchip gefunden worden wäre – etwa die Motorsteuerung eines Autos –, dann wäre nicht einmal das Element des Entwurfs festzustellen, und der Chip könnte durchaus als sonderbares Stück kristallines Gestein abgetan werden. Eine chemische Analyse würde diese Diagnose erhärten, indem sie zeigt, dass er größtenteils aus Silizium besteht. Wir wissen natürlich, dass diese Dinge von jemandem entworfen worden sind; doch in Abwesenheit eines klaren Zwecks wäre Paleys Spaziergänger nicht berechtigt, solch einen Schluss zu ziehen.

Kurzum, Paleys Logik wird sehr dadurch vorgeprägt, was ein Mensch von einer Uhr und ihrem Hersteller weiß. Und seine Analogie bricht zusammen, wenn wir andere Eigenschaften von Uhren betrachten. Wenn es nicht einmal bei Uhren funktioniert, die wir verstehen, dann gibt es keinen Grund, diese Denkweise auf Organismen zu übertragen, die wir nicht verstehen.

Außerdem ist er ziemlich ungerecht den Steinen gegenüber.

Einige der ältesten Gesteine der Welt findet man in Grönland in einem 40 Kilometer langen Streifen, der als ›Isua Supercrustal Belt‹ (auch Isua-Grünsteingürtel) bekannt ist. Es sind die ältesten Gesteine unter denen, die auf der Erdoberfläche abgelagert worden sind, statt aus dem Erdmantel aufzusteigen. Sie sind 3,8 Milliarden Jahre alt, es sei denn, dass wir aus Beobachtungen keine verlässlichen Schlüsse ziehen könnten, was bedeuten würde, dass wir die Beweise für einen kosmischen Entwurf zusammen mit den im Gestein enthaltenen Beweisen verwerfen müssten. Wir kennen ihr Alter, weil sie winzige Zirkonkristalle enthalten. Wir erwähnen sie hier, weil sie zeigen, dass Paleys Desinteresse an ›Steinen‹ und die beiläufige Art, wie er einräumt, sie könnten »schon immer dort gelegen haben«, nicht gerechtfertigt sind. Die Struktur ist alles andere als so einfach, wie Paley annahm. Sie kann sogar so kompliziert wie ein Organismus sein, wenn auch nicht so offensichtlich ›organisiert‹. Jeder Stein hat eine Geschichte zu erzählen.

Ganz besonders Zirkone.

Zirkonium ist das 40. Element im Periodensystem, und Zirkon ist Zirkoniumsilikat. Es kommt in vielen Gesteinen vor, aber für gewöhnlich in so winzigen Mengen, dass sein Vorhandensein ignoriert wird. Es ist äußerst hart – nicht so hart wie Diamant, aber härter als der härteste Stahl. Juweliere verwenden es mitunter als Ersatz für Diamanten.

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