Lords und Ladies - Terry Pratchett - E-Book

Lords und Ladies E-Book

Terry Pratchett

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Beschreibung

Ein Klassiker von Terry Pratchett in neuer Übersetzung und Gestaltung

Das kleine Königreich Lancre bereitet sich auf ein ganz besonderes Mittsommernachtsfest vor. Denn an diesem Tag soll die Hochzeit der jungen Hexe Magrat Knoblauch mit Verenz, dem König von Lancre, gefeiert werden. Doch dann ermöglicht das stümperhaft ausgeführte Ritual einer Gruppe von Nachwuchs-Hexen den boshaften Elfen ihren Übertritt in die Menschenwelt – dort wollen sie nichts weniger, als die Herrschaft an sich zu reißen. An der Seite von Oma Wetterwachs und Nanny Ogg läuft die von ihrer damenhaften Prinzessinnenrolle ohnehin ziemlich gelangweilte Magrat zu großer Form auf. Und der märchenhafte Mittsommernachtstraum wird etwas turbulenter als ursprünglich geplant …

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Buch

Das kleine Königreich Lancre bereitet sich auf ein ganz besonderes Mittsommernachtsfest vor. Denn an diesem Datum soll die Hochzeit der jungen Hexe Magrat Knoblauch mit Verenz, dem König von Lancre, gefeiert werden. Doch dann ermöglicht das stümperhaft ausgeführte Ritual einer Gruppe von Nachwuchs-Hexen am örtlichen Steinkreis den boshaften Elfen ihren Übertritt in die Menschenwelt – und die wollen gleich mal die Herrschaft über alles und jeden an sich reißen. An der Seite von Oma Wetterwachs und Nanny Ogg läuft die von ihrer damenhaften Prinzessinnenrolle ohnehin ziemlich gelangweilte Magrat zu großer Form auf. Und der märchenhafte Mittsommernachtstraum wird etwas turbulenter als ursprünglich geplant …

Autor

Terry Pratchett, geboren 1948, gilt als einer der erfolgreichsten Autoren der Gegenwart. Von seinen mit zahlreichen Preisen ausgezeichneten Romanen wurden weltweit bisher über 80 Millionen Exemplare verkauft, seine Werke sind in 38 Sprachen übersetzt. Für seine Verdienste um die englische Literatur wurde ihm sogar die Ritterwürde verliehen. Terry Pratchett starb im März 2015.

Terry Pratchetts Fanclub in Deutschland: www.pratchett-fanclub.de.

Mehr Informationen zum Autor und seinen Büchern sowie eine Gesamtübersicht über seine bei Goldmann und Manhattan lieferbaren Titel erhalten Sie unter www.Pratchett-buecher.de.

Terry Pratchett

Lords und Ladies

Ein Scheibenwelt-Roman

Aus dem Englischen neu übersetzt von Regina Rawlinson

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Lords and Ladies« bei Victor Gollancz Ltd., London.

Die vorliegende Ausgabe ist eine Neuübersetzung des erstmals 1995 im Wilhelm Goldmann Verlag auf Deutsch erschienenen Romans.

Manhattan Bücher erscheinen im Wilhelm Goldmann Verlag, München, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH.

1. Auflage

Copyright © der Originalausgabe 1992

by Terry & Lyn Pratchett

First published by Victor Gollancz Ltd., London

Discworld ® is a trademark registered by

Terry Pratchett

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1995

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Neuveröffentlichung 2013

Die Nutzung des Labels Manhattan erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Hans-im-Glück-Verlags, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

Umschlaggestaltung: buxdesign, München

Umschlagmotiv: (c) Tom Steyer/die KLEINERT.de

Redaktion: Kerstin Ingwersen

ISBN: 978-3-641-11276-9www.manhattan-verlag.de

Vorbemerkung des Autors

Im Großen und Ganzen können die meisten Scheibenweltromane als in sich abgeschlossene Bücher auf ihren eigenen Beinen stehen. Es schadetnicht, wenn man sie halbwegs der Reihe nach gelesen hat, aber es geht auch ohne.

Bei diesem Roman ist das anders. Ich kann die Vorgeschichte nicht außen vor lassen. Oma Wetterwachs trat zum ersten Mal in Das Erbe des Zauberers auf. In MacBest wurde sie zum inoffiziellen Oberhaupt eines kleinen Hexenzirkels, zu dem neben ihr noch die vielfach verheiratete Frohnatur Nanny Ogg gehört – und Magrat, die Junghexe mit der Schniefnase, dem Strubbelkopf und der sentimentalen Ader, wenn es um Regentropfen, Rosen oder niedliche kleine Schmusekätzchen geht.

Von der Handlung her lehnt sich MacBest nicht gerade wenig an ein berühmtes Theaterstück über einen schottischen König an, und es endet damit, dass Verenz II. zum König des bergigen, dicht bewaldeten, kleinen Königreichs Lancre ausgerufen wird.

Da Verenz genau genommen nicht der rechtmäßige Thronerbe war, hätte MacBest so eigentlich gar nicht enden dürfen, aber den Hexen erschien er als der am besten geeignete Mann für den Posten, und wie heißt es doch so schön? Ende gut, alles gut. Besagtes Ende beinhaltete außerdem das Aufkeimen zärtlicher Gefühle zwischen Magrat und Verenz – ein extrem zaghaftes Aufkeimen allerdings, da beide so schüchtern waren, dass sie, sobald sie einander gegenüberstanden, sofort vergaßen, was sie sagen wollten, und wenn einer von ihnen doch einmal etwas herausbrachte, bekam es der andere prompt in den falschen Hals und war eingeschnappt. Ansonsten waren sie die meiste Zeit damit beschäftigt zu erraten, was der jeweils andere gerade dachte. Man könnte es wohl Liebe nennen, oder so ähnlich.

In Total verhext mussten die drei Hexen über den halben Kontinent reisen, um die Gute Fee auszuschalten(, die dem Schicksal ein Angebot gemacht hatte, das es nicht ausschlagen konnte).

Diese Geschichte handelt davon, was nach ihrer Rückkehr geschah.

LESENSIEWEITER …

Lesen Sie weiter …

Wann fängt es an?

Es gibt nur sehr wenige Anfänge, wenn auch natürlich manches wie ein Anfang aussieht. Der Vorhang hebt sich, der erste Bauer wandert über das Schachbrett, der erste Schuss fällt1 – aber in Wahrheit sind das alles keine Anfänge. Das Stück, die Partie, der Krieg sind lediglich kleine Fenster in einem Strang von Ereignissen, der Jahrtausende weit in die Vergangenheit zurückreichen kann. Will sagen: Es hat immer schon ein Vorher gegeben. Es geht immer nur um das Weiterlesen.

Der Mensch hat einiges an Forscherdrang investiert, um dem ultimativen Vorher auf die Spur zu kommen.

Der aktuelle Wissensstand lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

Im Anfang gab es das Nichts, welches explodierte.

Andere Theorien über den Anfang aller Anfänge drehen sich um Götter, die das Universum aus Rippen, Eingeweiden oder den Hoden des eigenen Vaters erschufen.2 Davon gibt es jede Menge. Sie sind nicht deshalb so interessant, weil sie Einblicke in die Kosmologie vermitteln, sondern weil sie viel über den Menschen verraten. He, Kinder, was meint ihr, woraus ist eure Stadt entstanden?

Aber diese Geschichte beginnt auf der Scheibenwelt, die auf den Rücken von vier riesigen Elefanten ruht und von einer gewaltigen Schildkröte auf ihrem Panzer durchs Weltall getragen wird – und nicht aus irgendwelchen Körperteilen zusammengebastelt wurde.

Aber wann fängt sie an?

Vor Jahrtausenden? Als eine Kaskade aus glühenden Steinen vom Himmel stürzte, ein Loch in den Kupferkopfberg schlug und im Umkreis von zehn Meilen jeden Baum umlegte?

Die Zwerge gruben die Steine aus, weil sie aus einer Art Eisen bestanden. Entgegen landläufiger Meinung lieben Zwerge nämlich Eisen noch mehr als Gold; es lässt sich bloß weniger leicht in Liedern besingen, weil es eben nicht so selten ist wie Gold.

Zwerge lieben Eisen.

Und genau das enthielten die Steine: Eisenliebe. Eine Liebe, die so stark war, dass sie alles Eiserne anzog. Die drei Zwerge, die die ersten Steine fanden, konnten sich erst wieder befreien, nachdem sie sich ihrer Kettenhosen entledigt hatten.

Viele Welten bestehen in ihrem innersten Kern aus Eisen. Aber die Scheibenwelt besitzt keinen Kern, genauso wenig wie ein Pfannkuchen.

Wenn man auf der Scheibenwelt eine Nadel verzaubert, zeigt sie zur Nabe, wo das magische Feld am stärksten ist.

Simpel.

Auf anderen, weniger fantasievoll konstruierten Welten dreht sich die Nadel aus Liebe zum Eisen.

Zu jener Zeit hatten Zwerge und Menschen diese Liebe bitter nötig.

Und jetzt spulen wir einige Jahrtausende vor, bis mindestens fünfzig Jahre vor dem stets veränderlichen Jetzt, bis auf eine Hügelflanke und auf ein junges Mädchen. Sie rennt – aber eigentlich weder vor etwas davon noch irgendwohin, sie rennt nur gerade schnell genug, um sich von dem jungen Mann, der hinter ihr her ist, nicht einholen zu lassen, aber wiederum auch nicht so schnell, dass er womöglich entmutigt aufgibt. Sie kommt aus dem Wald und läuft hinunter in das schilfige Tal, in dem sich auf einer kleinen Anhöhe die Steine erheben.

Sie sind ungefähr mannshoch und kaum stattlicher als ein dicker Mann.

Besonders beeindruckend sind sie jedenfalls nicht. Einen verbotenen Steinkreis malt die Fantasie sich anders aus. Er sollte aus großen, düsteren Trilithen bestehen und aus uralten steinernen Altären, von denen noch die Schreie der Blutopfer widerhallen – und nicht aus langweiligen, knubbeligen Stummeln wie diesen.

Diesmal wird sich das junge Mädchen verrechnen und doch ein kleines bisschen zu schnell laufen, sodass der junge Mann, der ihr lachend nachsetzt, sie aus den Augen verliert und irgendwann frustriert allein in die Stadt zurückgeht. Aber das alles weiß sie jetzt noch nicht, während sie vor dem Kreis steht und sich versonnen die Blumen in ihrem Haar zurechtzupft. Und dass sie sie zurechtzupfen muss, verrät uns auch schon, was für einen Nachmittag sie hinter sich hat.

Sie kennt die Steine, auch wenn sie noch nie vor ihnen gewarnt wurde. Genauso wenig, wie sie jemals gesagt bekommen hat, dass es verboten ist, sich ihnen zu nähern. Denn diejenigen, die sich so beflissen darüber ausschweigen, wissen ganz genau, was für einen starken Reiz das Verbotene entwickelt. Man bleibt dem Steinkreis fern, weil es sich einfach nicht gehört, sich dort aufzuhalten. Vor allem, wenn man ein braves Mädchen ist.

Allerdings ist die junge Frau, mit der wir es hier zu tun haben, kein »braves Mädchen« im landläufigen Sinne, wozu nicht zuletzt ihr herbes Aussehen beiträgt. Mit dem kantigen Kinn und der krummen Nase würde man sie höchstens bei Rückenwind und günstigen Lichtverhältnissen als hübsch bezeichnen – und dann auch nur, wenn man ein gutmütiger Lügner wäre. Außerdem hat sie das gewisse Funkeln derer in den Augen, die erkannt haben, dass sie klüger sind als die meisten ihrer Mitmenschen, aber noch nicht wissen, dass es am allerklügsten wäre, diese Erkenntnis möglichst für sich zu behalten. Zusammen mit der Nase sorgt dieses Funkeln für eine Miene, die zum Fürchten ist. Vor einem solchen Gesicht ist jeder auf der Hut. Wer sich traut, den Mund aufzumachen, wird sofort von einem Blick durchbohrt, der verkündet: Wehe, du hast nichts Interessantes von dir zu geben.

Solch einen Blick müssen jetzt die acht kleinen Steine auf ihrer Anhöhe über sich ergehen lassen.

Hm.

Vorsichtig geht sie näher heran. Nicht mit der Vorsicht eines fluchtbereiten Kaninchens. Sondern eher mit der eines Jägers.

Sie stemmt die Hände in die nicht sonderlich ausgeprägten Hüften.

Am heißen Sommerhimmel trällert eine Lerche, sonst ist alles still. Unten in dem kleinen Tal und oben in den Hügeln zirpen die Grashüpfer und summen die Bienen, das Gras schwingt und schwirrt vor unhörbaren Geräuschen. Aber rings um die Steine herrscht immer Stille.

»Ich bin hier«, sagt das Mädchen. »Zeig’s mir.«

Im Inneren des Kreises erscheint die Gestalt einer rot gewandeten, dunkelhaarigen Frau. Obwohl der Kreis nur einen Steinwurf im Durchmesser misst, erweckt die Frau den Anschein, als käme sie aus weiter Ferne.

Jeder andere wäre jetzt geflohen, aber das junge Mädchen rührt sich nicht vom Fleck, wodurch sie sogleich das Interesse der Frau auf sich zieht.

»Dann gibt es dich also wirklich.«

»Natürlich. Wie heißt du, Kind?«

»Esmeralda.«

»Und was willst du?«

»Gar nichts.«

»Jeder will irgendetwas. Warum wärst du sonst hier?«

»Ich wollte nur sehen, ob es dich wirklich gibt.«

»Für dich auf jeden Fall … du hast ein gutes Auge.«

Das Mädchen nickt so stolz, dass Steine von ihr abprallen würden.

»Jetzt weißt du es also«, sagt die Frau im Kreis. »Und was willst du wirklich?«

»Nichts.«

»Ach nein? Letzte Woche bist du in die Berge gegangen, du warst oberhalb von Kupferkopf, um mit den Trollen zu reden. Was wolltest du von ihnen?«

Das Mädchen legt den Kopf auf die Seite.

»Woher weißt du das?«

»Weil es dir zuoberst auf der Seele liegt, Kind. Das kann jeder sehen. Jeder, der … ein gutes Auge hat.«

»Eines Tages kann ich das auch«, sagt das Mädchen selbstgefällig.

»Wer weiß? Schon möglich. Was wolltest du von den Trollen?«

»Ich wollte … mit ihnen reden. Wusstest du, dass sie glauben, die Zeit läuft rückwärts? Weil man die Vergangenheit sehen kann und …«

Die Frau im Kreis lacht.

»Aber Trolle sind doch genau wie die dummen Zwerge! Interessieren sich für nichts außer Steine. Dabei haben Steine überhaupt nichts Interessantes an sich.«

Das Mädchen zuckt mit einer Achsel, als wolle sie andeuten, dass an Steinen möglicherweise doch etwas nicht ganz so Uninteressantes dran sein könnte.

»Warum kannst du nicht aus dem Kreis herauskommen?«

Das war ganz offensichtlich die falsche Frage. Die Frau überhört sie geflissentlich.

»Ich kann dir helfen, mehr als Steine zu finden«, sagt sie.

»Du kannst nicht raus aus dem Kreis, stimmt’s?«

»Ich werde dir geben, was du dir wünschst.«

»Ich kann überallhin, aber du steckst in dem Kreis fest«, sagt das Mädchen.

»Ach ja? Überallhin?«

»Ja. Sobald ich Hexe bin.«

»Aber du wirst nie eine Hexe sein.«

»Wie bitte?«

»Man sagt, du kannst nicht zuhören, dich nicht beherrschen. Man sagt, du hättest keine Disziplin.«

Das Mädchen schüttelt seine Mähne. »Ach, das weißt du auch? Tja, lass die Leute nur reden. Ich werde Hexe, da können sie sagen, was sie wollen. Das kann man sich nämlich auch selber beibringen. Dazu braucht man nicht einem Haufen verrückter alter Weiber zuzuhören, die gar nicht wissen, was leben heißt. Und noch etwas, Frau im Kreis: Ich werde die beste Hexe aller Zeiten sein.«

»Mit meiner Hilfe könnte dir das gelingen«, sagt die Fremde. »Ich glaube, dein Verehrer sucht nach dir«, fügt sie mit sanfter Stimme hinzu.

Noch ein einseitiges Schulterzucken. Diesmal soll es ausdrücken, dass er ihretwegen ruhig den ganzen Tag weitersuchen kann.

»Dann kann ich es also schaffen?«

»Eine große Hexe zu werden? Ja. Du könntest alles sein. Was du auch sein willst. Komm zu mir herein. Ich zeige es dir.«

Das Mädchen geht ein paar Schritte auf den Kreis zu, doch dann zögert sie. Irgendetwas am Tonfall der Frau ist ihr nicht geheuer. Ihr Lächeln ist angenehm und freundlich, aber die Stimme – zu verzweifelt, zu drängend, zu gierig.

»Aber ich lerne viel …«

»Tritt in den Kreis, sofort!«

Noch immer zögert das Mädchen.

»Woher weiß ich …«

»Die Kreiszeit ist fast vorbei! Denk doch nur mal daran, was du alles lernen kannst. Sofort!«

»Aber …«

»Komm hier rein!«

Doch das geschah vor langer, langer Zeit, in der Vergangenheit3. Außerdem ist die Hexe jetzt …

… älter.

Ein Land aus Eis …

Nicht im Winter, weil Winter einen Herbst voraussetzt und vielleicht eines Tages auch einen Frühling. Dies ist ein Land aus Eis, nicht nur eine Zeit des Eises.

Drei Gestalten zu Pferde blickten den schneebedeckten Hang hinunter, auf einen Kreis aus acht Steinen. Von dieser Seite sahen sie viel größer aus.

Man hätte eine ganze Weile hinschauen müssen, um zu erkennen, was an den Gestalten so sonderbar war – noch sonderbarer sogar als ihre Kleidung. Der heiße Atem ihrer Pferde hing in der frostkalten Luft. Der Atem der Reiter nicht.

»Und diesmal«, sagte die Gestalt in der Mitte, eine Frau in Rot, »werden wir nicht verlieren. Diesmal heißt das Land uns willkommen. Wahrscheinlich hat es die Menschen längst satt.«

»Aber es gab da Hexen«, sagte einer der beiden anderen Reiter. »Ich erinnere mich an die Hexen.«

»Früher, ja«, sagte die Frau. »Aber heute … die Armen, die Ärmsten. Haben kaum noch Macht. Und beeinflussbar sind sie. Man kann ihren Verstand ganz leicht formen. Ich bin des Nachts auf leisen Sohlen umhergeschlichen und habe mich umgesehen, Schätzchen. Ich kenne die Hexen von heute. Die könnt ihr getrost mir überlassen.«

»Ich erinnere mich an die Hexen«, wiederholte der Reiter stur. »Einen Verstand wie … Metall.«

»Das war einmal. Wirklich, ich werde mit ihnen fertig.«

Die Königin sah mit einem wohlgefälligen Lächeln auf den Steinkreis hinunter.

»Danach könnt ihr euch mit ihnen vergnügen«, sagte sie. »Mir steht der Sinn mehr danach, mich mit einem Sterblichen zu verehelichen. Mit einem ganz besonderen Sterblichen. Ich werde unsere Welten vereinen. Um den Menschen zu zeigen, dass wir diesmal entschlossen sind zu bleiben.«

»Das wird dem König aber gar nicht gefallen.«

»Wann habe ich mich davon schon mal beeindrucken lassen?«

»Noch nie, Herrin.«

»Die Zeit ist reif, Lankin. Die Kreise öffnen sich. Bald können wir zurückkehren.«

Der zweite Reiter stützte sich auf seinen Sattelknauf.

»Und ich kann endlich wieder jagen«, sagte er. »Wann ist es soweit? Wann?«

»Bald«, antwortete die Königin. »Bald.«

Die Nacht war dunkel. Es herrschte die Art von Dunkelheit, die sich nicht allein durch das Fehlen von Mond oder Sternen erklären lässt, sondern von irgendwo herbeizuströmen scheint – so dicht und greifbar, als könne man die Nacht aus einer Handvoll Luft herausquetschen.

Es war ein Dunkel, in dem Schafe über Zäune springen und Hunde sich im Zwinger verkriechen.

Aber der Wind war warm und weniger stark als laut – er heulte durch die Wälder und jaulte in den Schornsteinen.

In solchen Nächten ziehen normale Menschen sich die Bettdecke über den Kopf, weil sie spüren, dass es Zeiten gibt, in denen die Welt im Besitz einer anderen Macht ist. Am nächsten Morgen gehört sie dann wieder den Menschen. Allen abgefallenen Ästen und vom Dach gewehten Ziegeln zum Trotz bewegt sie sich wieder im menschlichen Rahmen. Bis dahin aber heißt es: Decke über den Kopf.

Doch ein Mann war wach in dieser Nacht.

Um sich zu beschäftigen, fachte Jason Ogg, seines Zeichens Kunst- und Hufschmied, das Feuer in der Esse ein paarmal mit dem Blasebalg an und setzte sich dann wieder auf seinen Amboss. Wie immer war es warm in der Schmiede, auch wenn der Wind um die Dachtraufen pfiff.

Jason Ogg konnte jedes Tier beschlagen. Einmal wollten ihm ein paar Jungs einen Streich spielen und brachten ihm eine Ameise. Er hatte sich aus einem Stecknadelkopf einen Amboss gebastelt und ihr tatsächlich mit Hilfe einer Lupe Hufeisen angelegt. Die Ameise lebte immer noch – manchmal konnte er sie über den Boden trappeln hören.

Aber heute Nacht … nun ja, heute war die Nacht, in der er gewissermaßen seine Miete bezahlte. Natürlich gehörte die Schmiede ihm. Sie war seit Generationen in Familienbesitz. Doch seine Schmiede bestand aus mehr als nur aus Backsteinen, Mörtel und Eisen. Was genau dieses gewisse Mehr war, hätte Jason selbst nicht in Worte fassen können. Er wusste nur, es war da. Es machte den Unterschied aus zwischen einem Meister der Schmiedekunst und einem x-beliebigen Eisenverbieger. Und es hatte irgendetwas mit Eisen zu tun. Und auch damit, dass er es in seinem Beruf sehr weit hatte bringen dürfen. Und dafür war er eben eine Art Miete schuldig.

Eines Tages hatte sein Vater ihn beiseitegenommen und ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit erklärt, was in Nächten wie dieser von ihm erwartet wurde.

Manchmal, so sagte er, in ganz bestimmten Nächten – du erkennst sie sofort – wird dir jemand sein Pferd zum Beschlagen bringen. Heiße ihn willkommen. Beschlage das Pferd. Konzentriere dich auf deine Arbeit. Und versuche, an nichts anderes zu denken als an Hufeisen.

Inzwischen hatte Jason sich einigermaßen daran gewöhnt.

Der Wind frischte auf, irgendwo stürzte ächzend ein Baum um.

Der Riegel rappelte.

Dann klopfte es. Einmal. Und noch einmal.

Jason Ogg verband sich die Augen. Die Binde sei wichtig, hatte sein Vater gesagt. Damit man sich nicht ablenken ließ.

Er öffnete das Tor.

»’n Abend, mein Herr«, sagte er.

EINESTÜRMISCHENACHT.

Jason roch das nasse Pferd, als es mit klappernden Hufen in die Schmiede geführt wurde.

»In der Esse steht frischer Tee, und unsere Trine hat uns Plätzchen gebacken. Die sind da in der Dose, wo ›Geschenk aus Ankh-Morpork‹ draufsteht.«

DANKE. ICHHOFFE, ESGEHTDIRGUT?

»Ja, mein Herr. Die Eisen sind schon fertig. Ich halte Sie nicht lange auf. Sie sind ja schließlich ein vielbeschäftigter … Mann.«

Die Schritte klackerten hinüber zu dem alten Küchenstuhl, der Jasons Kunden vorbehalten war – beziehungsweise ihren Besitzern.

Der Schmied hatte sich Werkzeug, Hufeisen und Nägel auf der Werkbank neben dem Amboss zurechtgelegt. Er wischte sich die Hände an seinem Schurz ab, griff zur Feile und fing an. Obwohl er nicht viel vom kalten Anpassen der Eisen hielt, beherrschte er es auch blind. Schließlich beschlug er Pferde seit seinem zehnten Geburtstag. Er wechselte zur Raspel und machte damit weiter.

Eins stand fest: Er hatte noch nie ein gehorsameres Pferd kennengelernt. Leider hatte er es auch noch nie gesehen. Schade. Es musste wirklich ein ganz besonderes Tier sein, dieses Pferd …

Aber wie lautete der Rat seines Vaters? Hüte dich davor, einen Blick darauf zu riskieren.

Die Teekanne gluckerte, dann klimperte der Löffel in der Tasse, bis er mit einem Klirren auf dem Unterteller zu liegen kam.

Niemals ein Geräusch, hatte sein Vater gesagt. Nur wenn er geht und spricht, ansonsten hörst du nichts von ihm. Kein Schmatzen mit den Lippen oder so, gar nichts.

Keine Atemzüge.

Ach ja, und noch etwas. Wenn du die alten Eisen abnimmst, wirfst du sie nicht auf den Haufen mit dem Altmetall, das zum Einschmelzen bestimmt ist. Du legst sie gesondert weg. Du schmilzt sie gesondert ein. In einem eigens dafür vorgesehenen Kessel. Daraus schmiedest du dann die neuen Hufeisen. Was auch immer du tust: Beschlag niemals ein anderes Lebewesen damit.

Aber Jason hatte sich einen Satz der alten Eisen beiseitegelegt, und wenn er damit in den Nachbardörfern am Hufeisenzielwurf teilnahm, hatte er noch nie verloren. Er gewann so oft, dass es ihn nervös machte, und jetzt hingen sie die meiste Zeit an einem Nagel hinter der Tür.

Manchmal rüttelte der Wind am Fensterrahmen oder fuhr in die Glut, dass die Kohlen knisterten. Ein dumpfes Poltern und erschrecktes Gekreische ließen darauf schließen, dass der Hühnerstall am Ende des Gartens die Bodenhaftung verloren hatte.

Der Besitzer des Kunden schenkte sich Tee nach.

Jason beendete den dritten Huf und ließ ihn los. Dann streckte er die Hand aus. Das Pferd verlagerte sein Gewicht und hob den vierten Huf.

So ein Pferd gab es nur einmal unter einer Million. Höchstens.

Dann war er fertig. Komische Sache. Es schien nie sehr lange zu dauern. Jason kam ohne Uhr aus, aber er hatte den Verdacht, dass eine Arbeit, die den Gutteil einer Stunde in Anspruch nahm, gleichzeitig in Minutenschnelle erledigt war.

»Bitte sehr«, sagte er. »Erledigt.«

DANKE. ICHMUSSSCHONSAGEN, DASSINDSEHRLECKEREPLÄTZCHEN. WIEKRIEGTMANDIESCHOKOLADENSTÜCKCHENDAREIN?

»Keine Ahnung, mein Herr«, antwortete Jason, unverwandt auf die Innenseite der Augenbinde starrend.

EIGENTLICHMÜSSTEDIESCHOKOLADEBEIMBACKENDOCHSCHMELZEN. WASMEINSTDU, GIBTESDAEINENTRICK?

»Ist wahrscheinlich ein Berufsgeheimnis«, sagte Jason. »Solche Fragen stelle ich nie.«

GUTSO. KLUGERMANN. ICHMUSS …

Jason konnte nicht anders, wenn auch nur, um sich immer daran erinnern zu können, dass er es tatsächlich gewagt hatte, die Frage zu stellen.

»Herr?«

JA, JASONOGG?

»Eine Frage hätte ich aber doch …«

JA, JASONOGG?

Jason befeuchtete sich die Lippen.

»Wenn ich … wenn ich die Augenbinde abnähme, was würde ich dann sehen?«

So. Jetzt war die Frage draußen.

Es klackerte auf den Steinplatten, und die Luft bewegte sich anders. Jason nahm an, dass sein nächtlicher Gast nun genau vor ihm stand.

BISTDUEINMANNDESGLAUBENS, JASONOGG?

Jason überlegte blitzschnell. In Lancre übertrieb man es nicht mit der Religion. Es gab die Neunten-Tags-Grübler, die Strengen Offlianer und auf irgendwelchen abgelegenen Lichtungen noch ein paar Altäre für alle möglichen kleineren Götter. Jason war eigentlich immer ganz gut ohne Religion ausgekommen. Da hielt er es mit den Zwergen. Eisen war Eisen, und Feuer war Feuer – wenn man anfing, metaphysisch zu werden, machte der Daumen bald nähere Bekanntschaft mit dem Hammer.

WORANGLAUBSTDU? JETZT, INDIESEMAUGENBLICK?

Er steht direkt vor mir, dachte Jason. Ich bräuchte bloß die Hand auszustrecken …

Es roch. Nicht unangenehm und auch nur ganz schwach. Es war der Geruch nach abgestandener Luft in alten, vergessenen Räumen. Wenn Jahrhunderte nach etwas riechen könnten, würden die vergangenen genau so riechen.

JASONOGG?

Jason schluckte.

»Nun ja, Herr«, krächzte er. »Im Moment … glaube ich an nichts so sehr wie an meine Augenbinde.«

GUTERMANN. GUTERMANN. UNDJETZT … MUSSICHGEHEN.

Der Riegel wurde angehoben. Das Tor, vom Wind aufgestoßen, schleifte über den Boden und schlug gegen die Wand. Hufgetrappel auf den Pflastersteinen.

HERVORRAGENDEARBEIT, WIEIMMER.

»Danke, mein Herr.«

UNTERUNSHANDWERKERNGESAGT.

»Danke, mein Herr.«

WIRWERDENUNSWIEDERSEHEN.

»Ja, mein Herr.«

WENN MEIN PFERD NEUE EISEN BRAUCHT.

»Ja, mein Herr.«

Jason schloss das Tor und legte den Riegel vor, obwohl das, wenn er es sich recht überlegte, wahrscheinlich sinnlos war.

Aber so lautete nun mal die Abmachung – er beschlug, was man ihm brachte, ganz egal, was es war, und als Lohn bekam er die Fähigkeit, alles, aber auch wirklich alles beschlagen zu können, was man ihm brachte. Es hatte immer einen Schmied in Lancre gegeben, und jeder wusste, dass dieser Schmied über ganz besondere Kräfte verfügte.

Es war eine Abmachung aus uralter Zeit, und sie beruhte auf Eisen.

Der Wind flaute ab. Als die Sonne aufging, war er nur noch ein Raunen am Horizont.

Dies war das oktarine Grasland. Fruchtbares Ackerland, auf dem vor allem Korn gut gedieh.

Und da lag ein Kornfeld, sanft wogend und von Hecken eingefasst. Es war nicht groß und eigentlich auch sonst nicht außergewöhnlich. Es war lediglich ein Feld, auf dem Korn wuchs – nur nicht im Winter, das versteht sich von selbst. Dann trieben sich dort nur Tauben und Krähen herum.

Der Wind erstarb.

Das Korn wogte weiter. Nicht hin und her, wie es, wenn der Wind noch geweht hätte, normal gewesen wäre. Die Wellen breiteten sich vielmehr von der Mitte des Feldes aus, wie Kreise im Wasser, wenn man einen Stein hineingeworfen hat.

Die Luft knisterte und war erfüllt von einem zornigen Summen.

Und in der Mitte des Feldes legten sich raschelnd die jungen Halme nieder.

In einem Kreis.

Und am Himmel schwärmten zornig summend die Bienen.

Bis zur Sommersonnenwende sind es nur noch wenige Wochen. Das Königreich Lancre döst in der Hitze, die flirrend über Wald und Feld liegt.

Drei Punkte tauchen am Himmel auf.

Nach einer Weile entpuppen sie sich als drei weibliche Wesen auf Besen. Ihre Flugformation erinnert stark an die der drei berühmten Fliegenden Gipsenten.

Sehen wir sie uns etwas genauer an.

Die Erste – nennen wir sie die Anführerin – sitzt, dem Luftwiderstand zum Trotz und allem Anschein nach über ihn triumphierend, kerzengerade auf ihrem Besen. Sie hat markante, ja, fast attraktive Züge, die man allerdings nicht als schön bezeichnen sollte, es sei denn, man wäre darauf aus, seine Nase um zwei Ellen wachsen zu sehen.

Die Zweite ist mollig und krummbeinig. Sie hat ein Gesicht wie ein Apfel, der schon zu lange im Keller liegt, und eine geradezu chronisch gutmütige Miene. Sie spielt auf einem Banjo und … singt (behelfen wir uns mit diesem Wort, bis ein besseres dafür erfunden wird). Es ist ein Lied über einen Igel.

Anders als der Besen der ersten Frau, an dem nur ein, zwei Beutel hängen, ist der Besen der zweiten schwer beladen mit Sachen wie lila Plüscheseln, Korkenziehern in Form urinierender Buben, strohumflochtenen Weinflaschen und anderen internationalen Kulturgütern. Obendrauf thront der stinkendste und bösartigste Kater der Welt. Er schläft.

Die dritte und unzweifelhaft letzte Besenreiterin ist zugleich auch die jüngste. Anders als die beiden anderen, die wie Raben gekleidet sind, trägt sie bunte, fröhliche Farben, die ihr nicht stehen und ihr vor zehn Jahren wahrscheinlich auch schon nicht gestanden haben. Sie ist von der diffusen Aura eines angeborenen Optimismus umgeben. Die Blumen, die sie im Haar trägt, sind nicht mehr ganz taufrisch, genau wie sie selbst.

Die drei Hexen überfliegen die Landesgrenze des Königreichs Lancre und kurz darauf die gleichnamige Hauptstadt. Über dem dahinter liegenden Heidemoor gehen sie in den Landeanflug über und setzen neben einem stehenden Stein auf, der die Grenzen ihrer Reviere markiert.

Sie sind wieder da.

Und alles ist wieder in Ordnung.

Ungefähr fünf Minuten lang.

Im Plumpsklo war ein Dachs.

Oma Wetterwachs stocherte mit ihrem Besen nach ihm, bis ihm ein Licht aufging und er sich trollte. Dann nahm sie den Schlüssel, der neben dem letztjährigen Almanach und Bauernkalender an einem Haken hing, und ging den Gartenweg hinauf zu ihrem Häuschen.

Ein ganzer Winter in der Fremde! Da wartete bestimmt viel Arbeit auf sie. Die Ziegen von Herrn Skindel abholen, die Spinnen aus dem Schornstein fegen, die Frösche aus dem Brunnen fischen – und sich nach und nach wieder in anderer Leute Angelegenheiten mischen, weil sie damit ohne die Hilfe einer Hexe heillos überfordert waren.

Aber als Erstes wollte sie sich ein Stündchen Ruhe gönnen. So viel Zeit musste sein.

Im Wasserkessel nisteten Rotkehlchen, die durch eine zerbrochene Fensterscheibe ins Haus gelangt waren. Vorsichtig brachte Oma den Kessel nach draußen und klemmte ihn über der Haustür fest, damit die Wiesel nicht herankamen. Das Teewasser kochte sie im Topf.

Als nächstes zog sie die Uhr auf. Hexen hatten eigentlich kaum Verwendung für Uhren, aber Oma gefiel das Ticken. Außerdem wirkte das Haus nicht so leer, wenn es tickte. Die Uhr war ein Erbstück von ihrer Mutter, die sie jeden Tag aufgezogen hatte.

Der Tod der Mutter war für Esme Wetterwachs nicht unerwartet gekommen. Zum einen konnte sie als Hexe in die Zukunft sehen, und zum anderen war sie zu jener Zeit bereits eine erfahrene Heilerin gewesen, die die Zeichen deuten und sich auf das Erwartete einstellen konnte. Geweint hatte sie erst einen Tag später, während des Leichenschmauses, als plötzlich die Uhr stehen blieb. Ihr fiel das Tablett mit den Schinkenbrötchen aus der Hand, und sie musste sich eine Weile auf dem Plumpsklo einschließen, damit niemand ihre Tränen sah.

Jetzt hatte sie Zeit, an solche Dinge zu denken, Zeit, die Vergangenheit Revue passieren zu lassen …

Die Uhr tickte. Das Wasser kochte. Oma Wetterwachs fischte ein Tütchen Tee aus ihrem spärlichen Besengepäck und spülte die Kanne heiß aus.

Das Feuer im Kamin brannte ruhig vor sich hin und vertrieb die Feuchtigkeit aus dem seit Monaten nicht mehr benutzten Zimmer. Die Schatten wurden länger.

Zeit, an die Vergangenheit zu denken. Hexen können in die Zukunft sehen: Die Angelegenheiten, um die sie sich schon allzu bald würde kümmern müssen, waren ihre eigenen.

Dann warf sie einen Blick aus dem Fenster.

Nanny Ogg balancierte kippelnd auf einem Hocker und fuhr mit dem Zeigefinger über den Küchenschrank. Als sie ihn anschließend prüfend in Augenschein nahm, war er blitzsauber.

»Hm«, sagte sie. »Scheint ja halbwegs picobello zu sein.«

Die Schwiegertöchter überlief ein Schauder der Erleichterung.

»Auf den ersten Blick jedenfalls«, fügte Nanny hinzu.

Stumm vor Entsetzen drängten sich die drei jungen Frauen dicht aneinander.

Das Verhältnis zu ihren Schwiegertöchtern war der einzige Fleck auf Nanny Oggs ansonsten blütenweißer Charakterweste. Bei den Schwiegersöhnen war es etwas anderes, da schlug ihre übliche Liebenswürdigkeit durch – sie kannte ihre Namen und wusste sogar, wann sie Geburtstag hatten. Die jungen Männer fügten sich in die Familie ein wie zu groß geratene Küken, die unter die Flügel einer brütenden Bantamhenne schlüpfen. Und Nannys Enkelkinder wurden von ihr vergöttert, jedes einzelne von ihnen. Aber eine Frau, die so leichtsinnig war, einen Ogg-Sohn zu heiraten, ergab sich am besten gleich in die seelischen Foltern und unsäglichen häuslichen Frondienste, die ihr Leben von nun an bestimmen würden.

Nanny Ogg selbst rührte im Haushalt keinen Finger, es sei denn, um den Schwiegertöchtern damit zu drohen und ihnen Beine zu machen.

Sie kletterte vom Hocker und strahlte die drei Frauen an.

»Ihr habt wirklich nicht schlecht geputzt«, sagte sie. »Könnte schlimmer aussehen.«

Ihre Miene verdüsterte sich.

»Allerdings hab ich noch gar nicht unter dem Bett im Gästezimmer nachgesehen«, sagte sie.

Inquisitoren hätten Nanny Ogg wegen exzessiver Boshaftigkeit aus ihren Reihen ausgeschlossen.

Als hinter ihr weitere Familienmitglieder ins Zimmer kamen, drehte sie sich um. Sofort verzog sich ihr Gesicht zu dem rührseligen Lächeln, das ausschließlich ihren Enkeln vorbehalten war.

Jason Ogg schob seinen Jüngsten nach vorn. Der vierjährige Dickie Ogg hatte etwas in der Hand.

»Was hast du denn da Schönes?«, fragte Nanny. »Zeig es deiner Omi.«

Dickie hielt es hoch.

»Mich laust der Affe, bist du aber fleißig gewesen …«

Da geschah es. Genau in diesem Moment. Genau unter ihrer Nase.

Und zuletzt gab es da auch noch Magrat.

Sie war acht Monate weg gewesen.

Jetzt meldete sich langsam die Panik. Genau genommen war sie mit König Verenz II. verlobt. Obwohl … verlobt war vielleicht doch etwas zu viel gesagt. Immerhin war Magrat sich relativ sicher, dass sie irgendwie stillschweigend übereingekommen waren, eine Verlobung definitiv in Betracht zu ziehen. Zugegeben, sie hatte ihm oft genug erklärt, dass sie ein freier Mensch war, der sich keinerlei Fesseln anlegen lassen würde, was auch – zumindest mehr oder weniger – der Wahrheit entsprach, aber andererseits …

Andererseits … waren acht Monate nun mal acht Monate. In acht Monaten konnte wer weiß was geschehen sein. Sie hätte sofort von Gennua aus zurückfliegen sollen, aber die beiden anderen wollten sich ja unbedingt noch ein bisschen amüsieren.

Sie wischte den Staub vom Spiegel und betrachtete sich kritisch. Der Anblick war nicht sehr ermutigend. Mit ihren Haaren konnte sie anstellen, was sie wollte, nach spätestens drei Minuten hatten sie sich wieder verheddert. Wie ein Gartenschlauch im Geräteschuppen.4 Sie hatte sich ein neues grünes Kleid gekauft. Aber was an der Gipspuppe so aufregend und schick ausgesehen hatte, sah an Magrat aus wie ein zusammengerollter Regenschirm.

Und Verenz regierte nun schon seit acht Monaten. Natürlich war Lancre so klein, dass man sich nicht einmal richtig ausstrecken konnte, ohne einen Reisepass zu benötigen, doch er war trotzdem ein echter König, und echte Könige hatten nun einmal eine anziehende Wirkung auf junge Frauen, die auf der Karriereleiter als nächste Stufe das Königinnenamt anpeilten.

Halbherzig rupfte und zupfte Magrat noch ein bisschen an dem Kleid herum und bürstete energisch ihre Haare nieder.

Dann ging sie hinauf zum Schloss.

Für den Wachdienst im Schloss waren in Lancre immer diejenigen zuständig, die sonst nichts Besseres zu tun hatten. Heute musste Jorick Ogg, Nannys Jüngster, Posten schieben. Als Magrat an ihm vorbeitappte, stand er mehr oder weniger stramm, ließ dann seine Pike fallen und eilte in seiner schlackernden Kettenrüstung hinter ihr her.

ENDE DER LESEPROBE