Der zauberhafte Souvenirladen im Sanddornweg - Kerstin Garde - E-Book

Der zauberhafte Souvenirladen im Sanddornweg E-Book

Kerstin Garde

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine kleine Straße, in der verlorene Herzen zueinanderfinden

Seit ihrer Jugend hilft Hannah in Irmchens Souvenirladen im Sanddornweg aus. Hier findet jeder genau das Souvenir, das für ihn bestimmt ist. Doch leider macht Irmchen ihre Gesundheit seit einiger Zeit sehr zu schaffen. Kurzum entschließt sie, den Souvenirladen an ihren Neffen Tristan zu übergeben, um etwas zur Ruhe zu kommen. Doch der will aus dem gemütlichen kleinen Geschäft ausgerechnet einen Surfshop machen. Das kann Hannah auf gar keinen Fall zulassen. Sie muss unbedingt einen Weg finden, Irmchens Vermächtnis zu retten. Und wie ginge das besser, als dem mürrischen Tristan genau den Zauber zu zeigen, den sie an dem kleinen Laden so liebt? Tristan gibt ihr bis zum Ende des Sommers Zeit, um wieder Schwung ins Geschäft zu bringen. Nur leider kommen ihnen auf dem Weg nicht nur allerlei Hindernisse, sondern auch noch ein ganzer Schwarm Schmetterlinge im Bauch in die Quere ...

Ein kleiner Souvenirladen, Gefühlschaos, liebgewonnene Sanddornwegbewohner und das alles an der schönen Ostsee. Der Abschluss der warmherzigen und romantischen Sanddornwegreihe von Kerstin Garde.

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 369

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

Liebe Leserin, lieber Leser,

herzlichen Dank, dass du dich für ein Buch von beHEARTBEAT entschieden hast. Die Bücher in unserem Programm haben wir mit viel Liebe ausgewählt und mit Leidenschaft lektoriert. Denn wir möchten, dass du bei jedem beHEARTBEAT-Buch dieses unbeschreibliche Herzklopfen verspürst.

Wir freuen uns, wenn du Teil der beHEARTBEAT-Community werden möchtest und deine Liebe fürs Lesen mit uns und anderen Leserinnen und Lesern teilst. Du findest uns unter be-‍heartbeat.de oder auf Instagram und Facebook.

Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich für unseren kostenlosen Newsletter an:be-heartbeat.de/newsletter

Viel Freude beim Lesen und Verlieben!

Dein beHEARTBEAT-Team

Über dieses Buch

Seit ihrer Jugend hilft Hannah in Irmchens Souvenirladen im Sanddornweg aus. Hier findet jeder genau das Souvenir, das für ihn bestimmt ist. Doch leider macht Irmchen ihre Gesundheit seit einiger Zeit sehr zu schaffen. Kurzum entschließt sie, den Souvenirladen an ihren Neffen Tristan zu übergeben, um etwas zur Ruhe zu kommen. Doch der will aus dem gemütlichen kleinen Geschäft ausgerechnet einen Surfshop machen. Das kann Hannah auf gar keinen Fall zulassen. Sie muss unbedingt einen Weg finden, Irmchens Vermächtnis zu retten. Und wie ginge das besser, als dem mürrischen Tristan genau den Zauber zu zeigen, den sie an dem kleinen Laden so liebt? Tristan gibt ihr bis zum Ende des Sommers Zeit, um wieder Schwung ins Geschäft zu bringen. Nur leider kommen ihnen auf dem Weg nicht nur allerlei Hindernisse, sondern auch noch ein ganzer Schwarm Schmetterlinge im Bauch in die Quere ...

Kerstin Garde

Der zauberhafte Souvenirladen im Sanddornweg

Prolog

Sommer 2009

»Wow – die Traditionsschiffe sehen echt cool aus«, sagte Tristan und lehnte sich vor, sodass unsere Gondel etwas schwankte. »Ich meine, die sind teilweise über hundert Jahre alt. Und trotzdem sind sie noch seetüchtig. Sieh mal, da ist sogar ein Nachbau der Morgentau-Südwind.«

»Mordgentau-Südwind?«, fragte ich und konzentrierte meinen Blick nur auf die Stange in der Mitte unserer Gondel.

»Na, das bekannte Handelsschiff aus dem 19. Jahrhundert, das auf Grund ging, bevor es den sicheren Hafen erreicht hat.«

»Da hat aber jemand in Geschichte gut aufgepasst, du Streber, Herr Altenberg wäre stolz auf dich«, sagte ich ironisch und verkrampfte, weil die Gondel immer noch schaukelte. Tristan war zwar eine Klasse über mir, aber wir hatten denselben Geschichtslehrer. Und der stand total auf Seefahrt. Im Gegensatz zu mir.

»Jetzt guck doch mal, Hannah.«

Ich schüttelte den Kopf. Hier oben fühlte man sich auch wie auf hoher See bei starkem Wellengang. Mehr Geschichte zum Anfassen brauchte ich nicht. Denn obwohl ich an der Ostsee groß geworden war und mein ganzes Leben, also immerhin fünfzehn Jahre, hier verbracht hatte, war ich alles andere als seefest.

Wieso hatte ich mich von Tristan überreden lassen mitzukommen? Und auch noch hier einzusteigen?

Die Antwort war leicht – er war immer so lässig, hatte alles im Griff, da hatte ich irgendwie mithalten wollen. Ein Fehler, wie sich nun zeigte. Ich war nicht so entspannt wie er, schon gar nicht so extrovertiert, Schüchternheit war nicht nur mein Lebensmotto, sondern auch mein zweiter Vorname. Ich kam erst nach langer Vorlaufzeit richtig aus mir raus. Das war zu meinem Leidwesen schon immer so gewesen. Vielleicht hatte ich also mit dieser Fahrt auch mir selbst beweisen wollen, dass ich Mumm in den Knochen hatte. Blöd nur, dass das Vorhaben gerade mächtig in die Hose zu gehen drohte.

»Bitte wackle nicht so.« Ich blinzelte vorsichtig in seine Richtung.

Tristan sah über seine Schulter zu mir und grinste breit. »Hat da etwa jemand Höhenangst?«

»Quatsch!«, protestierte ich, während unsere Gondel sich langsam wieder nach unten bewegte, aber nicht minder schwankte, weswegen ich mich an der Stange festkrallte.

»Ist doch nur ein Riesenrad, Hannah. Keine Achterbahn«, feixte er.

»Ich habe keine Höhenangst!«, beharrte ich ärgerlich, mir war nur ein bisschen schwindelig, aber das war nicht dasselbe!

Außerdem beschloss ich, meinen besten Freund einfach für den Rest der Fahrt zu ignorieren. Er würde mich eh nur weiter aufziehen.

»Du verpasst doch alles.«

Als wir uns dem Erdboden näherten, riskierte ich einen kleinen Blick zur Seite. Unter uns sammelten sich die Leute auf der Mittelmole von Warnemünde, um die Einfahrt der verschiedenen Schiffe aus nächster Nähe beobachten zu können. Es war das Highlight des Fests.

Die diesjährige Hanse Sail hatte viele Menschen in den Rostocker Stadtteil Warnemünde gelockt.

Vier Kilometer lang erstreckte sich die Vergnügungsmeile der maritimen Kirmes, und überall drängten sich Leute aneinander. Ich sollte vielleicht froh sein, dass ich in meiner Gondel saß und mich nicht in dem Getümmel befand. Denn das sah nicht sehr gemütlich aus.

Menschenansammlungen dieser Größenordnung waren mir schon immer ein Gräuel gewesen. Wer wollte mir das verdenken? Mit 1,55 Metern war ich leicht zu übersehen, und das wurde ich auch. Ich hatte aufgehört mitzuzählen, wie oft ich schon irgendwelche Schultern ins Gesicht bekommen hatte oder bei Veranstaltungen fast umgerannt worden war.

»Als waschechte Rostockerin solltest du die Hanse Sail doch wenigstens einmal im Leben mitgemacht haben, oder?«

Er hatte ja irgendwie recht. Dazu gehörte natürlich auch die Einfahrt der Traditionssegler. Und zugeben musste ich es, ein bisschen neugierig war ich schon.

»Sei doch mal mutig, Hannah«, sagte er und weckte meinen Ehrgeiz. »Der Anblick ist so schön. Wenn du dich jetzt traust, lade ich dich nachher auf eine Zuckerwatte ein!«

Ich liebte Zuckerwatte. Außerdem wollte ich vor Tristan auf keinen Fall wie ein Hasenfuß dastehen.

Wir waren mit unserer Gondel gerade wieder an dem höchsten Punkt angelangt, und da sie im Moment gar nicht allzu sehr wackelte, wagte ich mit aller Entschlusskraft den Blick über den Gondelrand hinaus, konnte die fantastischen Dreimaster, Museumsschiffe und alten Kutter in aller Pracht sehen, die mit Girlanden verziert waren und imposant durch die Wellen glitten. Ein Exemplar bewegte sich gerade an uns vorbei durch den Kanal in Richtung Hafen, und sein höchster Mast reichte fast bis zu unserer luftigen Höhe hinauf.

»Wow«, entwich es mir nun auch, und für den Augenblick vergaß ich meine Sorge. Allein für diesen Anblick hatte es sich gelohnt herzukommen, das musste ich zugeben. Es war fantastisch. Die Fahrgäste an Bord winkten und jubelten uns zu.

»Sag ich doch«, meinte Tristan überaus zufrieden, winkte ebenfalls und lehnte sich dann zurück. »Hättest gleich auf mich hören sollen. Wir haben den besten Platz ergattert.«

Er hatte recht, etwas weniger Schwanken, und es wäre perfekt. Ich fing an, mich zu entspannen. »Stimmt«, gab ich zu.

»Man muss sich nur trauen«, betonte er.

Mein Blick glitt hoch zu den watteweichen Wolken über uns, die über den azurblauen Himmel zogen. Ich hatte fast das Gefühl, sie berühren zu können, wenn ich die Hand ausstreckte.

Plötzlich ging jedoch ein Ruck durch das Riesenrad. Wie ein Blitzschlag, nur gab es kein Unwetter. Ich hörte Leute aufschreien, mir selbst war vor Schreck die Luft weggeblieben. Und gleich darauf hielt es an. Einfach so.

Unsere Gondel wackelte nun noch schlimmer, war an einem der höchsten Punkte stehen geblieben, und das Rad selbst regte sich nicht mehr.

»Was ist da los?«, fragte ich nervös. Dass Tristan nun auch blass um die Nase aussah, trug nicht gerade zu meiner Beruhigung bei. Er sagte nichts.

Aus den Boxen drangen überlaut die Songs der Achtziger, wie es für eine Kirmes typisch war. Mein Herz versuchte sie jedoch mit aller Gewalt noch zu übertönen. Wie viel lieber säße ich jetzt im Geschichtsunterricht von Herrn Altenberg ...

»Was ist da los?«, wiederholte ich meine Frage. Meine Stimme zitterte ein wenig, doch es gelang mir, sie einigermaßen fest klingen zu lassen.

»Ich weiß es nicht.« Er beugte sich über den Rand der altmodischen Gondel, die zu allem Überfluss nicht verglast war, aber diesmal ganz vorsichtig, und sah nach unten. »Shit ... Wir sind wohl stehen geblieben.«

Ach was?

»Vielleicht ein technischer Defekt, ist ja auch ein anderes Hanse-Rad als sonst«, überlegte er. »Es geht bestimmt gleich weiter. Es ist nichts Schlimmes«, versicherte er mir, doch er klang, als wollte er sich damit auch selbst beruhigen.

Tristan setzte sich zurück.

Ich verkrampfte, presste meine Knie zusammen, während ich gleichzeitig die Arme um meinen Oberkörper schlang.

»Alles okay?«, fragte er mich besorgt.

Ich nickte, aber es stimmte nicht. Mir schlug das Herz bis zum Hals.

»Soll ich zu dir rüberkommen?«

Er wartete meine Antwort nicht ab, erhob sich, und dann ging ein weiterer Ruck durch das Rad, der ihn in meine Richtung schleuderte.

Ich krallte mich instinktiv an ihm fest. Oder besser, ich zog ihn zu mir runter auf den gepolsterten Sitz, denn die Gondel drehte sich nun sogar, und ich fürchtete, ihm könnte etwas passieren.

»Alles gut, Hannah«, sagte er sanft, rutschte von mir runter und legte den Arm um mich. »Ich pass auf dich auf.«

Ich hielt den Atem an. Diesmal jedoch nicht wegen der Gondel. Sein Arm um mich – das fühlte sich gut an. So warm und irgendwie beschützend. Seine Worte brachten meine Wangen zum Glühen. Mehr noch sein Blick. Für einen winzigen Moment vergaß ich alles um mich herum und sah nur seine himmelblauen Augen.

Er wusste es nicht, aber auch wenn er mein bester Freund war, hatte ich in letzter Zeit gemerkt, dass ich auch noch etwas anderes für ihn empfand. Ich biss mir auf die Unterlippe, hin- und hergerissen, ob es eine gute Idee war, dass er mir jetzt so nah kam, denn das verstärkte die Gefühle.

Gefühle, die bis vor kurzem gar nicht da gewesen waren, aber nun immer stärker zu werden schienen.

Das war wirklich eigenartig, kannten wir uns doch von klein auf, waren in derselben Straße im Rostocker Stadtteil Hohe Düne aufgewachsen, waren auf dieselbe Grundschule gegangen. Nun waren wir sogar auf der gleichen Oberschule, und nie war mir in den Sinn gekommen, dass da jemals mehr sein könnte. Er war eben Tristan, der als kleiner Junge mit Brille und Asthma nur kurze Strecken hatte rennen können. Okay, die Brille trug er nicht mehr oder nur zum Lesen. Und inzwischen war er durchtrainiert und eine Sportskanone, denn das Asthma hatte sich ausgewachsen. Er war ziemlich cool, ehrlich.

Und wenn er gewusst hätte, was ich empfand, hätte er mich ausgelacht. Da war ich mir absolut sicher.

»Bitte bewahren Sie Ruhe, das Riesenrad bewegt sich gleich weiter«, versprach jemand über die Lautsprecherboxen. Danach erklang wieder Musik, We belong von Pat Benatar.

Tristan ergriff meine Hand, hielt sie fest. Unwillkürlich klopfte mein Herz wie verrückt.

»Siehst du, alles gut«, sagte er und erinnerte mich ungewollt an die Lage, in der wir uns befanden.

Ich hörte die Schiffshörner in der Ferne, es kamen weitere Segler an. Dann würde es hier nur noch lauter werden.

Wir warteten – und warteten. Aber nichts geschah. Wenn wir hier bis zum Abend festsaßen? Er und ich allein in der Gondel? Ich wusste ehrlich nicht, ob ich den Gedanken gut finden sollte oder nicht.

Da ging noch mal ein Ruck durch das Gestell, wieder schrien Leute auf, und mir wurde klar, das konnte womöglich mein letzter Augenblick sein. Ich atmete stoßweise. Mein Herzklopfen nahm zu, diesmal lag es aber nicht an Tristan.

»Ganz ruhig«, besänftigte er mich.

Ich presste mich fester an ihn, schloss die Augen, und Tristan hielt mich. Ich war so froh, dass er bei mir war.

Seine Wärme beruhigte mich irgendwie. Ich vertraute ihm total, nicht aber dem Riesenrad. Wenn wir doch abstürzten, dann wenigstens zusammen, ging es mir durch den Kopf.

Sacht streichelte er mit einer Hand meinen Rücken.

»Du erlebst deinen sechzehnten Geburtstag, das verspreche ich dir«, raunte er mir ins Ohr.

Ich wusste, er meinte es so. Ich traute mich, nun doch die Augen zu öffnen, meinen besten Freund wieder anzusehen. Seine blauen Augen, seine dunkelblonden Haare. Sein schönes, sanftes Lächeln.

Ich wäre nicht Hannah Engels, wenn mein Herz nicht in diesem Moment total ausgetickt wäre. Er hatte das schönste Lächeln der Welt. Zumindest für mich. Und deswegen nahm ich mir etwas vor: Wenn wir das hier überlebten, musste ich es ihm sagen. Ich musste ihm meine Gefühle gestehen. Das Leben war zu kurz, um so etwas zu verstecken. Und vielleicht, ja nur vielleicht, fand er meine Gefühle gar nicht so albern?

»Sieh mal, wir bewegen uns wieder«, sagte er plötzlich und lächelte mich nur noch zärtlicher an.

Er hatte recht, und zwar ganz sanft. Ich hatte nicht mal gemerkt, dass es wieder abwärts ging.

Ich drückte ihn vor Glück ganz fest, was eine kleine Explosion in meinem Innern auslöste, und dann landete unsere Gondel unten, und ein Helfer öffnete uns die Tür, sodass wir endlich aussteigen konnten.

Tristan sprang raus, nahm meine Hand und half mir. Mit zittrigen Knien und Beinen wie Wackelpudding stieg ich aus. Der Boden hatte mich wieder! Und als wir ein Stück weit gegangen waren, wobei er meine Hand keine Sekunde losließ, und uns durch die Massen gekämpft hatten, sah er mich schließlich mit lachenden Augen an. Wir hielten inne an einem Fleck, an dem es nicht ganz so voll war.

»Habe ich es dir nicht gesagt, wir überleben es.«

Ich lachte nun auch, vor Erleichterung, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Und weil wir nicht abgestürzt waren.

»Man muss in solchen Situationen einfach cool bleiben«, erklärte er und zog mich dann wieder hinter sich her durch die Menge. Wow, er ließ meine Hand selbst jetzt nicht los. Als wollte er mich nicht verlieren.

Die meisten Leute waren nun am Hafen, um die ankommenden Schiffe zu bewundern. Wir verschwanden in die entgegengesetzte Richtung.

Auf der Bahnhofsbrücke hielten wir kurz inne.

Mir war klar, das war der Moment! Ich durfte jetzt nicht kneifen. Sonst sagte ich es womöglich nie und würde es immer bereuen!

»Hannah?«, wunderte er sich, weil ich wohl so ein nachdenkliches Gesicht machte.

Ich überlegte, wie ich es ansprechen sollte. Ehrlich gesagt hatte ich so etwas noch nie zuvor gemacht.

»Ich ... ähm ...« Wie fing man so was nur an?

»Die Zuckerwatte?«, fiel es ihm plötzlich ein.

»Was?«, fragte ich durcheinander.

Er deutete zu einem Stand in der Nähe. »Die habe ich dir doch versprochen. Außerdem haben wir uns das verdient, komm mit.«

Schon ging er wieder los, zurück zur Mittelmole, und wieder nahm er meine Hand. Mein Gesicht glühte vor Aufregung.

Als wir kurz darauf an dem Zuckerwattestand standen und Tristan mir eine der Leckereien ausgab, meinte er ganz nebenbei: »Mein Herz rast selbst jetzt noch.«

Er sollte erst mal meins fühlen, das überschlug sich inzwischen. Er drückte mir einen Stiel mit Zuckerwatte in die Hand.

Ich zupfte nervös mit den Lippen an der fluffigen süßen Watte.

»Alles okay, Hannah? Du bist so still.«

Jetzt oder nie, dachte ich.

»Hast du noch etwas Zeit? Kann ich ... mal mit dir reden?«

»Klar, ich muss erst in einer Stunde in der Fischerei sein. Worum geht's?« Er nahm seine Zuckerwatte vom Verkäufer entgegen, bezahlte und sah mich neugierig an.

»Nicht hier«, entschied ich. »Lass uns irgendwo hingehen, wo wir ungestört sind.«

Er überlegte einen Moment und schnippte dann mit dem Finger. »Der Souvenirladen meiner Großtante Irmgard ist hier in der Nähe. Wir setzen uns in ihren gemütlichen Hof, trinken Limo und reden ganz in Ruhe, worüber du willst.«

»Ich wusste gar nicht, dass du eine Großtante hast.«

»Du kennst sie nicht. Sie ist nur selten bei uns zu Besuch in Hohe Düne gewesen. Eigentlich nur zu Familienfesten. Mein Vater und sie stehen seit jeher auf Kriegsfuß, weil sie sich seiner Meinung nach zu sehr ins Geschäft einmischt. Na ja, sie und mein Großvater haben die Nawrath Fischerei immerhin auch gegründet. Daher kann man es verstehen, dass ihr der Laden am Herzen liegt. Aber Irmgard ist cool, du wirst sie mögen.«

Ich nickte, das klang gut.

Tristan führte mich über die Brücke zur Touristenmeile, die parallel zum Kanal verlief, und von dort in ein Straßenwirrwarr entzückender kleiner Gassen, die ich, obwohl gebürtige Rostockerin, gar nicht kannte, bis wir durch einen Torbogen in eine blühende kleine Einkaufspassage kamen, die wie aus einer anderen Zeit wirkte. Kopfsteinpflaster, krumme bunte Häuschen und lauter kleine Lädchen mit riesigen Schaufenstern.

»Willkommen im Sanddornweg«, sagte Tristan, und ich konnte mich kaum sattsehen an diesem entzückenden Örtchen, über dem etwas Magisches lag und in dem es nach Sommer duftete.

Er brachte mich zu einem der Geschäfte, in dessen Auslage ich aberwitzigen Klimbim entdeckte, Flaschenschiffe, alte Postkarten, Türme aus Messing und Schneekugeln, bunte Muscheln und allerlei Krimskrams. Ein bisschen wie ein Kramerladen, nur mit Souvenirs.

Er drückte die Tür auf, und wir betraten das Geschäft, hinter dem Tresen kam eine Frau, die sogar noch kleiner war als ich, hervor mit einem Anker-Tattoo am Unterarm, herzlich drückte sie Tristan an sich.

»Moin, Lütter, mit dir Leichtmatrosen hab ich ja gar nicht gerechnet, lässt dich ja kaum blicken!«, sagte sie mit rauer Stimme und einem noch raueren Lachen. Sie kam mir vor wie eine echte Seebärin. Irgendwie beinhart, aber gleichzeitig herzlich. Gut möglich, dass ich sie doch schon mal in unserer Straße in Hohe Düne gesehen hatte. Aber das musste Jahre her und ich noch ein Kind gewesen sein. Jedenfalls hatten wir zuvor nie Kontakt gehabt, dennoch war da etwas Vertrautes in ihrem Blick.

»Hallo, Tante Irmgard. Können wir es uns in deinem Hof gemütlich machen? Meine Freundin Hannah und ich wollen was besprechen? Ist was Wichtiges.«

Dass er mich Freundin genannt hatte, brachte meine Wangen prompt zum Glühen. Eigentlich war mir klar, dass er es nicht so meinte, wie ich es gerne verstanden hätte. Aber seine Tante Irmgard wusste das ja nicht. Und so musste es für sie geklungen haben, als wären er und ich zusammen.

Irmgard musterte mich auch schon, ein gütiges Lächeln lag in ihren Augen. »Das glaub ich dir, Lütter. Na dann ab mit euch!« Sie gab ihm einen Klaps auf die Schulter und strahlte zugleich, als hätten wir gerade unsere Verlobung bekannt gegeben. Meine Wangen glühten vor Aufregung nur noch mehr, und ich war mir sicher, mein Gesicht sah nun aus wie eine reife Tomate.

»Hier entlang«, sagte Tristan und führte mich durch die Hintertür in einen kleinen, blühenden Hof, den mehrere Häuser bildeten. An Irmgards Haus standen ein Tischchen und Klappstühle. Wir setzten uns hin, und ich wurde zusehends nervöser. Ich war so aufgeregt, dass ich schweißnasse Hände bekam und nicht aufhören konnte, die süße Watte in mich zu stopfen, bis nur noch der Stiel übrig war.

»Also, was ist das Geheimnis?«, fragte er.

»Ge... Geheimnis?«, stammelte ich.

»Na, du machst ja eins draus. Immerhin mussten wir extra herkommen, damit niemand es hört«, sagte er lachend.

»Jetzt nimm das bitte ernst«, meinte ich.

»Tu ich doch.« Sein Grinsen sagte was anderes.

War vielleicht eine dumme Idee gewesen, ihm von meinen Gefühlen erzählen zu wollen. Ich konnte mich doch nur lächerlich machen, oder? Wie kam ich da jetzt raus?

»Also, was ist?«

»Ach ... nichts, vergiss es gleich wieder.«

»So leicht kommst du mir nicht davon, ich will es jetzt wissen.«

Ich schluckte, er sah mich ernst an. Und wenn er mich so ansah, musste ich einfach nachgeben.

»Also gut ... ich ... vorhin im Rad ... eigentlich schon länger ... total durcheinander.« Ich stammelte irgendetwas Zusammenhangloses, doch für ihn schien es plötzlich Sinn zu ergeben. Ich sah ihm jedenfalls an: Er hatte mich verstanden.

Plötzlich wandte er den Blick ab, es brach mir das Herz. Mit der Hand fuhr er sich über die Stirn. Irgendwie war alles jetzt nur noch schlimmer. Das war nicht die Reaktion, die ich mir erhofft hatte.

Ich wollte am liebsten weg. Aber das tat ich immer. Immer, wenn es brenzlig wurde, nahm ich die Beine in die Hand. Doch dann sah er mich mit einem Mal wieder an, ganz sanft, was mich beruhigte.

»Ich mag dich sehr, Hannah, das weißt du sicher.«

Erneut nicht die Reaktion, auf die ich gehofft hatte, aber immerhin lachte er nicht.

Ich nickte, ahnte, worauf es hinauslief, und mir wurde mulmig.

»Ich habe schon gemerkt, dass sich was verändert hat. Und es ist sehr mutig, mir das zu sagen, ehrlich. Aber ...«

Ich hielt den Atem an, spürte, wie es in meinen Augen brannte. Mein Magen tat nun richtig weh. Ich war für solche Momente nicht geschaffen. Unruhig wippte ich mit den Beinen.

»Wir sind Freunde. Gute Freunde«, betonte er.

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Ich presste die Augen zusammen.

»Du bist mir unglaublich wichtig, Hannah. Ich wäre auch in Zukunft gerne weiter dein guter Freund«, sagte er, und ich nickte. Ich fühlte mich benommen.

Es tat mehr weh, als ich gedacht hätte. Ein Gefühl, als würde mein Herz in tausend Stücke zerspringen.

In dem Moment kam Irmgard mit einem Tablett Getränke nach draußen. Aber Tristan erhob sich bereits. »Ich sollte jetzt gehen, meine Eltern stressen wieder und warten auf mich in der Fischerei«, meinte er. Doch das wollte ich nicht. Er sollte jetzt nicht gehen. Oder doch? Ich hatte das Gefühl, er war auch überfordert. Mir schossen unwillkürlich Tränen in die Augen.

»Ach Hannah ... es tut mir leid ...« Hilflos schaute er zwischen Irmgard und mir hin und her.

»Geh nur, Lütter, ich kümmere mich um die Kleine, wir besprechen das von Frau zu Frau«, hörte ich die raue, doch zugleich warme Stimme Irmgards durch meinen Tränenschleier hindurch. Es schien, als hätte sie die Situation vollumfänglich erfasst. Tristan nickte und ging. Ich wusste ja, dass er im Familienbetrieb mithelfen musste. Trotzdem fühlte es sich an, als würde er mich gerade verlassen, weil ich ihm zu nah gerückt war.

Irmgard setzte sich zu mir, legte ihre Hand auf meine. »Es ist Schiete, das weiß ich, Lütte. Aber wer ins Wasser fällt, muss an Land schwimmen. Da hat man keine Wahl, wenn man nicht ertrinken will.«

Die Art, wie Irmgard sprach, ließ mich trotz des Brennens in den Augen lächeln. Zugleich war mir mehr nach Untergehen als nach an Land schwimmen zumute.

»Ich habe echt gedacht ... da wäre was ...« Vorhin auf dem Riesenrad war alles so klar gewesen, dass ich mir Hoffnungen gemacht hatte. Was hatte ich mir nur eingebildet?

Irmgard rückte mit dem Stuhl auf und drückte mich fürsorglich an ihre Brust.

»Weißt du, Tristan meint es nicht böse, da bin ich sicher.«

»Ich weiß ...« Wenn ich etwas wusste, dann das.

»Jetzt wirste der alten Irmchen nicht glauben, aber es ist wahr, selbst einen gebrochenen Mast kann man reparieren, alles, was es dazu braucht, ist Zeit. Und gut, im Falle des Masts auch das richtige Werkzeug.«

Ich lachte leise. Irmchen war sonderbar, aber ich mochte sie sofort. Und ich wusste auch, dass sie recht hatte. Nur im Moment fühlte ich mich wie vor einem Abgrund.

»Jetzt nimmst du erst mal einen Schluck, und danach suchst du dir was Schönes aus dem Laden aus.«

»Ich glaube nicht, dass mir das hilft ...«

»Wer dem Flusse folgt, kommt einmal an die See. Ein Schritt nach dem anderen. Aber einen Schritt musst du tun.«

Sie reichte mir das Glas. Der frisch gepresste Orangensaft schmeckte köstlich, dann zog sie mich resolut auf die Beine. Dabei fiel mir mein Stiel runter. Irgendwie hatte ich es geschafft, vor Aufregung die ganze Watte aufzuessen, ohne es wirklich zu merken. Ich hob ihn rasch auf und beförderte ihn in einen kleinen Mülleimer, der neben der Tür stand.

»Ich wette, du hast beim Reinkommen gar nicht drauf geachtet, aber in meinen Regalen findet jeder, was er sucht.«

Ich sah die ältere Dame skeptisch an, denn das klang schon ein wenig ›magisch‹; dennoch folgte ich ihr ins Innere des Ladens. Und sie hatte recht, es war ein Schlaraffenland aus Nippes und Klimbim, voller wunderbarer Kuriositäten, wie ich es ja schon beim Hereinkommen gemerkt hatte. Aber wenn man durch diese Gänge aus alten rustikalen Regalen ging, die bis zur Decke hoch reichten und bis oben hin mit all diesen zauberhaften Dingen gefüllt waren, merkte man, dass es hier tatsächlich alles gab. Die einzelnen Regalbretter waren bis zur Rückwand befüllt, eigentlich konnte man gar nicht alles auf einen Blick erspähen, man musste sich Zeit nehmen, damit einem nichts entging.

»Ich habe noch nie erlebt, dass einer mit leeren Händen rausgegangen ist, wenn er sich wirklich richtig umgesehen hat.«

Bestimmt war das nur eine Verkaufsmasche, dachte ich im ersten Moment.

Aber dann entdeckte ich eine wunderschöne, auf alt gemachte Schneekugel, in deren Innern die Ostsee und der alte Leuchtturm vorne an der heutigen Seepromenade abgebildet waren. Die winzigen Figuren hinter dem Glas trugen gestreifte Einteiler-Badeanzüge, wie sie irgendwann mal modern gewesen waren. Aber das war nicht alles. Ein Gefühl von Magie überkam mich. Fast, als wäre das alles nur ein Traum, denn ich erkannte die Schneekugel tatsächlich wieder.

»Meine Oma hatte so eine. Ich erinnere mich genau, sie stand auf ihrem Bücherregal als eine Art Buchstütze. Wenn ich bei ihr übernachtet habe, hat sie immer das Buch neben der Schneekugel herausgezogen und mir daraus vorgelesen.«

Wie konnte es sein, dass es diese Kugel auch hier gab? Es war zwar nicht exakt die gleiche, merkte ich schnell. Aber sie waren sich so ähnlich, dass man sie hätte verwechseln können.

In meiner Erinnerung hörte ich Omas sanfte Stimme, die mir aus den Märchen vorlas, spürte die warme Decke, mit der Oma mich zugedeckt hatte, und ich schmeckte die heiße Milch mit Honig, die sie mir als Kind vor dem Schlafengehen gemacht hatte. Ein wohlig warmes Gefühl breitete sich in mir aus, ließ mich für einen Augenblick vergessen, was heute geschehen war.

»Sie soll dir gehören«, sagte Irmchen mit einem zufriedenen Lächeln und reichte mir diese besondere Schneekugel. »Nimm deine schöne Erinnerung mit dir, Lütte. Denn dazu sind schöne Erinnerungen schließlich da.«

Kapitel 1

Acht Jahre später

Das Molecule Man Monument strahlte im Glanz der Vormittagssonne. Von meinem Platz am Konferenztisch aus konnte ich nur zwei der über drei Meter hohen Männer aus Aluminium sehen, die einander mitten auf der Spree begegneten.

Taisi hatte mir erzählt, dass sie die Grenzen von drei Berliner Bezirken symbolisierten. Seufzend richtete ich meinen Blick auf das schillernde Wasser des Flusses und musste wehmütig an die Ostsee denken. Berlin war schön, keine Frage, aber nicht zu vergleichen mit meiner Heimatstadt Rostock. Ich vermisste den Geschmack von Salz in der Luft, die Möglichkeit, jederzeit an den Strand zu gehen oder sogar ins Wasser springen zu können, jetzt im Sommer umso mehr.

Ich war eben durch und durch ein Ostseekind. Ich liebte lange Spazierhänge an der See, das Licht der Molenfeuer in der Dunkelheit oder das rege Treiben am Hafen. Wie gerne wäre ich wieder dort.

Stattdessen saß ich nun in diesem gläsernen Bürokomplex im obersten Stock und hörte dem Vortrag unseres Projektleiters zu, in dem es darum ging, eine ganze Allee aus Altbauten zu sanieren.

Ich machte mir ein paar Notizen, doch meine Gedanken glitten wieder zur Ostsee.

»Durchhalten, Lütte, es sind doch nur ein paar Monate«, hatte Irmchen mir vor der Abreise Anfang des Semesters gesagt. »Das geht doch alles vorbei, und wenn du mit dem Wind segelst, sogar noch schneller!«

Irmchen hatte natürlich recht.

Ich sollte außerdem froh sein, dass ich dieses Praktikum machen durfte, bei einem der bekanntesten Berliner Bauingenieur-Büros. Das war eine echte Chance. Sollte man zumindest meinen.

»Oder macht dir das keinen Spaß, Lütte?«, hatte Irmchen mich gefragt.

»Doch natürlich«, war meine Antwort gewesen. Aber sie hatte mich daraufhin angesehen, als glaubte sie mir nicht, als hätte sie mich durchschaut, obwohl ich zu dem Zeitpunkt wirklich noch überzeugt gewesen war, dass das genau das Richtige für mich war. Immerhin hatte ich lange darauf hingearbeitet, bereits den Bachelor in der Tasche, und nun saß ich hier. An diesem Ort der großen Chancen.

Aber nach inzwischen vier Monaten zweifelte ich zusehends. Vier Monate, zwei sollten noch folgen, ging es mir durch den Kopf. Mein Studiengang verlangte mir einiges ab, selbst die vorlesungsfreie Zeit war in der Praktikumszeit inbegriffen.

Das Studium selbst hatte bisher vielleicht keinen großen Spaß gemacht, war trocken gewesen, aber das hatte ich hingenommen, für normal gehalten. Nun kannte ich auch den Berufsalltag eines Bauingenieurs. Auch der war trocken. Sicher, wenn jemand für Statik, Bauleitung oder Sanierung brannte, war es genau das Richtige. Ich tat es nicht, wie ich hatte erkennen müssen. Und deswegen zogen sich die letzten Wochen des Praktikums wie geschmackloser Kaugummi.

Ja, womöglich kannte mich Irmchen wirklich besser als ich mich selbst. Sie hatte es wohl vorher längst geahnt.

Nach dem Desaster mit Tristan war zwischen ihm und mir alles anders geworden, denn was auf der Hanse Sail geschehen war, war noch nicht das Ende vom Lied gewesen. Ich hatte damals über kurz oder lang meinen besten Freund verloren. Stattdessen hatte ich Irmchen besser kennengelernt, wir waren, trotz des Altersunterschieds, Freundinnen geworden, die durch dick und dünn gingen. Total schräg eigentlich, immerhin war sie seine Großtante. Wir hatten uns oft zum Plaudern getroffen, oder um ihren berühmten Irmchen-Tee im Hof zu trinken. Ich hatte erst viel später mitbekommen, dass sie da immer einen Schuss Rum hineingab. Außerdem hatte sie mir einen Aushilfsjob in ihrem Souvenirladen gegeben, als ich angefangen hatte zu studieren. Sicher, meine Eltern nagten nicht gerade am Hungertuch, die hätten mir eine Wohnung nahe des Campus in Rostock finanziert. Doch ich wollte lieber auf eigenen Beinen stehen und mich unabhängig machen. Im Souvenirladen von Irmchen im Sanddornweg war mir das geglückt. Übermotivierte Eltern, die Karriere gemacht hatten, konnten manchmal anstrengend sein.

Ich dachte an diese wunderschöne kleine Straße mit ihrem Kopfsteinpflaster, den bewachsenen Hauswänden und den krummen Dächlein. Ich hatte dort einen Platz gefunden, an dem ich mich wirklich wohlfühlte. Bunte Häuschen reihten sich aneinander. Jedes hatte eine Wohnetage und einen Laden darunter, in dem verschiedene Dinge angeboten wurden: eine kleine Boutique, ein Fischbistro, ein Hotel und natürlich auch der Andenkenladen von Irmchen, in den ich mich auf den ersten Blick verliebt hatte.

Dort hatte man mich, die unscheinbare, schüchterne Hannah, aufgenommen, und zum ersten Mal war ich Teil einer Gemeinschaft geworden. Wie anders es hier im Büro war. So distanziert. Alle trugen diese Bürouniformen, auch ich musste immer ein Kostüm tragen, die Haare hochgesteckt. Niemand, so kam es mir vor, durfte er selbst sein. Und alles war grau in grau, nicht so bunt und verrückt wie in Irmchens Laden.

Ich wäre jetzt lieber dort gewesen, würde durch die Regale gehen und sie abstauben oder jemanden beraten, der ein ganz besonderes Andenken an seinen Urlaub suchte.

Genauso wie die Gasse selbst vermisste ich die Menschen, die dort wohnten. Sie waren so anders als meine Kollegen in Berlin. Ich kam mit ihnen aus, verstand mich aber eigentlich nur mit Taisi, der anderen Praktikantin. Sie saß gerade neben mir und rührte sichtlich gelangweilt ihren Kaffee um, wieder und wieder. Ich sah ihr an, wie sie versuchte, aufmerksam zu bleiben, aber das fiel ihr ebenso schwer wie mir.

Herr Wartner war ein Mann, der vieles im Leben erreicht hatte. Deswegen stand er auch an der Spitze des Konferenztisches. Ihm gehörte das Büro, und er redete gerne lang und breit über sich und seine Erfolge, immer mit der unausgesprochenen Verheißung, dass jeder von uns es dorthin schaffen konnte, wo er jetzt war.

Ich wollte nicht dorthin, ich wollte so gerne zurück an meine geliebte Ostsee. Aber gut, den einen Monat, den ich jetzt noch vor mir hatte, würde ich auch noch überstehen. Viel bedeutsamer war die Frage, wie es danach weitergehen sollte. Weiterstudieren? Den Master machen, in einem Bereich, den ich immer weniger mochte? Doch wenn nicht, was stattdessen? In Berlin war mir vieles klar geworden, vor allem, dass ich gar nicht so recht wusste, was ich eigentlich wollte, weil mein Lebensweg immer schon vorausgeplant gewesen war. Meine Eltern hatten schon kurz nach meiner Geburt entschieden, dass ich ins Familiengeschäft einsteigen und eines Tages ihre Büros leiten würde. Und für mich hatte es eigentlich auch nur immer dieses eine Ziel gegeben.

Da klingelte plötzlich mein Handy.

Abrupt richteten sich alle Augen auf mich, und Herr Wartner runzelte überaus unzufrieden die Stirn.

»Entschuldigung«, sagte ich leise. Normalerweise schaltete ich mein Handy immer aus, ich musste es vergessen haben. Rasch zog ich es hervor, um das nachzuholen. Dabei fiel mein Blick aufs Display, auf dem der Name Viola Bartschek angezeigt wurde.

Viola war Irmchens älteste Freundin. Eine sehr rüstige Dame mit einem Herz aus Gold. Gemeinsam mit ihrer Enkelin Lou leitete sie die Strandboutique im Sanddornweg. Es kam mir sofort komisch vor, dass sie mich anrief. Und das ungute Gefühl stieg in mir auf, dass etwas passiert sein musste.

»Darf ich dann fortfahren, Frau Engels?«, fragte mich Herr Wartner scharf.

Erst da merkte ich, dass ich immer noch mein nach wie vor klingelndes Handy anstarrte. In dem Moment hörte es allerdings auf zu bimmeln. Ich steckte es rasch weg und nickte unserem Leiter zu.

»Danke, sehr freundlich«, meinte er ärgerlich und vertiefte sich wieder in das Thema Sanierung alter Fassaden nach neuesten Techniken, der vorsichtigen Abtragung der obersten Schicht und der Anbringung von Wärmedämmungen.

»Alles okay?«, raunte Taisi, die zugleich meine WG-Mitbewohnerin war. Als ich nach Berlin gekommen war, hatte mir die Firma beim Suchen einer Bleibe geholfen und etwas gefunden, das optimalerweise möbliert gewesen war, was mir den Umzug ungemein erleichtert hatte. Meine Rostocker WG hatte ich im Vorfeld gekündigt gehabt, und meine eigenen wenigen Möbel hatte ich bei meinen Eltern im Keller einlagern können. Es ging ja auch nur um ein halbes Jahr, da musste man schließlich keinen Großumzug planen.

Das WG-Leben war ich zudem einigermaßen gewöhnt, seit ich studierte, und solange ich ein eigenes Zimmer hatte, das ich abschließen konnte, war auch eine laute, volle Berliner Bude kein Problem für mich.

Taisi und ich hatten uns nach und nach angefreundet, immerhin arbeiteten wir ja auch miteinander.

War ziemlich praktisch, so konnte ich morgens immer mit ihrem gelben Käfer, den sie Bumble Bee nannte, mitfahren. Und abends nahm sie mich mit zurück.

»Ist alles okay?«, wiederholte Taisi.

»Ich weiß es nicht«, gab ich leise zurück und knabberte nervös an meinem Fingernagel. Am liebsten wollte ich Viola sofort zurückrufen. Ich war mir sicher, da stimmte etwas nicht! »Ich mache mir Sorgen«, offenbarte ich.

»Verzeihung? Möchten Sie uns vielleicht mitteilen, was Sie so Wichtiges zu besprechen haben? Ich gehe davon aus, es hat mit dem aktuellen Projekt zu tun?«, unterbrach uns Herr Wartner erneut.

Taisi und ich zuckten zusammen. Wieder richteten sich alle Augen auf uns.

Ich schüttelte etwas eingeschüchtert den Kopf.

»Wenn es nichts mit dem Projekt zu tun hat, dann verschieben Sie das Geplauder auf die Mittagspause!«

Taisi und ich nickten nur. Heute hatte der Boss wieder schlechte Laune. Aber zugegeben, dazwischenzureden war auch nicht die feine Art. Dennoch ließ mir der Anruf keine Ruhe.

Unauffällig zog ich mein Handy wieder hervor und schaute nach, ob Viola mir eine Textnachricht hinterlassen hatte.

Leider nicht. Auch nichts auf dem AB.

Das machte mich total nervös, ich spürte einfach, dass da was nicht stimmte. Und dieser Vortrag vom Chef würde sicher noch eine Stunde gehen. Er überzog gerne bis in die Mittagszeit. Das würde ich nicht so lange aushalten.

Unruhig kaute ich auf meiner Unterlippe und entschied mich, die Hand zu heben.

»Ja, Frau Engels? Von Ihnen haben wir ja lange nichts gehört.«

»Ich müsste kurz ... an die frische Luft. Es ist was Wichtiges ...« Ich war ein zurückhaltender Mensch, jemand, der nicht viel Widerworte gab, aber wenn es um wirklich bedeutsame Dinge ging, die mit Menschen zu tun hatten, die ich liebte, konnte ich zur Löwin werden. Ich hielt daher seinem energischen Blick stand.

Wartner zog ärgerlich die Brauen zusammen. Er erwartete wohl, dass ich mich wieder hinsetzte, doch das tat ich nicht.

»Na schön, aber beeilen Sie sich«, sagte er tatsächlich.

Ich nickte und ging rasch raus, rief Viola zurück. Meine Hand, in der ich das Mobiltelefon hielt, zitterte unwillkürlich.

»Hannah, Liebes ...«, erklang Violas Stimme.

»Du hast bei mir angerufen? Ich war in einer Besprechung ... ist was passiert?«, sprudelte es aus mir hervor.

Viola hielt hörbar die Luft an, was meine schlimme Vorahnung noch verstärkte.

»Kind, du weißt ja, dass wir uns Anfang des Jahres schlimme Sorgen um Irmchen gemacht haben, weil es ihr ständig schlecht ging. Sie hatte das natürlich runtergespielt, du kennst sie ja, aber schließlich konnten wir sie überzeugen, sich untersuchen zu lassen. Sie war ja dann beim Arzt, und angeblich war auch alles in Ordnung, aber nun ist es schlimmer geworden, und die gute Irmchen ... zusammengebrochen und in der Notaufnahme ...«

Mir fiel fast das Handy aus der Hand.

»Wir haben es auch gerade alle erst erfahren, Liebes. Sie war wohl auf See, als es passiert ist.«

Ja, richtig. Irmchen hatte diesen Sommer noch mal eine große Fahrt machen wollen, mit einem gemieteten Segelboot. Davon hatte sie bereits im Frühjahr geredet. Wer Irmchen kannte, wusste, es gab in ihrem Leben nur eine große Liebe: die See. Früher war sie mit dem Bruder, dessen Sohn die heutige Nawrath Fischerei gehörte, jeden Morgen mit dem Krabbenkutter rausgefahren, bis die Hüfte nicht mehr mitgemacht hatte. Erst da war ihr die Idee zu ihrem Souvenirladen gekommen. Aber das Herz einer Seebärin hatte sie noch heute. Daher hatte ich das auch toll gefunden, dass sie noch mal mit dem Boot hatte rausfahren wollen. Aber was war denn nur passiert?

Ich konnte das gerade alles nicht greifen.

»Wann? Wie ...?«

»Lou und ich sind gerade im Krankenhaus im Wartebereich. Ich halte dich auf dem Laufenden. Wir wissen alle nicht, was mit Irmchen ist. Aber wir hoffen, dass man ihr jetzt hilft.«

»Ich komme sofort nach Rostock!«, erklärte ich entschlossen. Wie hätte ich jetzt bitte einfach weiterarbeiten sollen, wenn es Irmchen schlecht ging? Und Notaufnahme klang ziemlich heikel!

»Natürlich, Liebes, wenn das geht. Wir werden alle füreinander da sein«, sagte Viola.

»Ich melde mich, sobald ich bei euch bin!«, sagte ich entschlossen und legte auf, in dem Moment öffnete sich die Tür des Konferenzraums, und Taisi lugte heraus.

»Kommst du? Alle warten«, sagte sie, doch dann merkte sie, dass ich mit den Tränen kämpfte, und kam eilig auf mich zu. »Hannah? Was ist passiert?«

In meinem Kopf überschlugen sich tausend Gedanken. Ich stand neben mir, hörte mich selbst wie aus der Ferne sagen: »Irmchen ist im Krankenhaus, sie ist zusammengebrochen.«

»O mein Gott, Süße!« Taisi griff nach meiner Hand. Ich war froh, dass sie da war.

»Ich muss nach Rostock.«

In der Zeit vor meinem Praktikum hatte Irmchen gekränkelt, doch der Arzt hatte Entwarnung gegeben. Deswegen war ich auch nach Berlin gegangen. Denn wenn etwas mit Irmchen nicht gestimmt hätte, wäre ich bei ihr geblieben. Das hatte sie natürlich gewusst, und zum ersten Mal kam mir in den Sinn, dass sie mich hatte schützen wollen. Dass sie deswegen nichts gesagt hatte. Ach Irmchen ...

»Natürlich, aber warte kurz, ich kläre das mit Wartner. Dann fahr ich dich zur WG.«

»Wirklich, das willst du für mich tun?«

Taisi lächelte sanft. »Aber sicher. Ich bin gleich wieder da.«

Sie verschwand im Konferenzraum, ich lehnte mich an die Wand. Ein bisschen schwindelig war mir.

Als Taisi kurz darauf wieder herauskam, nickte sie mir zu. »Alles geklärt.«

So schnell? Vielleicht hatte Wartner doch keinen so schlechten Tag ...

Taisi brachte mich mit ihrem Bumble Bee in unsere WG.

Eine typische Berliner Wohngemeinschaft unterschiedlicher Studierender aus unterschiedlichen Ländern, mit denen ich gut zurechtkam, wenngleich die Mieter hier generell schneller wechselten, als ich es in Rostock gewöhnt war. In den paar Monaten, die ich hier war, waren zwei Leute ausgezogen und zwei neue hinzugekommen. Gerade saßen alle plaudernd und lachend im Gemeinschaftsraum, doch als Taisi und ich durch den Raum zu meinem Zimmer mussten, wurden alle ganz still. Man sah mir wohl an, wie es mir ging.

»Ich kümmere mich um Hannah«, versicherte Taisi und schob mich durch die Tür in meinen Raum.

Ich musste mindestens so schrecklich aussehen, wie ich mich fühlte. Und ein kurzer Blick in den Wandspiegel verriet, das war noch untertrieben. Ich war extrem blass, und meine Augen, die von Natur aus recht groß waren, wirkten nun nur noch größer und glasiger. Meine rotbraunen Haare unterstützten den Eindruck von Blässe. Kurzum, ich hätte auch gerade mitten im Dreh von einem Zombiefilm stecken können.

»Setz dich erst mal«, meinte Taisi besorgt. Aber für Ausruhen war doch keine Zeit. Ich wollte nach Rostock, Irmchen brauchte mich.

Ich fing an, meine Sachen zu packen.

»Hannah ...«

»Es geht nicht anders«, sagte ich ärgerlich.

Taisi schien zu verstehen und half mir, sie suchte für mich eine günstige Zugfahrt heraus, die noch heute Abend losging.

»Ich bring dich mit dem Wagen zum Bahnhof, und hier ist noch ein kretischer Tee, nach dem Rezept meiner Oma«, meinte sie irgendwann und stellte mir eine Tasse hin.

»Danke, du bist ein Schatz. Und sorry, wenn ich eben unhöflich war.«

»He, ist doch nur zu verständlich, du stehst unter Druck. Immerhin, Wartner gibt dir ein paar Tage frei, wäre natürlich gut, wenn du ihm auch noch mal mailst oder so. Damit er das alles schriftlich von dir hat.«

Gleich mehrere Tage frei? Wie hatte sie das denn geschafft? Vielleicht war Wartner ja doch etwas mitfühlender, als man annahm. Ich drückte Taisi an mich, sie war einfach großartig!

Kapitel 2

Ich schaute aus dem Fenster des Zuges, wo die Landschaft an mir vorbeirauschte. Es war ein warmer Sommerabend. Der Himmel färbte seine Ausläufer in ein warmes Orange. Ein wunderschöner Anblick, den ich unter anderen Umständen bestimmt genossen hätte.

Inzwischen hatte ich mit meinen Eltern telefoniert, um sie auf den neuesten Stand zu bringen. Da ich in Rostock derzeit keine Unterkunft hatte, hatten sie mir angeboten, bei ihnen für die Dauer meines Aufenthalts unterzukommen.

Ich hatte zugesagt und tippte nun, noch während der Fahrt, eine E-Mail an Wartner mit meinem Handy, in der ich ihn noch einmal persönlich über die Situation aufklärte. Schließlich schickte ich die E-Mail ab und bekam zu meinem Erstaunen rasch eine Antwort.

Alles klar, Hannah. Alles Gute für Sie und Ihre Bekannte, schrieb er.

Das konnte ich auch nur hoffen. Ich rief gleich bei Viola an, um herauszufinden, ob es etwas Neues bezüglich Irmchen gab, doch es ging nur die Mailbox ran. Ich vermutete aber, dass sie sich gemeldet hätte, wenn sie Neuigkeiten gehabt hätte.

Als ich am Hauptbahnhof Rostock ankam, wartete Mutti bereits auf mich und nahm mir gleich die Reisetasche ab. Eine Frau wie Luzia Engels konnte man nicht übersehen. Sie war extrem groß, extrem blond, extrem charismatisch und komplett anders als ich, weswegen ich mich öfter gefragt hatte, ob ich eventuell adoptiert worden war.

»Komm her, meine Kleine, tut mir so leid, was passiert ist«, tröstete auch sie mich und umarmte mich. »Wir fahren gleich nach Hause.«

»Nein, ich muss zuerst ins Krankenhaus. Bitte.« Das war das Wichtigste im Moment.

Mutti nickte.

»Na schön, ich fahr dich hin.«

Mama setzte mich schließlich am Rostocker Klinikum ab. »Ich bringe deine Tasche schon mal heim. Wenn das okay für dich ist.«

Mama war zwar gut mit den Nawraths befreundet, kannte aber Irmchen nur flüchtig. Daher fand ich es völlig in Ordnung, dass sie nicht mit reinkommen wollte. Zumal ich mir vorstellen konnte, dass es im Moment sicher ohnehin recht voll in ihrem Zimmer war.

Ob Tristan wohl da war, ging es mir durch den Kopf. Sicher war auch ihre Familie hergekommen. Aber er lebte jetzt in Wismar, soweit ich es wusste, ging dort auf eine Handelsschule, um sich darauf vorzubereiten, die elterliche Fischerei einmal zu übernehmen.

»Richte bitte gute Besserung von mir aus. Wenn ich dich abholen soll, gib mir bitte per Handy Bescheid«, schlug Mutti vor.

»Mach ich, danke!«

Es war etwas ungewöhnlich, wie zuvorkommend meine Mutter war. So kannte ich sie nicht. Vielleicht lag es daran, dass es hier um einen Notfall ging und ich sichtbar aufgewühlt war.