Das wilde Herz der Lady Gwen - Kerstin Garde - E-Book

Das wilde Herz der Lady Gwen E-Book

Kerstin Garde

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Beschreibung

Liebe und Intrigen im mittelalterlichen England und den schottischen Highlands Lady Gwendolyn of Hemsworthshire ist verzweifelt. Ihr Vater verlangt von ihrer älteren Schwester Margaret, den für seine Grausamkeit bekannten Earl of Fellon zu heiraten, um den Frieden in den englischen Grafschaften zu sichern. Nach dem Krieg der Barone gegen den König ist zwar wieder etwas Ruhe eingekehrt, doch längst ist nicht sicher, wie lange diese wirklich anhalten wird. Gwen möchte ihre geliebte Schwester vor dem Scheusal Fellon bewahren. Sie ersinnt einen Plan, um die Hochzeitsbestrebungen der Grafen zu vereiteln. Doch der Plan misslingt, und schließlich soll Gwen selbst zur Braut des Earls werden – dabei gehört ihr Herz längst einem anderen …

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Seitenzahl: 323

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Die AutorinKerstin Garde ist eine Berliner Autorin. Sie schreibt seit vielen Jahren Geschichten von mutigen Frauen, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und ihre Leidenschaft ausleben, und von Männern, die am stärksten sind, wenn sie Gefühle zeigen.

Das Buch

Liebe und Intrigen im mittelalterlichen England und den schottischen HighlandsLady Gwendolyn of Hemsworthshire ist verzweifelt. Ihr Vater verlangt von ihrer älteren Schwester Margaret, den für seine Grausamkeit bekannten Earl of Fellon zu heiraten, um den Frieden in den englischen Grafschaften zu sichern. Nach dem Krieg der Barone gegen den König ist zwar wieder etwas Ruhe eingekehrt, doch längst ist nicht sicher, wie lange diese wirklich anhalten wird. Gwen möchte ihre geliebte Schwester vor dem Scheusal Fellon bewahren. Sie ersinnt einen Plan, um die Hochzeitsbestrebungen der Grafen zu vereiteln. Doch der Plan misslingt, und schließlich soll Gwen selbst zur Braut des Earls werden – dabei gehört ihr Herz längst einem anderen …

Kerstin Garde

Das wilde Herz der Lady Gwen

Historischer Liebesroman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin März 2018 (1)  © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic®  ISBN 978-3-95818-221-9  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Prolog

Sanft drangen die Sonnenstrahlen durch das dichte Blattwerk und blendeten sie. Gwen schloss die Augen, das warme Gefühl auf ihrer Haut genießend. Sie blieb einen Moment stehen, stützte sich auf ihren Stock und atmete die frische Waldluft ein. Der Geruch von Laub und Wiese stieg ihr angenehm würzig in die Nase. Was für ein herrlicher Tag.

Sie war früh aufgestanden, um den Morgen in voller Pracht zu genießen. Das tat sie nicht oft, aber hin und wieder. In ihrer einfachen Gewandung würde niemand, der zufällig des Weges kam, erahnen, dass sie eine Lady war. Ganz im Gegenteil. Die schlichte Kleidung zeichnete sie als einfache Frau aus, niemand also, der etwas von Wert bei sich hatte, das für einen Dieb interessant sein konnte.

Sie lauschte. Wie schön der Wald am Morgen klang. Die Blätter rauschten sanft im Wind. Raschelten verspielt. Äste knarzten leise. Aus der Ferne erklang ein Zwitschern, die ersten Vögel wurden wach, um ihr Morgenlied anzustimmen. Es war ein Schauspiel, intensiv und lebendig, nicht zu vergleichen mit dem Alltag auf Burg Hemsworth.

Gwen fühlte sich frei. Und ganz leicht. Als könnte sie jeden Moment abheben und davonfliegen. So fühlte sie sich viel zu selten, saß sie doch auf Burg Hemsworth mehr oder weniger in einem goldenen Käfig, war genötigt, sich auf bestimmte Weise zu verhalten und angemessene Kleider mit viel zu engem Korsett zu tragen. Ihr wahres Wesen war nicht das einer Lady, das hatte ihr der Hauslehrer von klein auf gesagt. Zu wild, zu ungestüm, zu dickköpfig.

Gwen war all das in diesem Moment egal. Hier war sie eins mit der Natur. Der Wald war ihr Freund und Beschützer, der ihr erlaubte, so zu sein, wie sie wirklich war. Schon als Kind hatte sie gern hier gespielt, sich nach den anstrengenden Belehrungen des verzweifelten Lehrers im Unterholz versteckt. Sie kannte jeden Stein, jede Wurzel, jeden knorrigen alten Baum im Umkreis von einer Meile. Der Wald war mehr ihr Zuhause als der kalte Steinkoloss, der sich Burg nannte.

In die Melodie des Erwachens mischte sich plötzlich ein qualvoller Laut. Gwen riss erschrocken die Augen auf und blickte sich um. »Hallo?«, rief sie vorsichtig. Niemand antwortete.

Wahrscheinlich war es ein Tier gewesen, das einem anderen zur Beute gefallen war. Gwen schluckte. Auch das gehörte zum Leben des Waldes. Fressen und gefressen werden.

Sie stieß sich mit dem Stock ab und setzte ihren Weg fort. Viel Zeit hatte sie ja nicht, bis zum Frühstück musste sie zurück sein, weil man spätestens dann ihr Verschwinden bemerken würde.

Es dauerte nicht lang, da entdeckte sie ein Beet aus herrlich grünem Moos. Genau das, was sie gesucht hatte! Sie eilte hin zu der Stelle, einem alten Baum mit riesigen Wurzeln, die aus dem Erdreich ragten und übersät waren mit dem wertvollen Gewächs. Dabei zückte sie ihr Messer. Moos, besonders dann, wenn es getrocknet war, eignete sich hervorragend als Wundkompresse. Infektionen konnten so eingedämmt werden. Wer eine schwere Wunde hatte, der musste sie mit Moos verbinden. Das hatte ihr die Heilerin am Hof vor vielen Jahren beigebracht. Damals war Gwens Interesse für Heilkunde und all die nützlichen Kräuter erwacht. Natürlich hatte ihr Vater, als er davon erfahren hatte, ihre Bestrebungen zunichtegemacht. Eine Lady konnte nicht gleichzeitig auch Heilerin sein, das ziemte sich nicht. Gwen hatte das Argument nie verstanden, aber dieser und andere Vorfälle hatten sie zu dem gemacht, was sie heute war: eine Meisterin des Heimlichen und der Verkleidung.

Vorsichtig trennte sie das Moos mit dem Messer vom Wurzelwerk und tat es in den Lederbeutel, den sie mitgebracht hatte. Das Beet war ergiebig. Sie würde damit einen großen Vorrat für die Hofheilerin sammeln können.

Der alte Baum spendete sogar so viele Moosmatten, dass sie nicht alle mitnehmen konnte und später noch einmal zurückkehren müsste.

Nachdem der Beutel gefüllt war, zog sie ihn an den Schnüren zu und hängte ihn über ihre Schulter, als erneut jener seltsame Laut erklang, der ihr die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Ein merkwürdiges Stöhnen, das nicht menschlich schien und unvorstellbar qualvoll klang. Sie ertrug es nicht, wenn jemand litt. Völlig gleich, ob Mensch oder Tier. Und wenn Hilfe gebraucht wurde, war sie zur Stelle.

Gwen folgte entschlossen dem Laut. Er führte sie hinunter zum Bach, und dort entdeckte sie einen Hirsch im Gras. Blutspuren am Boden! Das bedeutete nichts Gutes! Rasch eilte sie zu dem Tier hin, das nur erschöpft den Kopf hob, aber zu schwach war, um die Flucht zu ergreifen. Das prächtige Geweih schien es kaum balancieren zu können, der Kopf sank wieder ins Gras. So ein schönes Tier!

»Ganz ruhig«, flüsterte sie und versuchte, das Vertrauen des Hirsches zu gewinnen. Die Blutspur, die sich über eine weite Fläche erstreckte, verriet, dass er offenbar ein Stück weit gelaufen war. Trotz der Verletzung im Schulterbereich. Dort steckte etwas. Es sah aus wie ein Bolzen, der sich ins Fleisch gebohrt hatte.

Ein Jäger! Es musste ein Jäger in der Nähe sein. Gwen blickte sich furchtsam um. Aber nirgends war ein Mensch zu sehen. Sie waren allein. Sanft legte sie ihren Stock zur Seite und die Hand auf den Kopf des Hirsches, um ihn zu streicheln.

»Ganz ruhig, ich werde dir helfen«, versprach sie. Ihre beruhigende Stimme zeigte Wirkung. Das Tier war zu erschöpft, um zu fliehen. Es hatte kaum eine andere Wahl, als sich seinem Schicksal zu ergeben. Dennoch hatte Gwen das Gefühl, das Tier bringe ihr nach und nach Vertrauen entgegen, denn es ließ sie gewähren.

Gwen beugte sich über die Wunde. Der Bolzen steckte zum Glück nicht tief, was darauf hindeutete, dass der Jäger aus einiger Entfernung geschossen hatte, wodurch die Aufprallwucht geringer ausgefallen war. Außerdem war der Bolzen knapp am Schulterblatt vorbeigegangen, sodass der Hirsch keine Bewegungseinschränkung davontragen würde. Das war überlebenswichtig für ein Beutetier.

Im Gegensatz zu einem Pfeil besaß ein Bolzen, soweit Gwen wusste, keinen Widerhaken. Es würde dennoch nicht leicht werden, ihn zu entfernen. Und es würde dem Tier große Schmerzen bereiten.

Gwen wusste, sie durfte nicht zögern. Sie musste den Bolzen packen und in einem Zug herausziehen. Das war ihre einzige Chance! Auch wenn es noch so grausam klang. Jede Alternative wäre nur noch schlimmer.

»Das wird jetzt wehtun, mein Freund«, sagte sie mitfühlend und brachte sich in Position. Der Hirsch hob nervös den Kopf, als ahnte er, was sie vorhatte. Entschlossen griff sie mit beiden Händen nach dem Teil des Armbrustbolzens, der herausragte.

Fest biss sie die Zähne zusammen und zog ihn mit aller Kraft heraus. Der Hirsch stöhnte auf. Sie hatte nie einen schrecklicheren Laut gehört. Er war erfüllt von Schmerz und Pein und hallte durch den ganzen Wald. Trotz aller Erschöpfung sprang das Tier ruckartig auf und stürzte los, nur um wenige Schritt entfernt erneut zusammenzubrechen.

Gwen stockte der Atem. Ihr Herz raste. Sie hatte dem Tier nicht wehtun wollen, aber es war nötig gewesen, um es von dem Fremdkörper zu befreien. Sie blickte auf ihre zitternde Hand, in der sie den Bolzen hielt. Blut klebte an ihren Fingern. Erschrocken ließ sie das Geschoss zu Boden fallen.

»Verzeih«, flüsterte sie aufgeregt und ging abermals behutsam auf den Hirsch zu. »Es ist alles gut, das Schlimmste hast du schon hinter dir. Ich werde jetzt deine Wunde versorgen. Vertrau mir nur noch ein Mal.«

Der Hirsch machte keine Anstalten, sich zu wehren. Oder er war schlicht zu benommen, um einen weiteren Fluchtversuch zu wagen. In jedem Fall zeigte er keinen Widerstand, was ihr entgegenkam.

Gwen atmete auf. Ganz vorsichtig zog sie eine der Moosmatten aus ihrem Beutel und legte diese mit der grünen Seite nach unten auf die blutende Wunde. Besser wäre es gewesen, das Moos wäre bereits getrocknet. Da es frisch geerntet war, war es noch feucht. Es würde hoffentlich trotzdem seinen Dienst tun.

»Bleib ruhig liegen«, sagte sie und streichelte den Kopf des Tieres, das panische Laute ausstieß. »Ich weiß, es tut weh, aber der Schmerz wird bald vergehen, versprochen.«

Gwen hatte schon immer mit Tieren umzugehen gewusst, sie waren ihr oft lieber als Menschen, weil sie keine Habgier und keinen Hass kannten.

»Ich suche dir jetzt etwas zu fressen«, flüsterte sie und begab sich zum Ufer des Baches, um frisches Gras zu rupfen.

Plötzlich erklangen das Schnauben eines Pferdes und das plätschernde Geräusch von Hufen, die durch Wasser galoppierten. Gwen hob den Kopf und erstarrte.

Ein Mann in schwarzer Lederrüstung ritt auf einem ebenso dunklen Pferd durch den Bach genau auf sie zu. Über seiner Schulter hing eine Armbrust. Das Gesicht war hinter einem finsteren Visier verborgen. Gwen sah niemanden sonst und ging davon aus, dass der Mann allein war. Es handelte sich keinesfalls um einen Jäger ihres Vaters, möglicherweise war er ein Wilderer. Doch die dunkle Erscheinung, bei deren Anblick sich ihr Atem beschleunigte, ließ sie an etwas noch viel Gefährlicheres denken als nur an einen Wilddieb. Der schwarze Ritter! Er musste es sein. In und um Hemsworthshire rankten sich die furchtbarsten Geschichten um ihn.

Gwen kannte die meisten davon. Und sie waren ausschließlich schauerlicher Natur. Die Leute erzählten sich, er hätte einen Gegner mit einem Speer aufgespießt und einem anderen im Zweikampf den Kopf abgerissen. Er kannte keine Gnade, war ein Monster, dessen Gesicht niemand je gesehen hatte. Einige behaupteten gar, er sei nicht menschlich, sondern ein Oger stecke in der dunklen Rüstung. Und wenn sie ihn so sah, hünenhaft auf dem Pferd thronend, erschien ihr dieser Gedanke nicht einmal abwegig.

Aber was machte der Ritter in ihrem Wald?

Sie brauchte einen Moment, ehe sie begriff, dass er es nicht auf sie abgesehen hatte. Er lenkte sein Pferd zu dem Hirsch hin, um zu beenden, was er begonnen hatte!

Gwen dachte nicht länger nach. Ihr Blick glitt zu dem Stock, den sie im Gras hatte liegen lassen. Aber der war zu weit weg. Unerreichbar. Es würde wertvolle Zeit kosten, ihn zu holen. Also rannte sie stattdessen zu dem Hirsch und stellte sich mit ausgebreiteten Armen schützend vor das Tier, am ganzen Körper bebend. Erst Sekunden später realisierte sie, was sie da eigentlich tat. Sie stellte sich todesmutig dem gefürchteten schwarzen Ritter entgegen. Als Frau und ohne Waffe …

Der Ritter fluchte und brachte sein Pferd in letzter Sekunde zum Stehen. Es stand so dicht vor ihr, dass sie den heißen Atem aus den Nüstern auf ihrem Gesicht spürte. Um ein Haar hätte er sie einfach umgeritten. Gwens Herz stolperte vor Aufregung.

»Seid Ihr verrückt? Wer seid Ihr?«, erklang die dunkle Stimme des schwarzen Ritters.

»Ich … ich …« Gwen straffte die Schultern. Fest blickte sie den Ritter an, voller Verachtung. Sie wusste genau, wer er war. Ein Monster in schwarzer Lederrüstung, das niemals zögerte, die Klinge einzusetzen. Wahrscheinlich sogar gegen eine wehrlose Frau!

»Gwen.« Mehr brauchte er nicht über sie zu wissen. »Und Ihr? Was treibt Ihr hier in den Wäldern von Lord Gavin? Außer Hirsche zu jagen, meine ich.«

Der Ritter sprang vom Pferd. Was für ein Hüne! Sie reichte ihm nur bis zur Schulter! Gwen wich zurück, aber da spürte sie auch schon die Hufe des Hirsches an ihren Hacken.

»Was geht es Euch an?«

Sie fing unweigerlich an zu zittern, als sich sein Blick durch das Visier förmlich in ihren bohrte. Es kostete sie all ihre Kraft, ihm ihr zierliches Kinn entgegenzurecken. Aber ein verächtliches Schnauben von ihm genügte, und sie konnte den Blickkontakt nicht länger aufrechterhalten.

»Jetzt geht mir schon aus dem Weg, ich will nichts von Euch.« Er zog die Armbrust von der Schulter. Und Gwen sah rot.

»Das werde ich nicht tun.« Sie funkelte ihn an. Plötzlich war die Angst verschwunden. Wenn es sein musste, konnte Gwen wie eine Löwin für die kämpfen, die sie schützen wollte.

»Ihr wollt die Qualen des Tieres aufrechterhalten?«

»Ich habe es versorgt. Seht selbst. Der Bolzen steckt nicht mehr in der Schulter, und ich habe die Wunde mit Moos verarztet.«

»Ihr seid eine Heilkundige? Dann solltet Ihr wissen, es ist trotzdem nur eine Frage der Zeit, bis das Tier verreckt.«

»Geht es Euch wirklich darum, es zu erlösen? Oder wollt Ihr nur Eure Mordlust stillen?« Gwen erkannte sich selbst kaum wieder. Aber die angespannte Lage stieg ihr zu Kopf. Sie wollte unter keinen Umständen zulassen, dass der Jäger seine Beute erlegte! Völlig gleich, dass der Jäger der gefürchtete schwarze Ritter war! Der Mann, der über Leichen ging, wenn es sein musste, und Schrecken und Grauen in der ganzen Region verbreitete. Ein dunkler Spion des ebenso dunklen Lord William of Fellonshire.

»Ihr seid ein vorlautes Weib! Aber aus Euren Worten schließe ich, dass Ihr wisst, wen Ihr vor Euch habt. Und trotzdem legt Ihr Euch mit mir an.«

Der Ritter griff sein Ross gelassen bei den Zügeln und führte es ein Stück weit weg zur Wiese, um es grasen zu lassen. Dann kehrte er zurück. Und mit jedem Schritt, den er tat, schien die Erde unter seinen Stiefeln zu beben. Aber die Armbrust hatte er nicht mehr in der Hand.

»Ihr seid mutig, das muss ich Euch lassen.« Hörte sie Anerkennung aus seinen Worten? Gwen bildete sich das gewiss nur ein. »Ihr glaubt also, dass es sich erholen wird?« Er deutete zu dem verletzten Wild.

Gwen nickte überrascht. Würde der Ritter einlenken? Das passte nicht zu den Geschichten, die sie über ihn gehört hatte. »Das wird es. Davon bin ich überzeugt.«

»Ich verstehe nicht, warum Ihr Euer Herz an eine Kreatur hängt, die schon bald in den Tiefen des Waldes verschwinden wird, ohne Euch Dank zu schenken. Aber Euer Mut und Eure Entschlossenheit beeindrucken mich. Ich will Euch glauben und Euren Hirsch verschonen.«

Gwen fiel ein Stein vom Herzen. »Ich danke Euch.« Sie meinte es ernst, sie war wirklich sehr dankbar. Der schwarze Ritter hätte sie problemlos zur Seite stoßen können, um an den Hirsch zu gelangen. Er hätte sie sogar beide töten können. Doch nichts dergleichen hatte er getan.

Der Ritter nickte nur. Er sah immer noch furchteinflößend aus. Unnahbar. Für einen kurzen Moment meinte Gwen jedoch ein Paar blauer Augen durch die Schlitze seiner Maske zu erkennen. Und in diesen Augen lag Wehmut. Aber sicher war sie sich nicht, denn er wandte rasch den Kopf ab, als fürchtete er, sie könne etwas entdecken, das sie nicht sehen sollte. Er kehrte zu seinem Pferd zurück und saß auf. »Gehabt Euch wohl, Gwen.«

Gwen hob erstaunt die Hand, während der Ritter sein Pferd antrieb. Wenige Augenblicke später war er in den Tiefen des Waldes verschwunden. Er ließ Gwen mit einem eigenartigen Gefühl zurück. Einerseits war sie erleichtert, die Begegnung hatte sie mehr verschreckt, als sie es selbst gemerkt hatte. Nun, da die Anspannung von ihr fiel, zitterten Hände und Knie nur noch stärker.

Zugleich hatte sie einen Mann gesehen, der zwar dunkel und gefährlich, vielleicht sogar hochmütig war, der sich jedoch auch hinter einem Visier versteckte und nicht halb so grausam schien, wie man es sich in den Dörfern erzählte. Zugleich hatte er ihre Neugierde geweckt. So seltsam es auch klang, trotz der rauen, schroffen Art hatte er ihr Herz berührt, da er Mitgefühl gezeigt und den Hirsch verschont hatte.

Gwen seufzte. Was mochte dem schwarzen Ritter widerfahren sein, dass er zu einem solchen Mann geworden war? Von anderen gefürchtet. Vielleicht sogar verachtet. Widersprüchlich und gefährlich. Sie aber hatte heute eine andere Seite dieses Mannes gesehen. Davon war sie überzeugt.

Der Hirsch röhrte leise und hievte sich auf die spindeldürren Beine. Er konnte stehen. Es ging ihm augenscheinlich besser.

Das Moos blieb auf der Wunde, die Feuchtigkeit sog sich daran fest. Die Verarztung würde wohl einige Tage halten. Bis dahin hatte sich die Wunde hoffentlich geschlossen.

Das Tier humpelte zum Wasser, um zu trinken. Gwen lächelte zufrieden. Es würde sich vollends erholen. Da war sie sich sicher.

Kapitel 1

Ein Jahr später …

Margarets Taschentuch war von Tränen durchtränkt. Die Schwestern saßen an einem Tisch in der kleinen Kemenate und wussten nicht, was sie tun sollten. Die Lage schien aussichtslos. Sie schnürte Gwen die Kehle zu.

»Er ist schrecklich, findet ihr nicht?«, fragte Margaret und schluchzte.

Gwen hielt ihr einen Kelch mit Wasser hin. »Er ist vor allem alt.«

»Das kommt noch erschwerend hinzu. Ich kann nicht verstehen, dass Vater das von mir verlangt.«

Gwen seufzte und warf einen hilflosen Blick zu Eliose, die nur mit den Schultern zuckte. Sie waren alle drei im heiratsfähigen Alter, aber die blonde Margaret war die Älteste. Ihr Vater, Lord Gavin, fürchtete um die Sicherheit in der Region, was ein Nachwirken der folgenschweren Kriege einiger Barone gegen den eigenen König war. Gavin selbst hatte sich zu den Baronen bekannt, weil ihr Vater in König John einen Tyrannen ausgemacht hatte, während die Nachbarregionen ihrem König zugetan gewesen waren. Das alles war jedoch schon zehn Jahre her, und König John war längst tot. Gwen erinnerte sich kaum an diese Zeit. Sie war damals sieben Jahre alt gewesen. Auch heute interessierte sie sich wenig für Politik, daher waren ihr die Entscheidungen ihres Vaters nicht immer einleuchtend.

Nun musste Margaret den Earl of Fellonshire, der als aggressiv und unberechenbar galt, heiraten. Dadurch würden sich die Familien verbinden, insbesondere, wenn sie ihm einen Sohn schenkte. So der Plan!

Stabilität, darum ging es immer wieder. Politische Heiraten, Machtvergrößerung, Sicherheit. Was Margaret davon hielt, war nebensächlich. Die Sache war beschlossen, und Margarets Widerstand hatte ihren Vater nicht erweicht. Er blieb bei seinem Vorhaben. Es sei zum Besten aller.

»Er fürchtet eine Blutfehde, weil der Earl of Fellonshire verrückt sein soll«, flüsterte Eliose.

»Wir haben doch jetzt die Magna Carta, die unsere Rechte als Aristokraten stärkt«, warf Gwen ein.

»Ja, gegenüber dem König. Eine Fehde wäre Fellon zuzutrauen. Er wartet vielleicht nur auf einen günstigen Moment«, sagte Margaret und ließ verzweifelt den Kopf hängen. »Ein Mann, der seine eigenen Leute bedroht, wenn sie nicht spuren, nimmt keine Rücksicht auf die Menschen der Nachbarregionen.«

»Ich kann ihn jetzt schon nicht leiden. Ein hässlicher Kauz! Graue Haare hat er auch«, sagte Eliose.

Gwen lachte. »Das stimmt. Das sagen alle. Hässlich, alt. Und ein unangenehmer Mensch ohne Moral.« Das machte die Sache natürlich nicht besser. »Er wird sicher oft auf Reisen sein. Du wirst ihn selten sehen.«

Margaret flossen die Tränen in Sturzbächen über die Wangen. »Ich habe mir immer eine Familie gewünscht. Kinder. Und einen Mann, den ich liebe, zu dem ich aufblicken kann. Genau wie Mutter. Aber der Earl …« Sie schüttelte sich.

Gwen fühlte mit ihrer Schwester. Allein die Vorstellung, sich zu einem Mann wie Fellon ins eheliche Bett zu legen, ließ sie schaudern. So etwas hatte niemand verdient! Und es war nicht einzusehen, dass Margaret dieses Opfer bringen sollte!

»Noch ist nicht aller Tage Abend. Ich lasse mir etwas einfallen. Du wirst ihn nicht heiraten!«, rief Gwen entschlossen. Ihre beiden Schwestern schauten sie überrascht an.

»Wie willst du das verhindern?«, fragte die dunkelhaarige Eliose, die ihre wilde Mähne zu einem Zopf gebunden hatte.

»Ich weiß noch nicht wie, aber ich lasse mir etwas einfallen. Du hast mein Wort darauf, Margaret. Du wirst einen Mann finden, den du liebst und der deine Gefühle erwidert.«

»Ich wünschte, ich könnte dir glauben, Gwen.«

»Das kannst du. Ich habe schon ganz andere Dinge zustande gebracht.« Wenn sich Gwen etwas in den Kopf setzte, führte sie es auch durch. Niemand hatte einen dickeren Schädel als sie. Auch der Earl of Fellonshire und ihr eigener Vater nicht.

»Wir könnten ihn vergiften, wenn er nach Hemsworthshire kommt«, schlug Eliose vor.

Margaret erschrak so sehr, dass sie zusammenzuckte. »Den Earl ermorden? O du meine Güte. Der schwarze Ritter würde ihn rächen. Wisst ihr, was das bedeutet?«

Gwens Herz schlug schneller, als Margaret den schwarzen Ritter erwähnte. Sie hatte ihre Begegnung mit ihm nie vergessen. Gwen war sich sicher, dass er nicht so schlecht war wie sein Ruf. Aber die Gefahr, dass er seinen Herrn rächte, wenn diesem etwas zustieße, war natürlich groß.

»Er würde Haus und Hof mit seiner schwarzen Klinge niederreißen. Niemand würde entkommen. Den Earl zu vergiften, ist keine Option.«

»Es war auch nur ein Scherz, Margaret. Beruhige dich. Das musst du mir glauben.«

»Schon gut, Eliose.«

»Wir müssen es subtiler angehen. Ihn dazu bringen, dass er dich nicht mehr will«, fiel Gwen ein.

Margaret und Eliose blickten sie erstaunt an.

»Meint ihr nicht? Der Mann ist heiratswillig und in hoher Position. Er kann es sich aussuchen, wen er ehelicht. Und wenn die Auserwählte ein Biest ist, warum sollte er an der Abmachung festhalten?«

»Aber das würde die Vereinbarung mit Vater gefährden«, erinnerte sie Margaret. »Es geht doch um die Stabilität in der Region.«

»Wohl wahr. Sie müssen eben eine andere Einigung finden.«

Margaret senkte den Kopf. »Und wenn sie das nicht tun? Was dann?«

»Es gibt immer einen Ausweg, das soll deine Sorge jetzt nicht sein«, beharrte Gwen.

»Also schön. Nur angenommen, ich würde also deinen Rat beherzigen, um der Heirat zu entgehen, Gwen. Was muss ich dann tun?«

»Das ist der spaßige Teil an der Sache. Du müsstest ihm gehörig auf die Nerven gehen. Wenn er ein sanftes Weib erwartet, sei widerspenstig. Widersprich immer und überall, mach ihm klar, dass du ihm nicht nach dem Mund redest, wie er es wahrscheinlich gewöhnt ist. Pflege deine Haare nicht, lass sie offen, und wähle die furchtbarsten Kleider. Keines der Guten aus Samt und mit Borte. Nimm die, die getragen aussehen.«

Margaret lachte. »Du hast wirklich Einfälle, Gwen.«

»Ich bin mir sicher, der Earl hat gewisse Ansprüche an seine künftige Braut.«

»Richtig, und wenn du die nicht erfüllst…«, sagte Eliose.

»…wird er dich nicht mehr wollen«, vollendete Gwen den Satz der mittleren Schwester. »Daraus kann er auch weder dir noch unserem Vater einen Vorwurf machen. Im Gegenteil, er würde sich rechtfertigen müssen, warum er es ist, der die Vereinbarung bricht. Da ist eine Wiedergutmachung von seiner Seite fällig.«

»In der Tat, so drehen wir den Spieß einfach um«, freute sich Eliose.

»Wir müssen uns genau überlegen, was ihm missfallen könnte. Schmutzige Fingernägel«, überlegte Gwen.

»Augenringe!« Eliose verdrehte ihre eigenen Augen und schnitt eine Grimasse.

»Wir machen ihm klar, dass du eine furchtbare Ehefrau wärst. Eine, die Ansprüche hat und unentwegt plaudert. Die richtig viel Geld kostet, weil sie ständig neues Geschmeide wünscht. Und die er nur mit der Kneifzange anfassen würde.« Gwen kicherte.

»Das klingt gut, aber wie willst du das hinbekommen? Man hat schon oft gesagt, dass Margaret sehr hübsch ist.« Eliose hatte nicht unrecht. Margaret war tatsächlich äußerst ansehnlich. Ein jeder, der sie sah, war sofort von ihr verzaubert. Sie sagten, sie sähe aus wie Brianna, ihre Mutter. Und ihre Mutter war eine der schönsten Frauen, die Gwen jemals gesehen hatte. Dem Earl würde es kaum anders gehen als all jenen, die Margaret zum ersten Mal sahen. »Sie sieht aus wie ein Engel«, sagten die Leute. »So schön wie der Sonnenschein am Sommermorgen.«

Selbst wenn sie die Haare wirr frisierte. Schönheit ließ sich schwer verbergen. Es war aber auch nicht gänzlich unmöglich, man musste nur wissen, wie …

»Lass mich nur machen, Margaret. Ich habe schon eine Idee.« Gwen zwinkerte amüsiert ihren Schwestern zu. Wenn der Earl in wenigen Tagen auf Burg Hemsworth eintraf, würde er sein blaues Wunder erleben. Gwen freute sich schon auf sein verblüfftes Gesicht, wenn er die weit über Hemsworthshire hinaus bekannte »Schönheit« sehen würde, die plötzlich gar nicht mehr so schön war.

Und am Ende des Tages würde er froh sein, so bald wie möglich die Heimreise wieder antreten zu können!

***

Vom Bergfried aus hatte man einen guten Überblick über das Geschehen. Der Earl of Fellonshire und seine Männer hielten auf die Brücke zu. Sein Banner hoch erhoben. Roter Grund, goldener Drache. Welch passendes Symbol.

»Jetzt lass mich mal ran«, rief Eliose und stieß Gwen spielerisch von der Kiste, auf die die sich gestellt hatte, um besser sehen zu können.

»Kannst du sie schon erkennen?«, fragte Margaret, die nervös auf und ab lief. Sie trug das scheußlichste Kleid, das Gwen hatte auftreiben können. Sie hatte es einer Magd, die in anderen Umständen und eigentlich schon längst dem Gewand entwachsen war, für zwei Schleifen und ein paar Taler abgeknüpft. Es sah an Margaret furchtbar aus, und es roch auch nicht eben gut. Ein gewöhnlicher Fetzen, an einigen Stellen zerrissen. Kein Augenschmaus für den Earl.

»Ja, sie sind schon nah genug und erreichen gleich die Brücke. Da ist auch der schwarze Ritter.«

»Der schwarze Ritter?« Gwen hatte ihn gar nicht gesehen. Er kam also wirklich! In der vergangenen Nacht hatte sie vor allem an ihn denken müssen. Nicht an Margaret und ihr scheußliches Kleid und schon gar nicht an Lord William of Fellonshire. Sie hatte sich gefragt, ob er kommen, ob er sie wiederkennen würde und was geschah, wenn das passierte.

»Aber ja, wenn ich es dir sage. Er sieht wirklich gefährlich aus.«

»Lass mich auch noch mal sehen.«

»Nichts da! Du warst doch gerade dran.« Eliose wollte ihren Platz nicht aufgeben. »Außerdem bekommst du Sir Richard of Morland sicher noch zu Gesicht, er ist immerhin die rechte Hand von Fellon. Ich bin mir nur nicht sicher, ob du überhaupt seine Bekanntschaft machen willst.« Eliose kicherte.

»Warum denn nicht?« Wenn ihre mittlere Schwester wüsste, dass sie dem Ritter vor gut einem Jahr schon mal begegnet war, sie würde es wohl kaum glauben. Aber das blieb Gwens Geheimnis.

»Du weißt doch, was man sich in den Dörfern über ihn erzählt.«

»Dass er Leute aufspießt?«

»Nicht nur das. Er kennt keine Gnade. Selbst vor Kindern macht er nicht halt. Er soll zwei Mädchen und einen Buben in den Brunnen geworfen haben, wo sie jämmerlich ertranken. Alles nur, weil die Eltern die Steuer nicht entrichten konnten.«

Gwen glaubte Eliose kein Wort. Sie wusste sehr wohl, dass der Ritter Gnade kannte. Er hatte ihren Hirsch verschont. Und auch sie.

»Und weißt du auch, warum er immer diese Maske trägt?«

»Lass mich raten, weil er in Wahrheit ein Oger ist?«

»Ganz genau, Gwen. Ganz genau!«

Gwen lachte. Eliose hatte vielleicht eine Fantasie. Aber sie konnte es ihrer mittleren Schwester nicht verübeln. Hätte Gwen nicht seine traurigen Augen durch die Augenschlitze gesehen, sie würde die Oger-Theorie wohl selbst glauben.

»Jetzt wird die Brücke heruntergelassen.« Gwen hörte und spürte es, denn der Boden fing an zu vibrieren. Ein einziges Knattern und Ächzen, das die ganze Burg erschütterte.

»Mir wird ganz schlecht.« Margaret musste sich hinsetzen.

»Weil die Zugbrücke runtergelassen wird?«, hakte Eliose nach.

»Natürlich nicht deswegen. Sondern weil ER hier ist.«

»Nur Mut, das wird schon alles klappen. Denk an unseren Plan«, sprach Gwen ihr Mut zu.

»Dein Wort in Gottes Ohr.«

»So wie du in dem Fetzen aussiehst, wird er bestimmt bald Reißaus nehmen«, prophezeite Gwen und zog die kleine Dose hervor, die sie in ihrem Lederbeutel mit sich geführt hatte.

»Was ist das denn?«

»Holzkohle. Das heißt, die Asche. Los jetzt, tunk deine Finger hier rein. Wir wollen deine Nägel etwas verschönern.« Sie öffnete die Dose, und Margaret folgte seufzend ihrer Anweisung. Als sie die Finger aus der Dose zog, hatte sich ein unschöner Rand rings um ihr Nagelbett gebildet.

»Und das soll den Earl verschrecken? Solche Finger hat jede zweite Bauersfrau. Ich bin sicher, dass er sie deswegen nicht verschmähen würde«, sagte Eliose, die ihren Fensterplatz aufgegeben hatte. Gwen nutzte die Chance, um selbst noch einen Blick auf die Reisenden zu werfen, inzwischen waren sie im Innenhof angekommen.

Dort saß auch er hoch zu Ross. Der schwarze Ritter, dessen blaue Augen ihr nicht mehr aus dem Kopf gingen. Er befand sich an der Seite seines Herrn, dem Earl of Fellonshire, der tatsächlich graue Haare hatte und nicht eben das Abbild eines Adonis war. Hinzu kamen zehn Mann in Wachrüstungen, die nicht freundlicher wirkten. Gwen konnte ihre älteste Schwester nur zu gut verstehen. Weder Fellon noch seine Leute machten einen sympathischen Eindruck.

Doch ihr Blick glitt ohnehin immer wieder zu Sir Richard, dem schwarzen Ritter. Wie er wohl unter dieser Maske aussah, die zu seinem ledernen Helm gehörte? Angeblich hatte er sein Gesicht noch nie jemandem gezeigt. Doch Gwen meinte zu erkennen, dass schwarze lange Haare unter dem Helm hervorlugten und wie dunkles Wasser über seine Schultern flossen.

»Das ist doch nicht alles. Es geht um den Gesamteindruck«, sagte Gwen und drehte sich wieder zu ihren Schwestern um. »Das haben wir doch mehr als einmal besprochen. Margaret ist nicht nur weniger schön, als man sich landauf und landab erzählt, sie ist außerdem eine schwierige Braut.«

Es widersprach Margarets eigentlicher Natur. Sie war überaus sensibel und anpassungsfähig. Nun die Widerspenstige zu mimen, würde ihr nicht leichtfallen, das wusste auch Gwen. Aber die hatte mehr als nur einen Trumpf im Ärmel.

»Proben wir es noch einmal«, schlug Gwen vor und streckte die Brust heraus. In männlicher Manier stolzierte sie durch das kleine Turmzimmer. »Ich bin der Earl of Fellonshire! Und ich begehre Eure Hand, werte Margaret of Hemsworthshire.«

»Das … ist doch … albern«, stammelte Margaret, aber Gwen hielt ihr frech die Hand hin. »Kommt mit mir nach Fellonshire! Ich werde Euch zu einer glücklichen Frau machen.« Sie zwinkerte ihrer älteren Schwester zu. Eliose kicherte.

»Ich … kann das einfach nicht«, sagte Margaret und war erneut den Tränen nahe.

»Du musst ihm jetzt erklären, dass du Ansprüche hast. An ihn als deinen künftigen Ehemann. Und natürlich an das Leben auf der Burg«, erinnerte Eliose an den Plan.

»Das ist sehr wichtig. Damit er gleich merkt, dass du ein Biest bist«, stimmte Gwen zu.

»Aber ein Biest … ich dachte, ich wäre nur anspruchsvoll.«

»Die meisten Männer empfinden das bereits als biestig«, klärte Gwen sie auf. Als hätte sie Erfahrung in solchen Dingen, was natürlich nicht der Fall war. Gwens einziger männlicher Freund war Edwin, der Stallbursche, der noch dazu ein Jahr jünger war und oft sehr kindlich anmutete.

Sie hielt weiterhin die Hand vor Margaret hin. »Also, folgt mir nach Fellonshire, werte Margaret.«

»Du klingst viel zu höflich für den Earl«, überlegte Eliose. »Kein Wunder, dass Margaret nicht richtig darauf reagiert. Er verhält sich in Wirklichkeit doch ganz anders.«

»Nicht, wenn er noch hier bei uns am Hof ist. Er muss doch einen guten Eindruck bei Vater und Margaret hinterlassen. Erst wenn sie auf Burg Fellon ist, wird er sein wahres Gesicht zeigen«, wusste Gwen zu berichten.

»Das macht mir richtig Angst«, hauchte Margaret und zitterte.

»Deswegen musst du mitspielen. Wenn du keinen Widerstand leistest, ist es besiegelt. Und das willst du doch nicht, oder?«

»Nein, nein natürlich nicht, Gwen.«

»Also … wie lautet dein Text?«

»Ich … werde Euch folgen, Earl, aber … ich habe auch einige Forderungen. Drei meiner Zofen werden mich begleiten. Sie sollen auf Burg Fellon versorgt werden wie jeder andere Bedienstete auch. Außerdem brauche ich zwei Eurer Diener, die meine Gewandungen und anderen Wertgegenstände, die ich mit nach Fellonshire nehmen werde, für mich tragen.«

»Gut, das ist schon ein wenig anspruchsvoll«, motivierte Gwen ihre Schwester. Obgleich Margaret noch immer viel zu zahm wirkte. Sie brauchte mehr Feuer. Andernfalls würde Fellon womöglich einfach den Bedingungen zustimmen, und sie hätten ein ernstes Problem.

»Ich liebe Gold! Und Edelsteine! Ihr werdet doch wohl reichlich davon besitzen? Ich will sie tragen. Und sie sollen mir gehören. Denn als Eure künftige Frau steht es mir doch zu, den Schmuck von Fellonshire als Lady Fellon zu tragen.«

Gwen wiegte den Kopf hin und her. Das waren gute Ansätze. Margaret spielte ihre Rolle sogar besser als die Male zuvor. Doch sie schaffte es einfach nicht, irgendwie unangenehm zu wirken. Ihre Forderungen klangen eher wie Bitten, die auch noch gut begründet wurden. Gwen sah keinen Anhaltspunkt, warum der Earl irgendeine ihrer Forderungen ernstlich ablehnen sollte.

»Ihr riecht ein wenig streng, Mylady«, sagte Gwen im tiefen Brustton der Überzeugung. »Ihr habt wohl auf Burg Hemsworth nicht viel Gelegenheit, ein Bad zu nehmen? Das wird sich ändern, wenn Ihr erst bei mir eingezogen seid. Ich verspreche Euch ein eigenes Bad.«

»Das ist aber wirklich großzügig.« Eliose schaute ernst, als sie das sagte.

»Es soll nicht großzügig sein. Ich will auf etwas anderes hinaus.«

»Ich … bade nicht gern«, reagierte Margaret geschickt. »Allerhöchstens ein Mal im Monat. Das Wasser schadet meiner zarten Haut, Ihr versteht? Mit dem Geruch müsst Ihr wohl leben, werter Earl.«

»Das ist schon sehr gut«, lobte Gwen den Einfall von Margaret. Endlich schien sie zu verstehen, worum es ging.

»Ich habe die Küche beauftragt, viel Spinat zuzubereiten. Den stopfst du in dich. Vergiss nicht: viel essen und lächeln, damit er den Spinat zwischen deinen Zähnen immer wieder im Blick hat.«

»Ja, ja, viel essen, damit er glaubt, ich verursache viele Kosten«, wiederholte Margaret mantraartig.

»Und denk auch daran, die Luft oft entweichen zu lassen.«

»W…was?«

»Gwen meint einen Pups.«

»Ich weiß, was sie meint, Eliose … aber ich kann doch nicht … bei Tisch …«

»Männer machen das doch auch.« Gwen zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß nicht, in welchen Kreisen sie das tun, aber das … das geht nun wirklich zu weit.« Margaret sträubte sich sichtlich und schüttelte immer wieder den Kopf.

Da klopfte es an der Tür, und die drei Schwestern zuckten erschrocken zusammen. »Lady Margaret? Seid Ihr so weit?«, erklang Emmas Stimme. Mit einem Knarren ging die Tür auf, und ihr Kopf lugte puterrot herein. »Ihr werdet im großen Saal erwartet.«

»Ist der Earl … schon dort?«

Emma nickte. Sie wusste wohl, wie unglücklich Margaret war. Ihr Gesicht sah nicht eben glücklicher aus.

»Ihr werdet erwartet.«

»Sagt … den Herrschaften, dass ich gleich dort sein werde.« Margarets Stimme zitterte jetzt sogar noch mehr.

Emma zögerte, für einen Moment sah es aus, als wollte sie hereinkommen, um Margaret zu trösten. In all den Jahren war sie zu einer Art Mutterersatz für die Schwestern geworden. Keine schlaflose Nacht, in der Emma nicht einer der jungen Frauen beigestanden hätte.

Aber dann wurde ihr wohl gewahr, dass sie besser die Botschaft von Margaret an Fellon und Lord Gavin weiterleitete. Denn es ziemte sich nicht, die hohen Herrschaften im Unklaren oder länger warten zu lassen. Emma machte sich also auf den Weg, und die Schwestern blieben stillschweigend zurück. Keine von ihnen rührte sich. Gwen meinte sogar, sie könne das Herzklopfen von Margaret und Eliose hören, weil es gespenstisch ruhig war. Schließlich erhob sich Margaret. Nervös knetete sie ihre Hände. »Ich … ich kann … das einfach nicht«, sagte sie aufgeregt und musste sich gleich wieder hinsetzen, weil ihr offenbar schwindelig wurde. Rasch fächelte sie sich mit einer Hand frische Luft zu.

»Du musst dich ihm stellen. Denk einfach daran, was wir besprochen haben. Dann wird er es sich zwei Mal überlegen, ob er wirklich heiraten will«, versicherte Gwen.

»Aber … wenn ich nun … kein Wort herausbekomme … dann war doch alles umsonst. Und er wird denken, dass ich sogar eine gute Ehefrau bin … die alles für ihn tut.« Sie atmete immer schneller.

»Margaret, ganz ruhig. Wir sind doch bei dir«, sagte Eliose. »Verlass dich auf uns. Wir unterstützen dich. Und falls dir nichts einfällt, uns tut es das bestimmt.«

»Richtig. Zur Not erzähle ich dem Earl persönlich, dass du Männer mit Bart verabscheust und er sich von seinem wohl wird trennen müssen.« Gwen lachte leise. Es gab gewiss viele Dinge, die an Lord Fellon auszusetzen wären. Schließlich galt er nicht gerade als Adonis. Und jede kleine Spitze würde ihn von seinem Vorhaben, Margaret mit nach Fellonshire zu nehmen, abbringen. Wichtig war nur, dass sie alle Register zogen.

Doch im Augenblick schien es eher, als würde der ganze Plan scheitern. Margaret war blass und blickte ängstlich um sich. Und allmählich sickerte auch zu Gwen durch, dass sie vor Fellon nicht bestehen würde.

»Ich kann nicht zu ihm. Nicht jetzt.« Margaret schluchzte und vergrub das Gesicht in den Händen. »Und auch zu keinem anderen Zeitpunkt. Ich hasse ihn. Ich will … ihn jetzt nicht … sehen.«

Gwen und Eliose tauschten Blicke aus. Die mittlere der Schwestern dachte wohl dasselbe wie Gwen. Margaret durfte so unter keinen Umständen vor den Earl treten. Er durfte nicht sehen, dass sie im Grunde genau die Art Ehefrau war, die er sich wünschte, sofern man den Gerüchten glaubte. Nachgiebig, ängstlich, gehorsam. Eine Frau, die sein Gegenstück war und sich unterordnete.

»Wir werden dich entschuldigen. So macht es keinen Sinn«, sagte Gwen.

»Mich … wie wollt ihr mich denn entschuldigen?«

»Du hast es mit dem Magen?«, schlug Eliose vor.

»Oder Kopfschmerzen. Es wird uns schon etwas einfallen.«

Margaret beruhigte sich langsam und nickte. »Na schön. Einverstanden. Ich lege mich hin. Mir geht es tatsächlich nicht gut. Diese Aufregung.« Sie fasste sich an die Brust, und Gwen spürte, dass auch ihr eigenes Herz raste.

»Heute hast du noch mal Aufschub bekommen. Aber morgen wird er dich sehen wollen«, erinnerte Gwen sie.

»Ich weiß, ich weiß … morgen werde ich gewiss biestiger sein. Darum geht es doch, nicht wahr?«

»Ja. Und nun müssen wir gehen, Fellon wartet sicher nicht gern«, sagte Gwen entschlossen und winkte Eliose mit sich. Auf dem Weg durch den Saalbau fragte sich Gwen, ob der Earl Margarets Entschuldigung wohl akzeptieren würde? Übelkeit, Unwohlsein. Das waren gute Gründe, nicht zum Essen zu erscheinen. Sie musste es ihm nur richtig schildern. Doch rasch schweiften ihre Gedanken zum schwarzen Ritter. Ob er wohl auch im großen Saal bei Tisch saß? Und ob er den Helm abgenommen hatte?

Gwen fragte sich, wie er aussah. Seine strahlend blauen Augen, auf die sie einen kurzen Blick hatte erhaschen dürfen, hatte sie jedenfalls nie vergessen. Sein Blick, so kurz dieser Moment auch gewesen sein mochte, war ihr durch und durch gegangen. Hatte sie berührt. Sie konnte es plötzlich gar nicht mehr erwarten, so schnell wie möglich in den großen Saal zu gelangen, der sich im unteren Bereich des Burgpalas befand. Ihre Schritte wurden immer schneller und schneller.