Frühlingszauber im kleinen Katzen-Café - Kerstin Garde - E-Book
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Frühlingszauber im kleinen Katzen-Café E-Book

Kerstin Garde

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Beschreibung

Die zauberhaften Katzen sind zurück: Ein Wohlfühlroman voll Frühlingsglück, Kaffee und leckerem Kuchen im romantischsten Katzencafé der Lüneburger Heide. Für alle Leser:innen von Manuela Inusa und Holly Hepburn »Süßester Kuchen, feinste Törtchen, köstlicher Kaffee und das alles in einer wohligen Atmosphäre, in der man Katzen streicheln konnte – das war eine unschlagbare Kombination.« Die liebenswerte Kuchenbäckerin Neele übernimmt die Leitung des kleinen Katzencafés, während ihre Chefin Lilly im Liebesurlaub ist. Allerdings läuft nichts wie geplant, denn plötzlich zieht ein neuer Nachbar in die Gegend. Adam ist gar nicht Neeles Typ und sorgt dennoch für Gefühlschaos bei ihr. Dann verschwindet obendrein Mr. Maunz, der heimliche Star des Cafés. Sofort begibt sich Neele auf die Suche nach dem roten Kater.Als wäre das alles nicht genug, droht dem Oldendorfer Frühlingsfest das Aus. Nur wenn Neele und Adam an einem Strang ziehen, können sie das noch verhindern. Dabei erwachen wie durch ein Wunder zarte Frühlingsgefühle in ihnen ... »Man kann ja gar nicht anders, als dieses Buch in einem Stück zu lesen, so aufregend, lustig und liebevoll ist es geschrieben. Ein absolutes Wohlfühlbuch besonders für Katzenbesitzer und Liebhaber.« ((Leserstimme auf Netgalley)) »Mich hat diese Geschichte von der ersten Seite an in den Bann gezogen. Für Katzen Liebhaber ist dieses Buch ein absolutes Muss. Viel Vergnügen beim Lesen.« ((wodisoft.ch)) »Es ist ein absoluter Wohlfühlroman für alle Katzenliebhaber, mit vielen Frühlingsgefühlen, ein wenig Drama und einer großen Portion Humor. Ich hatte großen Spaß beim lesen und kann euch das locker leichte Buch absolut ans Herz legen.« ((Leserstimme auf Netgalley))

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© Piper Verlag GmbH, München 2023

Redaktion: Diana Steigerwald

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Traumstoff Buchdesign traumstoff.at

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 54

Ein Wort zum Schluss …

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Kapitel 1

Neele ahnte in dem Moment, in dem ihr die Kuvertüre ins Wasserbad fiel, dass ihr Traum zerplatzen würde wie eine Seifenblase.

Verkrampft stand sie hinter ihrem Arbeitstisch. Um sie herum waren ebenso aufgeregte Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die wie sie darauf hofften, einen Platz an der Meisterschule für Zucker- und Süßwarenwirtschaft zu ergattern. Die renommierte Lüneburger Institution bot seit jeher verschiedene Ausbildungskurse rund um die Herstellung von Süßwaren und Süßgebäck an. Darunter die Weiterbildung im Bereich Chocolaterie, die Neele und auch die anderen Anwesenden anstrebten. Hier ausgebildet zu werden, kam einem Gütesiegel gleich, dessen waren sich alle Anwesenden bewusst. Obwohl alle schwiegen und konzentriert arbeiteten, spürte Neele die Anspannung im Raum bis in die Zehenspitzen.

Das Stück Kuvertüre schmolz, verwandelte sich von einem dicken Brocken in einen dunkelbraunen Brei, der an erwärmte Mousse au Chocolat erinnerte.

»Nicht mehr als fünfundvierzig Grad«, sagte sie sich leise. Denn sonst würde die Kakaobutter zerstört.

Neeles Hände zitterten, als sie die Masse umrührte, um zu verhindern, dass sie anbrannte. Doch genau das geschah. Sie war nicht sie selbst vor lauter Aufregung.

Es half auch nicht gerade, dass der Schulleiter höchstpersönlich durch die schmalen Gänge zwischen den kleinen Arbeitstischen schlich und hier und da innehielt, um die Bewerberinnen und Bewerber genauer zu beobachten. Wenn er dann auch noch die Nase rümpfte oder sogar den Kopf schüttelte, löste das noch mehr Stress aus.

Dabei war die Aufgabe denkbar einfach. Alle im Raum stammten aus einem Bereich, in dem mit Lebensmitteln gearbeitet wurde. Sie alle kannten die Möglichkeiten, die Schokolade offerierte, und genau dies wurde auch jetzt verlangt. Eine Kreation, die das Gespür für die Arbeit mit der dunklen Köstlichkeit offenbarte. Einige fertigten Kuchen an, andere arbeiteten an Eiscreme mit Schokoladenaroma. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.

»Du schaffst das«, versuchte Neele, sich Mut zu machen. Sie war eine gute Konditorin, hatte ihre Ausbildung mit Bravour bestanden und träumte seit jeher davon, hier in Lüneburg zur Chocolatierin ausgebildet zu werden. Nicht nur, weil diese Schule den besten Ruf überhaupt hatte, sondern auch, weil sie es liebte, mit Schokolade zu arbeiten und kleine Kunstwerke aus ihr zu kreieren, die eigentlich viel zu schön waren, um sie zu essen.

Sie hatte sich lange auf diesen Tag vorbereitet, aber nun drohte sie zu versagen. Dabei hatte sie extra etwas ausgewählt, von dem sie hoffte, dass es überzeugte. Pralinen. Nicht irgendwelche, sondern Pralinen mit dem besonderen Etwas. Einer Spur Erdbeeraroma. So der Plan zumindest. Erneut zischte die Kuvertüre, die abermals am Boden des Topfes anbrannte, dort schon regelrecht festklebte. Rasch versuchte Neele, den Schaden zu minimieren, mit dem Holzlöffel kräftig umzurühren.

Genau in dem Moment blieb er vor ihr stehen. Ludwig Kohlhaase, Leiter der Meisterschule, brillanter Pralinenkreateur, Chefkonditor und Vorstand des Vereins für süße Waren. Ein Mann Ende sechzig, dem man ansah, dass er seine eigene Kunst gerne verspeiste. Kritisch schnellte seine Braue in die Höhe, während der Dampf aus Neeles Topf stieg.

Neele nahm diesen von der kleinen elektrischen Herdplatte und rührte weiter um, wurde nur noch nervöser, rührte kräftiger, aber der Meister schüttelte bereits den Kopf. Und das war das inoffizielle Zeichen, dass sie durchgefallen war, noch bevor er ihr Werk gesehen oder es gar probiert hatte. Jeder wusste, dass Ludwig Kohlhaase streng war, hohe Ansprüche hatte und die meisten Leute, die an den Aufnahmeprüfungen teilnahmen, für ungeeignet hielt. Aber Neele wollte ihm das Gegenteil beweisen.

Nein, sie würde ihre Pralinen fertigstellen, und er sollte sie kosten, ihr dann ins Gesicht sagen, dass sie zu schlecht für die Meisterschule war.

Kohlhaase ging weiter, während Neele immer noch rührte. Ihr Blick schweifte umher. Sie sah, dass viele Probleme hatten. Eine junge Frau brach sogar in Tränen aus, der Mann am Nachbartisch hatte gerötete Augen. Seine prachtvolle Schokoladentorte wirkte zusammengefallen.

Ja, die Prüfung der Meisterschule für Zucker- und Süßwarenwirtschaft war eine der härtesten. Neeles Blick blieb an dem Poster an der gegenüberliegenden Wand hängen, auf dem in dicken Lettern stand:

Sie lieben Schokolade? Bewerben Sie sich für die Weiterbildung 2016/2017!

In etwas kleinerer Schrift stand darunter:

In vier Modulen bilden wir Sie zum Chocolatier/zur Chocolatierin aus.

Eine junge Frau in Kochuniform strahlte Neele auf dem Plakat entgegen. Mit einer hauchdünnen Pralinenzange hielt sie ein kleines Schokokunstwerk in die Kamera, sodass es größer aussah als alles andere auf dem Bild.

Diese Frau lebte Neeles Traum!

Nein, sie wollte sich noch nicht geschlagen geben. Entschlossen rührte sie einen Teil der erwärmten und noch flüssigen Kuvertüre mit Sahne zusammen, um daraus Ganache zu machen, die Pralinenfüllung.

Das gelang recht gut. Als Clou gab sie ein paar getrocknete Erdbeerstreusel hinein und befüllte die Hohlkugel, die sie vorab gegossen hatte, mit der cremigen Masse. Sorgsam verschloss sie diese mit einem Tropfen Kuvertüre.

Neele atmete auf. Wiederholte den Vorgang mit vier weiteren Kugeln, ehe sie die Köstlichkeiten einzeln auf eine Pralinengabel legte, um sie dann in Kuvertüre zu tauchen. Auf diese Weise bekamen sie ihren Überzug, der noch dekoriert werden musste.

Neele spürte, wie ihr eine Schweißperle über die Stirn glitt, und wischte sich diese mit dem Handrücken weg, bevor sie auf eines ihrer Kunstwerke tropfen konnte. Nun kam der Moment, in dem die Praline äußerlich ihren besonderen Charakter erhalten sollte.

Neele gab die zuvor in Form gebrachte Dekorfolie auf die noch warme Außenhülle der Pralinen, wartete, bis diese abgekühlt waren, und zog die Folie dann ab. So blieb das Muster an der Schokolade zurück.

Aber damit war es nicht getan, wenngleich es bereits sehr individuell und schön aussah. Jede ihrer kleinen Kugeln bekam noch einen Spritzer Flüssigfondant und darauf einen Tupfen Erdbeercreme, die das Sahnehäubchen darstellen sollte.

Die fünf Kugeln platzierte Neele konzentriert auf einen Dessertteller, gab ein paar gold gefärbte Blätter und halbe Erdbeeren hinzu, sodass es optisch ansprechend war.

Fertig, dachte Neele erleichtert. Sie hatte es geschafft. Trotz der Hektik um sie herum, trotz des vielen Schweißes. Und das Ergebnis sah gut aus.

Jetzt musste nur noch Kohlhaase zustimmen. Sie schaute, wo er hingegangen war. Vorne saß er, an seinem Pult, beobachtete das Geschehen. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass alle Teilnehmenden nur noch zwei Minuten Zeit hatten.

Neele hielt den Atem an. Das war knapp gewesen. Die meisten um sie herum waren nun auch fertig. Als die Uhr zwölf schlug, straffte Herr Kohlhaase die Schultern.

»Bitte stellen Sie die Arbeit nun ein«, erschallte seine Stimme.

Sofort hielten alle Anwesenden inne. Die junge Frau, die vorhin geweint hatte, verbarg nun das Gesicht in den Händen, während der Mann vom Nachbartisch ihr ein Taschentuch reichte. Sie war wohl nicht fertig geworden, was Neele unendlich leidtat.

Kohlhaase hingegen trat an jeden einzelnen Tisch heran, zerschnitt ein Stück der angebotenen Köstlichkeit und schaute sich das Innenleben genau an, bevor er kostete. Wie bei einer Weinprobe ließ er diese auf seiner Zunge von einer Seite seines Mundes zur anderen wandern, sodass sich seine Wangen abwechselnd blähten.

Doch ob ihm gefiel, was er schmeckte, verriet er nicht.

Schließlich trat er an Neeles Tisch, musterte sie aus kühlen Augen und zerschnitt eine ihrer Pralinen. Die Füllung darin war bereits fest und etwas heller als die Außenseite. Die winzigen getrockneten Erdbeerstückchen funkelten wie kleine Diamanten. Bildete Neele es sich nur ein oder sah sie tatsächlich ein Lächeln um Kohlhaases Mund?

Schließlich hob er eine Pralinenhälfte hoch, führte sie zu seinem Mund und probierte davon. Der Augenblick schien eine Ewigkeit anzudauern. Neele beobachtete genau, wie sich seine Lippen verzogen. Dann war er auch schon fertig. Und auch bei ihr schwieg er.

Was hatte das zu bedeuten? Hatte es ihm geschmeckt oder nicht? Neele hatte keine Ahnung. Und auch als er beim letzten Teilnehmer angelangt war, verriet Kohlhaase niemandem sein Urteil. Er ging wieder nach vorne zu seinem Pult, stützte beide Hände auf die Tischplatte und sprach so monoton, dass Neele unwillkürlich gähnen musste.

»Ich danke Ihnen. In den nächsten Wochen erhalten Sie einen Brief, in dem Sie Anmeldeunterlagen für die Weiterbildung vorfinden werden – oder eben nicht. Auf Wiedersehen.«

Das war es. Keine weitere Erklärung. Neeles Knie fühlten sich weich an, als sie ihre Sachen zusammenräumte und den Raum verließ. Doch eigentlich war ihr Gefühl nun gar nicht mehr so schlecht.

Als sie zwei Wochen später ihren Brief erhielt, fand sie darin lediglich ein Dankeschön für die Teilnahme, aber keinen Anmeldebogen. Neele konnte es nicht glauben. Tränen rannen ihr über die Wangen, die kaum anhalten wollten, war sie doch überzeugt gewesen, dass ihre Pralinen gut gewesen waren. Gut genug für den Platz in einer Weiterbildung, in der sie ja erst lernen sollte, wie man Chocolaterie-Produkte herstellte.

Neele entschied, dass sie etwas unternehmen musste. Sie fuhr noch einmal zur Meisterschule, um mit Kohlhaase zu sprechen. Er sollte ihr erklären, was sie besser machen konnte, ehe sie sich für das nächste Semester bewarb. Aber die Sekretärin des Leiters wollte sie gar nicht erst in sein Büro lassen. Es war Zufall, dass er gerade herauskam, um seiner Angestellten ein paar Unterlagen zu reichen.

»Bitte, Herr Kohlhaase, hätten Sie nur ein paar Minuten für mich? Ich bin Neele Farber, eine der Teilnehmerinnen der letzten Aufnahmeprüfung, und …«

Er unterbrach sie mit einem Seufzen, winkte sie aber mit sich ins Büro, wo sie vor einem massiven Schreibtisch Platz nahm, der gefühlt die Hälfte des Raums einnahm.

»Sie haben fünf Minuten.«

»Hören Sie, ich … kann dazulernen. Ich bin ehrgeizig und engagiert. Wenn Sie mir nur ein paar Hinweise geben könnten, was an meinen Pralinen falsch war …«

»Frau Farber, Sie müssen verstehen … ich kann mich weder an Sie noch an Ihre Pralinen erinnern.«

Sie schluckte, doch es ging noch weiter.

»Sie waren demnach so blass und bedeutungslos, dass bei Ihnen Hopfen und Malz verloren ist. So leid mir das tut. Ihre Kreation scheint das Gegenteil einer Geschmacksexplosion gewesen zu sein, ja, gar eine Implosion.«

»Was?«, entwich es ihr geschockt. Neele wusste ja, dass sie nicht perfekt war, aber sie hatte gehofft, dass sie ihr Ziel durch harte Arbeit erreichen könnte. Sie liebte es doch zu backen, mit Süßwaren zu arbeiten, neue Kreationen zu erschaffen. Die Spezialisierung auf Schokolade war ihr Traum. Schokolade war vielseitig, sowohl im Geschmack als auch in ihren Verwendungsmöglichkeiten. Sie sorgte für Wohlfühlgefühle. Doch Kohlhaase raubte ihr mit wenigen Worten jede Hoffnung.

»Nehmen Sie es nicht persönlich. Es ist eben nicht jeder Mensch zur hohen Kunst der Zucker- und Süßwarenkreation geboren. Den meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern geht es wie Ihnen. Ich rate Ihnen ab, sich noch einmal bei uns zu bewerben.«

Nur mit Mühe konnte Neele die Tränen zurückhalten. Kohlhaase war eine Koryphäe in seiner Branche, sein Name war von Bedeutung. Sein Urteil ebenso.

Kohlhaase sah offenbar kein Potenzial in ihr, und somit war Neeles Traum zerplatzt wie, ja, eine Seifenblase.

Kapitel 2

Drei Jahre später

Der kühle Wind wehte Neele um die Nase, als sie am frühen Morgen ihren Drahtesel aus dem Keller holte, ihn die Treppe hochstemmte und schließlich draußen auf der Straße aufsaß. Sie richtete den Rückspiegel und fuhr sich mit dem Finger noch einmal entlang der Unterlippe, weil sie nicht ganz zufrieden mit ihrem Lippenstift war. Nachdem sie die Farbe, die über das Lippenrot hinausragte, abgewischt hatte, zog sie den Reißverschluss ihrer Übergangsjacke bis zum Ansatz hoch. Es war frischer, als sie erwartet hatte. Heute Nacht hatte es wie aus Kübeln geschüttet, was vielleicht der Grund für den plötzlichen Temperaturabfall war. Die Tage zuvor hatte es ausgesehen, als würde es endlich wärmer werden. Doch der April war eben unberechenbar.

Neele konnte den Regen noch in der Luft riechen. Aber die Kälte sollte sie nicht an ihrem Vorhaben hindern, und auch die paar Pfützen am Straßenrand störten sie nicht. Gestern Abend noch hatte sie das Rad auf Vordermann gebracht, um heute Morgen endlich eine kleine Tour zu den Teichen zu beginnen. Das hatte sie lang genug hinausgeschoben, nun wollte sie Nägel mit Köpfen machen. Und genau genommen war das Wetter perfekt zum Radfahren, denn wenn sie erst kräftig in die Pedale trat, würde ihr schon warm werden.

Vorsichtig setzte sie ihren Helm auf und zog den Gurt unter dem Kinn fest, als ihre Nachbarin aus dem Haus gegenüber kam, um ihren Dackel auszuführen.

»Guten Morgen, Neele«, sagte die ältere Dame freundlich, deren Wangen rot schimmerten und kugelrund waren. Die untere Hälfte ihres Gesichts versteckte sich hinter einem Halstuch mit Blumenmuster.

»Guten Morgen, Frau Schwinske«, grüßte Neele zurück. Sie freute sich immer, wenn sie ihre Nachbarin sah, war diese doch so etwas wie die gute Seele des Dorfes. Hatte man ein Problem gleich welcher Art, bot Frau Schwinske beherzt ihre Hilfe an. Darauf war Verlass.

»Ach, das ist ein Wetter, nicht wahr? Gestern noch habe ich gedacht, wir nähern uns endlich Frühlingstemperaturen an – das wird aber auch Zeit! Und nun scheint der April uns einen Streich spielen zu wollen. Es fehlt nur noch, dass es schneit.«

»Da sagen Sie was, Frau Schwinske. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!«

»Ihnen auch, Neele. Und grüßen Sie bitte Lilly und die Katzen.«

»Das mache ich sehr gerne.«

Kräftig trat sie in die Pedale und fuhr los, immer geradeaus, um die beschauliche Ortschaft inmitten der Lüneburger Heide zu verlassen.

Sie kam vorbei an urigen kleinen Häuschen, in denen gerade das Leben erwachte. Nur wenige Leute waren bereits auf den Straßen und grüßten sie, war Neele dank ihres Jobs doch bekannt wie ein bunter Hund in dem Dorf. Apropos Job.

Um Punkt Zehn musste sie im Katzencafé sein, wo sie inzwischen als Konditorin und Köchin arbeitete. Ein echter Traumjob mit vielen kreativen Aspekten, konnte sie doch ganz selbstständig die leckersten Naschereien kreieren.

Zuvor hatte Neele, die ursprünglich aus Berlin stammte, mal hier, mal da gejobbt, meist in Bäckereien oder Konditoreien. Sie war durch ganz Deutschland gereist, hatte gefühlt überall schon mal gelebt, bis sie sich schließlich in das beschauliche Oldendorf an der Örtze verliebt und häuslich eingerichtet hatte. Verzaubert von der wunderschönen Lüneburger Heide, den freundlichen Leuten im Dorf und der familiären Atmosphäre. Etwas, das sie zuvor nicht in der Art gekannt hatte.

Und als dann auch noch Lilly – ebenfalls aus Berlin – nach Oldendorf gekommen war, weil sie als Kind stets die Sommerferien in der Region bei ihrer inzwischen verstorbenen Oma verbracht hatte, war es wohl Schicksal gewesen, dass sie sich begegneten. Zunächst wollte Lilly ein normales Café gründen. Doch dann waren ihr vier Katzen zugelaufen, sodass schnell die Idee geboren war, stattdessen ein Katzencafé zu eröffnen. Neele hatte sich auf Lillys Stellenausschreibung beworben, und gemeinsam mit den vier Fellnasen hatten die beiden Frauen die Ortschaft auf den Kopf gestellt. Es war ein witziger Zufall, dass sich die beiden Berlinerinnen erst hier in Oldendorf zum ersten Mal begegnet waren und dann auch noch gemeinsam ein erfolgreiches Geschäft aufgezogen hatten. Aber das bestärkte Neele nur noch mehr in der Annahme, dass das Schicksal seine Hände im Spiel gehabt hatte.

Süßester Kuchen, feinste Törtchen, köstlicher Kaffee, und das alles in einer wohligen Atmosphäre, in der man Katzen streicheln konnte – das war eine unschlagbare Kombination. Ihren Traum von der Weiterbildung zur Chocolatierin hatte Neele letztlich aufgegeben, obwohl es von Zeit zu Zeit immer noch an ihr nagte, dass die Meisterschule sie abgelehnt hatte. Aber das trat mehr und mehr in den Hintergrund. Besonders jetzt, wenn sie in der wunderbaren Natur sein konnte.

Noch gut zwei Stunden hatte Neele Zeit, um Kraft zu tanken, bevor es in die Backstube ging. Mit einem Lächeln auf den Lippen bog sie in den Weg An den Kiesteichen ein, folgte ihm, bis er in einen Sandweg überging, um den ringsherum Bäume wuchsen. Überall blühte es bunt am Wegesrand. Als hätte der nächtliche Regen die Gegend mit strahlenden Farben übergossen.

Sie umradelte den ersten Teich, der sich am Rande der Ortschaft erstreckte, ließ dabei den Blick schweifen. Wohin sie sah, erwachte die Natur.

Es roch nach Wald, in der Nähe ertönte der Gesang der ersten Vögel. Als sie den Teich fast hinter sich gelassen hatte, tat sich eine Lücke zwischen den Laubbäumen auf, wo sie Felder und Wiesen entdeckte, die etwas wie eine Lichtung bildeten. Von dort strömte der Duft von Gräsern zu ihr vor, und mit den frühen Sonnenstrahlen wirkte der Anblick märchenhaft. Doch inmitten der allmählich erblühenden Landschaft entdeckte sie eine hochgewachsene Gestalt.

Vermutlich wäre sie Neele gar nicht aufgefallen, hätte sie sich nicht just in dem Moment bewegt. Nun erkannte sie, es war ein Mann. Er stand da wie ein Monolith, den Rücken hatte er ihr zugewandt.

Lange silbergraue Haare schmückten sein Haupt, wehten sanft im Wind. Die Person erschien ihr fast wie eine mystische Erscheinung im Licht der Morgensonne. Noch dazu war sie überraschend groß und breit, trug einen langen dunklen Mantel.

Instinktiv bremste Neele.

War dies der geheimnisvolle Eremit, der außerhalb des Dorfes in einer einsamen Hütte lebte? Unwillkürlich kroch eine Gänsehaut ihre Arme herauf. Die meisten sprachen mit vorgehaltener Hand über ihn, als fürchteten sie ihn wie der Teufel das Weihwasser. Neele lebte inzwischen lange genug in Oldendorf, um die Geschichten über den alten Mann zu kennen, der nur selten ins Dorf kam, um im einzigen Supermarkt der Ortschaft einzukaufen, bevor er sich rasch wieder in den Wald zurückzog.

Es hieß, er habe einst seine Frau verloren und sich dann in die Einsamkeit zurückgezogen. Doch die Leute sagten auch, dass er mit niemandem sprach, weil er inzwischen das Reden verlernt habe. Sein Groll sei immens und richte sich gegen alles und jeden, weswegen man ihn besser allein ließ. Neele schluckte, merkte, wie sich jeder Muskel ihres Körpers anspannte.

Manch einer behauptete sogar, der Alte sei verrückt und somit auch gefährlich. Neele wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. Sicher übertrieben die Leute, wie es oft der Fall war – sobald jemand anders war, wurde geredet.

Sie blickte zu dem Mann hinüber, dessen lange Haare noch immer im Wind wehten. Er stand einfach nur da, regte sich kaum, wie eine Statue. Oder wie jemand, der zur Salzsäule erstarrt war. Noch schien er sie nicht bemerkt zu haben. Ihre Gänsehaut hatte sich inzwischen an ihrem ganzen Körper ausgebreitet.

Neele überlegte, einen anderen Weg zu fahren, vielleicht umzukehren. Denn wenn sie weiterradelte, würde er wohl auf sie aufmerksam werden. Zögerlich bewegte sie den Lenker hin und her.

Normalerweise sah es Neele gar nicht ähnlich, auf komische Gerüchte zu hören oder gar zu kneifen, aber irgendetwas war an diesem Morgen anders. Sie wusste nur nicht, was.

Plötzlich meldete sich ihr Handywecker, und unzählige Vögel auf dem Feld schossen in die Höhe. Aufschreckt von dem Alarmton. Sie hatte vergessen, ihn abzuschalten, weil sie heute doch viel früher aufgestanden war.

Der schrille Ton erschien ihr lauter als sonst, und sie versuchte verzweifelt, das Gerät aus der Hosentasche zu fischen.

Endlich bekam sie ihr Telefon zu fassen, schaltete es ab und ruckte mit dem Kopf zu dem Eremiten herum. Der hochgewachsene Mann hatte sich zu ihr umgedreht, sodass sie ihn von vorne sehen konnte. Ein Vollbart, der ebenso silbern war wie sein Haupthaar und mindestens genauso zerzaust wirkte, zierte das faltige Gesicht. Sein Blick war jedoch so durchdringend, wie sie es nie zuvor bei irgendjemandem gesehen hatte. Verärgert kniff er die Augen zusammen.

Neele geriet in Panik, hatte die Worte der Dorfbewohner in den Ohren, dass dieser Hüne unberechenbar sei, und trat schließlich in die Pedale, als ginge es um ihr Leben …

Kapitel 3

Neeles Herz schlug ihr bis zum Hals und trommelte zugleich so heftig in ihrer Brust, dass es sich anfühlte, als würden zwei Herzen um die Wette schlagen.

So schnell wie nie zuvor in ihrem Leben lenkte sie das Rad über den unebenen Sandweg, wurde durchgeschüttelt und hatte das Gefühl, jede Sekunde abzuheben. Es war fast, als würde sie ein Mountainbike durch die Prärie steuern.

Neele spürte, wie der Schweiß von ihrer Stirn tropfte, gönnte sich aber keine Pause. Immer schneller fuhr sie den Weg entlang, bis die Landstraße in ihr Sichtfeld rückte. Ein wenig schwindelte ihr sogar. Doch wenn sie erst den unebenen Sandweg hinter sich gelassen hatte und auf fester Straße fahren konnte, würde sich ihre Geschwindigkeit noch erhöhen. Und dann wäre sie in Sicherheit.

In Sicherheit wovor eigentlich?

Nun wagte sie doch einen Blick über die Schulter, der Waldmann war ihr überhaupt nicht gefolgt.

In dem Moment hörte Neele Bässe aufdröhnen. Rasch wandte sie den Kopf nach vorne, sie war kurz vor der Abbiegung. Keinen Wimpernschlag später bretterte ein teurer Schlitten an ihr vorbei, direkt durch eine Pfütze.

»Was zum …«, knurrte sie und legte eine Vollbremsung hin. Das Wasser hätte sie fast vom Drahtesel gefegt. Erst in der nächsten Sekunde merkte Neele, dass sie klitschnass war.

»Scheiße! He, Sie«, brüllte sie dem Fahrer empört hinterher, aber der Kerl hinter dem Steuer hörte sie gar nicht. Er verschwand schon Richtung Hauptstraße. Dabei klang Sympathy for the Devil aus den Boxen des Wagens. Wie passend, dachte Neele fassungslos. Sie konnte kaum glauben, was soeben geschehen war.

»Idiot«, murmelte sie und fuhr wieder los. Klitschnass. Na großartig. Erst die Begegnung mit dem Waldmann, dann dieser Raser. Was für ein Morgen. Zumindest verriet ein prüfender Blick über die Schulter, dass der Eremit Neele nach wie vor nicht auf den Fersen war. Dafür erfasste sie Kälte, die ihre Glieder hochkroch, entlang der Kleidung, die an ihrer Haut klebte. Verärgert trat sie in die Pedale, um heimwärts zu fahren.

Sie hatte sich ihre kleine Tour definitiv anders vorgestellt. Jetzt konnte sie noch mal nach Hause fahren. Sie stank schrecklich, würde jeden Gast im Café verscheuchen, und ihre Zähne klapperten sogar vor Kälte.

Unglaublich, was sich manchmal für Leute hierher verirrten. Der Kerl hatte sie nicht mal bemerkt! Mir nichts, dir nichts war er weitergefahren, als wäre sie unsichtbar. Neele war ein friedliebender Mensch, der selten aus der Haut fuhr. Aber bei solchen Rasern konnte sie schnell die Fassung verlieren.

Das Nummernschild hatte ihr zumindest verraten, dass er aus Celle stammte, einer Stadt aus dem Umfeld. Leider hatte sie es sich nicht gut genug gemerkt, um die Polizei zu verständigen. Was der Kerl wohl ausgerechnet hier, in Oldendorf, wollte? Wahrscheinlich war er nur auf der Durchreise, und Neele durfte sein unverantwortliches Fahrverhalten ausbaden.

Sie tropfte noch, als sie bei dem Mehrfamilienhaus ankam, in dem neben ihr drei weitere Parteien wohnten. Eilig stellte sie das Fahrrad neben dem Eingang ab, vertraute darauf, dass es niemand stahl, hängte noch ihren Helm an den Lenker und huschte zur Haustür. Diese schloss sie bibbernd auf und eilte die Treppe hoch, eine Spur aus Regentropfen hinter sich herziehend.

Schimpfend landete sie in ihrer Wohnung, anschließend unter der Dusche. Das kostete Zeit, die sie nicht mehr hatte. Doch wie gut es tat, sich dort aufzuwärmen, sie war mächtig durchgefroren. Im Eiltempo seifte sie sich ein, um den Geruch von Matsch loszuwerden, verließ dann die Dusche, trocknete sich ab und zog sich an, um dann wieder nach unten zu eilen. Ihre Haare hatte sie nur trocken gerubbelt, zum Föhnen war keine Zeit gewesen.

Vor der Haustür stellte sie fest, dass ihr Fahrrad immer noch nass und dreckig war. Daran hatte sie nicht gedacht. Aber vielleicht bekam sie das fix hin.

Mit ein paar Taschentüchern wischte sie den Sattel und die Griffe trocken, mehr war nicht drin, denn sie musste los. Ein Blick aufs Handydisplay verriet: Sie war wirklich spät dran. Das Café hatte gerade geöffnet. Und Neele war nicht da, um frisches Frühstück für die Gäste zuzubereiten. Zumindest hatte sie den Kuchen für heute Morgen schon gestern Abend gebacken.

Rasch schickte sie ihrer Chefin und Freundin Lilly eine Textnachricht, dass sie sich verspätete. Wie ärgerlich. Es hatte doch nach einem so schönen Morgen ausgesehen.

Nach kurzer Zeit schrieb Lilly zurück.

Kein Problem! Lass dir Zeit. Ich krieg das mit dem Frühstück hin.

Neele atmete auf. Sie war froh, dass ihre gute Freundin Verständnis für sie hatte, obwohl sie nicht den Nerv gehabt hatte, Lilly zu erklären, was der Grund für die Verspätung war. Sobald sie im Katzencafé ankam, würde sie Lilly über alles aufklären. Eines war aber gewiss: Wenn ihr dieser Kerl jemals wieder unter die Augen kam, sollte er sich besser warm anziehen. Wie konnte man nur so rücksichtslos fahren? In der Nähe von Radwegen drosselte man die Geschwindigkeit. Ganz zu schweigen davon, dass es in der Gegend Wild gab. Sie konnte nur hoffen, dass er wenigstens in der Ortschaft vom Gaspedal getreten war.

Aber solche Typen kannte sie. Es gab für sie nur sie selbst.

Neele stieg abermals an diesem Morgen auf ihr Rad. Sie fuhr über die Eschedeer Straße, die über den Fluss Örtze führte, und bog in die Straße »Zur Bünd« ein und schließlich in die Winkelmanngasse.

Hier sah es im Grunde aus wie im restlichen Oldendorf, entzückende Häuschen mit ebenso entzückenden Vorgärten reihten sich aneinander, nur gab es in dieser Straße das französische Bistro La Petite Fleur und direkt gegenüber das Katzencafé KittyCat, das aus einem ehemaligen Antiquitätengeschäft entstanden war. Beide Lokale galten als Institutionen der Ortschaft, und Neele konnte sie schon aus der Ferne erspähen. Das eine recht modern mit bunter Fassade und französischer Flagge, die an der Tür wehte. Das andere ein bisschen retro, aber eben genau deshalb so entzückend, mit zwei großen Schaufenstern, hinter denen Kratzbäume und Kuschelhöhlen standen.

Gleich war Neele dort, und ihre Laune wurde schlagartig besser, der Ärger verflog. Ihr Herz hüpfte bereits vor Glück, weil sie sich schon in der Backstube ein neues Rezept ausprobieren sah, das, wenn es Lilly gefiel, direkt auf die Karte kommen würde. Da entdeckte sie vor dem Café den Schlitten aus Celle, der sie vor gut einer Stunde fast über den Haufen gefahren hätte, und Neele sah nichts anderes mehr als rot …

Kapitel 4

Auf dem Rücksitz des dunkelblauen Wagens mit dem hochgefahrenen Verdeck stapelten sich ein paar Kisten, das fiel Neele noch auf, während sie energisch in die Pedale trat.

Was dieser Raser ausgerechnet hier wollte? Den würde sie sich jetzt gleich mal vorknöpfen. Sie erreichte die protzige Karre im selben Augenblick, in dem ein Kerl mit Föhnfrisur aus dem Café kam und auf den blauen Wagen zuging. In der Hand trug er einen Coffee-to-go, mit der anderen schob er sich ein Sandwich in den Mund. Klar, er trug natürlich eine Sonnenbrille, die man zu dieser grauen Jahreszeit dringend benötigte …

»Wo haben Sie eigentlich Ihren Führerschein gemacht?«, fragte Neele keuchend und ärgerte sich, dass sie etwas außer Atem war. Ein bisschen cooler hatte sie schon klingen wollen, wenn sie ihn zur Rede stellte.

Der Kerl wandte ihr irritiert den Kopf zu, und Neeles Herz blieb für eine Sekunde stehen. Für einen Moment hatte sie geglaubt, Rokko vor sich zu haben. Ihren Ex, der es mit der Treue nicht so genau genommen und dafür gesorgt hatte, dass sie damals Berlin verlassen hatte. Sie starrte den Mann vor sich an wie ein Auto, auch wenn ihr inzwischen klar war, dass es sich nicht um Rokko handelte. Dafür war die äußere Erscheinung nicht verlebt genug. Außerdem, was hätte Rokko hier auch gewollt? Oldendorf wäre in dessen Augen nur ein Kaff, keiner Reise wert. Aber die Ähnlichkeit war dennoch deutlich. Hatte Rokko einen Zwilling? Er hatte jedenfalls nie einen erwähnt.

Neele konnte sehen, wie sich eine Braue über eines der dunklen Brillengläser hob. Dann lächelte der Fremde sie amüsiert an. Dieses Lächeln war ganz anders als das von Rokko, viel freundlicher. Trotzdem standen ihre Nackenhaare immer noch aufrecht. Den Schock musste sie erst mal verdauen. Dieser Morgen hatte es wirklich in sich.

Auf dem Shirt des Fremden stand Highway to Hell, was wohl sein Motto war. O ja, das passte zu diesem Raser. Neele konnte ihn schon jetzt nicht leiden, was zugegebenermaßen auch daran lag, dass er so selbstverliebt wie Rokko in seinen besten Zeiten wirkte.

»Bitte?«, fragte er auch noch ganz unschuldig.

»Sie können nicht … so rasen … wenn Sie eine Radfahrerin neben sich haben«, erklärte sie nach wie vor verwirrt. Aber immerhin hatte sie sich ein bisschen gefasst.

»Ich verstehe immer noch nicht.«

»Sie haben mich übersehen, als ich auf die Landstraße fahren wollte, und sind dabei auch noch durch eine Pfütze gefahren. Ich wäre fast gestürzt und bin klitschnass geworden, weshalb ich zu spät zur Arbeit komme.«

Er warf seinen Becher in den Mülleimer am Straßenrand, zog dabei die Sonnenbrille ab und kam rasch auf sie zu.

»Geht es Ihnen gut?«, fragte er und sah sie besorgt an. Seine warmen Augen hatten einen samtenen Schimmer. Und sie sahen zum Glück kein bisschen wie die von Rokko aus. Sie schätzte den Mann auf Anfang dreißig, und somit wäre er nur ein paar Jahre älter als sie.

Neele musste zugeben, wenn auch widerwillig, der Kerl war recht ansehnlich. Eigentlich sogar mehr als das. Aber das war Rokko auch, und wohin hatte es geführt? Deswegen würde sie hart bleiben.

»Wollen Sie mich veralbern?«, fragte sie gereizt.

»Nein, natürlich nicht. Es tut mir ehrlich leid, dass ich Sie nicht bemerkt habe. Ich hoffe, Ihnen geht es gut?«

Neele atmete tief ein. Am Blick des Fremden erkannte sie, dass er es tatsächlich ernst meinte.

Ihre Wut ließ nach. Und ganz unschuldig an dem Vorfall war sie ja nicht, hatte sie sich doch auf der Flucht vor dem Waldmann befunden und daher selbst kaum auf den Verkehr geachtet.

»Sind sie verletzt?« Jetzt musterte er sie von oben bis unten, als suchte er nach einer Schramme.

»Nein. Ist schon gut. Beim nächsten Mal in der Nähe einer Ortschaft langsamer fahren«, schlug sie vor.

Es ärgerte sie ungemein, dass er sie immer noch so sanft ansah. Noch schlimmer war jedoch, dass auch sie den Blick nicht abwenden konnte. Neele wusste nur zu gut, dass ihr Männer dieser Art schnell gefährlich wurden. Diese Kerle in ihren Lederjacken, die cool und sensibel zugleich schienen. Mit Mühe ließ sie ihren Blick zum französischen Bistro La Petite Fleur schweifen, wo gerade Lillys Liebster Baptiste und ein Auslieferer Getränke in rauen Mengen aus einem Lieferwagen in das Haus trugen. Es war kaum zu glauben, dass Lilly und Baptiste letztlich doch noch ein Paar geworden waren, obwohl es zwischen ihnen mächtig hin und her gegangen war. Erst Freunde, dann Rivalen, schließlich das Traumpaar der Winkelmanngasse.

»Da haben Sie wohl recht, ich werde dran denken«, erwiderte Neeles Gegenüber und riss sie so aus den Gedanken. Er setzte sich die Brille mit den getönten Gläsern auf den Kopf. Wie konnte jemand nur so volles Haar haben? Neele trug ihr eigenes kurz, weil es so fein war, und jetzt nach der unfreiwilligen Dusche auch noch ziemlich zerrupft aussah. Die Kürze sorgte für etwas Pfiff. Außerdem färbte sie sich gerne ein paar Strähnchen bunt. Derzeit hatte sie pinke Akzente in den ansonsten braunen Haaren.

Sie nickte, immerhin lenkte der Fremde ein.

»Arbeiten Sie hier?«, fragte er plötzlich und deutete mit dem Daumen zum Katzencafé.

»Ähm … ja … wieso?« Wie kam er jetzt darauf? Stand auf ihrer Stirn Zuckerbäckerin des KittyCat geschrieben?

»Na ja, scheint, als wollte da jemand was von Ihnen.«

Neeles Blick folgte seinem Fingerzeig zu den beiden großen Schaufenstern des Cafés. An einem davon stand Mr. Maunz auf zwei Beinen und musterte überaus interessiert, was draußen vor sich ging. Die Vorderpfötchen drückte der rote Kater an das Glas, sodass sie seine rosafarbenen Ballen sehen konnte. Sein Schwanz peitschte ungeduldig hin und her. Neele wusste, dass er sie jeden Morgen sehnsüchtig erwartete. Und heute war sie auch noch zu spät dran.

Sicher hoffte Mr. Maunz auf ihr gemeinsames Morgenritual, das ein paar Leckerlis beinhaltete.

»Ja … ich … werde dann mal«, meinte Neele etwas durcheinander, stieg ab und schob ihr Rad Richtung Eingang. Als sie an dem jungen Mann vorbeilief, konnte sie nicht umhin, sein wohlriechendes Aftershave zu bemerken.

»Na klar, man sieht sich«, verabschiedete er sich.

Neele fuhr herum. Der Fremde saß bereits in seinem Wagen und brauste davon.

Man sieht sich? Wie war das denn gemeint? Sie schüttelte den Kopf, denn es war im Grunde egal. Also setzte sie ihren Weg fort und schloss das Rad am Fahrradständer ab. Erschöpft schob sie die äußere Tür des Katzencafés auf und wartete, bis diese hinter ihr zugefallen war, ehe sie die innere öffnete, um einzutreten. Diese Art Schleuse war neu, weil die Katzen nicht mehr nach draußen durften. Das hatte hygienische Gründe und trug natürlich auch zur Sicherheit bei.

In dem Moment, in dem Neele den großen Gastraum betrat, verflog ihr Groll wie durch Zauberhand. Der Geruch von frischem Kaffee kitzelte ihre Nase. Das Murmeln der Gäste drang an ihre Ohren. Außerdem überkam sie ein Gefühl von nach Hause kommen.

So merkwürdig es klang, im KittyCat schien alles viel heller. Dafür sorgten die vielen bunt zusammengewürfelten Möbel. Ein paar davon hatte Lilly neu angeschafft, viele aber Second Hand erworben, gut gepflegt. Es gab zwei Gasträume, die durch eine türlose Öffnung miteinander verbunden waren, bunte Dekorationen und eine Theke mit Bildern der vier Katzen sowie dazugehörigen Namensschildchen, damit Besucherinnen und Besucher wussten, mit wem sie es hier zu tun hatten. Über einem Regal hing eine große Schiefertafel, auf der Tagesangebote und Specials vermerkt wurden. Heute gab es Latte macchiato mit Zimtaroma zum halben Preis. Ein paar bunte Eierketten baumelten davor, am letzten Wochenende war Ostern gewesen. Lilly hatte sie noch nicht entfernt.

Das Café war ein Ort zum Wohlfühlen, wo man durchatmen und die Welt mit all ihren Sorgen links liegen lassen konnte.

Die ersten Gäste waren schon da, frühstückten, tranken dazu Kaffee oder Fruchtsaft. Lilly wirbelte hin und her, und ihr dunkelblonder Pferdeschwanz flog durch die Luft, während Mr. Maunz gemächlich auf Neele zukam und auffordernd zu ihr hochblickte, damit sie das Wichtigste nicht vergaß. Das Morgenritual. Schon zog Neele den Reißverschluss ihrer Jacke runter, um es zu starten.

Mr. Maunz gab ein aufforderndes Keckern von sich, das sonst nur ertönte, wenn er einen Vogel vor dem Fenster oder ein Insekt sah.

»Jaja, ich weiß.« Neele schmunzelte, holte eine Packung mit Knusper-Knabbermischung aus der Innenseite ihrer Jackentasche heraus, die sie öffnete. Der Duft lockte sofort auch die drei anderen Katzen an. Von überall kamen sie her. Sugardoll, die dicke Perserkatzendame mit dem silberblauen Fell, drängelte sich prompt vor. Wenn es etwas zu Fressen gab, kannte die Dame des Hauses nichts! Franz, der schwarze Kater mit dem zerfledderten Ohr, kletterte gemütlich vom höchsten Kratzbaum in der hintersten Ecke des Raums, er wusste genau, dass er an die Reihe kam, und sei es zum Schluss.

Grammy, der getigerte Wirbelwind und die jüngste Katze im Bunde, versuchte, Sugardoll abzudrängen, drückte dieser sogar eine Pfote ins Gesicht, was wiederum Mr. Maunz einen Vorteil verschaffte. Er stellte sich auf die Hinterläufe und reckte sich dem Leckerli entgegen, das Neele schon zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Nun war er letztlich doch der Erste, der verköstigt wurde. Wie passend. Schließlich, das war allen klar, war Mr. Maunz der Star des Katzencafés. Eine regionale Berühmtheit mit einem leichten Hang zur Exzentrik. Aber … auf eine gutmütige Weise. Katzen waren eben so.

»Morgen, ihr Süßen.«

Nacheinander bekam jede Katze einen Snack, ehe Neele die kleine Wundertüte wieder verschloss.

Sugardoll leckte sich mehrfach übers Maul und sah Neele dabei hypnotisch an, als könnte sie sie so überzeugen, vielleicht doch noch eine Runde Katzenleckereien auszugeben. Ein Trick, der bisher kein einziges Mal funktioniert hatte, was Sugardoll jedoch nicht entmutigte.

»Morgen Neele«, grüßte Lilly sie und balancierte ein leeres Tablett zur Theke.

»Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Das war ein chaotischer Morgen! Erst der Waldmann, dann dieser Kerl, der gerade hier war.«

»Du hast den Waldmann gesehen?« Lilly, die sich eben noch über die Theke gebeugt hatte, um nach einer Zuckerdose zu angeln, drehte sich abrupt um.

»Nur kurz … Aber das ist auch nicht der Aufreger.«

»Sondern?«

»Na … der Kerl, der eben hier war … so’n Rocker …« Neele fand keine passendere Beschreibung.

»Du meinst Adam Geiß?«

»Keine Ahnung, wie er heißt.« Neele zuckte mit den Schultern, während Lilly den Zucker auf einem Tisch platzierte und dann an der Theke zwei Tassen mit Kaffee befüllte. Die Katzen verteilten sich wieder in den Räumlichkeiten. Alle bis auf Sugardoll, die Neele immer noch zu hypnotisieren versuchte. Manchmal glaubte Neele, dass Sugardoll sich für einen Jedi hielt, der die Menschen kraft seiner Gedanken dazu bringen konnte, ihm mehr Leckerlis zu geben.

Neele schmunzelte. »Du gibst die Hoffnung nie auf, oder?«

Hätte Sugardoll sprechen können, hätte sie sicher mit quietschiger Stimme »Niemals!« geantwortet.

»Attraktiver Typ mit Sonnenbrille und Band-Shirt, drüber so ’ne etwas aus der Mode gekommene Lederjacke?«, fragte nun Lilly.

»Ja, genau der«, meinte Neele.

Keine Ahnung, was der hier in Oldendorf gewollt hatte. Er war jedenfalls nicht der typische Katzencafé-Gast. Wäre er nicht in einem Hard Rock Café besser aufgehoben?

»Das ist unser neuer Nachbar.«

»Bitte, was?«

Nun blieb Neele die Kinnlade hängen. Die Tüte mit den Leckerlis fiel ihr prompt aus der Hand auf den Boden. Schon gluckste Sugardoll erfreut, war zur Stelle, um sich um diese zu kümmern. Mit ihren Zähnchen biss sie in das Plastik.

Neele bückte sich rasch, um die Tüte wieder aufzuheben. Zum Glück war sie bereits verschlossen gewesen.

»Nicht doch, Sugardoll. Du hattest doch schon was. Und glaube nicht, dass das irgendein Jedi-Trick oder so was von dir war. Es funktioniert kein zweites Mal.«

Enttäuscht blickte die Perserkatzendame der Tüte hinterher, die nun in der Innentasche von Neeles Jacke verschwand.

»Alles okay?«, fragte Lilly besorgt.

»Ja … schon … Das mit dem neuen Nachbarn hat mich … durcheinandergebracht. Er zieht also hierher?«

Vielleicht hatte sie ja etwas falsch verstanden.

Aber dann musste Neele an die Kisten auf seinem Rücksitz denken.

»Hat er mir erzählt, als er hier war, um sich Frühstück mitzunehmen.«

»Man sieht sich«, hallte es in Neeles Ohren nach. Der Satz bekam nun eine ziemlich konkrete Bedeutung, die ihr gar nicht gefiel.

»Kennst du den? Und was war der Aufreger?«, wollte Lilly nun wissen. Neele winkte ab.

»Nein, ich kenne ihn nicht, aber …«

In dem Moment öffnete sich die innere Tür des Cafés, und eine Gruppe Senioren kam herein.

»Wir reden später, ja?«, meinte Lilly und begrüßte die neuen Gäste.

Kapitel 5

Nachdem sich der erste Andrang im Café gelegt hatte, leistete Lilly Neele Gesellschaft in der Backstube. Diese war Teil der Küche, die im hinteren Bereich des Geschäfts lag und mit modernen Geräten glänzte. Durch eine verschließbare Durchreiche bot sie Einblick in den größeren der beiden Gasträume.

So recht gelingen wollte Neele das neue Rezept, das sie sich überlegt hatte, nicht. Daher machte sie stattdessen ein paar Cupcakes. Überaus genau maß sie die Butter ab, die sie sodann in eine Schüssel mit einer zuvor kreierten Zuckermischung gab. Es folgten ein paar Eier. Etwas energischer als sonst schlug sie die Mischung cremig, sodass der Inhalt über den Rand der Schüssel schwappte.

»Mist«, fluchte Neele und wischte die Tropfen von der Platte.

»Du wirkst ein bisschen neben der Spur, was ist denn nun vorgefallen?«, fragte Lilly. »Du meintest, es gebe einen Aufreger. Hat es was mit unserem neuen Nachbarn zu tun?«

Neele rührte das Gemisch schweigend weiter, diesmal weniger hektisch. Eigentlich wollte sie gar nicht weiter darüber nachdenken.

»Komm schon, ich kenne dich gut genug, um zu sehen, dass dich etwas beschäftigt. Wo drückt der Schuh?«

Tief atmete Neele ein und stellte die Schüssel zur Seite, lehnte sich dann mit dem Rücken an ihren Backtisch.

»Wie hast du das gemeint, dass dieser … Adam oder wie er heißt … unser neuer Nachbar ist. Zieht er nur nach Oldendorf oder sogar in diese Straße?«

Lilly runzelte die Stirn.

»Darum gehts?«

Neele zuckte mit den Schultern. Sie wusste ja selbst nicht, warum sie so intensiv reagierte. Es konnte ihr doch egal sein, wo der neue Nachbar wohnte. Selbst wenn er ein bisschen wie ihr Ex aussah. Na und?

»Na ja, er zieht in das alte Haus von unserem Gemeindevorstand«, sagte Lilly.

»Von Alfons Geiß?« Sie waren wohl verwandt. Adam Geiß. Alfons Geiß. Darauf hätte Neele kommen können. Das Haus lag ausgerechnet am Ende der Winkelmanngasse und somit ziemlich in der Nähe. Neele biss sich auf die Unterlippe.

»Genau. Aber was stört dich an ihm?«

»Der ist mit Karacho über die Landstraße gebraust und hat mich nicht nur übersehen, sondern auch noch nass gespritzt, als er durch eine Pfütze gefahren ist. Deswegen war ich zu spät, ich musste noch mal nach Hause zurück und mich umziehen. Das ist einfach keine Art. Schon gar nicht in dieser Gegend. Es gibt hier Kinder und Haustiere und Wild … und überhaupt …«

Lilly schüttelte empört den Kopf, sodass ihr Zopf hin- und herflog. »Dann hast du ihn hoffentlich zur Rede gestellt.«

Neele nickte. Und wie sie das hatte. »Er hat sich entschuldigt und Besserung gelobt.«

»Aber … ist dann nicht alles gut?«

Neele hielt verdutzt inne. Eigentlich sollte es so sein. »Ich bin einfach noch ein bisschen verärgert, das ist alles.«

Lilly hob eine Braue, als hätte sie durchschaut, dass das nicht alles war.

»Na schön, er erinnert mich an jemanden aus meiner Vergangenheit … jemanden, der … es nicht unbedingt gut mit mir gemeint hat«, begann Neele zu erzählen.

Ihr Ex war ein großartiger Sänger, Mitglied einer semibekannten Band und führte das Leben eines Rockers, mit allem, was dazugehörte. Vor allem viel weibliche Aufmerksamkeit. Neele war bis über beide Ohren in ihn verliebt gewesen, noch blutjung und so naiv, dass sie ihn erst viel später durchschaut hatte. Er war der Grund, warum sie ab einem bestimmten Punkt nur noch weit weg von Berlin gewollt hatte. Die Beziehung zu diesem Menschen, der behauptet hatte, sie zu lieben, war ungesund gewesen.

Nach einer langen Reise von Ort zu Ort hatte Neele in Oldendorf neu angefangen, den Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte, fast vergessen, und nun würde sie einen Nachbarn haben, der sie ständig an diese unliebsame Zeit erinnern würde.

»Der Gedanke, so jemanden in der Nachbarschaft zu haben, behagt mir nicht besonders«, schloss Neele ihre Erzählung.

»Ich hatte keine Ahnung, tut mir leid, dass du so eine üble Erfahrung gemacht hast.«

Neele seufzte. Normalerweise sprach sie auch nicht darüber, weil sie diesen Teil ihres Lebens vergessen wollte.

»Aber hör mal, Neelchen, nur weil Adam deinem Ex ähnelt, muss er nicht auch so ein Mistkerl sein«, wandte Lilly ein.

Das stimmte, das wusste Neele auch. Nur spürte sie eben diesen Groll, der sich unfairerweise gegen einen Fremden richtete.

»Mach dir das Leben nicht selbst schwer«, riet ihr Lilly »Niemand verlangt, dass Adam und du beste Freunde werdet. Aber vielleicht wartest du erst mal ab, bevor du ihn verurteilst? Immerhin hat er sich doch entschuldigt. Und Stress mit Nachbarn schlägt auf den Magen. Niemand weiß das besser als ich.« Lilly spielte auf ihre besondere Beziehung zu Baptiste vom Bistro gegenüber an. »Es wäre jedenfalls schade, wenn unsere beste Konditorin des Ortes ihre eigenen Kreationen vor lauter Bauchweh nicht mehr probieren könnte.«

Lilly zwinkerte.

»Du hast recht. Ich habe wohl überreagiert.«

Lilly strich Neele über die Schulter. »Das passiert den Besten von uns. So … Ich muss wieder raus«, meinte sie dann und deutete mit den Daumen hinter sich Richtung Tür. »Der Laden schmeißt sich nicht von allein.«

»Alles klar.« Neele wandte sich nun mit viel besserer Laune ihren Cupcakes zu.

Sie siebte Backpulver und Mehl und gab es zu dem Buttergemisch hinzu.

Anschließend goss Neele den Teig in die Backformen, die gleich darauf im Ofen verschwanden. Jetzt war es an der Zeit, sich um die Sahnehäubchen zu kümmern. Sie rührte etwas Erdbeergelee und Sahne zusammen, bis das Gemisch schön kräftig aussah, gab dies in eine Spritztüte und machte noch ein paar Frühstücksbestellungen fertig, die sie an Lilly durch die Durchreiche weitergab. Inzwischen hatte sie sich beruhigt, und die Arbeit ging ihr wie gewohnt von der Hand.

Da schaute Lilly noch mal bei ihr vorbei.

»Ach, bevor ich es vergesse: Dienstagvormittag kommt die Lieferung für die erste Urlaubswoche.« Sie legte Neele eine Liste auf einem Klemmbrett vor, auf dem alle Posten vermerkt waren.

Lilly und Baptiste wollten nach Frankreich fahren, um seine Eltern zu besuchen. Selbstredend hatte sich Neele bereit erklärt, das Katzencafé in dieser Zeit weiterzuführen. Es wäre das erste Mal, dass sie das Geschäft über einen längeren Zeitraum ohne Lilly leitete. Zugegebenermaßen war sie bei dem Gedanken ein bisschen aufgeregt.

»Es kommen alle Getränke, Back- und Kochzutaten und außerdem eine große Portion Katzenfutter, damit solltest du sieben Tage bequem überstehen. Hier die Liste der Backzutaten, da habe ich wie üblich fünf Kilo Mehl bestellt und …«

Neele runzelte die Stirn. Lilly war in der Zeile verrutscht und hatte die Menge der Zuckerbestellung vorgelesen.

»Du meinst, zwanzig Kilo Mehl?«

»Oh … natürlich, ich Schussel. Dazu dann ein Kilo Fruchtgelee … ich, äh … ich meine, fünf …«

Lilly kniff die Augen zusammen, als könnte sie nicht richtig sehen. Vielleicht brauchte die Freundin eine Brille? Was allerdings keine Erklärung für die Zerstreutheit war. Neele hatte da einen Verdacht.

»Weißt du, ich kenne die Abläufe ja eigentlich und habe schon öfter Lieferungen angenommen. Wir müssen das gar nicht en détail besprechen.«

»Oh … du hast recht. Die Bestellungen für die folgenden Wochen habe ich auch schon in Auftrag gegeben. Darum musst du dich also nicht kümmern, wenn ich weg bin.«

»Super.«

Lilly krallte sich an ihrem Klemmbrett fest, als wäre es eine Art letzter Strohhalm, was Neeles Verdacht erhärtete. Ihre gute Freundin schien besorgt, ob in ihrer Abwesenheit alles glattlaufen würde im Katzencafé. Schließlich war es das erste Mal, dass Lilly das Zepter so richtig aus der Hand gab.

»Tante Sabrina hat auch schon zugesagt, dass sie dir im KittyCat aushilft. Ihr werdet euch bestimmt gut verstehen.«