Das Haus im Park - Kurt David - E-Book

Das Haus im Park E-Book

Kurt David

0,0

Beschreibung

Der Pianist Daniel Merten scheint an der Ostfront kurz vor Warschau Glück zu haben, denn er wird Putzer eines Leutnants, der ebenfalls musikbegeistert ist. In einem kleinen Dorf bei Warschau beziehen sie Quartier, und Merten spielt in seiner Freizeit auf dem Flügel der jungen Polin, die mit ihrer Mutter das Haus bewohnt. Die Deutschen haben den Polen verboten, Chopin zu spielen. Doch Merten bedrängt die junge Frau so lange, bis sie sich an den Flügel setzt und so wunderbar spielt, dass Martens andächtig zuhört und nicht bemerkt, dass Unteroffizier Puschke das Zimmer betreten hat. Das Unheil nimmt seinen Lauf.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 65

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

Kurt David

Das Haus im Park

ISBN 978-3-96521-850-5 (E-Book)

Das Buch erschien erstmals 1964 im Deutschen Militärverlag, Berlin als Heft 42 der Kleinen Erzählerreihe.

© 2023 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

Das Haus im Park

An einem frühsommerlichen Sonntag des Jahres neunzehnhundertzweiundsechzig verlässt ein schwarzer Wolga die polnische Hauptstadt und fährt auf der breiten Ausfallstraße Warszawa–Poznan durch das masowische Land. Das Fahrzeug gehört zum polnischen Reisebüro Orbis. Nach einer halbstündigen Autofahrt biegt der Wagen von der Hauptstraße ab und rollt in ein zwar kleines, doch weltberühmtes Dorf, das in den Sommermonaten Tausende Besucher aus allen Kontinenten zu Gast hat.

Zelazowa Wola.

Vor dem eisernen Tor eines Parks hält der schwarze Wolga. Ihm entsteigen ein Mann und eine Frau. Es ist ein wunderschöner Sonntag, ein Sonntag mit grellem Sonnenlicht, blühenden Kastanien und duftenden Büschen. Viele Menschen wandeln den gelben Parkweg hinunter, unter ihnen der Mann und die Frau. Doch der Mann sieht die Sonne nicht, und er sieht auch nicht die Kastanienbäume und Büsche, die kräftige Schatten auf den Weg werfen. Der Mann ist blind und wird von seiner Frau inmitten der Schar der Besucher zu dem kleinen Haus geführt, das in dem Park steht. Eigentlich ist es ein bescheidenes Häuschen, nicht viel anders als die übrigen im Dorf. Einst gehörte es zum Gutshof des Grafen Skarbek.

In diesem Haus wurde achtzehnhundertzehn Fryderyk Chopin geboren.

Heute interpretieren Sonntag für Sonntag die besten polnischen Pianisten hier die Werke des großen Komponisten. Eine kleine Welt ist zu Gast.

Die Frau führt den Blinden, er heißt Daniel Merten und stammt aus Dresden, durch die Räume und geleitet ihn zu den Stuhlreihen im Garten, die sich allmählich füllen.

Merten konnte nur an diesem Sonntag hierherkommen, nicht am vergangenen und nicht am nächsten, nein, es musste dieser Sonntag sein. Im Rundfunk hatte er erfahren, wer heute in Zelazowa Wola das Konzert geben würde.

Es ist eine große Stille, eine andächtige Ruhe voller Erwarten und Ehrfurcht.

Da erklingen die ersten Akkorde.

Merten spürt, wie seine Hände feucht werden. Wie damals, denkt er, wie damals. Ob sie alles vergessen hat? Nein, das kann nicht sein, vergessen hat sie es nicht.

Eine polnische Pianistin spielt Chopins Klaviersonate h-moll op. 58.

Anfangs sitzt Merten steif auf dem Stuhl, wie verkrampft, und er spürt nicht einmal die Hand seiner Frau, die auf der seinen liegt.

Doch dann dringt die Musik in ihn, fließt in seine Gedanken, ordnet sie; versonnen lehnt sich Merten zurück und denkt an eine ganz gewöhnliche Schreibstube der Naziwehrmacht. In ihr hatte es angefangen …

Es war ein Tag im Herbst neunzehnhundertvierundvierzig, als Unteroffizier Puschke, Schreiber einer Nachrichtenkompanie, dem Hauptfeldwebel ein Blatt Papier über den Schreibtisch reichte. „Das wäre auch noch zu erledigen!“

Hauptfeldwebel Stein betrachtete es kurz, viel zu lesen gab es darauf nicht, und sagte lächelnd: „Moomentchen, Puschke, ham wa gleich!“ Danach trat er ans Fenster und schrie hinaus: „Unteroffizier Becker! Klavierspieler zu mir in Schreibstube. Haben unter den Neuen sicher’n paar gute Klavierspieler?“

„Jawoll, Hauptfeld, Klavierspieler in Schreibstube schicken.“

Stein ging inzwischen vor Puschkes Schreibtisch auf und ab, die Hände auf dem Rücken, das Kinn auf dem obersten Rockknopf. Plötzlich blieb er stehen und sagte: „Sind Se man froh, Puschke, dass Se bloß Schreibmaschine spielen, sonst –!“

Er wurde unterbrochen da im selben Augenblick fünf Soldaten in die Schreibstube stürmten und sich zu einer Reihe formierten.

„Grenadier Posselt zur Stelle!“

„Grenadier Meinecke zur Stelle!“

„Grenadier Schröter zur Stelle!“

Aber das weckte bei dem Hauptfeldwebel sehr wenig Aufmerksamkeit. Er blickte absichtlich an die Decke der Schreibstube und schien auch kaum die Stimme des vierten Soldaten zu hören, der da schrie: „Grenadier Merten zur Stelle!“

Als der fünfte den Mund öffnete und losbrüllen wollte, winkte Stein lässig ab und sagte: „Und Sie sind natürlich auch zur Stelle!“ Er wandte sich jetzt an alle und meinte: „Mal herhören! Klavierspieler, ja?“

„Jawoll, Herr Hauptfeld“, antworteten die fünf.

„Sehr schön.“ Stein trat einen Schritt zurück und setzte sich auf Puschkes Schreibtisch. „Jetzt wird ein bisschen Beethoven gespielt, klar?“

„Jawoll, Herr Hauptfeld!“ erwiderten die Soldaten.

Aber einer hatte geschwiegen.

Stein rutschte von Puschkes Schreibtisch und trat dicht vor den einen. „Sie sind davon nicht ganz überzeugt, was? Blasen Se mir nicht in Moll dazwischen, Merten!“ Danach lächelte er und sagte zu den fünf: „Also Beethoven, meinte ich – sozusagen – zehnte Sinfonie!“

Die Soldaten sahen sich verdutzt an. Nur Merten schien zu ahnen, was der Hauptfeldwebel gemeint hatte.

„Glotzt mir nicht so dämlich! Die Zehnte sagte ich! – Die wievielte spielen wir?“

Der erste Soldat sagte überzeugt: „Die Zehnte, Herr Hauptfeld.“

Der zweite Soldat antwortete unsicher: „Die Zehnte, Herr Hauptfeld.“

Und der dritte und vierte brüllten gleichgültig: „Die Zehnte, Herr Hauptfeld.“

Nun war noch Merten, aber der schwieg wieder.

„Ham Se die Sprache verloren, Sie –?“

„Es gibt nur – neun Sinfonien von Beethoven, Herr Hauptfeldwebel!“ Der Schreiber Puschke grinste im Hintergrund.

Hauptfeldwebel Stein witterte Gefahr und sagte ganz leise: „Was Sie nicht sagen, Merten. Eieiei, Ihre Bemerkung ist ja ungeheuer interessant. Na so was.“ Stein angelte mit dem Fuß nach einem Stuhl, zog ihn zu sich heran und setzte sich dicht vor Merten. „Nun mal schön der Reihe nach. Sollen nachher nicht sagen, ich sei ein ungeduldiger Mensch.“ Stein fragte, ob denn das Fenster der Schreibstube – er zeigte darauf – geschlossen sei.

Merten konnte das ohne zu überlegen beantworten; denn das Fenster war geschlossen.

„Schön, sehr schön, Merten, wie Sie mir folgen können – und nun aufgepasst, Merten“, der Hauptfeldwebel erhob sich, „nun sage ich, als Ihr Vorgesetzter, das Fenster ist offen. Wie ist es dann, na? Na?“

Merten wusste sehr genau, welche Antwort Stein von ihm hören wollte, aber das hielt ihn nicht davon ab zu sagen: „Immer noch geschlossen, Herr Hauptfeld!“

Stein duckte sich und schrie: „Gaaas, Merten, Gaaas-Alarm! Ham wohl zu viel Luft und wollen mich verkackeiern, wie?“

Merten riss die Maske aus dem Behälter und zog sie über das Gesicht. Puschke schüttelte hinter Steins Rücken den Kopf. So ein Dussel, der Merten, was kommt schon bei Bockigkeit heraus?

Der Hauptfeldwebel brüllte indessen: „Meinen Sie, wir haben Sie eingezogen, um Ihre alberne Privatmeinung zu hören? – Merten! Geeewehr in Vorhalte!“

Daniel Merten gehorchte. Der Spieß belehrte ihn, dass das ganze Geheimnis der deutschen Wehrmacht auf dem unumstößlichen System des unbedingten Gehorsams beruhe. „Sie Stinkstiefel wollen nicht kapieren, was den alten Germanen schon im Teutoburger Wald klar war! Sie – Sie! Mensch“, der Hauptfeldwebel kam nahe an Mertens Gesicht, „wenn ich sage, ich, Ihr Vorgesetzter, Beethoven hat zehn, zwanzig, ja hundert Sinfonien gemacht, dann hat er, hat er das.“

Merten zuckte nicht. Er hörte den Spieß fragen, wie alt denn eigentlich der Herr Beethoven geworden sei?

„Siebenundfünfzig Jahre, Herr Hauptfeld.“

.„Also: siebenundfünfzig Kniebeugen – und“, der Hauptfeldwebel lächelte hämisch, „sind Se man froh, dass der nicht hundert Jahre alt geworden ist.“

So begann Merten, unter der Gasmaske und mit vorgestrecktem Gewehr, laut zählend mit den Kniebeugen. Der kann mich gar nicht beleidigen, der nicht, dachte er.

Stein wandte sich wieder an die übrigen vier, die froh waren, dass sie sich sofort mit zehn Sinfonien einverstanden erklärt hatten. Aber auch sie wurden enttäuscht. Der Spieß meinte sanft: „So, meine Herren Pianisten, Sie wissen Bescheid. Und – ja, damit ich’s nicht vergesse, dort im Winkel stehen Ihre Instrumente.“

Er wies auf fünf Kohlengabeln. „Hinter Block drei wartet ein Hänger sehnsüchtig auf Sie. Kohle kommt in Kompaniekeller!“

„Jawohl, Herr Hauptfeld!“

„Wer mir nicht spurt, wer danebenklimpert“, er guckte zu Merten, der immer noch laut zählend Kniebeugen machte, „mit dem spiele ich tragische Oper, sozusagen Fidelio mit Gaseinwirkung!“

In diesem Augenblick sprang Puschke auf und flüsterte Stein ins Ohr: „Hauptfeld, der neue Kompaniechef kommt.“

Stein schien das unangenehm zu sein, zumindest rief es in ihm eine gewisse Unsicherheit hervor. Er hatte es plötzlich sehr eilig, weil auch er nicht wusste, was der neue Kompanieführer für einer war.

„Stillschtann – Pianisten zum Kohlenabladen – weggetreten!“, kommandierte er. Zu Merten sagte er: „Gas vorbei, Gas vorbei, Merten! Packen Sie das Ding weg!“

Doch der Leutnant stand schon in der Tür und hatte Steins Kommando noch gehört. Während die Soldaten, außer Merten, der sich Zeit nahm und gemächlich die Maske vom Gesicht zog, zu den Kohlengabeln stürzten, fragte der Leutnant: „Pianisten? Augenblick mal!“

Hauptfeldwebel Stein brüllte diensteifrig: „Achtung! Zuuur Meldung an den neuen Kompanieführer, diiie Au – .“