Das Zauberpferd - Magdalen Nabb - E-Book

Das Zauberpferd E-Book

Magdalen Nabb

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Etwas Vernünftiges soll sich Irina zu Weihnachten wünschen. Doch sie will unbedingt das alte Spielzeugpferd aus dem Trödelladen und nennt es Bella. Ihre Eltern schütteln nur den Kopf, als sie Bella versorgt wie ein richtiges Pferd. Sie wissen natürlich nicht, daß Bella verzaubert ist und Irinas Leben von Grund auf verändern wird.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 71

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Magdalen Nabb

Das Zauberpferd

Roman

Aus dem Englischen von Sybil Gräfin Schönfeldt

Diogenes

1

Es war Heiligabend. Am Nachmittag hatte es gefroren. Die Welt war so glasig, hart und glatt wie eine Perle, die Sonne so bleich und dünn wie eine Scheibe aus Eis in einem Himmel, der so weiß wie die verschneite Erde schimmerte.

Irina ging vor ihrer Mutter und ihrem Vater auf dem Wege her, der durch die Felder zur Stadt führte. Sie hatte eine Lammfelljacke an, steckte in Stiefeln und Fausthandschuhen und trug eine Lammfellkappe. Ihr langer blonder Zopf hing ihr auf den Rücken. Die Kälte biss ihr in die mageren Wangen, und die Bäume zu beiden Seiten des Weges stießen mit ihren schwarzen Fingern durch den Nebelfrost, als ob sie die Vorübergehenden umklammern wollten.

Noch ehe sie die ersten Häuser am Stadtrand erreichten, vernahm Irina die fernen Klänge von Weihnachtsliedern, die eine Kapelle spielte. Sie schaute aber nicht auf. Sie drehte sich auch nicht zu den Eltern um und sagte: »Hört mal!« Sie ging nur schweigend weiter und starrte auf ihre dicken Stiefel, die auf den knirschenden Schnee traten. Irina mochte Weihnachten nicht.

Als sie die Stadt erreicht hatten, waren schon alle Schaufenster hell erleuchtet und strahlten im Nebeldunst. Auf dem verschneiten Marktplatz, wo Musikanten unter dem Weihnachtsbaum spielten, hingen überall bunte Lichterketten. Aber Irina und ihre Eltern blieben nicht stehen, um sich die Weihnachtslieder anzuhören, denn sie hatten zu viel zu erledigen. Sie kamen von einem Bauernhof, und zu Weihnachten brauchten alle Kunden mehr Sahne und Eier und Milch, und außerdem mussten sie rechtzeitig wieder daheim sein, um die Tiere zu füttern. Deshalb trennten sie sich. Der Vater verhandelte mit dem Milchmann vom Eckladen, während Irina mit der Mutter weiterging, um ihr bei den Besorgungen zu helfen.

Sie gingen zum Bäcker, um Brot und Mehl zu kaufen, und mussten in einer langen Schlange stehen und warten.

Am Anfang der Schlange stellte sich ein Mädchen, das viel kleiner als Irina war, auf die Zehenspitzen und deutete auf die Kuchen und auf die kleinen Pasteten, die mit Puderzucker bestreut waren. »Und davon auch welche«, rief das kleine Mädchen. »Für Oma. Und dann den großen Kuchen! Opa mag so gerne Kuchen! Den großen Kuchen!«

Irina beobachtete sie genau und merkte sich jedes Wort, aber als ihre Mutter an der Reihe war, bat sie um nichts. Sie war dünn, sie hatte auch nie viel Appetit, und außerdem es gab keine Großeltern, die zum Weihnachtsessen kamen.

Danach gingen sie ins Gemüsegeschäft und warteten wieder in einer langen Schlange.

Ein kleiner pummeliger Junge, der sich seinen roten Schal ein paar Mal um den Hals gewickelt hatte, zankte sich mit seiner älteren Schwester. »Ich mag aber Datteln am liebsten!«, protestierte er.

»Ach, red doch nicht«, sagte seine Schwester. »Du bist bloß scharf auf die Schachtel mit dem Bild drauf. Aber wir kaufen nur Feigen und Nüsse und Mandarinen, und damit basta.«

Doch ihre Mutter zwinkerte der Gemüsefrau zu und kaufte Feigen und Nüsse und Mandarinen und Datteln.

Irina beobachtete sie genau und merkte sich jedes Wort, aber als ihre Mutter an der Reihe war, bat sie um nichts. Sie hatte keine Geschwister, mit denen sie sich hätte zanken können.

Die Musikkapelle auf dem Marktplatz fing an, Kommet ihr Hirten, ihr Männer und Fraun zu spielen, und der pummelige kleine Junge mit dem roten Schal und seine Schwester fielen gerade in die Melodie ein, als Irina und ihre Mutter aus dem Laden kamen.

Es begann dunkel zu werden und vor den schneeigen Schatten funkelten die bunten Lichter noch heller. An der Straßenecke vor dem Gemüseladen verkaufte eine dicke Frau in Schürze und warmen Handschuhen Weihnachtsbäume.

Ein magerer Junge, etwas größer als Irina, suchte sich mit seinem Vater einen aus. »Den da! Nein, lieber den da, nein, doch diesen, ja, diesen hier, das ist der Größte!«

Sein Vater lachte und sagte: »Und wie sollen wir den da nach Hause schaffen?« Aber er kaufte ihn, kaufte ihn trotzdem, und die dicke Frau umwickelte ihn mit einem festen Strick, so dass sie ihn besser tragen konnten.

Irina beobachtete sie genau und merkte sich jedes Wort, aber sie bat um nichts. Schon vor Jahren hatte ihre Mutter gesagt: »Du bist jetzt zu alt für das Theater mit dem Weihnachtsbaum. Das ist nur Geldverschwendung. Du kannst dir stattdessen was Vernünftiges wünschen.«

So marschierten sie an den Weihnachtsbäumen vorbei und gingen quer über den Platz zur anderen Seite. Dort gab es ein Spielzeuggeschäft und direkt daneben einen düsteren Trödelladen. Ein verstaubter Mistelstrauß hing im Schaufenster, und nebenan war eine Boutique, in der wunderschöne Abendkleider mit üppigen Samtröcken ausgestellt waren.

Irina blieb neben ihrer Mutter stehen und starrte mit glänzenden Augen auf die Auslagen, ohne ein Wort zu sagen. Was hätte es für einen Sinn, sich ein schönes Kleid zu wünschen, wenn sie so weit von der Stadt entfernt wohnte, dass sie nie zu einer Party ging? Und was hätten Spielsachen für einen Sinn, wenn es keine Kinder in der Nähe gab, mit denen sie hätte spielen können?

»Hast du dich schon entschieden, was du dir wünschst?«, fragte ihre Mutter. »Du weißt doch, wir müssen uns beeilen, wir haben noch viel zu erledigen.«

Irina versuchte ihre Gedanken zu sammeln. Es ist schön, wenn man sich etwas wünschen kann, aber noch schöner, wenn das Geschenk eine Überraschung ist. So starrte sie nur die großen Puppen in den Kartons an und dann die Kleider und dann das Lametta und die Silberglöckchen, die die Schaufenster schmückten. Sie suchte einen Wunsch, der auch ihrer Mutter gefallen würde. Dann fiel ihr der dicke kleine Junge wieder ein und sein roter Schal, und weil sie nicht wollte, dass ihre Mutter warten musste und ärgerlich wurde, sagte sie: »Ich wünsche mir das rote Samtkleid …«

»Was hast du dir da bloß eingebildet! Wo willst du denn damit hin?«, fragte ihre Mutter ungeduldig.

»Ich weiß nicht …«

Es ist schwierig, einer Mutter zu gefallen, wenn man nicht genau weiß, was sie von einem erwartet. Da drehte sie sich um und sah ihren Vater kommen.

»Na?«, fragte er. »Fertig mit euren Einkäufen? Wird Zeit, dass wir umkehren.«

»Irina hat sich noch kein Geschenk ausgesucht«, erwiderte ihre Mutter ärgerlich. »Sieh nur, was sie für ein Gesicht zieht. Als ob’s eine Strafe wäre und kein Vergnügen.«

Irina hätte am liebsten gesagt: ›Ich will gar nichts. Ich mag nicht betteln. Ich will nur nach Hause.‹ Aber das wagte sie nicht.

Dann sagte der Vater: »Na komm, schauen wir noch einmal in den Spielzeugladen. Da muss es doch was für dich geben.«

»Sie ist verwöhnt, das ist es nämlich«, sagte ihre Mutter. »Sie hat gar keine Ahnung, was es heißt, sich etwas zu wünschen.«

Die Musikanten auf dem Marktplatz spielten jetzt ganz leise Stille Nacht. Die gefühlvolle Melodie, die zunehmende Dunkelheit und die Heiterkeit all der anderen Familien ließen Irina fast in Tränen ausbrechen.

»Ich will gar nichts«, murmelte sie heftig. »Ich will …« Doch kurz vor dem Spielzeuggeschäft blieb sie stehen.

»Komm weiter«, sagte ihr Vater. »Hier findest du bestimmt nichts.«

Aber Irina rührte sich nicht von der Stelle. Sie starrte durch das Schaufenster des Trödelladens und versuchte etwas in der Dunkelheit zu erkennen.

»Irina!«, sagte ihre Mutter. »Um Himmels willen, wir müssen nach Hause.«

Aber Irina, die sonst immer so still und gehorsam war, kümmerte sich diesmal um gar nichts. »Das Pferd …«, sagte sie. »Schaut euch doch das arme Pferd an!«

»Was für ein Pferd?«, fragte ihr Vater.

»Ich kann da kein Pferd erkennen«, sagte ihre Mutter und spähte mit dem Vater auf das düstere Gerümpel. Unter einem Durcheinander von zerbrochenen und verstaubten Möbelstücken konnten sie nur den Kopf und die verfilzte Mähne von etwas erkennen, das ein Schaukelpferd sein mochte.

»Jetzt seh ich’s auch«, sagte ihr Vater. »Na gut, komm weiter. Wir müssen los. Das alte Zeug wirst du dir wohl nicht zu Weihnachten wünschen.«

»Das will ich nicht hoffen«, sagte ihre Mutter. »So verdreckt, wie das aussieht.«

Irina aber blickte mit glänzenden Augen zu ihnen empor und die Tränen, die ihr bei dem schwermütigen Weihnachtslied und der wachsenden Dunkelheit und der Fröhlichkeit der anderen Familien in die Augen gestiegen waren, liefen jetzt über und kullerten ihr über die Wangen.

»Es ist verletzt«, sagte sie weinend. »Es ist einsam und verlassen und hat Angst und wird unter all den anderen Sachen zerdrückt!« Und ehe ihre Eltern etwas einwenden konnten, stürzte sie in den Trödelladen, so dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als ihr zu folgen.

2

D