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Ängstlich nähert sich die siebzehnjährige Sofia dem Dreiföhrenhof am Fuß des Feldkopfs. Nie zuvor ist sie hier gewesen, obwohl ihr Großvater der Besitzer des stolzen Anwesens ist. Aber weil ihre Mutter sich einst in einen fremden, nicht standesgemäßen Mann verliebt hat, hat Josef Meindel seine Tochter vom Hof gewiesen. Danach ist der Kontakt abgebrochen.
Doch nun ist Veronika Meindel gestorben, und Sofia hofft, dass ihre einzigen Verwandten sie gnädig bei sich aufnehmen. Sie ahnt nicht, dass für sie am Tag ihres Einzugs die Hölle auf Erden beginnt ...
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Seitenzahl: 127
Veröffentlichungsjahr: 2015
Cover
Impressum
Das Aschenputtel vom Dreiföhrenhof
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Anne von Sarosdy / Bastei Verlag
Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-1666-7
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Das Aschenputtel vom Dreiföhrenhof
Ihre freudlose Jugend machte sie einsam
Von Andreas Kufsteiner
Ängstlich nähert sich die siebzehnjährige Sofia dem Dreiföhrenhof am Fuß des Feldkopfs. Nie zuvor ist sie hier gewesen, obwohl ihr Großvater der Besitzer des stolzen Anwesens ist. Aber weil ihre Mutter sich einst in einen fremden, nicht standesgemäßen Mann verliebt hat, hat Josef Meindel seine Tochter vom Hof gewiesen. Danach ist der Kontakt abgebrochen.
Doch nun ist Veronika Meindel gestorben, und Sofia hofft, dass ihre einzigen Verwandten sie gnädig bei sich aufnehmen. Sie ahnt nicht, dass für sie am Tag ihres Einzugs die Hölle auf Erden beginnt …
Ungläubig blickte Erika Meindel auf ihren gerade verstorbenen Ehegatten, als würde sie erwarten, dass er sich jeden Moment wieder von seinem Lager erhob, auf das ihn der Tod so erbarmungslos niedergeschmettert hatte.
Nicht, dass sie darüber froh gewesen wäre, obwohl es in der letzten Zeit mit dem alten Querkopf nicht gerade einfach gewesen war. Und wenn es nun dem Herrgott gefallen hatte, ihn in sein Himmelreich zu holen, so sollte sie auch nicht hadern. Trotzdem verspürte sie Wehmut. Immerhin waren sie über zwanzig Jahre verheiratet gewesen.
Zwar war es keine Liebe gewesen, die sie zusammengeführt hatte, sondern mehr der Zweck. Josef Meindel, der Bauer vom Dreiföhrenhof in St. Christoph, hatte gerade seine erste Frau verloren und mit seiner halbwüchsigen Tochter Veronika allein dagestanden. Und sie hatte für sich und ihren siebzehnjährigen Sohn Bastian ein Dach über dem Kopf gesucht, nachdem ihr wegen Mietrückstände die Wohnung gekündigt worden war. Es war Zufall gewesen, dass sie gerade da dem Bauern über den Weg gelaufen war, der händeringend eine Haushälterin gesucht hatte.
Anfangs hatte sie Josef Meindel auch nur die Wirtschaft im Haus geführt und dafür Kost und Logis freigehabt. Aber der stattliche Bauer hatte ihr gefallen, obwohl er über zehn Jahre älter gewesen war.
Schließlich hatten sie aus der Not eine Tugend gemacht und geheiratet. Natürlich hatte sie ihn gern gehabt, den Sepp. Doch mit der Zeit hatte der Altersunterschied immer mehr eine Rolle gespielt.
Sie war eine lebenslustige Frau, wollte Geselligkeit und sich nicht nur rund um die Uhr auf dem Hof abrackern. Doch der Sepp war immer träger und übellauniger geworden und hatte zuletzt nur noch seine Ruhe gewollt.
Dazu hatte die harte Arbeit seine einst kräftige Statur gebeugt, und schließlich hatte ihm auch das Herz zu schaffen gemacht, was wohl der Grund für den plötzlichen Tod mit nur dreiundsiebzig Jahren war.
»Herzversagen«, bestätigte Dr. Martin Burger, der Landarzt von St. Christoph, die Vermutung der Witwe. »Der Sepp hat nix mehr gespürt, so schnell hat der Gevatter zugeschlagen.« Sanft drückte er dem Verstorbenen die Augen zu.
Er richtete sich aus der gebückten Haltung auf und nahm das Stethoskop ab. Hier gab es für ihn nichts mehr zu tun, und fast mochte man denken, dass es ein Segen war.
Josef Meindel war ein unglücklicher, alter Mann gewesen, der seine Fehler bitter bereut hatte. Allen voran den Disput mit seiner Tochter Veronika, die knapp achtzehnjährig mit einem italienischen Gastarbeiter in dessen Heimat durchgebrannt war, weil sie einen reichen Schweinebauer aus Bergfelden hätte heiraten sollen. Doch Vroni hatte ihr Herz lieber dem Haderlumpen aus Italien geschenkt, was der Josef nicht verzeihen konnte. Als er seiner Tochter endlich die Hand zur Versöhnung reichen wollte, war sie nicht mehr auffindbar gewesen und hatte auch nie wieder etwas von sich hören lassen.
Die Ehe mit der eitlen und raffgierigen Erika war der zweite große Fehler im Leben des Bauern gewesen. Die egoistische Frau war nicht ganz unschuldig an der Flucht der Stieftochter, mit der sie sich nicht verstanden hatte. Erika hatte sich auch kaum die Hände auf dem Hof schmutzig gemacht, während der Sepp bis zum Umfallen schuften musste, um ihre Ansprüche zu erfüllen.
Ebenso hatte man ihren arbeitsscheuen Buben jahrelang im Wirtshaus den Maßkrug stemmen sehen, statt im Stall die Mistgabel zu schwingen. Erst die Heirat mit Liesl, einer Bauerntochter aus einem Dorf nahe Mayrhofen, hatte den Bastian gezähmt.
Zwar war Arbeit noch immer nicht sein Ding. Aber Liesl schwang ein strenges Zepter und hatte die Familie, zu der auch die beiden Töchter Agathe und Marlene gehörten, fest im Griff. Allerdings war sie auch eine herrschsüchtige Frau, die den alternden Bauern unterdrückt hatte. Früher ein energischer, willensstarker Mann, hatte er zuletzt den Dingen immer mehr ihren Lauf gelassen.
Oft hatte Sepp dem Bergdoktor, wie Dr. Burger von seinen Patienten respektvoll genannt wurde, sein Leid geklagt. Er hatte seine Tochter vermisst und unter der Willkür der Familie gelitten. Aber er hatte keine Kraft mehr gehabt, das Steuer in seinem Leben nochmals herumzureißen und die Schmarotzer hinauszuwerfen, die sich wie Läuse in seinem Pelz festgesetzt hatten. Einzig die Enkeltöchter seiner Frau waren ein Lichtblick im tristen Leben des alten Mannes gewesen. Er hatte sie wie eigene Enkel geliebt.
»Es hat dem Alten also das Licht ausgeblasen«, bemerkte Bastian Kreuzer, der Sohn von Erika, respektlos und bereute es zugleich. Ohnehin von kleinwüchsiger, gedrungener Gestalt schrumpfte er unter dem scharfen Blick des groß gewachsenen Arztes noch mehr in sich zusammen. »Ich meinte, als wenn der Blitz eine knorrige Eiche fällt«, ruderte er zurück und musste sich ein Grinsen verbeißen.
Knorrige Eiche war ein guter Vergleich für den Stiefvater, der ihm mit seinen ewigen Vorhaltungen und Forderungen das Leben schwer gemacht hatte. Bastian hatte es immer gehasst, wenn sich der Bauer in voller Größe vor ihm aufgebaut hatte und ihn mit seinem verächtlichen Blick hatte spüren lassen, was für ein Wicht er war, nicht nur von Gestalt, sondern vor allem im Wesen. Und nun blickte der Bergdoktor genauso verachtend auf ihn herab.
»Ein bisserl Pietät wär schon angebracht«, grollte Dr. Burger. »Wenn’s auch allgemein bekannt ist, dass du und der Sepp net unbedingt ein Herz und eine Seele wart, könntest du wenigstens so tun, als würde dich sein Tod betrüben«, hielt er Bastian vor. »Immerhin hat er dir und deiner Familie ein angenehmes Leben ermöglicht.«
Sein Blick schweifte zu Erika ab, die unter ihren stark geschminkten Wimpern ein paar Tränen hervorpresste. Wenigstens wahrte die Witwe den Schein, wenn sie im Stillen auch bereits die Erbschaft erwog, die ihr nun in den Schoß fiel, dachte Dr. Burger grimmig.
Der Dreiföhrenhof, der in einer Mulde des Feldkopfs, dem höchsten Berg der Gegend, seinen Platz hatte und den Namen den drei Kiefern am Toreingang verdankte, war von einigem Wert. Zu dem Besitz gehörten große Wiesenflächen und Waldstücke, deren Verkauf nun die Familienkasse klingeln lassen würde. Bisher hatte der Sepp die Hand darauf gehalten.
Der Arzt setzte sich an einen Tisch und schrieb den Totenschein aus, als die Mädchen hereinkamen. Sie waren gerade erst heimgekommen. Agathe arbeitete als Zimmermädchen in einem Hotel in Mayrhofen, und Marlene besuchte in der Marktgemeinde die Oberschule. Man sah den beiden an, wie schockiert sie waren.
Zumindest Marlene trauerte aufrichtig um ihren Großvater. Sie war ein nettes Mädchen mit einem warmen Herzen. Bei ihrer großen Schwester war sich Dr. Burger nicht so sicher, ob sie nicht nur Krokodilstränen weinte. Agathe war wegen ihrer hochmütigen, oftmals schnippischen Art nicht sonderlich beliebt.
»Ich schicke euch den Bestatter vorbei. Mit ihm könnt ihr alles Weitere regeln«, wandte er sich wieder der Witwe zu, die sich nun keine Mühe mehr machte, Trauer vorzutäuschen, die sie nicht empfand. Die Tränenspuren auf ihren Wangen waren weggewischt, sie wirkte kühl und gefasst.
»Danke, dass Sie gleich gekommen sind, Herr Doktor«, sagte sie förmlich und geleitete den Arzt zur Tür. Dort fühlte sie sich aber doch bemüßigt, nochmals Betroffenheit zu heucheln. »Es ist uns ein Trost, dass der Sepp net hat leiden müssen.«
Dr. Burger lag eine sarkastische Bemerkung auf der Zunge. Er schluckte sie hinunter und nickte nur. Der alte Bauer mochte seine Fehler gehabt haben und zuletzt ein ziemlicher Nörgler gewesen sein. Trotzdem hatte er etwas mehr Trauer verdient.
***
Es war ein herrlicher Frühlingstag im Mai, als Josef Meindel auf dem Dorffriedhof von St. Christoph bestattet wurde. Abermals verdrückte Erika ein paar Tränen, und selbst Bastian putzte sich geräuschvoll die Nase. Doch kaum war die letzte Schaufel Erde auf den Sarg gefallen, verstreuten sich alle wieder. Auf den üblichen Leichenschmaus wurde verzichtet.
»Jetzt können die Hyänen die Beute net schnell genug unter sich aufteilen«, grollte Toni Angerer, der Bürgermeister von St. Christoph. Er hatte dem Toten das letzte Geleit gegeben.
Die falsche Trauer der Witwe hatte ihm den Blick nicht verschleiern können. Verächtlich sah er der Familie nach, wie sie schnellen Schrittes davoneilte. Keiner hielt es für nötig, noch eine besinnliche Minute am Grab einzulegen. Dafür prangte ein großer Blumenkranz auf dem frisch aufgeworfenen Erdhügel, dessen Schleife mit einem herzzerreißenden Aufdruck vor Heuchelei nur so triefte.
Die Tochter des Verstorbenen hatte man bei der Aufzählung der Familienmitglieder tunlichst ausgespart, und sonst gab es keine näheren Verwandten mehr.
Dr. Burger war ebenfalls zur Beerdigung gekommen. Er nickte schwer.
»Habt ihr schon versucht, die Vroni ausfindig zu machen, um sie über den Tod ihres Vaters in Kenntnis zu setzen, Toni?«, erkundigte er sich, während er neben dem Bürgermeister zum Ausgang schritt. »Die Witwe macht sich bestimmt net die Mühe, muss sie doch um ihr Erbe fürchten. Als leibliche Tochter des Bauern steht der Vroni die Hälfte des Besitzes zu, wenn kein anderslautendes Testament existiert. Da spielt’s keine Rolle, dass sie mit ihrem Vater gebrochen hat.«
Der Angerer zuckte resigniert die Schultern.
»Leider hatten wir bisher keinen Erfolg mit unserer Nachforschung. Seit die Vroni mit dem Italiener durchgebrannt ist, verliert sich ihre Spur. Wir wissen ja net mal, wie der Bursche mit Nachnamen hieß oder aus welchem Ort in Italien er stammte.« Er wiegte den Kopf. »Möglich, dass der Sepp Kontakt zu seiner Tochter hatte und ihre Adresse kannte. Gesprochen hat er nie darüber.«
Dr. Burger rieb nachdenklich sein Kinn.
»Mir gegenüber hat der Sepp mal Andeutungen gemacht, dass er seinen Letzten Willen testamentarisch festlegen will und dass sich die Erika über seine Entscheidung noch wundern würde.« Er seufzte. »Wenn’s denn ein Testament gibt und die Vroni vielleicht die Nutznießerin ist, hat es der Sepp hoffentlich bei einem Notar hinterlegt. Sonst verliert die Tochter ihr Erbe, und die Witwe lacht sich ins Fäustchen. Dann passiert genau das, was bestimmt net im Interesse vom Sepp sein dürfte. Der Bastian reißt sich über seine Mutter den Hof gänzlich unter den Nagel.«
»Beim Notar liegt das Testament bestimmt net«, zweifelte der Bürgermeister. »Der Sepp hatte doch eine notorische Abneigung gegen alle Ämter und offizielle Stellen. Wenn er net wollte, dass die Erika – und somit der Bastian – den Hof bekommt, hat er seinen Letzten Willen zwar niedergeschrieben, aber das Papier im Haus versteckt, und zwar da, wo es die Vroni findet und net seine Frau.« Der Angerer schnaufte. Bei seiner Korpulenz hatte er Mühe, mit dem sportlichen Arzt Schritt zu halten.
Dr. Burger verzog grimmig das Gesicht.
»Es gibt kein Versteck, das die Erika net aufdeckt.« Er öffnete das schmiedeeiserne Tor des Friedhofs und ließ dem Bürgermeister den Vortritt. Dann verabschiedete er sich und wollte zu seinem Haus, das nur wenige Meter entfernt war. Doch der Angerer hielt ihn zurück.
»Was halten Sie davon, wenn wir zwei im ›Ochsen‹ noch eine Maß Bier aufs Wohl des alten Bauern trinken, Herr Doktor?«, meinte er und zuckte die Schultern. »Wo’s doch keinen Leichenschmaus gibt.«
Die urige Dorfwirtschaft »Zum Ochsen« befand sich traditionsgemäß neben der Kirche. Nach der sonntäglichen Messfeier zog es die Bergbauern meist zum Stammtisch, um sich bei einer Maß Bier vom harten Alltag zu entspannen, Probleme zu erörtern oder die neuesten Gerüchte durchzuhecheln, die gerade die Runde im Dorf machten. Die Plauderecke der Frauen war dagegen der Gemischtwarenladen der Jeggl-Alma.
Dr. Burger nickte schmunzelnd. Er hatte dem Angerer erst neulich geraten, seinen Bierkonsum der Gesundheit zuliebe etwas einzuschränken. Trotzdem ließ dieser keine Gelegenheit aus, um in den Genuss des begehrten Gerstensaftes zu kommen.
»Der Sepp hat’s verdient, das man seiner noch ein bisserl gedenkt«, stimmte er schließlich zu. »Allerdings hat der Sepp aufgrund seines kranken Herzens zuletzt keinen Alkohol mehr angerührt. So wollen wir’s auch halten und uns allenfalls an einem alkoholfreien Bier laben. Das hat weniger Kalorien, und zudem ist erst früher Nachmittag.«
Er amüsierte sich köstlich über die entgleisten Gesichtszüge des Bürgermeisters, der ihm nun sichtlich verdrossen zum Wirtshaus folgte.
***
Kaum zu Hause angekommen, durchwühlte Erika Meindel das Bauernhaus nach dem Testament, das sie bisher noch nicht gefunden hatte. Sepp hatte ihr selbst davon berichtet und gemeint, ihr würden vor Überraschung die Augen übergehen. Dabei hatte seine Stimme so hämisch geklungen, dass Erika nun befürchtete, von ihrem Mann enterbt worden zu sein. Umso wichtiger war es, dass sie das Papier fand und es vernichtete, bevor noch die Vroni in den Genuss der Erbschaft kam.
Der alte Bauer hatte durchaus gewusst, wo sich seine Tochter aufhielt. Vroni hatte ihm kurz nach ihrer Flucht aus Italien einen Brief geschickt, in dem sie versucht hatte, ihre Beweggründe zu erklären. Aber sie war ebenso stolz wie ihr Vater und hatte ihn nicht um Verzeihung gebeten. Daraufhin hatte Sepp den Kontakt gänzlich abgebrochen.
Jahre später hatte ihn dann aber doch die Sehnsucht übermannt. Er hatte seiner Tochter geschrieben, doch nie eine Antwort erhalten, was auch nicht verwunderlich war.
Erika hatte den Brief nämlich nicht zum Postamt gebracht, wie ihr Mann sie gebeten hatte. Sie hatte nicht gewollt, dass die aufmüpfige Stieftochter wieder nach Hause kam und ihr womöglich abermals den Rang beim Sepp ablief. Und das war auch gut so. Ohne das Testament ging das Erbe automatisch auf sie über, und die Vroni konnte allenfalls ihren Pflichtteil beanspruchen, sollte sie überhaupt jemals auftauchen.
»Herrje, wo hast du bloß das blöde Papier versteckt, du alter Gauner!«, stöhnte sie und warf die Arme in die Luft.
Auch im Schlafzimmer wurde sie nicht fündig. Zwar hatten sie schon immer in getrennten Räumen geschlafen, trotzdem war es dem Verstorbenen zuzutrauen, dass er das Testament direkt vor ihrer Nase versteckt hatte. Einen Notar hatte er gewiss nicht bemüht. Davon war auch Erika überzeugt.
Erschöpft ließ sie sich aufs Bett fallen und rieb ihre schmerzenden Schläfen. Langsam war sie mit ihrem Latein am Ende. Trotzdem wollte sie nicht ihren Sohn und die Schwiegertochter in die Suche mit einbeziehen. Es war besser, keine Zeugen zu haben, die sich nur verplappern würden, sollte sie das Papier wirklich finden. Besonders Liesl hatte eine lockere Zunge, und die Hellste war sie auch nicht.
Ruckartig setzte Erika sich auf und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Natürlich, warum war sie nicht gleich darauf gekommen? Es gab einen Platz, wo der Sepp bestimmt angenommen hatte, dass sie diesen niemals in Erwägung ziehen würde, der aber der Vroni gut bekannt sein dürfte.
Nach ihrer Hochzeit hatte Erika die wurmstichigen Schlafzimmermöbel durch eine moderne Einrichtung ersetzen lassen. Bis auf den großen Bauernschrank, der nun auf dem Dachboden verrottete, war alles verheizt worden.
Erika eilte in die Diele und stieg die steile Treppe zum Speicher hinauf. Sie war allein im Haus und konnte sich frei bewegen, ohne dass jemand neugierige Fragen stellte.