Der Bergdoktor 1809 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 1809 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Als gebrochene Frau kehrt Heidrun Wimmer nach acht Jahren in ihr Heimatdorf St. Christoph zurück. An ihrer Hand hält sie ein kleines Mädchen mit Down-Syndrom.

Monerls Gendefekt ist auch der Grund, warum Heidruns ihre Ehe mit dem reichen Autohändler Gernot Wimmer aus Salzburg gescheitert ist. Er konnte sich einfach nicht damit abfinden, dass seine Prinzessin "anders" ist!

Heidrun aber will sich nicht länger mit ihrer Tochter in der noblen Villa "verstecken". Sie ist stolz auf Monerl, die zwar etwas langsamer lernt als andere Kinder, aber alle mit ihrem sonnigen Wesen bezaubert.

Mit jedem Tag in den Bergen blüht Monerl mehr auf - Heidrun allerdings bricht plötzlich zusammen ...

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Seitenzahl: 131

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhalt

Cover

Impressum

Was uns das Schicksal auferlegt …

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock / PonomarenkoNataly

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-2651-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Was uns das Schicksal auferlegt …

So stark schlägt nur ein Mutterherz

Von Andreas Kufsteiner

Als gebrochene Frau kehrt Heidrun Wimmer nach acht Jahren in ihr Heimatdorf St. Christoph zurück. An ihrer Hand hält sie ein kleines Mädchen mit Down-Syndrom.

Monerls Gendefekt ist auch der Grund, warum Heidruns ihre Ehe mit dem reichen Autohändler Gernot Wimmer aus Salzburg gescheitert ist. Er konnte sich einfach nicht damit abfinden, dass seine Prinzessin »anders« ist!

Heidrun aber will sich nicht länger mit ihrer Tochter in der noblen Villa »verstecken«. Sie ist stolz auf Monerl, die zwar etwas langsamer lernt als andere Kinder, aber alle mit ihrem sonnigen Wesen bezaubert.

Mit jedem Tag in den Bergen blüht Monerl mehr auf – Heidrun allerdings bricht plötzlich zusammen …

Die Türglocke schrillte hell durch das kleine Häuschen am Ortsrand von St. Christoph und schreckte Anton Luchseneder aus seinem Nickerchen auf. Schwerfällig erhob sich der Pensionär aus dem Sessel, schlurfte zur Tür und öffnete.

Vor ihm stand seine Tochter Heidrun, zu der er keinen Kontakt mehr hatte, seit sie den reichen Schnösel aus der Stadt geheiratet hatte. An diesem Vormittag im Mai hatte sie angerufen und ihm mitgeteilt, dass sie kommen würde. Mehr hatte sie nicht gesagt, und er hatte nicht nach dem Grund gefragt. Und nun war sie da, mit dem kleinen Mädchen an der Hand, das seine Enkelin war und das er noch nie zuvor gesehen hatte.

Anton war erschüttert. Heidrun war eine ungewöhnlich hübsche junge Frau gewesen, als sie vor knapp neun Jahren Gernot Wimmer, dem Besitzer eines feudalen Autohauses in Salzburg, in die Großstadt gefolgt war. Lange blonde Locken hatten ein zartes Madonnengesicht umrahmt, in dem die blauen Augen noch in der Unschuld des Mädchens vom Lande strahlten.

Jetzt waren diese Augen verschattet und das Madonnengesicht verhärmt. Tiefe Falten hatten sich um die Mundwinkel eingegraben, die von Resignation und Verbitterung zeugten. Offenbar waren ihre Träume von einem sorgenfreien Leben an der Seite ihres vermögenden Mannes wie eine Seifenblase zerplatzt.

»Da bist du also«, knurrte er. Sein Blick streifte das kleine blonde Mädchen, das seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war und doch irgendwie anders aussah. Die Sechsjährige blickte ihn mit ihren seltsam schräg stehenden blauen Augen arglos an, und ihr Lächeln war so vertrauensvoll, dass ihm ganz sonderbar ums Herz wurde.

»Ja, da bin ich«, erwiderte Heidrun und sah den Vater flehend an. »Dürfen wir hereinkommen?«

Der alte Mann nickte und trat beiseite.

»Du kannst das Schlafzimmer haben«, brummte er. »Da hast du mehr Platz mit der Kleinen als in deiner alten Kammer. Die reicht für mich.«

Heidrun blickte überrascht auf. So viel Entgegenkommen hatte sie von ihrem Vater nicht erwartet, nachdem sie im Streit voneinander geschieden waren. Auch sonst hatten sie sich nicht immer gut verstanden. Ihr Vater war ein unverbesserlicher Nörgler, dem man nichts recht machen konnte. Hätte sie eine Wahl, würde sie sich gewiss nicht der Demütigung aussetzen, gerade bei ihm wieder unterzuschlüpfen.

Außerdem würde es in dem ehemaligen Austragshäusl eines stillgelegten Bauernhofes eng werden. Anton Luchseneder hatte es vor vielen Jahren für wenig Geld von den Erben erstanden. Es gab nur drei Räume, das Elternschlafzimmer, Heidruns ehemaliges Kinderzimmer und die große Wohnküche, in der sich früher ihr Familienleben abgespielt hatte. Das Bad war so winzig, dass man sich kaum umdrehen konnte, erfüllte aber mit der Sitzbadewanne seinen Zweck.

»Danke, Papa«, sagte sie leise und drückte sich an Anton vorbei ins Haus.

Angesichts der beiden großen Koffer, die seine Tochter mit sich schleppte, runzelte der neunundsechzigjährige Rentner die Stirn.

»Wie lange willst du denn bleiben?«, fragte er misstrauisch. Er hatte eigentlich vermutet, dass ihn Heidrun mit ihrer Tochter besuchen kam, um sich mit ihm auszusöhnen. Doch das sah nach Einquartierung aus.

Heidrun zögerte. »Können wir darüber reden, wenn ich das Monerl ins Bett gebracht habe, Papa?«

Die Falten auf Antons Stirn gruben sich noch tiefer ein. Er rieb sein Kinn.

»Es ist doch erst früher Nachmittag, und die Kleine ist wohl aus dem Alter raus, wo Kinder noch ihren Mittagsschlaf brauchen?«, argwöhnte er und nahm seine Enkelin näher in Augenschein. Irgendetwas stimmte mit dem Madel nicht. Es hatte bisher noch kein Wort gesagt, strahlte ihn nur an.

»Wir sind seit Stunden unterwegs, da ist Monerl halt müde«, erwiderte Heidrun leicht genervt. Sie schob mit der Schulter die Tür zum Schlafzimmer auf und wuchtete die Koffer hinein.

»Ich koch uns erst mal einen Kaffee«, sagte Anton und enthielt sich jeder weiteren Frage. Ohne es eigentlich zu wollen, streckte er die Hand aus und strich seiner Enkelin sanft über den Blondschopf.

Er konnte mit Kindern nicht umgehen, war selbst seiner Tochter gegenüber gehemmt gewesen, als sie noch klein war. Doch Monerl hatte eine so rührende Art, dass es ihn einfach überwältigte.

Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Das Mädchen hatte das Downsyndrom, nicht besonders ausgeprägt und auf den ersten Blick auch nicht zu erkennen. Aber trotzdem waren die Merkmale vorhanden, die schräg gestellten Augen, die Arglosigkeit, mit denen diese Kinder anderen Menschen begegneten, und ein Lächeln, als würde die Sonne aufgehen.

»Sie ist hübsch«, meinte er nachdenklich.

»Natürlich ist sie hübsch«, gab Heidrun schroff zurück, dämpfte dann aber ihre Stimme. »Hast du geglaubt, Kinder mit dieser Anomalie sind zwangsläufig hässlich?« Sie hatte am Blick ihres Vaters erkannt, dass er die Wahrheit wusste.

»Habt ihr Hunger?« Mit dieser Frage umging Anton die Konfrontation mit seiner Tochter. Er seufzte. Schon früher waren sie sich sofort in die Haare geraten, wenn einer von ihnen nur ein falsches Wort sagte. Dabei hatte er es jetzt nur ehrlich gemeint.

Heidrun sah ein, dass sie überzogen reagiert hatte. Sie lächelte zerknirscht.

»Entschuldige, Papa, ich bin ein bisserl überreizt. Der Verkehr war mörderisch und Monerl unleidlich, weil sie net versteht, warum sie so überstürzt ihr gewohntes Umfeld verlassen musste.« Sie stellte die Koffer ab und hauchte ihrem müden Kind einen Kuss auf die Stirn, bevor sie die Frage ihres Vaters beantwortete: »Wir haben schon unterwegs gegessen. Aber ein Kaffee wäre recht.«

Anton Luchseneder nickte und schlurfte in die Küche. Unterdessen packte Heidrun ihren kleinen Schatz ins Bett und streichelte ihn liebevoll in den Schlaf. Wenn das Monerl vom Schicksal auch benachteiligt war, würde sie es doch niemals so ablehnen, wie es der eigene Vater tat.

Traurig wischte sie mit dem Jackenärmel über ihre Stirn. Sie fühlte sich entsetzlich ausgelaugt. Diese unwürdige Ehe hatte ihr alle Kraft geraubt. Höchste Zeit, dass sie sich daraus befreite und wieder die Frau wurde, die sie gewesen war, bevor ihr Gernot den Kopf verdreht hatte.

Nie hätte sie gedacht, dass er sie derart enttäuschen würde. Dabei war sie einmal seine Prinzessin gewesen. Jeden Wunsch hatte er ihr von den Augen abgelesen. Aber Prinzessinnen hatten makellos zu sein, und spätestens als Monerl zur Welt kam, so zart, so süß, aber nicht perfekt, hatte Heidrun ihren Glorienschein eingebüßt. Gernot hatte sie fallen lassen wie eine heiße Kartoffel, und seine Tochter war für ihn nur ein lästiges Anhängsel.

Niemals würde Heidrun die Reaktion ihres Mannes bei der Geburt vergessen. Sein Vaterstolz war schlagartig einem Ausdruck von Widerwillen und Enttäuschung gewichen, als die Ärzte ihn mit der Wahrheit über seine neugeborene Tochter konfrontierten. Er hatte ohne ein Wort das Krankenzimmer verlassen und auch später das Baby kaum beachtet, als Heidrun mit ihm nach Hause kam. Zudem hatte er verlangt, dass sie das Kind vor ihren Bekannten und den Kunden verborgen hielt. Eine Tochter mit Downsyndrom passte nicht in das Familienbild des erfolgreichen und angesehenen Geschäftsmannes.

Trotzdem hatte es noch eine ganze Weile gedauert, bis Heidrun die rosarote Brille der Verblendung abgesetzt und ihren Mann so gesehen hatte, wie er wirklich war, egoistisch, kaltherzig und machtbesessen. Dabei hatte sie einmal geglaubt, mit dem zehn Jahre älteren Unternehmer das große Los gezogen zu haben. Sie seufzte schwer.

Die Tür öffnete sich, und Anton steckte den Kopf durch den Spalt.

»Ich dachte, ich seh mal nach, ob du ebenfalls eingeschlafen bist«, brummte er. »Der Kaffee ist fertig.«

»Ich komme gleich, Papa«, erwiderte Heidrun und erhob sich schwerfällig. Sie sehnte sich danach, sich neben ihrer Tochter auszustrecken und für eine Weile ihre Sorgen zu vergessen. Aber sie wollte ihren Vater nicht verärgern.

***

Anton nahm die gusseiserne Kaffeekanne von dem altmodischen Küchenherd und goss die Haferln voll.

Heidrun seufzte innerlich. Nichts hatte sich verändert, seit sie das Haus verlassen hatte. Noch immer weigerte sich ihr Vater, die Kaffeemaschine zu benutzen, die sie von ihrem Verdienst angeschafft hatte, und die Mikrowelle war gänzlich verräumt. Sie konnte sich noch erinnern, was es für einen Aufstand gab, als sie das Gerät angeschleppt hatte. Teufelszeug hatte der Vater die moderne Technik abgeschmettert, die ihr lediglich die Küchenarbeit erleichtern sollte.

Die Mutter war einem heimtückischen Krebsleiden erlegen, als Heidrun acht Jahre alt gewesen war, und danach hatte die Oma das Zepter im Haus geschwungen. Doch kaum hatte Heidrun das Teenageralter erreicht, hatte der Gevatter auch diese heimgeholt.

Es hatte ihr nichts ausgemacht, dem Vater die Wirtschaft zu führen, obwohl sie als Assistentin von Hedi Kastler, der Chefin vom »Berghotel Sonnenhang« in St. Christoph, ziemlich eingespannt gewesen war. Dabei hätte sich der Vater mit seinem Verdienst als Vorarbeiter im nahen Sägewerk durchaus eine Zugehfrau leisten können. Aber er hatte fremde Hilfe immer ebenso abgelehnt wie moderne Haushaltsgeräte.

Noch heute war der mit Holz befeuerte, alte Herd neben einer kleinen Elektroplatte die einzige Kochstelle in der Küche. Selbst der Mutter war es nicht gelungen, ihren Mann zur Anschaffung eines modernen Gasherdes zu überreden.

Heidrun stöhnte innerlich. Sie musste sich gewaltig umstellen, wenn sie eine Weile mit ihrer kleinen Tochter in dem Häuschen wohnen wollte.

In ihrer Salzburger Villa gab es kaum ein Gerät, das nicht der neuesten Technik entsprach. Aber das war ja nun nicht mehr ihr Zuhause. Sie biss sich auf die Unterlippe, um die Tränen zu unterdrücken, die plötzlich in ihrer Kehle brannten. Sie hatte die Jugendstilvilla mit dem alt eingewachsenen Garten am Stadtrand von Salzburg sehr geliebt. Auf den enormen Luxus, den ihr Mann als Lebensqualität bezeichnete, hätte sie allerdings gern verzichtet.

»Bei mir ist’s halt net so feudal wie in deiner Salzburger Behausung«, knurrte Anton. »Aber wer hier unterschlüpfen will, muss sich mit dem abfinden, was er vorfindet. Ich hab kein reich gefülltes Geldsäckerl.« Er stellte die Haferln so heftig auf den Tisch, dass sie überschwappten.

Verlegen senkte Heidrun den Kopf. Standen ihr die negativen Gedanken schon auf der Stirn geschrieben? Sie kostete vorsichtig von ihrem Kaffee, den sie gern schwarz trank, und verzog angewidert das Gesicht.

»Dein Gebräu weckt ja Tote auf, Papa.«

»Oder befördert dich geradewegs in die Kiste.« Anton grinste schräg und nahm ungerührt noch einen Schluck aus seinem Haferl. Dann wurde er jedoch ernst. »Dr. Burger meint, ich solle meinen Kaffeekonsum einschränken und lieber Tee trinken, weil meine Pumpe net mehr so richtig will«, gab er zu. »Aber wozu soll ich mich kasteien? Ich trink meinen Kaffee schon seit Jahren so stark, dass andere wohl einen Herzkasperl bekämen, und lebe immer noch.«

»Trotzdem solltest du auf den Bergdoktor hören, Papa«, mahnte Heidrun besorgt. »Das Herz versagt dir schnell den Dienst, wenn du solchen Raubbau treibst.«

Sie kannte Dr. Martin Burger, den Landarzt von St. Christoph, als kompetenten Arzt, dessen Warnung man nicht einfach in den Wind schlagen sollte. Wegen seines großen Einfühlungsvermögens und Fachwissens wurde er von seinen Patienten achtungsvoll »Bergdoktor« genannt.

Sie stand auf, ging zum Küchenschrank und holte die Zuckerdose hervor. Die Herzbeschwerden ihres Vaters machten ihr Sorgen. Er war ihr immer so unverwüstlich wie eine Eiche erschienen, aber auch genauso knorrig. Sie war nie richtig mit ihm warm geworden.

Es hatte auch nur eine Frau gegeben, in deren Händen er Wachs gewesen war, und das war ihre verstorbene Mutter. Sie lächelte wehmütig. So brummig und schroff ihr Vater auch war, er hatte seine Frau innig geliebt. Und seine einzige Tochter liebte er ebenso, wenn auch auf eine Art, die Heidrun nicht immer verstand.

Sie seufzte leise. Hoffentlich kamen sie jetzt besser miteinander aus. Der Vater schien ruhiger geworden zu sein, seit er nicht mehr im Sägewerk malochen musste. Und auch sie legte nicht mehr jedes Wort auf die Goldwaage. Als Zwanzigjährige war sie nur noch genervt gewesen und hatte sich in dem kleinen Zillertaler Bergdorf St. Christoph immer mehr eingeengt gefühlt.

Zudem hatte sich in ihre Beziehung zu ihrem Jugendfreund Lorenz Pfälzer die Langeweile eingeschlichen und ihre einst zärtliche Liebe wie ein stilles Bächlein verplätschern lassen. Lorenz hatte Jura studiert und so manches Wochenende lieber die Nase in die Bücher gesteckt, statt Heidrun ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken.

Kein Wunder, dass der attraktive Salzburger Geschäftsmann mit seinem weltmännischen Gehabe und der Leidenschaft in den dunklen Augen leichtes Spiel mit ihr gehabt hatte.

Gernot hatte damals in St. Christoph Skiurlaub gemacht und war im Berghotel »Am Sonnenhang« abgestiegen. Sie hatte seine Bewunderung genossen und trotz des Ärgers mit ihrer Chefin, die eine nähere Bekanntschaft mit den Gästen strikt untersagte, seine kleinen Aufmerksamkeiten gern angenommen. Mal war es ein Strauß Rosen, mal eine Schachtel von ihrem Lieblingskonfekt oder eine Einladung zum Essen. Es hatte ihr gutgetan, umworben zu werden, nachdem sie für Lorenz schon so selbstverständlich gewesen war wie ein Möbelstück. Trotzdem schämte sie sich noch heute, ihren Jugendfreund so schnöde abserviert zu haben, um der Verlockung des reichen Unternehmers zu folgen.

»Was stierst du eigentlich Löcher in die Luft?«, holte Anton seine Tochter kopfschüttelnd aus ihren düsteren Gedanken. »Dein Kaffee wird kalt.«

Hastig nahm Heidrun eine Packung Milch aus dem Kühlschrank und setzte sich wieder an den Tisch. Sie streckte den Kaffee mit einem kräftigen Schuss Milch und rührte reichlich Zucker unter. Bei ihrer hageren Gestalt konnte sie sich die Sünde leisten. Sie verzog bitter die Lippen.

Früher hatte sie eine schöne, wohl gerundete Figur gehabt und hätte jedem Model Konkurrenz machen können, wie man ihr bescheinigte. Doch nach der Geburt vom Monerl hatte sie immer mehr an Gewicht verloren. Der Kummer und die Demütigungen ihres Mannes hatten sie niedergedrückt.

Gernot hatte einmal hämisch gemeint, sie müsse sich nicht wundern, dass er sein Vergnügen aushäusig suchen würde, und müsse nur in den Spiegel sehen. Ein Knochengestell wie sie konnte wohl kaum noch einen Mann hinterm Ofen hervorlocken.

Abermals brannten Tränen in ihrer Kehle. Doch sie schluckte sie tapfer hinunter. Niemals mehr wollte sie wegen ihres skrupellosen Ehemannes eine Träne vergießen.

Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Und ihr Krug lag nun in tausend Scherben. Sie hätte Gernot schon lange verlassen müssen, dann hätte sie sich und Monerl so manche Demütigung erspart. Aber sie hatte geglaubt, ihrem Kind das Heim erhalten zu müssen. Dabei hatte die Kleine unter der offenen Missachtung des Vaters gelitten. Sie hatte ihn schier um Liebe angebettelt, doch er hatte sie stets genervt von sich gewiesen.

»Willst du mir net endlich sagen, warum du wieder bei mir unterkriechen willst, Heidrun?«, brach Anton erneut das Schweigen. »Hast du dich mit deinem Mann zerstritten?«

Er war nicht blauäugig. Die Koffer und die offensichtliche Zerstreutheit seiner Tochter zeugten von überstürzter Flucht.

»Ich will mich scheiden lassen«, erwiderte Heidrun dumpf und wagte es kaum, den Vater anzusehen. Schließlich hatte er sie vor der Ehe mit dem zwielichtigen Salzburger Geschäftsmann gewarnt. Aber sie hatte nicht hören wollen und ihm vorgeworfen, ihr Glück zu boykottieren.

»Was ist der Grund?«, fragte Anton knapp. »Ist der feine Bursche deiner überdrüssig, oder schämt er sich seiner kleinen Prinzessin?«

Verwundert blickte Heidrun auf. Wie genau der Vater doch Gernots dunklen Charakter durchschaute.