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Bevor er seine Praxis an diesem goldenen Herbstmorgen öffnet, eilt Dr. Burger noch rasch hinüber in die Roswitha-Apotheke, um einige spezielle Medikamente abzuholen, unter anderem auch starke Schmerzmittel, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen.
Apotheker Steghofer bedient gerade Julia Sutter, die wie ein Häufchen Elend aussieht. Als sie den Bergdoktor bemerkt, zuckt sie zusammen und lässt das kleine Packerl rasch in ihrer Tasche verschwinden. Dann bezahlt sie, grüßt flüchtig und stürmt davon.
Nanu? Dr. Burger kann sich keinen Reim auf das seltsame Verhalten der jungen Frau machen, doch nach ein paar vagen Andeutungen des Apothekers weiß er, dass er dringend handeln muss ...
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Seitenzahl: 113
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Amors Pfeil saß viel zu tief
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Anne von Sarosdy / Bastei Verlag
Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-3692-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Amors Pfeil saß viel zu tief
Obwohl er sie enttäuscht hatte, blieb er die Liebe ihres Lebens
Von Andreas Kufsteiner
Bevor er seine Praxis an diesem goldenen Herbstmorgen öffnet, eilt Dr. Burger noch rasch hinüber in die Roswitha-Apotheke, um einige spezielle Medikamente abzuholen, unter anderem auch starke Schmerzmittel, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen.
Apotheker Steghofer bedient gerade Julia Sutter, die wie ein Häufchen Elend aussieht. Als sie den Bergdoktor bemerkt, zuckt sie zusammen und lässt das kleine Packerl rasch in ihrer Tasche verschwinden. Dann bezahlt sie, grüßt flüchtig und stürmt davon.
Nanu? Dr. Burger kann sich keinen Reim auf das seltsame Verhalten der jungen Frau machen, doch nach ein paar vagen Andeutungen des Apothekers weiß er, dass er dringend handeln muss …
Bei Tagesanbruch stand Julia auf und ging in den Garten hinaus, der im frühen Dämmerlicht vor sich hin träumte. Beete und Blumen waren feucht, in der Nacht hatte es ein wenig geregnet.
Die Septembernächte waren in diesem Jahr abwechselnd kühl oder mild. Manchmal sang nachts der Föhnwind sein brausendes Lied von den Bergen hinab bis ins Tal.
Am Morgen fegte er dann den Himmel blank und zauberte ein so strahlendes Lichtblau hervor, dass es den Augen fast weh tat.
Wenn die Berge so nah ans Dorf heranrückten, als habe sie eine riesige Hand vorwärts geschoben, dann war der Föhn den ganzen Tag und vielleicht auch noch länger der Herrscher im Hochtal von St. Christoph.
Manche fanden die glasklare Aussicht mit ihren leuchtenden Farben paradiesisch schön, andere fühlten sich wie zerschlagen und litten unter Kopfschmerzen und Kreislaufschwäche.
Wieder andere verfielen unter dem Einfluss des magnetischen Windes in Hochstimmung und taten Dinge, die sie sich später gar nicht mehr so recht erklären konnten.
Von unnützen, aber harmlosen Einkäufen bis hin zu »folgenschweren« Heiratsanträgen, die es ohne den elektrisierenden Südwind nicht gegeben hätte, war alles möglich. Doch was der Föhn auch mit sich brachte, er sorgte in jedem Fall für herrliche Wärme und wunderbare Ausblicke.
Julia liebte auch die kühleren Tage und die stillen Nächte im Herbst, die so frisch waren, dass der würzige Geruch nach Moos und Tannen bis in ihre Schlafstube wehte. Der Wald und die Stille waren Balsam für die Seele, und die sauerstoffreiche Luft half dabei, Krankheiten zu überwinden.
Noch blühten die Rosen, und auch einige Sonnenblumen versuchten, den Zauber des vergangenen Sommers aufrechtzuerhalten.
Im Garten hinter dem Greinbach-Hof, der Julias Zuhause war, hatten die weißen und roten Rosenstöcke den ganzen Sommer über nicht die kleinste Blühpause eingelegt. Auch jetzt taten sie noch ihr Bestes.
Die Kletterrosen um den bogenförmigen Eingang zum Blumengarten hatten bisher ebenfalls den ersten herbstlichen Nebeltagen getrotzt. Am kleinen Bach, der durch die Wiesen hinter dem Garten plätscherte und der nach dem der Hof benannt war, reckten sich noch die weißen Mädesüß-Stauden der Sonne entgegen.
Jetzt würde noch einmal eine Schönwetterperiode anbrechen, davon war man in St. Christoph überzeugt. Bis spät in den Oktober hinein herrschte oft perfektes Wetter zum Wandern, zum Ernten von Äpfeln und Zwetschgen, Nüssen und Maroni. Im Wald versteckten sich die Schwammerln unter Zweigen und Laub, aber geübte Pilzsucher entdeckten sie schon auf den ersten Blick.
Julia schnitt drei taufeuchte, dunkelrote Rosen und berührte die samtweichen Blütenblätter wie eine Kostbarkeit. Dann hauchte sie einen Kuss auf jede Rose.
Jemand stupste sie in die Kniekehle: Fina, auch »Finchen« genannt, ihre dreijährige, rotbraune Setter-Hündin mit dem schönsten Fell der Welt. Es glänzte stets, wie frisch shampooniert.
Fina hatte ein sanftes, treues Herz. Sie hing an allen, die auf dem Hof lebten, aber am meisten an Julia, ihrem Frauchen.
»Bist du mir schon wieder nachgelaufen, Fina? Wenn du nur net so neugierig wärst!« Julia lachte. »Willst du wissen, was ich hier tue? Ich hab drei Rosen ausgesucht. Sie sind für Leon. In Vaters altem Buch über alte Bräuche im Alpenland steht: Wenn man vor dem ersten Sonnenstrahl drei Rosen pflückt, die Blüten küsst und sie dem Menschen gibt, den man am meisten liebt, dann blüht eine unsterbliche Liebe auf.«
Fina gab sich freundlich wie immer, obwohl sie Rosen – egal, wie schön sie waren – gähnend langweilig fand. Irgendetwas zum Spielen oder ein Hundekuchen im XXL-Format wären viel interessanter gewesen.
Auch Tiere wie Mäuse jeder Art (Feldmäuse, Wühlmäuse, graue Mäuse im Schuppen) und Frettchen oder auch Frösche, die sich gern am nahen Bach aufhielten, rangierten in Finas Beliebtheitsskala auf den vorderen Plätzen.
Die folgsame Hündin war vom Stammbaum her durchaus für die Jagd geeignet. Mit anderen Worten: Fina sah und witterte alles, was sich bewegte. Auch in puncto Geschwindigkeit machte ihr niemand so leicht etwas vor, nicht mal ein flinkes Wiesel.
Natürlich wollte sie diesen Viecherln nichts antun, wer denkt denn so was! Man hatte es ihr ja auch streng verboten, anderen Lebewesen auch nur ein Härchen zu krümmen. Aber ein bisschen beschnüffeln war doch wohl erlaubt. Falls die genannten Tierchen nicht schnell genug das Weite suchten, musste man sich als wohlerzogener Hund doch wenigstens mit ihnen bekannt machen!
Aber Rosen?
Na ja. Frauchen hatte es eben mit dem Grünzeug. Und dann diese alten Geschichten von ewiger Liebe! Man brauchte keine Blumen, um sich für immer innig zu lieben.
Fina wusste das sehr gut. Sie schenkte ihrem Frauchen ja auch keine Rosen. Und trotzdem stand es felsenfest und war in Stein gemeißelt, dass sich ein treuer Hund und sein Frauchen oder Herrchen bis über den Tod hinaus lieben würden.
»Man sagt noch mehr über die Liebe«, fuhr Julia indessen fort. »Es geht die Sage, dass ein kleines geflügeltes Wesen mit Pfeil und Bogen den Auftrag hat, Liebe und Sehnsucht in die Herzen der Menschen zu säen. Sein Name ist Amor, der Liebesgott, und es macht ihm Spaß, sich irgendwo zu verstecken. Wenn er jemanden mit seinem Pfeil trifft, dann natürlich mit voller Absicht. Derjenige verliebt sich sofort in die Person, die Amor ausgesucht hat. Wenn der Pfeil so richtig tief sitzt, dann kann man ihn nie mehr herausziehen. Tja, so war das früher, und so ist das noch heute. Man erzählt sich diese Geschichten gern. Amor macht, was er will. Wie findest du das, Fina?«
Über den Bergen wurde es hell. Die Sonne lugte hervor, und die letzten Schatten der vergangenen Nacht lösten sich in Nichts auf.
Fina beäugte einen Regenwurm, der damit beschäftigt war, sich hektisch durch ein feuchtes Blumenbeet zu schlängeln, um ein Erdloch zu finden. Er tat gut daran, sich zu beeilen, denn die Amseln waren schon eine ganze Weile wach und hatten wie immer Appetit auf einen guten Happen.
Die Hundedame gähnte. Was hätte sie mit so einem albernen Würmchen anfangen sollen? Sie, ein Rassehund mit einem erstklassigen Stammbaum? Aber immerhin war es immer noch interessanter als Frauchens Geschwätz von dem kleinen, geflügelten Gott mit Pfeil und Bogen. Lächerlich!
»Zeit fürs Frühstück«, sagte Julia. »Und zwar für unser Sonntagsfrühstück! Das ist meine Sache. Vater, Mutter und Lukas können sich an den gedeckten Tisch setzen. Du kriegst wie jeden Sonntag ein hart gekochtes Ei und eine extra dicke Wurstscheibe. Und jetzt komm, Finchen. Wir lassen den Garten noch ein bisserl weiterträumen an diesem herbstlichen Morgen!«
***
Im Hausflur stieß Julia fast mit ihrem Bruder zusammen, der sonntags sonst immer länger schlief. Das war ihm auch zu gönnen, denn unter der Woche stand er regelmäßig um fünf Uhr auf.
Die Arbeit auf dem Hof machte sich – wie überall – nicht von selbst und riss auch nicht ab. Am Wochenende schaltete man auf dem Greinbach-Hof aber einen Gang zurück. Die Sonntagsruhe war der Familie Sutter heilig.
»Was hast du denn da? Rosen?«, fragte Lukas grinsend. »Für mich?«
»Das könnte dir so passen.«
»Rosen früh am Morgen lindern Kummer und Sorgen«, dichtete Lukas. Er war achtundzwanzig, zwei Jahre älter als seine Schwester, und manchmal spöttelte er gern ein bisschen umeinander.
Natürlich meinte er das nicht böse. Es war eben seine Art, mit einer gewissen Leichtigkeit über bestimmte Dinge hinwegzugehen. Wenn es freilich ernst wurde, dann war Schluss mit lustig. Auf Lukas war Verlass, wenn es Probleme gab.
»Warum bist du so früh auf?«, erkundigte sich Julia. »Frühstück gibt’s noch net. Ich hatte noch etwas im Garten zu erledigen. Du kannst mir ja nachher helfen, den Tisch zu decken. Wie wär’s mit einem deftigen Eierschmarrn? Entweder mit Schinken oder süß mit Weinbeeren und Zimtzucker. Na, was sagst du dazu?«
»Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Aber heute frühstücke ich trotzdem woanders.« Lukas’ Grinsen verstärkte sich. »Warum schaust du mich so neugierig an? Na ja, ich will dich net auf die Folter spannen. Sie heißt Veronika und ist die Tochter vom Molkereibesitzer Kumpfmüller in Mayrhofen.«
»Alle Achtung! Da hast du dir ja ein echtes Goldschätzchen angelacht. Es heißt, dass die Kumpfmüllers sich so einiges leisten können, wovon viele Leut nur träumen. Vroni hat bestimmt immer einen vollen Geldbeutel.«
»Das kann zwar sein, aber darüber hab ich mit ihr net gesprochen. Aufs Geld kommt es mir net an«, erklärte Lukas. »Erstens bin ich kein Mitgiftjäger, und zweitens muss ich ja auch net gerade am Hungertuch nagen. Ich glaub, dass wir mit unserem Hof richtig gut dastehen. Das Geld anderer Leute brauchen wir net. Die Vroni ist so nett und natürlich wie keine andere, die mir bisher über den Weg gelaufen ist. Ich könnte mir jetzt schon vorstellen, dass aus uns beiden mal ein Paar wird.«
»Na dann! Viel Spaß mit deiner neuen Eroberung. Willst du ihr auch Rosen mitbringen? Im Garten sind noch ein paar schöne Exemplare.«
Lukas schüttelte den Kopf. »Nein, rote Rosen sind derzeit noch net das Richtige. Sie sind so eine Art Liebesgeständnis. Man sollte aber niemals zu früh von Liebe sprechen, sonst kann es Enttäuschungen geben.«
»Was habt ihr denn vor außer frühstücken?«, erkundigte sich Julia.
»Der heutige Sonntag dient dazu, dass wir uns näher kennenlernen«, erwiderte Lukas. »Hab ich das net toll ausgedrückt? Wie in einem Roman. Na ja, ich hab’s eben drauf.«
»Lukas! Du Angeber!«
»Man soll sein Licht nicht unter den Scheffel stellen«, warf Lukas vergnügt ein. »Also: Frühstück bei Vroni im Haus ihrer Eltern, die – welch glücklicher Zufall – derzeit verreist sind. Und mittags gibt’s ein zünftiges Essen auf der Achenwaldhütte, das passt gut. Ich lade Vroni ein. Sie mag das Bodenständige. Kein Schickimicki-Getue, lieber etwas echt Tirolerisches, das hat sie mir gestern anvertraut. Damit hat sie mir aus der Seele gesprochen.«
»Ach was! Gestern habt ihr euch getroffen?«
»Ja, genau. Wir trafen uns in der Stadel-Bar, die in Mayrhofen neu eröffnet hat. Übrigens sehr zu empfehlen, dieser Stadel. Ich hab mich geschwind umgesehen. Und wen hab ich entdeckt? Die Vroni! Wir saßen sozusagen in ein und demselben Boot: Sie allein mit einem Cocktail, ich genauso allein mit einem Viertel Veltliner. Angeblich wartete sie auf ihre Freundin, die aber gar nicht mehr auftauchte. Vroni hat ihrem Freund vor einiger Zeit den Laufpass gegeben, und ich hab derzeit einen Platz für ein hübsches Madel frei. Als ich ihr das sagte, lachte sie und meinte, dass sie nichts dagegen hätte, diesen Platz einzunehmen. Na, was sagst du dazu, Schwesterlein?«
»Perfekt! Sie ist ein Volltreffer.«
»Du hast es auf den Punkt gebracht.« Lukas deutete erneut auf die Rosen. »Aber nun zu dir. Du willst diese Blumen doch nicht etwa einem Mann schenken?«
»Doch.«
»Männer sind total unromantisch, Schwesterchen. Sie können mit Rosen nichts anfangen. Ich muss es wissen, denn ich bin ja selbst so ein Kerl. Nichts gegen Blumen, aber ich weiß net wirklich, was ich damit tun soll. Wie heißt es doch so treffend? Blumen gehören in den Garten.«
Julia lachte. »Typisch für dich! Aber seien wir doch mal ehrlich. Die meisten Männer tun nur so, als ob sie von Romantik nichts halten. Sie reden von Abenteuern, Sport, den neuesten Computern, Internetportalen und Autos. Und von ihrem Beruf. Inwendig sehnen sie sich doch genauso nach Zärtlichkeit und romantischen Stunden wie wir Frauen. Sie geben es nur nicht zu, weil sie Angst haben, als unmännlich zu gelten. Dabei ist das völliger Quatsch. Ein echter Mann ist für mich derjenige, der sich Gefühle erlaubt und es net nötig hat, den Superhelden zu spielen.«
»Hört, hört! Du kennst dich ja gut aus.« Lukas schnippte mit den Fingern. »Meine kleine Schwester schaut ganz tief ins Innere der männlichen Seele! Aber zurück zu meiner Frage: Wer bekommt die Rosen? Zwei Burschen stehen zur Wahl. Entweder der Firner-Elias, der dir ja eh schon lange nachrennt, oder Leon Zeilberger. Hat er übrigens inzwischen seine Doktorarbeit unter Dach und Fach?«
»Noch nicht. Es eilt nicht. Tierarzt ist er ja eh, den Doktortitel kann er jederzeit draufsetzen.«
»Aha.« Lukas musterte seine Schwester. »Es ist zwar noch früh am Morgen, und mein Denkapparat muss erst in die Gänge kommen, aber ich würde mal sagen, dass Leon der glückliche Rosenempfänger ist.«
»Sowieso.« Julia lachte. »Elias mag ich, wir verstehen uns. Aber ich liebe ihn nicht. Leon ist der Mann, mit dem ich alt werden möchte.«
»Wirklich und wahrhaftig?«
»Ja. Und weil wir uns heute auf den Tag genau ein Jahr kennen, schenke ich ihm drei Rosen. Es hat damit etwas auf sich. Und zwar gibt’s einen alten Brauch, der mir gut gefällt. Aber mehr sag ich dir net, Lukas. Sonst heißt es wieder, dass ich hoffnungslos romantisch bin!«