1,99 €
Franzi sitzt am Fenster und blickt zu den Bergen hinüber, hinter denen langsam die Sonne untergeht. Sie liebt den Herbst mit seinen bunten, goldenen Farben fast noch mehr als Frühling und Sommer. Aber seit zwei Jahren beschleicht sie eine heimliche Angst, wenn die ersten Blätter fallen. Denn dann beginnt die Zeit, in der ihr Vater unruhig wird und nachts aus dem Haus schleicht.
Was er treibt, bleibt sein Geheimnis. "Ich muss etwas in Ordnung bringen", ist sein einziger Kommentar.
Da! Franzi hört, wie ihr Vater in der Diele in seine Joppe schlüpft. Im nächsten Moment springt auch Franzi auf, denn heute Nacht wird sie ihm in den Wald folgen, um endlich sein Geheimnis zu ergründen ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 113
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Dr. Burger und die Tochter des Wilderers
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf / Bastei Verlag
Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-3691-7
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Dr. Burger und die Tochter des Wilderers
Hochdramatischer Roman um Franzis mutige Tat
Von Andreas Kufsteiner
Franzi sitzt am Fenster und blickt zu den Bergen hinüber, hinter denen langsam die Sonne untergeht. Sie liebt den Herbst mit seinen bunten, goldenen Farben fast noch mehr als den Frühling und den Sommer. Aber seit zwei Jahren beschleicht sie eine heimliche Angst, wenn die ersten Blätter fallen. Denn dann beginnt die Zeit, in der ihr Vater unruhig wird und nachts aus dem Haus schleicht.
Was er treibt, bleibt sein Geheimnis. »Ich muss etwas in Ordnung bringen«, ist sein einziger Kommentar.
Da! Franzi hört, wie ihr Vater in der Diele in seine Joppe schlüpft. Im nächsten Moment springt auch Franzi auf, denn heute Nacht wird sie ihm in den Wald folgen, um endlich sein Geheimnis zu ergründen …
An einem sonnigen, milden Herbstsonntag kam Förster Reckwitz gegen halb elf Uhr ins Dorf hinunter.
Er wurde von seiner treuen Jagdhündin Reyka begleitet, die es sichtlich genoss, mit ihrem Herrn durch St. Christoph zu spazieren. Reyka gehorchte aufs Wort und durfte daher ohne Leine neben Fabian Reckwitz herlaufen.
Der Spaziergang hatte aber leider schnell ein Ende, denn Punkt elf klingelte der Förster am Doktorhaus in der Kirchgasse.
Von drinnen erklang Gebell.
Rauhaardackel Poldi wartete schon im Flur auf Reyka. Die zwei Vierbeiner sahen sich nicht oft, aber wenn, dann war es immer eine fröhliche Begegnung.
Dr. Burger öffnete die Tür.
»Hoffentlich störe ich net allzu sehr, Herr Doktor«, sagte Fabian Reckwitz. »Es ist schließlich Sonntag. Aber unter der Woche haben Sie wenig Zeit. Bei mir ist es genauso. Länger als ein halbes Stündl werd ich aber net brauchen, um Ihnen zu schildern, worum es geht.«
»Immer mit der Ruhe. Es darf ruhig länger dauern als eine halbe Stunde. Die Kinder freuen sich auf Reyka. Und unser Poldi dreht eh völlig durch vor Freude. Wie geht’s daheim?«
»Ich kann net klagen. Meine Frau besucht heut mit den Kindern unsere Verwandten in Schwaz, da ist’s ein bisserl ruhiger daheim. Ich werd nachher im Berghotel ›Am Sonnenhang‹ essen gehen, angeblich stehen herbstliche Menüs auf der Karte. Allein schmeckt’s freilich net so gut wie in Gesellschaft, aber es macht mir nichts aus.«
»Kommt net infrage«, widersprach Dr. Burger. »Heute ist das Restaurant Burger geöffnet! Bei uns gibt’s heute Zenzis berühmte Schwammerlsuppe und hernach einen Krustenbraten, und zwar auf Wunsch meines Vaters. Der Braten scheint so groß zu sein, dass er kaum ins Rohr passt. Also ist uns ein Gast gerade recht – noch dazu, wenn er Förster ist!«
»Da sag ich natürlich nicht Nein«, lachte Fabian Reckwitz. »Bei Schwammerlsuppe läuft mir eh das Wasser im Mund zusammen.«
Dr. Burger führte den Gast in die gute Stube, in der die Familie vollzählig versammelt war.
»Ach, wen seh ich denn da? Das Kleeblatt-Trio!«, scherzte der Förster. »Tessa, Filli und die kleine Laura. Ich hab euch etwas aus dem Wald mitgebracht. Das schauen wir uns nachher an. Aber zuerst werd ich eure Mama begrüßen, ihr drei Eichkatzerln, und natürlich euren Opa und die Zenzi.«
Sabine Burger, ebenfalls Dr. med. wie ihr Mann, freute sich über den Besuch des feschen, sympathischen Försters. Vor allem deswegen, weil er ein Herz für Kinder, Tiere und alle Menschen hatte, die in irgendeiner Weise Hilfe brauchten.
»Gibt’s etwas Neues im Wald?«, fragte sie lächelnd. »Sind die Tannen noch grün?«
»Freilich. Ansonsten sieht es so aus, als ob alles in Ordnung ist. Jedenfalls derzeit noch.«
»Was heißt denn das?« Sabine schaute betroffen drein. »Ist etwas passiert?«
»Sagen wir mal so: Es könnte etwas passieren. Darüber möchte ich mit Ihrem Mann reden.«
»Das hört sich bedenklich an«, meinte Dr. Burger. »Ich habe eine Vermutung, worum es geht. Bevor wir uns zusammensetzen, gönnen wir uns am besten eine kleine Stärkung. Unsere Zenzi hat ein neues Kaffee-Rezept ausfindig gemacht.«
»Caffé latte mit Amaretto-Likör im Glas, garniert mit einer Sahnehaube«, ergänzte Sabine. »Einfach köstlich! Auf die Sahne gehören dunkle Schokoraspeln. Und natürlich kann man sich durchaus einen Amaretto-Likör extra genehmigen. Für die Kinder wird das Ganze mit Trinkschokolade und ein bisserl Mandelmilch zubereitet.«
»Ich wäre nie darauf gekommen, einen Kaffee so herzurichten wie eine Art Süßspeise. Aber unser Chorleiter, der Herr Staudacher, hat das Rezept aus seinem Italienurlaub mitgebracht«, meldete sich die Bachhuber-Zenzi aus dem Hintergrund zu Wort. »Man kann auch noch eine Amarena-Kirsche dazugeben, auch so etwas Italienisches. Ich nehm aber eine eingelegte Kirsche aus dem Rumtopf und für die Kinder eine Himbeere aus dem Weckglas. Das ist dann das Tüpfelchen auf dem >i<.«
Seit inzwischen vierzig Jahren werkelte die Zenzi, mit vollem Namen Kreszenzia Bachhuber, als fachkundige Wirtschafterin im Doktorhaus. Dr. Martin Burger war ein Bub von elf Jahren gewesen, als sie nach dem allzu frühen Tod seiner Mutter ins Haus gekommen war.
Inzwischen war die Zenzi zum vollwertigen Familienmitglied aufgestiegen. Mit ihrer Meinung hielt sie zwar nie hinter dem Berg, aber sie wusste auch ganz genau, wann es besser war, sich nicht einzumischen.
»Ein bisserl diskret muss man immer sein«, sagte sie gern. Und damit hatte sie natürlich recht. Allerdings gab es auch Situationen, die ein »gesteigertes Interesse« verlangten. Dr. Pankraz Burger, der Senior und Großpapa in der Familie Burger, nannte es schlicht und einfach »eine gesunde Neugier.«
Heute war die Zenzi tatsächlich ein wenig neugierig, obwohl sie es sich nicht anmerken ließ. Noch nie war es vorgekommen, dass Förster Reckwitz sonntags hereinschaute, um mit dem Doktor etwas unter vier Augen zu besprechen.
Sie zerbrach sich den Kopf, während sie in der Küche den köstlichen Amaretto-Kaffee zubereitete.
Gab es vielleicht in der Ehe des Försters irgendwelche Probleme? Zwar hieß es, dass es manchmal droben im Forsthaus ein bisserl krachte, weil Mechthild Reckwitz hier und da gern ein bisserl flirtete. Aber es war ja immer ganz harmlos, und jeder wusste, dass sie ihren Fabian sehr liebte.
Also schieden private Probleme eigentlich aus, es sei denn, irgendetwas Berufliches bereitete dem Förster Kopfzerbrechen. Aber war in diesem Fall der Doktor die richtige Anlaufstelle? Oder handelte es sich sogar um eine Krankheit?
Hubert Treich, Mechthilds Onkel und der Vorgänger des jetzigen Försters, wohnte mit seiner Frau auch noch im Forsthaus. Mit der Arbeit war’s nichts mehr, und auch das Laufen fiel dem pensionierten Oberförster schwer, sodass er auf seine geliebten Streifzüge durch den Wald verzichten musste.
Seit Jahren litt er unter einer chronischen Wirbelsäulenerkrankung, die er aber – nach eigenen Angaben – dank Dr. Burgers kompetenter Behandlung »im Griff« hatte. Außerdem ließ er sich nie die Laune verderben.
Trotz der Erkrankung machte er zusammen mit seiner Frau kleinere Ausflüge und ließ sich nicht unterkriegen. War vielleicht urplötzlich eine Verschlechterung in seinem Befinden eingetreten?
Doch darüber wollte die Zenzi an diesem sonnigen Tag nicht nachdenken. Schwarzseherei musste nicht sein. Herr Staudacher sagte ja auch immer: »Meine lieben Lerchen und Nachtigallen, man kann nur aus vollem Herzen singen, wenn man positiv denkt.«
Sie summte ein Lied vor sich hin, das der Chor demnächst in der Kirche zum Besten geben wollte: »Danke für diesen schönen Tag, danke für diesen neuen Morgen …«
Es war wirklich bewundernswert, dass Herr Staudacher außer den ganz normalen Kirchenliedern so viele andere Lieder kannte, die überall Anklang fanden.
Sogar Pfarrer Roseder äußerte sich lobend darüber, dass die ganze Kirchengemeinde richtig »musikalisch« geworden sei.
Als die Zenzi mit einem Tablett samt Kaffee, Trinkschokolade für die Kinder und hausgemachten Mandelkeksen in die Stube zurückkam, fragte der Senior just in diesem Moment: »Wie läuft’s eigentlich beim Hubert und seiner Frau?«
»Den beiden geht’s gut«, erwiderte Förster Reckwitz. »Sie hüpfen zwar net täglich umeinander wie die Hasen im Frühling, aber vor allem Onkel Hubert lässt sich net hängen. Man kann viel von ihm lernen. Er ist ein Mensch mit viel Frohsinn und Optimismus, das hilft ihm sehr. Aus seinem reichen Erfahrungsschatz gibt er mir auch gern den einen oder anderen Tipp. Freilich auch dann, wenn es net sein müsste. Aber das sag ich ihm dann nicht. Ich höre zu und tue so, als ob ich ohne ihn keine Ahnung von den Pflichten eines Försters hätte.«
»Bei uns ist es umgekehrt«, witzelte Dr. Pankraz Burger. »Ich höre mir gelegentlich von meinem Sohn und meinem Schwiegertöchterl an, dass ich inzwischen so ratlos vor der modernen Medizin stehe wie ein Ochs vorm Scheunentor. Mit meinen guten Ratschlägen gehöre ich anscheinend in die Rubrik Heilkunst von anno dazumal.«
»Meine Güte, Vater, erzähl unserem Gast doch net so etwas Unsinniges«, meinte Sabine kopfschüttelnd. »Das Gegenteil ist der Fall. Wir fragen dich sehr oft nach deiner Meinung. Es ist uns wichtig, welche Behandlung du in bestimmten Fällen vorschlagen würdest. Man muss dann natürlich abwägen, wie die Therapie schließlich aussehen soll. Das ist bei jedem Patienten anders, denn jeder reagiert ganz individuell auf die verschiedenen Medikamente.«
»Wer hätte das gedacht.« Der Senior blinzelte seiner Schwiegertochter zu. »Alle Wetter, da hab ich doch schon wieder etwas dazu gelernt auf meine alten Tage! Es stimmt schon, man lernt nie aus, auch net mit siebenundsiebzig. Großartig, dass ich noch etwas für meine grauen Zellen tun kann!«
»Du bist heut wieder ein echter Scherzkeks, Vater«, meinte Martin Burger lachend. »Wie immer eigentlich.«
»Freilich. Deshalb werd ich mir auch noch ein Mandelkekserl zu Gemüte führen. Keks bleibt Keks, sag ich immer.«
Es war gemütlich bei den Burgers. Kaffee und Trinkschokolade dufteten verlockend. Die Kekse waren knusprig, aber sobald man den ersten Bissen probiert hatte, zergingen sie im Mund, weil sie durch die Zugabe von guter Butter unwiderstehlich zart waren. So und nicht anders musste es sein.
Der Senior galt übrigens als Feinschmecker. Seine geliebte verstorbene Frau, Martins Mutter, hatte ihn kulinarisch so sehr verwöhnt, dass es manchmal ein bisschen schwierig war, das Richtige für ihn auf den Tisch zu bringen. Aber zum Glück war die Zenzi ebenfalls eine ausgezeichnete Köchin.
Dr. Sabine Burger bezeichnete ihre eigenen Kochkünste zwar als »äußerst mittelmäßig«, dennoch wurde sie von der ganzen Familie wegen ihrer wundervollen Wiener Rezepte sehr gelobt.
Sabine war in Wien geboren und aufgewachsen, sie hatte dort studiert und als Anästhesistin in einer großen Klinik gearbeitet, bis sie aus Liebe zu Martin, dem »Bergdoktor« von St. Christoph, ins Zillertal gekommen war.
Ein echtes Wiener Madel bleibt im Herzen immer »wienerisch«, so wie ein »Münchner Kindl« nie seine Wurzeln vergessen würde. Aber trotz gelegentlicher Heimweh-Attacken fühlte sich die hübsche, blonde Sabine nun schon seit mehr als sieben Jahren im Zillertal sehr wohl. Hier war nun ihr Zuhause, hier lebte sie mit ihrer Familie und mit Martin, ihrer großen Liebe.
Draußen im Garten tobten derweil Reyka und Poldi durch das Laub.
Das ungleiche Pärchen – Poldi mit kurzen Beinchen und Hängeöhrchen, Reyka mit ziemlich langen Beinen und wachsamen, stets gespitzten Ohren – bewies den Menschen dort drinnen im Haus, dass sich auch verschiedene Charaktere unter einen Hut bringen lassen.
Wenn man sich mag und den anderen so nimmt, wie er ist, kann das Leben so schön sein! Das war die Botschaft der beiden Vierbeiner. Poldi ließ sich sogar dazu hinreißen, seine restlichen Kauknochen mit Reyka zu teilen.
Gespannt rätselten die Kinder, was der Förster ihnen mitgebracht hatte. Von Fabian Reckwitz waren immer »Naturgeschenke« zu erwarten.
Tessa und Filli kamen ab und zu ins Forsthaus hinauf, meistens war der Opa dabei. Es gab nämlich immer etwas zu sehen, zum Beispiel einen tierischen Pflegling, den der Förster aufgenommen hatte.
Außerdem lagen garantiert irgendwo im Forsthaus, zum Beispiel auf der alten Zirbenholztruhe im Flur, ganz tolle Dinge umeinander, die es nur im Wald gab: Wurzeln, ganz besonders auffällig geformte Äste, ein verlassenes Wespennest, dessen einzelne Stübchen noch genau zu erkennen waren, Mooskissen und vieles mehr. Alles (bis auf das Wespennest) eignete sich wunderbar zum Basteln.
»Super«, fand der fünfjährige Filli, als Fabian Reckwitz aus seinem Rucksack einen richtigen Schatz hervorholte. »Ganz weiße Baumrinde. Und dann dicke Kugeln. Die piksen aber ziemlich arg!«
»Das ist eine Distelpflanze«, erklärte der Förster. »Die Kugeln kann man trocknen und sogar einfärben, zum Beispiel golden. Das wäre dann das Richtige für Weihnachten.«
»Was sind denn das für komische Mannderln?«, erkundigte sich Tessa, die drei Jahre älter war als ihr Bruder.
»Es sind Alraunen, so wurden jedenfalls diese seltenen Wurzelmännchen früher genannt«, wusste Fabian Reckwitz. »Die Leute glaubten, dass man mit ihnen zaubern konnte. Alraunen waren aber auch selbst kleine Zauberwesen, so ähnlich wie Elfen und Feen. Eine Alraunen-Wurzel ist klein, schaut aber menschenähnlich aus, so sagt man jedenfalls. Ein erfahrener Naturfreund, der sich ein bisserl auskennt, findet sie unter der Erdoberfläche, hin und wieder schaut oben auch ein Stückchen von der Wurzel heraus. Manchmal hab ich ein bisschen Zeit, um entspannt und ohne Terminkalender durch den Wald zu gehen. Das ist für mich dann richtig erholsam. Unterwegs entdecke ich all diese Dinge. An welchen Plätzen es bei uns im Bergwald noch die Alraunen gibt, verrate ich aber net. Das bleibt mein Geheimnis.«
»Kleine Zwergerl«, flüsterte das Nesthäkchen fasziniert. Das zweijährige Mauserl hatte große, blanke Eicheln entdeckt, die noch ihr Hütchen trugen. »Zwergerl mit Mützlein.«
Die Doktorskinder hatten das Glück, inmitten einer unverfälschten Natur aufzuwachsen. Natürlich waren sie mit der modernen Technik vertraut, soweit es altersgemäß sinnvoll war.
Aber Martin und Sabine Burger achteten darauf, dass ihre Kinder noch richtig spielen konnten und nicht nur vor Bildschirmen oder Displays hockten.