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Die Ehen der reichen Dornbachers waren in der Vergangenheit meist unglücklich. Laut einer Legende soll nämlich ein Fluch auf den Dornbachers liegen.
Auch in der Ehe von Anna und Ambros Dornbacher herrscht ständiger Unfrieden. Als sich ihr Sohn Vinzenz unsterblich in die entzückende Marie Aichinger aus einfachen Verhältnissen verliebt, entsinnt Anna einen Plan, wie sie das Glück der Turteltauben zerstören kann, denn sie ist nicht bereit, Marie als Schwiegertochter zu akzeptieren. Und tatsächlich gelingt es ihr, das Paar zu entzweien. Doch Anna hat keinen Sieg errungen, denn sowohl ihr Sohn als auch ihr Mann wenden sich von der zänkischen Frau ab. Erst als Anna zusammenbricht und Dr. Burger ihr ordentlich ins Gewissen redet, scheint sie aufzuwachen. Hoffentlich ist es jetzt nicht zu spät ...
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Seitenzahl: 134
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Der Familienfluch
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf / Bastei Verlag
Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-3764-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Der Familienfluch
Seit Jahren werden die Dornbachers vom Unglück verfolgt
Von Andreas Kufsteiner
Die Ehen der reichen Dornbachers waren in der Vergangenheit meist unglücklich. Laut einer Legende soll nämlich ein Fluch auf den Dornbachers liegen.
Auch in der Ehe von Anna und Ambros Dornbacher herrscht ständiger Unfrieden. Als sich ihr Sohn Vinzenz unsterblich in die entzückende Marie Aichinger aus einfachen Verhältnissen verliebt, entsinnt Anna einen Plan, wie sie das Glück der Turteltauben zerstören kann, denn sie ist nicht bereit, Marie als Schwiegertochter zu akzeptieren. Und tatsächlich gelingt es ihr, das Paar zu entzweien. Doch Anna hat keinen Sieg errungen, denn sowohl ihr Sohn als auch ihr Mann wenden sich von der zänkischen Frau ab. Erst als Anna zusammenbricht und Dr. Burger ihr ordentlich ins Gewissen redet, scheint sie aufzuwachen. Hoffentlich ist es jetzt nicht zu spät …
»Und jetzt muss sie eine Strafarbeit schreiben …«
»Das geschieht ihr ganz recht«, unterbrach der fünfjährige Filli, der eigentlich Philipp hieß, den Redestrom seiner älteren Schwester, die sich wieder einmal über die Streiche ihrer Freundin Rita ausließ.
»Du kannst sie nur nicht leiden, weil sie dir immer in den Haaren herumwühlt«, gab Tessa zurück, und ihre dunklen Brombeeraugen funkelten den Bruder erbost an.
»Sie ist zu frech, die Rita«, erwiderte Filli nicht minder streitlustig.
»Deswegen heißt sie ja auch überall ›die freche Rita‹. Aber du würdest natürlich niemals so etwas anstellen wie sie, dafür bist du ein viel zu großer Angsthase«, fügte Tessa hinzu.
»Das nimmst du zurück!«, fuhr Filli auf, und seine Augen begannen verdächtig zu glänzen.
Die Burgers, die der Schilderung von Ritas Übeltaten eher amüsiert zugehört hatten, sahen es nun an der Zeit, einzugreifen.
»Filli ist kein Angsthase, nur, weil er anderen nicht dauernd Streiche spielt. So einen Bruder hättest du auf die Dauer sicher nicht gern«, warf ihre Mutter schnell ein.
»Und die Rita übertreibt es manchmal einfach wirklich«, ergänzte Dr. Burger, den alle den Bergdoktor nannten.
»In meinen Augen ist die Rita ein schlecht erzogenes Madel. In früheren Zeiten …«, hatte Zenzi Bachhuber, die gute Seele des Hauses, zu bemerken, und ihr Haarknoten, der ihr immer fest am Hinterkopf saß, schien für einen Augenblick empört zu zittern.
Allerdings führte sie nicht aus, was mit schlecht erzogenen Mädchen in früheren Zeiten geschah, denn sie wusste, dass die Burgers wenig Verständnis für ihre ziemlich altmodischen Vorstellungen von Erziehung aufbrachten. Diese standen jedoch in krassem Widerspruch zu ihrem tatsächlichen Verhalten. Denn trotz ihres manchmal schroffen Wesens hatte Zenzi das Herz auf dem rechten Fleck und liebte »ihre Familie« innig. Schließlich hatte sie den »Bub«, wie sie Martin Burger nannte, nach dem frühen Tod seiner Mutter aufgezogen.
»Schon«, murmelte Tessa wenig überzeugt, und Filli beruhigte sich wieder und widmete sich dem leckeren Auflauf, den Zenzi heute zum Abendbrot aufgetischt hatte.
So war der Frieden wiederhergestellt, wie die Erwachsenen beruhigt feststellten. Denn gerade die gemeinsame Abendmahlzeit war für die Burgers sehr wichtig, weil dann alle Familienmitglieder, außer der zweijährigen Laura, gemeinsam am Tisch saßen.
Aber nur, wenn nicht doch wieder ein Notruf kam und Martin Burger aufbrechen und einem Kranken zu Hilfe kommen musste. Bis jetzt jedoch war der Abend ruhig verlaufen, und Dr. Burger genoss das Zusammensein mit seiner Familie.
Liebevoll ließ er den Blick über die Bewohner des Doktorhauses schweifen. Wie so oft galt es, das lebhafte Temperament Tessas zu zügeln. Das »Schneckerl«, wie die beinahe Neunjährige wegen ihrer schwarzen Locken liebevoll genannt wurde, war eigentlich ein Adoptivkind, doch das war längst in Vergessenheit geraten. Auch wenn sie sich gelegentlich zankten, so hingen Tessa und Filli, der im Gegensatz zu seiner Schwester einen blonden Haarschopf hatte, sehr aneinander.
Nicht minder zärtlich ruhte Martin Burgers Blick auf seiner Frau Sabine, die mit ihrem hellen Haar, das sie ihrem Sohn vererbt hatte, eine überaus reizvolle Erscheinung war. Er wollte gerade ein Gespräch mit ihr beginnen, als er durch ein Kläffen abgelenkt wurde.
Poldi, der Rauhaardackel, machte sich unter dem Tisch bemerkbar. Wie üblich hatte er seinen Platz neben Dr. Pankraz Burger, Martins Vater, eingenommen, der ihm heimlich immer ein Leckerchen zukommen ließ, obwohl seine Schwiegertochter das missbilligte.
Heute jedoch hatte Pankraz das Zamperl sträflich vernachlässigt. Der Senior schien in tiefe Gedanken versunken. Seine Brauen waren gerunzelt, und seine sonst so heiteren Züge trugen einen grüblerischen Ausdruck.
»Ist irgendetwas, Vater?«, fragte Martin beunruhigt, denn sonst liebte sein Vater es, Poldi zu verwöhnen.
»Die Chronik halt …«, murmelte Pankraz geistesabwesend.
Pankraz Burger verwandte viel Zeit darauf, eine Chronik des Zillertals zu verfassen, und blieb oft bis nach Mitternacht auf, um die alten Geschichten niederzuschreiben.
»Kommst du nicht weiter?«, erkundigte sich seine Schwiegertochter mitfühlend. »Vielleicht solltest du eine Denkpause einlegen.«
»Das ist es nicht«, gab Pankraz zur Antwort. »Wie ihr wisst, lasse ich ja auch immer Legenden und seltsame Ereignisse, die das Dorfleben oder auch besondere Einzelpersonen betreffen, einfließen …«
»Der Schwarze Jager«, rief Filli begeistert aus.
»Net schon wieder!«, stöhnte die Bachhhuber-Zenzi auf.
Der »Schwarze Jager«, eine Sagengestalt, die in grauer Vorzeit im Zillertal ihr Unwesen getrieben haben sollte, hatte die Kinder derart in Angst und Schrecken versetzt, dass die Nachtruhe ihrer Eltern mehrmals empfindlich gestört worden war. Schon, wenn bei stärkerem Wind ein Ast gegen die Fensterscheiben oder die Hauswand klopfte, hatte Filli geglaubt, der Schwarze Jager wollte ihn holen. Filli war dann jedes Mal in angstvolles Geschrei ausgebrochen und hatte nur schwer beruhigt werden können.
»Ich fürcht mich nimmer vorm Schwarzen Jager«, erklärte Filli stolz.
»Das hat ja auch lang genug gedauert«, fand Tessa.
»Du hast doch auch Angst gehabt, gib’s nur zu.«
Filli reckte sich kampfbereit hoch, doch Tessa lenkte dieses Mal ein.
»Das ist halt auch eine grauslige Gestalt.«
»Darum geht es nicht, sondern um Geschichten, die sich um alte, ansässige Bauerngeschlechter ranken und die meistens mündlich weitergegeben werden. Sie sind aber im Volksglauben tief verankert«, führte Pankraz aus. »Wie zum Beispiel die Geschichte vom Steinegger-Bauern drüben in …«
»Das musst du uns erzählen«, fiel Tessa ihm begierig ins Wort, denn nichts hörten die beiden Kinder lieber als die Geschichten ihres Großvaters.
Allerdings oft nicht gerade zur Begeisterung ihrer Eltern, weil sie manches an den alten Legenden und Sagen zu grausam und unheimlich fanden.
»Der Steinegger war so geizig, dass er sein Gesinde hungern ließ und sogar seiner eigenen Familie kaum das tägliche Brot gönnte. Als er in einer bitterkalten Winternacht einen Bettler abwies, reckte der die Faust zum Himmel und verfluchte den Bauern. Feuer sollte vom Himmel fallen und den Hof dem Erdboden gleichmachen. Tage darauf fand man den Bettler erfroren im Straßengraben, und der Steinegger fand kein Wort des Bedauerns, sondern machte sich sogar noch über den Fluch lustig.«
Alle hörten dem Senior gebannt zu und unterbrachen ihn nicht.
»Dann vergaß der Bauer ihn und lebte weiter wie bisher. Aber im nächsten Sommer gab es ein heftiges Gewitter. Der Blitz schlug in den Steinegger-Hof ein, und das Gemäuer brannte bis auf die Grundmauern nieder. Der Bauer verlor darüber den Verstand und irrte hilflos umher, aber niemand hatte Mitleid mit ihm. Völlig verarmt war er nun selbst zum Bettler geworden«, schloss Pankraz düster.
»Das ist aber wahrlich keine schöne Gutenacht-Geschichte für die Kinder«, hielt Zenzi Pankraz kopfschüttelnd vor.
Tessa und Filli saßen nämlich ziemlich betroffen da.
»Die Chronik ist ja auch kein Kinderbuch. Diese Geschichte, an die auch immer noch das Gewann Steinegg erinnert, denn dort hat der Hof gestanden, würde ich jedenfalls gern in die Chronik einfügen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich den Familienfluch der Dornbachers aufnehmen soll«, erklärte Pankraz unschlüssig.
»Was ist ein Familienfluch eigentlich?«, fragte Filli sofort, denn er wollte immer alles ganz genau wissen.
»Wenn jemand einer ganzen Familie etwas Schlimmes wünscht, weil er sich von ihr schlecht behandelt fühlt, zum Beispiel«, erklärte sein Vater. »So wie der Steinegger den Bettler nicht ins Haus gelassen hat, obwohl es eisig kalt war.«
»Und wie war das mit dem Familienfluch der Dornbachers? Das musst du uns auch erzählen«, bedrängte Tessa ihren Großvater.
»Nicht auf die Nacht …«, wandte Sabine schnell ein.
»Ach, das ist nicht ganz so grauslig. Also Anfang des letzten Jahrhunderts gehörten die Dornbachers zu den größten Bauern des Tals, wie heute auch noch. Nur dass sie viel mehr Hofleute hatten, denn damals gab es noch keine landwirtschaftlichen Maschinen wie jetzt. Im Frühjahr, nach Mariä Lichtmess im Februar, wurde eine junge Magd eingestellt, die von außerhalb kam. Sie soll über ungewöhnliche Fähigkeiten verfügt haben, unter ihren heilenden Händen wurde jedes Tier wieder gesund. Und sie war auch so schön, dass sich der Hoferbe, der einzige Sohn, in sie verliebte und nicht mehr von ihr lassen wollte.«
Pankraz Burger machte eine kurze Pause und fuhr dann sogleich fort.
»Doch seine Eltern waren dagegen, dass er eine arme Magd heiratete, und jagten sie vom Hof. Doch bevor sie verschwand, belegte sie die Dornbachers mit dem Fluch, dass jede Ehe, die von jetzt an geschlossen würde, unglücklich werden sollte. Der Hofsohn suchte lange nach ihr, vergab seinen Eltern nie, heiratete dann aber schließlich die Frau, die sie für ihn bestimmt hatten. Natürlich wurde diese Ehe unglücklich, und es sieht tatsächlich aus, als ob ein Fluch über den Dornbachers liegen würde. Denn keine ihrer Ehen ist glücklich verlaufen, bis auf den heutigen Tag.«
»Das ist net nur bei den Dornbachers so, das gibt’s bei anderen Leuten auch«, grummelte Zenzi vor sich hin.
»Und wie ist es denn so bei den Dornbachers, Zenzi?«, fragte Tessa neugierig und zwirbelte eine ihrer Locken.
»Da geht’s net grad friedlich zu.«
»Du kleiner Naseweis, du musst nicht alles wissen«, tadelte Pankraz milde seine Enkelin, was auch verhinderte, dass Zenzi genüsslich die ehelichen Zwistigkeiten der Dornbachers vor ihnen ausbreitete.
»Aber um auf die Chronik zurückzukommen, Vater«, nahm Martin den Gesprächsfaden wieder auf, »ich würde über den sogenannten Familienfluch der Dornbachers überhaupt kein Wort verlieren. Es spricht aber nichts dagegen, dass du dich über die Steineggers auslässt, das ist eh viel dramatischer.«
»Ach so?« Pankraz wiegte nachdenklich sein Haupt.
»Der Martin hat ganz recht«, kam Sabine ihrem Mann zu Hilfe. »Von den Steineggers ist doch niemand mehr am Leben, oder?«
»Ja, das Geschlecht ist kurz nach dem Unglück erloschen. Selbst der einzige Nachkomme des Bruders ist im Ersten Weltkrieg geblieben«, sagte Pankraz bedeutungsschwer. »Nur der Ortsname erinnert noch an sie.«
»Und dadurch sind die Steineggers auch sozusagen zu einer Legende geworden. Aber die Dornbachers mögen zwar nicht fidel sein, doch sie sind durchaus noch am Leben. Und ich könnte mir vorstellen, dass sie überhaupt nicht damit einverstanden wären, wenn auf diese Weise über sie geschrieben wird. Außerdem belastet das auch die weiteren Nachfahren«, sagte Sabine voller Überzeugung.
»Ja, du sprichst aus, was ich instinktiv gespürt habe«, rief Pankraz geradezu beglückt aus, und auch Martin nickte zustimmend mit dem Kopf. »Aber die Geschichte mit den Steineggers werde ich dafür ganz besonders ausschmücken.«
»Ganz besonders grauslich«, murmelte Zenzi, aber Pankraz überhörte in seinem Überschwang diese Bemerkung.
Nach dem Essen konnte er es gar nicht erwarten, sich in sein Kabinettl zurückzuziehen. Daher war er beim gemeinsamen Kartenspiel, das er sonst immer so genoss, derart zerstreut, dass er zum ersten Mal haushoch verlor.
Schließlich wurde es für alle Zeit, ins Bett zu gehen, die Kinder waren sowieso schon länger aufgeblieben als gewöhnlich. Zenzi wirtschaftete noch in der Küche herum, und plötzlich ertönte ein lautes Scheppern, gefolgt von einem klagenden Ausruf.
»Das schöne Haferl!«
Tessa drehte sich auf der Treppe zu ihren Eltern herum, ihr süßes Gesichtchen wirkte sehr besorgt.
»Erst der Wespenstich heut Morgen, und jetzt fällt der Zenzi etwas herunter? Ob das auch ein Familienfluch ist?«
»Was für ein Wespenstich? Warum hat mir niemand etwas gesagt?«, fragte ihr Vater sofort ärgerlich nach.
Sabine winkte ab.
»Das war nicht der Rede wert.«
»Aber dein Arm war ganz rot und geschwollen«, beharrte Tessa.
»Das ist gleich wieder zurückgegangen. Schau her, Martin.«
Sabine zeigte ihm ihren leicht gebräunten Arm, auf dem nur noch ein kleiner roter Punkt auf den Wespenstich hinwies.
»Gut. Und du, Tessa, vergiss die Sache mit dem Familienfluch am besten ganz schnell«, wandte er sich an seine Tochter.
»Und wenn es nur ein klitzekleiner war?«, murmelte sie, doch ihre Eltern zogen es vor, diesen Einwand zu überhören.
Martin und Sabine sahen nach Laura, die selig mit roten Bäckchen schlief. Dann gab es für die beiden Älteren noch eine Gutenachtgeschichte, ehe sich die Burgers in ihr blaues Schlafzimmer zurückzogen.
Sabine hatte diesen Raum sehr liebevoll ausgestattet. Wie der Name schon verriet, herrschte dort die Farbe Blau vor – Gardinen und der Teppich waren in Blau gehalten. Der bäuerlich mit roten Herzen bemalte Schrank und das breite Himmelbett steigerten die romantische Atmosphäre des Schlafzimmers noch.
Das war das Refugium des Ehepaars. In der Vertrautheit dieses Raums besprachen sie alles, was sie innerlich bewegte, vor allem wenn es die Familie betraf. Hier erneuerten sie den Bund ihrer Liebe und schöpften neue Kraft daraus.
Sabine war heute fast sofort in Martins Armen eingeschlafen, und als er sie enger an sich zog, um ihre Wärme zu suchen, seufzte sie auf und schmiegte sich an ihn. Doch seine Gedanken ließen ihn nicht zur Ruhe kommen.
Niemals hätte er zu hoffen gewagt, dass er noch einmal so glücklich mit einem anderen Menschen werden würde. Denn das Schicksal hatte es nicht gut mit ihm gemeint. Im Alter von elf Jahren hatte er seine geliebte Mutter verloren, was seine restliche Kindheit überschattet hatte. Dann jedoch fand er als junger Arzt die Frau, die er über alles geliebt hatte und mit der er eine Familie gründen wollte.
Doch wieder schlug das Schicksal unbarmherzig zu.
Seine geliebte Christl starb bei der Geburt des sehnlichst erwarteten Kindes, und das Kleine wurde mit ihr begraben. Der Schmerz um diesen unerträglichen Verlust trieb Martin Burger aus der Heimat weg, und er schloss in München eine chirurgische Ausbildung ab. Eines Tages aber war es an der Zeit, die Praxis seines Vaters zu übernehmen, und er kehrte nach St. Christoph ins schöne Zillertal zurück.
Immer noch trauerte er damals um sein verlorenes Glück und konnte sich nicht vorstellen, sich noch einmal zu binden. Sein Beruf wurde zu seinem Lebensmittelpunkt. Er ließ die Praxis seines Vaters um einen Anbau erweitern, darin waren ein kleiner Operationssaal, Labor und Röntgenraum untergebracht, und auch zwei Krankenzimmer für Notfälle fehlten nicht. Das führte dazu, dass die Dörfler die Praxis von da an als die »Mini-Klinik« bezeichneten.
Doch dann geschah etwas völlig Unerwartetes. Die junge Wiener Anästhesistin Sabine besuchte ihre Tante Rika in St. Christoph, und dabei kreuzten sich ihre Wege. Martin verliebte sich auf den ersten Blick in die heitere, mädchenhafte Frau mit den kurzen blonden Haaren und den braunen Augen, in denen goldene Fünkchen zu tanzen schienen.
Obwohl Martin Burger sechzehn Jahre älter als sie war – mittlerweile zählte er einundfünfzig Jahre –, fühlte Sabine sich von seinem freundlichen, besonnenen Wesen und seiner attraktiven, jugendlichen Erscheinung sofort angezogen und erwiderte seine Gefühle.
Er war der Mann ihres Lebens!
Sie brach mit allem, was ihr vorher etwas bedeutet hatte, ließ Wien mit all seinen Zerstreuungen und kulturellen Höhepunkten hinter sich und zog zu ihm. Immer wieder beteuerte Sabine, dass sie es nie bereut habe und er und die Familie ihr ganzes Glück seien.
Sabine hatte nicht nur wieder Liebe und Heiterkeit in Martins Leben gebracht, sie war auch seine Stütze in einem oft sehr anstrengenden Alltag. Wann immer ein Notfall eintrat, brachte sie ihre medizinischen Kenntnisse ein und war daher für ihn unverzichtbar geworden.
Das Schicksal hatte ihn reich entschädigt, war sein letzter Gedanke, dann sank auch er in einen tiefen Schlaf.
Tiefer nächtlicher Frieden lag nun über der Kirchgasse, wo das Doktorhaus stand, nur manchmal kam der Laut eines Tieres vom Krähenwald her.
***
Vinzenz Dornbacher verließ mit einem Gefühl der Erleichterung das elterliche Haus und glitt hinter das Steuer seines Geländewagens. Er ließ den Motor an und war froh, die lauten, streitenden Stimmen seiner Eltern, die bis auf den Hofplatz hinausdrangen, nicht mehr hören zu müssen.