1,99 €
Was ist nur plötzlich mit Anne Werlberger los? Der Bergdoktor erkennt seine junge Patientin kaum wieder. Still und verschlossen ist sie geworden. Ihr sonst so fröhliches Lachen ist verschwunden.
Anne hat Sorgen, das ist nicht zu übersehen, aber sie wagt nicht, sich jemandem anzuvertrauen. Nicht einmal ihrem besten Freund Felix. Dabei würde der junge Bauer alles für sie tun.
Das Geheimnis droht Anne über den Kopf zu wachsen. Als sie im Dorf zusammenbricht, ahnt Dr. Burger, dass ihnen die Zeit davonläuft. Anne ist krank. Sehr krank sogar. Im Fieberschlaf stammelt sie etwas von einem Versteck am wilden Wasser.
Doch wen oder was verbirgt sie dort?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 129
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Am wilden Wasser
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf / Bastei Verlag
Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-3765-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Am wilden Wasser
Was versteckt das schöne Mädchen an der Schlucht?
Von Andreas Kufsteiner
Was ist nur plötzlich mit Anne Werlberger los? Der Bergdoktor erkennt seine junge Patientin kaum wieder. Still und verschlossen ist sie geworden. Ihr sonst so fröhliches Lachen ist verschwunden.
Anne hat Sorgen, das ist nicht zu übersehen, aber sie wagt nicht, sich jemandem anzuvertrauen. Nicht einmal ihrem besten Freund Felix. Dabei würde der junge Bauer alles für sie tun.
Das Geheimnis droht Anne über den Kopf zu wachsen. Als sie im Dorf zusammenbricht, ahnt Dr. Burger, dass ihnen die Zeit davonläuft. Anne ist krank. Sehr krank sogar. Im Fieberschlaf stammelt sie etwas von einem Versteck am wilden Wasser.
Doch wen oder was verbirgt sie dort?
»Blutdruck 90 zu 60.« Sorgenvoll beugte sich Dr. Martin Burger über seinen Patienten und tastete nach dem Herzschlag.
Der Puls raste! Die Atmung war schnell und flach, und die Haut fühlte sich kalt an. Der Verletzte drohte ihm unter den Händen wegzusterben!
Martin Burger war zu der Unfallstelle im Krähenwald gerufen worden. Der Fahrer eines Transporters war mit seinem Fahrzeug von der Straße abgekommen, gegen einen Baum geprallt und anschließend einen Hang hinuntergestürzt. Dabei hatte sich der Wagen mehrmals überschlagen.
Die Rettungskräfte der Feuerwehr hatten den Verletzten mit schwerem Gerät aus dem Transporter schneiden müssen. Er blutete aus Mund und Nase, und aus seinem linken Ohr tropfte eine gelbliche Flüssigkeit, die nichts Gutes verhieß. Ein Hämatom zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Als der Bergdoktor nacheinander die Lider des Verletzten anhob, waren Einblutungen im linken Auge zu erkennen. Der Kopf wies zahlreiche Schürfwunden und Schnitte auf, die stark bluteten.
Der Verletzte war um die dreißig und hatte dunkle Haare. Seine Statur konnte man als kräftig bezeichnen. Er trug eine blaue Uniform mit einem Aufnäher, auf dem Sicherheit stand.
Dr. Burger schnitt das Jackett und das Hemd des Bewusstlosen auf. Zahlreiche Blutergüsse zeichneten sich auf dem Brustkorb ab.
Beim Abhören der Lungen war linksseitig ein verschärftes Atemgeräusch zu vernehmen. Der Tastbefund des Bauches war zum Glück unauffällig. Der linke Unterschenkel des Fahrers war jedoch abgeknickt und stark geschwollen.
Vorsichtshalber legte Dr. Burger seinem Patienten eine Halskrause an. Ohne Ausrüstung ließ sich nicht feststellen, ob die Wirbelsäule verletzt war. Dann konnte jede Bewegung fatale Folgen haben.
Sicher war jedoch, dass der Verletzte eine schwere Schädelverletzung davongetragen hatte. Vermutlich ein offenes Schädel-Hirn-Trauma, bei dem das Gehirn verletzt war. Darauf wies die Flüssigkeit hin, die aus seinem Ohr tropfte. Es war Liquor – die Flüssigkeit, die das Gehirn und das Rückenmark umgab.
Dr. Burger legte einen venösen Zugang und führte seinem Patienten eine Kochsalzlösung zu, um dem Schock entgegenzuwirken. Anschließend versorgte er die Kopfwunden mit einem Verband. Der Verletzte durfte auf keinen Fall noch mehr Blut verlieren!
Die Atmung wurde flacher, deshalb entschied sich der Bergdoktor, seinen Patienten zu intubieren. Er vergewisserte sich, dass Mund und Rachen frei waren, und legte den Tubus. Dann bat er seinen Helfer, mit der Beatmung zu beginnen.
Felix Reinhardt gehörte der Feuerwehr seit drei Jahren an und wusste genau, was zu tun war. Ruhig und gleichmäßig drückte er den Beatmungsbeutel zusammen und führte dem Verletzen Sauerstoff zu.
»Armer Kerl«, murmelte er. »Hat nur seinen Job gemacht, und nun muss er um sein Leben kämpfen.«
»Seinen Job?« Der Bergdoktor zog eine kreislaufstabilisierende Spritze auf, blickte nun jedoch auf.
»Das ist ein Werttransporter. Ein Mercedes Sprinter. Diese Fahrzeuge sind unauffällig, gepanzert und mit allen möglichen Schikanen wie GPS und Alarmsystem ausgestattet.« Felix deutete zu dem Wagen, der auf der Seite lag und vermutlich nirgendwo mehr hinfahren würde. Die Motorhaube war eingedrückt, und die Windschutzscheibe geborsten, sodass sich Risse wie Spinnennetze über die gesamte Front zogen. »Vermutlich hat er Geld oder andere Wertsachen transportiert. Ich frage mich, warum er gegen den Baum geprallt ist.«
»Vielleicht war er zu schnell.« Martin Burger warf einen Blick auf die Straße, die in steilen Serpentinen durch den Wald führte. Einsam war es hier. Und es gab kaum Verkehr. Es war ein Wunder, dass ein Urlauber das verunglückte Fahrzeug so schnell entdeckt und die Rettung alarmiert hatte. Andernfalls wäre der Verletzte wohl noch lange nicht gefunden worden.
Der Herbst hatte Einzug gehalten im Zillertal. Die Hänge färbten sich in einem sanften Braun, und die Bäume in den tieferen Regionen leuchteten in bunten Herbstfarben. Auf den Gipfeln lag bereits Schnee, und der bitterkalte Wind verriet, dass der Winter nicht mehr allzu lange auf sich warten würde.
»Der Fahrer hatte wirklich Pech«, bemerkte Felix. »Sehen Sie die Abbruchstelle da oben, Herr Doktor? Dort ist der Wagen abgestürzt. Der Boden hat unter ihm nachgegeben. Vermutlich ist der viele Regen der vergangenen Tage schuld daran. Der hat den Boden aufgeweicht.«
»Ohne den Absturz wäre er vielleicht mit einem blauen Auge davongekommen.«
»Gut möglich. Und jetzt? Wie sieht es aus, Herr Doktor?«
»Er hat sehr schwere Kopfverletzungen, deshalb wage ich keine Prognose. Wir müssen die Untersuchungen im Krankenhaus abwarten.«
»Ich verstehe.« Felix nickte bedächtig. Er lebte mit seinen Eltern auf einem Bauernhof. Der Bergdoktor schätzte ihn wegen seiner freundlichen Art und seiner Zuverlässigkeit. Ein gegebenes Wort hielt Felix immer ein. Obwohl er erst vierundzwanzig Jahre alt war, verfügte er über große Erfahrung im Rettungsdienst.
In der Nähe sperrten die Kameraden der Feuerwehr die Unglücksstelle großräumig ab, damit nicht noch mehr Fahrzeuge in die Falle tappten.
»Auch eine Art, einen Freitagnachmittag zuzubringen«, stellte Felix seufzend fest. »Allerdings hatte Manuel sicherlich andere Pläne für diesen Tag.«
»Manuel? Kennst du ihn etwa?«
»Vom Sport. Wir trainieren im selben Studio. Allerdings sind wir über eine oberflächliche Unterhaltung noch net hinausgekommen. Ich weiß nur, dass er Manuel Zangerle heißt und aus Mayrhofen stammt.«
»Weißt du auch, für wen er arbeitet?«
»Das net, aber im Wagen sollte es Hinweise darauf geben. Ich werde mich später umschauen. Dann können wir seiner Firma Bescheid sagen. Obwohl die vermutlich längst wissen, dass etwas net stimmt. Der Transporter sollte mit einem GPS ausgerüstet sein. Der Besitzer weiß sicherlich, wo er ist.«
»Um die Nachforschungen kann sich Gendarm Sirch kümmern. Er müsste gleich hier sein.«
»Gut.« Felix war auffallend blass um die Nase.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Ja. Es ist nur … Das viele Blut! Das macht mir zu schaffen. Gewöhnt man sich je an diesen Anblick? Und an das Leid, das damit verbunden ist?«
»Man lernt, es hinzunehmen und zu tun, was nötig ist. Aber daran gewöhnen? Nein. Wenn das passiert und einen nichts mehr berührt, arbeitet man wohl schon zu lange in dem Beruf.« Martin Burger maß den Blutdruck seines Patienten erneut und zerbiss einen Fluch auf den Lippen. Die Werte sanken weiter! Trotz der Infusion! Das war kein gutes Zeichen. Wo blieb denn bloß der Rettungswagen?
Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gebracht, als in der Ferne ein Martinshorn zu hören war. Die Sirene wurde rasch lauter. Endlich!
Martin Burger erlaubte sich ein leises Aufatmen.
Sein Patient musste auf dem schnellsten Weg in die Klinik gebracht werden. Von nun an blieb ihm nur noch eines zu tun: zu hoffen, dass der Verletzte durchkam. Dabei verriet ihm eine leise Stimme in seinem Hinterkopf, dass das noch nicht das Ende der Aufregungen war, sondern erst der Anfang!
***
Ein Schwarm Zugvögel zog über St. Christoph hinweg. Es waren Hausrotschwänze, die im Mittelmeerraum überwinterten. Sie verließen die Berge im Oktober. Ihre Artgenossen wie Schwalben und Mauersegler waren längst fort, denn sie hatten einen weiteren Weg zu ihren Winterquartieren in Afrika.
Vom Zwiebelturm der weißen Dorfkirche stiegen mehrere Hausrotschwänze auf und reihten sich in den Schwarm ein. Sie galten als bedrohte Art, aber hier im Zillertal fand man zahlreiche dieser munteren Singvögel.
Anne Werlberger schmückte das Portal der Kirche mit einem Kranz aus Ähren und Kornblumen. Die Tür war niemals verschlossen, weil Pfarrer Roseder der Ansicht war, dass ein Haus Gottes Tag und Nacht für Besucher geöffnet sein sollte.
Anne betrachtete ihr Werk, verschob den Blumenschmuck, bis er gerade hing, und betrat die Kirche. Hier war ihre beste Freundin dabei, die Bänke und den Altar mit weiteren Blumen zu dekorieren. Pia befestigte gerade ein Gesteck am Rand der hintersten Kirchenbank. Das Erntedankfest stand vor der Tür, und die beiden Frauen hatten sich bereiterklärt, die Kirche für den Gottesdienst herzurichten.
Die zartrosafarbenen Anemonen, Alpenveilchen und bunten Herbstastern stammten ebenso aus dem Garten von Annes Familie wie die üppig blühenden Dahlien. Anne hatte liebevolle Gestecke hergestellt, die mit goldgelben Ähren, Gräsern und Bast zusammengebunden waren. Das Gebinde für den Altar war zusätzlich mit kleinen Zierkürbissen dekoriert. Anne hatte ein Händchen für alles, was grünte und blühte, und ihre Freude daran, sich um Blumen und Pflanzen zu kümmern.
Ihre Freundin richtete sich auf und blies sich eine rötliche Haarsträhne aus der Stirn.
»Reizend sieht das aus«, stellte sie mit einem Blick auf den Altarschmuck fest. »Du hast ein gutes Auge für solche Arrangements. Wenn du einmal heiratest, solltest du deinen Brautstrauß selbst entwerfen.«
»Hör bloß auf!«, seufzte Anne. »Daran denke ich wirklich noch net.«
»Warum denn net? Nur, weil du einmal danebengegriffen hast, musst du den Wunsch nach einem Ehemann net gleich aufgeben.«
»Danebengegriffen?« Anne blies die Wangen auf. »Das hört sich so an, als hätte es einfach net mit uns gepasst, aber es war viel schlimmer. Ich war so dumm, Pia.«
»Unsinn. Du konntest net ahnen, dass dieser Hallodri bereits verheiratet ist. Das hat er schließlich mit keiner Silbe erwähnt.«
»Ich hätte es aber erkennen müssen. Vermutlich gab es Anzeichen, die ich übersehen habe.«
»Das bezweifle ich. Er hat sich dir als allein reisender Urlauber vorgestellt. Woher hättest du wissen sollen, dass er daheim eine Frau und zwei Kinder hat?«
»Ach, Pia.« Anne krümmte sich innerlich.
Der Gedanke, dass sie eine andere Frau hintergangen hatte, machte ihr zu schaffen, auch wenn es nicht absichtlich geschehen war. Warum war sie nicht vorsichtiger gewesen?
Sie hatte Lars Wiesing während einer Wanderung kennengelernt. Seine Wanderschuhe hatten dem Literaturdozenten blutige Blasen beschert, und Anne hatte ihm mit einem Heftpflaster ausgeholfen.
So waren sie ins Gespräch gekommen. Lars hatte ihre Bekanntschaft mit Komplimenten und Einladungen vorangetrieben, und Anne hatte seinem Charme nicht wiederstehen können. Er hatte sogar davon gesprochen, sie zu besuchen, wenn sein Urlaub zu Ende war. Sie hatte ihm jedes Wort geglaubt, bis eines Abends seine Familie angereist war, um ihn zu überraschen.
Sie seufzte wieder, aber es ging in einen bellenden Hustenanfall über.
»Mei, das klingt, als würdest du Espresso machen.« Pia sah sie sorgenvoll an. »Bist du sicher, dass du dich net lieber hinlegen willst?«
»Es geht schon«, keuchte Anne. »Ist nur ein Infekt.«
»Ruh dich trotzdem aus, wenn du nachher daheim bist.«
»Das mache ich. Hab ohnehin nix anderes vor. Eigentlich wollten Lars und ich heute zum Tanzen nach Mayrhofen fahren, aber jetzt nimmt er wohl seine Frau mit …«
Sie stockte, und ihre Augen begannen zu brennen. Energisch blinzelte sie die Tränen zurück. Sie würde nicht weinen. Nicht um einen Mann, der nicht nur sie, sondern auch seine Familie betrogen hatte und es gar nicht wert war!
»Warum fährst du net ohne ihn zum Tanzen? Ich bin sicher, du wirst net allein bleiben. Ich würde ja mitkommen, aber ich möchte meinen Schatz net so lange mit dem Baby alleinlassen.«
»Im Moment hab ich die Nase voll von Verabredungen. Bevor ich mich wieder auf einen Mann einlasse, werde ich eine Wunschliste aufsetzen. Dann vermeide ich Enttäuschungen.«
»Eine Wunschliste? Was soll denn darauf stehen?«
»Wie der Mann sein muss, den ich mir wünsche.«
»Ach ja? Und was genau stellst du dir da vor? Ein Meter neunzig groß, mit breiten Schultern und einem langen …« Pia unterbrach sich und zwinkerte ihr zu.
»Solche Äußerlichkeiten sind mir net so wichtig.« Anne winkte ab. »Single muss er sein, warmherzig und kinderlieb.«
»Trotzdem solltest du das mit den eins neunzig und den breiten Schultern im Hinterkopf behalten«, mahnte ihre Freundin. »Schreib ruhig auch warme Hände mit auf die Liste. Es geht nichts über einen Mann mit warmen Händen, der genau weiß, was er tut.« Ihr Lächeln wurde breiter.
Tief in Anne meldete sich eine leise Sehnsucht. Sie hatte tatsächlich geglaubt, dass Lars und sie eine gemeinsame Zukunft haben könnten. Doch diesen Traum musste sie sich aus dem Kopf schlagen, weil er bereits gebunden war.
Während sie noch gegen den Kummer ankämpfte, quietschte das Kirchenportal, und eine silberhaarige Frau betrat die Kirche. Sie hatte ein blaues Dirndl an und eine graue Strickjacke darüber gezogen, die mit Edelweiß bestickt war. Es war Fanny, die Wirtschafterin des Pfarrers.
»Wunderschön habt ihr das gemacht«, lobte sie und schaute sich in der Kirche um. »Die Blumen werden dem Pfarrer bestimmt gefallen.«
»So war es auch gedacht.«
»Hier, die sind für euch.« Fanny reichte jeder von ihnen ein Päckchen, aus dem es verlockend nach frisch Gebackenem duftete. »Ich hab einen Streuselkuchen gebacken und euch etwas eingepackt. Als Dankeschön für eure Mühe.«
»Das wäre doch net nötig gewesen«, wehrte Anne ab.
Ihre Freundin schnupperte an dem Päckchen und verdrehte die Augen.
»Doch, es war nötig! Das riecht wirklich himmlisch. Vielen Dank, Fanny.«
»Gern geschehen. Sagt mal, habt ihr von dem Unglück gehört?«
Anne tauschte einen erschrockenen Blick mit ihrer Freundin.
»Was für ein Unglück meinst du denn?«
»Droben am Hexenstein ist ein Geldtransporter von der Straße abgekommen und einen Abhang hinuntergestürzt. Der Wagen soll kaum noch als Fahrzeug zu erkennen gewesen sein, so zerbeult war er. Unser Bergdoktor musste all sein Können aufbieten, um dem verletzten Fahrer zu helfen.«
»Jesses, das hört sich furchtbar an. Wird der Fahrer durchkommen?«
»Das weiß man noch net. Das ist aber auch noch net alles.« Fanny senkte die Stimme, als wäre das, was sie als Nächstes sagen wollte, ein großes Geheimnis. »Man erzählt sich, dass von der Lieferung jede Spur fehlt. Die Feuerwehr hat den Transporter inzwischen geborgen, aber der Laderaum war leer.«
»Möglicherweise hatte der Fahrer seine Lieferung bereits abgesetzt?«
»Eben net! Es heißt, er hatte die Gelder des Sägewerks bei sich. Einen Koffer voller Einnahmen. Und der ist nun verschwunden!«
»So ein Koffer kann sich net in Luft auflösen«, murmelte Pia. »Vielleicht liegt er noch irgendwo am Hang?«
»Die Rettungskräfte haben alles abgesucht. Er ist weg.«
»Und was bedeutet das? War es etwa gar kein Unfall, sondern ein Überfall?«
»Das ist eben die Frage!« Fanny strich die Schürze ihres Dirndls glatt. »Angeblich war eine sechsstellige Summe in dem Geldkoffer. Für so viel Geld wirft manch einer all seine Bedenken über Bord. Womöglich hat jemand den Wagen absichtlich von der Straße gedrängt, um ihn auszurauben.«
»Du lieber Himmel!« Anne riss die Augen auf. »Wer sollte denn so etwas tun?«
»Das wird der Gendarm schon herausbekommen. Der Sirch hat die Ermittlungen bereits aufgenommen. Das hat mir der Felix erzählt. Er war bei den Rettern, die mitgeholfen haben, den Fahrer aus seinem Transporter zu befreien. Sie mussten ihn herausschneiden, weil sich die Türen nimmer öffnen ließen.«
Anne schüttelte bedächtig den Kopf. Sie musste das Gehörte erst einmal verarbeiten. Ihr Heimatdorf war der friedlichste Ort, den sie sich vorstellen konnte. Hier hatte die Hektik der modernen Zeit noch keinen Einzug gehalten. Es gab nur eine einzige Straße, die heraufführte. Meistens schlossen die Bauern ihre Häuser nicht einmal ab, weil jeder einen jeden kannte. Und jetzt sollte ein Dieb unter ihnen sein? Jemand, der einen arglosen Fahrer in Lebensgefahr brachte, um sich zu bereichern? Das wollte ihr nicht in den Kopf.
Die Gedanken ihrer Freundin schienen eine völlig andere Richtung einzuschlagen.