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Ungewollt wird die kleine Vreni Zeugin eines hässlichen Streits zwischen ihren Eltern. Schlimme, verletzende Worte fallen, doch Vreni begreift vor allem nur eins: Ihr geliebter, vergötterter Papa soll plötzlich nicht mehr ihr Vater sein! Sie ist ein Kuckuckskind!
Völlig verstört flüchtet Vreni sich in ihr Zimmer. Wenig später hört sie, wie die Haustür mit einem lauten Knall ins Schloss fällt. Papa ist fort - und Vreni ahnt, dass an diesem Abend ihre heile Welt zerbrochen ist ...
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Seitenzahl: 135
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Was Vreni nie erfahren sollte …
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock / Maria Evseyeva
Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-3906-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Was Vreni nie erfahren sollte …
Ein kleines Mädchen kommt hinter ein schlimmes Geheimnis
Von Andreas Kufsteiner
Ungewollt wird die kleine Vreni Zeugin eines hässlichen Streits zwischen ihren Eltern. Schlimme, verletzende Worte fallen, doch Vreni begreift vor allem nur eins: Ihr geliebter, vergötterter Papa soll plötzlich nicht mehr ihr Vater sein! Sie ist ein Kuckuckskind!
Völlig verstört flüchtet Vreni sich in ihr Zimmer. Wenig später hört sie, wie die Haustür mit einem lauten Knall ins Schloss fällt. Papa ist fort – und Vreni ahnt, dass an diesem Abend ihre heile Welt zerbrochen ist …
Paul Fischer rauchte der Kopf. Missmutig starrte er auf die Seite auf seinem Laptop, die außer ein paar Notizen noch nichts Brauchbares enthielt. Er sollte ein Drehbuch schreiben, und der Abgabetermin rückte immer näher. Doch es wollte ihm partout nichts einfallen.
Verdrossen raufte sich der zweiundvierzigjährige Autor das braune Haar. Früher hatte es ihm nie an Ideen gemangelt, und oft hatte er eine filmreife Geschichte in wenigen Wochen zu Papier gebracht, sodass ihm genug Zeit für die Familie blieb.
Jetzt beklagte sich seine Frau Anna bereits, dass er sie und die zwölfjährige Tochter Verena vernachlässigte. Auch litten beide unter seiner permanent schlechten Laune.
Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut und wurde von Zukunftsängsten gequält. Dabei hatte er in den letzten Jahren gut verdient und ein erkleckliches Sümmchen auf der Bank. Selbst, wenn die Schreibblockade anhielt, würden sie ihren Lebensstandard nicht ändern müssen. Aber er brauchte den Erfolg wie die Luft zum Atmen.
Die Tür ging auf, und Anna Fischer trat ein.
»Was zermarterst du dir dein Gehirn, wenn doch nichts dabei herauskommt?«, tadelte sie ihn mit Blick auf den Entwurf im Computer, der nur ein paar nichtssagende Sätze enthielt. »Schalt ab und fahr mit Vreni und mir ins Hallenbad. Ein paar Runden schwimmen werden deine Gehirnzellen mehr anregen, als wenn du sinnlos vor dich hinstarrst.« Sie beugte sich zu ihrem Mann hinunter und kraulte ihm den schmerzenden Nacken.
»Was verstehst du denn davon?«, knurrte Paul und wischte die Hand seiner Frau unwirsch beiseite.
Früher hatte er es genossen, wenn sie ihn auf diese Weise ablenkte, doch jetzt fühlte er sich gestört. Dabei hatte sie recht, er sollte sich lieber auf andere Gedanken bringen, statt verbissen auf den Kuss der Muse zu warten, der ihn heute gewiss nicht mehr ereilen würde. Vom vielen Grübeln hatte er bereits Kopfschmerzen.
»Natürlich habe ich keine Ahnung«, wich Anna nun sichtlich verschnupft zurück. »Ich bin ja nur seit über vierzehn Jahren mit einem Drehbuchautor verheiratet, der mir nachts im Bett noch seine Geschichten erzählt und dazu meine Meinung hören will. Denkst du, das sind nicht genug Lehrjahre, um auch ein bisserl mitzureden?« Sie warf verdrossen die Hände in die Luft. »Gewiss, ich kann kein Drehbuch schreiben, aber als Kritikerin war ich dir bisher doch immer von Nutzen, oder?«
Jetzt hatte sie sich in Rage geredet. Erschöpft ließ sie sich auf die Couch in Pauls Arbeitszimmer fallen und rieb ihre pochenden Schläfen. In letzter Zeit stritten sie nur noch. Paul wurde immer unerträglicher. Höchste Zeit, dass er zu seiner früheren Form zurückfand.
Doch was sie auch versuchte, um ihn auf andere Gedanken zu bringen, er blockte nur noch ab. Es wäre tatsächlich weit sinnvoller, den Computer abzuschalten und den Kopf bei einem Spaziergang auszulüften oder etwas mit der Familie zu unternehmen, statt stundenlang ohne nennenswerte Ergebnisse vor sich hinzustarren. Aber Paul ließ lieber seinen Frust an ihr und der Tochter aus, die ebenfalls schon ganz verstört war. So übellaunig kannte sie ihren geliebten Papa nicht.
»Entschuldige, Liebes, es tut mir leid«, zeigte sich Paul nun einsichtig und blickte seine vier Jahre jüngere Frau zerknirscht an.
Anna war sehr hübsch. Sie hatte eine grazile Figur, langes natürlich blondes Haar und ein apartes Gesicht. Er war sehr stolz, dass sie für ein Leben mit ihm einen reichen Filmproduzenten verschmäht hatte, obwohl ihr dieser die Welt zu Füßen legen wollte.
Paul erhob sich, ging zu seiner Frau und setzte sich neben sie. Sanft strich er eine Locke aus ihrem zarten Gesicht und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen.
»Ich weiß, ich bin zurzeit unausstehlich. Aber …«
»Zurzeit …?« Anna lupfte eine Augenbraue. »Das geht nun schon seit Wochen so. Ich versteh ja, dass du den Termin einhalten musst. Aber deshalb darfst du deine Familie nicht gänzlich aufs Abstellgleis schieben.« Sie knuffte ihm gegen den Arm. »Jetzt gib deinem Herzen schon einen Stoß und komm mit ins Schwimmbad. Du wirst sehen, danach läuft’s wie am Schnürchen.« Sie wies mit dem Kopf zum Computer.
»Danach liege ich faul auf der Couch, weil mich schwimmen müde macht«, brummte Paul wenig überzeugt, gab aber nach. »Gut, machen wir uns einen schönen Tag.« Er schob seine Frau von sich, ging zum Schreibtisch, setzte sich und schaltete den Laptop aus.
Anna lehnte sich zurück und legte grübelnd den Zeigefinger an die Lippen.
»Vielleicht solltest du ein paar Tage auf deiner Alm verbringen. In der Abgeschiedenheit der schönen Bergwelt von St. Christoph ist dir doch bisher immer etwas eingefallen.«
»Daran hab ich auch schon gedacht«, erwiderte Paul versonnen und drehte sich auf seinem Stuhl um. »Aber jetzt, Anfang April, ist’s halt noch ein bisserl frisch in den Bergen, und auf der Alm liegt noch Schnee.«
»Die Hütte hat doch eine gut funktionierende Heizung«, hielt Anna dagegen. »Außerdem bist du dort oben vor lästigen Störenfrieden sicher, solange der Schnee den Aufstieg erschwert.«
Damit spielte sie auf Pauls Verwandte an, die nur wenige hundert Meter unterhalb der Alm einen Berghof bewirtschafteten. Aufgrund von Erbstreitigkeiten hatte Paul mit dem Bruder seiner verstorbenen Mutter Loni gebrochen.
Leopold Gerstel hatte die Schwester nach dem Tod der Eltern übervorteilt. Während er den schmucken Hof am Achenkegel weiter bewirtschaftete, hatte er der älteren Loni nur die Alm zugestanden, wo früher das Vieh im Sommer weidete. Loni hatte ihren Bruder trotzdem nicht vor Gericht gezerrt und auf ihr Recht verzichtet. Doch die Enttäuschung hatte an ihr genagt.
Paul lastete die Krebserkrankung der Mutter, der sie nach langem Kampf vor knapp einem Jahr erlegen war, den zermürbenden Querelen mit ihrem Bruder an. Seither mied er noch mehr jedes Zusammentreffen mit den Verwandten.
Anna hätte die Zwistigkeiten gern beigelegt und ein gutes verwandtschaftliches Verhältnis gepflegt. Sie war ein friedliebender Mensch, Streit belastete sie. Wenn sie zur Alm aufstieg, nutzte sie auch stets den öffentlichen Wanderweg, der direkt durch den Gerstelhof führte.
Oft begrüßten sie die Verwandten sehr herzlich, wenn sie ihnen dort begegnete, und sie hätte gern Wallis Einladung zum Kaffee angenommen. Die junge Bäuerin war die Frau von Pauls Cousin Jakob und sehr nett. Bernhard, der jüngere der Gerstelbrüder, war noch unverheiratet und Onkel Leopold Witwer. Aber Paul würde ihr niemals verzeihen, wenn sie hinter seinem Rücken näheren Kontakt zu den Verwandten knüpfte.
Er selbst mied jedes Zusammentreffen wie der Teufel den Beelzebub. Zur Alm kam man auch über eine Schotterstraße, die jedoch zu Fuß ein großer Umweg war. Trotzdem scheute Paul den Pfad durch den Hof seiner Verwandten, wenn er im Dorf einkaufen war, und nahm lieber die Abkürzung über eine alte, wacklige Hängebrücke, die eine tiefe Schlucht überspannte und offiziell gesperrt war.
Um die Sperrung der Brücke scherte sich jedoch kaum ein Einheimischer. Anna würden dagegen keine zehn Pferde über die schwankende Brücke bringen. Ihr wurde schon beim Hinsehen schwindelig. Anders Verena, sie fand großen Spaß an dem abenteuerlichen Pfad und ließ sich auch von ihrer ängstlichen Mutter nicht davon abhalten, die Brücke zu überqueren.
Die Tür ging auf, und Verena steckte den Kopf herein.
»Mama, wann fahren wir?«, fragte sie, während sie dem Vater einen zaghaften Blick zuwarf.
Paul seufzte. So weit war es schon gekommen, dass seine Tochter sich nicht mal mehr an ihn herantraute, aus Sorge, er würde sie unwirsch zurückweisen. Sonst hatte sie sich immer an seinen Hals gehängt und in seinem neuen Drehbuch gelesen.
»Hm, gut. Oder: Schmarrn, das kannst du besser«, urteilte sie dann pragmatisch.
»Wir sind gleich so weit, Vreni«, erwiderte er lächelnd.
»Du kommst mit, Papa?«, rief Verena überrascht. Ein Strahlen glitt über ihr niedliches Gesicht, während sie erfreut in die Hände klatschte. »Prima, dann kannst du die neue Rutsche im Bad ausprobieren. Die ist einfach super!«
»Super für dich, aber nix für meine alten Knochen«, lachte Paul und wuselte seiner Tochter liebevoll durch das seidige Blondhaar, das sie von der Mutter geerbt hatte. Überhaupt war sie Annas Ebenbild, während sie ihm so gut wie gar nicht ähnelte.
»Ich predige schon die ganze Zeit, dass du Bewegung brauchst«, konterte seine Frau. »Wer so viel vor der verdammten Kiste sitzt, muss für Ausgleich sorgen, sonst rostet er noch gänzlich ein.« Sie musterte den Computer, als wolle sie ihm den Garaus machen.
»Die verdammte Kiste ermöglicht uns ein angenehmes Leben«, gab Paul verdrossen zurück, weil seine Frau seine Arbeit so wenig würdigte. »Fitnessstudio, Reiten für Verena und vieles mehr, das wäre wohl ohne meine Arbeit nicht möglich.«
»Jetzt sei doch nicht gleich wieder eingeschnappt«, erwiderte Anna und rollte mit den Augen. »Du weißt genau, wie es gemeint ist.« Sie wandte sich um und verließ den Raum.
Paul stöhnte leise. Höchste Zeit, dass sich der raue Ton in ihrer Ehe wieder änderte. Sonst gerieten sie noch in eine Krise. Er liebte seine Frau aus tiefstem Herzen, und er vergötterte seine Tochter. Nichts auf der Welt war ihm wichtiger, als diese beiden Menschen.
***
Drei Wochen später brach die Welt für Paul Fischer gänzlich zusammen. Eine Routineuntersuchung hatte ergeben, dass seine Blutgruppe nicht mit der seiner Tochter übereinstimmte, was Zweifel an seiner Vaterschaft aufwarf. Wegen einer Blutgerinnungsstörung des Mädchens waren auch die Eltern getestet worden. Völlig verwirrt von dem Resultat hatte Paul einen Vaterschaftstest in Auftrag gegeben. Nun hielt er das Ergebnis in Händen und konnte es nicht glauben.
Fassungslos las er zum wiederholten Mal den Bericht, der keine Zweifel mehr offenließ. Er war nicht Verenas Vater.
Anna saß tränenüberströmt auf der Couch im Wohnzimmer und wagte kaum, ihren Mann anzusehen.
»Bitte, glaub mir, Paul, ich hab es selbst nicht gewusst«, beteuerte sie. »Es war nur ein einziger Ausrutscher. Wir hatten getrunken und die Kontrolle über uns verloren. Danach haben wir es sofort bereut, und es hat auch keine Wiederholung gegeben.« Sie rang die Hände. »Niemals hätte ich gedacht, dass ich gleich schwanger werde. Ich war immer überzeugt, dass Verena deine Tochter ist.« Wieder schluchzte sie verzweifelt.
Doch Paul war wie versteinert. Annas Tränen ließen ihn kalt.
»Wer …?«, krächzte er. Die Stimme wollte ihm kaum gehorchen. Er schluckte den Kloß in seiner Kehle hinunter und wiederholte: »Wer ist Verenas Vater?« Als Anna nicht gleich antwortete, schnauzte er sie an: »Wer, verdammt noch mal, ist dieser Kerl? Rede!«
»Max«, kam es leise zurück. Anna verkroch sich noch mehr in sich selbst. Klein und unglücklich kauerte sie auf dem Sofa.
Paul stieß einen gequälten Schrei aus. Alles hatte er erwartet, aber nicht, dass seine Frau mit seinem besten Freund eine Affäre hatte.
Er sprang auf und lief wie ein gefangenes Tier durchs Zimmer. Rasende Wut erfüllte ihn. Er fühlte sich wie ein Überdruckkessel, der jeden Moment zu explodieren drohte. Max konnte er nicht mehr zur Rechenschaft ziehen. Dieser war vor Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen.
Doch seine Wut brauchte ein Ventil. Er packte die Vase mit den blutroten Rosen, die er Anna noch tags zuvor als Entschuldigung für seine Launen geschenkt hatte, und schmetterte sie an die Wand. Das Glas zersprang in tausend Stücke, und die schönen Blumen waren nur noch ein klägliches Häufchen. Als er den nächsten Gegenstand packte, fiel ihm Anna erschrocken in den Arm.
»Nicht«, warnte sie. »Oder willst du, dass Vreni Zeuge deines Ausrasters wird? So kennt sie ihren Vater nicht.«
»Vater!«, schnaubte Paul noch immer außer sich vor Zorn und Enttäuschung. Roh packte er seine Frau an den Armen und funkelte sie an. »Wie kannst du mich noch so nennen! Ich bin nicht Verenas Vater, ich bin nur ihr Versorger, euer beider Melkkuh.«
»Hör auf, Paul«, flehte Anna inständig und befreite sich aus seinem Griff. »Bitte, mach nicht alles kaputt. Du liebst Verena doch. Auch wenn du sie nicht gezeugt hast, so ist sie trotzdem deine Tochter. Du hast sie in den Armen gewiegt und ihre Tränen getrocknet …«
Sie wies zu dem Brief, den er in der Rage von sich geschleudert hatte und der nun unter dem Couchtisch lag.
»Du bist ihr Vater, nicht Max, ganz gleich, was auf diesem unseligen Papier steht. Strafe mich, verachte mich und wirf mich aus deinem Haus, wenn du nicht anders kannst. Aber verwehre Verena nicht deine Liebe. Das würde sie nicht verkraften.«
Plötzlich war aus Paul die Luft raus. Erschöpft sank er in einen Sessel nieder.
»Wieso?«, stammelte er. »Wieso ausgerechnet Max? Wir waren wie Brüder.«
Anna zuckte müde mit den Schultern und lehnte sich an die Fensterbank.
»Er war da, als ich ihn brauchte.« Traurig blickte sie ihren Mann an. »Wir waren gerade mal ein Jahr verheiratet, als du das erste Mal eine Schreibblockade hattest. Erinnerst du dich? Es war nicht anders als heute. Du hast dich vor deinem Laptop vergraben und warst nicht mehr ansprechbar. Ich kam mir vor wie abgeschoben. Eben noch hing unser Ehehimmel voller Geigen, und plötzlich war ich dir nur noch lästig.«
Sie machte eine Pause, suchte nach den richtigen Worten, um ihren Mann nicht noch mehr zu erzürnen.
»Du selbst hattest Max gebeten, sich ein wenig um mich zu kümmern«, fuhr sie vorsichtig fort. »Er sollte mich auszuführen, zum Essen oder ins Theater, damit ich dich nicht länger mit Vorwürfen nerve. An einem Abend hatte die Bar geschlossen, in der wir nach der Theatervorstellung noch einen Drink nehmen wollten. Da gingen wir in seine Wohnung …«
Anna stieß einen bitteren Seufzer aus und wanderte nervös durchs Zimmer, während sie weitersprach.
»Ich hatte dich den ganzen Abend über vermisst und war gleichzeitig wütend auf dich, so wütend, dass ich meinen Frust im Alkohol ertränkte.« Die Stimme wollte ihr kaum gehorchen, so tief saß auch bei ihr der Schock. Niemals hatte sie mit diesem niederschmetternden Ergebnis gerechnet, das nun das Glück ihrer Familie gefährdete. Sie hielt inne und wischte mit verlorener Geste eine Haarlocke aus der Stirn. »Max tröstete mich. Ich weiß bis heute nicht, wie es geschah, plötzlich lagen wir uns in den Armen.«
Als Paul eine bissige Bemerkung einwerfen wollte, winkte sie brüsk ab.
»Ich will mich nicht reinwaschen, will nur, dass du es verstehst. Wir wollten es beide nicht, haben es hinterher bitter bereut und uns geschworen, dass es nie wieder geschehen wird.« Sie warf die Arme in die Luft und drehte sich hilflos um sich selbst. »Ich begreife nicht, wie ein einziger Seitensprung gleich ein Kind zur Folge haben kann. Das ist einfach nicht gerecht.«
Sie hatte sich nicht geschützt, da sie und Paul schon immer ein Kind wollten. Wie sehr hatten sie sich über ihre Tochter gefreut und nun … Sie konnte es nicht fassen.
Paul schnalzte verächtlich mit der Zunge.
»Wer sagt mir denn, dass es bei diesem einen Ausrutscher geblieben ist?«, höhnte er. »Du kannst mir viel erzählen, und Max kann ich nicht mehr fragen. Vielleicht hattet ihr ja ein Verhältnis. Vielleicht habt ihr euch köstlich über den Trottel amüsiert, der die Brötchen verdiente, während ihr euch vergnügt habt.«
»Das ist nicht wahr, Paul, und das weißt du!«, stieß Anna empört hervor. »Max war dein Freund! Er wurde mit dem Verrat noch weniger fertig als ich. Danach hat er uns nur noch sporadisch besucht. Doch dir ist das nicht einmal aufgefallen, sosehr hattest du dich bereits in deine Welt zurückgezogen, wo dich niemand stören durfte.«
»Max war ja schon immer zu feige, sich seinen Vergehen zu stellen«, entgegnete Paul in höhnischem Ton. »Er hätte mit mir sprechen, es mir erklären müssen. Vielleicht hätte ich es sogar verstanden und euch vergeben.«
»Er hatte es versucht, aber du hast nicht zugehört. Kurze Zeit später geschah dann dieser mysteriöse Unfall.« Erschrocken schlug Anna die Hand vor den Mund. »O Gott, Max wird doch nicht …«