Der Bergdoktor 1844 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 1844 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Kaum hat sich auf einem alten, heruntergekommenen Gehöft in St. Christoph ein Einsiedler mit einem Rauschebart und viel zu langen Haaren niedergelassen, stellen die Dörfler wilde Spekulationen über diesen Fremden an. Wer ist der Mann, der meist einen weiten Lodenmantel und derbe Bergschuhe trägt und dessen Alter man kaum schätzen kann? Niemand weiß, warum es den Fremden nach St. Christoph verschlagen hat.

Als dieser geheimnisumwitterte Mann wegen einer infizierten Wunde den Bergdoktor aufsucht, versucht dieser, etwas über ihn herauszufinden, aber außer dem Namen erfährt auch er nichts. Erst als Firmin Mitterer - so heißt der Fremde - sich auf dem Rodegger-Hof als Erntehelfer verdingt, kommt die Wahrheit mit einem Paukenschlag ans Licht, und auf dem Rodegger-Hof ist fortan nichts mehr, wie es war ...

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Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhalt

Cover

Impressum

Das Geheimnis des Einsiedlers

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Michael Wolf / Bastei Verlag

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-3907-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Das Geheimnis des Einsiedlers

In seinem Herzen war nur Platz für Verzweiflung

Von Andreas Kufsteiner

Kaum hat sich auf einem alten, heruntergekommenen Gehöft in St. Christoph ein Einsiedler mit einem Rauschebart und viel zu langen Haaren niedergelassen, stellen die Dörfler wilde Spekulationen über diesen Fremden an. Wer ist der Mann, der meist einen weiten Lodenmantel und derbe Bergschuhe trägt und dessen Alter man kaum schätzen kann? Niemand weiß, warum es den Fremden nach St. Christoph verschlagen hat.

Als dieser geheimnisumwitterte Mann wegen einer infizierten Wunde den Bergdoktor aufsucht, versucht dieser, etwas über ihn herauszufinden, aber außer dem Namen erfährt auch er nichts. Erst als Firmin Mitterer – so heißt der Fremde – sich auf dem Rodegger-Hof als Erntehelfer verdingt, kommt die Wahrheit mit einem Paukenschlag ans Licht, und auf dem Rodegger-Hof ist fortan nichts mehr, wie es war …

»Jetzt hab ich doch fei nimmer genug Zimt im Haus! Wie konnt ich das vergessen, zefix«, schimpfte Zenzi Bachhuber, die gute Seele des Doktorhauses, vor sich hin, nachdem sie vergeblich im Küchenschrank herumgekramt hatte.

»Hast du eben etwa geflucht?«, fragte Tessa, die bald neunjährige Tochter der Burgers, und steckte neugierig den Kopf in die Küche.

»Du hast deine Ohren aber auch überall«, erwiderte Zenzi ein bisschen beschämt.

»Du weißt, was der Papa davon hält«, gab Tessa zur Antwort, und ihre Brombeeraugen funkelten schelmisch.

»Ja, das weiß ich, denn ich kenn deinen Papa schließlich schon länger als du«, gab Zenzi zur Antwort und tastete nach ihrem grauen Knoten, der wie immer unverrückbar an ihrem Hinterkopf saß.

Zenzi Bachhuber hatte Martin Burger nach dem frühen Tod seiner Mutter aufgezogen und gehörte daher zur Familie. Trotz ihrer manchmal knurrigen Art hatte sie das Herz auf dem rechten Fleck und liebte die Burgers innig.

Tessa war das Adoptivkind des Arztehepaares, doch das war längst in Vergessenheit geraten. Sie wurde liebevoll Schneckerl genannt wegen der schwarzen Locken, die ihr reizendes Gesichtchen umgaben.

Ihren jüngeren Geschwistern, dem fünfjährigen Philipp, der Filli genannt werden wollte, und der zweijährigen Laura war sie sehr zugetan, auch wenn es hin und wieder zu den üblichen Reibereien kam.

»Gibt es heute Abend noch einen Nachtisch?«, fragte Tessa, und ihre Augen flogen zum Kühlschrank.

»Das wirst du dann sehen, du kleine Naschkatze. Hast du eigentlich deine Hausaufgaben schon gemacht?«, fügte Zenzi streng hinzu.

Tessa nickte so heftig, dass ihre Locken flogen.

»Das war ja alles so einfach.«

Die schlaue Tessa lernte spielend leicht, sodass sie nicht lange über ihren Büchern und Heften sitzen musste. Danach spielte sie gewöhnlich mit ihren Freundinnen, voran die freche Rita, oder sie begleitete ihren Großvater auf seinen Spaziergängen mit Laura und Filli.

»Kommst du mit mir zur Jeggl-Alma? Ich muss unbedingt ein Packerl Zimt kaufen.«

Das musste Zenzi nicht zweimal sagen.

»Ja, es ist eh grad fad. Der Opa holt mit der Laura den Filli vom Kindergarten ab. Und die Mama ist immer noch net aus Mayrhofen vom Einkaufen zurück.«

Tessa hüpfte neben Zenzi her, als sie den »Dorfbrunnen«, wie der Laden von der Jeggl-Alma hieß, ansteuerten. Die Kirchgasse, die an ihrem Ende in den Krähenwald überging, lag im Sonnenschein. Der Besitzer der Roswitha-Apotheke grüßte freundlich zu ihnen hinüber.

Gleich darauf sahen sie das stattliche Eckhaus vor sich, in dem Almas Laden untergebracht war. Im Untergeschoss gab es ein Friseurgeschäft, und oben im Haus wurden Gästezimmer vermietet, die schon manchem Gestrandeten als Zuflucht gedient hatten.

Die altmodische Glocke schrillte, als Zenzi energisch die Tür öffnete und mit Tessa an der Hand eintrat.

»Grüß dich, Alma.«

Die beiden älteren Frauen waren schon lange miteinander befreundet, doch heute wurde Zenzi nicht die übliche Aufmerksamkeit zuteil, denn es befand sich gerade ein Kunde im Laden, der offensichtlich einen Großeinkauf tätigte. Jedenfalls hatte Alma eine lange Liste in der Hand, und sie häufte die gewünschten Waren auf der breiten Holztheke auf.

Zenzi, die neben dem Kunden stand, musterte ihn aus den Augenwinkeln. Sie hatte ihn noch nie gesehen, und das war eigenartig, denn in dem Dorfladen fanden sich nur selten Fremde ein. Auch die äußere Erscheinung des Mannes war sonderbar, denn es war schwer, sein Alter zu bestimmen, da ihm das dichte dunkelblonde Haar in die Stirn fiel und seine untere Gesichtshälfte von einem üppigen Vollbart bedeckt war.

Seine hochgewachsene, kräftige Gestalt war in einen weiten Lodenmantel gehüllt, an den Füßen trug er derbe Bergschuhe. Er hätte einer der Einödbauern sein können, und doch war etwas an ihm, das nicht diesem Bild entsprach. Als er eine kurze Bemerkung einwarf, stellte Zenzi fest, dass er aus dieser Gegend stammen musste, doch seine Stimme verriet, dass er die letzten Jahre woanders, vielleicht sogar im Ausland, verbracht hatte.

»Hier gibt es ja tatsächlich alles«, sagte der Fremde ein wenig verwundert, als die Liste schließlich abgearbeitet war.

»Warum auch net? Hier wird eben noch auf die Wünsche der Kundschaft Rücksicht genommen«, erwiderte Alma leicht gekränkt.

»Offensichtlich.«

Mehr hatte er nicht dazu zu sagen. Dann reichte er Alma seine Bankkarte. Sie betrachtete sie, als habe er ihr ein besonders widerwärtiges exotisches Tier zum Kauf angeboten.

»Mit so etwas geb ich mich fei net ab. Hast du kein Bargeld dabei?«

Wortlos steckte er die Karte wieder ein und kramte umständlich aus einer Brieftasche einen größeren Schein hervor.

Alma hatte plötzlich Atemnot, fasste sich aber sofort wieder.

»Da muss ich erst amal schauen, ob ich wechseln kann.«

Nachdem sie die ganze Kasse samt Wechselgeld geplündert hatte, konnte sie ihm herausgeben. Der Fremde verstaute seine Einkäufe in einem großen, abgeschabten Rucksack und verließ mit einem gemurmelten Gruß den Laden.

Durch die Schaufensterscheibe hindurch beobachtete Zenzi, wie er seine Besorgungen in einem klapprigen, alten Geländewagen unterbrachte, den er im Hof abgestellt hatte. Er wendete den Wagen, der mit einem Röhren, das man ihm nie zugetraut hätte, aus der Einfahrt fuhr und entschwand.

»Jesses«, stieß Alma hervor.

»Was ist denn das für ein Waldschrat?«, ließ sich Zenzi vernehmen. »Kommt der öfters zu dir in den Laden?«

»Erst neuerdings.« Alma beugte sich verschwörerisch über die Ladentheke. »Ich weiß zwar net, wie er heißt, aber ich hab schon so einiges über ihn erfahren. Er soll ein richtiger Einsiedler sein.«

»Was ist ein Einsiedler?«, wurden sie von Tessa unterbrochen.

»Das erklär ich dir später. Und du sollst net immer andere Leut belauschen, Tessa«, belehrte die Zenzi sie.

»Such dir doch lieber aus, was für Gutseln du haben willst«, milderte Alma die Zurechtweisung ab.

»Wo sind denn die Schokoladenkaramellen?«, wollte Tessa wissen.

Alma rückte ein Glasgefäß nach vorne, damit Tessa den unwiderstehlichen Inhalt besser in Augenschein nehmen konnte. Und dann waren da noch die Nougatpralinen, in buntes Papier gehüllt …

»Also, noch mal von vorn. Der soll ein Einsiedler sein, hat man mir erzählt. Linker Hand von St. Christoph gibt es doch so ein aufgegebenes kleines Gehöft …«

»Ich weiß schon, das hat dem alten Waidinger gehört. Aber der hat keine eigenen Kinder gehabt, und so ist es an einen entfernten Verwandten gefallen, der sich aber net drum gekümmert hat. Eine rechte Schand«, erklärte Zenzi, die sich mit der Ortsgeschichte außerordentlich gut auskannte.

»Ja, und dort wohnt er. Oder besser gesagt: Er haust dort. Wasser und Strom hat er jedenfalls. Fast die ganze Nacht lässt er oft das Licht brennen, sagt man, er soll angeblich etwas schreiben. Vielleicht auch eine Chronik …«

»Hm, das ist gut möglich«, meinte Zenzi.

Sie dachte dabei an Dr. Pankraz Burger, den Vater des Bergdoktors, der in seinem Kabinettl, das an das Wohnzimmer des Doktorhauses grenzte, oft bis spät in die Nacht an einer Chronik des Zillertals schrieb.

»Solche Künstler sind ja immer sonderbar«, meinte Alma abschließend.

»Er kommt mir vor wie einer, der hier geboren ist, aber lang von zu Hause weg war«, sagte Zenzi nachdenklich.

Alma zuckte mit den Schultern.

»Mag sein. Ich halt dich jedenfalls auf dem Laufenden. Und was hast du dir Schönes ausgesucht, Schneckerl?«, wandte sie sich dann an das Mädchen, das begehrlich die dickbauchigen, alten Gläser beäugte, die auf der Theke aufgereiht waren und eine Vielfalt von Leckereien bargen.

»Schokokaramellen, gefüllte Erdbeerbonbons, Nougatpralinen, türkischer Honig, Mandelsplitter mit Vollmilchschokolade …«

»Tessa! Du sollst dir etwas aussuchen, aber net alles ausplündern«, unterbrach Zenzi sie.

»Aber der Filli, der Opa, die Laura und der Poldi sollen doch auch etwas bekommen. Dann bleibt für mich nimmer viel übrig«, verteidigte sich Tessa.

»Der Opa darf keine Süßigkeiten essen, die Laura ist noch viel zu klein dazu, und der Dackel verträgt keine Gutseln. Das weißt du ganz genau!«, erwiderte Zenzi empört.

Tessa stülpte ihr Mündchen schmollend nach vorne, was entzückend aussah, Zenzi aber nicht im Geringsten beeindruckte.

»Gar net auszudenken, was euer Vater sagen tät, wenn er seine zahnlosen Kinder anschaut«, fügte Zenzi noch düster hinzu.

Alma verbiss sich nur mit Mühe ein Lachen.

»Ja, wenn es nach dem Herrn Doktor ging, täten sich alle nur von Wurzeln und rohem Gemüse ernähren«, lachte Alma und füllte eine Tüte mit Süßigkeiten.

Zu Tessas Enttäuschung überreichte sie diese aber Zenzi.

»So, die Zenzi gibt euch jeden Tag ein Betthupferl. Zwei Schokoladenkaramellen darfst du allerdings jetzt gleich haben, aber nur ausnahmsweise.«

Damit waren alle zufriedengestellt, und Alma machte ihre Freundin auf einige Sonderangebote aufmerksam, die es nur noch diese Woche geben sollte.

»Jetzt muss ich aber heim!«, rief Zenzi plötzlich. »Warum bin ich eigentlich hergekommen? Ich bin ganz wirr im Kopf.«

»Zimt«, ließ sich Tessa undeutlich vernehmen, die genüsslich auf der zweiten Schokoladenkaramelle herumkaute.

»Ein Packerl Zimt, natürlich!«

Den Rückweg zum Doktorhaus legten sie in einiger Eile zurück, denn es war höchste Zeit, das Abendessen vorzubereiten.

Sie wurden von Sabine Burger begrüßt, die inzwischen nach Hause gekommen war. Gleich darauf gesellte sich Dr. Martin Burger, der Bergdoktor, zu ihnen, der, was selten genug geschah, die Sprechstunde pünktlich beendet hatte.

Im Doktorhaus herrschten Lärm und Tumult.

Sabine war damit beschäftigt, die kleine Laura zu füttern, die heute ein wenig überdreht war. Filli rannte durch das Haus, gefolgt von der kreischenden Tessa, der er eine Lieblingspuppe entführt hatte. Pankraz stieß mahnende Worte aus, und Zenzi lärmte mit dem Geschirr, dazu kläffte Rauhaardackel Poldi durchdringend.

Martin Burger liebte diesen Familienlärm, denn lange Zeit war es im Doktorhaus sehr still gewesen, so, wie es immer ist, wenn unglückliche Menschen zusammenleben.

Der Bergdoktor hatte in jungen Jahren schwere Schicksalsschläge erlitten. Nicht nur, dass seine Mutter so früh hatte gehen müssen, auch seine erste Frau war bei der Geburt des sehnlichst erwarteten Kindes an unerwarteten Komplikationen gestorben und hatte das Kleine mit sich zu den Engeln genommen.

Martin war untröstlich gewesen und hatte seine Heimat verlassen, um in München seine chirurgische Ausbildung abzuschließen. Dann aber war er nach St. Christoph zurückgekehrt und hatte die Praxis seines Vaters übernommen. Damals hatte er alle Hoffnung aufgegeben, jemals wieder mit einer Frau glücklich zu werden, und so war sein Beruf zu seinem Lebensmittelpunkt geworden.

Die Praxis seines Vaters war durch einen Anbau erweitert worden, in dem sich ein Operationssaal für kleinere Eingriffe befand, dazu noch ein Labor und ein Röntgenraum. Auch zwei Krankenzimmer standen für Notfälle bereit, und so war es nicht verwunderlich, dass die Dörfler die Praxis die »Mini-Klinik« nannten.

Dann hatte sein Leben nach Jahren doch noch eine Wende erfahren, mit der ihn das Schicksal reich entschädigt hatte. Die junge Wiener Anästhesistin Sabine Rodenwald hatte ihre Tante Rika in St. Christoph besucht, und durch Zufall war sie Dr. Burger begegnet. Es war Liebe auf den ersten Blick. Beide hatten sofort gewusst, dass sie den Menschen gefunden hatten, mit dem sie ein Leben lang zusammenbleiben wollten.

Sabine hatte ihr abwechslungsreiches Leben in Wien aufgegeben und war ins malerische Zillertal gezogen. Bis heute hatte sie ihre Entscheidung nicht eine Sekunde lang bereut. Auch wenn zwischen dem Paar ein Altersunterschied von sechzehn Jahren bestand, so war Dr. Burger mit seinen einundfünfzig eine jugendliche Erscheinung. Nur ein leichtes Grau mischte sich in sein Schläfenhaar, seine Gestalt war immer noch schlank und sportlich.

Und einmal hatte ihm Sabine gestanden, dass sie immer noch Herzklopfen bekam, genau wie damals, als sie sich kennenlernten, wenn er sie zärtlich ansah. Ihm ging es übrigens genauso, und so lächelte er unwillkürlich, als sein Blick jetzt auf Sabine ruhte, die das Laura-Mauserl auf dem Arm hielt, um es ins Kinderzimmer zu bringen.

Wie reizend sie aussah in dem lindgrünen Dirndl, das so gut zu ihren blonden Haaren und den braunen Augen passte! Und was wäre er ohne sie! Sie war nicht nur seine Liebste, sondern auch seine Säule in einem oft schwierigen Alltag. Denn in dringenden Fällen half sie in der Praxis aus und konnte so ihre medizinischen Kenntnisse einbringen.

»Soll ich dir die Laura abnehmen? Ich lese ihr auch etwas aus ihrem Lieblingsbuch vor«, bot er Sabine an.

Sabine warf ihm einen dankbaren Blick zu.

»Heut geht hier alles Drunter und Drüber. Ich war ja in Mayrhofen drüben, aber der Bus ist ausgefallen, und wir haben ewig warten müssen, bis ein Ersatz kam. Das war allerdings eher ein Vehikel als ein Ersatzbus«, berichtete sie.

»Hauptsache, du bist heil zurück.«

Laura patschte Martin mit ihren dicken Händchen fröhlich ins Gesicht, und er befürchtete schon, dass es lange dauern würde, bis sie endlich zur Ruhe kam. Doch kaum hatte er ihr eine Seite vorgelesen, schlief sie ein, und er strich ihr zärtlich über das Haar, ehe er das Zimmer verließ.

Sabine hatte sich währenddessen umgezogen und anschließend Tessa und Filli zur Ordnung gerufen. Poldi, der Dackel, hatte schon seinen Lieblingsplatz unter dem Esstisch eingenommen, nahe am Stuhl von Pankraz, der dem Hund immer wieder ein Leckerchen hinunterreichte. Das versuchte er allerdings zu verheimlichen, denn seine Schwiegertochter machte keinen Hehl daraus, dass sie diese Angewohnheit missbilligte.

Endlich saßen alle am Tisch vereint, auch die beiden älteren Kinder benahmen sich nun manierlich. Zenzi kam mit einem duftenden Kaiserschmarrn herein, der mit freudigen Ausrufen begrüßt wurde. Dazu gab es Pflaumenkompott, natürlich von Zenzi nach altem Rezept selbst eingekocht.

»Ah, dafür hast du Zimt gebraucht! Das hätt ich mir eigentlich denken können«, rief Tessa aus, und sie leckte sich mit der Zunge über die Oberlippe. Der Kaiserschmarrn, der mit Zucker und Zimt bestreut war, gehörte ohne Zweifel zu ihren Lieblingsspeisen.

»Heut Mittag hab ich gemerkt, dass ich vergessen hab, Zimt nachzukaufen«, glaubte Zenzi erklären zu müssen.

»Und dann sind wir zusammen zur Jeggl-Alma gegangen«, fuhr Tessa fort und hielt Zenzi ihren Teller hin.

»Hast du von der Jeggl-Alma Schokoladenkaramellen bekommen?«, fragte Filli sofort nach. Er schätzte diese Süßigkeit genauso wie seine Schwester.

»Du kommst schon net zu kurz, Bub. Oder meinst du, wir hätten dich vergessen?«, fuhr Zenzi dazwischen.

»Wo sind die dann?«, fragte Filli.

»Willst du lieber Gutseln statt Kaiserschmarrn zum Abendessen haben?«

»Nein …«

»Siehst du. Das sollte halt eine Überraschung werden.«

Filli lächelte zufrieden und stach mit seiner Gabel in den Kaiserschmarrn.

Stille senkte sich über den Tisch, die erst wieder von Tessa unterbrochen wurde.

»Was ist eigentlich ein Einsiedler? Gibt es auch Zwei- und Dreisiedler?«, fragte sie plötzlich.

Die Erwachsenen lachten, und Tessa krauste ärgerlich die Stirn.

»Ein Einsiedler ist jemand, der allein lebt, und das in einer einsamen Gegend«, erklärte ihr Vater. »Wie kommst du eigentlich darauf?«

»Heute war ein Einsiedler bei der Jeggl-Alma.«

Die Burgers sahen Zenzi fragend an.

»Auf dem Gehöft von dem alten Waidinger, das inzwischen ja leer steht, ist ein Mann eingezogen und lebt dort ganz allein. Er war bei der Alma und hat sich Vorräte mitgenommen«, gab sie Auskunft.

»Ist der Hof net völlig unbewohnbar?«, fragte der Bergdoktor.

»Die Alma meint, er hätt Wasser und Strom.«

»Ist er einer von hier?«, wollte Pankraz Burger wissen, zu dessen Füßen sich Poldi unzufrieden regte, aber heute gab es eben kein Würstl.

»Einen Bart hat er wie der Rübezahl, man sieht kaum etwas von seinem Gesicht«, warf Tessa ein.

»Er könnt schon hier geboren sein, der Sprache nach, obwohl er kaum ein Wort gesagt hat. Aber sonst …« Zenzi zuckte mit den Schultern.

»Er soll ein Buch schreiben, vielleicht sogar eine Chronik wie du«, wusste Tessa noch zu berichten.