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Die junge Ärztin Regina Herold ist ein einziges Nervenbündel. Seitdem sie ihrem Verlobten Dr. Thomas Frey, der sie schamlos betrogen hat, den Laufpass gegeben hat, macht er ihr das Leben zur Hölle. Im Internet werden schlimme Gerüchte über sie verbreitet. Angeblich hat sie eine Patientin vernachlässigt. Und jetzt soll sie sogar drogensüchtig sein und in der Klinik Betäubungsmittel gestohlen haben. Niemals würde sie so etwas tun!
In ihrer Not sucht Regina Zuflucht im Doktorhaus von St. Christoph. Weinend schüttet sie Sabine Burger, ihrer Freundin seit Studienzeiten, das Herz aus. Die Frau des Bergdoktors ist erschüttert, wie leicht man den Ruf eines Menschen heutzutage zerstören kann! Und es scheint, als ob Regina auch im Doktorhaus vor Verleumdungen nicht sicher ist ...
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Seitenzahl: 135
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Impressum
Verfolgt!
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BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf / Bastei Verlag
Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-4094-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Verfolgt!
In St. Christoph sucht eine junge Ärztin Zuflucht
Von Andreas Kufsteiner
Die junge Ärztin Regina Herold ist ein einziges Nervenbündel. Seitdem sie ihrem Verlobten Dr. Thomas Frey, der sie schamlos betrogen hat, den Laufpass gegeben hat, macht er ihr das Leben zur Hölle. Im Internet werden schlimme Gerüchte über sie verbreitet. Angeblich hat sie eine Patientin vernachlässigt. Und jetzt soll sie sogar drogensüchtig sein und in der Klinik Betäubungsmittel gestohlen haben. Niemals würde sie so etwas tun!
In ihrer Not sucht Regina Zuflucht im Doktorhaus von St. Christoph. Weinend schüttet sie Sabine Burger, ihrer Freundin seit Studienzeiten, das Herz aus. Die Frau des Bergdoktors ist erschüttert, wie leicht man den Ruf eines Menschen heutzutage zerstören kann! Und es scheint, als ob Regina auch im Doktorhaus vor Verleumdungen nicht sicher ist …
»Entschuldige, Tessa, was hast du gerade gesagt?«, fragte Sabine Burger, jäh aus ihren Gedanken aufgeschreckt.
»Du hast mir ja überhaupt net zugehört«, schmollte die beinahe neunjährige Tessa und blickte ihre Mutter anklagend an.
Bevor Sabine sich noch rechtfertigen konnte, mischte sich Filli, Tessas drei Jahre jüngerer Bruder, der eigentlich Philipp hieß, ein.
»So ist die Mama schon die ganze Zeit, seitdem der Postbote da gewesen ist«, sagte er mit großer Wichtigkeit. »Und dann hat sie ganz lange auf der Terrasse gestanden und einen Brief gelesen. Aber nicht nur einmal, das hab ich genau gesehen.«
Der Postbote Germo Niederstetter war eine vertraute Gestalt für die Kinder, und sein Kommen und Gehen wurde im Doktorhaus immer genau registriert.
»In diesem Haus kann man wohl nichts unbeobachtet tun«, meinte Sabine amüsiert, aber es klang auch leichter Verdruss mit.
»Und dann noch so eine Petze wie der Filli …«, fügte Tessa hinzu.
Filli errötete bis unter den blonden Schopf, den er von seiner hübschen Mutter geerbt hatte, und wandte sich mit zornfunkelnden Augen seiner Schwester zu.
»Ich bin keine Petze. Ich infirmiere bloß.«
»Das heißt informieren, du Tschapperl.«
Bevor es zwischen den Geschwistern wieder zu einem zähen Kleinkrieg kommen konnte, griff Dr. Martin Burger, der Bergdoktor, ein.
»Ruhe jetzt, ihr beiden! Eure Mutter wird uns sicher gleich erzählen, was in dem Brief gestanden hat.«
Daraufhin senkte sich Schweigen über die Bewohner des Doktorhauses, die zusammen am Mittagstisch saßen. Dass Dr. Burger noch nicht zu einem Patienten gerufen worden war, grenzte an ein Wunder. Denn ausgerechnet samstags, wenn er sich nach einem geruhsamen Wochenende sehnte, gab es so einige Notfälle, nicht zuletzt verursacht von der übermütigen Dorfjugend von St. Christoph.
Seine Frau runzelte die Stirn, was kein gutes Zeichen war. Sein Vater, Dr. Pankraz Burger, nutzte die allgemeine Verwirrung, um dem unter dem Tisch lauernden Rauhaardackel Poldi ein Leckerchen herunterzureichen. Eine Angewohnheit, die seine Schwiegertochter sehr missbilligte.
Zenzi Bachhuber richtete ihre knochige Gestalt auf und maß Martin Burger mit einem eindringlichen Blick. Selbst der Haarknoten, der festgezurrt an ihrem Hinterkopf saß, schien plötzlich vorwurfsvoll zu wippen. Sie war schon über vierzig Jahre der gute Geist des Hauses und hatte Martin großgezogen, nachdem er im Alter von elf Jahren seine Mutter verloren hatte. Obwohl sie hin und wieder schroff wirkte und in manchen Dingen geradezu vorsintflutliche Ansichten hatte, liebte sie doch »ihre Familie« über alles.
»Du, Martin, hast du schon amal vom Briefgeheimnis gehört?«, hielt sie ihm mit strenger Stimme vor.
»Die Rita sagt immer, dass Ärzte alle Geheimnisse kennen würden«, sagte Tessa und beäugte ihren Vater mit schief geneigtem Kopf.
Zenzi schnaubte. Sie war schon lange der Meinung, dass Tessas beste Freundin, genannt die freche Rita, wahrhaftig nicht der geeignete Umgang für ein wohlerzogenes Mädchen aus dem Doktorhaus war.
»Vielleicht war das ein Brief von einem früheren Verehrer aus Wien, der Sabine nicht vergessen kann«, sagte Pankraz mit melodramatischer Betonung.
Martin fand das nicht sehr witzig und stieß einen Knurrlaut aus.
»Aber die Mama geht nicht mit ihm durch, oder?«
Alle Blicke richteten sich auf das Mädchen, das mit seinen dunklen Locken, die ihm den Kosenamen »Schneckerl« eingetragen hatten, und den Brombeeraugen einfach reizend ausschaute.
»Wo hast du denn wieder so etwas her? Von der Rita? Ich sag es ja immer, dass dieses Madel viel zu frühreif …«
»Nein«, unterbrach Tessa Zenzi schnell, ehe sie in eine Tirade über ihre Freundin ausbrechen konnte, »das hab ich bei der Jeggl-Alma gehört, als wir letzte Woche zusammen im Laden waren. Sie hat doch erzählt, dass die Einhofer-Brigitte mit einem Nachbarn durchgegangen wäre und nimmer zurückkommen wollte.«
»Wie oft hab ich dir schon gesagt, du sollst net immer lauschen, wenn Erwachsene miteinander reden?«, fuhr Zenzi erbost auf.
»Ja, ja, der Dorfbrunnen, Brutstätte des Klatsches. Dort bleibt halt nichts ungesagt«, spöttelte Martin.
Die Jeggl-Alma war Zenzis Freundin seit Langem. Sie betrieb in der Kirchgasse, nicht weit entfernt von den Burgers, eine Gemischtwarenhandlung in einem Eckhaus. Unten befand sich noch ein Friseurgeschäft, während in den oberen Stockwerken Gästezimmer vermietet wurden, ein Zufluchtsort für diejenigen, die aus den unterschiedlichsten Gründen in St. Christoph gestrandet waren.
Auch wenn der Bergdoktor oft darüber ungehalten war, weil der meiste Klatsch hauptsächlich vom Dorfbrunnen ausging, so konnte er Alma doch gut leiden, denn sie hatte das Herz auf dem rechten Fleck.
»Die nächste Zeit nehm ich dich nimmer dorthin mit. Keine Schokoladenkaramellen, überhaupt keine Gutseln mehr«, erklärte Zenzi grimmig.
»Und ich?« Filli fiepte beinahe vor Empörung.
»Gut so«, sagte Martin Burger mitleidlos, denn er versäumte keine Gelegenheit, den Kindern frühe Zahnlosigkeit als Folge von übermäßigem Süßigkeitengenuss so drastisch wie möglich vor Augen zu führen.
»Und, Sabine? Hast du vor, mit einem Verehrer aus Wien durchzugehen?«, fragte ihr Schwiegervater interessiert dazwischen.
»Nein. Schon weil ich verhindern muss, dass du weiter den Poldi heimlich unter dem Tisch fütterst wie eben und dass du nicht auf deine Diät achtest. Aber wenn ihr noch lang wegen dieses Briefes so einen Aufruhr macht, dann geht es mit mir durch!«
In Sabines schönen braunen Augen, in denen goldene Pünktchen tanzten, funkelte es gefährlich auf.
»Und deshalb ist es besser, wenn wir uns jetzt ganz dem Essen widmen. Schließlich hat sich die Zenzi große Mühe mit dem Linseneintopf gegeben«, versuchte Dr. Burger die Wogen wieder zu glätten.
»Einschmeicheln hast du dich ja schon immer können«, wehrte Zenzi ab, aber es war ihr trotzdem anzumerken, dass sie sein Lob freute.
Tessa versuchte noch einmal die Schokoladenkaramellen, die es bei der Jeggl-Alma gab und die sie für ihr Leben gern aß, anzusprechen, doch auf einen warnenden Blick ihrer Mutter hin verstummte sie.
Und so löffelten sie genießerisch den leckeren Eintopf mit Würstln darin, dazu hatte Zenzi selbst Brot gebacken. Pankraz schilderte friedfertig, worum es im nächsten Kapitel seiner Chronik vom Zillertal gehen sollte, an der er schon lange schrieb. Nach dem Mittagessen würde er sich in sein Kabinettl zurückziehen, sich zuerst ein Nickerchen gönnen und dann entschlossen weiterschreiben.
Die kleine zweijährige Laura, das jüngste Kind der Burgers, war bereits gefüttert und zum Mittagsschlaf hingelegt worden. Sie und Filli waren die leiblichen Kinder der Burgers, Tessa war ein Adoptivkind, doch für Martin und Sabine machte das keinen Unterschied.
Gerade als Martin vorschlagen wollte, gemeinsam einen kleinen Ausflug zu unternehmen, klingelte das Handy des Bergdoktors. Er stand auf und trat in den Flur, um ungestört in sich aufzunehmen, warum seine Hilfe benötigt wurde.
»Es wird wohl nichts mit einem ruhigen gemeinsamen Mittag«, meinte Sabine, doch sie klang keineswegs ärgerlich.
Da sie selbst Ärztin war, hatte sie Verständnis für die Situation, und das war etwas, wofür ihr Martin sehr dankbar war.
»Dominikus Salt hat angerufen. Ein Bergwanderer ist einen unzugänglichen Hang heruntergestürzt und scheint verletzt zu sein. Anscheinend kann man die Unfallstelle nur als Kletterer erreichen«, erklärte Dr. Burger knapp und war schon halb zur Tür hinaus.
Dominikus Salt, der Leiter der Bergwacht, war einer seiner engsten Freunde. Zusammen hatten sie schon vielen Menschen, die sich mehr oder weniger leichtfertig in Gefahr gebracht hatten, das Leben gerettet.
Und während er zügig, aber besonnen dahinfuhr, dachte er an seine lebhafte Familie, und unwillkürlich umspielte ein Lächeln seinen Mund.
Nie hätte er sich träumen lassen, dass es doch noch ein Glück für ihn geben würde. Denn er hatte gleich zwei schwere Verluste verkraften müssen – den viel zu frühen Tod seiner Mutter und als junger Ehemann den Tod seiner Frau Christl. Bei der Geburt des ersten Kindes waren unerwartete Komplikationen eingetreten, und weder ihr Leben noch das des Neugeborenen hatten gerettet werden können.
Eine tiefe Verzweiflung hatte danach von ihm Besitz ergriffen und ihn dazu getrieben, seiner Heimat den Rücken zu kehren. Er ging nach München, um dort eine fachärztliche Ausbildung als Chirurg abzuschließen.
Doch dann kehrte er wieder zurück, denn es war an der Zeit, dass sein Vater seine Praxis in jüngere Hände übergab. Er widmete seine ganze Kraft seinem ärztlichen Beruf und erwarb sich hohe Anerkennung, bald nannte man ihn nur noch den Bergdoktor. Dr. Burger verfügte nicht nur über ausgezeichnete medizinische Kenntnisse, sondern er verstand es auch, sich in seine Patienten einzufühlen und ihnen mit Rat und Tat beizustehen.
Er erweiterte die Praxis seines Vaters zudem um einen Anbau, in dem sich ein Labor, ein Röntgenraum und sogar ein kleiner Operationssaal befanden. Und für Notfälle gab es zwei Krankenzimmer. Seine Patienten sprachen immer recht liebevoll von der »Miniklinik«.
Sein ärztliches Wirken schenkte ihm tiefe Zufriedenheit, doch sein Glück fand er erst, als er einer jungen Anästhesistin aus Wien begegnete, die in St. Christoph bei ihrer Tante zu Besuch war.
Die hübsche Sabine mit den blonden Haaren und den braunen Augen verliebte sich sofort in Martin Burger, auch wenn er sechzehn Jahre älter als sie war. Doch mit seinen markanten Zügen, den vollen Haaren und der schlanken, sportlichen Gestalt wirkte er ungemein jugendlich und attraktiv. Auch er wusste sofort, dass sie füreinander bestimmt waren, selbst jetzt, mit einundfünfzig, war er immer noch so verliebt in Sabine wie zu Beginn ihrer Beziehung.
Sabine ließ alles hinter sich – ihre Karriere in einer Wiener Klinik, die Freunde und das sprühende, abwechslungsreiche Leben in der Großstadt. Sie blieb in St. Christoph und hatte es nie bereut. Für ihren Mann war sie die wichtigste Säule in seinem Leben. Sie war nicht nur seine geliebte Ehefrau und fürsorgliche Mutter ihrer drei Kinder, sondern sie half auch in der Praxis aus, sobald sich ein Notfall ergab.
Sie hatten ein gutes Leben miteinander, um nichts in der Welt wollte er seine Familie missen, auch wenn es hin und wieder Turbulenzen gab. Doch es bestand ein fester Zusammenhalt zwischen ihnen, denn das Doktorhaus in der Kirchgasse bot allen Familienmitgliedern Liebe und Geborgenheit.
Der Arzt sehnte sich danach, wieder nach Hause zurückzukehren und seine Sabine in die Arme zu nehmen. Dann aber verbot er sich weitere Träumereien in diese Richtung, denn er näherte sich dem Unfallort, und nun hieß es, alle Kräfte zu bündeln, um den Verunglückten zu bergen.
***
Sabine Burger ließ das Buch sinken, in dem sie halbherzig gelesen hatte, und stellte mit einem Blick auf den Wecker fest, dass es schon auf Mitternacht zuging. Wie immer fand sie keine Ruhe, bis ihr Mann von seinem nächtlichen Einsatz zurückgekehrt war. Und so wartete sie geduldig im blauen Schlafzimmer ab, bis dann endlich die Haustür ging und die vertrauten Schritte auf der Treppe zu hören waren.
Das blaue Schlafzimmer war ganz nach dem Geschmack Sabines eingerichtet. Wie der Name schon sagte, herrschte bei Teppich und Gardinen die Farbe Blau vor. Ein großer Bauernschrank war stilvoll mit Herzen und Rosen bemalt, und der romantische Stil setzte sich in einem breiten Himmelbett fort. Dieser Raum war das Refugium der Burgers. Hier besprachen sie in tiefem gegenseitigem Verständnis alles, was ihnen auf der Seele lag, hier trösten sie einander und besiegelten ihre Liebe neu.
Sabine seufzte auf. Immer litt sie unter der Angst, dass sich ihr Mann zu sehr in Gefahr begab, um ein Menschenleben zu retten. Nicht auszudenken, wenn ihrem geliebten Martin, dem Vater ihrer Kinder, etwas zustieße …
Gewaltsam verbannte sie diese bedrückenden Gedanken und wollte schon wieder nach dem Buch greifen, als sie hörte, dass die Haustür aufgeschlossen wurde. Erleichtert ließ sie sich in die Kissen zurücksinken.
»Du bist noch wach? Du sollst doch nicht auf mich warten«, sagte Martin, als er das Schlafzimmer betrat.
Das sagte er jedes Mal, und dennoch war er manchmal sehr froh, wenn er sich nach einem besonders bedrückenden Einsatz aussprechen konnte und in ihren liebevollen Armen Trost fand.
»Wie ist es gelaufen? War der Verunglückte schwer verletzt?«, fragte Sabine, während sich ihr Mann auskleidete.
»Es war schwer, zu ihm vorzudringen, weil der Abhang dicht mit Latschengestrüpp bewachsen ist. Ich habe mich richtig vorkämpfen müssen, bis ich ihn erreicht hab. Gleichzeitig hat das Gestrüpp aber den Sturz gemildert, sodass alles noch einmal glimpflich abgegangen ist. Prellungen und ein Beinbruch, wahrscheinlich nur eine leichte Gehirnerschütterung. Wir haben den Verunglückten etwas umständlich nach oben geschafft, das hat viel Zeit gekostet«, berichtete er.
»Ich bin froh, dass der Dominikus und du es wieder einmal geschafft haben«, sagte Sabine erleichtert.
»Grüße von Dominikus soll ich dir ausrichten.«
»So? Danke.«
Der Bergdoktor ließ sich ins Bett sinken und stieß einen zufriedenen Laut aus. Dann aber richtete er sich wieder auf und wandte sich seiner Frau zu.
»Von wem war dieser Brief eigentlich?«, fragte er und reckte den Hals, damit er auf Sabines Nachttisch spähen konnte.
»Welcher Brief? Ach so, du meinst den von meinem Wiener Verehrer«, erwiderte Sabine leichthin.
Martin stieß ein Knurren aus.
»Ach, das ist eh nur einer von mehreren …«
Obwohl er müde war, machte Martin bei dem neckischen Spiel mit.
»Es wundert mich, dass er dir immer noch schreibt.«
»Du meinst, jemanden wie mich vergisst man leicht?«
In ihre schönen braunen Augen, in denen nun übermütige Pünktchen tanzten, war ein gekränkter Ausdruck getreten, und sie schob schmollend die Unterlippe vor.
»Das wollte ich nicht sagen! Immer drehst du mir das Wort im Mund herum …«
Martin rückte näher, bereit, zum Angriff überzugehen, denn Sabine war sehr kitzelig, als sie ihm schon den Brief entgegenschwenkte, den sie schnell aus der Schublade gezogen hatte.
»Er ist tatsächlich aus Wien, aber von meiner Freundin Regina. Kannst du dich noch an sie erinnern?«
»Ja, aber nur sehr undeutlich. War sie nicht auch zu unserer Hochzeit eingeladen? So eine kleine Dickliche mit einer ganz scheußlichen Brille«, entgegnete ihr Mann und runzelte überlegend die Stirn.
»Was du immer siehst! Regina ist blond und hochgewachsen. Außerdem ist sie sehr schlank und hat noch nie eine Brille getragen.«
»Ich hab halt nur Augen für dich gehabt, Spatzl.«
»Das nenne ich eine gute Ausrede. Du weißt halt, wie man Frauen um den kleinen Finger wickelt«, sagte sie zärtlich.
»Und was steht nun in dem Brief?«, wollte er wissen, obwohl ihm das Geplänkel Spaß machte.
»Leider nicht viel Gutes. Beruflich ist sie gut vorwärtsgekommen, sie ist jetzt in der Facharztausbildung in einem großen Klinikum. Aber sie hat angedeutet, dass eine unglückliche Liebesgeschichte hinter ihr liegt, und was sie sonst noch so schreibt, klingt alles mehr als seltsam. Sie war doch immer so eine unerschrockene, tüchtige junge Frau. Aber hier, lies am besten selbst.«
Sie reichte ihrem Mann das Schreiben, das er überflog und dann sinken ließ.
»Das ist wirklich seltsam. Man könnte meinen, sie würde von einem Stalker verfolgt werden. Sie hat offensichtlich große Angst«, fand er und zog besorgt die Brauen zusammen.
»Ihre Handschrift ist sogar ganz zittrig, ich hätte sie beinahe nicht mehr erkannt«, fügte Sabine hinzu.
»Willst du sie nicht anrufen, damit du Genaueres erfährst? Überhaupt eine seltsame Marotte, dass ihr euch Briefe schreibt. Sie hat doch bestimmt auch eine Mailadresse.«
»Ach, das haben wir damals irgendwie romantisch gefunden – Briefe zweier Freundinnen. Sie ist ja um einiges jünger als ich. Und bei den Briefen sind wir auch geblieben, wobei die Verbindung in der letzten Zeit nicht mehr so eng ist wie früher. Sie hat viel im Krankenhaus zu tun, und ich habe halt Familie, da ändert sich vieles. Aber wir haben uns immer noch zu wichtigen Anlässen geschrieben.«
»Das gefällt mir gar nicht«, wiederholte Martin.
»Du hast recht. Ich werde sie gleich morgen anrufen, und wie ich sie kenne, hat sie noch dieselbe Telefonnummer.«