Der Bergdoktor 1855 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 1855 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Während der abendlichen Runde mit dem Familiendackel Poldi findet Dr. Burger am Ufer des Mühlbachs eine verletzte Frau, die offenbar gestürzt ist. Erst auf den zweiten Blick erkennt er Jasmin Waidinger, die St. Christoph vor sechs Jahren überstürzt verlassen hat.

Dr. Burger versorgt Jasmins blutende Kopfwunde in seiner Praxis und behält sie auch über Nacht in seiner "Mini-Klinik". Am nächsten Tag erzählt sie ihm stockend, welch unsägliches Leid ihr damals in ihrem Elternhaus widerfahren ist. Ihr Vater verfiel nach dem Tod seiner Frau dem Alkohol und misshandelte seine Tochter schwer. Mittlerweile todkrank hat er Jasmin gebeten, heimzukehren und Frieden mit ihm zu schließen. Doch kaum hat sie sich dazu durchgerungen, ihm diesen Wunsch zu erfüllen, da verschwindet sie plötzlich spurlos, und eine fieberhafte Suche nach der jungen Frau beginnt ...

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Seitenzahl: 132

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

In der Schlucht gefangen

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Michael Wolf / Bastei Verlag

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-4393-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

In der Schlucht gefangen

Eine Begegnung mit dramatischen Folgen

Von Andreas Kufsteiner

Während der abendlichen Runde mit dem Familiendackel Poldi findet Dr. Burger am Ufer des Mühlbachs eine verletzte Frau, die offenbar gestürzt ist. Erst auf den zweiten Blick erkennt er Jasmin Waidinger, die St. Christoph vor sechs Jahren überstürzt verlassen hat.

Dr. Burger versorgt Jasmins blutende Kopfwunde in seiner Praxis und behält sie auch über Nacht in seiner »Mini-Klinik«. Am nächsten Tag erzählt sie ihm stockend, welch unsägliches Leid ihr damals in ihrem Elternhaus widerfahren ist. Ihr Vater verfiel nach dem Tod seiner Frau dem Alkohol und misshandelte seine Tochter schwer. Mittlerweile todkrank hat er Jasmin gebeten, heimzukehren und Frieden mit ihm zu schließen. Doch kaum hat sie sich dazu durchgerungen, ihm diesen Wunsch zu erfüllen, da verschwindet sie plötzlich spurlos, und eine fieberhafte Suche nach der jungen Frau beginnt …

Das Café Adelheid war beliebt. Einheimische und Touristen setzten sich in das urgemütliche Lokal, um einen Apfelstrudel und ein Haferl Kaffee zu ordern, in der Tiroler Tageszeitung zu blättern oder einfach nur verträumt hinauszuschauen und den Blick auf die Kaiserliche Hofburg zu genießen.

Jasmin Waidinger arbeitete seit fast sechs Jahren hier. Sie servierte Sachertorte und heiße Getränke und jonglierte mit unterschiedlichen Sprachen.

Als sie mit dem Kellnern begonnen hatte, war ihr rasch aufgefallen, dass die Tiroler Hauptstadt von zahlreichen Gästen aus nah und fern besucht wurde. Menschen aus England, Skandinavien und vielen weiteren Ländern kamen hierher. Jasmin hatte die wichtigsten Sätze gelernt und konnte in acht Sprachen nach den Wünschen der Gäste fragen und Ausflugstipps zum Ufer des Inns oder zum Goldenen Dachl geben.

An diesem Nachmittag war das Café wieder gut besucht. Neben der Theke saß eine silberhaarige Frau und winkte ihr.

»Ja, bitte?«

»En kopp kaffe, tack«, bestellte die Urlauberin auf Schwedisch und sah Jasminfragend an, offenbar unsicher, ob sie verstanden worden war.

Jasmin deutete auf die Sahne.

»Med grädde?«

Die Urlauberin nickte lächelnd. »En bit av äppelpaj.«

Daraufhin servierte Jasmin ihr eine Tasse Kaffee sowie ein Stück Apfelkuchen. Sie mochte ihre Arbeit und den Kontakt zu den Gästen. Allerdings nicht zu allen, wie sie sich wieder in Erinnerung rief, als jemand vertraulich ihre Kehrseite tätschelte. Sie wirbelte herum und funkelte den Gast am Fenstertisch elf an.

»Ich bin net im Preis für das Haferl Kaffee inbegriffen.«

»Zu schade.« Der Gast hatte einen aufgeklappten Laptop vor sich stehen und bereits den dritten Kaffee geordert. Sein dunkler Anzug verriet den Geschäftsmann. Er mochte um die fünfzig sein und grinste sie an. »So reizend, wie Sie ausschauen, bin ich gern bereit, einen Aufpreis zu bezahlen.« Er zwinkerte ihr zu, und Jasmin empfand plötzlich das Verlangen, sich die Hände zu waschen.

»Möchten Sie noch einen Kaffee haben? Oder lieber einen Blutdrucksenker?«

»Oh Schatzerl, bei dir steigt mein Blutdruck tatsächlich, aber ein Medikament hilft da net.« Er streckte die Hand aus, aber Jasmin wich blitzschnell zurück, sodass er in die Luft fasste. Sein Blick heftete sich auf das Dekolleté ihres Dirndls. »Wann hast du hier Feierabend, meine Hübsche?«

»Heute Abend. Mein Freund holt mich nach seinem Boxtraining ab.«

»Du hast einen Freund?« Das Leuchten auf dem Gesicht des Mannes erlosch, als hätte jemand auf einen Schalter gedrückt. Dann beugte er sich ohne ein weiteres Wort wieder über seinen Laptop und beachtete sie nicht weiter.

Jasmin unterdrückte ein Augenrollen. Ihr Freund, der Boxer, hatte schon so manchen Gast zur Ordnung gerufen. Zu schade, dass es ihn nur in ihrer Fantasie gab. Er hätte ihr bei einigen Problemen im Alltag helfen können.

Sie ging zur Theke und holte eine Schale mit frischem Zucker für Tisch neun. Ihre Chefin füllte gerade die Kaffeemaschine auf. Der Vollautomat beherrschte zahlreiche Spezialitäten und erinnerte Jasmin mit seinen vielen Knöpfen und Hebeln immer ein wenig an das Cockpit eines Düsenjets. Ein falscher Knopfdruck – und alles konnte ihnen um die Ohren fliegen!

»Konnte der Gast vom Tisch elf wieder mal seine Finger net bei sich behalten?« Adelheid Kofler zog fragend eine Braue hoch. Sie hatte das Café vor vierzig Jahren gegründet und leitete es seitdem mit Liebe und Herzblut. »Dieser Hallodri.«

»Ich hab ihn bereits zurechtgewiesen.«

»Lass mich raten, du hast ihn eingeladen, sich mit deinem Freund, dem Preisboxer, und dir einen netten Fernsehabend zu machen?«

»So ähnlich.«

»Sag Bescheid, wenn ich ihn rauswerfen soll. Und falls du Lust hast, deinen imaginären Freund gegen einen Mann aus Fleisch und Blut einzutauschen: Mein Neffe kommt mich am Wochenende besuchen. Er bleibt zwei Wochen hier. Du könntest ihm ein bisserl was von der Stadt zeigen.«

»Joshua ist hier aufgewachsen. Ich bezweifle, dass ich als Zugezogene ihm noch Ecken zeigen kann, die er net kennt.«

»Mit der richtigen Person wirkt alles neu und aufregend. Glaub mir. Ich war dreimal verheiratet. Ich weiß, wovon ich rede. Du solltest wirklich mit Joshua ausgehen. Er ist nett, und du bist schon viel zu lange allein.«

»Lieber net«, wehrte Jasmin automatisch ab und hoffte, ihre Chefin würde nicht bemerken, dass ihre Hände mit einem Mal zitterten. Eine Beziehung kam für sie nicht infrage. Nicht mehr seit jener schicksalhaften Nacht vor sechs Jahren, als …

»Oh, das hätte ich fast vergessen!« Ihre Chefin bückte sich kurz und brachte einen Brief unter der Theke hervor. »Heute ist wieder einer für dich gekommen.« Sie reichte ihn Jasmin.

Jasmin warf einen Blick auf die krakelige Handschrift auf dem Umschlag und hatte plötzlich das Gefühl, Glasscherben verschluckt zu haben.

»Danke«, murmelte sie und steckte den Brief in ihre Schürze.

»Willst du net reinschauen?«

Sie schüttelte den Kopf. In ihrer Wohnung lagerte ein Karton mit zahlreichen ähnlichen Umschlägen unter dem Bett. Sie brachte es nicht über sich, die Briefe wegzuwerfen, aber sie zu lesen, stand ebenfalls außer Frage. Tagsüber konnte sie die Briefe beinahe vergessen. Bei Nacht jedoch krochen die Erinnerungen hervor wie graue Schatten und legten sich über ihre Gedanken und Träume. Jeden Monat kam ein neuer Brief an. Geschrieben mit einer Männerhandschrift, die ihr vertraut war wie ein Splitter im Herzen.

»Wie lange warst du nimmer daheim, Jasmin?«

»Seit sechs Jahren.« Sie schluckte und versuchte das Gefühl von Heimweh zu verdrängen, das sie jäh befiel. Vor ihrem inneren Auge sah sie die Berge des Zillertals, hörte die Glocken der Kühe, die friedlich auf den Hängen grasten, und hätte am liebsten geweint. Vermutlich war das Wetter schuld.

Draußen fiel nasskalter Schneeregen vom Himmel, und graue Schwaden trieben über den Inn. Seit Tagen kam kein Strahl Sonne zur Erde durch. Wer wurde da nicht trübsinnig?

»Teile deinem Vater wenigstens mit, wo du wohnst«, mahnte ihre Chefin. »Damit er seine Briefe net immer hierherschicken muss. Ich bin net die Post, weißt du?«

»Tut mir leid. Ehrlich.« Jasmin versuchte ein Lächeln und kehrte an ihre Arbeit zurück.

Sie räumte gerade das Geschirr von dem Tisch neben dem Kamin ab, als erneut jemand ihren Hintern tätschelte. Sie fuhr herum und sah den zudringlichen Geschäftsmann so aufgebracht an, dass dieser unwillkürlich zurückzuckte. Er achtete nicht darauf, wo sein Arm hingeriet – und so kam es, wie es wohl kommen musste: Er stieß mit dem Ellbogen gegen seine Kaffeetasse. Diese fiel um, und der Inhalt ergoss sich ausgerechnet über die Tastatur seines Laptops!

Einen Wimpernschlag später erlosch die Anzeige auf dem Display. Das Gerät nahm die Kaffeedusche offenbar übel.

»Nein! Nein! Nein!« Hektisch tippte der Gast auf der Tastatur herum, aber der tragbare Computer ließ sich nicht mehr zum Leben erwecken. »Meine Tabellen! Meine Zahlen! Nun schau, was du angerichtet hast!«, rief er aufgebracht. »Den Schaden bezahlst du mir aber!«

Jasmin war so verblüfft, dass sie nicht gleich etwas erwidern konnte. Doch das war auch nicht nötig, denn das übernahm ihre Chefin für sie.

»Sie werden jetzt bezahlen und dann mein Café verlassen«, sagte Adelheid ruhig, aber bestimmt.

»Haben Sie net gesehen, was dieses Flitscherl von Kellnerin getan hat? Ich verlange Schadenersatz!«

»Ich habe gesehen, wo Sie Ihre Hände hatten. Wenn Sie eine Anzeige wegen Belästigung vorziehen oder gar die Aufmerksamkeit der Presse, dann bestehen Sie ruhig auf einem Schadenersatz. Wir werden sehen, wer am Ende zahlt.«

»Presse?« Der Gast erblasste. Dann stopfte er seinen Laptop in die Ledertasche, knallte einen Geldschein auf den Tisch und schob sich an Jasmin vorbei. Wenig später klingelte die Türglocke, als er das Café verließ. Er ging jedoch nicht, ohne vorher noch zu drohen: »Sie hören von meinem Anwalt! Ihren Laden ruiniere ich! Das schwöre ich Ihnen!«

Dann schlug die Tür hinter ihm zu.

Die anderen Gäste waren unterdessen aufmerksam geworden. Stille breitete sich in dem Lokal aus. Erschrocken sah Jasmin ihre Chefin an.

Diese winkte begütigend ab.

»Mach dir keinen Kopf. Das war net deine Schuld. Unser Westentaschencasanova wird es sich zweimal überlegen, ehe er etwas gegen uns unternimmt.«

»Und wenn er wirklich Schadenersatz haben will? Das war ein teures Gerät. Ich weiß net, wie ich ihm das ersetzen soll.«

»Was passiert ist, geht allein auf seine Kappe. Mach dir keine Sorgen deswegen. Übrigens hast du seit einer halben Stunde Feierabend. Warum machst du net Schluss für heute und gönnst dir daheim ein schönes heißes Bad?«

»Das ist eine gute Idee.« Jasmins Füße brannten nach dem langen Tag auf den Beinen, und sie sehnte sich nach Ruhe. Vielleicht konnte sie später an der Strickjacke weiterstricken, mit der sie vor Kurzem begonnen hatte. Die rote Wolle war so herrlich weich …

Sie ging nach hinten zu ihrem Spind und holte ihre Jacke und die Umhängetasche. Als sie aus dem Café ins Freie trat, verzog sie das Gesicht, denn ein Gemisch aus Schnee und Regen fiel vom Himmel. Dazu fegte ein grimmig kalter Wind heran. Der Gedanke an ein langes Bad war wirklich verlockend!

Jasmin spannte ihren Regenschirm auf und wollte sich gerade auf den Heimweg machen, als ein dunkel gekleideter Mann auf sie zukam.

»Frau Waidinger?« Der Fremde blieb vor ihr stehen. Er trug einen dunklen Wollmantel über seinem Anzug und sah aus, als wäre er auf dem Weg zu einer geschäftlichen Besprechung. »Sind Sie Jasmin Waidinger?«

»Wer möchte das wissen?«

»Mein Name ist Adrian Roner. Ich bin Anwalt …«

»Anwalt?« Jasmin versteifte sich. »Das ging aber schnell.«

»Äh, wie bitte?«

»Hören Sie, es war net meine Schuld, dass der Gast Kaffee über seinen Laptop gegossen hat. Wenn er Sie schickt, um mich zu verklagen …«

»Ich weiß net, wovon Sie reden«, unterbrach der Anwalt sie barsch. »Ich bin net wegen irgendeines Laptops hier.«

»Ach, net? Weswegen denn dann?«

»Ich bin der Anwalt Ihres Vaters …«

»Oh.« Jasmin schnappte nach Luft, als wäre sie von einem Schwall Eiswasser getroffen worden. »Es tut mir leid, aber was immer Sie mir sagen wollen, ich möchte es net hören.« Sie wollte an ihm vorbeieilen, aber er vertrat ihr den Weg.

»Es ist net sehr höflich, mich einfach stehen zu lassen.«

Da hatte er recht, allerdings wusste er auch nicht, was seine Worte in ihr anrichteten.

»Hören Sie mich an«, verlangte er. »Ihr Vater will Sie sehen. Er hat mich geschickt, um Sie nach Hause zu holen. Nach St. Christoph.«

»Daraus wird nichts.«

»Aber es ist ihm wichtig. Ihr Vater braucht Sie, Jasmin.«

»Da irren Sie sich. Mein Vater braucht niemanden.«

»Das mag früher gestimmt haben, jetzt ist das anders.«

»Das bezweifle ich.«

»Wirklich? Aber wieso?« Kurz flackerte Verwirrung in den Augen des Anwalts auf. »Wissen Sie es denn noch net? Ich dachte, Ihr Vater hätte es Ihnen geschrieben.«

»Was soll er mir geschrieben haben?«

»Ach, du liebe Zeit!« Der Anwalt sog scharf den Atem ein. »Darauf war ich net vorbereitet. Soll das etwa heißen, Sie wissen net, wie es um ihn steht?«

***

Im Zillertal hielt sich der Winter bis in den März hinein.

Eis und Schnee überzogen die Berge und hielten das erste zarte Grün noch unter einer weißen Decke. An den Dächern der Bauernhäuser wuchsen armlange Eiszapfen, und auf dem Rodelhang sausten bunt gekleidete Kinder auf ihren Schlitten ins Tal, sodass der Schnee nach allen Seiten stob.

In der Praxis des Bergdoktors gab es alle Hände voll zu tun. Eine Grippe-Epidemie suchte das Dorf heim, und Dr. Burger war von früh bis spät auf den Beinen, um seine Patienten zu versorgen. Zu den fiebernden Dorfbewohnern kamen die Gäste aus dem Berghotel, die ihn baten, sie möglichst schnell wieder auf die Beine zu bringen, damit sie trotz ihrer Beschwerden ihren Urlaub genießen konnten.

Es wurde schon dunkel, als der Bergdoktor seinen letzten Patienten für diesen Tag entließ. Der Pfarrer wurde wieder vom Hexenschuss geplagt und hatte sich eine Spritze gegen die ärgsten Schmerzen geholt. Nun lief er steifbeinig nach Hause. Dr. Burger hatte ihm geraten, mit Wärme und wohldosierter Bewegung gegen die Schmerzen anzugehen.

Nun schaltete er seinen Computer aus und zog seinen Pullover zurecht. Seine Sprechstundenhilfe steckte den Kopf herein.

»Brauchen Sie mich noch, Herr Doktor?«

»Freilich, Bärbel. Ohne dich würde sich in der Praxis kein Rädchen drehen. Das weißt du doch.«

»Das höre ich gern, aber ich meinte, heute Abend.«

»Ach so, nein, mach ruhig Feierabend.«

»Gut, dann gehe ich jetzt heim. Hoffentlich verlaufe ich mich in dem Schneetreiben net.«

»Soll ich dich fahren?«

»Lieber net. Den Straßen traue ich bei diesem Wetter noch weniger als meinem Orientierungssinn.« Sie winkte ihm schmunzelnd zu. »Bis morgen dann.«

»Ja, bis morgen. Einen schönen Abend wünsche ich dir.«

»Danke, Ihnen auch. Machen Sie nimmer so lange.« Bärbel winkte kurz – und weg war sie.

Martin Burger räumte noch auf und wollte anschließend gerade das Licht in seiner Praxis löschen, als jemand zaghaft an die Tür seines Sprechzimmers klopfte.

Auf seinen Ruf kam sein Sohn herein.

»Hast du kurz Zeit, Papa?«, fragte er kleinlaut.

»Für dich immer, Bub. Was … Ach du liebe Zeit!« Er sah seinen Sohn alarmiert an. Der Fünfjährige blutete aus einer Wunde an der rechten Schläfe. Auch in seinen blonden Haaren und an seiner Pudelmütze klebte Blut. Martin Burger hob ihn auf die Untersuchungsliege. Er schaute sich die Wunde genau an und vergewisserte sich, dass der Sturz keine schlimmeren Folgen gehabt hatte. Zum Glück klagte sein Sohn weder über Sehstörungen noch über Übelkeit. »Wie ist das denn passiert?«

»Ich bin vom Schlitten gefallen.«

»Vom Schlitten? Hast du etwa wieder eine Wettfahrt mit Gustl gemacht?«

»Hab ich. Und ich lag vorne. So schnell wie heute war ich noch nie, aber auf einmal kam eine Bodenwelle. Ich hab sie net gesehen. Plötzlich flog ich durch die Luft und dann … aua!«

»Und Gustl?«

»Er hat gewonnen.« Filli zog einen Flunsch.

»Ich verstehe. Die Wunde ist zum Glück net tief. Ich werde sie säubern und klammern. Gleich tut es nimmer weh.« Martin Burger betäubte die Stelle lokal, tupfte sie sauber und klebte ein Klammerpflaster darauf. »So, das hätten wir. Zenzi soll deine Mütze auswaschen, ehe das Blut eintrocknet. Und dir sollte ein Becher mit heißer Schokolade helfen.«

»Au ja.« Fillis Augen leuchteten auf.

Der Bergdoktor trug seinen Sohn nach nebenan in die Küche und setzte ihn auf der Eckbank ab. Dann bat er seine Wirtschafterin, Kakao zu kochen. Das Wort schien seine beiden anderen Kinder magisch anzuziehen, denn Tessa kam mit dem Mauserl an der Hand herein und ließ sich ebenfalls an den Tisch plumpsen.

Den beiden Madeln folgte Poldi. Der Familiendackel trug seine Leine zwischen den Zähnen und legte sie zu Füßen des Arztes ab.

»Sag bloß, du willst jetzt eine Runde rausgehen. Bei diesem Wetter? Ist das dein Ernst?« Martin Burger sah seinen Hund fragend an. Daraufhin gab dieser einmal Laut und schlug mit der Rute auf den Boden. »Dich stört der Schnee wohl net, was? Also schön, dann machen wir einen Spaziergang. Möchte jemand mitkommen?« Fragend schaute er in die Runde.

»Ich muss Kakao kochen«, wehrte Zenzi ab.

»Und ich muss Kakao trinken«, bekräftigte Filli.