Der Bergdoktor 1870 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 1870 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Noch immer kann Marita nicht begreifen, wie Lorenz sich so verstellen konnte. Der Erbe vom Aichthaler-Hof verkörperte alles, was sie sich in ihren Jungmädchenträumen ausgemalt hat. Er war ein Studierter, hatte Manieren und überschüttete sie förmlich mit Komplimenten. Zudem war er reich und gut aussehend, modisch gekleidet und spendabel. War es da eine Frage, dass sie sich heftig in ihn verliebte und ihren Verlobten verließ?

Ja, damals war Marita voller Hoffnung auf ein besseres Leben. Nun liegt sie schwer misshandelt in Dr. Burgers Krankenzimmer - und Lorenz ist tot ...

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Seitenzahl: 135

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Glocken blieben stumm

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Anne von Sarosdy / Bastei Verlag

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-9999-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Die Glocken blieben stumm

Sie verließ ihn – konnte ihn aber nie vergessen

Von Andreas Kufsteiner

Noch immer kann Marita nicht begreifen, wie Lorenz sich so verstellen konnte. Der Erbe vom Aichthaler-Hof verkörperte alles, was sie sich in ihren Jungmädchenträumen ausgemalt hat. Er war ein Studierter, hatte Manieren und überschüttete sie förmlich mit Komplimenten. Zudem war er reich und gut aussehend, modisch gekleidet und spendabel. War es da eine Frage, dass sie sich heftig in ihn verliebte und ihren Verlobten verließ?

Ja, damals war Marita voller Hoffnung auf ein besseres Leben. Nun liegt sie schwer misshandelt in Dr. Burgers Krankenzimmer – und Lorenz ist tot …

»Ich weiß gar net, wie ich Ihnen danken soll, Herr Doktor. Ohne Sie wäre das schlimm ausgegangen …«

Korbinian Steinbichlers Stimme versagte, und er wollte gar nicht mehr aufhören, die Hand von Dr. Burger zu schütteln.

»Deine Frau war sehr tapfer. Und nun bin ich froh, dass es ihr und dem Kindl gut geht«, erwiderte Martin Burger, genannt der Bergdoktor, freundlich.

Die junge Hofbäuerin hatte zwei Tage zuvor einem Sohn das Leben geschenkt, und es war keine leichte Geburt gewesen. Trotz ihrer Jugend war sie sehr traditionsbewusst und hatte darauf bestanden, ihr Kind auf dem Hof zur Welt zu bringen, wie es bei den Steinbichlers Brauch war.

Dr. Burger hatte seine Bedenken, doch sie ließ sich nicht davon abbringen. Und so blieb es ihm überlassen, ihr durch die schweren Stunden ihrer ersten Niederkunft zu helfen, und unendliche Erleichterung hatte ihn erfüllt, als sie schließlich ihr Kind in den Armen hielt.

Wie er bei seinem heutigen Besuch feststellte, hatte sie sich so gut erholt, dass sie bald aufstehen konnte. Das junge Ehepaar war selig, nicht zuletzt auch die Großeltern, die sich freuten, dass der Hof innerhalb der Familie weitervererbt werden würde.

Korbinian wollte dem Bergdoktor noch einen großen Schinken und Geselchtes aufnötigen, doch dieser wehrte ab.

»Morgen schau ich wieder nach Mutter und Kind. Und dass du deine Frau jetzt ein bisserl verwöhnst, hast du gehört?«

»Das tu ich eh immer«, lachte Korbinian, denn er und seine Ursel hatten aus aufrichtiger Liebe zueinander geheiratet.

Dr. Burger stieg lächelnd in seinen Wagen, wendete geübt auf dem engen Hofplatz und fuhr die Einfahrt, die zu beiden Seiten von hohen Büschen begrenzt war, hinaus. Das Anwesen lag ziemlich abgelegen, und so entschloss er sich, eine Abkürzung zu nehmen, die zu der Landstraße nach St. Christoph führte.

Eigentlich war es mehr ein unbefestigter Wirtschaftsweg, der meist nur von landwirtschaftlichen Fahrzeugen benutzt wurde. Doch seit Tagen war es trocken gewesen, sodass keine Gefahr bestand, dass er im Schlamm stecken blieb. Dennoch steuerte er den Wagen vorsichtig über Unebenheiten und wich Schlaglöchern aus. Einmal verlangsamte er seine Fahrt, weil ihm der Leitner-Bauer auf seinem riesigen Traktor entgegenkam und ihm frohgemut zuwinkte.

Es gab hier niemanden, der den Bergdoktor nicht kannte.

Dann gelangte er zu einem hohen, alten Bergahorn, der wie ein Wahrzeichen wirkte. Eine kleine Bank stand darunter, daneben eine Votivtafel, von einem frommen Bauern gestiftet. Von hier aus hatte man eine herrliche Aussicht über das Hochtal, und unwillkürlich lenkte Martin Burger den Wagen auf den kleinen Vorplatz und hielt an. Er stieg aus und ließ den Blick über die Gebirgslandschaft schweifen, die sich in frühlingshaftem Glanz seinen Augen darbot.

Die Almwiesen waren von Blüten gesprenkelt, besonders hob sich das glühende Rot des Almrauschs hervor. Der Mischwald, der sie säumte, prangte in frischem Hellgrün und ging dann weiter oben in das Dunkel der Nadelbäume über.

Wie Wächter umstanden die Berge das Gebirgstal. Der höchste von allen war der Feldkopf, dessen Gletscher in der Abendsonne aufsprühte. Rechts davon ragte der Hexenstein mit seinen zwei Gipfeln empor, linker Hand das Frauenhorn, dem der schwer besteigbare Achenkegel folgte. Aus dem Rautenwald stieg der Rautenstein empor, und den Abschluss der Bergkette bildete die Beerenhalde, ein lang gestreckter Tafelberg.

Wie viele Jugenderinnerungen verknüpften sich damit! Ausflüge zur Feldkopfhütte, Wanderungen hoch zum Hexenstein und Erkundungen der Höhlen auf der karstigen Beerenhalde, was nicht ungefährlich war.

Ein jähes, überwältigendes Glücksgefühl durchströmte ihn. Ja, er konnte sich glücklich schätzen, hier leben zu dürfen, wo die Schönheit der Natur allgegenwärtig war. Und gleichzeitig musste er dankbar sein, dass er ein erfülltes Leben führte, wie es ihm der heutige Tag wieder vor Augen geführt hatte.

Zwei seiner Patienten, denen er Hausbesuche abgestattet hatte, waren auf dem Weg der Genesung. Den jungen Steinbichlers wiederum hatte er zu einem gesunden Kind verholfen und der Mutter das Leben gerettet.

Vom Dorf her klang das Abendläuten empor, was Martin Burger aus seinen Gedanken riss. Er stieg wieder ins Auto und ließ den Motor an. Während er nun umsichtig weiterfuhr, übermannte ihn jedoch ungewollt die Erinnerung an eine Zeit, in der er längst nicht so glücklich gewesen war wie jetzt.

Schon in jungen Jahren war er von schweren Schicksalsschlägen heimgesucht worden. Im Alter von elf Jahren war seine Mutter früh gestorben, und Zenzi Bachhuber, heute noch der gute Geist des Doktorhauses, hatte Mutterstelle bei ihm eingenommen und ihn liebevoll umsorgt.

In seiner ersten Ehe hatte er geglaubt, das Glück gefunden zu haben, doch seine junge Frau Christl war bei der Geburt ihres ersten Kindes an unerwarteten Komplikationen gestorben und hatte das Neugeborene mit sich zu den Engeln genommen. Die Trauer hatte ihn aus der Heimat fortgetrieben.

Dr. Burger hatte in München das Chirurgische Fachexamen abgelegt und war erst wieder ins schöne Zillertal zurückgekehrt, als er die Praxis seines Vaters übernehmen musste, da sich Dr. Pankraz Burger allmählich zur Ruhe setzen wollte.

In den folgenden Jahren hatte ganz sein Beruf im Mittelpunkt seines Lebens gestanden, und er hatte sich große Anerkennung erworben. Da er oft an riskanten Rettungseinsätzen mit seinem Freund Dominikus Salt, dem Leiter der Bergwacht, beteiligt war, nannte man ihn respektvoll »Bergdoktor«. Außerdem hatte er die Praxis um einen Anbau erweitern lassen, in dem sich ein kleiner Operationssaal, ein Röntgenraum und ein Labor sowie zwei Krankenzimmer für Notfälle befanden.

Die Dörfler nannten die Praxis nun allgemein die »Mini-Klinik« und waren nicht wenig stolz auf diese fortschrittliche Einrichtung.

An ein persönliches Glück hatte er damals schon lange nicht mehr geglaubt, bis er unvermutet auf Sabine getroffen hatte, eine junge Anästhesistin aus Wien, die ihre Tante in St. Christoph besucht hatte. Sie war sechzehn Jahre jünger als er, doch beide fühlten sich vom ersten Augenblick an zutiefst verbunden. Für diese Liebe hatte Sabine alles hinter sich gelassen, was bisher ihr Leben ausgemacht hatte. Doch sie hatte es, wie sie immer wieder beteuerte, nie bereut.

Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er an sie dachte. Wie sehr er sie schon vermisste, wenn er tagsüber so beschäftigt war, dass er sie erst abends wiedersah.

Dann aber verengten sich seine Augen, denn in einiger Entfernung befand sich etwas auf der rechten Fahrseite, das er nicht richtig einordnen konnte. Erst dachte er, es sei ein Tier, das von einem Wagen erfasst worden war, doch dann stellte er entsetzt fest, dass es sich um ein menschliches Wesen handelte. Es war eine weibliche Gestalt, die seltsam verkrümmt am Wegrand kauerte.

Dr. Burger hielt an und sprang aus dem Wagen. Dann eilte er zu der Frau hin und beugte sich zu ihr hinab. Sie hatte ihr Gesicht auf die Knie gelegt und beide Arme schützend darum geschlungen, sodass er sie nicht erkennen konnte. Die langen Haare fielen wirr und blutig darüber, ihr leichter Rock war so verschmutzt, als ob sie vorwärtsgekrochen wäre.

»Kannst du mich verstehen?«

Martin benutzte das vertraute Du der Gebirgler, doch er erhielt keine Antwort.

Nur ein leichtes Zittern ging durch ihren mageren Körper, und sie krümmte sich noch mehr zusammen.

»Kannst du den Kopf heben? Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, ich bin Arzt und will dir helfen.«

Wieder erfolgte keine Reaktion, sodass Martin Burger schon befürchtete, dass sie noch stärker verletzt war, als es den Anschein hatte. Als er behutsam nach ihrem Kopf griff, erstarrte sie, und er sprach erneut beruhigend auf sie ein. Schließlich richtete sie sich etwas auf, und als sie ihr Gesicht freigab, hatte er Mühe, sein Entsetzen zu verbergen.

Blutige Striemen durchzogen die zarten jungen Züge, Blut troff aus Stellen am Kopf, wo ihr ganze Haarbüschel ausgerissen worden waren. Eines ihrer Augen war völlig zugeschwollen, ihre Unterlippe wies einen Riss auf. Auch auf ihren Armen entdeckte er blutunterlaufene Abdrücke und Quetschungen. Wahrscheinlich sah sie am Körper noch schlimmer aus …

»Wer hat dich so zugerichtet?«, entfuhr es Dr. Burger unwillkürlich.

Jäher Zorn schoss in ihm empor, noch nie hatte er eine Frau gesehen, die derartig misshandelt worden war. Und eigentlich war sie noch gar keine Frau, eher ein völlig eingeschüchtertes junges Mädchen.

Er erhielt keine Antwort auf seine Frage, und innerlich seufzte er. Aber das hatte im Augenblick keinen Vorrang, zuerst galt es, sie ärztlich zu versorgen. Unter Umständen hatte sie auch innere Verletzungen erlitten, und daher war es höchste Zeit, sie zu untersuchen.

»Kannst du aufstehen?«

Sie unternahm einen Versuch, und selbst, als er ihr aufhelfen wollte, misslang er, sodass er sie kurzerhand auf die Arme hob und zu seinem Wagen trug. Er setzte sie auf den Beifahrersitz und befestigte den Gurt, was ihr Schmerzen zu bereiten schien.

»Wohin?«, stammelte sie heiser.

»Du musst dich im Krankenhaus untersuchen lassen. Deine Verletzungen …«

»Kein Krankenhaus«, stieß sie angstvoll hervor.

»Wir fahren zu meiner Praxis, dort haben wir auch ein Röntgengerät«, gab er zur Antwort, und sie ließ sich zurücksinken.

Dr. Burger beeilte sich, zur Mini-Klinik zu kommen, denn falls sie innere Blutungen hatte, zählte jede Minute. Dann trug er sie in die Praxis, gefolgt von Sabine, die ihm die Tür geöffnet hatte.

»Ein Verkehrsunfall?«, fragte sie besorgt.

»Ich hab sie in diesem Zustand am Wegrand gefunden«, sagte Martin kurz angebunden.

Schwester Sophie war bereits nach Hause gegangen, und wie immer in Notfällen stand ihm Sabine zuverlässig zur Seite. Sie machten die notwendigen Röntgenaufnahmen, säuberten und behandelten die Verletzungen, über deren Ausmaß beide entsetzt waren.

Bei der ganzen Prozedur gab die junge Frau höchstens manchmal einen Schmerzenslaut von sich, meistens aber hielt sie die Lippen zusammengepresst. Schließlich wurde sie im Krankenhaushemd in eines der Betten gelegt, erhielt eine Infusion und ein Beruhigungsmittel, sodass sie rasch einschlief.

Die Röntgenbilder hatten gezeigt, dass die junge Frau weder innere Verletzungen noch Knochenbrüche hatte. Doch die zahlreichen Prellungen und das ausgerissene Haar sprachen eine ganz bestimmte Sprache.

»Jemand muss sie furchtbar misshandelt haben. Und dann ist sie geflohen, bis sie zusammengebrochen ist«, sagte Sabine bedrückt.

»Aber dass sie nicht den Mund aufmacht …«, stieß Martin wütend hervor.

»Vielleicht will sie den Täter schützen«, erwiderte Sabine, »so etwas hab ich in der Klinik in Wien öfters erlebt.«

»Das werde ich nie begreifen können.«

»Ich auch nicht. Sie ist verheiratet. Hast du den Ring gesehen?«

»Du meinst, es ist ihr Mann, der sie so zugerichtet hat?«, fragte Martin, obwohl ihm dieser Gedanke auch schon gekommen war.

Sabine zuckte die Schultern.

»Meistens ist es so. Leider glauben viele Frauen, dass sie schuld daran wären, wenn sie geschlagen worden sind. Dass sie es eigentlich verdienen, weil sie etwas falsch gemacht haben. Daher schützen sie ihre Männer. Vielleicht wollen sie es auch sich selbst und anderen gegenüber nicht zugeben, dass sie den Falschen geheiratet haben …«

»Wir dürfen sie jedenfalls nicht mit Fragen bedrängen, erst wenn sie etwas stabiler geworden ist«, wurde sie von Martin unterbrochen.

»Natürlich. Und sie hat überhaupt nichts bei sich gehabt, keine Papiere?«, vergewisserte sich Sabine.

»Nein. Noch nicht einmal ihren Namen weiß ich. Und ins Krankenhaus wollte sie auch nicht«, gab er Auskunft.

»Eigentlich müssten wir die Polizei informieren«, meinte Sabine, doch es war ihr anzusehen, wie sehr ihr das widerstrebte.

»Vielleicht sollten wir lieber abwarten, bis wir über die Hintergründe Bescheid wissen«, schlug ihr Mann vor.

»Wir sollten sie über Nacht nicht allein lassen. Ich kann ja bei ihr bleiben, bis Schwester Sophie kommt«, erbot sich Sabine.

»Ich bin sicher, der Vater ist dazu bereit«, sagte Martin nach einem schnellen Blick auf Sabine, deren Züge erschöpft wirkten. »Du hast auch einen anstrengenden Tag gehabt.«

»Da reden wir noch später drüber.«

Pankraz Burger war sofort einverstanden, die Nachtwache zu übernehmen, und löste seine Schwiegertochter am Bett der jungen Frau ab. Auch er erschrak sichtlich, als er im schwachen Schein des Nachtlichts das verunstaltete Gesicht der Patientin sah.

»So ein Haderlump aber auch«, murmelte er ergrimmt.

Sabine küsste ihren Schwiegervater auf die Wange und warf noch einen letzten mitleidigen Blick auf die Verletzte, ehe sie den Raum verließ und in die Wohnräume des Doktorhauses zurückkehrte.

Martin hatte die Kinder bereits ins Bett gebracht, und sie hörte, wie er den beiden ältesten mit verstellter Stimme aus ihrem Lieblingsbuch vorlas, was ihnen immer Gekicher und Gelächter entlockte. Die fast neunjährige Tessa, ein Findelkind, das von den Burgers adoptiert worden war und seitdem untrennbar zur Familie gehörte, liebte es ganz besonders, wenn ihr Vater seine schauspielerischen Fähigkeiten einsetzte.

Auch Philipp, der drei Jahre jünger war, genoss es, allerdings beschwerte sich seine Schwester immer darüber, dass er dauernd neue Zwischenfragen stellte. Denn Filli, so wurde er genannt, wollte immer alles ganz genau wissen. Die zweijährige Laura war schon früher zu Bett gebracht worden, nach ihr wollte Sabine noch einmal sehen.

Erleichterung durchflutete sie, wenigstens in ihrem Zuhause herrschte die vertraute, friedvolle Atmosphäre, weit entfernt von der Welt, der die verletzte junge Frau, die sie in ihre Obhut genommen hatten, entstammen mochte.

Zenzi Bachhuber trat aus der Küche, und der Haarknoten, der unverrückbar an ihrem Hinterkopf thronte, schien vor Neugierde geradezu zu beben. Auch wenn sie diese Eigenschaft bei den Kindern immer streng rügte, so besaß Zenzi sie selbst in überreichlichem Maße. Doch das und auch ihr manchmal recht schroffes Wesen ließ man ihr im Doktorhaus durchgehen, denn sie besaß ein gutes Herz und war »ihrer Familie« aufrichtig zugetan.

»Ein Unfall? Das muss ja schlimm sein, wenn jemand Wache halten muss über Nacht«, sagte sie und sah Sabine aus funkelnden Augen an.

»Sicherheitshalber eben«, erwiderte Sabine unbestimmt. »Ich glaub, ich geh gleich nach oben. Der Martin ist auch rechtschaffen müd.«

»Ich räum auch nur noch ein bisserl in der Küche auf«, erwiderte Zenzi sichtlich enttäuscht und zog sich zurück.

Sabine ging erleichtert, sich einem weiteren »Verhör« von Zenzi entzogen zu haben, die Treppe hoch und schaute nach der kleinen Laura. Das Mädchen schlief mit roten Wangen, das Kuscheltier hielt es mit beiden Händchen an sich gepresst. Martin war gerade von den Betten der beiden älteren Kinder aufgestanden, die nun von ihrer Mutter noch einen Gutenachtkuss bekamen, so wie sie es gewöhnt waren.

Dann endlich konnte sich das Ehepaar in sein blaues Schlafzimmer zurückziehen, das sein Refugium war. Wie schon der Name verriet, herrschte bei der Ausstattung die Farbe Blau vor. Der Schrank war in bäuerlichem Stil mit roten Herzen auf ebenfalls blauem Untergrund bemalt, auch das ausladende Himmelbett trug noch dazu bei, das Ambiente romantisch wirken zu lassen.

»Das war ein anstrengender Tag heut für uns beide«, sagte Martin und ließ sich wohlig aufseufzend in das weiche Pfühl fallen.

»Wie geht es denn den jungen Steinbichlers?«, fragte Sabine und bürstete sich ihr kurzes blondes Haar, das wie ein Helm ihr hübsches Gesicht mit den braunen Augen umgab.

»Die junge Mutter hat sich schneller erholt als gedacht, und dem Kleinen geht es auch gut«, sagte Martin, und ihm war anzuhören, wie froh er über diese Entwicklung war.

»Ein Glück. Du hast dir ja rechte Sorgen gemacht.«

»Und wie war es bei dir in der Schule? Es kann ja nicht so schlimm gewesen sein, denn die Tessa hat mir schon gesagt, dass die Schuldigen für diese Untat gefunden worden sind. Sie war ja die ganze Zeit sehr niedergeschlagen, weil man sie und ihre Freundin Rita verdächtigt hat.«

Tessas Mitschüler hatten im Unterricht sehr hübsche Zeichnungen angefertigt, die dann das Klassenzimmer zierten. Doch eines Morgens hatte man sie zerrissen und beschmiert vorgefunden, und das Geschrei war groß gewesen. Da nun Tessa und ihre Freundin Rita, die von allen nur die freche Rita genannt wurde, sich schon allerhand Streichen schuldig gemacht hatten, fiel natürlich der Verdacht sofort auf sie.