Der Bergdoktor 1875 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 1875 E-Book

Andreas Kufsteiner

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

"Lassen Sie mich sterben, Herr Doktor!"
Die Worte treffen den Bergdoktor bis ins Herz, denn ausgesprochen werden sie von einem Madel, das gerade achtzehn Jahre alt ist. Das ganze Leben hat sie noch vor sich, die Berglehner-Maria, aber sie hat jeden Lebensmut verloren. Ihr Augenlicht erlischt, und keine Behandlung schlägt an.
Maria graust es vor der ewigen Dunkelheit, die ihr droht. Nicht einmal der junge Bauer Albert Hangleithner, der sie von Herzen liebt, kann ihr diese Angst nehmen. Doch Dr. Burger ist noch nicht bereit, aufzugeben. Er forscht nach der Ursache von Marias Symptomen und kommt etwas Ungeheuerlichem auf die Spur ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 132

Veröffentlichungsjahr: 2017

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Die Bitte der Maria Berglehner

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Michael Wolf / Bastei Verlag

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-5073-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Die Bitte der Maria Berglehner

Der Bergdoktor und ein Mädchenschicksal, das zu Tränen rührt

Von Andreas Kufsteiner

»Lassen Sie mich sterben, Herr Doktor!«

Die Worte treffen den Bergdoktor bis ins Herz, denn ausgesprochen werden sie von einem Madel, das gerade achtzehn Jahre alt ist. Das ganze Leben hat sie noch vor sich, die Berglehner-Maria, aber sie hat jeden Lebensmut verloren. Ihr Augenlicht erlischt, und keine Behandlung schlägt an.

Maria graust es vor der ewigen Dunkelheit, die ihr droht. Nicht einmal der junge Bauer Albert Hangleithner, der sie von Herzen liebt, kann ihr diese Angst nehmen. Doch Dr. Burger ist noch nicht bereit, aufzugeben. Er forscht nach der Ursache von Marias Symptomen und kommt etwas Ungeheuerlichem auf die Spur …

Es war eine Nacht zum Fürchten.

Der Sturm wehte die Zweige des nahen Kirschbaums gegen die Fenster des Doktorhauses. Mit einem ratschenden Geräusch peitschten sie das Glas, ehe sie sich zurückzogen, als wollten sie zu Atem kommen, um erneut vorzupreschen. Der Regen verwandelte die nahe Dorfstraße in einen rauschenden Bach. Bleigraue Wolken jagten am Himmel südwärts und ließen keinen Strahl Mondlicht zur Erde.

Seit Stunden fauchte der Sturm über das Dorf hinweg. Er trieb Äste, Blätter und vereinzelte Wäschestücke vor sich her, die er irgendwo von einer Leine gerissen hatte.

Im Radio warnte der Wetterbericht davor, dass zahlreiche Straßen von umgestürzten Bäumen versperrt wurden. Im Augenblick gelangte niemand nach St. Christoph hinein oder heraus.

Dr. Burger wachte seit Stunden am Bett seiner Patientin. Maria Berglehner war noch jung. Gerade achtzehn Lenze zählte sie. Ein zierliches Madel, das schon früh im Leben großes Leid erfahren hatte.

Marias blasses Gesicht wurde von blonden Haaren eingerahmt. Einige Strähnen hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und klebten feucht auf ihrer Stirn. Eine kleine Narbe kerbte ihre rechte Augenbraue – ein Überbleibsel eines Sturzes von der Schaukel, als sie neun Jahre alt gewesen war. Ernstlich krank war Maria noch nie gewesen.

Jedenfalls nicht bis zu dieser Nacht.

Sie warf sich im Bett hin und her, geschüttelt von Krämpfen und Übelkeit. Maria war beängstigend bleich. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Sie flüsterte zusammenhanglose Worte, die keinen Sinn ergaben.

Sorgenvoll überwachte der Bergdoktor ihren Zustand. Marias Blutdruck war gefährlich hoch trotz der Medikamente, die sie von ihm bekam.

Das Patientenzimmer im ersten Stock seines Hauses war mit allem ausgestattet, was für die Notfallversorgung von Patienten gebraucht wurde. Trotzdem begann er allmählich zu befürchten, dass seine Maßnahmen nicht ausreichen würden.

Zack! Plötzlich erloschen sämtliche Lichter im Haus. Martin Burger spähte alarmiert aus dem Fenster. Auch draußen war es dunkel. Nirgendwo im Dorf brannte noch ein Licht. Selbst die Straßenlaternen waren ausgefallen. Schwärze hüllte das Tal ein wie ein dicht gewebter Wollmantel.

Der Sturm musste die Stromversorgung gekappt haben!

So etwas kam in den Bergen immer wieder mal vor, deshalb waren die Dorfbewohner vorbereitet. Auch die Burgers bewahrten in jedem Zimmer Kerzen auf.

Rasch nahm Dr. Burger Kerzen aus der Nachttischschublade, zündete sie an und verteilte sie im Raum: jeweils zwei auf dem Nachttisch und auf dem Fensterbrett.

Das sanfte Licht ermöglichte ihm das Ablesen der Instrumente.

Die Werte auf dem Blutdruckmessgerät bereiteten ihm Sorgen. Noch schlimmer jedoch war der trübe Blick seiner Patientin. Ihre Augen schienen durch ihn hindurchzusehen!

Marias Augenlicht schwand. Der Verfall hatte vor wenigen Stunden eingesetzt und schien nicht zu stoppen zu sein.

Dr. Burger war der Ursache ihrer Beschwerden auf der Spur, aber noch weit davon entfernt, ein Heilmittel zu haben.

Das Madel gehörte eigentlich in eine Spezialklinik, aber bei diesem Wetter war an einen Transport nicht einmal zu denken. Auf der Straße hinunter ins Tal lagen mehrere Bäume quer, und der Rettungshubschrauber konnte bei dem Sturm nicht starten. Sie waren auf sich allein gestellt.

Marias Zustand verschlechterte sich rapide.

Ihre Sehnerven waren schwer geschädigt. Die Sicht trübte sich immer weiter ein. Maria drohte zu erblinden. Bei diesem Gedanken schnürte sich dem Arzt die Kehle zu, aber er durfte sich von seinem Mitgefühl nicht ablenken lassen. Es fiel ihm jedoch schwer, das Licht in ihren veilchenblauen Augen erlöschen zu sehen und nichts dagegen tun zu können.

Die Medikamente taten ihre Arbeit und machten Maria müde. Wenigstens das. Ihre Lider fielen zu, und sie dämmerte ein. Erholsam schien ihr Schlaf jedoch nicht zu sein. Immer wieder stöhnte sie. Die Schmerzen und die Angst verfolgten sie offenbar bis in ihre Träume.

Armes Hascherl, dachte Dr. Burger. Erst verliert sie die Mutter und jetzt das … Etwas in ihm versteifte sich. Er mochte den Gedanken nicht einmal zu Ende bringen.

Es musste doch etwas geben, das er für sie tun konnte!

Verzweifelt sann er hin und her. Er arbeitete seit vielen Jahren als Landarzt in den Bergen und hatte schon so manchen Notfall gemeistert. In dieser Nacht schien er jedoch an seine Grenzen zu stoßen.

»Halte durch, Maria«, spornte er seine Patientin mit gedämpfter Stimme an. »Wir müssen darauf vertrauen, dass die Behandlung Wirkung zeigt. Etwas anderes bleibt uns nimmer …«

»Martin?« Seine Frau kam herein und stellte ihm einen Becher Kakao hin. »Lass mich dich ablösen. Du bist seit über zwanzig Stunden auf den Beinen und brauchst Schlaf.«

»Net heute Nacht. Ich will bei Maria bleiben. Ihr Schicksal steht auf der Kippe. Wenn das Schlimmste eintritt, muss ich da sein.«

»Willst du dich net wenigstens etwas ausruhen?«

»Ich könnte jetzt doch net schlafen.«

Sabine nickte verstehend. Dann richtete sich ihr Blick auf das schlafende Madel.

»Glaubst du, sie wird zurechtkommen, wenn das Schlimmste eintritt?«

»Ich weiß es net. Vielleicht würde sie es schaffen, wenn sie jemanden hätte, auf den sie sich verlassen kann. Aber ihre Familie wird es ihr nur schwerer machen.«

»Das schätze ich auch. Maria steht allein da, und das ist net gut …« Seine Frau unterbrach sich, als draußen krachend etwas gegen das Fenster schlug. Ein Ast? Oder ein Vogel? Das war unmöglich zu sagen. Schon spülte der heftige Regen alle Spuren von der Scheibe fort.

Der Lärm weckte Maria. Mit weit aufgerissenen Augen fuhr sie hoch und drehte ihren Kopf nach links und rechts.

»Hallo?« Sie blinzelte. »Ist jemand hier?«

»Ich bin da, Maria.« Der Bergdoktor legte ihr beruhigend eine Hand auf den Arm. »Alles ist gut.«

»Herr Doktor.« Ein tiefer Atemzug entfuhr ihr. »Ach, bitte, schalten Sie doch das Licht an. Es ist ja so furchtbar dunkel. Das macht mir Angst.«

Dr. Burger fing einen erschrockenen Blick seiner Frau auf. Er schob die Kerze näher an Maria heran. Die Augen seiner Patientin wanderten ziellos umher, als würde sie versuchen, die Dunkelheit zu durchdringen.

In dem Patientenzimmer war es nicht dunkel.

Die Kerzen erhellten den Raum genug, um die Panik erkennen zu lassen, die mit einem Mal in Marias Augen flackerte.

»Herr Doktor? Warum sagen Sie denn nichts?«

»Maria …«

»Nein!« Ihr Aufschrei gellte von den Wänden wieder. »Nein, bitte, nur das net …« Sie presste sich beide Fäuste vor den Mund. Ihre Augen irrten umher, aber das Licht darin war erloschen.

»Maria, bitte, beruhige dich …«

»Wenn ich nichts mehr sehen kann, will ich nimmer leben.« Flehend hob sie eine Hand zu ihm empor. »Helfen Sie mir, Doktor. Bitte, bitte, helfen Sie mir.«

Er hätte nichts lieber getan als das, aber alles, was er bislang versucht hatte, um den Verfall zu stoppen, war vergebens gewesen. Anscheinend ließ sich die Zerstörung ihrer Sehnerven nicht rückgängig machen. Das Schlimmste war eingetreten: Der Verfall war weiter vorangeschritten.

Was sollte er jetzt noch versuchen? Seine Mittel waren ausgeschöpft!

Vor wenigen Tagen war Maria noch kerngesund gewesen.

Jetzt war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Als Arzt und Wissenschaftler wusste Martin Burger, dass es für alles einen Grund gab. Der Zustand der jungen Frau war durch irgendetwas verursacht worden – und diesen Auslöser musste er finden, wenn er ihr helfen wollte. Doch ihm stand nicht die Ausrüstung eines großen Krankenhauses zur Verfügung. Wie konnte er ihr jetzt noch helfen?

Angestrengt suchte er nach einem Ausweg.

Vor einiger Zeit hatte ein Schicksalsschlag das Leben seiner jungen Patientin auf den Kopf gestellt. Waren die dramatischen Ereignisse dieser Nacht die Folge davon?

***

Zwei Wochen zuvor

»Das Dirndl ist zu eng!« Irmingard Rossbach drehte sich vor dem Spiegel und schnappte nach Luft. »Ich kann darin kaum atmen. Was hast du nur mit meinem Kleid angestellt, du dummes Ding? Willst du etwa, dass mich die Leute auslachen?«

»Natürlich net.« Maria schüttelte erschrocken den Kopf.

Sie hatte der Bäuerin das tannengrüne Dirndl auf den Leib geschneidert und sogar noch etwas Luft gelassen, weil sie wusste, dass die Mittfünfzigerin ihre Garderobe gern leger trug. Allerdings war das Kleid seit über drei Monaten fertig, und inzwischen stimmten die Maße der Bäuerin nicht mehr.

»Ich hab alles genau abgemessen«, verteidigte sie sich.

»Soll das etwa heißen, ich hätte zugenommen?« Der Blick, der Maria aus eisblauen Augen traf, hätte einen wütenden Braunbären Reißaus nehmen lassen.

Maria schluckte. Sie wusste, dass die Bäuerin ihr das Leben schwer machen würde, wenn sie keine Lösung fand.

»Ich könnte die Nähte herauslassen.«

»Dafür ist keine Zeit mehr. Wir wollen gleich aufbrechen. Ich werde flach atmen müssen und mich den ganzen Abend über unwohl fühlen. Und das ist ganz allein deine Schuld.« Die Bäuerin funkelte Maria wütend an, während sie ihre Schürze umband.

Tatsächlich saßen die Nähte des Mieders alarmierend stramm, und auch der Rock spannte über ihrem ausladenden Hinterteil. Das entging auch dem Bauern nicht, der nun in die Schlafkammer spähte.

»Bist du fertig, Irmi?«

»Gleich, Severin.«

»Sag mal, willst du wirklich so gehen? In dem Dirndlgwand siehst du aus wie eine Presswurst. Hast du kein anderes Kleid?«

»Das ist die Schuld deiner Tochter. Sie hat das Kleid zu eng genäht. Offenbar will sie net, dass ich hübsch aussehe.«

»Ist das wahr, Maria?« Severin Rossbach richtete den Blick auf seine Tochter. Es lagen weder Vorwurf noch Ärger in seinen Augen, sondern nur eine stumme Frage.

»Ich hab das Kleid sorgfältig genäht, Vater. Nach den Maßen, die ich mir aufgeschrieben hatte.«

»Also hat Irmi zugenommen?«

Maria biss sich auf die Lippen, denn was auch immer sie jetzt erwiderte, würde sich als Fehler herausstellen. Oh, verflixt, warum hatte sie überhaupt angeboten, der Bäuerin ein Kleid für den Sommertanz zu nähen? Sie hätte sich denken können, dass das nach hinten losgehen würde. Allerdings hatte sie der Bäuerin eine Freude machen wollen.

Sie war geschickt mit Nadel und Faden und nähte all ihre Sachen selbst. Das Talent hatte sie von ihrer Mutter geerbt, die … Ein heißer Stich fuhr durch ihre Brust, geradewegs in ihr Herz hinein, als sie an ihre Mutter dachte. Auch ein halbes Jahr nach ihrem Tod fehlte sie Maria so sehr, dass es kaum auszuhalten war.

»Dieses Madel ist ein Ärgernis«, schalt Irmingard, als wäre Maria gar nicht da. »Ich bin wirklich geduldig, das weißt du … Da brauchst du gar net so zu schnauben. Ich bin geduldig, aber was zu viel ist, ist zu viel. Meine Freundinnen fragen mich ständig, wie ich es aushalte, andauernd daran erinnert zu werden, dass du mich vor neunzehn Jahren mit dieser Urlauberin betrogen hast. Und dass du ein Kind mit ihr hast. Maria ist das Produkt deines Seitensprungs, und ich hab sie tagein, tagaus vor der Nase. Wie würdest du dich fühlen, wenn die Situation umgekehrt wäre?«

»Es ist für keinen von uns leicht«, gab der Bauer zu, »aber Maria ist meine Tochter, und ich werde für sie da sein.«

»Vergiss net, dass du auch einen Sohn hast. Unseren Sohn, Severin.«

»Er studiert in Salzburg und ist gut aufgehoben. Maria jedoch hat seit dem Tod ihrer Mutter kein Zuhause mehr. Wir sind jetzt ihre Familie. Sie gehört zu uns. Hier ist sie, und hier bleibt sie.«

Nun war es an der Bäuerin zu schnauben.

Maria wusste, dass sie auf dem Hof nur geduldet, aber nicht gewollt war. Ihre Mutter hatte sie allein großgezogen. Ihr Vater hatte nicht einmal gewusst, dass sie existierte. Das hatte ihre Mutter ihm erst erzählt, als der Tumor und die Chemotherapien sie stark geschwächt hatten und sie gespürt hatte, dass sie den nächsten Winter nicht mehr erleben würde.

Da hatte sie Severin gebeten, seine Tochter bei sich aufzunehmen und ihr der Vater zu sein, den sie brauchte. Und von Maria hatte sie sich gewünscht, dass sie ihrem Vater eine Chance gab. Wenige Tage, nachdem das geregelt war, hatte sie den Kampf gegen den Krebs verloren.

Maria und ihre Mutter waren immer auf sich allein gestellt gewesen. Das hatte sie verbunden. Und nun klaffte in Marias Herz eine Lücke, die sich wohl niemals wieder ganz schließen würde.

Ihr Vater gab sich alle Mühe, ihr ein Zuhause zu bieten, aber seine Frau ließ keinen Zweifel daran, dass Maria für sie wie ein Dorn im Fleisch war.

Irmingard hatte auf einem Bluttest bestanden, um Severins Vaterschaft zu bestätigen. Der Test hatte nicht das Resultat gebracht, das sie wohl insgeheim erhofft hatte. Maria war zweifelsfrei sein Kind. Das Ergebnis machte sie der Bäuerin noch verhasster.

Am liebsten hätte Maria den Hof verlassen und sich allein durchgeschlagen. Die Matura hatte sie in diesem Jahr abgelegt. Sie könnte sich Arbeit suchen. Irgendwo, wo man sie nicht ansah wie etwas, das unter der Schuhsohle klebte, aber sie wollte das Versprechen nicht brechen, das sie ihrer Mutter gegeben hatte.

»Wir müssen los.« Ihr Vater legte Maria eine Hand auf die Schulter. »Willst du wirklich net mitkommen? Der Sommertanz würde dir gewiss gefallen.«

»Ich bleibe lieber daheim und lese«, erwiderte sie leise. Zum Tanz wäre sie schon gern mitgegangen, aber sie wusste, dass sie damit die Missbilligung der Bäuerin auf sich gezogen hätte.

Ihr Vater wandte sich zum Gehen, und seine Schritte verklangen auf der Treppe.

»Wenn du daheimbleibst, kannst du dich auch nützlich machen. Zupf das Unkraut im Garten aus. Und vergiss die Kräuterbeete net«, zischte Irmingard sie an, als Severin außer Sichtweite war.

Das Unkraut. Maria zuckte zusammen. Damit stand ihr eine Arbeit von Stunden bevor. Der Garten rings um das Bauernhaus war so weitläufig, dass mehrere Mannschaften gleichzeitig darin Fußball spielen könnten.

»Oder wird dir das zu viel?«, schnappte Irmingard.

»Nein, ich kümmere mich darum.« In Gedanken verabschiedete sich Maria von ihrem Plan, den Abend lesend zu verbringen. Dazu würde sie nun nicht mehr kommen.

Irmingard nahm eine grüne Handtasche vom Stuhl und schob sich an Maria vorbei, nicht ohne diese mit der Schulter anzustoßen.

»Pass doch auf!«

Maria schwieg. Sie wusste inzwischen, dass die Bäuerin Widerworte immer mit lautem Geschimpfe quittierte.

Wenig später verließen ihr Vater und seine Frau das Bauernhaus. Severin Rossbach war hochgewachsen und durchtrainiert von der harten Landarbeit. In seinem weißen Trachtenhemd und der Lederhose wirkte er trotz seiner grau melierten Jahre jünger als achtundfünfzig Jahre. Seine Frau war klein und untersetzt. Die Unterschiede zwischen ihnen traten mit jedem Jahr deutlicher zutage.

An diesem Abend war in St. Christoph Sommertanz. Schon seit Tagen wurde vor der Kirche gewerkelt. Eine Bühne, Bänke und Holztische waren aufgebaut worden, und die Hexensteiner würden zum Tanz aufspielen. Ihre schwungvollen Polkas waren im ganzen Dorf beliebt.

Das Wetter meinte es gut mit den Dorfbewohnern. Nur wenige Wolken trieben träge über den blauen Himmel dahin. Die Berge lagen in leichtem Dunst – ein Zeichen, dass sich das sonnige Wetter halten würde.

Maria band sich eine Schürze über ihr gelbes Sommerkleid, um es vor Schmutz und Erde zu schützen, und verließ das Haus. Von der nahen Weide kam freudiges Wiehern. Joker warf den Kopf zurück und trabte über die Wiese heran. Der Braune mit dem goldblonden Schweif war Maria treu ergeben. Wegen einer Huferkrankung hatte er zum Schlachter gebracht werden sollen.