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Die hübsche Sennerin Mariele staunt nicht schlecht, als sich ein junger Mann mit blutverschmierter Kleidung und Schnittwunden im Gesicht auf ihre Alm verirrt. Er stammelt etwas von einem Unfall, versichert ihr aber, dass außer ein paar Schrammen alles okay sei.
Spontan bietet Mariele dem sympathischen Burschen an, sich ein paar Tage auf ihrer Alm zu erholen. Doch statt besser geht es ihm bald immer schlechter. Kopfschmerzen, Übelkeit und Sehstörungen - Julian wird immer apathischer.
Mariele bekommt es mit der Angst zu tun und will Dr. Burger zu Hilfe rufen. Als sie kurz darauf an Julians Bett zurückkehrt, ist er verschwunden ...
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Seitenzahl: 128
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Verliebt in den Bergkönig
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf / Bastei Verlag
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-5075-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Verliebt in den Bergkönig
Wird er Mariele nach einer Nacht voller Leidenschaft bitter enttäuschen?
Von Andreas Kufsteiner
Die hübsche Sennerin Mariele staunt nicht schlecht, als sich ein junger Mann mit blutverschmierter Kleidung und Schnittwunden im Gesicht auf ihre Alm verirrt. Er stammelt etwas von einem Unfall, versichert ihr aber, dass außer ein paar Schrammen alles okay sei.
Spontan bietet Mariele dem sympathischen Burschen an, sich ein paar Tage auf ihrer Alm zu erholen. Doch statt besser geht es ihm bald immer schlechter. Kopfschmerzen, Übelkeit und Sehstörungen – Julian wird immer apathischer.
Mariele bekommt es mit der Angst zu tun und will Dr. Burger zu Hilfe rufen. Aber als sie kurz darauf an Julians Bett zurückkehrt, ist er verschwunden …
»Diese verflixten Mücken!« Lois Kramer schabte sich den rechten Oberarm. »Ich kann kaum so viel kratzen, wie es juckt!«
»Kratzen macht es nur schlimmer, Lois«, ermahnte Dr. Burger seinen Patienten. »Besser ist es, die betroffenen Hautstellen mit Zwiebelsaft einzureiben.«
»Na, der stinkt. Wenn ich das mache, weigert sich meine Irmi wieder, mich zu busserln. Da ertrag ich lieber den Juckreiz. Oder gibt es noch ein anderes Hausmittel dagegen?«
»Du kannst die Stelle mit Alkohol abtupfen.«
»Mit Alkohol?« Die Miene des Landwirts hellte sich auf. »Hilft der auch innerlich angewendet?«
»Äußerlich, Lois, äußerlich.«
»Verflixt.« Das Bett knarrte leise, als sich der Bauer aufrichtete oder es zumindest versuchte. Er verharrte mitten in der Bewegung und stöhnte. »Das Kreuz macht mir wieder zu schaffen, Herr Doktor. An Tagen wie heute spür ich jedes meiner Jahre doppelt und dreifach.«
Martin Burger nickte verstehend und untersuchte seinen Patienten. Mit seinen fünfundfünfzig Jahren stand der Bauer mitten im Leben. Lois bewirtschaftete einen Bauernhof in St. Christoph und war selten krank. Nur sein Rücken, der streikte immer wieder.
Aus diesem Grund hatte er den Bergdoktor an diesem Nachmittag auch zum Hausbesuch gebeten. Die Symptome waren eindeutig.
»Ein Hexenschuss, Lois. Ich werde dir eine Spritze geben. Sie wird die Schmerzen lindern. Danach solltest du dich vorsichtig wieder bewegen. Still zu liegen würde die Muskeln verhärten und alles schlimmer machen. Keine Heldentaten, aber leichte Bewegung wird dir guttun.«
»Im Augenblick ist Zwinkern die einzige Bewegung, die ich schmerzfrei ausführen kann.« Lois schob das bärtige Kinn vor.
Der Bergdoktor bat ihn, das Hemd hochzuziehen, desinfizierte die Haut an seiner Hüfte und injizierte das Medikament. Anschließend richtete er sich wieder auf.
»In einer halben Stunde sollten deine Beschwerden abklingen.«
»Das hört sich gut an.«
»Ich schreibe dir eine Physiotherapie auf. Geh diesmal wirklich hin, auch wenn du wenig Zeit hast. Die Behandlungen beugen weiteren Zwischenfällen vor.«
»Also schön. Ich werde es versuchen.«
»Ausgezeichnet.« Dr. Burger stellte seinem Patienten ein Rezept aus und bat ihn anzurufen, sollten die Beschwerden am nächsten Morgen nicht besser sein. Anschließend verabschiedete er sich und machte sich auf den Heimweg.
***
Lois Kramer war sein letzter Patient für diesen Nachmittag gewesen. Die Hausbesuche hatten ihn nicht weit von seiner Praxis weggeführt, deshalb hatte er das Auto stehen gelassen. Das sonnige Juniwetter lud zum Spazierengehen ein, deshalb genoss er den Fußmarsch nach Hause.
Das Doktorhaus lag am Ende der Kirchgasse in unmittelbarer Nähe zum Wald. Er hatte es mitsamt der Praxis von seinem Vater übernommen, als dieser sich vor einigen Jahren zur Ruhe gesetzt hatte. Als Hausarzt erfuhr er vieles aus dem Leben seiner Patienten und half auch bei privaten Sorgen, wo er konnte.
Dr. Burger liebte das Leben in seinem Heimatdorf. Die Zillertaler Berge umgaben es wie steinerne Wächter. Die Hektik der modernen Zeit hatte hier noch nicht Einzug gehalten. Hier in den Bergen lief alles einen Gang gemütlicher als anderswo …
Unvermittelt raste ein knallroter Sportwagen an ihm vorbei.
… oder auch net, ging es ihm durch den Kopf. Wer braust denn in einem solchen Affenzahn durch unser Dorf? Er konnte noch einen Blick auf das Kennzeichen erhaschen. Eine Münchner Nummer war es. Dann verschwand der Wagen hinter einer Kurve. Mei, der fährt ja, als würden seine Schuhsohlen brennen. Wohin mag er so eilig unterwegs sein?
Kopfschüttelnd setzte er seinen Weg fort.
Der Frühsommer ließ das Gras auf den Hängen grün und saftig werden und machte die Luft mild und süß. Die Gipfel waren noch weiß gezuckert, aber hier unten im Tal blühte es, dass einem das Herz aufgehen konnte.
Plötzlich krachte es in der Nähe. Metall ratschte über Metall. Etwas knirschte so unangenehm, dass es in den Ohren schmerzte. Glas splitterte. Alarmiert blieb Dr. Burger stehen.
Ein Unfall? Offenbar ganz in der Nähe!
Sehen konnte er nichts, aber das Unglück musste sich irgendwo im Dorf ereignet haben. Und zwar genau in der Richtung, in die der Sportwagen gefahren war!
Ohne zu zögern, eilte er los. Mit langen Schritten stürmte er die Dorfstraße hinunter und um die Kurve. Rechts von ihm ragte der Zwiebelturm der Dorfkirche auf. Links floss der Mühlbach vorbei.
Die Straße führte an einer Wiese entlang, und dort lag der Sportwagen, der vor wenigen Augenblicken noch an ihm vorbeigezischt war.
Einsam und ein wenig unheimlich blinkte eine einzelne orangefarbene Warnleuchte auf. Das Fahrzeug lag auf dem Dach, musste von der Straße abgekommen sein und sich überschlagen haben!
»Um Himmels willen!« Dr. Burger rannte durch das Gras zu dem verunglückten Wagen. Im nächsten Moment sprang die Fahrertür auf. In der Öffnung wurde ein junger Mann sichtbar. »Net bewegen! Bleiben Sie sitzen. Ich bin gleich bei Ihnen!«
Der Fahrer hörte nicht auf ihn. Er löste seinen Gurt und wälzte sich aus dem Wagen. Keuchend rollte er sich ins Gras und blieb neben dem Auto liegen.
Er war noch jung, Mitte zwanzig ungefähr, und hatte schwarze Haare und ein sommerlich gebräuntes Gesicht. Seine Kleidung war mit Blut befleckt, aber der Leinenstoff und der tadellose Sitz verrieten den guten Schneider. Als er sich nun mit dem Handrücken über die Augen rieb, blitzte eine goldene Uhr an seinem Handgelenk.
Dr. Burger kniete sich neben ihn ins Gras und stellte seine Einsatztasche ab.
»Alles wird gut. Ich kümmere mich um Sie. Martin Burger heiße ich. Ich bin Arzt. Können Sie mir Ihren Namen sagen?«
»Arzt?« Der Fremde ließ seinen Arm sinken.
»Ja, meine Praxis ist gleich dort drüben. Sie haben eine Wunde am Kopf. Lassen Sie mich sehen.«
»Nein!« Der Verletzte bog sich zur Seite weg. »Bleiben Sie mir bloß vom Hals!«
»Ich werde Ihnen nichts tun.« Bestürzt sah er den jungen Mann an. »Aber ich muss Sie untersuchen. Sie haben sich mit dem Wagen überschlagen und sind verletzt.«
»Mir fehlt nichts.« Der Fremde richtete sich im Gras auf. Er schwankte sichtlich und presste die Lippen zu einem blutleeren Strich zusammen. Als der Bergdoktor nach seinem Puls tasten wollte, fuhr er zurück. »Nehmen Sie Ihre Hände weg!«
Dr. Burger konnte sich keinen Reim auf das Verhalten des Fremden machen. Er hatte den jungen Fahrer vorher noch nie gesehen. Seine Antipathie konnte also keinen persönlichen Grund haben. Welchen aber dann? Warum wollte er sich nicht von ihm helfen lassen?
»Ich werde den Rettungsdienst rufen«, bot er an. Doch auch das lehnte der Mann ab.
»Ich brauche Ihre Hilfe net. Ich komme allein zurecht.«
»Aber Sie müssen ins Krankenhaus und gründlich untersucht werden. Röntgenaufnahmen sind notwendig, um innere Verletzungen und Brüche auszuschließen.«
»Das kommt überhaupt net infrage. Ich danke Ihnen für Ihre Besorgnis, aber mir geht es gut. Ich will Ihre Hilfe net, und ich brauche sie auch net.« Der Fahrer zog ein Handy aus seiner Hosentasche, tippte kurz darauf herum und hob das Gerät ans Ohr, ohne sich weiter um ihn zu kümmern.
Dem kurzen Gespräch, das er führte, entnahm Martin Burger, dass der Verletzte Julian Mittermaier hieß und um einen Abschleppwagen bat.
Sorgenvoll musterte der Arzt ihn. Er hatte etliche Schrammen und vermutlich eine Gehirnerschütterung davongetragen. Und wer weiß, wie es innerlich aussah. Seine Milz könnte gerissen sein. Er könnte auch innere Blutung haben. Eine Untersuchung war dringend geboten.
Der Fahrer verweigerte weiterhin eine Untersuchung.
»Kommen Sie zu mir, wenn Sie es sich überlegen oder wenn Sie sich schlechter fühlen, Herr Mittermaier. Meine Praxis finden Sie dort, am Ende der Kirchgasse. Es ist immer jemand da. Tag und Nacht.«
»Vielen Dank, aber das wird net notwendig sein.« Er machte eine abwehrende Handbewegung. Dabei rann ihm das Blut über das Gesicht und tropfte auf sein Hemd.
So etwas hatte der Bergdoktor noch nicht erlebt. Warum verweigerte der Verletzte eine Behandlung? Verbarg er womöglich etwas? Unwillkürlich streifte sein Blick das Fahrzeug. Befand sich im Kofferraum etwas, das er nicht finden sollte? Oder hatte das Verhalten des Fahrers einen anderen Grund?
***
»Zweiundvierzig Kühe stehen auf meiner Alm, stehen auf meiner Alm.« Fröhlich sang Mariele das Lied, das sie selbst erdacht hatte, zu einer munteren Melodie, während sie kräftig ausschritt.
Als Sennerin versorgte sie die Kofler-Alm, die gut eine Stunde Fußweg von ihrem Heimatdorf St. Christoph entfernt war. Zu ihren Aufgaben gehörte es, die Kühe zu versorgen, zu melken und die Milch zu verarbeiten.
Einmal am Tag machte sie eine Runde über die Wiesen und Hänge der Alm und zählte die Tiere durch. Keines durfte fehlen. War eines nicht da, musste sie so lange suchen, bis sie es gefunden hatte. Das konnte durchaus ein paar Stunden dauern, denn die Alm war weitläufig, und die Kühe streiften auf der Suche nach dem saftigsten Gras gern umher.
Bei Regen und Sonnenschein war die Suche eine Sache, hin und wieder gab es jedoch auch Nebel, dann war Marieles Orientierungssinn gefragt, um den Weg zurück zu ihrer Hütte zu finden. An diesem Tag bestand keine Gefahr. Die Sonne strahlte vom wolkenlos blauen Himmel, und Schmetterlinge gaukelten rings um sie über die blühenden Wiesen.
Ein Sommertag wie aus dem Bilderbuch!
Mariele liebte ihre Arbeit. Sie stand morgens um halb fünf auf, wenn es noch stockdunkel war und in der Ferne das Läuten der Kuhglocken zu hören war. Dann heizte sie die Stube mit dem Holzofen an und kurbelte am Butterfass.
Um halb sechs holte sie die Kühe von der Weide, um sie zu melken. Die Milch wurde gleich weiterverarbeitet und kam in die Zentrifuge, daraus entstanden Rahm, Topfen und Käse. Anschließend Ausmisten, Brot backen, Wanderer bewirten, Kühe zählen, Zäune und Brunnen kontrollieren … An Arbeit mangelte es ihr niemals.
Abends fiel Mariele erschöpft, aber zufrieden in ihr Bett, bis in der Früh wieder der Wecker klingelte.
Zwei Milchkühe, dreißig Kalbinnen und zehn Kälber gehörten zu ihrer Viehherde. Kalbinnen waren keine Kälber mehr, hatten aber auch noch nicht selbst gekalbt. Kälber waren ganz junge Tiere, noch kein Jahr alt.
Die beiden Milchkühe lieferten vierzig bis fünfzig Liter Milch – und das jeden Tag. Das nahm eine Menge Zeit in Anspruch, aber es lohnte sich. Auf der Alm herrschte an frischer Milch und sahnigem Almkäse nie ein Mangel.
Es war Marieles drittes Jahr als Sennerin. Mittlerweile galt sie bei den Bauern unten im Tal als »alter Hase«. Man vertraute ihr gern die Tiere an, die den Grundstock des Hofes bildeten. Eine große Verantwortung, das vergaß Mariele nie.
Sie hatte alle Tiere durchgezählt und war auf dem Rückweg zu ihrer Hütte. In einem Weidenkorb sammelte sie Wildkräuter – Brennnesseln, Schafgarbe und Hirtentäschel, Meisterwurz und vieles mehr. Sie trocknete die Kräuter daheim und machte Tees und Würzmischungen daraus.
Unterwegs kontrollierte sie die Brunnen. Die Wasserstellen verteilten sich auf vierzig Hektar Almfläche. Hin und wieder verstopften Schlamm und Steine die Brunnen, vor allem, wenn es geregnet hatte, oder das Wasser versiegte nach langen Trockenperioden.
Deshalb war es wichtig, regelmäßig zu überprüfen, dass es überall sprudelte. Die Kühe waren darauf angewiesen und merkten sich die Lage der Brunnen in ihrem ersten Almsommer oft schon nach kurzer Zeit.
Mariele bückte sich nach zarten Löwenzahnblättern und pflückte sie. Die würden sich später gut in ihrem abendlichen Salat machen.
Die Sonne schien so warm auf sie herab, dass sie sogar in ihrer luftigen Garderobe schwitzte.
Sie hatte Shorts an, die ihre gebräunten Beine frei ließen, und ein veilchenblaues T-Shirt, das bereits ausgeleiert war, so oft war es schon gewaschen worden, aber die Kühe störte das nicht. Ein Strohhut saß auf ihren hellblonden Haaren.
»Mei, ist das eine Hitze, was?« Ein silberhaariger Mann kam den Wanderweg vor ihr herauf. Es war Pankraz Burger, der Vater des Bergdoktors, der früher selbst als Landarzt tätig gewesen war.
Er führte einen Rauhaardackel an der Leine, der freudig wedelnd vor Mariele stehen blieb und erwartungsvoll zu ihr aufsah. Sie enttäuschte ihn nicht, kauerte sich hin und kraulte ihn zwischen den Schlappohren.
»Grüß Gott, Herr Doktor. Ja, die Sonne meint’s heuer gut mit uns. Machen Sie einen Spaziergang?«
»Ja, der Poldi braucht jeden Tag seine Runde. Und ich auch. Ich hätte mir allerdings etwas zu trinken einpacken sollen. Hab die Hitze unterschätzt. Jetzt klebt mir die Zunge am Gaumen, und bis zum Dorf zurück ist es noch weit.«
»Da kann ich helfen.« Mariele holte eine Flasche mit Quellwasser aus ihrem Korb und reichte sie dem alten Arzt.
Dankbar nahm er und trank, ehe er sie absetzte.
»Ah, das hat gutgetan. Das Wasser war sogar noch kühl. Dabei sticht die Sonne hier oben ordentlich. Wie hast du das gemacht?«
»Ich hab die Flasche in ein nasses Tuch eingeschlagen.«
»Sehr praktisch.« Pankraz Burger nickte ihr zu. »Ich danke dir schön für die Erfrischung.«
»Jederzeit wieder.« Mariele verabschiedete sich und setzte ihren Weg fort. Eine Viertelstunde später tauchte die Almhütte vor ihr auf. Sie stand auf einer Anhöhe und bot einen weiten Ausblick auf die Zillertaler Berge.
Mariele hatte ein Gärtchen angelegt, in dem sie Salat, Tomaten und Erdbeeren selbst heranzog.
Nach dem langen Tag freute sie sich darauf, sich eine Weile auf die Bank vor der Hütte zu setzen und ihren Gedanken freien Lauf zu lassen, aber daran war noch nicht zu denken, denn ein Besucher wartete vor der Hütte auf sie.
Ein Hüne von einem Mann war es, mit dunklen Haaren und Händen groß wie Schaufeln. Gabor Nagys Familie stammte ursprünglich aus Ungarn, lebte jedoch seit vielen Jahren in den Bergen. Er selbst war hier geboren worden und arbeitete als Knecht auf dem Hof des Bürgermeisters.
Ein breites Lächeln kerbte sein Gesicht, als er ihr entgegensah. Trotzdem war Mariele auf der Hut.
Im Dorf erzählte man sich, dass er schon einmal bei einer Magd zudringlich geworden war. Es war nie zu einer Anzeige gekommen, aber er hatte etwas an sich, das Mariele Unbehagen einflößte. Vielleicht war es der Blick seiner tief liegenden Augen oder die Art, wie er sie musterte. Fast so, als würde sie ohne Kleidung vor ihm stehen.
»Mariele. Da bist du ja.« Gabor hielt ihr ein Kästchen hin. »Das ist für dich.«
»Für mich?« Sie lüftete den Deckel und fand darunter eine Brosche. Ein silberner Blumenkorb war es, und die Blüten bestanden aus Edelsteinen, die hübsch im Sonnenlicht glitzerten. »Diese Brosche hab ich schon gesehen. Gehört die net deiner Mutter?«
»Sie hat sie mir für dich gegeben.«
»Und weiß sie das auch?«
Seine Ohrspitzen färben sich rot und machten eine Antwort überflüssig.
»Mei, Gabor, bring ihr die Brosche zurück.«
»Aber ich will dir eine Freude machen.« Er blickte sie an wie ein begossener Pudel. »Gefällt sie dir net?«
»Doch, wenn deine Mutter sie trägt.«