1,99 €
Seit über sechzehn Jahren lebt Agnes Dammhuber nun schon in völliger Abgeschiedenheit auf ihrer Hochalm. Von den Menschen hat sie sich abgewandt, weil die sie wegen ihrer Brandnarben immer wieder gedemütigt haben. Selbst die Einsamkeit erscheint ihr besser als die hämischen Blicke in ihr entstelltes Gesicht.
Lediglich die Besuche von Dr. Burger bringen etwas Abwechslung in Agnes‘ Leben. Und so denkt sie auch jetzt, dass es der Bergdoktor ist, als es an der Hüttentür klopft.
Doch statt des Arztes tritt ein blutjunges Madel ein. Es trägt einen Henkelkorb mit einem neugeborenen Baby darin und beschwört Agnes, das Kind, das aus einer einzigen schwachen Stunde stammt, bei sich aufzunehmen.
Im ersten Impuls will Agnes empört ablehnen. Was soll sie mit einem Säugling auf der Alm? Doch dann beugt sie sich über das Körbchen - und sie weiß, dass der winzige Bub ihr Schicksal ist!
Als sie wieder aufblickt, ist die junge Mutter verschwunden ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 132
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Das Kind, das der Himmel schickte
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock / Natalia Deriabina
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-5188-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Das Kind, das der Himmel schickte
Das unerwartete Mutterglück verändert Agnes’ Leben
Von Andreas Kufsteiner
Seit über sechzehn Jahren lebt Agnes Dammhuber nun schon in völliger Abgeschiedenheit auf ihrer Hochalm. Von den Menschen hat sie sich abgewandt, weil die sie wegen ihrer Brandnarben immer wieder gedemütigt haben. Selbst die Einsamkeit erscheint ihr besser als die hämischen Blicke in ihr entstelltes Gesicht.
Lediglich die Besuche von Dr. Burger bringen etwas Abwechslung in Agnes’ Leben. Und so denkt sie auch jetzt, dass es der Bergdoktor ist, als es an der Hüttentür klopft.
Doch statt des Arztes tritt ein blutjunges Madel ein. Es trägt einen Henkelkorb mit einem neugeborenen Baby darin und beschwört Agnes, das Kind, das aus einer einzigen schwachen Stunde stammt, bei sich aufzunehmen.
Im ersten Impuls will Agnes empört ablehnen. Was soll sie mit einem Säugling auf der Alm? Doch dann beugt sie sich über das Körbchen – und sie weiß, dass der winzige Bub ihr Schicksal ist!
Als sie wieder aufblickt, ist die junge Mutter verschwunden …
»Hilde, Berta, Albertine, wo steckt ihr nur?« Agnes Dammhuber blickte sich ärgerlich um.
Ihre freiheitsliebenden Kühe waren mal wieder ausgebüxt. Dabei hatte sie gerade erst den Weidezaun repariert. Doch dieser war so marode, dass die Kühe keine Schwierigkeiten hatten, ihrem Freiheitsdrang nachzugeben und das Hindernis zu überwinden. Aber eine neue Umzäunung der Weiden konnte sie sich nicht leisten.
Seufzend machte sich die junge Sennerin auf die Suche nach den Ausreißern. Normalerweise würde sie die Kühe herumstreunen lassen. Sobald ihnen das Euter schmerzte, kamen sie freiwillig wieder zurück. Aber die Almwiesen lagen nahe an einem Abgrund und die Gefahr, dass eine Kuh abstürzte, war groß.
Seit nunmehr sechzehn Jahren lebte Agnes mit drei Kühen, ein paar Ziegen und Schafen sowie etwas Federvieh völlig abgeschieden auf der Sonnenbergalm am Frauenhorn, einem der sechs steinernen Wächter um das Hochtal von St. Christoph, dem romantischen Zillertaler Bergdorf.
Einzige Ausnahme war im letzten Herbst ein mehrwöchiger Aufenthalt bei ihrer kranken Großmutter in Innsbruck gewesen. In dieser Zeit waren ihre Tiere vom Nachbarbauern versorgt worden. Doch sonst harrte sie selbst im härtesten Winter in ihrem bescheidenen Heim aus.
Kaum volljährig hatte sie nach all den Demütigungen und Verleumdungen, die sie einer hässlichen Brandnarbe auf ihrer linken Wange verdankte, den Menschen den Rücken gekehrt.
Als kleines Mädchen hatte Agnes einen Topf mit heißer Suppe vom Herd gezogen und sich verbrüht. Ihre Eltern, arme Bergbauern, konnten sich aber keine kosmetische Operation für sie leisten, weshalb sie die hässliche Narbe zurückbehielt, die mit zunehmendem Alter noch auffälliger wurde. Das hatte sie zur Außenseiterin und zum Gespött der Gesellschaft gemacht. Manche bigotten Bergbewohner behaupteten gar, Gott persönlich habe sie gezeichnet, weil sie eine schwarze Seele habe.
Agnes lebte vom Verkauf ihrer Kälber und vom Erlös ihrer Erzeugnisse, die sie im Gemischtwarenladen der Jeggl-Alma in St. Christoph anbot. Der Ziegenkäse und die Westen, Jacken und Wollsocken, die sie an den langen, einsamen Winterabenden strickte, fanden reißenden Absatz. Im Laufe der Jahre hatte sie gelernt, wie man Schafwolle behandelte, diese mit natürlichen Mitteln färbte sowie ein Spinnrad bediente.
Sonst versorgte Agnes sich weitgehend selbst, machte aus der Kuhmilch Käse, Quark und Butter und baute Gemüse an. Nur die Grundnahrungsmittel wie Mehl, Zucker oder auch mal eine Flasche Wein kaufte sie im Gemischtwarenladen ein, wofür der Erlös ihrer Waren locker reichte.
Trotzdem packte die Jeggl-Alma die obligatorische Tafel Schokolade, Nervennahrung, wie sie scherzte, stets ohne Berechnung obenauf. Die gemütliche Ladenbesitzerin, die mit ihren silbrigen Löckchen und den roten Apfelbäckchen wie eine gütige Oma wirkte, war eine der wenigen Menschen, denen Agnes noch vertraute.
Für die gelegentlichen Fahrten nach Mayrhofen besaß Agnes glücklicherweise einen eigenen Wagen. Dadurch war sie nicht auf den Bus angewiesen zu sein, wo sie wieder dem Hohn der Spötter ausgesetzt wäre.
Ihr Ziel war dann der Stoffgroßhandel. Sie schneiderte sich ihre Kleidung selbst, nichts Besonderes, Trägerkittel aus blauem Baumwollstoff mit weißer Bluse darunter. Wegen ihrer etwas molligen Gestalt, die sie der Schokolade und so manch anderem Seelentröster verdankte, war das sackähnliche Gewand am einfachsten zu nähen. Für wen sollte sie sich auch hübsch machen? Sie brauchte keinen Mann, kam gut allein zurecht.
Am Anfang, als sie auf die einsame Alm gegangen war, hatte Agnes noch eine schöne ranke Figur gehabt, und so mancher Bursche hatte um ihre Gunst gebuhlt. Nicht, weil er sie hübsch fand oder sich gar in sie verliebt hätte, sondern einfach deshalb, weil sie in den Augen der Mannsbilder Freiwild war.
Alleinstehend und gezeichnet mit einer hässlichen Brandnarbe im Gesicht, musste sie doch froh sein, wenn sich überhaupt einer für sie interessierte!
Aus Kummer, dass niemand sie wirklich liebte, hatte Agnes angefangen, Schokolade in sich hineinzustopfen, mit dem Erfolg, dass die Mannsbilder nun einen Bogen um die dralle Jungfer von der Sonnenbergalm machten. Darüber war sie nicht unglücklich, wenn sie sich auch manchmal furchtbar einsam und verlassen fühlte. Mit ihren vierunddreißig Jahren sehnte sie sich schon nach einem zärtlichen Partner.
Agnes war auch nicht wirklich hässlich. Soweit ihr Gesicht unversehrt war, konnte man es durchaus als schön bezeichnen. Sie hatte volle, weiche Lippen, eine fein geschwungene Nase und Augen, so klar wie ein Bergsee. Das hatte ihr irgendwann einmal ein Bursche gesagt.
Dazu wallte ihr dichtes, braunes Haar, um das sie so manche Geschlechtsgenossin beneidete, in sanften Wellen auf die Schultern. Wenn sie es geschickt frisierte, fiel ihr Makel auch nicht gleich ins Auge.
Ebenso war ihre füllige Figur nicht wirklich abstoßend, sondern eher weiblich. Doch sobald ein Verehrer das Schandmal in ihrem Gesicht bemerkte, erlosch sein Interesse, oder Agnes war ihm allenfalls ein Gspusi wert. Dafür war sie sich aber zu schade.
Am Schlimmsten hatte sie als Kind unter der Missachtung ihres Vaters gelitten, der sich für seine hässliche Tochter schämte. Auch bei der Mutter hatte sie weder Trost noch Liebe gefunden. Diese war eine verhärmte Frau, die unter der Fuchtel ihres Mannes stand. Die viele Arbeit auf dem Berghof, die er ihr aufbürdete, hatte sie abgestumpft und unfähig gemacht, Gefühle zu zeigen.
Deshalb hatte Agnes damals nicht gezögert, auf die Alm zu gehen, als ihr ein betagter Großonkel zum achtzehnten Geburtstag seine Sennhütte geschenkt hatte.
Seither vergrub sie sich in der Abgeschiedenheit der Bergwelt und lebte ihr bescheidenes Leben. Mit den Eltern hatte sie gebrochen, ebenso mit dem einzigen Mann, den sie jemals geliebt hatte. Ihm hatte sie vertraut, und er hatte sie glauben lassen, dass ihn ihr Brandmal nicht störte. Aber dann hatte er eine andere geheiratet, eine bildhübsche Städterin.
***
»Hallo, Agnes, mal wieder auf der Suche nach deinen Desserteuren?«, riss die fröhliche Stimme von Dr. Martin Burger, dem Landarzt von St. Christoph, die Sennerin aus ihrer Versunkenheit.
»Oh, Herr Doktor, lang net gesehen«, gab Agnes lächelnd zurück. »Wollen Sie sich mal wieder ein Glasl frische Buttermilch abholen?«
Der nette Arzt, der von seinen Patienten nur respektvoll »Bergdoktor« genannt wurde, besuchte sie hin und wieder auf ihrer Alm, wenn er gerade in der Nähe war.
»Wenn’s net zu viel verlangt ist, mich gelüstet grad danach«, erwiderte der Bergdoktor grinsend und schob seinen breitkrempigen Filzhut ins Genick. Dieser schützte ihn vor der Sonne, die trotz der noch frühen Jahreszeit schon heiß vom Himmel brannte. Der Kalender zeigte gerade mal Anfang Mai.
»Ich war droben auf dem Hölzlhof, hab nach dem alten Sepp gesehen«, erklärte er. Er wies mit dem Kopf hinter sich. »Übrigens, deine drei Ausreißer dösen dort hinten im Schatten einer Kiefer.«
Agnes lachte. »Das ist ihr Lieblingsplatz. Vielleicht sollte ich da eine Weidefläche einzäunen, dann bleiben sie wenigstens vor Ort.« Sie runzelte die Stirn. »Wie geht’s dem Sepp? Als ich letztens bei ihm droben war, um ihm seinen geliebten Ziegenkäse zu bringen, machte er einen relativ guten Eindruck.«
Dr. Burger hob seufzend die Schultern.
»Trotzdem macht er’s wohl net mehr lang. Aber vierundneunzig Jahre sind nun mal ein gesegnetes Alter, und er wünscht sich selbst, endlich vor den Herrgott treten zu dürfen. Er meint, es sei an der Zeit, sein Plätzchen im Himmel einzunehmen, bevor noch ein anderer darauf Anspruch erhebt, weil er’s so lang verschmäht hat.«
»Manchmal ist’s besser, loszulassen, statt sich noch weiter zu quälen«, sinnierte Agnes zweideutig, was die Augenbrauen des Arztes in die Höhe schnellen ließ.
Er wusste, wie deprimiert die junge Sennerin oft war. Agnes war eine starke Persönlichkeit, die sich nicht so leicht unterkriegen ließ. Aber auch der stärkste Mensch wurde von der Mutlosigkeit übermannt, wenn er in seinem Leben keine Perspektive mehr sah. Agnes wünschte sich sehnlichst eine Familie, doch der Mann, der sie so akzeptierte, wie sie war, war ihr bisher noch nicht begegnet.
Dr. Burger seufzte innerlich. Er liebte Buttermilch, doch war es nur ein Vorwand, um nicht aufdringlich zu wirken. In Wahrheit wollte er nach dem Rechten sehen, wenn er in der Nähe war, und die unglückliche Frau ein wenig aufmuntern.
»Hab gesehen, dass du zwei neue Ziegen hast«, wechselte er das Thema, während er neben Agnes zu ihrer Hütte schritt.
Seit sie wusste, wo sich ihre Lieblinge befanden, hatte sie keine Eile, diese heimzuholen. Beim Kieferwäldchen bestand kaum Gefahr, dass sie sich versteigen konnten.
Die Sennerin nickte schmunzelnd.
»Das sind Bonnie und Clyde. Der Sepp hat mir die beiden als Gegenleistung für den Ziegenkäse überlassen, den ich ihm regelmäßig bringe. Es ist die einzige Nahrung, die er noch verträgt.«
Dr. Burger nickte. »Ja, die Kuhmilchunverträglichkeit ist ganz plötzlich aufgetreten.« Er musterte die Sennerin nachdenklich. »Hat sein Sohn denn nix dagegen, dass der Sepp dir so einfach zwei Ziegen schenkt? Der Jochen ist doch der schlimmste Geizkragen der ganzen Gegend. Selbst den Klingelbeutel in der Kirche ignoriert er geflissentlich und betet dafür lieber ein Vaterunser mehr.«
Agnes lachte. »Da sagen Sie ein wahres Wort, Herr Doktor. Als ich neulich von dem alten Bauer ein paar Eier zugesprochen bekam, hat der Jochen sie nur zähneknirschend herausgerückt.« Sie wies mit der Hand zu den Ziegen, die nun neugierig näher trabten. »Aber diese beiden Rabauken hat er mir gern überlassen. Sie haben ihre Namen net von ungefähr, haben nur Unfug im Kopf und stoßen ihre Artgenossen mit den Hörnern, wenn die ihnen in die Quere kommen.« Sie zeigte zur Bank vor der kleinen Sennhütte. »Setzen Sie sich doch, Herr Doktor, ich bring gleich die Milch.«
Rasch ging sie ins Haus und kam kurz darauf mit zwei Gläsern gekühlter Buttermilch zurück. Dr. Burger lief das Wasser im Mund zusammen.
»Genau das, wonach mir jetzt der Sinn steht«, schwärmte er und nahm einen tiefen Schluck, als ihn ein scharfer Schmerz zusammenzucken ließ. Eine der Ziegen war unbemerkt herangekommen und hatte ihn ins Bein gezwickt.
»Bonnie, wirst du wohl!«, schimpfte Agnes und jagte das hinterlistige Tier auf die Weide zurück. »Tut mir leid, Herr Doktor, aber außer ihrem Clyde mag Bonnie keine Mannsbilder. Das ist auch der Grund, warum der Jochen mir die Tiere so bereitwillig abgetreten hatte. Bonnie hat ihn ständig gezwickt. Nur seinen kleinen Sohn und seine Frau ließ sie ungeschoren, und mir tut sie auch nix.« Sie beäugte unbehaglich die Verletzung des Arztes, die das hochgekrempelte Hosenbein freigab, ein rötlich blauer Fleck an der rechten Wade. »Ist’s schlimm?«
»Net der Rede wert«, winkte der Bergdoktor lachend ab und ließ die Hose zurückgleiten. »Ich hab mich nur erschreckt, war auf eine solche Attacke net gefasst.«
Kein Wunder, wo sonst die holde Weiblichkeit dem Charme des gut aussehenden Arztes kaum widerstehen konnte, seufzte Agnes innerlich. Auch sie hatte ein Faible für den Bergdoktor. Trotz seiner einundfünfzig Jahre war er noch immer ein beeindruckender Mann, groß gewachsen, athletische Figur und ein markantes Gesicht mit kleinen Lachfältchen, die von seinem Humor zeugten. Dazu der sinnliche Mund und die warm blickenden, braunen Augen … Welche Frau schmolz da nicht dahin?
Aber natürlich behielt sie ihre Schwärmerei für sich. Es war auch ziemlich sinnlos, den Arzt umgarnen zu wollen, wie es so manche seiner Patientinnen tat. Nicht, weil Agnes durch ihre Narbe gezeichnet war. Sie war sicher, das würde den feinfühligen Mann wenig stören. Aber sein Herz schlug nur für seine eigene Frau, eine bildhübsche Wienerin, die seine Liebe auch verdient hatte.
Dr. Sabine Burger war Fachärztin der Anästhesie und ihrem Mann die ideale Partnerin – sowohl im Leben als auch im Beruf.
Sie war nur zwei Jahre älter als Agnes, aber eine ebenso patente Person und gute Ärztin wie der Bergdoktor selbst. Ihr würde es niemals einfallen, einen Menschen wegen eines Makels zu verspotten.
Beide Ärzte hatten ihr auch schon geraten, sich in einer Klinik mit einer neuartigen Lasertechnik behandeln zu lassen. Die Narbe würde dadurch zwar nicht völlig verschwinden, aber weniger auffällig werden.
Doch wie sollte sie das bezahlen? Agnes hatte keine Krankenversicherung. Früher war sie bei ihrem Vater mitversichert gewesen, was aber seit ihrer Volljährigkeit hinfällig war. Um sich selbst zu versichern, fehlte ihr jedoch das Geld.
Nicht einmal der Bergdoktor und seine Frau kannten die Wahrheit. Seit Agnes auf der Alm lebte, hatte sie noch keine ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen.
Die plötzliche Schweigsamkeit der Sennerin machte Dr. Burger stutzig. Nachdenklich betrachtete er sie von der Seite her.
»Hast du ein Problem, Agnes?«
»Oh, nein, es ist nix«, wehrte die junge Frau hastig ab. Unvermittelt schoss sie von ihrem Platz hoch und rief: »Clyde, lässt du wohl meinen Strohhut in Ruhe!«
Der Ziegenbock knabberte genüsslich an ihrem selbstgeflochtenen Sonnenhut, den sie achtlos auf einem Holzstoß abgelegt hatte. Widerwillig trollte er sich.
Sie rollte theatralisch die Augen und setzte sich wieder.
»Die beiden haben wirklich nix als Unfug im Kopf. Aber wenigstens wird es mit ihnen net langweilig.« Sie lachte leise.
Ihre Heiterkeit überzeugte den Arzt, dass er sich keine Sorgen machen musste. Er trank seine Milch aus und erhob sich.
»Wird Zeit für den Heimweg«, befand er und blickte stirnrunzelnd den gewundenen Weg ins Tal hinunter, der noch einige Stunden Fußmarsch in Anspruch nehmen würde.
Wegen des schönen Wetters hatte er heute auf seinen robusten Geländewagen verzichtet, mit dem er so manchen steilen Pfad bewältigen konnte, und war zu Fuß den Berg aufgestiegen. So hatte er das Nützliche mit dem Angenehmen verbunden und die schöne Wanderung auch genossen.
Doch jetzt spürte er eine bleierne Müdigkeit in den Knochen und sehnte sich danach, endlich die Beine ausstrecken zu können. Er warf seinen Rucksack über und tippte verabschiedend an den Hut.
»Gott behalte dich wohl, Agnes.«
»Sie müssen sich keine Sorgen um mich machen, Herr Doktor, mir geht es gut.« Das feinsinnige Lächeln der Sennerin zeigte, dass sie genau wusste, warum der Arzt bei ihr vorbeischaute, obwohl es manchmal für ihn ein Umweg war. Rasch fügte sie hinzu: »Aber ich freue mich natürlich über Ihren Besuch, und ein Glasl Buttermilch steht auch immer für Sie bereit.« Ihr Lächeln vertiefte sich noch.
Dr. Burger nickte der jungen Frau verstehend zu, als Bonnie erneut angerannt kam.
»Oho!«, rief er und hob abwehrend die Hände, worauf die Ziege wie angewurzelt stehen blieb. »Ich tu dir nix, also lass du mich auch in Ruh.« Sein strenger Ton schien Bonnie zu beeindrucken. Sie meckerte provozierend, trabte aber davon.
Der Bergdoktor seufzte. »Dieses kleine Luder solltest du besser unter Verschluss halten, Agnes. Sonst bekommst du noch Ärger, wenn die Ziege Wanderer angreift, die zufällig hier vorbeikommen.«
Agnes schüttelte den Kopf. »In diesen abgelegenen Winkel verirren sich selten Wanderer.« Sie grinste. »Nur neugierige Bergdoktoren.« Dann wurde sie wieder ernst und nickte. »Ich baue demnächst einen Pferch für die beiden Halunken, wo sie für sich sind. Aber ich hab sie erst ein paar Tage und wusste bisher selbst net, wie aggressiv sie sind.« Sie betrachtete die Ziegen, die nun gelangweilt herumstrolchten, und fügte versonnen hinzu: »Es sind wunderschöne Tiere, die mir bestimmt niedliche Zicklein schenken werden. Deshalb will ich sie net weggeben. Der Hölzlbauer hatte sie schon dem Schlachter versprochen.«