Der Bergdoktor 1884 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 1884 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Nach fünf Jahren Gefängnis wird Christian Höllrich wegen guter Führung entlassen. Im Rausch soll er seinen besten Freund niedergeschlagen haben, worauf dieser so unglücklich stürzte, dass er starb.
Christian selbst kann sich an nichts erinnern, auch wenn er sich immer wieder das Hirn zermartert hat. Er ist doch kein Mörder!

Dr. Burger und Pfarrer Andreas Roseder sind ebenfalls von Christians Unschuld überzeugt, und sie hoffen, dass seine Erinnerung eines Tages zurückkehrt und die Wahrheit doch noch ans Licht kommt.
Tatsächlich meldet sich plötzlich ein Zeuge, der die Tat damals beobachtet und all die Jahre geschwiegen hat ...

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Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Verurteilt ohne Schuld

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Michael Wolf / Bastei Verlag

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-5222-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Verurteilt ohne Schuld

Ein junger Bauer steht vor den Scherben seines Lebens

Von Andreas Kufsteiner

Nach fünf Jahren Gefängnis wird Christian Höllrich wegen guter Führung entlassen. Im Rausch soll er seinen besten Freund niedergeschlagen haben, worauf dieser so unglücklich stürzte, dass er starb.

Christian selbst kann sich an nichts erinnern, auch wenn er sich immer wieder das Hirn zermartert hat. Er ist doch kein Mörder!

Dr. Burger und Pfarrer Andreas Roseder sind ebenfalls von Christians Unschuld überzeugt, und sie hoffen, dass seine Erinnerung eines Tages zurückkehrt und die Wahrheit doch noch ans Licht kommt.

Tatsächlich meldet sich plötzlich ein Zeuge, der die Tat damals beobachtet und all die Jahre geschwiegen hat …

Mit lautem Scheppern schlossen sich die Gefängnistore hinter Christian Höllrich. Unsicher blickte er zurück. Er konnte noch immer nicht fassen, dass er nun wieder frei war. Fünf Jahre seines Lebens hatte er in der engen Zelle des Innsbrucker Gefängnisses zugebracht, hin- und hergerissen zwischen Schuld und Zweifel.

Christian hob den Kopf und spürte die feinen Stiche des eiskalten Nieselregens auf seinem Gesicht. Der April zeigte sich heute nicht von seiner freundlichen Seite. Aber es störte ihn nicht, ließ ihn spüren, dass er noch lebte und nicht nur vor sich hin vegetierte wie die letzten Jahre. Im Gefängnis hatten sie bei schlechtem Wetter nicht zum Hofgang nach draußen dürfen.

Plötzlich fiel die Lethargie von ihm ab. Egal, was er auch getan hatte, er hatte dafür gebüßt, und nun war es an der Zeit, sein Leben neu zu ordnen. Christian runzelte die Stirn.

Wenn er sich nur endlich erinnern könnte, was wirklich passiert war. Das würde ihm helfen, einen Schlussstrich zu ziehen und Reue zu empfinden. Aber so wurde die Tat, die man ihm zur Last legte, von einem undurchdringlichen Nebel überdeckt, der es ihm unmöglich machte, Licht ins Dunkel zu bringen.

Außerdem rumorte tief in seinem Innern ein Grummeln, das ihn an seiner Schuld zweifeln ließ. Hatte er wirklich seinen besten Freund getötet? Er konnte es sich nicht vorstellen, nicht einmal im Streit könnte er einem Menschen etwas zuleide tun. Oder etwa doch?

Ein stechender Schmerz ließ Christian aufstöhnen. Verdrossen rieb er seine Schläfen. Immer, wenn er versuchte, sich zu erinnern, bohrten sich diese mörderischen Schmerzen in seinen Kopf. Selbst dem Gefängnistherapeuten war es nicht gelungen, seine Erinnerung an diese verhängnisvolle Nacht zu wecken, die ihn zum Mörder abstempelte.

Der Streit mit Markus stand ihm noch glasklar vor Augen, und er konnte sich an jedes Wort erinnern. Aber was letztlich zu dem bösen Ausraster geführt hatte, der Markus das Leben kostete, war in seinem Gedächtnis wie ausradiert.

Jedenfalls war er am nächsten Morgen im Hinterhof eines Geschäftshauses in Mayrhofen erwacht, und der Freund hatte tot neben ihm gelegen. Niemals würde er dessen erloschene Augen vergessen, die so anklagend in den Himmel starrten.

Seine Schreie hatten Passanten herbeigelockt, die dann den Notarzt riefen. Dieser hatte festgestellt, dass Markus an einer Gehirnblutung infolge eines Schädelbruchs gestorben war.

Aber auch Christian hatte einige Blessuren erlitten, was auf eine heftige Prügelei hindeutete. Später hatte die Polizei recherchiert, dass der Streit zwischen ihnen, der in einem Lokal in Mayrhofen begonnen hatte, wie der Wirt bezeugte, wohl erneut aufgeflackert und eskaliert war.

Laut Polizei hatte Christian den Freund mit einem Kinnhaken niedergestreckt, worauf dieser so unglücklich mit dem Hinterkopf auf einen Stein geprallt war, dass er einen offenen Schädelbruch erlitten hatte. Wegen seines übermäßigen Alkoholgenusses hatte Christian die Verletzung des Freundes nicht realisiert und war, benommen von den Schlägen, die er selbst einstecken musste, neben Markus zusammengesackt und eingeschlafen.

Aber das sprach ihn nicht frei von der Schuld. Das Gericht hatte ihm zwar verminderte Zurechnungsfähigkeit zugebilligt und ihn nur wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt, doch für die Öffentlichkeit und vor allem für seine und Markus’ Familie war er ein Mörder.

Man legte ihm zur Last, dass er den Freund hatte sterben lassen, statt Hilfe zu holen. Aber wie hätte er das tun sollen, er war doch selbst nicht mehr bei Sinnen gewesen?

Verstohlen spähte Christian um sich. Natürlich war niemand gekommen, um ihn abzuholen. Die Verwandten waren nicht darauf erpicht, ihn bei sich aufzunehmen, bis er wieder auf eigenen Füßen stehen konnte. Trotzdem würden ihm die Stiefmutter und deren Sohn Unterschlupf zubilligen müssen, nachdem sie sich schon sein Erbe unter den Nagel gerissen hatten.

Grimmig presste Christian die Lippen aufeinander, packte das Bündel mit seinen Habseligkeiten fester und machte sich auf den Weg zur Bushaltestelle. Von dort kam er zum Innsbrucker Bahnhof und dann mit dem Regionalzug weiter über Jenbach nach Mayrhofen. Dort konnte er den Bus nach St. Christoph nehmen, dem verträumten Zillertaler Bergdorf, das seine Heimat war.

Eine brennende Sehnsucht erfüllte ihn, als er an die idyllische Bergwelt um das Hochtal bei St. Christoph dachte, wo er jeden Winkel und jeden Klettersteig kannte. Keine Wand war ihm zu hoch oder zu anstrengend gewesen, um sie zu bezwingen, meist mit Markus als Bergkamerad.

Der Gedanke an den Freund ernüchterte ihn und machte dem alten Schmerz Platz. Wie sehr er ihn doch vermisste, den Kumpel aus Kindertagen! Sie waren von klein auf unzertrennlich gewesen, und nun sollte ausgerechnet er schuld am Tod des Freundes sein?

Christian hatte die Haltestelle erreicht und stellte enttäuscht fest, dass der nächste Bus erst in einer Stunde fuhr. Zu Fuß war es aber zu weit in die Stadt, und ein Taxi konnte er sich bei seinem mageren Budget nicht leisten. Er musste die paar Kröten, die er in der Gefängniswäscherei verdient hatte, für den Neustart in sein künftiges Leben zusammenhalten.

Frustriert setzte er sich auf die Bank im Häusl der Haltestelle nieder und sinnierte vor sich hin. Wie würde man seine Rückkehr in St. Christoph aufnehmen? Die oftmals engstirnigen Bergbauern verziehen keine Fehler, schon gar nicht, wenn sie so schwerwiegend waren wie seine Tat. Da nützte es auch nichts, dass einige Dorfbewohner an seiner Schuld zweifelten, darunter Dr. Martin Burger, der Landarzt von St. Christoph, und Pfarrer Andreas Roseder.

Beide Männer hatten ihn als Einzige in den letzten Jahren besucht und ihm Mut zugesprochen, wenn ihn die Last der Schuld zu ersticken drohte. Sie waren der Meinung, dass Christian gar nicht in der Lage gewesen wäre, den Freund so zu schlagen, dass er wie ein gefällter Baum umfiel.

Zwar war Markus ebenfalls stark alkoholisiert gewesen, aber aufgrund seiner kräftigen, großen Gestalt kein leichter Gegner. Dazu hatte er Fäuste aus Eisen, die er seinem Beruf als Holzfäller verdankte. Eher hätte Christian in die Knie brechen müssen, als dass er den Bär von einem Mann bezwingen konnte, gegen den nicht einmal seine Kollegen angekommen waren.

Freilich war auch er kräftig und breitschulterig, aber doch einen halben Kopf kleiner und um einiges schwächer als Markus. Und nun sollte er den Freund mit einem Faustschlag zu Boden gestreckt und dabei tödlich verletzt haben, wie es in der Anklageschrift stand?

Christian seufzte bitter. Die Zweifel des Arztes und des Pfarrers deckten sich mit seinen Träumen. Darin sah er Markus und sich umringt von einer Horde Burschen, die auf sie eindroschen. Doch sobald er erwachte, verflog der Traum, und seine Erinnerung war nichts weiter als verschwommene Bilder mit Gestalten ohne Gesicht.

Als er dem Gefängnistherapeuten von dem wiederkehrenden Traum erzählt hatte, meinte dieser nur, das hätte nichts zu sagen. Sein Gehirn würde diese Bilder produzieren, weil er seine Schuld nicht annehmen wollte. Resigniert stieß er die Luft aus. Solange sein Gedächtnis ihm den Dienst verweigerte, konnte er seine Unschuld nicht beweisen, falls er überhaupt unschuldig war.

***

Der junge Bauer fuhr erschrocken zurück, als sein Blick in den kleinen Spiegel fiel, der im Bushäusl hing.

Der Mann, der ihm daraus entgegenblickte, schien weit älter als fünfunddreißig Jahre. Das einst sonnengebräunte Gesicht war blass, und die vormals so wachen grauen Augen blickten müde. Auch seine kraftvolle Statur hatte im Gefängnis gelitten, obwohl er versucht hatte, sich mit Sport fit zu halten. Jetzt schlotterte die Kleidung um seine magere Gestalt, und seine Schultern waren gebeugt.

Christian stöhnte leise. Einst hatte er als Alleinerbe vom Höllrich-Hof am Hexenstein einer hoffnungsvollen Zukunft entgegengesehen. Doch nun lag sein Leben in tausend Scherben, und die Zweifel, doch den Tod seines besten Freundes verschuldet zu haben, lasteten wie ein Felsbrocken auf seinen Schultern.

Christian wusste noch genau, warum er mit Markus so heftig aneinandergeraten war, wo sie doch sonst ein Herz und eine Seele gewesen waren. Ihm war zu Ohren gekommen, dass Annegret, seine damalige Freundin, ihn betrogen hatte. Das hatte ihn so erschüttert, dass er Trost im Alkohol suchte.

Markus hatte ihn in dem Mayrhofener Lokal aufgestöbert und versucht, ihn aufzumuntern. Aber er mochte Annegret nicht und hatte noch Öl ins Feuer gegossen, statt Christians Zorn zu mildern.

Der junge Bauer lehnte sich mit dem Rücken an die Glasscheibe des Unterstandes und schloss die Augen. Deutlich hörte er die Stimme des Freundes, und die Erinnerung nahm ihn gefangen …

»Warum grämst du dich so, Chris?«, fragte Markus kopfschüttelnd. »Du weißt doch, dass es die Annerl mit der Treue net so genau nimmt. Hab sowieso nie verstanden, wie du dein Herz ausgerechnet an diese Schlampe verlieren konntest. Gewiss, sie hat ein hübsches Gesicht und eine atemberaubende Figur, kann einen Mann schon …«

Weiter kam er nicht. Christian packte ihn am Hemdkragen und schnürte ihm die Kehle zu.

»Wage es nie wieder, meine Freundin eine Schlampe zu nennen«, knirschte er hochrot im Gesicht. »Annerl mag ihre Fehler haben, aber ein Flitscherl ist sie deswegen noch lang net.«

»Schon gut, schon gut«, keuchte Markus und hob beschwichtigend die Hände, worauf ihn Christian losließ.

Er rieb seinen malträtierten Hals, konnte es aber nicht lassen, weiter zu zündeln.

»Trotzdem wird’s Zeit, dass du die Scheuklappen endlich abnimmst, die dir das raffinierte Weibsstück aufgedrückt hat. Die Annerl will sich doch nur ins gemachte Nest setzen. Seit sie weiß, dass du der alleinige Erbe vom Höllrich-Hof bist und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis dein schwer kranker Vater für immer die Augen schließt, ist sie hinter dir her wie der Teufel hinter der armen Seele. Vorher hat sie sich net die Bohne um dich geschert.«

Markus griff über den Tisch und legte beschwörend eine Hand auf den Arm des Freundes.

»Chris, wach auf, Annegret liebt dich net. Ihr sind nur der schmucke Hof und das Vermögen wichtig, dass du einmal erbst. Außerdem …«

Zornig entriss Christian ihm seinen Arm.

»Hör auf, meine Braut schlechtzumachen«, protestierte er mit schwerer Zunge, die ihm kaum noch gehorchen wollte.

Markus blies verdrossen die Luft aus. Dann startete einen erneuten Versuch, dem Freund die Augen zu öffnen.

»Lass die Finger von der falschen Person, Chris, sie bringt dir nur Unglück. Außerdem hat sie dich wirklich betrogen. Ich …« Geschickt fing er die Faust des Freundes ab, die erneut auf ihn zu schnellte. »Komm zu dir«, sagte er streng. »Es hilft nix, die Wahrheit zu ignorieren oder sie gar im Alkohol ertränken zu wollen.« Er winkte dem Wirt. »Zahlen bitte.«

Christian wollte protestieren, ließ es dann aber. Plötzlich spürte er eine bleierne Müdigkeit und sehnte sich nach seinem Bett. Benommen stolperte er hinter dem Freund ins Freie.

Der junge Bauer löste sich stöhnend aus der quälenden Erinnerung. Ab hier hatte er einen Filmriss, alles, was danach geschehen war, lag im Dunkeln.

Er raufte sein Haar. Heute wusste er, dass Markus recht gehabt hatte, Annegret hatte ihn nicht geliebt und nur den Hof gewollt. Wäre es anders gewesen, hätte sie ihn im Gefängnis besucht und ihm Trost zugesprochen und nicht umgehend seinen Stiefbruder geheiratet, den neuen Herrn vom Höllrich-Hof.

Als leiblicher Sohn des Bauern war eigentlich Christian der Alleinerbe gewesen, während die Stiefmutter und deren Sohn Sebastian nur den Pflichtteil zugebilligt bekommen sollten.

Christians Mutter war einer Virusinfektion erlegen, als er acht Jahre alt war. Aus Trauer um seine geliebte Frau war der Vater über zehn Jahre allein geblieben. Doch dann hatte er plötzlich Gisela gefreit, die Wirtin einer Kneipe in Mayrhofen, in der er des Öfteren verkehrt hatte.

Die schöne, aber berechnende Frau hatte ihm den Kopf verdreht. Sie war die Plackerei in ihrem Lokal satt und hatte sich ein warmes Plätzchen gesucht, wo sie eine ruhige Kugel schieben konnte.

Da war ihr der vermögende Bauer Hannes Höllrich mit dem schmucken Hof gerade recht gekommen. Für die grobe Arbeit gab es einen Knecht und eine Magd, sodass sie sich die Finger nicht schmutzig machen und nur die Wirtschaft im Haus führen musste.

Christian lachte abfällig. Er war überzeugt, dass dies der einzige Beweggrund für die damals achtunddreißigjährige Gisela gewesen war, den weit älteren Bauern zu heiraten. Er verstand sich nicht mit der Stiefmutter, und auch mit dem zwei Jahre älteren Stiefbruder Sebastian war er nie richtig warm geworden.

Gisela hatte den Vater gedrängt, ihren Buben zu adoptieren. Dann wäre diesem als dem Älteren der Hof zugefallen. Doch Hannes hatte sich strikt geweigert, obwohl er sonst Wachs in ihren Händen gewesen war. Das Erbe hatte er seinem eigen Fleisch und Blut bewahren wollen.

Christian schnalzte mit der Zunge. Was spielte das jetzt noch für eine Rolle? Er hatte trotzdem den Hof an die beiden verloren. Als er ins Gefängnis musste und der Vater todkrank im Bett lag, hatten sie gegen ihn intrigiert. Zerrissen von seinen Zweifeln, ob sein geliebter Sohn wirklich ein Mörder war, hatte der Sterbende sein Testament zugunsten seiner Frau und des Stiefsohnes geändert, und Christian war leer ausgegangen. Als verurteilter Straftäter konnte er nicht einmal seinen Pflichtteil herausklagen.

***

»Geht’s dir net gut, Christian?«, riss eine warme Stimme den unglücklichen Mann aus seinem Grübeln. Er blickte auf und direkt in das besorgte Gesicht von Dr. Burger, der allgemein nur der Bergdoktor genannt wurde.

»Herr Doktor, wo kommen Sie denn plötzlich her?«, stieß er verwundert aus.

»Tut mir leid, dass ich so spät bin«, entschuldigte sich der Arzt und setzte sich neben den jungen Mann. »Ich wurde erst heute Morgen von der Gefängnisleitung über deine vorzeitige Entlassung informiert, nachdem deine Stiefmutter sich strikt geweigert hatte, dich in Empfang zu nehmen. Ich dachte schon, ich verpass dich. Ich hab dich grad noch im Augenwinkel erspäht, als ich hier vorbeifuhr.«

Christian schüttelte verwirrt den Kopf.

»Ich hätte net gedacht, dass Sie mich abholen würden, Herr Doktor. Vielen Dank.«

Der Arzt legte schwer seine Hand auf den Arm des Burschen.

»Wenn jemand nach fünf Jahren aus dem Gefängnis kommt, in dem er vielleicht völlig unschuldig saß, darf er net das Gefühl haben, die Welt habe ihn vergessen«, sagte er ernst. »Wie du weißt, sind Pfarrer Roseder und ich nicht wirklich von deiner Schuld überzeugt, Christian. Es gibt zu viele Ungereimtheiten in der Geschichte. Schlimm genug, dass deine Familie dich einfach fallen lässt.«

»Gisela und der Bastl waren nie wirklich meine Familie«, erwiderte Christian dumpf, während er neben Dr. Burger die Straße überquerte. Das Doktorauto stand auf der anderen Seite. »Und Annegret hat mich net geliebt, ihr war nur der Hof wichtig. Markus hat mich damals vor ihr gewarnt.«

»Und trotzdem willst du nun bei diesen eiskalten Menschen unterschlüpfen?«, fragte der Bergdoktor skeptisch und schloss das Auto auf.

Christian zuckte die Schultern.

»Wo soll ich denn hin? Ich bin Bauer, hab nix anderes gelernt, und mich irgendwo als Knecht zu verdingen, das wird wohl schwierig werden. Wer nimmt schon einen entlassenen Sträfling, dem Totschlag angelastet wird? Vorübergehend werde ich wohl bei der lieben Verwandtschaft zu Kreuze kriechen und Knecht auf meinem eigenen Hof spielen müssen, bis ich wieder auf eigenen Beinen stehen kann. Im Gefängnis verdient man keine Reichtümer.«

Er seufzte bitter und nahm auf dem Beifahrersitz Platz, während Dr. Burger sich hinters Steuer schwang.

***

Wenig später fuhren sie über die Landstraße Richtung Mayrhofen.

»Kannst du dich noch immer net erinnern, Christian?«, erkundigte sich der Landarzt.

Der junge Bauer schüttelte resigniert den Kopf.