Der Bergdoktor 1912 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 1912 E-Book

Andreas Kufsteiner

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Es ist wirklich zu seltsam! Seit Tagen schon wird Isabelle Wendlinger vermisst, und niemand hat auch nur die geringste Ahnung, wo sie sein kann. Obwohl fast alle Einwohner von St. Christoph nach ihr suchen, fehlt noch immer jede Spur von der jungen Bäuerin.

Auch der Bergdoktor macht sich große Sorgen. Was, wenn sie in die Berge gegangen ist und sich dort so schwer verletzt hat, dass sie nicht mehr nach Hause kann? Seine Suche führt ihn rauf auf den Feldkopf und an einer einsamen Hütte vorbei. Und tatsächlich: Als er an die Tür klopft, öffnet ihm Isabelle. Doch die junge Frau ist kaum wiederzuerkennen! Schlecht sieht sie aus, aschfahl und krank. Himmel, was mag ihr nur zugestoßen sein?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 125

Veröffentlichungsjahr: 2018

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Dr. Burger und die Waldprinzessin

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Michael Wolf

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-6189-6

www.bastei-entertainment.de

Dr. Burger und die Waldprinzessin

In einer einsamen Hütte findet der Bergdoktor ein vermisstes Mädchen

Von Andreas Kufsteiner

Es ist wirklich zu seltsam! Seit Tagen schon wird Isabelle Wendlinger vermisst, und niemand hat auch nur die geringste Ahnung, wo sie sein kann. Obwohl fast alle Einwohner von St. Christoph nach ihr suchen, fehlt noch immer jede Spur von der jungen Bäuerin.

Auch der Bergdoktor macht sich große Sorgen. Was, wenn sie in die Berge gegangen ist und sich dort so schwer verletzt hat, dass sie nicht mehr nach Hause kann? Seine Suche führt ihn rauf auf den Feldkopf und an einer einsamen Hütte vorbei. Und tatsächlich: Als er an die Tür klopft, öffnet ihm Isabelle. Doch die junge Frau ist kaum wiederzuerkennen! Schlecht sieht sie aus, aschfahl und krank. Himmel, was mag ihr nur zugestoßen sein?

Mei, ist das eine Kälte! Der junge Knecht eilte ins Haus und schlug die Tür hinter sich zu.

Geschafft! Erleichtert stieß er den Atem aus. Stundenlang war er im strömenden Regen unterwegs gewesen und hatte bei der Suche nach der Wendlinger-Isabelle geholfen. Nun klebte die nasse Kleidung auf seiner Haut, und seine Zähne schlugen klappernd aufeinander.

So gefroren hatte er lange nicht mehr! Er fühlte sich, als hätte man ihn in den eiskalten Kuckuckssee getaucht und wieder herausgezogen. An seiner Hose und den Stiefeln klebten Gras und Schlammspritzer.

Ein Sauwetter war das!

Über seinem Heimattal rauschte der Regen mit Macht hernieder. Der Sturm zerrte an den alten Kiefern hinter dem Gartenzaun, das Holz knirschte hörbar. Hoffentlich hielten die Bäume stand und stürzten nicht auf die Garage!

Das Haus seines Vaters stand am Rand von St. Christoph auf einer Anhöhe. Bei schönem Wetter bot sich von hier aus ein weiter Blick über das Zillertal, doch jetzt zog ein Unwetter über das Tal hinweg, und tiefhängende Wolken verbargen die Aussicht.

Ben liebte seine Heimat. Er kannte die Berge wie seinen eigenen Handrücken und war so oft draußen unterwegs, wie seine Arbeit es zuließ. Ihm waren selbst die entlegensten Pfade vertraut, deshalb wurde er gern von Urlaubern, die Touren in die höheren Regionen machen wollten, als Bergführer gebucht.

Mit diesen Wanderungen verdiente er sich etwas Geld zu seinem Gehalt als Knecht hinzu. Dabei war er sich seiner Verantwortung immer bewusst und lehnte Ausflüge ab, wenn das Wetter nicht mitspielte. Sicherheit ging vor.

Die Suche an diesem Tag war enttäuschend verlaufen. Eine junge Bäuerin war aus dem Dorf verschwunden. Ben hatte sich einem der Suchtrupps angeschlossen, jedoch nach etlichen Stunden – ebenso wie seine Begleiter – erschöpft aufgeben müssen. Von Isabelle fehlte jede Spur!

Draußen kreiste ein Hubschrauber über den Bergen. Ben wusste, dass mehrere Kameraden von der Bergwacht mit Wärmebildkameras nach der Vermissten Ausschau hielten – bis jetzt ohne Erfolg.

»Und? Wie ist es gelaufen, Ben?« Sein Vater kam aus der Küche und sah ihn forschend an.

Jakob Birlmayer war ein kräftiger Mann, dem man auf den ersten Blick ansah, dass er zupacken konnte. Er war beim Forst angestellt und half in seiner Freizeit bei der Freiwilligen Feuerwehr mit. Er hielt eine Pfeife in der Hand und stieß den Rauch aus.

»Habt ihr Isabelle gefunden?«, wollte er wissen.

»Leider noch net. Wir haben den Feldkopf durchkämmt, in jeden Spalt und jede Höhle geschaut. Nix. Wo auch immer sie ist, da oben jedenfalls net.«

»Herrje. Das Madel ist seit zwei Tagen verschwunden, und seine Familie vergeht beinahe vor Sorge. Ich kann mir kaum vorstellen, was Isabelles Mutter gerade durchmacht.«

»Ich auch net. Allerdings weiß ich bald nimmer, was wir noch tun könnten. Das halbe Dorf ist auf den Beinen, um Isi zu suchen … bis jetzt vergeblich.«

»Ihr muss etwas zugestoßen sein. Etwas Schlimmes. Sonst wäre sie längst wieder daheim.«

»Beschrei es nur net, Vaterl.« Bens Zähne schlugen unkontrolliert aufeinander, er konnte nichts dagegen tun. Ihm war so kalt, dass sein ganzer Körper mit einer Gänsehaut überzogen war.

»Mei, du solltest dich rasch umziehen, Ben, sonst holst du dir noch den Tod in den nassen Sachen«, mahnte sein Vater.

»Da hast du recht.« Ben schaute an sich hinunter. Rings um seine Füße hatte sich eine Pfütze gebildet. Regenwasser rann von seiner Hose und seinen Schuhen. »Ich fühle mich wie ein lebendiges Eis am Stiel.«

»Dann geh rasch rauf und dusch dich schön warm ab. Ich werde uns derweil einen heißen Tee kochen.«

»Tee wäre wirklich großartig. Danke dir, Vaterl.« Ben zog seine Schuhe aus, dann wandte er sich der Treppe zu und eilte nach oben in die erste Etage.

Im Badezimmer steckte er seine Kleidung in die Waschmaschine und stieg unter die Dusche. Er drehte den Strahl voll auf und schloss genießerisch die Augen.

Ah! Das warme Wasser war eine Wohltat! Minutenlang genoss er die Wärme, ehe er sich einseifte und den Schaum abspülte.

Er trocknete sich ab, rubbelte seine Haare trocken und schlüpfte in trockene Kleidung: eine saubere Jeans und ein Hemd, das er an den Ärmeln aufkrempelte. Anschließend wischte er mit einer Hand den beschlagenen Spiegel frei und warf einen prüfenden Blick auf sein Spiegelbild.

Er wirkte besorgt, was kein Wunder war, schließlich fragte er sich die ganze Zeit, ob Isabelle wohl einen warmen und trockenen Unterschlupf hatte oder ob sie ungeschützt bei diesem Wetter umherirrte.

Wo um alles in der Welt konnte sie nur sein?

Ben fuhr sich glättend durch die Haare. Dann öffnete er das Fenster einen Spalt weit und hängte sein Duschtuch zum Trocknen auf. Anschließend verließ er das Badezimmer und ging hinunter in die Küche.

Sein Vater hantierte gerade am Wasserkocher.

»Setz dich, Bub, der Tee ist gleich fertig.«

»Danke dir.« Ben ließ sich auf die Eckbank fallen und griff nach dem Nähkorb.

Bei zweien seiner Hemden fehlten Knöpfe, er musste sie flicken. Seufzend fädelte er einen Faden ein – oder er versuchte es zumindest. Dummerweise schienen seine Hände zu groß und zu unbeholfen zu sein, um etwas so Filigranes wie einen Faden in ein Nadelöhr zu führen.

Verflixt aber auch! Ben brauchte mehrere Versuche, bis der Faden endlich saß. Das Garn war zu lang bemessen, aber das war besser, als es ständig neu einzufädeln, wie er fand.

Vor Kurzem hatte er sich eine neue Hose gekauft. Die Beine waren zu lang gewesen, deshalb hatte er sie kurzerhand umgeschlagen und mit Klammern festgetackert. Das bemerkte man fast gar nicht, wenn man nicht so genau hinschaute.

Früher hätte seine Mutter das Umnähen übernommen. Sie hatte geschickte Hände gehabt und nicht nur Kleidungsstücke repariert, sondern auch Hemden und Hosen für ihre Familie selbst genäht.

Ach, Mutterl, du fehlst uns so, ging es Ben durch den Kopf.

Unwillkürlich schweifte sein Blick aus dem Fenster zu der kleinen Gartenbank unter dem Apfelbaum. Dort hatte seine Mutter bei schönem Wetter gern gesessen, den Kater auf dem Schoß oder mit einer Näharbeit beschäftigt.

Ihre Hände waren immer fleißig gewesen … bis zu jenem Wintertag vor reichlich einem Jahr, als eine Lawine in der Nähe des Dorfes niedergegangen war und die Straße – und den Wagen seiner Mutter – verschüttet hatte.

Die Retter hatten das Auto erst nach Stunden gefunden und freigeschaufelt. Zu spät für seine Mutter.

Ben schluckte trocken.

»Trink das. Das wird dich wärmen.« Sein Vater stellte einen dampfenden Becher vor ihn hin.

»Dank dir schön, Vaterl.« Ben nippte und verzog prompt das Gesicht, als er eine deutliche Schärfe schmeckte. »Sag mal, ist da etwa Rum drin?«

»Freilich, der wärmt gut durch. Er wird verhindern, dass du dich erkältest.«

»Wenn das so ist, dann runter damit.« Ben nahm einen kräftigen Schluck und spürte, wie das Getränk seine Kehle hinunterrann. Wenig später breitete sich eine angenehme Wärme in ihm aus.

Eine Erkältung konnte er gerade gar nicht brauchen. Er war auf dem Hof des Bürgermeisters angestellt, und dort gab es im Frühjahr alle Hände voll zu tun. Zäune mussten repariert und der Stall nach dem langen Winter instandgesetzt werden. Dazu kam das erste Heu …

Die Tage waren selten lang genug, um alles zu schaffen. Und nun wurde auch noch ein Madel aus dem Dorf vermisst!

»Glaubst du, Isabelle wird bis morgen gefunden?«

»Das kann man unmöglich sagen. Ich befürchte, ihr ist etwas passiert. Überleg mal: Isi ist hier aufgewachsen. Sie weiß genau, dass die Berge keinen Fehler verzeihen. Ich glaube nicht, dass sie sich leichtfertig in Gefahr begeben würde.« Sein Vater rieb sich das Kinn. »Nein, entweder ist sie verunglückt oder jemand hat bei ihrem Verschwinden kräftig nachgeholfen.«

»Nachgeholfen? Glaubst du, jemand hat ihr etwas angetan?«

»Denkbar wäre das schon. Immerhin hat ihr verstorbener Vater verfügt, dass Isabelle den Hof erben soll. Jahrelang gab es nur Isi und ihre Mutter. Sie haben gut zusammen gewirtschaftet. Nun hat ihre Mutter vor wenigen Wochen zum zweiten Mal geheiratet – und Isi verschwindet.«

»Und du siehst das einen Zusammenhang?«, fragte Ben erschrocken.

»Wenn du mich fragst, das kann kein Zufall sein. Ich könnte mir denken, dass ihrem Stiefvater die Regelung net gefällt. Er will selbst auf dem Hof schalten und walten, aber Isi verhindert das.«

»Du denkst, er will sie loswerden?«

»Ja, genau das denke ich. Jost hat selbst ein Madel mit in die Ehe gebracht. Womöglich will er den Hof für sie haben?«

»Also könnte ihr Stiefvater Isabelle etwas angetan haben …« Dieser Gedanke war Ben noch nicht gekommen. »Ist das net ein bisserl weit hergeholt?«

»Solche Dinge passieren.«

»Im Fernsehen vielleicht, aber net im wahren Leben.«

»Da auch, glaub mir das. Die Gier kann Menschen zu furchtbaren Taten treiben. Der Wendlinger-Hof ist ein schönes Anwesen. Es würde mich net wundern, wenn ihr Stiefvater es selbst haben will.«

»Isi hat ein gutes Herz. Ich kann mir net denken, dass ihr jemand etwas Böses antun würde.«

Ben dachte an die junge Bäuerin. Isabelle war vier Jahre jünger als er. Durch den Altersunterschied hatten sie noch nicht viel miteinander zu tun gehabt – in der Schule war er vier Klassen über ihr gewesen. Aber nach allem, was er über sie wusste, war sie warmherzig und schüchtern in ihrer Art. Sie ging selten einmal aus.

»Die Chance, sie heil und gesund zu finden, sinkt mit jeder Stunde.« Sein Vater tastete die Taschen seiner Weste und seiner Hose ab. »Verflixt, warum habe ich denn kein Taschentuch eingesteckt?«

»Warte, ich hole dir eines.«

»Lass nur, ich gehe selbst. Bin gleich wieder da.« Jakob verließ die Küche. Seine Schritte verklangen auf der Treppe.

Ben beugte sich vor und angelte die Morgenzeitung vom Regal. Er wollte sie gerade aufschlagen, als oben wieder Schritte laut wurden. Sie kamen näher. Offenbar hatte sein Vater das Gesuchte gefunden …

Plötzlich polterte etwas Schweres auf der Treppe, und ein gedämpfter Fluch erklang.

»Vaterl?« Alarmiert sprang Ben von seinem Platz auf. Dabei stieß er an den Tisch. Tee schwappte aus dem Becher und auf die Zeitung. Er achtete jedoch nicht darauf. »Vaterl, geht es dir gut?«

Ein raues Stöhnen antwortete ihm.

Ben eilte hinaus in den Flur und erschrak bis ins Mark: Sein Vater lag verkrümmt am Fuß der Treppe und keuchte vor Schmerzen! Sein linker Fuß stand in einem seltsamen Winkel vom Bein ab.

»Oh, Vaterl, was machst du nur für Sachen?«

»Hab … eine Stufe … übersehen.« Die Worte kamen abgehackt. Sein Vater wollte sich aufrichten, sank jedoch mit einem Wehlaut zurück auf den Dielenboden. »Oooh!«

»Ich fürchte, dein Fuß ist gebrochen. Beweg dich net, solange wir net wissen, wie schlimm es ist. Ich werde Hilfe rufen. Und du bleibst besser ganz ruhig liegen.«

»Ist gut. Ich hatte auch net vor, irgendwohin … zu gehen«, murmelte sein Vater. Der Schmerz trieb Schweißperlen auf seine Stirn.

Mit bebenden Fingern griff Ben zum Telefon und wählte die Nummer des Notrufs.

»Halte durch, Vaterl«, drängte er. »Halte durch!«

***

Auf dem Wendlinger-Hof schallte eine helle Kinderstimme durch das Bauernhaus.

»Alle Vögel sind schon da, alle Vögel alle«, sang ein Madel vergnügt. »Amsel, Hamster, Fink und Star …«

»Hamster?« Sophie blickte ihre Klassenkameradin verblüfft an. »Hamster sind aber keine Vögel.«

»Ich weiß, aber mir ist der verflixte Vogel nimmer eingefallen.« Tessa blies die Wangen auf und ließ die Luft wieder entweichen. »Weißt du, wie es richtig heißt?«

»Drossel, glaube ich.«

»Also Amsel, Drossel, Fink und Star?«

»Genau!«

»Alles klar. Ich hoffe, diesmal kann ich es mir merken.« Tessa seufzte. »Warum lässt Herr Werth uns bloß dieses Lied auswendig lernen?«

»Weil wir es auf dem Schulfest vorsingen sollen. Im Chor.«

»Also alle zusammen. Da kann ich auch von Hamstern singen, das fällt gar net auf.«

»Neben Gustls Brummen bestimmt net.« Sophie kicherte.

»Eben.« Tessa kniff verschmitzt ein Auge zu.

Die beiden Madeln lachten zusammen. Sie saßen in Sophies Zimmer und übten das Lied, das sie an diesem Tag im Unterricht drangenommen hatten. Sie sollten es bis zum Freitag auswendig können.

Sophie und Tessa besuchten die zweite Klasse der Volksschule von St. Christoph. Seit Sophie vor einigen Wochen mit ihrem Vater ins Dorf gezogen war, saßen sie im Unterricht nebeneinander.

Tessa war die Tochter des Bergdoktors und ein lieber, quirliger Wirbelwind. Ihr Klassenlehrer hatte sie gebeten, Sophie beim Einleben zu helfen, und diese Rolle hatte Tessa gern übernommen.

Sophie war eher schüchtern und wagte es bei Fremden kaum, den Mund aufzumachen. In Tessas Gesellschaft fiel es ihr jedoch leicht, sich zu öffnen. Sie mochte die neue Freundin sehr.

Draußen trommelte der Regen an die Scheiben des Kinderzimmers. Der Raum war ganz in Weiß und Hellgrün eingerichtet – das waren Sophies Lieblingsfarben. Auf dem Bett saß ein flauschiges Einhorn, das ihr abends beim Einschlafen half.

Zumindest war es früher so gewesen. Seit zwei Tagen fand sie jedoch nachts keine Ruhe. Sie hatte Angst. Große Angst sogar …

Vor den Fenstern grollte plötzlich Donner. Und da! War das nicht ein Blitz in der Ferne gewesen? Über dem Feldkopf? Ja, Sophie war sich ganz sicher.

»Auweia!«, wisperte sie. »Es donnert!«

»Hier drinnen kann uns nichts passieren«, versicherte Tessa.

»Uns net, aber meine große Schwester ist irgendwo da draußen. Wenn sie nun alleine im Gewitter umherirrt?«

»Sie ist erwachsen und kann auf sich selbst aufpassen.«

»Hoffentlich hast du recht.« Sophie ließ den Kopf hängen, sodass ihre blonden Zöpfe über die Schultern nach vorn fielen. Isabelle war nicht ihre leibliche Schwester, aber sie hing mit ihrem ganzen Herzen an ihr. »Isi liest mir jeden Abend was vor. Und sie lässt die Tür zu ihrem Zimmer offen, wenn ich net schlafen kann. Dann sehe ich den Lichtspalt und muss mich net fürchten.«

»Sie scheint wirklich lieb zu sein.«

»Das ist sie. Und nun ist sie verschwunden. Ich habe solche Angst um sie.« Sophie schniefte leise. »Papa sagt, sie wäre weggelaufen, aber ich glaube net, dass das stimmt. So etwas würde sie net machen.«

»Wer weiß.« Tessa legte ihr tröstend einen Arm um die Schultern. »Sie kommt bestimmt bald wieder heim. Und dann hat sie allerhand zu erzählen. Glaubst du net auch?«

»Ich weiß es net. Aber ich wünschte, sie wäre schon wieder da.«