Der Bergdoktor 1914 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 1914 E-Book

Andreas Kufsteiner

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Bergdoktor kann kaum noch zählen, wie oft Gaby Wächtler bereits mit blauen Flecken und Prellungen in seiner Praxis war. Jedes Mal findet die junge Bäuerin eine Ausrede, dabei ist es im Dorf ein offenes Geheimnis, wie unberechenbar ihr Ehemann ist, wenn er getrunken hat.

In letzter Zeit greift Hannes öfter zur Flasche als sonst. Es steht nicht gut um seinen Hof, und die Sorgen um seine Existenz machen den jungen Landwirt reizbar, doch Gaby hält tapfer zu ihm. Noch ahnt sie nicht, dass er ihr etwas Wichtiges verschweigt. Ein unerwarteter Besucher sorgt dafür, dass sich die Situation auf dem Hof noch weiter zuspitzt, und bald ist nicht nur Gabys Liebe in allergrößter Gefahr ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 128

Veröffentlichungsjahr: 2018

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Gabys schwacher Augenblick

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Michael Wolf

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-6191-9

www.bastei-entertainment.de

Gabys schwacher Augenblick

Verzweiflung trieb sie in die Arme des Schwagers

Von Andreas Kufsteiner

Der Bergdoktor kann kaum noch zählen, wie oft Gaby Wächtler bereits mit blauen Flecken und Prellungen in seiner Praxis war. Jedes Mal findet die junge Bäuerin eine Ausrede, dabei ist es im Dorf ein offenes Geheimnis, wie unberechenbar ihr Ehemann ist, wenn er getrunken hat.

In letzter Zeit greift Hannes öfter zur Flasche als sonst. Es steht nicht gut um seinen Hof, und die Sorgen um seine Existenz machen den jungen Landwirt reizbar, doch Gaby hält tapfer zu ihm. Noch ahnt sie nicht, dass er ihr etwas Wichtiges verschweigt. Ein unerwarteter Besucher sorgt dafür, dass sich die Situation auf dem Hof noch weiter zuspitzt, und bald ist nicht nur Gabys Liebe in allergrößter Gefahr …

Gaby Wächtler wachte mitten auf der Dorfstraße auf.

Benommen blinzelte sie in das grelle Licht von zwei Scheinwerfern, die sie in der Dunkelheit blendeten. Eine Hupe schrillte warnend, und bevor sie sich versah, raste ein blauer Wagen geradewegs auf sie zu!

Panik flutete ihre Adern. Was machte sie hier? Warum stand sie mitten in der Nacht auf der Straße? Noch dazu mit nichts anderem bekleidet als mit ihrem weißen Nachthemd?

Die Fragen wirbelten durch ihren Kopf, während sie sich instinktiv herumwarf und mit einem Hechtsprung auf den Bürgersteig rettete.

Keine Sekunde zu früh! Mit quietschenden Bremsen kam das Auto zum Stehen. Ein drahtiger und ganz in schwarz gekleideter Mann stieg aus. Sein weißer Kragen wies ihn als Geistlichen aus. Sorgen gruben Falten in sein schmales Gesicht, als er den Wagen umrundete und auf Gaby zukam.

Wie peinlich, so erwischt zu werden! Noch dazu vom Pfarrer höchstpersönlich! Sie raffte ihr Nachthemd vor der Brust zusammen und blickte dem Geistlichen verlegen entgegen.

Er schaute sie prüfend an. »Guten Abend, Gaby. Ist dir etwas passiert?«

»Nein, nein. Mir fehlt nix.« Ihre Wangen brannten.

Nun war es schon wieder passiert! Sie geisterte nachts umher. Seit einigen Monaten ging das nun schon so.

Meistens lief sie nur im Haus herum und fand sich plötzlich in der Küche wieder, ohne zu wissen, wie sie dahin gekommen war. Auf die Straße war sie bisher noch nie gelaufen.

Grundgütiger! Es hatte nicht viel gefehlt und sie wäre vor die Räder gekommen!

»Kann ich dir helfen, Gaby?«

»Ich …« Sie stockte. »Ich bin nur geschlafwandelt.«

»Kommt das öfter vor?«

»Manchmal, ja.«

»Das ist ja nicht ganz ungefährlich … Treibt dich womöglich etwas fort von daheim?«

Seine Frage traf sie bis ins Mark. Sie biss sich auf die Lippen, als er seinen Finger genau in die Wunde legte. Ja, etwas trieb sie fort von daheim. Ein dunkles Geheimnis, das sie mit niemandem teilen konnte.

Aber einfach gehen, nein, das konnte sie nicht. Wohin hätte sie sich auch wenden sollen? Eine Familie hatte sie nicht mehr, ihre Eltern waren schon lange tot. Und zu den Pflegefamilien, in denen sie aufgewachsen war, zog es sie bestimmt nicht zurück.

»Ist schon gut, Gaby.« Andreas Roser ging zu seinem Auto und holte eine karierte Wolldecke aus dem Kofferraum, die er ihr um die Schultern legte. Sie roch schwach nach Benzin, aber sie war warm und tröstlich, deshalb zog Gaby sie fester um ihren Körper und schmiegte sich dankbar hinein.

»Normalerweise wäre ich um diese Uhrzeit längst im Bett, aber heute habe ich einen Kollegen in Mayrhofen besucht«, erzählte er. »Wir haben gefachsimpelt und darüber die Zeit vergessen. Erst als es Mitternacht schlug, ist uns bewusst geworden, wie spät es ist.«

»Oh, ist es wirklich schon nach Mitternacht?«

»Längst, ja. Komm, ich fahre dich nach Hause, Gaby.«

»Danke schön«, wisperte sie und stieg zu ihm in den Wagen. Blicklos starrte sie vor sich hin, während er die wenigen Hundert Meter zum Hof ihres Mannes hinauffuhr.

»So, da wären wir«, sagte er und hielt vor dem Bauernhaus.

»Haben Sie vielen Dank, Herr Pfarrer.« Sie reichte ihm die Hand. »Entschuldigen Sie bitte den Schrecken. Das wollte ich wirklich net.«

»Ich bin froh, dass dir nix passiert ist.« Er hielt ihre Finger kurz in seinen und sah Gaby noch einmal forschend an. »Ist wirklich alles in Ordnung?«

»Mir geht’s gut«, versicherte sie ihm und fragte sich gleichzeitig, ob sie ihm den Schwindel am Sonntag würde beichten müssen. Es ging ihr nämlich nicht gut. Nicht wirklich.

»Dann eine gute Nacht, Gaby.«

»Die wünsche ich Ihnen auch, Herr Pfarrer.« Gaby streifte die Wolldecke ab, faltete sie ordentlich zusammen und ließ sie auf dem Beifahrersitz liegen. Dann stieg sie aus und schlug die Autotür hinter sich zu.

Still war diese Frühlingsnacht. Ein Meer aus Sternen glitzerte am dunklen Himmel über dem Zillertal. Ihr Heimatdorf St. Christoph lag in einem hohen Seitental, das von sechs hohen Bergen und einem grünen Band aus Wald bewacht wurde. Nur eine einzige Straße führte vom Tal hier herauf.

Der Wächtler-Hof stand auf einer Anhöhe. Bei klarem Wetter konnte man von hier aus bis zu den Bergen in Italien blicken.

Jetzt waren die Gipfel dunkle Silhouetten vor dem Nachthimmel. Die Luft war kühl, und aus dem Stall drang das Stampfen der Kühe, die offenbar noch nicht schliefen.

Das undichte Dach hatte Gabys Mann vor ein paar Wochen notdürftig geflickt, aber vor dem nächsten Winter musste es richtig hergerichtet werden, sonst würde es der zu erwartenden Schneelast nicht mehr standhalten. Das gefiel Hannes nicht, er verabscheute jede zusätzliche Ausgabe.

Aber was sollten sie machen? Warten, bis das Dach einstürzte und ihre Tiere erschlug?

Gaby zog die Schultern hoch. Hannes und sie waren seit sechs Jahren verheiratet. Kurz nach Gabys einundzwanzigstem Geburtstag hatten sie sich in der weißen Dorfkirche das Jawort gegeben. Ihr Sohn war ein Jahr später geboren worden.

Gaby wollte zum Haus laufen, stockte jedoch so abrupt, als wäre sie gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen – die Gehwegplatten vor ihr waren beschmutzt mit Blut und weißen Federn! Oh nein, der Fuchs musste in den Hühnerstall eingedrungen sein!

Sie schaute sich um und bemerkte die beiden Hennen, die reglos auf dem Rasen lagen. Anscheinend hatte das Raubtier mehr Tiere gerissen, als es fortschaffen konnte, und die Reste zurückgelassen.

Das Herz der jungen Bäuerin krampfte sich vor Mitleid zusammen.

Hannes wollte die Tiere für die Nacht einschließen, das muss er vergessen haben. Ob er wieder getrunken hat? Mei, hoffentlich net, aber es wäre eine Erklärung für sein Versäumnis.

Ich wünschte, ich hätte noch einmal nachgeschaut, ob die Hühner in Sicherheit sind. Jetzt wird es wieder Ärger geben. Wenn sich Hannes aufregt …

Sie fröstelte. Wenn ihr Mann die toten Hennen entdeckte, würde er den ganzen Hof zusammenbrüllen. Es war besser, sie schaffte die Tiere fort, ehe er sie bemerkte und sich darüber aufregen konnte.

Gaby eilte in die Scheune und holte einen leeren Leinensack. In den packte sie die Hennen und die Federn, die sie aus dem Gras auflas.

Tränen rollten über ihre Wangen, während sie mit einem Spaten hinter dem Stall eine kleine Grube aushob, um die Tiere darin zu begraben. Sie schaufelte alles wieder zu und spürte, wie die Anstrengung in ihrem Rücken zog.

Als sie fertig war, waren ihre Hände dunkel von Blut und Erde, und auch auf ihrem Nachthemd zeichneten sich Flecken ab. Ganz zu schweigen von ihren nackten Füßen!

Sie eilte ins Haus, zog sich aus und legte das Nachthemd in die Wäsche. Dann stieg sie unter die Dusche und schrubbte sich gründlich ab. Anschließend huschte sie leise ins Schlafzimmer, nahm sich ein frisches Nachthemd aus dem Schrank und schlüpfte hinein. Ein Streifen Mondlicht fiel durch einen Spalt in den Gardinen herein und erhellte den Raum ein wenig.

Das Scharnier quietschte, als sie die Schranktür wieder schloss.

Aus dem Bett antwortete ein missmutiges Schnaufen.

»Was geisterst du denn mitten in der Nacht hier herum?«

»Tut mir leid, d-dass ich dich geweckt habe, Hannes.«

»Bist du etwa wieder im Schlaf umhergewandelt?«

»Hm. Ja.«

»Mach wenigstens net so einen Lärm, ja? Ich muss nachher wieder früh raus.« Er nuschelte noch etwas, das nicht zu verstehen war, dann verrieten seine ruhigen, gleichmäßigen Atemzüge, dass er wieder eingeschlafen war.

Gaby stieß erleichtert den Atem aus. Anscheinend war der Sturm an ihr vorbeigezogen. Vorerst zumindest.

Schlafen konnte sie noch nicht wieder, deshalb verließ sie auf Zehenspitzen die Kammer und ging durch den Flur hinüber zum Kinderzimmer. Die Tür war nur angelehnt. Im Inneren des Raums brannte ein Nachtlicht.

Ein Bub mit blonden Haaren und lustigen Sommersprossen lag im Bett. Er hielt ein Einhorn aus weichem Plüsch fest an sich gedrückt. Seine Decke hatte er zur Seite gestrampelt, sodass sie halb aus dem Bett hing.

Benjamin, ihr Sonnenstrahl.

Gabys Herz wurde weit vor Liebe, als sie sich vorbeugte und ihren Sohn sorgsam zudeckte.

Benjamin sollte glücklich aufwachsen, das hatte sie sich geschworen, als sie ihn im Krankenhaus zum ersten Mal im Arm gehalten hatte. Er sollte ein schönes, stabiles Zuhause haben, nicht – wie sie selbst – von einer Pflegefamilie in die nächste geschoben werden.

Ihre Eltern waren in einer Lawine umgekommen, als Gaby gerade vier Jahre alt gewesen war. Seitdem war sie immer allein gewesen und hatte viel Schlimmes erlebt. Bis sie bei Hannes ein Zuhause gefunden hatte …

Sie schlang die Arme um sich selbst. Dabei schoss ein scharfer Schmerz von ihrem Arm aus durch ihren Körper. Sie biss sich auf die Lippen, um einen Wehlaut zu unterdrücken. Vorhin im Badezimmer hatte sie gesehen, dass ihr Arm grün und blau war.

Sie drängte den unliebsamen Gedanken hastig zurück, zog sich leise einen Stuhl heran und setzte sich an das Bett ihres Kindes. Eine kleine Weile wollte sie ihm beim Schlafen zuschauen. Ein paar Minuten den Frieden spüren, der von ihm ausging. Denn tief in sich spürte sie, dass sich ein Unheil über ihrem Hof zusammenbraute. Wie bleigraue Wolken, die sich über dem Tal ballten und nichts Gutes verhießen.

***

Ein unliebsames Ziehen im Rücken holte Zenzi Bachhuber aus den Tiefen ihres Schlummers. Sie murrte leise, kniff die Augen zusammen und wollte weiterschlafen, aber der Schmerz wurde stärker. Es fühlte sich an, als würde jemand eine glühend heiße Stricknadel in ihre untere Rückenmitte bohren. An Schlaf war nicht mehr zu denken.

Sie musste sich in der Nacht unglücklich gedreht haben. Vermutlich würde das Zwacken sie durch den ganzen Tag begleiten. Schon wieder!

Seufzend schob Zenzi ihre Decke von sich und schwang die Beine aus dem Bett. Vor dem Fenster ihrer Kammer wurde es gerade erst hell. Nun, dann hatte sie wenigstens Zeit, einen Blick in die Morgenzeitung zu werfen, ehe der Trubel im Doktorhaus begann und sie alle Hände voll zu tun hatte.

Sie huschte aus ihrer Kammer hinüber ins Badezimmer. Im Haus war es noch still. Vermutlich schlief die Familie noch. Es war ja kaum fünf Uhr vorbei!

Zenzi wusch sich und zog sich an. Seit über vierzig Jahren war sie die gute Seele des Doktorhauses. Sie kochte und kümmerte sich darum, dass es weder dem Bergdoktor noch seiner Familie an etwas fehlte. Und sie liebte die Familie, als wäre es ihre eigene.

Zum Frühstück werde ich Orangen auspressen, nahm sie sich vor, während sie ihre grauen Haare zu einem Zopf flocht und am Hinterkopf feststeckte. Die Kinder mögen den Saft, und sie können den Vitaminschub nach dem langen Winter gut gebrauchen.

Zenzi warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. Danach verließ sie das Bad – oder hatte es zumindest vor, aber als sie die Tür öffnete, saß draußen ein Dackel im Flur und blickte zu ihr auf.

»Guten Morgen, Poldi. Na, du hast mich wohl umgehen gehört, was? Hat dich das geweckt?«

Der kleine Hund wedelte heftig und blickte dabei erwartungsvoll auf.

»Das ist net dein Ernst«, seufzte Zenzi. »Du willst rausgehen? Jetzt schon?«

Poldi sprang auf seine vier Pfoten und legte den Kopf schief, als wollte er fragen: Geht’s jetzt los?

»Also schön«, ließ sie sich erweichen. »Aber nur eine kurze Runde, danach koche ich erst einmal Kaffee, einverstanden?«

Sie stieg nach unten, machte die Leine an Poldis Halsband fest und streifte eine Strickjacke über. So früh am Tag würde es draußen noch empfindlich kühl sein. Noch schnell den Haustürschlüssel eingepackt, und sie konnte sich auf den Weg machen.

Poldi sprang munter vor ihr die drei Stufen hinunter. Er schien es kaum erwarten zu können, spazieren zu gehen.

Zenzi folgte ihm durch den Garten und drehte sich noch einmal um. Das Doktorhaus war ein rustikales Alpenhaus mit einem umlaufenden Balkon. Die meisten Zimmer lagen noch im Dunkeln. Nur hinter den beiden Fenstern des Kabinettls im Erdgeschoss brannte bereits Licht. Offenbar war der Großvater bereits wach. Vermutlich las er noch im Bett, wie er es gern morgens tat.

Zenzi wandte sich um und betrachtete den roten Streifen Morgenlicht, der sich über den Bergen abzeichnete. Dunst waberte über die steilen Bergwiesen rings um das Dorf, und im Gras glitzerte Tau. Menschen waren weit und breit noch nicht zu sehen, dafür zwitscherten zahlreiche Vögel in den Bäumen.

Ein Lächeln huschte über Zenzis Gesicht, als sich eine Amsel im Kirschbaum am Gartenzaun besonders ins Zeug legte. So unscheinbar der Vogel auch war, sein Gesang wärmte ihr das Herz.

Sie schlenderte die Dorfstraße entlang und zog fröstelnd die Schultern hoch, als eine kalte Windböe ihr Gesicht streifte. Es war tatsächlich noch kühl! Wenigstens linderte die Bewegung das Ziehen in ihrem Rücken.

Poldi blieb am Stamm der ausladenden Kastanie vor dem Dorfladen stehen, schnupperte und hob sein Bein. Dann sauste er weiter.

Zenzi folgte ihm, musste ihn jedoch nach wenigen Minuten zurückrufen, weil er stärker an der Leine zerrte.

»Net so schnell, Kleiner. Ich bin schließlich kein ICE.«

Sie stapfte weiter. Plötzlich klirrte zu ihrer Rechten etwas laut im Garten eines Bauernhauses. Es hörte sich an, als wäre Porzellan gegen eine Wand geprallt und zerbrochen. Gleich darauf erklang eine laute, zornige Männerstimme.

»… dachtest du etwa, ich würde es net merken, Gaby?«

Zenzi zuckte zusammen. Nanu? Was war denn da los? Das kam doch vom Hof der Wächtlers!

Das junge Ehepaar bewirtschaftete den Hof seit einigen Jahren. Sie hatten einen kleinen Sohn und lebten sehr zurückgezogen. Nur selten sah man sie auf den Dorffesten. Ihr Hof lag auf einer Anhöhe am Rand von St. Christoph.

Unwillkürlich schaute Zenzi hinüber und entdeckte Gaby und Hannes Wächtler im Garten. Der junge Bauer fuchtelte mit einer Hand, als wollte er einen Schwarm Mücken vertreiben. Seine Frau stand schreckensstarr vor ihm und hielt die Hände über der Brust verschränkt. Sie sah aus, als würde sie am liebsten einen Schild um sich herum aufbauen.

»Mehrere unserer Hühner fehlen, und du wolltest es mir verheimlichen?«, keifte er. »Was verbirgst du noch vor mir, Gaby? Was? Sag es mir!«

Die Antwort der jungen Bäuerin war so leise, dass sie nicht zu verstehen war, aber sie schien ihn nicht zu besänftigen, denn er brüllte nur noch lauter.

»Der Hof steht auf der Kippe. Ich schufte mir jeden Tag den Buckel krumm, damit wir ihn net verlieren. Ist es wirklich zu viel verlangt, dass du mich unterstützt?«

»Natürlich net …«