Der Bergdoktor 1922 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 1922 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Der junge Bauer Julius Meinrad macht sich auf zu einer Wanderung durch die schöne Bergwelt des Hexensteins. Nur die heilende Kraft der Natur kann heute seine Gedanken beruhigen! Doch was ist das? Unvermittelt dringt ein lieblicher Gesang an sein Ohr. Das Lied klingt so schwermütig, dass es ihm ein Frösteln verursacht. Er bleibt stehen und lauscht, kann aber den Sinn der Ballade nicht ergründen, die Sprache ist ihm fremd. Dennoch spürt er die tiefe Traurigkeit, die darin mitschwingt, und die sanfte Altstimme der Sängerin geht ihm unter die Haut.

Hinter der nächsten Biegung bleibt er wie angewurzelt stehen. Auf einer reich blühenden Wiese sitzt eine junge Frau und windet einen Blumenkranz, während sie selbstvergessen ihre Ballade singt.

Als sie ihr Lied beendet, verlässt Julius sein Versteck und nähert sich ihr behutsam an. Doch in seinem Bemühen, sie nicht zu erschrecken, stolpert er. Erschrocken reißt die schöne Fremde den Kopf hoch und sieht ihn aus großen Augen verstört an. Dann wirft sie den Kranz ins Gras, springt auf und rennt davon ...

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Seitenzahl: 137

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Impressum

Im Schatten des Hexensteins

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Michael Wolf

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-6457-6

www.bastei-entertainment.de

Im Schatten des Hexensteins

Für ein geheimnisvolles Mädchen begibt sich Julius in Gefahr

Von Andreas Kufsteiner

Der junge Bauer Julius Meinrad macht sich auf zu einer Wanderung durch die schöne Bergwelt des Hexensteins. Nur die heilende Kraft der Natur kann heute seine Gedanken beruhigen! Doch was ist das? Unvermittelt dringt ein lieblicher Gesang an sein Ohr. Das Lied klingt so schwermütig, dass es ihm ein Frösteln verursacht. Er bleibt stehen und lauscht, kann aber den Sinn der Ballade nicht ergründen, die Sprache ist ihm fremd. Dennoch spürt er die tiefe Traurigkeit, die darin mitschwingt, und die sanfte Altstimme der Sängerin geht ihm unter die Haut.

Hinter der nächsten Biegung bleibt er wie angewurzelt stehen. Auf einer reich blühenden Wiese sitzt eine junge Frau und windet einen Blumenkranz, während sie selbstvergessen ihre Ballade singt.

Als sie ihr Lied beendet, verlässt Julius sein Versteck und nähert sich ihr behutsam. Doch in seinem Bemühen, sie nicht zu erschrecken, stolpert er. Erschrocken reißt die schöne Fremde den Kopf hoch und sieht ihn aus großen Augen verstört an. Dann wirft sie den Kranz ins Gras, springt auf und rennt davon …

»Herrschaftszeiten, das gute Geschirr!«

Die Bäuerin vom Meinradhof am Rautenstein, einem der steinernen Riesen um das Zillertaler Bergdorf St. Christoph, schlug die Hände zusammen. Unglücklich blickte sie auf die Suppenschüssel, die in tausend Scherben zerbrochen auf dem Boden lag, während die fettige Brühe durch die frisch gewischte Küche schwamm.

»Wird Zeit, dass endlich eine Jungbäuerin auf den Hof kommt! Mir wird die Arbeit langsam zu viel«, schimpfte sie verdrossen.

Sie schüttelte resigniert den Kopf. Kaum zu glauben, dass ihr Sohn einfach nicht die Partnerin fürs Leben fand! Dabei war der inzwischen einunddreißigjährige Bauer ein gestandenes Mannsbild – groß, kernig, markantes sonnengebräuntes Gesicht und ein Lächeln so warm wie der Frühlingswind.

Einziges Manko: Er verlor in Gegenwart einer hübschen Frau seine sonst stoische Gelassenheit. Dann wurde er rot, geriet ins Stottern oder benahm sich so linkisch, dass ihn seine Auserwählte eher belächelte als seinem Charme zu erliegen.

Hiltrud bückte sich und klaubte die Scherben zusammen.

»Da brauchst du mich im Stall, und gleichzeitig soll’s Essen pünktlich auf dem Tisch stehen«, lamentierte sie währenddessen weiter. »Kein Wunder, dass ich so durch den Wind bin, dass mir nun die Terrine aus der Hand gerutscht ist.«

»Jetzt reg dich doch net so auf, Mama«, versuchte Julius Meinrad zu beschwichtigen. »So ein Malheur passiert halt mal.«

Er ging neben seiner Mutter in die Hocke und fischte ein paar Scherben aus dem Haufen, wobei er sich prompt in den Finger schnitt.

Die Bäuerin schüttelte missbilligend den Kopf. »Wie kann man nur so tollpatschig sein?!«

»Ich wollte doch bloß helfen«, maulte Julius. Er stand auf, marschierte zur Spüle und ließ Wasser über die Wunde laufen.

Seufzend folgte Hiltrud ihrem Sohn, packte seine Hand und begutachtete die Schnittwunde am unteren Zeigefinger, die ziemlich tief war und auseinanderklaffte.

»Das muss genäht werden«, befand sie und fügte mahnend hinzu: »Damit solltest du den Bergdoktor konsultieren.«

Dr. Martin Burger, der Landarzt von St. Christoph, wurde von seinen dankbaren Patienten nur respektvoll »Bergdoktor« genannt. Damit erwiesen sie ihm ihre Ehre und zeigten ihre Dankbarkeit dafür, dass er eine vielversprechende Karriere als Chirurg an einer großen Klinik an den Nagel gehängt hatte, um die Landarztpraxis seines Vaters zu übernehmen. Andernfalls wäre das abgelegene Zillertaler Bergdorf ohne medizinische Versorgung gewesen, da es nur noch wenige Ärzte gab, die sich die Bürde einer Landarztpraxis auferlegten, wo sie quasi nie Feierabend hatten und nicht selten auch noch als Seelendoktor herhalten mussten.

»Schmarrn, ein Pflaster genügt«, wimmelte Julius unwirsch ab. »Wegen der Lappalie belästige ich den Doktor gewiss net.«

Er stapfte zum Apothekerschränkchen an der Wand und holte eine Packung Pflaster heraus, doch Hiltrud nahm ihrem Sohn das Verbandsmaterial ab.

»Die Wunde muss zuvor desinfiziert werden«, entschied sie.

Sie nahm ein antiseptisches Mittel aus dem Schrank, öffnete es und schüttete etwas davon auf einen Tupfer. Dann säuberte sie behutsam die Verletzung. Das Desinfektionsmittel brannte höllisch, wie sie dem Mienenspiel ihres Sohnes ansah. Trotzdem winkte er mürrisch ab, als sie die Verletzung verbinden wollte.

»Kein Verband, der behindert mich nur bei der Arbeit, Pflaster genügt«, wiederholte er.

»Aber die Wunde schaut net gut aus«, widersprach Hiltrud besorgt. »Sie muss …«

»Ich bin net aus Zucker, Mama«, fiel Julius ihr ins Wort und drängte: »Jetzt kleb schon das Pflaster drüber, und gut ist.« Er kratzte sich am Kinn. »Was gibt’s denn nun zu essen, mir knurrt der Magen.«

Letzteres stimmte nicht ganz, der Appetit war ihm vergangen. Der lädierte Zeigefinger an seiner rechten Hand schmerzte mehr, als ihm lieb war.

Er seufzte. Seine ungewöhnlich großen Hände waren nun mal mehr für derbe Arbeiten geeignet als für so diffizile Dinge, wie feine Scherben aufzuklauben. Aus Angst, Geschirr zu zerdeppern oder sonst einen Schaden anzurichten, überließ er die Wirtschaft im Haus ohnehin lieber der Mutter.

Auf dem Hof machte ihm dagegen niemand was vor, den bestellte er – bis auf gelegentliche Saisonarbeiter – allein. Er arbeitete unermüdlich von früh bis spät, reparierte alles, was nottat, und versorgte seine zahlreichen Tiere, ein halbes Dutzend Schweine, mehrere Ziegen und Federvieh sowie dreißig Milchkühe.

Seit ein paar Jahren erleichterte ihm eine Melkmaschine die Arbeit etwas. Aber davor hatte er von Hand gemolken, und keine seiner Kühe hatte sich je beschwert. Offenbar waren hier seine Hände feinfühlig genug und nicht »die Pratzen eines tollpatschigen Bären«, wie ihm ein Madel einmal an den Kopf geworfen hatte, weil er sich beim Liebesspiel ein bisserl plump angestellt hatte.

Damals war er noch ein Grünschnabel gewesen. Trotzdem hatte ihn der Hohn der jungen Frau, in die er sich ernsthaft verliebt hatte, so verunsichert, dass er seither nichts mehr von der holden Weiblichkeit wissen wollte.

Am meisten hatte ihn verletzt, dass sie ihn auch noch vor seinen Freunden geschmäht hatte. Das hatte ihm den Glauben an die Liebe geraubt.

Natürlich gab es hin und wieder ein lockeres Gspusi, aber seither war es keiner Frau mehr gelungen, sein Herz zu berühren. Wenn er einmal heiraten würde, dann nur, weil die Mutter nicht damit aufhörte, ihm in den Ohren zu liegen, er möge sich endlich nach einer passenden Partnerin umsehen. Sie wollte die Wirtschaft im Haus an eine Jüngere abgeben und Enkel in den Armen wiegen.

Dabei war sie mit ihren einundsechzig Jahren noch nicht alt. Aber das jahrelange Malochen auf dem großen Hof hatte sie mürbe gemacht. Als Julius vierzehn Jahre alt gewesen war, war sein Vater bei einem Bergunfall ums Leben gekommen. Er hatte der Bergwacht angehört und einem Touristen geholfen, der sich hoffnungslos verstiegen hatte. Den Mann hatte er retten können, doch selbst war er abgestürzt.

Daraufhin hatte die Mutter den großen Hof mehr schlecht als recht allein bewirtschaftet. Die Witwen- und Waisenrente hatte kaum zum Leben gereicht, und die Unfallversicherung hatte nicht gezahlt. Angeblich hatte sein Vater leichtfertig gehandelt, als er dem Verunglückten geholfen hatte, ohne auf seine Kameraden zu warten.

Noch heute kochte in Julius der Zorn hoch, wenn er daran dachte, wie kaltherzig diese Paragrafenhengste eine Witwe mit ihrem halbwüchsigen Sohn im Stich gelassen hatten. Dabei war es erwiesen, dass der Tourist nicht überlebt hätte, wenn sich sein Retter an die Vorschriften gehalten hätte.

Wortlos nahm Hiltrud einen Laib Brot aus einem großen Tontopf und schnitt einen Kanten davon ab. Dann holte sie eine Dauerwurst aus der Vorratskammer, schnitt auch hiervon ein Stück ab und gab alles auf einen Holzteller.

»Brotzeit muss heute genügen«, meinte sie trocken, als sie die karge Mahlzeit vor ihrem Sohn auf den Tisch stellte. »Ich hab genug damit zu tun, den Schlamassel zu beseitigen. Am Nachmittag will der Roseder vorbeikommen und den Ablauf der Seniorenfeier im Pfarrheim besprechen, die diesen Samstag stattfindet.«

Sie war ehrenamtlich im Frauenverein tätig, der sich um die Alten und Kranken im Dorf kümmerte. Einmal im Monat wurde im Pfarrheim eine Feier mit einer opulenten Mahlzeit, Spiel und Gesang ausgerichtet, was die Leute von der Eintönigkeit ihres oft trüben Alltags ablenkte.

Julius verdrehte die Augen. »Warum packst du dir auch so viel auf, Mama? Du hast doch auf dem Hof genug zu tun.« Er zog den Brotzeitteller bei und schnitt ein Stück Wurst ab, das er in den Mund steckte. Doch so recht schmecken wollte es ihm nicht. Die Wunde an seiner Hand schmerzte.

»Weil ich’s gern tue«, erwiderte Hiltrud lakonisch, fügte aber, süffisant grinsend, hinzu: »Die Dankbarkeit dieser Leute entschädigt mich für die Selbstverständlichkeit, mit der mein Herr Sohn meine Arbeit als selbstverständlich hinnimmt.«

Sie stemmte die Hände in die ausladenden Hüften.

»Und damit du’s nur weißt: Demnächst kommt eine Magd her, die mir bei der Wirtschaft im Haus hilft und mich bei der Hofarbeit entlastet. Dabei ist’s mir gleich, dass du kein fremdes Frauenzimmer um dich haben willst, nur weil dir damals dieses dumme Luder mit ihrem Hohn den Schneid abgekauft hat und du seither einen großen Bogen um die Weibsleut machst.«

»So ist’s net«, protestierte Julius lahm. »Ich hab schon mein Gspusi. Aber heiraten will ich halt net, und eine Magd kommt mir erst recht net auf den Hof, höchstens ein Knecht.«

»Der mir dann genauso bei der Hauswirtschaft zur Hand geht wie du?«, höhnte Hiltrud.

Sie schüttelte entschieden den Kopf.

»Diesmal lass ich net mit mir handeln. Ich hab da schon jemanden im Auge. Babette heißt sie, und sie stammt aus einem Bauernhof im Tuxertal, kennt sich also mit der Hofarbeit aus. Wenn sie zusagt, wirst du dich fügen. Andernfalls kannst du dich nach einer anderen Wirtschafterin umsehen. Dann kündige ich.« Stolz reckte sie ihre kleine, rundliche Gestalt.

Julius zog überrascht die Augenbrauen hoch. So drastisch hatte ihm die Mutter noch nie die Pistole auf die Brust gesetzt. Er rieb verdrossen sein Kinn.

»Dann hol das Frauenzimmer halt her, damit ich’s mir anschauen kann.« Er schob den Teller von sich. »Ich hab jetzt doch keinen Hunger, lab mich später am Kuchen.«

Natürlich durchschaute Hiltrud den Grund für die Appetitlosigkeit ihres sonst so hungrigen Sohnes.

»Du solltest doch besser zum Arzt gehen«, warnte sie abermals. »Auch eine scheinbar harmlose Wunde kann Probleme bereiten und gar zur Blutvergiftung führen, wenn sie sich entzündet.«

»Jetzt mal net gleich den Teufel an die Wand, Mama«, knurrte Julius und betrachtete skeptisch seine Hand, die seltsam spannte. Dann winkte er abermals ab. »Ich marschiere gleich morgen zum Doktor, versprochen. Aber am heiligen Sonntag belästige ich niemanden.«

Bevor die Mutter nochmal versuchen konnte, ihn zu gängeln, stapfte er hastig davon.

***

Besorgt blickte Hiltrud ihrem Sohn nach. Den Sturkopf hatte Julius von seinem Vater geerbt. Der war auch erst zum Arzt gegangen, wenn es schon fünf vor zwölf gewesen war.

Aber als dann das verhängnisvolle Unglück passiert war, hatte ihrem Jakob auch kein Arzt mehr helfen können. Er war auf der Stelle tot gewesen, wie Dr. Pankraz Burger, der alte Landarzt, damals festgestellt hatte. Ein Steinschlag hatte den erfahrenen Bergsteiger in die Tiefe gerissen, nachdem er den leichtsinnigen Touristen an der Felswand gesichert hatte, aber selbst kurz ohne Sicherung gewesen war.

Mit weher Geste wischte Hiltrud eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie war nicht abergläubisch, aber manchmal glaubte sie schon an die Heimtücke des Schicksals. Denn genau wegen diesem Moment der Unachtsamkeit ihres Mannes hatte die Versicherung die Zahlung verweigert. Das Geld hätte ihren Jakob natürlich nicht zurückgebracht, aber ihr das Leben als Witwe mit einem halbwüchsigen Sohn doch erleichtert.

Der Blick der Bäuerin fiel auf den verschmutzten Boden. Sie seufzte. Was haderte sie mit der Vergangenheit, während die Küche im Dreck schwamm?

Verdrossen holte sie einen Eimer aus der Abstellkammer sowie Schaufel und Besen. Dann ging sie in die Hocke, schoss aber sofort wieder hoch, als ein schneidender Schmerz ihren Rücken durchzuckte.

Stöhnend ließ sie sich auf einen Stuhl fallen. Das war schon häufiger vorgekommen, und Dr. Burger meinte, das wären die Folgen der jahrelangen Plackerei auf dem Hof, sie müsse sich mehr schonen. Doch wie sollte sie das tun, wenn niemand da war, der ihr die Arbeit abnahm, und Julius sich gegen fremde Hilfe wehrte?

Natürlich war es auch eine Frage der Finanzen. Der neue Traktor und die Melkanlage waren wichtiger als ein Knecht oder eine Magd – zumindest, solange sie und Julius noch in der Lage waren, die Arbeit allein zu bewältigen. Doch nun kamen sie langsam an ihre Grenzen.

Mit tiefgründigem Lächeln rieb Hiltrud ihr Kinn. Sie hatte die bildhübsche Babette Reimer nicht ohne Hintergedanken ausgesucht. Sollte Hiltruds List Erfolg haben, würde vielleicht ihr größter Wunsch in Erfüllung gehen und der Meinradhof endlich seine Jungbäuerin bekommen.

Die siebenundzwanzigjährige gelernte Friseurin war die Tochter ihrer Schulfreundin Marlies, die in eine Bauernfamilie im Tuxertal eingeheiratet hatte. Vor ein paar Wochen hatten Marlies und sie sich zufällig in Mayrhofen getroffen, nachdem sie sich zuvor einige Jahre aus den Augen verloren hatten.

Bei dem Treffen hatte ihr die Freundin ihr Leid geklagt. Sie war seit Langem geschieden und lebte mit ihrer Tochter in einer bescheidenen Wohnung am Ort, während ihr Exmann wieder geheiratet hatte. Nun sollte der erwachsene Sohn seiner neuen Frau den Hof erben, den er zuvor Babette versprochen hatte, die ebenfalls nicht seine leibliche Tochter war.

Daraufhin hatte Babette Friseurin gelernt, war aber mit dem Beruf nicht glücklich; sie wäre viel lieber Bäuerin geworden. Gerade hatte sie wieder ihre Anstellung verloren, weil sie sich mit ihrem Chef angelegt hatte.

Da war ihr Hiltruds Angebot, für sie als Magd zu arbeiten, gerade recht gekommen. Zumal die Aussicht, unter Umständen Bäuerin auf dem schmucken Meinradhof zu werden, gar zu verlockend war.

Hiltrud war überzeugt, dass ihr Sohn der hübschen Magd nur schwer würde widerstehen können. Mit ihrer rassigen Figur, dem pechschwarzen Haar und dem koketten Lächeln konnte sie einem Mann schon die Sinne verwirren. Wenn Julius täglich mit der kecken, jungen Frau konfrontiert wurde, würde schon irgendwann der Funke überspringen, da war sich Hiltrud sicher.

Es musste ja nicht die große Liebe sein, Zuneigung und Respekt reichten ebenfalls für eine gute Ehe. Ihr Jakob war auch nicht die erste Wahl gewesen. Trotzdem hatten sie im Laufe der Jahre in zärtlicher Liebe zueinandergefunden, und sie hatte lange um ihn getrauert.

Stöhnend kauerte sich die Bäuerin erneut bei dem Scherbenhaufen nieder. Sie musste wahrlich kein schlechtes Gewissen haben, wenn sie ihren Heiratsmuffel von Sohn verkuppeln wollte, um die Arbeit weitgehend an eine Schwiegertochter abgeben zu können.

Auf Amor konnte sie jedenfalls nicht zählen, so gründlich, wie dieser seine Pfeile bei Julius verschoss.

***

Das Gespräch mit Pfarrer Roseder nahm die Bäuerin so in Anspruch, dass ihr die Einsilbigkeit und das rote Gesicht ihres Sohnes nicht auffielen. Schließlich wurde der Pfarrer auf das schlechte Aussehen des jungen Bauern aufmerksam, der kaum den Kuchen anrührte, den Hiltrud zum Kaffee aufgetischt hatte.

»Du bist heute aber net besonders gesprächig, Julius«, meinte er stirnrunzelnd. »Brütest du was aus?«

Der Bauer schüttelte unwirsch den Kopf. »Schmarrn, nur weil ich mal net so gut drauf bin, muss ich net gleich krank sein. Ich habe ein bisserl Schädelweh. Aber das vergeht schon wieder.«

Er wollte nicht zugeben, dass er sich tatsächlich hundeelend fühlte und inzwischen nicht nur sein Finger höllisch schmerzte, sondern die ganze rechte Hand.

Doch Hiltrud ließ sich nicht täuschen. Bevor Julius sie abwehren konnte, fühlte sie seine Stirn.

»Du glühst ja«, stellte sie erschrocken fest.

Ihr Blick glitt zu dem Pflaster an seinem Finger hinab, das völlig verdreckt und blutverkrustet war.

»Offenbar hast du beim Stallausmisten Schmutz in die Wunde gebracht, und jetzt hat sich’s entzündet«, befürchtete sie. »Damit ist net zu spaßen.« Energisch schob sie ihr Kaffeehaferl von sich. »Ich bring dich zum Bergdoktor.«

»Das geht net, Mama«, wimmelte Julius nervös ab. »Es ist Melkzeit, die Kühe müssen an die Maschine, sonst schmerzt ihnen das Euter.«

Er machte Anstalten, sich zu erheben, sank aber benommen zurück. Alles um ihn herum drehte sich.

»Hiltrud kann sich ums Vieh kümmern, ich fahr dich zum Arzt«, entschied Pfarrer Roseder, ein energischer Mann um die fünfzig, der die Schäfchen seiner Gemeinde fest im Griff hatte. Stirnrunzelnd fügte er hinzu: »Eine Blutvergiftung ist eine ernste Sache, und das sieht mir ganz nach einer aus.«

Julius wollte abermals widersprechen, spürte aber plötzlich eine Schwäche in sich, wie er es noch nie erlebt hatte. Auch war ihm heiß und gleichzeitig eiskalt. Ergeben nickte er.