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Das Wunder von St. Christoph - Das Lachen ihres Kindes holte Marie ins Leben zurück
Ehrfürchtig und mitleidig zugleich schaut Daniel Helmberger auf die schlafende Frau vor ihm. Wie schön sie ist - und wie blass!, denkt er. Schon seit Monaten liegt Marie, die Bäuerin auf dem Erler-Hof, im Wachkoma. Eigentlich glaubt kaum jemand, dass sie noch einmal aufwachen wird. Doch der junge Zimmermann auf der Walz mag das nicht hinnehmen. Irgendetwas muss man doch für Marie tun können!
"Du solltest ihr was vorlesen", schlägt der Bergdoktor Daniel vor, als der ihn um Rat fragt. "Vielleicht dringst du so zu ihr durch."
Und so sitzt Daniel nach Feierabend Stunde um Stunde an Maries Bett und liest der schlafenden Bäuerin ihre Lieblingsbücher vor. Doch leider scheint sich an ihrem Zustand nichts zu ändern - bis durch das geöffnete Fenster das Lachen ihrer fünfjährigen Tochter zu ihnen hereindringt ...
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Seitenzahl: 129
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Das Wunder von St. Christoph
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-6568-9
www.bastei-entertainment.de
Das Wunder von St. Christoph
Das Lachen ihres Kindes holte Marie ins Leben zurück
Von Andreas Kufsteiner
Ehrfürchtig und mitleidig zugleich schaut Daniel Helmberger auf die schlafende Frau vor ihm. Wie schön sie ist – und wie blass!, denkt er. Schon seit Monaten liegt Marie, die Bäuerin auf dem Erler-Hof, im Wachkoma. Eigentlich glaubt kaum jemand, dass sie noch einmal aufwachen wird. Doch der junge Zimmermann auf der Walz mag das nicht hinnehmen. Irgendetwas muss man doch für Marie tun können!
»Du solltest ihr was vorlesen«, schlägt der Bergdoktor Daniel vor, als der ihn um Rat fragt. »Vielleicht dringst du so zu ihr durch.«
Und so sitzt Daniel nach Feierabend Stunde um Stunde an Maries Bett und liest der schlafenden Bäuerin ihre Lieblingsbücher vor. Doch leider scheint sich an ihrem Zustand nichts zu ändern – bis durch das geöffnete Fenster das Lachen ihrer fünfjährigen Tochter zu ihnen hereindringt …
»Mistwetter, elendes!«
Grimmig rückte Ludwig Sirch seinen Stuhl näher an die Heizung heran. In seinem Büro war es so kalt, dass er mit Mütze und Handschuhen am Schreibtisch saß und trotzdem fror. Durch die Fensterritzen pfiff der Wind herein, und die Heizung brachte kaum mehr Wärme als der Gletscher droben am Feldkopf. In den Rohren klopfte und rumorte es.
Ausgerechnet jetzt musste die einzige Wärmequelle der Dienststelle ihren Geist aufgeben! Draußen war es sicher nicht »wärmer« als zehn oder fünfzehn Grad unter null! Der Monteur war bestellt, hatte jedoch erst am nächsten Vormittag Zeit.
Hoffentlich halten die Rohre noch so lange durch, ohne einzufrieren, sorgte sich der Gendarm. In Sibirien kann es momentan kaum kälter sein als hier bei uns.
Er beugte sich tiefer über seinen Schreibtisch und tippte den Bericht ein, den er an diesem Abend zu Ende bringen wollte. Der Kaffee in seinem Becher war längst kalt geworden. Er überlegte, ob er sich einen zweiten zubereiten sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Zu viel Koffein würde nur dazu führen, dass er die ganze Nacht schlaflos durch seine Wohnung tigerte.
Nein, besser, er sputete sich und machte Feierabend für heute. Schließlich wartete daheim nicht nur seine Badewanne auf ihn, sondern auch ein Hörspiel im Radio. Im warmen knisternden Badeschaum einem Abenteuer lauschen – darauf freute er sich schon den ganzen Tag.
Flink wirbelten seine Finger über die Tasten des Computers. Dann drückte er auf die Speichertaste. Das Symbol drehte und drehte sich, ohne dass etwas geschah. Sein Rechner war ein bisschen schwach auf der Brust und brauchte immer ewig, um ein Dokument abzuspeichern.
Bei den Großkopferten in der Zentrale war der Posten von St. Christoph nicht mehr als eine Fußnote. Finanzielle Mittel tröpfelten immer nur zu ihnen durch. Vermutlich lag das auch daran, dass hier im Zillertal kaum jemals ein Verbrechen verübt wurde.
Ludwig war stolz darauf, dass er selten mehr zu tun hatte, als einen Zank unter Bauern zu schlichten oder ein verschwundenes Huhn zu suchen, das dann meistens vom Fuchs geholt worden war. Als Gendarm fühlte er sich für die Sicherheit der Dorfbewohner verantwortlich, und diese Aufgabe nahm er sehr ernst. Er hatte ein Herz aus Gold, konnte aber kräftig wettern, wenn er es für notwendig hielt.
Sein Büro war sehr aufgeräumt, jede Akte hatte ihren festen Platz. Auf dem Fensterbrett staubten einige Kakteen vor sich hin.
Vor den Fenstern des Gendarmerie-Postens war es bereits dunkel. Schneeflocken trieben vorbei. In dem Wirbel waren die Berge nicht einmal mehr auszumachen. Lediglich einige Lichter des Dorfes schimmerten durch die Dunkelheit herüber wie einsame Schiffe auf einem sturmgepeitschten Meer.
St. Christoph war eine kleine Gemeinde in einem hoch gelegenen Seitenarm des Zillertals. Hier herauf führte nur eine einzige Straße, und die war schmal und steil genug, um im Winter öfter von Schneeverwehungen und umgestürzten Bäumen versperrt zu sein.
Die Gebirgler waren daran gewöhnt und trugen es mit Fassung. Warum sich auch darüber aufregen? Das änderte schließlich nichts.
Ludwig Sirch war hier aufgewachsen und liebte seine Heimat. Auch wenn das Wetter und die Berge im Alltag häufig eine Herausforderung darstellten, hätte er nirgendwo anders leben wollen.
Er war schon seit vielen Jahren Gendarm. Während der warmen Jahreszeit fuhr er mit seinem Motorrad auf Streife, doch im Winter musste er notgedrungen auf den Dienstwagen umsteigen, auch wenn es ihm schwerfiel. Sein »Maschinerl« fehlte ihm. Er zählte schon die Wochen im Kalender, bis er es wieder hervorholen konnte.
Auf dem Schreibtisch seines Assistenten lag eine angebrochene Packung Kekse. Ludwig knurrte der Magen. Er zögerte kurz, dann langte er zu und nahm sich einen Keks.
Bäh, das süße Teilchen fühlte sich nicht nur an wie Pappe, es schmeckte auch so! Hastig spülte er es hinunter … und nahm sich – allem Widerwillen zum Trotz – noch eines. Der Hunger trieb es hinein.
Den letzten Keks ließ er ebenfalls noch verschwinden. Morgen würde er vor der Arbeit am Laden halten und seinem Assistenten eine neue Packung kaufen. Hoffentlich führte die Alma pappige Kekse!
Schnaufend brachte Ludwig seinen Bericht zu Ende. Einem Urlauber waren die Skier gestohlen worden. Er hatte sie vor dem Hotel abgestellt, und wenig später waren sie verschwunden gewesen. Daraufhin hatte er einen anderen Gast des Diebstahls verdächtigt, die Männer waren in einen Streit geraten und hatten sich im Schnee geprügelt.
Ludwig hatte die beiden Hitzköpfe zur Raison gebracht. Am Ende hatte sich herausgestellt, dass ein dritter Urlauber die Skier nur mit seinen eigenen verwechselt hatte – zerknirscht hatte er sie zurückgebracht und sich entschuldigt.
Endlich war der Bericht geschafft. Ludwig fegte die Kekskrümel von seinem Schreibtisch in seine hohle Hand, öffnete das Fenster und ließ sie in das Vogelhaus auf dem Fensterbrett fallen. Dann holte er eine Tüte mit Vogelfutter unter seinem Schreibtisch hervor und füllte das Vogelhaus auf.
Dabei schaute er sich unwillkürlich um. Es wäre ihm gar nicht recht gewesen, wäre er bei seinem Tun beobachtet worden. Die bösen Buben sollten ruhig glauben, dass er kein Herz hatte.
Ludwig schloss das Fenster wieder und strich sich über den Schnurrbart. Für heute hatte er es geschafft. Er schaltete seinen Computer aus, schloss den Reißverschluss seiner Winterjacke und löschte das Licht.
Bedächtig nickte der Gendarm vor sich hin, während er in Gedanken noch einmal seine Pläne für den Abend durchging. Er stapfte die Dorfstraße hinauf, weil der Bürgersteig längst zugeschneit war und er darauf bis zu den Knien eingesunken wäre.
Auch auf der Straße häufte sich der Schnee bereits wieder knöchelhoch, dabei war der Gunnar vor weniger als einer Stunde mit dem Schneepflug gefahren. Ludwig hatte die orangefarbenen Drehlichter von seinem Schreibtisch aus gesehen.
Allerdings schneite es so heftig, dass der Winterdienst mit dem Räumen kaum nachkam. Zum Glück war so spät am Abend niemand mehr unterwegs, sodass es keinen Menschen störte, dass Ludwig auf der Straße lief.
Der Schnee knirschte unter seinen Stiefeln, und der Wind wehte ihm genau entgegen – er stach wie Nadelspitzen in seine Wangen. Herrschaftszeiten! Er zog seinen Schal über Mund und Nase und stemmte sich gegen den Sturm.
Zu seiner Rechten tauchte der Erler-Hof auf, ein hübsches Anwesen, dessen Haustür sperrangelweit offen stand. Licht fiel heraus in den Schnee. Weit und breit war kein Mensch zu sehen.
Nanu? Warum ließen die Erlers denn bei dieser Kälte die Tür offen?
Verwundert blieb Ludwig stehen und spähte zu dem Bauernhaus hinüber. Tatsächlich, niemand zu entdecken. Merkwürdig!
In seinem Magen meldete sich das verdächtige Rumoren, das er immer dann verspürte, wenn etwas nicht stimmte. In den langen Jahren seiner Arbeit als Gendarm hatte er einen siebten Sinn für Gefahren entwickelt – und der schlug gerade Alarm wie ein Nebelhorn.
»Marie?«
Er lenkte seine Schritte zum Haus und spähte in den Korridor. Der Wind hatte den Schnee hineingeweht. Eine dicke weiße Schicht bedeckte den Holzfußboden.
»Jannes? Seid ihr daheim?«
Niemand antwortete ihm.
Ludwig presste den Daumen auf die Türklingel. Sie schrillte gut hörbar, aber niemand kam, um nachzusehen. Nicht einmal die kleine Elli, ein sonniger Wirbelwind von fünf Jahren, die sonst jeden Besucher begeistert begrüßte.
Das mulmige Gefühl in seinem Magen wurde stärker.
»Marie? Jannes? Ich bin es, der Sirch-Ludwig. Ist alles in Ordnung bei euch?«
Seine Stimme hallte durch das Haus, doch niemand reagierte.
»Also schön, dann werde ich mich mal auf dem Hof umschauen«, entschied er.
Während er das Haus umrundete, stemmte er die Fäuste in die Taschen. Ein Stall und eine Scheune gehörten zum Hof dazu. Im Stall standen die Ziegen der Familie, die Milch und Käse für den Verkauf lieferten. Kühe gab es nur noch zwei auf dem Hof. Der Bauer glaubte, dass ihre Haltung nicht mehr rentabel war. Ein halb fertiges Gästehaus stand auf einem Hang.
Da hat der Jannes zu spät im Jahr mit dem Bau begonnen, ging es Ludwig durch den Kopf. Nun ist ihm der Winter dazwischengekommen. Er hat alleweil große Pläne, seitdem er den Hof von seinen Eltern übernommen hat. Nur mit der Umsetzung hapert es.
Der alte Erler und seine Frau waren nach Salzburg gezogen und wollten noch ein bisserl Kultur tanken, wie sie es ausdrückten. Net der schlechteste Plan, fand Ludwig. Sie waren beide nicht mehr gesund, da wäre ihnen die Arbeit auf dem Hof ohnehin zu viel geworden.
Der Gendarm stapfte um das Haus herum und stockte plötzlich. Vor ihm breitete sich eine tiefrote Lache im Schnee aus. Das war Blut! Viel Blut!
»Jessas, Maria und Josef, was ist denn hier passiert?«
Er ließ den Blick wandern und entdeckte eine zierliche Gestalt, die neben der Scheune lag. Marie Erler! Die junge Bäuerin trug nichts als ein Dirndl und flache Schuhe. Viel zu wenig bei dieser Kälte!
Der Schnee hatte sie schon halb zugedeckt, und ihre Augen waren geschlossen. Ihr Gesicht war so weiß, dass es dem Gendarmen himmelangst wurde.
»Marie? Was machst du denn für Sachen?«
Ludwig kniete sich neben die Bäuerin in den Schnee und tastete nach ihrem Puls. Ihr Herz schlug noch, aber so langsam, als müsste es sich zu jedem Schlag erst aufraffen. Obendrein hatte sie eine Wunde am Hinterkopf. Blut breitete sich unter ihr im Schnee aus. Das sah übel aus!
Der Gendarm blickte auf und entdeckte einen tiefroten Fleck an der Wand des Schuppens – ungefähr in Kopfhöhe. War Marie dagegen gefallen? Oder gar gestoßen worden?
Aber von wem? Von einem Einbrecher? Und wo, um alles in der Welt, war ihr Mann? Stammte das viele Blut im Hof etwa von ihm?
Ludwig zog seine Jacke aus und breitete sie über die Bäuerin.
»Ich bin gleich wieder da!«, versprach er ihr mit rauer Stimme und schob das Stalltor auf. »Jannes? Bist du hier? Kannst du mich hören?«
Nur die Rufe der Ziegen antworteten ihm.
Allerdings bemerkte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Jemand duckte sich blitzschnell hinter einen Stapel Heu – eine kleine Gestalt mit blonden Zöpfen. Die Tochter der Erlers!
»Elli!«
Ludwig Sirch rannte zu ihr hinüber und erschrak, denn die Fünfjährige kauerte mit schreckgeweiteten Augen hinter dem Heu und zitterte am ganzen Leib. Ihr schmales Gesicht war weißer als der Schnee draußen. So verängstigt hatte er sie noch nie gesehen!
»Elli? Ist schon gut«, sagte er sanft. »Ich werde dir nichts tun. Du kennst mich doch. Ich bin es, der Onkel Ludwig.« Er streckte lockend die Hand aus, aber Elli drückte sich nur noch verzweifelter mit dem Rücken gegen die Stallwand. »Kannst du mir sagen, wo dein Vater ist?«
Elli schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre Zöpfe flogen.
»Komm hinter dem Heu vor, ja? Du musst ins Warme, Elli. Hier ist es viel zu kalt für dich.«
Sie blieb, wo sie war.
Da zog er ein Bonbon aus seiner Tasche. Es war schon etwas klebrig, aber etwas Besseres hatte er nicht.
»Hier, das ist für dich.«
Elli schaute ihn nur schweigend an.
»Es schmeckt nach Karamell. Magst du Karamell?«
Sie nickte kaum merklich.
»Prima. Ich mag ihn auch. Nimm das Bonbon. Es ist für dich.«
Zaghaft langte sie zu und schob sich die Süßigkeit in den Mund.
»Was ist hier passiert, Elli? Wer hat euch das angetan?«
Die Fünfjährige senkte den Kopf und schwieg.
»Bist du verletzt?«
Elli erwiderte nichts, aber in diesem Augenblick riss eine Sturmbö das Stalltor auf, sodass es krachend gegen die Mauer schlug. Elli schrie auf und barg den Kopf unter ihren Armen.
»Mei, Elli …«
Ludwig Sirch erkannte, dass er allein nichts ausrichten konnte. Er zog sein Handy hervor, weil er den Bergdoktor und die Spurensicherung anrufen wollte. Seine Kollegen mussten aufklären, was hier geschehen war.
Und Marie! Ihr Zustand war mehr als schlimm. Ein Schädelbruch, mutmaßte er, vielleicht innere Blutungen. Er hatte schon Menschen mit ähnlichen Verletzungen am Kopf gesehen. Ihr Leben war danach nie mehr so geworden, wie es einmal gewesen war.
Mitfühlend streifte sein Blick die kleine Elli.
Armes Hascherl, dachte er, ohne die Mutter steht dir nix Gutes bevor.
***
»Martin?« Leise wurde die Tür geöffnet, und seine Frau kam herein. »Schläft sie?«
»Endlich, ja.« Der Bergdoktor nickte.
Behutsam zog er die Decke über die Fünfjährige. Das Bett schien viel zu groß für das blasse Kind zu sein. Elli versank beinahe darin.
»Sie hat die ganze Zeit geweint und gezittert und war net zu beruhigen. Was auch immer sie an diesem Abend auf dem Hof ihrer Eltern gesehen hat, es muss ihr entsetzliche Angst gemacht haben. Ich habe ihr ein leichtes Beruhigungsmittel gegeben.«
»Hat sie etwas gesagt?«
»Kein Wort.«
»Also haben wir noch keine Ahnung, was ihrer Familie zugestoßen ist?«
»Leider net.« Traurig schüttelte er den Kopf. »Sie hat ein Trauma erlitten, so viel scheint mir gewiss zu sein.«
Behutsam strich er dem schlafenden Kind eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Elli stöhnte leise, wachte jedoch nicht auf.
»Meinst du, sie wird bald wieder sprechen?« Seine Frau trat neben ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Wenigstens ein paar Worte?«
»Das ist schwer zu sagen. Solange wir net wissen, was geschehen ist, wage ich kaum, eine Prognose abzugeben.«
»Und ihre Mutter?«
»Der Gendarm ist im allerletzten Augenblick dazugekommen. Es war gut, dass er mich angerufen hat. Als ich eingetroffen bin, hatte Maries Atmung gerade ausgesetzt. Sie war unterkühlt und hatte viel Blut verloren. Ich konnte sie wiederbeleben, aber …«
Er zögerte.
»Die größte Sorge bereitet mir die Verletzung an ihrem Hinterkopf«, fügte er dann hinzu. »Es ist unmöglich zu sagen, welche Schäden ihr Gehirn genommen hat. Hirnblutungen scheinen mir sehr wahrscheinlich zu sein. Die Anzeichen waren da.«
»Mei, wie furchtbar! Glaubst du, sie wird durchkommen?«
»Momentan hängt ihr Leben an einem hauchdünnen Faden. Wenn sie die nächsten achtundvierzig Stunden übersteht, dann vielleicht.« Er rieb sich das Kinn. »Allerdings liegt sie im Koma. Die Sanitäter haben sie nach Schwaz gebracht.«
»Und Jannes?«
»Ellis Vater ist spurlos verschwunden. Der Gendarm hat die Spurensicherung dazugerufen. Seine Kollegen haben sich bereits an die Arbeit gemacht, als die Sanitäter Marie in den Rettungswagen gehoben haben, doch bisher gibt es noch keine Spur von ihm. Das heißt, eine Blutspur gibt es doch. Möglicherweise vom Jannes.«
»Das ist alles so furchtbar. Eine junge Familie wurde auseinandergerissen. Ich kann das gar net fassen. Marie und Jannes haben so hart gearbeitet, um sich etwas aufzubauen. Und jetzt …« Sabine stöhnte erstickt auf. »Hat der Sirch net wenigstens einen Verdacht, was auf dem Hof passiert sein könnte?«
Martin Burger dachte an seine Unterhaltung mit dem Gendarmen zurück. Viel Zeit zum Reden war ihnen nicht geblieben, denn die Ereignisse hatten sich überschlagen, aber ein Wort hatte der Ordnungshüter doch fallen gelassen.