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Neue alte Heimat
Nach einem schweren Schicksalsschlag kehrt Nele nach St. Christoph zurück
Nele hat vor Kurzem ihren Mann verloren, und seitdem ist nichts mehr, wie es einmal war. Mit gebrochenem Herzen ist sie ins Zillertal heimgekehrt, um hier Halt und Frieden zu finden. Auf dem Hof ihrer Familie möchte sie herausfinden, wie es nun mit ihr weitergehen soll.
Seit einigen Wochen leidet sie zudem unter rätselhaften Zwischenblutungen und Abgeschlagenheit. Sie kennt diese Symptome: Genau so hat es bei ihrer Mutter begonnen - und wenige Monate später hat der Krebs ihr Leben gefordert. Wird es ihr nun ebenso ergehen?
Bleich und angespannt sitzt Nele vor dem Schreibtisch des Bergdoktors.
"Ich glaube, ich habe einen Tumor, Herr Doktor."
Dr. Burger untersucht Nele sorgfältig. Seine Diagnose lautet jedoch ganz anders als erwartet und stellt das Leben der jungen Witwe völlig auf den Kopf.
Wie es für die beiden weitergeht und wie Dr. Burgers Diagnose lautet, das erfahren Sie in Band 1955 der beliebten Bastei-Serie "Der Bergdoktor".
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Seitenzahl: 128
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Neue alte Heimat
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-7580-0
www.bastei-entertainment.de
Neue alte Heimat
Nach einem schweren Schicksalsschlag kehrt Nele nach St. Christoph zurück
Von Andreas Kufsteiner
Nele hat vor Kurzem ihren Mann verloren, und seitdem ist nichts mehr, wie es einmal war. Mit gebrochenem Herzen ist sie ins Zillertal heimgekehrt, um hier Halt und Frieden zu finden. Auf dem Hof ihrer Familie möchte sie herausfinden, wie es nun mit ihr weitergehen soll.
Seit einigen Wochen leidet sie zudem unter rätselhaften Zwischenblutungen und Abgeschlagenheit. Sie kennt diese Symptome: Genau so hat es bei ihrer Mutter begonnen – und wenige Monate später hat der Krebs ihr Leben gefordert. Wird es ihr nun ebenso ergehen?
Bleich und angespannt sitzt Nele vor dem Schreibtisch des Bergdoktors.
»Ich glaube, ich habe einen Tumor, Herr Doktor.«
Dr. Burger untersucht Nele sorgfältig. Seine Diagnose lautet jedoch ganz anders als erwartet und stellt das Leben der jungen Witwe völlig auf den Kopf.
»Verlassen Sie den Hof, sonst rufe ich die Polizei!«
Die Frauenstimme zerriss die Stille im Stall wie ein Peitschenhieb.
Daniel Hallberger blinzelte in das schummrige Licht, das die Laterne in den Verschlag warf. Offenbar wusste die Unbekannte nicht, wer er war. Er richtete sich im Stroh auf und strich ein paar Halme von seiner Hose.
Im Gang stand eine junge Frau, die ihn forschend ansah. Ihre braunen Haare waren zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr über die Schulter fiel. Sie hatte eine karierte Bluse aus warmem Flanellstoff an, dazu eine eng sitzende Jeans, die ihre langen, schlanken Beine betonte. Mit ihren hohen Wangenknochen und den dunklen Augen war sie bildhübsch.
Allerdings verbot ihr kühler Blick jede Annäherung. Obwohl sie mindestens einen Kopf kleiner war als er, mahnte ihr energisch vorgerecktes Kinn, sich bloß nicht mit ihr anzulegen.
»Ich sagte …«
»Ich habe gehört, was Sie gesagt haben.« Daniel machte einen Schritt auf sie zu, sah sie zurückweichen und stutzte.
Was dachte sie denn von ihm? Dass er ihr etwas antun wollte? Unwillkürlich zerbiss er einen Fluch auf den Lippen.
»Sie haben nichts von mir zu befürchten«, versicherte er.
»Da bin ich mir net so sicher. Gehen Sie jetzt, dann vergesse ich, dass Sie hier eingedrungen sind.«
»Ich kann noch net weg.«
»Warum denn net? Wegen des Schnees?« Ihr Gesichtsausdruck wurde plötzlich weicher. »Also schön. Kommen Sie mit ins Haus. Sie können einen Teller warme Suppe und einen Tee haben. Auch eine Kammer für die Nacht. Sie ist klein, aber warm und sicher. Und morgen früh sprechen wir mit dem Pfarrer. Vielleicht kann er Ihnen einen Platz zum Schlafen und eine Arbeit vermitteln.«
»Der Pfarrer?« Daniel starrte sein Gegenüber verblüfft an.
»Ja. Ich weiß, wie hart es ist, im Winter keine Bleibe zu haben. Ich werde Ihnen helfen, wenn ich kann.«
»Tatsächlich?« Daniel schwankte zwischen Unglauben und Verwirrung.
Mit einem Mal dämmerte ihm, welches Bild er abgeben musste: lediglich in Hemd und Hose gekleidet, beides mit dunkelroter Flüssigkeit und anderen Flecken bedeckt, über die er lieber nicht so genau nachdenken wollte. Dazu haftete Stroh in seinen Haaren und auf seiner Garderobe.
Und seinen Geruch konnte man bestenfalls als ländlich-rustikal bezeichnen. Vermutlich roch er, als hätte er sich seit einem halben Jahr nicht mehr gewaschen.
Kein Wunder, dass die Unbekannte ihn für einen Herumtreiber hielt, der sich auf den Hof geschlichen hatte und lange Finger machen wollte!
Sie behielt ihn fest im Blick, als würde sie ihm nicht über den Weg trauen. Dabei sah sie so reizend aus, dass ihm die Sache auf einmal Spaß machte.
»Über was für eine Suppe reden wir hier?«, hakte er nach.
»Mein Vater hat zum Mittagessen einen Eintopf gekocht. Davon ist noch genug übrig.«
»Also ist der Hofer-Bauer Ihr Vater?«
»Das stimmt. Ich bin Nele«, erwiderte sie kühl. Oder nein, nicht kühl, sondern vielmehr vorsichtig. In ihren dunklen Augen lag ein verborgener Schmerz. Offenbar hatte jemand sie tief verletzt – und das vor nicht allzu langer Zeit.
»Ich möchte keine Suppe, trotzdem danke ich Ihnen für das Angebot.«
»Sind Sie sicher?« Sekundenlang sah sie ihn unsicher an. »Hier im Stall können Sie aber net bleiben.«
»Das hatte ich auch net vor.«
»Also gut, dann rufe ich jetzt den Gendarmen an.« Sie zog ein Mobiltelefon aus ihrer Hosentasche und hielt es hoch. »Wollen Sie es wirklich darauf anlegen, dass er Sie wegen Einbruchs verhaftet?«
»Es könnte die Sache wert sein.« Daniel bemerkte den ungläubigen Ausdruck in ihren Augen und spürte, wie ihm die Brust weit wurde. Himmel, sie war wirklich ganz reizend, wenn sie ihn so anfunkelte!
Dann allerdings bemerkte er das leichte Zittern ihrer Hand und erkannte, dass sie nicht so furchtlos war, wie sie sich gab. Höchste Zeit, der Sache ein Ende zu machen.
»Ich bin kein Einbrecher«, versicherte er ihr mit rauer Stimme.
»Also stand unser Tor rein zufällig offen, und Sie haben sich eingeladen gefühlt?« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Was suchen Sie mitten in der Nacht im Stall meines Vaters?«
»Net mitten in der Nacht, sondern abends. Es ist noch net einmal zwanzig Uhr! Für manche Menschen fängt der Tag jetzt erst richtig an.«
»Versuchen Sie, vom Thema abzulenken?«
»Ich wollte Sie nur auf einen wichtigen Punkt hinweisen.«
»Abend oder Nacht – das macht keinen Unterschied«, befand sie.
»Das macht es sehr wohl.«
»Sie versuchen tatsächlich, abzulenken.«
»Keineswegs.« Er unterdrückte ein Schmunzeln, weil ihm der Schlagabtausch durchaus Freude machte. Sie mochte klein und zierlich sein, hatte aber ihren eigenen Kopf. Das gefiel ihm. Trotzdem sollte sie sich nicht länger sorgen, er könnte ihr etwas antun, deshalb fügte er rasch hinzu: »Mein Name ist Daniel Hallberger. Ich bin Tierarzt.«
Ihr Blick verdunkelte sich. »Im Dorf gibt es nur einen Tierarzt, und sein Name ist Steiger. Ich kenne ihn schon sehr lange … Sie sind es net.«
»Ich vertrete Dr. Steiger für ein paar Wochen.«
»Ist das wahr?« Auf einmal wirkte sie unsicher.
Ihre bernsteinfarbenen Augen schimmerten sanft im Licht. Sie hatte volle rote Lippen, und Daniel ertappte sich bei dem Gedanken, dass jeder Mann, der halbwegs bei Verstand war, für ein Lächeln von ihr so ziemlich alles tun würde.
Nur leider lächelte sie nicht. Nicht einmal ansatzweise. Vielmehr grub sich ein bitterer Zug um ihren Mund ein, der erneut verriet, dass ihr Schlimmes widerfahren war.
»Mein Kollege gönnt sich einen Urlaub mit seiner Frau. Ich vertrete ihn so lange.«
»Also sind Sie wirklich Tierarzt?«, vergewisserte sie sich.
Er nickte. »Mit Abschluss und Urkunde. Ich kann Ihnen eine Liste von Hühnerkrankheiten aufzählen, wenn Sie wollen. Oder die Knochen im Ohr einer Kuh. Glauben Sie mir: Wäre ich ein Einbrecher, hätte ich Stemmeisen und Dietrich dabei, net Stethoskop und Spritze.«
Daniel deutete auf den niedrigen Schemel in der Box, auf dem seine Tasche mit der Ausrüstung stand. Das Abhörgerät ragte daraus hervor.
Die junge Bäuerin musterte ihn prüfend, als würde sie sich fragen, ob sie seinen Worten Glauben schenken durfte, dann ließ sie die Schultern sinken und stieß leise den Atem aus.
»Es tut mir leid, dass ich so abweisend war«, entschuldigte sie sich. »Ich dachte wirklich …«
»Ist schon gut. Sie mussten mich wohl für einen Einbrecher halten, wenn ich mich so spät am Tag hier herumtreibe. Glauben Sie mir, normalerweise laufe ich net mit Blut- und Mistflecken auf meiner Kleidung herum. Wobei … wenn ich es mir recht überlege, kommt das doch recht häufig vor.« Er lächelte schief. »In meinem Beruf gehört das dazu.«
»Und was machen Sie so spät noch bei uns?«
»Ihr Vater hat mich gebeten, nach dem Hörnerl zu schauen.« Er deutete auf die braun gefleckte Milchkuh, die neben ihm im Stroh stand. »Sie hatte eine schlimme Verstopfung und Schmerzen.«
»Jessas!« Neles Augen weiteten sich. »Das wusste ich net. Ich bin heute erst angekommen. Mein Vater hat net erwähnt, dass Hörnerl Probleme hat.«
»Es geht ihr wieder gut. Sehen Sie?« Er deutete auf die Kuh, die den Kopf vorreckte und gemächlich frische Heuhalme aus ihrer Raufe zupfte. »Sie frisst wieder. Das ist ein gutes Zeichen.«
»Mein Vater wird froh sein, das zu hören.« Die junge Bäuerin strich sich über die Stirn. Sie wirkte mit einem Mal unendlich müde und gar nicht mehr so kämpferisch wie noch vor ein paar Augenblicken. »Entschuldigen Sie bitte mein Misstrauen.«
»Ist schon vergessen. An Ihrer Stelle wäre ich wohl auch vorsichtig bei einem Burschen, der sich völlig verdreckt in meinem Stall herumtreibt.« Er lachte. »Wie kommt es eigentlich, dass wir uns noch nie im Dorf begegnet sind?«
»Ich wohne eigentlich ins Innsbruck, aber …« Sie stockte und führte nicht weiter aus, was sie zurück ins Zillertal geführt hatte. Ein Urlaub schien es nicht gewesen zu sein, wenn er den Kummer in ihren braunen Augen richtig deutete. Schon eher ein schlimmes Erlebnis.
Er hätte gern gewusst, was sie heimgeholt hatte, mochte aber nicht nachbohren. An manche Wunden rührte man besser nicht. Das wusste er aus eigener Erfahrung.
Daniel schloss die Tasche mit seiner Ausrüstung. Es war wieder ein langer Tag gewesen. Die Vertretung seines Kollegen verlangte ihm mehr ab, als er vorausgeahnt hatte, als er die Stelle angenommen hatte.
Jetzt freute er sich auf eine lange, heiße Dusche und ein, zwei Stunden mit einem guten Buch am Kamin seines Kollegen. Dr. Steiger hatte ihm die Gästekammer in seinem Haus überlassen, eine überaus gemütliche Unterkunft …
Oh, Nele taumelte plötzlich! Geistesgegenwärtig griff Daniel zu und stützte sie, ehe sie fallen konnte.
»Fehlt Ihnen etwas?« Er erschrak heftig, als er bemerkte, wie blass sie auf einmal war. »Kommen Sie, setzen Sie sich erst einmal hierher.«
Er nahm seine Tasche vom Schemel und drückte Nele sanft darauf nieder. Dann holte er seine Thermoskanne hervor und schenkte ihr einen Becher voll Kaffee ein.
»Er wird leider nur noch lauwarm sein, weil ich ihn schon vor Stunden gekocht habe, aber wenigstens enthält er Koffein. Trinken Sie.«
Sie nippte an dem Kaffee, verzog kurz das Gesicht, leerte den Becher dann aber. Daraufhin kehrte ein wenig Farbe in ihre Wangen zurück. Sie murmelte ein leises Dankeschön.
»Soll ich Sie zum Arzt bringen?«
»Das wird net nötig sein.« Sie winkte ab. »Mir fehlt nichts.«
»Das hat eben aber einen ganz anderen Eindruck gemacht.«
»Die vergangenen Monate waren … net einfach für mich«, erwiderte sie stockend, als würde das alles erklären. Doch ihre Worte gaben ihm nur noch mehr Rätsel auf.
Was mochte ihr zugestoßen sein? Und warum war es ihr eben schwindlig geworden?
Er war Tierarzt und kannte sich mit Humanmedizin nicht aus, aber er spürte, dass bei ihr etwas im Argen lag.
Warum mochte sie sich denn nicht helfen lassen?
***
Es war jene Stunde am Morgen, wenn die Nacht allmählich wich, aber der Morgen noch nicht kommen wollte. Im Osten zeigte sich ein schmaler Streifen Licht hinter den Bergen und ließ die Silhouetten der schroffen Berggipfel deutlicher hervortreten, aber der Himmel war noch dunkel wie tiefblauer Samt.
Ein kalter Wind strich durch die Wipfel des nahen Waldes. Stille lag über dem Dorf.
Nun ja, nicht über dem ganzen Dorf … Ein gedämpftes Rumpeln aus der oberen Etage ließ Martin Burger aus dem Schlaf fahren. Er blinzelte und spürte, wie sich seine Nackenhärchen sträubten. Er witterte Gefahr!
Nach vielen Jahren im Einsatz als Landarzt hatte er gelernt, seinem Instinkt zu vertrauen. Er richtete sich auf und spitzte die Ohren.
Alles blieb ruhig. Was hatte ihn geweckt?
Neben ihm lugte ein blonder Schopf unter der Decke hervor. Die tiefen, gleichmäßigen Atemzüge verrieten, dass seine Frau noch schlief.
Doch ihm ließ das Geräusch vom Dachboden keine Ruhe. Als er die Decke von sich schob, spürte er den kalten Windzug, der durch das gekippte Fenster hereinwehte.
Über ihm knarzte eine Bodendiele. Nun war die Sache klar: Es geisterte tatsächlich jemand auf dem Dachboden herum. Aber wer? Seine Kinder?
Nein, sicherlich nicht. Ihnen war der verwinkelte Dachboden nicht geheuer. Ganz sicher stiegen sie nicht im Dunkeln hinauf.
Martin Burger verließ die Schlafkammer, knipste das Licht im Flur an und schaute in das Zimmer seines Sohnes.
Filli lag schräg im Bett. Ein Bein hing heraus, die Decke ebenfalls.
Der Bergdoktor deckte den Fünfjährigen wieder zu und sah in den Kammern der beiden Mädchen nach. Auch Tessa und das Mauserl schliefen friedlich.
Blieben noch seine Wirtschafterin und sein Vater. Wer von den beiden war da oben zugange?
Oder kamen die Geräusche von einem Marder?
Nein, dafür waren die Schritte zu schwer. Obendrein war nun ein gedämpftes Stöhnen zu hören. Doch nicht etwa ein Einbrecher, oder?
Martin Burger eilte nach oben und fand die Tür zum Dachboden offen. Das Licht brannte. Eine untersetzte Gestalt saß auf einem alten, mit Laken abgedeckten Sessel und hielt sich stöhnend den rechten Fuß. Sein Vater!
»Jessas! Was machst du denn hier oben?«
»Was? Oh, du bist es, Martin! Ich …« Sein Vater stöhnte leise.
Pankraz Burger war schon vollständig angezogen. Schmerz grub sich in sein bärtiges Gesicht ein, und Blut sickerte zwischen seinen Fingern hindurch. Dunkelrot tropfte es auf den staubigen Boden.
»Ich konnte nimmer schlafen, da ist mir eingefallen, dass hier oben die Bücherkiste lagert. Darin müsste ein Buch mit Sagen aus dem Zillertal zu finden sein. Das wollte ich holen, aber dann bin ich auf irgendetwas getreten. Es hat sich durch meinen Hausschuh in meinen Fuß gebohrt. Tut das weh!«
»Lass mich mal sehen, ja?« Martin Burger kniete sich vor seinen Vater hin und betrachtete die Bescherung. »Du liebe Zeit! Du hast dir einen Nagel eingetreten. Ein ziemliches Kaliber.«
»Einen Nagel? Wo kommt der denn her?«
»Das ist eine gute Frage. Vielleicht haben ihn die Zimmerleute verloren, als sie im Herbst das Dach ausgebessert haben. Kannst du laufen, wenn ich dich stütze? Ich muss mir das in der Praxis genauer anschauen.«
»Hm-m«, machte Pankraz. Es klang nicht sehr überzeugend.
Martin Burger schlang ihm einen Arm um die Schultern und half ihm die Treppe hinunter. Sie hinterließen eine Spur aus blutroten Tropfen auf dem Fußboden, aber das fiel ihnen erst auf, als sie schon beinah den Anbau mit der Praxis erreicht hatten.
Pankraz Burger hatte die Praxis gegründet und viele Jahre lang geführt, bis er sie an seinen Sohn übergeben hatte. Inzwischen kümmerte sich Martin Burger um die Menschen in St. Christoph.
Er streifte Einmalhandschuhe über, dann machte er sich ans Werk. Behutsam entfernte er den Nagel sowie den Hausschuh vom Fuß.
Augenblicklich blutete die Wunde stärker, aber er war vorbereitet und hielt Mull bereit. Er untersuchte die Verletzung und betäubte den Fuß, ehe er eine Röntgenaufnahme machte und diese intensiv studierte.
»Du hattest noch einmal Glück, der Knochen ist net verletzt. Das bedeutet, ich kann die Verletzung hier versorgen.« Martin spülte die Verletzung gründlich und verband sie anschließend sorgsam. »Dein Tetanusschutz ist noch aktiv, aber um eine vorsorgliche Behandlung mit einem Antibiotikum wirst du net herumkommen. Ich möchte lieber net wissen, mit welchen Keimen der rostige Nagel übersät war.«
»Muss das sein? Von dem Zeug bekomme ich immer Durchfall.«
»Es geht leider net anders.«
»Verflixt.« Der Großvater schnaufte. »Und das Buch habe ich nun auch vergessen.«