Der Bergdoktor 1959 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 1959 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Verzweifeltes Warten
Fünfzehn Jahre lang wusste Mira nicht, was mit ihrem Sohn geschehen ist
Von Andreas Kufsteiner

Einsam und traurig sitzt die alte Mira auf der Bank am Marterl und lässt den Blick in die Ferne schweifen. Fünfzehn Jahre ist es nun her, dass ihr Sohn Hans zu einer Bergwanderung aufgebrochen und nicht wieder heimgekehrt ist. Und seit fünfzehn Jahren wartet sie jeden Tag auf ihn.
Die Dorfbewohner halten sie für verrückt! Der Hans ist tot, das ist für sie sonnenklar. Doch Mira mag das nicht glauben. Für sie steht die Zeit seit jenem verhängnisvollen Tag still.
Und dann steht er plötzlich vor ihr, ihr Hansi! Er scheint keinen Tag gealtert zu sein. Ist nun endlich das Wunder geschehen, auf das sie so lange gehofft hat?

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Inhalt

Cover

Impressum

Verzweifeltes Warten

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Bastei Verlag / Anne von Sarosdy

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 9-783-7325-7692-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Verzweifeltes Warten

Fünfzehn Jahre lang wusste Mira nicht, was mit ihrem Sohn geschehen ist

Von Andreas Kufsteiner

Einsam und traurig sitzt die alte Mira auf der Bank am Marterl und lässt den Blick in die Ferne schweifen. Fünfzehn Jahre ist es nun her, dass ihr Sohn Hans zu einer Bergwanderung aufgebrochen und nicht wieder heimgekehrt ist. Und seit fünfzehn Jahren wartet sie jeden Tag auf ihn.

Die Dorfbewohner halten sie für verrückt! Der Hans ist tot, das ist für sie sonnenklar. Doch Mira mag das nicht glauben. Für sie steht die Zeit seit jenem verhängnisvollen Tag still.

Und dann steht er plötzlich vor ihr, ihr Hansi! Er scheint keinen Tag gealtert zu sein. Ist nun endlich das Wunder geschehen, auf das sie so lange und so verzweifelt gehofft hat?

Lächelnd sah Miranda Baumeister ihrem Sohn zu, wie er die Sense schwang und mit kraftvollen Zügen den Wiesenhang abmähte. Heute wurde ihr Bub siebzehn Jahre alt, ein Prachtbursche, den ihr das Schicksal geschenkt hatte.

Nur so konnte sie sich erklären, dass es damals den jungen Studenten, der sein Vater gewesen war, bei seiner Wanderschaft durch die Zillertaler Berge auf den Einödhof ihrer Eltern verschlagen hatte. Dieser lag so versteckt in einer Senke des Hexensteins, einem der sechs steinernen Wächter um das Bergdorf St. Christoph, dass man schon darüber stolpern musste, um nicht daran vorbeizulaufen.

Auch führte nur ein steiniger Pfad hinauf, an dessen linker Seite es schroff in den Abgrund ging. Schon das allein schreckte die Leute von einem Besuch ab. Umso einsamer war es in diesem vergessenen Winkel des Hochtals.

Mira hatte sich oft gewünscht, wie andere Kinder zur Schule gehen zu dürfen. Doch das war ihr nur möglich gewesen, wenn Vater oder Mutter Zeit gefunden hatten, sie zu begleiten. Allein hatte sie den gefährlichen Pfad erst gehen dürfen, als sie zwölf Jahre alt gewesen war. Bis dahin hatten die Eltern sie selbst unterrichtet.

Sie hatten zwar eine Genehmigung dafür gehabt, doch das Allgemeinwissen der einfachen Bergbauern war eher dürftig gewesen. Deshalb hatte Mira auch nur gerade so den Schulabschluss geschafft, für eine Lehrstelle hatte es nicht gereicht. Sie war gezwungen gewesen, weiterhin mit den Eltern den Hof zu bewirtschaften, auf den sich nie ein Bursche verirrte, der sie aus der Eintönigkeit ihres Lebens befreit hätte.

Wenn sie dann doch mal Mut gefasst und versucht hatte, bei diversen Festlichkeiten im Dorf Kontakte zu knüpfen, hatte man sie nur belächelt. Sie war zwar hübsch gewesen, aber auch unbeholfen. Ihre ärmliche Kleidung hatte ein Übriges dazu beigetragen, dass sich kaum ein Mannsbild für sie interessiert hatte. Schließlich hatte sie sich auf dem abgelegenen Hof vergraben und zur Jungfrau Maria gebetet, dass ihr der Traumprinzen vielleicht doch noch begegnete.

Und dann war dieser Student gekommen und den Sommer über bei ihnen geblieben. Der hochgelegene Hof war ein idealer Ausgangspunkt für seine zahlreichen Bergtouren gewesen.

Als Gegenleistung für Kost und Logis hatte er bei der Heuernte geholfen und sich auch sonst nützlich gemacht. Dabei war er ständig um sie herumgeschwänzelt und hatte geschwärmt, was sie doch für ein fesches Madel sei.

Sie hatte ihn ausgelacht. Mit ihren damals fünfunddreißig Jahren hatte man sie kaum noch ein Madel nennen können.

Trotzdem hatte der Fremde, der gerade mal zweiundzwanzig Lenze zählte, mit seiner pfiffigen Art ihr Herz erobert. So hatte die süße Sommerromanze ihren Lauf genommen, von der sie noch heute zehrte.

Natürlich war er wieder verschwunden und hatte sie einsam zurückgelassen. Als sie dann festgestellt hatte, dass sie schwanger war, hatte sie nach dem ersten Schreck eine stille Freude erfüllt. Ein Kind, ein kleines Wesen, das sie lieben und umsorgen konnte, wenn schon sonst keiner etwas von ihr wissen wollte, war ihr wie ein Geschenk des Himmels erschienen.

Ihre Eltern hingegen waren entsetzt gewesen über das Balg, das sie nun auch noch durchfüttern mussten, und hatten sie schier auf dem Hof eingesperrt, um die Schande nicht öffentlich zu machen. Den Vater ihres Kindes hatte Mira nicht in die Pflicht nehmen können … außer seinem Vornamen hatte sie nichts von ihm gewusst.

Aber sie hätte es auch nicht gewollt. Hansi gehörte allein ihr. Es entwickelte sich ein sehr enges Mutter-Kind-Verhältnis zwischen ihnen, das selbst die Großeltern, die nun doch ihre Liebe für den Buben entdeckten, nicht durchdringen konnten.

Als Hansi eingeschult worden war, hatte Miranda sich an ihre eigene, einsame Kindheit erinnert und durchgesetzt, dass er die Grundschule von St. Christoph besuchen durfte. Täglich hatte sie ihn hingebracht und wieder abgeholt. Inzwischen hatte ohnehin jeder über ihr uneheliches Kind Bescheid gewusst, und die Häme, die sie eine Weile hatte erdulden müssen, war bald wieder abgeklungen.

Doch dann war der Steinschlag niedergegangen und hatte die Eltern bei der Heuernte getötet. Da war Hansi gerade mal sieben Jahre alt gewesen.

Ein weher Blick der Bäuerin streifte die heimtückische Felswand hinter dem Gehöft, die ihren Eltern zum Verhängnis geworden war. Seither lebte sie mit ihrem Sohn allein am Berg und hatte ihn auch nicht mehr in die Schule bringen können. Sie hatte genug damit zu tun, den Einödhof zu bewirtschaften, um sie beide über Wasser zu halten.

Anfangs hatte sich Hansi erbittert dagegen gewehrt, dass sie ihn nun selbst unterrichtete. Er hatte nicht auf seine Freunde verzichten wollen. Irgendwann hatte er sich zwar in sein Los gefügt, war aber immer stiller geworden.

Ihrem Sohn zuliebe hatte Mira den Hof verkaufen und ins Dorf ziehen wollen. Aber es hatte sich kein Käufer gefunden – und ein Mann, der sie heiraten wollte, noch weniger. Mit dem Kind hatte sie keiner haben wollen, noch dazu hatte das harte Leben am Berg sein Tribut gefordert, und ihre einst rassige Schönheit war zusehends mehr verblüht.

Miras einzige Freude war ihr Bub, der seinem attraktiven Vater immer mehr ähnelte, je älter er wurde. Wie dieser war Hansi groß und schlaksig, hatte weizenblondes Haar und Augen so blau wie ein Bergsee. Wenn er lächelte, zeigten sich kleine Grübchen in seinen Mundwinkeln, die ihn noch anziehender machten. Um sein energisches Kinn, sprießte inzwischen ein zarter Flaum.

Mira seufzte. Ihr Bub wurde langsam erwachsen.

„Mutter, ich geh noch ein bisserl wandern“, riss Hansi die Bäuerin aus ihren Grübeleien.

Verwirrt blickte sie auf. Ihr Bub stand vor ihr, die Sense geschultert und die Stirn leicht umwölkt. In seinen Augen glommen dunkle Schatten, die sie seit einiger Zeit bei ihm wahrnahm und die sie beunruhigten. Sie ahnte, dass er mit seinem Leben unzufrieden war, und fürchtete den Tag, an dem er sie verließ.

Natürlich war ihr bewusst, dass sie zu sehr klammerte und ihm damit die Luft zum Atmen nahm. Aber sie konnte nicht anders, er war nun mal ihr Lebensinhalt.

Schon einmal war Hansi aus ihrer engen Gemeinschaft ausgebrochen. Damals war er zehn Jahre alt gewesen und hatte kategorisch verlangt, endlich zur Schule gehen zu dürfen. Er war längst bergerfahren genug gewesen, um den Weg auch allein zu bewältigen.

Schweren Herzens hatte Mira zugestimmt … und jedes Mal Todesqualen ausgestanden, bis er am späten Nachmittag wieder wohlbehalten bei ihr gewesen war.

Doch dann war Hans plötzlich freiwillig zu Hause geblieben. Wegen seiner mangelnden Bildung war er von den Schulkameraden gehänselt worden. Niemand hatte mehr etwas mit dem „Waldschrat vom Hexenstein“ zu tun haben wollen.

Das hatte ihn so sehr verletzt, dass er den Hof nur noch verließ, um in den Bergen zu wandern oder zu klettern, seine große Leidenschaft. Immer wenn er sich unwohl fühlte, packte er seinen Rucksack und zog los.

Mira hielt ihn auch nicht auf. Sie wusste, dass er diese Ablenkung brauchte, um die Eintönigkeit des Alltags zu ertragen. Ins Dorf stiegen sie nur hinunter, wenn sie unbedingt mussten.

Sie nickte. „Gut, Bub, aber bleib net zu lang aus. Es ist zwar erst Mittag, doch jetzt im Oktober wird’s früh dunkel.“

Trotz der späten Jahreszeit hatten sie noch den letzten Heuschnitt vor dem Winter getätigt. Zwar war dieser nicht mehr so nährstoffreich wie im Frühling oder das Grummet im August, aber als Notfutter für ihre wenigen Milchkühe, die Ziegen und die beiden Ackergäule reichte es allemal.

Kaufen konnte sie nichts, dafür war kein Geld da. Obwohl Mira selbstgemixte Kräutertees und Käse, den sie nach einem Geheimrezept ihrer Mutter herstellte, im Gemischtwarenladen der Jeggl-Alma verkaufte, reichte das Geld gerade so für das Nötigste, wie diverse Grundnahrungsmittel, die sie nicht selbst anbauen konnten.

Kleidung besorgten sie sich aus der Kleiderkammer der Sozialstation im Pfarrhaus. Für Hansi war es eine Demütigung, das abgelegte Gewand eines anderen Burschen tragen zu müssen. Doch was blieb ihnen übrig, wenn sie nicht betteln wollten?

„Ich geh zum Gletscher hoch, will ein paar Bilder machen“, erwiderte Hansi und warf sich den Rucksack über. „Letzte Nacht hat’s dort geschneit, und solang noch keine Skifahrer oder Tourengeher die Landschaft zertrampeln, ist es ein einmalig schöner Anblick. Das will ich für mein Album festhalten.“

Er war ein begeisterter und talentierter Fotograf. Ihm gelangen mit dem vorsintflutlichen Fotoapparat des Großvaters so grandiose Bilder, dass Mira schon hoffte, er würde eines Tages in diesem Beruf Fuß fassen können. Zum Bauer war er jedenfalls nicht geboren, diese Arbeit war ihm ebenso verhasst wie der abgeschiedene Hof.

Trotzdem wurde ihr bei dem Gedanken, er könnte den Gletscher betreten, um ein lohnendes Motiv vor die Linse zu bekommen, mulmig zumute. Gerade bei frisch gefallenem Schnee waren die verborgenen Spalten sehr gefährlich.

„Ich pass schon auf, Mama“, versprach Hansi, der die Sorge seiner Mutter durchschaute, und marschierte davon.

***

Traurig blickte die alte Bäuerin zu dem Marterl am Wegrand auf, das eine Jesusfigur zeigte. Sie seufzte schwer.

Fünfzehn Jahre war es nun her, dass ihr Bub an jenem Nachmittag davongegangen und nicht wiedergekommen war. Fünfzehn lange Jahre, in denen sie zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankte.

Böse Zungen behaupteten, Hansi sei davongelaufen, weil er die Umklammerung seiner Mutter nicht mehr ertragen hatte. Sie wollte es auch gern glauben, half es ihr doch, weiterzuleben. Tapfer ignorierte sie die quälende Stimme in ihrem Innern, die ihr die Wahrheit eintrichtern wollte …

Nachdem die Retter der Bergwacht tagelang vergebens nach dem Verschollenen gesucht hatten, waren sie zu der Überzeugung gelangt, dass er am Gletscher ums Leben gekommen war. Wahrscheinlich war er beim Fotografieren unachtsam gewesen und in eine der endlos tiefen Spalte gefallen, wo man ihn nicht wiederfinden würde.

Doch sie klammerte sich an die Hoffnung, wartete mit stoischer Hartnäckigkeit auf seine Rückkehr. Vielleicht würde er sogar eine Familie mitbringen. Dafür betete sie bei Wind und Wetter jeden Tag an dem einsamen Marterl, dem letzten Meilenstein, wo sie ihren Buben lebend gesehen hatte, bevor er ihren Blicken entschwunden war.

Unbehaglich rutschte Mira auf der grob gezimmerten Bank umher, die von der Gemeinde als Ruheplatz für müde Wanderer errichtet worden war. Nur kam hier kaum ein Mensch vorbei.

Mit fahriger Geste strich sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn, die der Wind verweht hatte. Früher hatte sie ihr schweres, schwarzes Haar immer akkurat geflochten, um für ihren Buben gut auszusehen. Er hatte sich nicht für seine Mutter schämen sollen.

Doch inzwischen war sie alt geworden, zählte nun siebenundsechzig Lenze. Wer sie sah, hätte sie allerdings für achtzig gehalten, so sehr hatte der Kummer an ihr gezehrt. Ihr Haar war an vielen Stellen ergraut, und flechten tat sie es nur noch flüchtig, sodass ihr die Strähnen ins verwitterte Gesicht hingen.

Aber für wen sollte sie sich auch pflegen? Ihr Leben bestand nur noch aus Trauer und Warten. Wenn sie morgens erwachte, war ihr Herz schwer vor Traurigkeit, doch wenn sie sich abends niederlegte, war es erfüllt von unsinniger Hoffnung.

Ins Dorf ging sie so gut wie gar nicht mehr, Käse machte sie nur noch für sich selbst, und sonst brauchte sie kaum etwas. Ihre Kräutertees hielten sie einigermaßen gesund.

Trotzdem war sie inzwischen als schrullige Alte verschrien, die nicht ganz richtig im Kopf war, und die Kinder nannten sie gar „die Hexe vom Hexenstein“, weil sie so gebeugt ging.

Aber das störte Mira nicht wirklich. Sie lebte nur noch für den Tag, an dem ihr geliebter Sohn zurückkam.

„Gott zum Gruß, Mira“, riss eine sonore Stimme die Bäuerin aus ihren bitteren Gedanken. „Geht’s gut?“

Verwirrt blickte sie auf und sah sich dem Bergdoktor gegenüber, wie Dr. Martin Burger, der Landarzt von St. Christoph, von seinen Patienten respektvoll genannt wurde.

„Bin gesund, brauche keinen Doktor“, knurrte Mira, um den Arzt auf Abstand zu halten. Sie wollte sich durch nichts von ihrem Kummer und Sehnen ablenken lassen.

„Das weiß ich“, versicherte Dr. Burger lächelnd und setzte sich ungefragt neben sie. „Trotzdem braucht man auch mal jemanden zum Reden, sonst wird man nur wunderlich.“

„Das bin ich schon lang“, schnappte die vergrämte Frau. „Und reden tu ich mit Gott. Der bringt mir meinen Buben wieder. Ihr habt ihn damals einfach aufgegeben. Hättet ihr genauer gesucht, wüsste ich heute wenigstens, was geschehen ist, und könnte um mein Kind trauern. Aber so …“ Sie lächelte wehmütig. „Die Hoffnung stirbt zuletzt, Herr Doktor.“

Der Arzt nickte schwer. „Trotzdem sollte man sich mit dem Unvermeidlichen abfinden, Mira. Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit. Würde Hansi noch leben, hätte er sich längst bei dir gemeldet. Glaubst du net?“

„Die Leute sagen, ich hätte ihn mit meiner Affenliebe vergrault.“ Mira lachte unfroh und zuckten mit den Schultern. „Vielleicht ist’s ja wirklich so. Dann kommt er auch net mehr zurück, und ich warte umsonst. Aber ich will mir net vorstellen müssen, dass er in eine Gletscherspalte gefallen und dort elend zugrunde gegangen ist.“

Sie blickte wütend auf.

„Vielleicht hätte man ihn noch retten können, wenn die Bergwacht net so schnell aufgegeben hätte“, griff sie ihre Vorwürfe wieder auf.

Dr. Burger stöhnte leise.

„Wir haben tagelang gesucht“, erinnerte er sie. „Selbst wenn dein Bub noch gelebt hätte, in der eisigen Spalte hätte er net lang durchgehalten.“

Schwer legte er seine Hand auf den Arm der alten Frau.

„Wenn’s dir ein Trost ist, dann glaub dran, dass er net lang leiden musste, wenn er net schon bei dem Sturz ums Leben kam. Ich persönlich denke net, dass er weggelaufen ist, Mira. Auch wenn du den Hansi mitunter mit deiner abgöttische Liebe schier erstickt hast, dieses Leid hätte er dir net angetan. Also denk drüber nach, und lass die Trauer um deinen Buben endlich zu. Dann findest du vielleicht nochmal eine neue Aufgabe, die deinem Leben einen Sinn gibt, und wartest nimmer auf ein Wunder, das doch nie geschehen wird.“

„Manche Wunder brauchen halt ein bisserl länger, Herr Doktor“ orakelte die alte Frau und stand auf. Ohne den Arzt noch eines Blickes zu würdigen, schlurfte sie davon.

***

Zur gleichen Zeit im fernen München …

„Sieh dich doch an!“, blaffte Rudolf Fischer und musterte seine Frau abfällig. „Ständig läufst du in demselben fleckigen Jogginganzug herum, die Haare strähnig und das Gesicht verquollen vom Alkohol. Wie soll ich da Gäste zu uns einladen, die du dann bewirten kannst, oder dich gar zu einer Feier mitnehmen?“

„Du weißt genau, dass ich net übermäßig trinke“, erwiderte Edith Fischer lahm und blickte beklommen zu Boden.

Natürlich entsprach das nicht der Wahrheit. Seit sie vor knapp drei Jahren von dem gemütlichen Häuschen am Münchner Stadtrand in das noble Villenviertel umgezogen waren, griff sie immer öfter zur Flasche, weil sie anders die Leere in ihrem Leben nicht mehr ertragen konnte.

Plötzlich packte sie die Wut.

„Für wen soll ich mich denn herausputzen?“, schnaubte sie und warf den Kopf zurück. „Du bist doch kaum noch zu Hause, hängst ständig bei deinem Flitscherl herum.“

„Susanne ist net mein ‚Flitscherl‘, sie ist meine Assistentin“, berichtigte der Architekt kühl.

Angewidert fischte er ein schmutziges Tuch von einem Sessel, ließ sich hineinfallen und stieß erschöpft den Atem aus. Edith ließ sich nicht nur gehen, auch das Haus verwahrloste immer mehr.

Dabei war sie einmal eine hübsche Frau gewesen, die auf ein adrettes Äußeres geachtet und den Haushalt pingelig in Ordnung gehalten hatte! Auch konnte sie hervorragend kochen und backen.

Leider haperte es mit ihrer Bildung. Auf einem Bergbauernhof im Tuxertal aufgewachsen, hatte sie nur sporadisch die Schule besucht. Später dann hatte sie ihren kranken Eltern bei der Hofarbeit helfen müssen, sodass keine Zeit für Fortbildungen geblieben war.

Resigniert strich er sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Er hatte sich damals in die bildhübsche Bauerntochter mit den brünetten Locken verliebt, als er mit Freunden zum Klettern im Tuxertal gewesen war.