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Mir reicht ein Blick in deine Augen
Jonathans Vertrauen kannte keine Grenzen
Von Andreas Kufsteiner
Wie kein anderer versteht es Jonathan Lehner, freundlich und zugleich eine Spur herablassend zu wirken. Aber anscheinend kommt seine etwas überhebliche Art bei den Frauen gut an, denn er kann sich über einen Mangel an Verehrerinnen nicht beklagen.
In St. Christoph hat man es sich inzwischen abgewöhnt, über Jonathans kleine oder größere Liebesgeschichten zu reden. Wenn mal wieder ein Abenteuer zu Ende geht, verhält er sich jedenfalls diskret und absolut korrekt.
Worüber die Leute allerdings tuscheln, ist Jonathans schlechtes Aussehen und die Tatsache, dass er plötzlich allzu solide geworden ist. Ist er krank? Oder quält ihn eine andere schwere Last?
Ja, was ist mit Jonathan Lehner los? Er, dem bislang nichts zu hoch, zu schnell oder zu aufregend sein konnte, ist plötzlich nur noch ein Schatten seiner selbst. Als er Dr. Burger in seiner Praxis aufsucht, wird dem schnell klar, dass Jonathan kein leichter Weg bevorsteht ...
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Seitenzahl: 110
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Mir reicht ein Blick in deine Augen
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar
ISBN 9-783-7325-7695-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Mir reicht ein Blick in deine Augen
Jonathans Vertrauen kannte keine Grenzen
Von Andreas Kufsteiner
Wie kein anderer versteht es Jonathan Lehner, freundlich und zugleich eine Spur herablassend zu wirken. Aber anscheinend kommt seine etwas überhebliche Art bei den Frauen gut an, denn er kann sich über einen Mangel an Verehrerinnen nicht beklagen.
In St. Christoph hat man es sich inzwischen abgewöhnt, über Jonathans kleine oder größere Liebesgeschichten zu reden. Wenn mal wieder ein Abenteuer zu Ende geht, verhält er sich jedenfalls diskret und absolut korrekt.
Worüber die Leute allerdings tuscheln, ist Jonathans schlechtes Aussehen und die Tatsache, dass er plötzlich allzu solide geworden ist. Ist er krank? Oder quält ihn eine andere schwere Last?
„Da schau her“, sagte jemand hinter der Tür, noch bevor Flora geklopft oder geklingelt hatte. „Die Blumenfee ist da. Nicht etwa mit leeren Händen, sondern mit einem richtig tollen Strauß. Jedenfalls steckt unter dem Papier sicher eine duftende Überraschung.“ Ein Lachen, dann weiter: „Ich werd mal raten, was es sein könnte. Rosen? Nelken? Oder gar Orchideen? Und das für meinen Vater? Wohl kaum. Kruzifix, ich hab keine Ahnung. Wie wär’s denn mit Hopfenranken? Er wollte schon immer mal sein eigenes Bier brauen.“
„Das ist net witzig, Jonathan. Du bist einfach unmöglich! Red net lang umeinander und mach sofort die Tür auf, sonst lass ich alles fallen, und die Überraschung ist nur noch ein zerrupftes Häufchen Blüten!“, rief Flora ärgerlich. „Es ist kein Strauß, sondern eine bepflanzte Schale. Sie ist ziemlich schwer. Und ich hab mir ziemlich viel Mühe damit gegeben, damit du es weißt!“
„Immer mit der Ruhe.“ Die Tür wurde jetzt weit geöffnet. Zwei kräftige Männerarme streckten sich Flora entgegen, um ihr die Terrakotta-Schale abzunehmen.
„Und?“, fragte Jonathan Lehner, wobei – wie so oft – ein amüsiertes Lächeln seinen Mund umspielte.
Er verstand es wie kein anderer, freundlich und zugleich eine Spur herablassend zu wirken. Anscheinend kam seine etwas überhebliche Art bei den Frauen gut an, denn er konnte sich über einen Mangel an Verehrerinnen nicht beklagen.
In St. Christoph hatte man es sich inzwischen abgewöhnt, über Jonathans kleine oder größere Liebesgeschichten zu reden. Wenn mal wieder ein Abenteuer zu Ende ging, verhielt er sich jedenfalls diskret und absolut korrekt.
Seine Verflossenen verloren nie ein böses Wort über ihn, im Gegenteil. Und auch er hob allenfalls ihre guten Seiten hervor, wenn die Sprache doch einmal darauf kam, wo denn die Gitti, die Marlene, die Susanne oder die Margit abgeblieben seien. Die Liste ließ sich noch fortsetzen.
Flora hatte sich nie dafür interessiert, was Jonathan tat oder was nicht. Sie mochte ihn nicht besonders, obwohl er hin und wieder ganz nett sein konnte. Warum die Mädels ihm schon immer nachgelaufen waren, verstand sie nicht. Er sah gut aus, aber es gab noch andere Männer, die sich sehen lassen konnten.
Jedenfalls hatte Flora es meistens vermieden, länger als ein paar Minuten mit ihm zu reden.
Ihr spärlicher Kontakt zu ihm bestand seit Jahren aus gelegentlichen Begegnungen, die so kurz waren, dass man sie getrost vergessen konnte.
Floras Vater Paul Brunnleitner war mit Egid Lehner locker befreundet, die beiden hatten in jüngeren Jahren der Bergwacht angehört und so manchen Einsatz erfolgreich gemeistert.
Jetzt, im höheren Lebensalter, schulterten sie manchmal noch den Rucksack und machten sich zu der einen oder anderen Wanderung auf, immer aufwärts ins Gebirge.
Die Liebe zu den Bergen hatte Jonathan von seinem Vater geerbt. Woher freilich sein Wagemut rührte, der manchmal schon an Verwegenheit grenzte, wusste niemand.
Der Lehner-Egid hatte es nie übertrieben mit seinen Unternehmungen, egal, welcher Art sie gewesen waren. Und auch Jonathans Mutter war von Natur aus ruhig und immer darauf bedacht, alles genau gegeneinander abzuwägen. Mit dem Kopf durch die Wand, so etwas gab es nicht bei Maria Lehner.
Flora mochte es gar, wenn jemand glaubte, ein Alleskönner zu sein. Wer seine Grenzen nicht kannte oder nicht kennen wollte und immer bis zum Äußersten ging, war in ihren Augen ein Angeber. Einer, der sich ungemein wichtig vorkam. Oder ein Mensch, der es nötig hatte, seine innere Unsicherheit durch heldenhaftes Gehabe zu überdecken.
Sport von A bis Z, ein schnelles Auto zum Ersten und ein riesiger Geländewagen mit jedem nur denkbaren Luxus zum Zweiten, bei jeder Gelegenheit Partys auf der eigenen Blockhütte mit viel zu lauter Musik, das gehörte zu Jonathan wie das Amen in der Kirche. Wenn gefeiert wurde, dann richtig. Halbheiten gab es für ihn nicht. Auch nicht auf dem Waldeck-Hof seiner Eltern, den er inzwischen übernommen hatte. Allerdings schlug der Zeiger dort in eine andere Richtung aus.
Es herrschte Ordnung, wohin man auch blickte. Jonathan arbeitete nach dem Grundsatz: alles oder nichts. Und nichts war sozusagen ein Fremdwort für ihn.
Niemals konnte man von ihm erwarten, dass er mal nichts tat, nichts plante, nichts wollte. Wehe, irgendetwas lief auf dem schmucken, großen Hof nicht am Schnürchen, dann wurde Jonathan sehr unwirsch.
Für bestimmte Dinge gab er eine angemessene Summe Geld aus, aber er verpulverte es nicht. Über die Konten und die Bankgeschäfte hatte er den absoluten Überblick. Rote Zahlen? Ein Defizit auf dem Konto? Nie und nimmer.
Vermutlich liefen ihm die Frauen auch deshalb nach, weil er finanziell sehr gut dastand.
Aber Geld war nicht alles. Flora wollte jedenfalls mit dem jungen Agrarwirt Jonathan Lehner – seine Freunde nannten ihn „Jo“ – nichts zu tun haben. Und auch jetzt wusste sie nichts Genaueres über ihn. Auch nicht, welches weibliche Wesen den Vorzug genießen durfte, derzeit an seiner Seite zu glänzen.
Sie blieb auf der Türschwelle stehen und streichelte Schäferhund „Rudi“, der lieb und arglos war, obwohl man ihn eigentlich als Wachhund angeschafft hatte.
Rudi bellte und knurrte allenfalls dann ein wenig umeinander, wenn Fremde auftauchten, die ihm unsympathisch waren. Weil er ziemlich groß war, zogen sich zweifelhafte Zeitgenossen mit unguten Absichten rasch wieder zurück. Die anderen blieben und wurden von Rudi bis zur Haustür begleitet.
So war er nun mal und würde er auch bleiben, Zähne fletschen war nicht sein Ding. Schnappen oder gar zubeißen kam selbstverständlich nicht infrage. Er ließ sogar die kleinen Entenküken, die Maria Lehner „Wiebele“ nannte und wie ihren Augapfel hütete, zwischen seinen breiten Pfoten herumwuseln oder schlafen.
Ein Schäferhund und winzige, gelbe Federbälle, auf die er hingebungsvoll aufpasste? Unglaublich. Und doch war es so.
„Lieb, der Rudi“, sagte Flora. „Wirklich ein braves Hunderl. Ja, dann geh ich mal wieder.“
„Nein. Komm doch auf einen Sprung herein, wenn du schon mal da bist. Meine Mutter ist nicht da, Vater ist nervös wegen seines Geburtstags und läuft irgendwo im Wald umeinander.“ Jonathans einladende Handbewegung sah echt aus.
Er schien heute auf einer anderen Schiene unterwegs zu sein: Netter junger Mann, freundlich und liebenswürdig, sogar bescheiden. Keine Spur von Überheblichkeit.
„Ein paar Minuten kann ich noch bleiben.“ Und schon stand Flora im großen, weiß getünchten Flur, der durch seinen wunderschönen Bogengang ein wenig an ein altes Klostergewölbe erinnerte.
Der Waldeck-Hof hatte drei bewegten Jahrhunderten getrotzt. Jonathans Großeltern waren ihr ganzes Leben damit beschäftigt gewesen, das gesamte Anwesen renovieren und sanieren zu lassen.
Ein wunderschöner, ehrwürdiger Tiroler Bergbauernhof in traumhafter Lage, das war der Hof am Achenwald im sogenannten „Eck“ schon früher gewesen. Jetzt schien er für die nächsten dreihundert Jahre gewappnet zu sein, denn sein Fundament stand so unverrückbar fest wie das Feldkopfmassiv über dem Hochtal von St. Christoph.
In der Stube räumte Jonathan ein paar Aktenordner vom Tisch.
„Ich hab sie vorhin aus dem Bürostüberl geholt“, sagte er und verdrehte die Augen. „Steuerunterlagen. Ich muss alles durchsehen, bevor ich einen Termin beim Steuerberater mache. Lästig! Man kommt freilich net aus. Das Finanzamt kennt keine Gnade. Aber wem sag ich das!“
Flora nickte. „Ja, wir haben auch damit zu tun. Unser Hof ist freilich nicht so groß wie eurer.“
„Groß genug. Und in einem sehr guten Zustand.“
„Das stimmt.“
„Ich war neulich mal bei euch daheim, deine Eltern wollten wissen, was sie meinem Vater zum fünfundsechzigsten Geburtstag schenken können“, entgegnete Jonathan. „Du warst nicht da, und dein Bruder nahm gerade sein Motorrad auseinander.“
„Du meinst, er hat es auf Vordermann gebracht, weil die Saison im Frühjahr losgeht“, widersprach Flora. „Benno ist kein Kfz-Experte. Er würde das Motorrad nie selbst reparieren. Nur ölen und so weiter. Er ist vorsichtig.“
„Ich hab kein Problem mit Autos oder Bikes. Es ist doch ganz gut, wenn man die Schrauben selbst festdrehen kann.“
„Klar.“ Flora seufzte. „Du machst das mit links. Meine Eltern haben für deinen Vater ein Album mit Bergfotos von dem bekannten Profi-Fotografen Kirnbacher aus Innsbruck zusammenstellen lassen. Ich hab’s mir angesehen. Es sind so wunderbare, stimmungsvolle Aufnahmen, dass man sie am liebsten immer wieder anschauen möchte. Einfach traumhaft. Zum Weinen schön.“
Jonathan winkte ab. „So schnell weint man nicht. Klar, die Mädels zerdrücken ja immer ein paar Tränchen. Vor allem, wenn sie so feinsinnig sind wie du. Zerbrechliche Elfchen, die ihre romantischen Träume mit der besten Freundin teilen. Männer hören da net so gern zu. “
„Solche wie du bestimmt net. Aber red nur daher, wie dir der Schnabel gewachsen ist. Mir ist’s eh egal! Und du meinst also, dass ich ein Hascherl bin, weil ich vor meinen eigenen Gefühlen net weglaufe?“
Er runzelte die Stirn. „Hab ich net gesagt. Aber ich gehe davon aus, dass du ein zartes Gemüt hast und zwischen deinen Blumen und Blüten herumschwebst wie eine Märchenfee aus einer anderen Welt. Wobei es diese andere Welt ja gar net gibt. Alles Fantasie, dieses Gesäusel von wundersamen Begebenheiten, die man nicht erklären kann. Lächerlich finde ich das.“
„Eben.“ Flora seufzte. „Alles ist nur Schall und Rauch. Und deshalb bretterst du auch lieber völlig hirnrissig über die verschneiten Hänge, obwohl es wegen Lawinenabgängen längst verboten ist. Wem willst du etwas beweisen? Irgendwelchen Leuten? Oder nur dir selbst?“
Jonathan betrachtete sie nachsichtig, als sei sie ein kleines Schulmädel, das keine Ahnung vom Leben hatte.
„Nein, es geht mir net darum, vor den anderen zu prahlen. Ich möchte sicher sein, dass ich stark bin und dass nichts und niemand mir etwas anhaben kann.“
„Irrtum. Nur Menschen, sie sich selbst für einen Helden halten, reden so einen Schmarrn daher wie du. Es kann jeden erwischen. Das Schicksal kümmert sich nicht um selbstherrliches Geschwätz“, fuhr Flora auf. „Irgendwann wirst du das kapieren. Ich hab keine Lust, mich mit dir zu streiten. Und deshalb geh ich jetzt. Deine Mutter kann die Blumen gelegentlich bezahlen. Es eilt net.“
Jonathan räusperte sich. „Ich hätte die Schale nachher eh abgeholt. Es wäre nicht nötig gewesen, dass du extra heraufkommst.“
„Ach, der kleine Umweg ist doch gar nicht der Rede wert. Ich fahre gleich noch mit zwei Körben Frühlingsblumen hinüber zum Sanatorium Bergfrieden.“
„Aha. Und was hast du nun eigentlich in die Schale für Vaters Geburtstag gepflanzt?“
„Es ist eine kleine Frühlingslandschaft“, antwortete Flora. „Deine Mutter meinte, dass dein Vater gleich morgen früh beim Aufwachen ins Grüne blicken soll. Also hab ich verschiedene Frühlingsblumen mit Moos, Ginster, Schleierkraut und Efeu kombiniert und einen kleinen Ahorn-Bonsai dazu gepflanzt. Ein richtiges Bäumchen im Miniatur-Format, das im Herbst die Blätter verliert und im Frühjahr neue bekommt. Richtige, winzige Ahornblättchen. Man muss das Baum-Zwergerl freilich richtig pflegen. Ich hab eine Anleitung dazu gelegt.“
Jonathan sah so aus, als sei ihm danach zumute, mal wieder ein bisschen zu lästern, zum Beispiel über das Bonsai-Bäumchen. Für solche Kindereien hatte er wenig Verständnis. Wenn Bäume, dann mussten sie groß sein und durften unter der Rinde nicht morsch werden. Aber irgendwie blieben ihm die spöttischen Worte „Echt putzig, so ein Baby-Baum!“ regelrecht im Hals stecken.
Er blickte Flora an und schaute tief hinein in ihre blauen Irisaugen. In diesen Augen schimmerte ein Licht, das er vorher noch nie gesehen hatte.
Es verschlug ihm die Sprache. Was war so faszinierend an Floras Augen? Stimmte es, wenn man sagte, die Augen seien ein Spiegel der Seele?
„Tut mir leid“, presste er hervor. „Ich hab soeben ziemlich viel dummes Zeug gefaselt. Das war net so gemeint, wie es sich angehört hat. Also, Entschuldigung.“
„Geschenkt“, sagte Flora und zuckte die Schultern. „Du weißt es eben net besser, Jonathan. Wirklich schade. Du bist doch eigentlich gar nicht so unrecht. Aus dir könnte direkt noch etwas werden.“
„Na, hör mal“, fuhr er auf, „das ist frech!“
Sie lächelte. „Rache ist süß, sagt man.“
***
Eine Weile herrschte Schweigen.
„Ihr kommt ja morgen auch zu Vaters Geburtstagsfeier“, brachte er schließlich hervor. „Du, deine Eltern und dein Bruder. Ich glaube, dass sich eine ziemlich große Gästeschar versammeln wird. Das macht meinen Vater ganz nervös. Er hat noch nie gern Feste gefeiert.“
„Im Gegensatz zu dir.“ Flora konnte sich diese Bemerkung nicht verkneifen.
„Man ist nur einmal jung. In drei, vier Jahren, wenn ich Mitte dreißig bin, bin ich bestimmt nicht mehr in Partylaune.“ Jonathan schenkte Flora ein Glas Rotwein ein. „Dann kommen andere Dinge an die Reihe. Aber vorläufig geht eben immer ein bisserl was bei mir. Ich versteh auch gar net, was so schlimm daran ist, wenn ich an und zu ausgelassen feiere. Es ist noch nie ausgeufert.“