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Das Gegenteil von glücklich
Roman um eine allzu schwere Last auf schmalen Schultern
Von Andreas Kufsteiner
Wie aus dem Nichts haben sich über dem Hof der Familie Wiesner dunkle Wolken zusammengezogen und eine Kette schmerzlicher Ereignisse ausgelöst: Zuerst der furchtbare Brand mitten im Hochsommer, dem die Vorratsscheunen sowie viele Erinnerungsstücke und Möbel zum Opfer gefallen sind. Zwei Jahre später dann der rätselhafte Tod der Bäuerin in der Wildbachklamm. War es ein Unfall oder der Wunsch, alles hinter zu lassen und dem Leben zu entfliehen? Niemand kennt die Antwort bislang.
Doch damit immer noch genug. Jetzt sitzt Helena, die Hoftochter, blass und zitternd in Dr. Burgers Sprechzimmer und macht ihm ein trauriges Geständnis ...
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Seitenzahl: 110
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Das Gegenteil von glücklich
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Bastei Verlag / Wolf
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar
ISBN 9-783-7325-8114-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Das Gegenteil von glücklich
Roman um eine allzu schwere Last auf schmalen Schultern
Von Andreas Kufsteiner
Wie aus dem Nichts haben sich über dem Hof der Familie Wiesner dunkle Wolken zusammengezogen und eine Kette schmerzlicher Ereignisse ausgelöst: Zuerst der furchtbare Brand mitten im Hochsommer, dem die Vorratsscheunen sowie viele Erinnerungsstücke und Möbel zum Opfer gefallen sind. Zwei Jahre später dann der rätselhafte Tod der Bäuerin in der Wildbachklamm. War es ein Unfall oder der Wunsch, alles hinter zu lassen und dem Leben zu entfliehen? Niemand kennt die Antwort bislang.
Doch damit immer noch nicht genug. Jetzt sitzt Helena, die Hoftochter, blass und zitternd in Dr. Burgers Sprechzimmer und macht ihm ein trauriges Geständnis …
Am Nachmittag war es immer noch warm und hell, ein echter Junitag eben, wie er nicht schöner sein konnte. Die zahlreichen Feiern zu Sonnwend und zum Johannistag waren zwar vorbei, aber die wahren Sommerfreuden standen noch bevor.
Helena hatte den Vormittag auf dem Simmerhof verbracht, weil Paul sich darüber beklagt hatte, dass sie sich zu selten blicken ließ: „Wenn ich nicht so oft wie möglich zu dir kommen würde, wäre ich wohl bald aus dem Rennen. Dann könnte es sein, dass du mich einfach vergisst.“
Natürlich war das alles nur Gerede. Paul und Helena galten im Dorf als Paar. Inzwischen waren sie seit Februar verlobt, in St. Christoph sprach man jedoch nur selten über die Verbindung zwischen Helena Wiesner und Paul Feller.
Einige Leute meinten, dass die beiden nicht besonders gut zueinander passten. Rein äußerlich machten sie etwas her, das ließ sich nicht leugnen.
Paul, der fesche Hoferbe, dem es wichtig war, jeden durch sein energisches Auftreten zu beeindrucken, und Helena, die bildhübsche Tochter vom Talhof, stellten auf den ersten Blick so manch anderes Paar in den Schatten. Was man an den beiden jedoch vermisste, waren das Lächeln und das Strahlen in den Augen, wie man es allgemein von Verliebten erwartet.
Vorläufig gab es auch noch keinen Hochzeitstermin.
Die Verlobung war freilich mit sehr viel Aufwand und Drumherum gefeiert worden – ein rauschendes Fest mit Verwandten und Freunden, Musik und Tanz, ein glitzernder Ring, den Paul seiner Auserwählten an den Finger gesteckt hatte und schließlich der unvermeidliche Kuss, mit dem ein junges, heiratswilliges Paar normalerweise den versammelten Gästen sein Glück zeigt.
Nur, dass der Kuss bei Paul und Helena so etwas wie eine Pflichtübung gewesen war, jedenfalls hatte es danach ausgesehen. Man hatte gemerkt, dass die Zurückhaltung eindeutig von Helena ausgegangen war. Paul wäre wohl gern ein bisschen stürmischer aufgetreten, als hölzern oder unterkühlt galt er jedenfalls auf keinen Fall.
Dennoch war der missglückte Verlobungskuss kein Grund, die Gerüchteküche brodeln zu lassen.
Vielleicht hatte sich die junge Frau vor den Gästen ein wenig geziert, das musste man ja verstehen. Eigentlich reizend, so ein hübsches, junges Madel, das noch nicht mit allen Wassern gewaschen war wie so einige andere Mädchen und sogar errötete, wenn es ums Küssen ging.
Mehr gab es nicht zu sagen. Daher war man in St. Christoph ohne weiteren Kommentar zur Tagesordnung übergegangen, freilich bis auf einige Ausnahmen, die es ja immer und überall gab.
Was manche Leute – die sogenannten „Dorf-Beobachter“ – redeten oder nicht, kümmerte Helena nur am Rande. Sie hatte andere Sorgen, als auf das Getuschel derjenigen zu hören, die immer und überall das Gras wachsen hörten.
Meistens waren es neugierige Zeitgenossen, die sich wichtigmachen wollten, obwohl sich kaum jemand für das Geschwätz interessierte. Außerdem handelte es sich meistens um Leute, die wenig zu tun hatten und aus Langeweile hier und da herumspionierten.
Wenn man sie darauf ansprach, wiegelten sie sofort ab: „Ich steck doch meine Nase net in die Angelegenheiten anderer Leut! Wenn ich etwas erfahre, dann immer nur rein zufällig.“
Nun ja … so viele Zufälle konnte es gar nicht geben!
Helena beeilte sich. Paul hatte sie vorhin nur ungern gehen lassen, aber die Zeit drängte mal wieder. Daheim warteten wie jeden Tag allerlei Pflichten auf sie, doch heute war zuerst einmal sie selbst an der Reihe.
Um halb sechs hatte sie einen Termin bei Dr. Burger. Sie war ihm dankbar, dass er sich extra viel Zeit für sie nahm. Helena brauchte seine Hilfe, obwohl er natürlich ihre Sorgen nicht einfach wegpusten konnte. Aber es ging ihr besser, sobald sie ihm gegenüber saß und er ihr aufmerksam zuhörte. Als besonders wertvoll empfand sie seine Ratschläge. Es mussten nicht immer Tabletten sein, obwohl sie derzeit auch ein spezielles Medikament brauchte.
„Ein paar Minuten dauert’s noch, dann kannst du gleich zum Doktor hinein“, meinte Bärbel Tannauer, Dr. Burgers engagierte und freundliche Assistentin. „Wir haben schon den ganzen Tag Hochbetrieb. Das ist erstaunlich bei diesem tollen Wetter. Man sollte meinen, dass alle pumperlgesund sind oder wenigstens halbwegs gut in Form.“
„Sind sie es denn nicht?“, fragte Helena.
„Ach woher, nein.“ Bärbel seufzte. „Ich darf ja eigentlich nix Medizinisches preisgeben. Die Schweigepflicht, weißt du. Namen kann ich auf keinen Fall nennen! Nur so viel: Es grassiert mal wieder ein Virus. Sommergrippe nennt man das in der Umgangssprache. Husten, Heiserkeit, Fieber, Gliederschmerzen. Das ist die eine Patienten- Gruppe. In der anderen Gruppe zerreißt es die Leute fast, weil es ihnen kreuzübel ist. Den Ärmsten geht’s wirklich schlecht, sie haben Krämpfe vom Magen abwärts und krümmen sich. Viel trinken ist in diesem Fall wichtig, aber sie bringen kaum Tee hinunter, auch kein Löfferl Haferschleim oder ein paar Krümel Zwieback. Auch so ein Virusinfekt, auf den man wirklich gern verzichten würde! Aber mehr kann ich dir wirklich net sagen. Sieh zu, dass du dich net irgendwo ansteckst.“
„Das hab ich net vor. Ich werd mir Mühe geben, keinen Virus aufzuschnappen“, erwiderte Helena. „Durchhänger kann ich mir net leisten. Mein Tag fängt um sechs Uhr in der Früh an, Ende offen.“
„Das ist zu viel Stress“, fand die Bärbel. „Na ja, vielleicht heiratest du bald deinen Paul. Er wird es net zulassen, dass du dauernd nur herumwerkelst. Und für deinen Vater wird sich doch sicher eine Pflegerin finden lassen.“
„Das ist net so einfach“, seufzte Helena. „Vater ist im Grunde ein herzensguter Mensch, aber seitdem er so krank ist, muss man ihn mit Samthandschuhen anfassen. Wir hatten schon ein paar Pflegerinnen auf dem Hof, immer nur probeweise, kaum war eine weg, versuchten wir es mit der nächsten. Vater kam mit ihnen net zurecht und sie nicht mit ihm. Oft mangelte es an der nötigen Geduld und am Verständnis.“
„Das braucht man beides in der Krankenpflege“, pflichtete die Bärbel bei und nickte.
„Mein Vater ist nach seinem Schlaganfall nicht mehr der Mensch, der er einmal war“, fuhr Helena fort. „Er ist natürlich körperlich stark eingeschränkt, weil sein linker Arm gelähmt ist und das Bein ihm nach ein paar Minuten den Dienst versagt, dann muss er sich wieder setzen oder hinlegen. Das bringt ihm fast um, denn er war ja immer ein begeisterter Bergwanderer. Aber auch in seinem Wesen hat er sich sehr verändert. Er kann kaum reden, man muss froh sein, wenn er ein paar Sätze stammelt. Außerdem ist er sehr weinerlich geworden. Man kann ihn nur ganz selten für kurze Zeit allein lassen. Also versuche ich, mich ständig um ihn zu kümmern.“
„Lass dich net allzu sehr darauf ein“, warnte Bärbel. „Es wird zu viel für dich. Du bist kein Riese, der alles schultern und packen kann. Hin und wieder musst du etwas für dich tun, etwas Schönes und Erholsames. Sonst bleibst du auf der Strecke.“
Das weiß ich selbst, dachte Helena.
Bärbel hatte gut reden. Wenn man so fest im alltäglichen Stress eingespannt war wie ein Arbeitspferd im Geschirr, dann konnte man nicht so leicht auskommen, um sich etwas „Erholsames“ zu gönnen. Aber eins stand fest, nämlich, dass jetzt dringend und auf Dauer eine Pflegerin für den kranken Vater gefunden werden musste, die neben Sachkenntnis im Umgang mit Kranken auch sehr viel Einfühlungsvermögen mitbringen sollte.
Kurze Zeit später, in Dr. Burgers Sprechzimmer, standen Helena Tränen in den Augen. Es war ihr fast ein bisserl peinlich, wie eine Heulsuse daherzukommen. Sie hätte dem Doktor gern ein fröhliches Gesicht gezeigt. Allerdings wusste er, wie es um sie bestellt war. Sein tröstender Händedruck tat ihr gut.
Die Leichtigkeit und Heiterkeit längst vergangener Jahre, als ihr Leben noch ein buntes Packerl mit Überraschungen und Zukunftsträumen gewesen war, gab es längst nicht mehr.
Was war mit der Familie Wiesner geschehen?
***
Über dem Talhof hatten sich wie aus dem Nichts dunkle Wolken zusammengezogen, eine Kette schmerzlicher Ereignisse war über die Familie hereingebrochen …
Zuerst der unheilvolle Vorbote, ein nächtlicher Brand im Hochsommer bei Hitze und großer Trockenheit, die vollständige Vernichtung der zwei neuen Vorratsscheunen, Feuer im Erdgeschoss des Hauses und der Verlust vieler Erinnerungsstücke, Fotos, Möbel, Truhen. Das war der erste Teil des Familiendramas gewesen.
Die wunderschönen Leuchter und Schalen aus Bauernsilber, ein Erbe der Urgroßeltern, und die schönen, alten Gemälde im Flur hatte man schwarz und zusammengeschmolzen unter der Asche gefunden – ein Opfer der Flammen wie so vieles in und um das Haus herum.
Die braven Haflinger, der ganze Stolz von Helenas Bruder Erhard, waren mit Verbrennungen in einer Tierklinik behandelt und zum Glück gerettet worden, genau wie Hofhund Brax, der beste Freund der Familie Wiesner.
Als die Flammen auch das Wohnhaus erfasst hatten, war Brax wie von Sinnen herumgerast, um alle – Mensch und Tier – zusammenzutreiben und zu bewachen. Sämtliche Kühe waren zum Glück draußen auf den Almen und Weiden gewesen, desgleichen die kleine Schafherde mit fünfzehn Tieren.
Traute Wiesners Hausenten und die Hühner waren noch Tage später hier und da mit versengten Federn aufgetaucht, sie hatten das Weite gesucht und sich dadurch rechtzeitig in Sicherheit gebracht.
Den Geißen war es nicht so gut ergangen, in panischer Angst waren sie gerade noch den Flammen entkommen, den Geißbock hatten die Helfer später völlig entkräftet und verletzt im Wald gefunden. Ein paar Zicklein waren nie wiederaufgetaucht.
Die meisten Tiere hatten sich nach und nach wieder erholt. Die Familie selbst war mit dem Schrecken davongekommen, abgesehen von kleinen Brandwunden. Uli und Lenz, die beiden Knechte, waren jeweils mit einer leichten Rauchvergiftung ambulant behandelt worden.
Der Brand auf dem Talhof war ein Inferno lodernder Flammen gewesen, die man weithin gesehen hatte. Aber dank des Einsatzes mehrerer Feuerwehrtruppen aus der Umgebung hatte man das Feuer unter Kontrolle gebracht, bevor auch noch der erste Stock des Wohnhauses erfasst worden war.
Scheunen kann man wiederaufbauen, Ställe ebenfalls, auch Hausmauern. Das weiß jeder. Man beißt die Zähne zusammen und fängt neu an.
Aber der Schmerz über verlorene Erinnerungsstücke und die Angst vor dem Feuer bleiben bestehen. So war es auch bei den Wiesners gewesen. Der Schock dauerte bis heute an.
Die Versicherung hatte ordnungsgemäß gezahlt. Heute, vier Jahre nach dem großen Brand, erinnerte nichts mehr an das tragische Geschehen. Jedenfalls rein äußerlich nicht. Der schmucke Talhof mit seinem breiten, roten Dach wirkte wie ein sicherer Hort, in dem man vor allem Übel geschützt war.
Sennhund Brax zählte inzwischen sieben Jahre, es gab mittlerweile noch vier weitere Pferde, die Schafherde hatte sich auf natürliche Weise vergrößert, und auf dem kleinen Teich hinter dem Haus vergnügte sich eine muntere Entenschar. Auch ein paar neu angeschaffte Bergzickerln und ein junger Geißbock, kurz „Bockei“ genannt, fühlten sich wieder auf der Weide hinter dem Hof rundum wohl.
Alles sah auf den ersten Blick so aus wie in einer harmonischen, friedlichen und geschützten Welt unter den mächtigen Berggipfeln.
Und doch war alles ganz anders. Denn das Feuer war nicht die einzige Heimsuchung auf dem Talhof gewesen.
Zwei Jahre nach dem Brand hatte Traute Wiesner sich eines Abends von ihrem Mann und ihren Kindern Helena und Erhard, der nur „Hardy“ genannt wurde, mit den Worten verabschiedet: „Ich will am Wegkreuz ein paar Blumen niederlegen und im Marienkircherl Kerzen anzünden. Es kann ein bisserl später werden.“
Niemand hatte sich etwas dabei gedacht. Blumen für das alte, geschnitzte Wegkreuz, an dem viele Leute innere Einkehr hielten, das war nichts Ungewöhnliches. Manche brachten sogar kleine Gedenktafeln mit.
Die Bäuerin war nie am Kreuz angekommen und an der kleinen Kapelle auch nicht. Und sie war auch niemals mehr heimgekehrt.
Nach einer hektischen Suche hatte man sie erst eine Woche später in der Wildbachklamm gefunden. Der tosende Bach hatte sie weiter unten an das schmale Kiesufer gespült.
Bis heute wusste man nicht, weshalb sie an jenem Abend zur Klamm gegangen und in den schäumenden Bach gestürzt war.
Ein schrecklicher Unfall oder der Wunsch, alles hinter sich zu lassen und dem Leben zu entfliehen? Diese Frage bewegte die Dörfler noch immer.
Nicht genug damit. Helenas Vater hatte den Tod seiner Frau nicht verwinden können. Seine Versuche, sich mit seinen üblichen, langen Stammtisch-Abenden, Nächten auf dem Hochsitz und riskanten Bergtouren abzulenken, waren gescheitert.
Vor einem Jahr dann der schwere Schlaganfall, der ihn, den großen, kräftigen Mann, zu einem hilflosen Bündel Mensch gemacht hatte … es war zu viel Leid gewesen.
Und jetzt saß Helena weinend in Dr. Burgers Sprechzimmer.
In Sekundenschnelle war das ganze Drama der vergangenen, verlorenen Jahre noch einmal an ihr vorbeigezogen.