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Schlaflose Nächte für Reni
Dr. Burgers Patientin hat ein ganz besonderes Schicksal
Von Andreas Kufsteiner
"Oft haben Schlafstörungen eine seelische Ursache", erklärt Dr. Burger seiner Patientin. "Natürlich schläft man auch schlecht, wenn man, zum Beispiel, Schmerzen oder chronische Beschwerden hat. Jede Krankheit, die nicht behandelt wird und sich immer wieder bemerkbar macht, führt ebenfalls zu Schlafstörungen. Aber wie gesagt, am meisten beeinträchtigen die Gedanken den Schlafrhythmus. Grübeln, Sorgen, Ängste hindern uns daran, auf natürliche Weise einzuschlafen."
Diese Worte ruft sich Reni ins Gedächtnis, als sie an diesem Abend wieder mal völlig erschöpft ins Bett sinkt - und dann doch nicht einschlafen kann. Es ist die Angst, die sie wachhält. Denn sie weiß, was gleich passiert ...
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Seitenzahl: 105
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Schlaflose Nächte für Reni
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-8661-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Schlaflose Nächte für Reni
Dr. Burgers Patientin hat ein ganz besonderes Schicksal
Von Andreas Kufsteiner
„Oft haben Schlafstörungen eine seelische Ursache“, erklärt Dr. Burger seiner Patientin. „Natürlich schläft man auch schlecht, wenn man, zum Beispiel, Schmerzen oder chronische Beschwerden hat. Jede Krankheit, die nicht behandelt wird und sich immer wieder bemerkbar macht, führt ebenfalls zu Schlafstörungen. Aber wie gesagt, am meisten beeinträchtigen die Gedanken den Schlafrhythmus. Grübeln, Sorgen, Ängste hindern uns daran, auf natürliche Weise einzuschlafen.“
Diese Worte ruft sich Reni ins Gedächtnis, als sie an diesem Abend wieder mal völlig erschöpft ins Bett sinkt – und dann doch nicht einschlafen kann. Es ist die Angst, die sie wachhält. Denn sie weiß, was gleich passiert …
Es war ein heißer Tag. Reni Schaller und ihr Verlobter Benno Gettinger kamen bei ungetrübtem Sonnenschein und wolkenlosem Himmel in St. Christoph an.
Ihr Ziel, das malerische Alpenhaus der Familie Schaller im Weiler Hochbrunn, begrüßte die beiden mit seinem roten Dach zwischen Wildrosen-Hecken und prächtigen Ahornbäumen schon von Weitem, denn es stand auf einem Hügel, dem „Grünberg“.
Hinter dem Haus breiteten sich Wiesen bis hin zum Waldrand aus, das Schönste jedoch waren der große Garten und die Streuobstwiesen, auf die sich in jedem Frühjahr in ein Blütenparadies verwandelten.
Die letzten Julitage zeigten noch einmal, was die sogenannten Hundstage außer Hitze noch im Gepäck hatten, nämlich Trockenheit und Gewitter.
Kurze, heftige Regengüsse nach Blitz und Donner nützten den Wiesen und Bächen und den durstigen Pflanzen nur wenig, denn das Wasser verdunstete auf dem heißen Boden sofort wieder. Ein Landregen, den die Bergbauern herbeisehnten, war bislang nicht in Sicht.
Nach den Gewittern kam sehr schnell die Sonne wieder hervor und übernahm erneut das sommerliche Regiment.
Auch nachts gab es kaum Abkühlung, der Wind wehte nur lind und lau ins Tal hinab. Anscheinend tat er das, was sich viele Leute in dieser Zeit auch gewünscht hätten: Faulenzen und einfach mal die Dinge laufen lassen.
Aber die wenigsten konnten es sich leisten, in den Tag hineinzuleben.
Die Arbeit erledigte sich auch im Sommer nicht von selbst. Wenn man sich dann endlich den Freizeit-Vergnügungen widmen konnte, flüchtete man aus der Sommerhitze an die Seen der Umgebung oder suchte schattige Plätze auf.
Als sehr beliebt galten Biergärten unter Kastanienbäumen oder Waldwirtschaften wie die Achenwaldhütte, die heuer an den Wochenenden ein paar Service-Kräfte mehr brauchte als sonst.
„Da sind wir also“, sagte Reni. „Schau dich um, Benno. Hier bin ich mit meiner Schwester Gitti aufgewachsen. Irene und Brigitte Schaller. Reni und Gitti, die Mädels aus dem Grünberg-Haus. So wurden wir genannt. Langweilig ist es uns nie geworden, wir hatten immer ein ganzes Sackerl voller Ideen, und außerdem haben wir uns ausgiebig um die Tiere gekümmert. Meine Eltern wollten, dass wir frühzeitig lernten, Verantwortung zu übernehmen.“
Er lächelte. „Da klingt nach anstrengender Kindheit.“
„Na ja, ein bisschen. Meine Schwester hatte einen richtigen Zeitplan aufgestellt, weil sie ja die Ältere war – sie konnte grad mal zwei Jährchen mehr vorweisen als ich. Damals wollte sie sich als die Große ein bisserl wichtigmachen. Aber ich hab ihr gern dazwischengefunkt! Schade, dass du nicht mitgekommen bist, als ich neulich bei Gitti zu Besuch war.“
„Wieso? Ich bin ja jetzt hier, das reicht“, wiedersprach Benno. „Deine Schwester kenn ich doch eh schon, sie ist ja einige Male nach München gekommen.“
Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Schon unterwegs hatte ihm eine gewisse Nervosität zu schaffen gemacht. Ihm war sehr warm, beinahe backofenheiß. Das lag nicht etwa an den hochsommerlichen Temperaturen, sondern daran, dass ihm das „Zillertaler Abenteuer“ nun doch ein bisschen zu gewagt vorkam.
In diesem Moment wäre er am liebsten wieder umgedreht und heimwärts nach München gefahren, genauer gesagt nach Bogenhausen in sein angenehm klimatisiertes Haus, um das sich derzeit seine Eltern kümmerten.
Was sich hier in diesem Alpenidyll abspielte, lag für Benno auf der Hand. Er hatte sich freiwillig in eine Situation begeben, die ihn ins Schwitzen brachte.
Das Leben im Dorf spielte sich, seiner Meinung nach, folgendermaßen ab: Die Leute in St. Christoph arbeiteten wochentags, allerdings mit ausgedehnten Pausen, denn was gab es in einem Gebirgsdorf schon dauernd zu erledigen?
Sonntags läuteten die Glocken vor Tau und Tag zur Frühmesse, danach traf man sich vermutlich mit Nachbarn und Bekannten am Kirchplatz.
Hernach speiste man mittags Braten mit Knödeln, anschließend fanden kleine Ausflüge oder Verwandtenbesuche bei Klatsch, Tratsch und Streuselkuchen statt, danach wurde die Flasche mit dem hausgebrannten Vogelbeergeist aus dem Schrank geholt und bis auf einen kleinen Rest geleert, sodass man sehr bald alles durch die rosarote Brille sah.
Hin und wieder fieberten die Dörfler ein paar traditionellen Veranstaltungen entgegen, bei denen zu viel gegessen und literweise Bier getrunken wurde.
Wer danach Magenschmerzen hatte, suchte den Landarzt auf, wahrscheinlich diesen Dr. Burger, den Reni immer über den grünen Klee lobte. Oder man nahm auf eigene Faust irgendwelche bitteren Tropfen, die bei Vollmond zusammengemischt wurden.
Benno glaubte sich zu erinnern, dass in den Alpendörfern auch heute noch Kräuterweiberl ihr Unwesen trieben, die außerdem streng nach dem Mondkalender lebten und an die Existenz von Feen und Berggeistern glaubten. Irgendwo hatte er in einer Zeitung etwas darüber gelesen.
Nun ja, vielleicht war es hier nicht ganz so schlimm mit den kräuterkundigen „weisen Frauen“, aber die Tradition stand bestimmt an erster Stelle. Und Tropfen aus Kräutersud gehörten unbedingt dazu. Man verließ sich auf die Heilkräfte der Natur.
In St. Christoph war es sicher schon immer so gewesen, und es würde sich auch nichts daran ändern, davon war Benno überzeugt.
Er fand, um es gelinde auszudrücken, wenig Gefallen an der Vorstellung, hier zu versauern und Lindenblütentee zu trinken, wenn er eine fiebrige Erkältung hatte. Vermutlich empfahl der ortansässige Doktor seinen Patienten eh nichts anderes.
Der Ort hatte nichts zu bieten, was auch nur im Entferntesten an München heranreichte. Klar, ein Bergdorf und die Weltstadt mit Herz, wie München genannt wurde, ließen sich nicht miteinander vergleichen.
Gegensätze wie Tag und Nacht taten sich vor Bennos innerem Auge auf. Dennoch versuchte er, etwas Positives an der Situation und an dieser Gegend zu sehen.
Man musste die Zähne zusammenbeißen! Nun gut, das Panorama war großartig, daran gab es nichts zu rütteln. Außerdem war es sicher nicht falsch, auch mal das Leben in einem Bergdorf zu „testen“, um danach wieder umso mehr das Stadtleben zu genießen. Außerdem war er ja wegen Reni hier, die er immer noch für das herzigste Madel weit und breit hielt.
Was sah Benno, wenn er sich nach links und dann nach rechts wandte?
Schroffe Gipfel, ein Gebirge wie aus dem Märchenbuch, dazu der Blick vom Grünberg-Haus hinüber ins Dorf, das sich so harmonisch in die alpine Landschaft einfügte, als habe es jemand von Anfang an so geplant.
Aber wer? Die Bergfeen? Oder die Feldkopf-Geister? Wohl kaum.
Schade, die Idee an sich fand Benno lustig. Er grinste still in sich hinein. Wenn jemand etwas von Bauplänen verstand, dann er. Und zwar eine ganze Menge. Kein Wunder, in München galt er als besonders einfallsreicher Architekt der jungen Generation.
St. Christoph war ein kleines, aber besonders schönes Juwel im Zillertal, allerdings gewöhnungsbedürftig für einen überzeugten Großstädter wie Benno, der bisher kleine Orte nach Möglichkeit gemieden hatte.
Reni merkte natürlich, dass ihr Verlobter erst einmal den Tatsachen ins Auge blicken musste. Sonst war er um treffende Worte nie verlegen. Jetzt starrte er allerdings schweigend auf das Haus und den sehr großen Garten (zu groß, fand er, viel zu verwachsen) samt Sträuchern und Beeten.
Wenn man all das in Schuss halten wollte, musste man auch etwas dafür tun, nämlich früh aufstehen und den Spaten in die Hand nehmen. Und noch einiges andere mehr. Falls das Grundstück ein bisschen zeitgemäß ausschauen sollte, dann half nur eine komplette Umgestaltung.
So wie jetzt konnte es jedenfalls nicht bleiben. Das ist ja wie Kraut und Rüben, grollte Benno inwendig.
„Es ist nicht so schlimm, wie du denkst“, versprach Reni ein wenig schüchtern. „Man müsste natürlich mal ein bisserl schauen, ob die Sträucher zu eng beisammen stehen. Wir haben ja Paul und Wally. Falls wir Hilfe brauchen, dann kommen sie innerhalb einer halben Stunde zu uns. Wenn es nötig ist, bleiben sie den ganzen Tag.“
„Paul und Wally?“ Benno tauchte aus seinen unerfreulichen Gedanken auf und runzelte die Stirn. „Wer ist das?“
„Hab ich dir doch schon gesagt. Wenn du mir in München besser zugehört hättest, könntest du dich daran erinnern. Paul und Wally Huber sind ein Ehepaar um die fünfzig, nette Leute, auf die man sich verlassen kann. Seit einigen Jahren arbeiten sie als Hausmeister und Hilfe im Haus. Sie haben Gitti auch schon die ganze Zeit über geholfen. Aber das hab ich dir wirklich schon erzählt.“
„Reni, ich hab viel um die Ohren, da kann man schon mal was vergessen“, moserte Benno. „Solange wir hier sind, muss ich jeden Tag an den Plänen für das neue Einkaufszentrum in Neufahrn arbeiten. Daran führt kein Weg vorbei. Ich lasse das Projekt auch nicht sausen. Es ist eine interessante Aufgabe, und ich möchte mir ein paar Lorbeeren verdienen. Mit anderen Worten, ich werd hin und wieder zurück nach München fahren.“
„Aber du weißt doch, dass wir eigentlich hier im Zillertal bleiben wollen. Das haben wir doch in München schon besprochen.“ Reni senkte den Kopf. „Es ist mein Elternhaus, vor dem wir jetzt stehen, vergiss das net. Ich will es nicht verkaufen oder vermieten. Wir müssen eine Möglichkeit finden, Beruf und Wohnort irgendwie unter einen Hut zu bringen.“
„Wir werden sehen“, lenkte Benno ein. „Jetzt kann ich auf keinen Fall darüber nachdenken. Wann lerne ich denn dieses Ehepaar Paul und Wally Huber kennen?“
„Bald.“
„Geht’s ein bisschen genauer?“ Benno wirkte gereizt.
„Vielleicht schon morgen“, erwiderte Reni beschwichtigend. „Sei doch net so grantig! Unser guter Lenz ist im Moment bei den Hubers, man kann ihn ja net allein lassen. Er ist das net gewohnt. Aber er ist wirklich ein braves Hunderl. So ein richtig kuscheliger Bär, ein reinrassiger Sennhund. Die anderen Tiere müssen wir nachher noch versorgen.“
„Ach ja? Welche Tiere sind das genau? Du hast eigentlich immer nur ein paar Hühner erwähnt.“
„Nein, nicht nur Hühner“, wandte Reni mit Unschuldsblick ein. „Vielleicht hab ich vergessen, dir zu sagen, dass noch ein paar andere Viecherl da sind.“
„Und die müssen wir jetzt noch füttern?“, regte sich Benno auf. „Also, falls du denkst, dass ich mich zum Landwirt eigne, dann …“
„Jetzt reg dich doch net so auf, Benno. So viele Viecherl sind es ja gar net. Paul hat mir am Telefon gesagt, dass er gestern Abend noch ziemlich spät nach dem Rechten gesehen hat“, erklärte Reni. „Die paar Tiere machen uns bestimmt net viel zu schaffen. Es sind ungefähr zwanzig Hühner, vier Zickerln und der Geißbock. Und die sechs Schafe. Dann noch Selma, unsere Kuh. Aber sie gibt nur noch sehr wenig Milch, weil sie ziemlich alt ist. Natürlich kriegt sie bei uns das Gnadenbrot. Ich darf Mina nicht vergessen, unsere Katze. Meine Güte, das hab ich dir doch alles schon in München erzählt, Benno.“
„Es war mir nicht so wichtig, Reni.“ Er seufzte. „Weißt du, ich mag Tiere. Aber bisher hab ich noch nie einen Haustier-Zoo versorgen müssen. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Ziegen, Schafe und Hühner mein Leben bereichern werden.“
„Doch, du wirst überrascht sein, wie viel Freude man an ihnen hat“, versicherte Reni und nickte dabei so nachdrücklich, dass ihre blonden Haare in Bewegung gerieten. Die Sonnenstrahlen tanzten um sie herum. Sie stand da wie in einem Strahlenkranz.
Reni sah wirklich entzückend aus.
Benno spürte, dass er ihrem Liebreiz nicht widerstehen konnte. Er fühlte sich so unwiderstehlich zu ihr hingezogen wie vor zwei Jahren, als er sie an der Isar kennengelernt hatte.
Plötzlich hatte sie vor ihm gestanden und ihn ein bisschen verschüchtert gefragt: „Gibt es hier auch ruhige Plätze? Oder sitzen hier immer alle am Ufer herum und plärren umeinander? Und halb nackert sind sie auch noch – oder bloß mit einem Feigenblatt bedeckt!“
Benno hatte laut gelacht. Jesses, so ein süßes Hascherl, harmlos wie eine Klosterschülerin, aber so unglaublich hübsch! Eine junge Frau, die nach München gekommen war, um für eine gewisse Zeit im Klinikum Großhadern Erfahrungen zu sammeln und als Beschäftigungstherapeutin zu arbeiten.