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Beschütz mich, Fremder!
Dramatischer Roman um heiße Tränen und eine ungewöhnliche Bitte
Von Andreas Kufsteiner
Zum Saisonausklang haben sich Dr. Martin Burger und sein Freund Dominikus Salt noch einmal zum Bergsteigen verabredet. Die Männer wählen eine anspruchsvolle Route bis zur Feldkopfhütte hinauf, wo sie übernachten wollen, um am Sonntag über den Gletscher abzusteigen.
Erschöpft, aber zufrieden erreichen Martin und Dominikus die Hütte und sind gerade dabei, sich ein deftiges Nachtmahl zuzubereiten, als sie von draußen Hilferufe hören. Zunächst glauben sie, es handle sich um einen verirrten Wanderer. Dann aber taucht eine völlig aufgelöste, verzweifelte Frau mit zwei kleinen Kindern an der Hand auf. Sie trägt Hausschuhe, die Kinder Nachthemden. Atemlos bittet sie um Hilfe ...
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Seitenzahl: 124
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Beschütz mich, Fremder!
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-8663-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Beschütz mich, Fremder!
Dramatischer Roman um heiße Tränen und eine ungewöhnliche Bitte
Von Andreas Kufsteiner
Zum Saisonausklang haben sich Dr. Martin Burger und sein Freund Dominikus Salt noch einmal zum Bergsteigen verabredet. Die Männer wählen eine anspruchsvolle Route bis zur Feldkopfhütte hinauf, wo sie übernachten wollen, um am Sonntag über den Gletscher abzusteigen.
Erschöpft, aber zufrieden erreichen sie die Hütte und sind gerade dabei, sich ein deftiges Nachtmahl zuzubereiten, als sie von draußen Hilferufe hören. Dominikus sieht nach und findet eine völlig aufgelöste, verzweifelte Frau.
„Beschütz mich, Fremder!“, fleht sie ihn an und sucht panisch Schutz hinter seinem Rücken. Im nächsten Moment steht Dominikus einem bulligen Hünen gegenüber. Und ehe er sich’s versieht, zieht der wütende Mann einen Hirschfänger und sticht wie von Sinnen auf Dominikus ein, bis dieser röchelnd zusammenbricht …
Es war ein klarer, schon recht frischer Herbstmorgen Anfang Oktober. Über dem Krähenwald ging eben die Sonne auf und vertrieb die Nebelschleier zwischen den mächtigen Stämmen der Föhren und Bergkiefern.
In den Senken des Tals rund um St. Christoph hielt der Dunst sich länger. Da lösten die Strahlen der tiefer stehenden Herbstsonne manchmal erst am späten Vormittag den letzten Nebel auf, um den Blick freizugeben auf die herrliche Umgebung des Dorfes, das ganz am Ende des Tiroler Zillertals zu finden war.
Und was man dann zu sehen bekam, das verglich so mancher, egal ob Einheimischer oder Urlauber, im Stillen mit einem Stückerl vom Paradies.
Sechs Berggipfel erhoben sich rund um St. Christoph in stiller Majestät. Ihnen verdankte man das milde, geschützte Klima, das Spätfröste selten machte und im Sommer für genügend Regen sorgte, um das Korn sprießen zu lassen. So hatte das freie Tiroler Bauerntum hier eine lange Tradition. Die Menschen waren stolz auf ihre Heimat und bemüht, diese so zu erhalten, wie sie war, in ihrer ganzen beeindruckenden Schönheit.
Folgte man der schmalen Bergstraße von Mayrhofen kommend, so erblickte man als Erstes den höchsten der sechs Berge. Das war der Feldkopf. Eine Kabinenbahn führt zu seinem Gipfel, wo man in der Feldkopfhütte eine regionale Gastronomie vom Feinsten sowie Übernachtungsmöglichkeiten vorfand.
Der Feldkopf war bei Kraxlern und Bergwanderern sehr beliebt, denn er bot für jeden etwas. Von einem leichten Aufstieg in kleinen Etappen bis hin zur Kraxeltour für Profis im Gletscher, der wegen seiner Spalten und Verwerfungen gefürchtet war.
Neben dem Feldkopf erhob sich der Hexenstein, um dessen Fuß sich der Krähenwald schmiegte. Dann gab es noch das Frauenhorn, den Achenkegel, den Rautenstein und die Beerenhalde. Letztere war ein flacher Tafelberg, auf dessen Hochweiden die Familie von Brauneck ihre Schafe im Sommer grasen ließ.
Die Braunecks lebten seit mehr als dreihundert Jahren in einem gelben Barockbau, von Einheimischen als „Schlössel“ bezeichnet. Die bodenständige Adelsfamilie besaß neben einem Haflinger-Gestüt land- und forstwirtschaftliche Flächen und war einer der größten Arbeitgeber im Tal.
Dem Schlössel gegenüber auf einem sanften Südhang stand das „Berghotel“, von Hedi und Andi Kastler als Familienbetrieb geführt. Bettenburgen, wie sie der Massentourismus nötig machte, suchte man in St. Christoph vergebens. Dafür sorgte schon der Gemeinderat unter der Federführung des ehrenamtlichen Bürgermeisters Toni Angerer.
In diesem schmalen Seitental des bekannten Zillertals ließ sich wunderbar Urlaub machen. Das bewiesen die vielen Stammgäste der Kastlers und die Tatsache, dass das „Berghotel“ rund ums Jahr fast ständig ausgebucht war. Doch es war ein sanfter Tourismus, der hier gepflegt wurde, etwas anderes kam für die bodenständigen und traditionsbewussten Bewohner von St. Christoph nicht infrage.
Am Ortsrand fand sich gleich als Erstes das Haus des Gendarmen Ludwig Sirch. Der etwas behäbige Gesetzeshüter kümmerte sich auf seine gravitätische Art um Recht und Ordnung im Tal und zählte so im traditionellen Wertesystem, das hier noch geachtet wurde, zu den Respektspersonen wie Bürgermeister, Hochwürden, dem Lehrer und freilich auch dem Landarzt.
St. Christoph hatte seinen eigenen Doktor. Dr. Martin Burger, der Bergdoktor, wie die Menschen im Tal ihn respektvoll nannten, lebte und praktizierte in der Kirchgasse von St. Christoph.
Mehr als fünfzig Jahre war es nun her, da war sein Vater Pankraz ins Tal gekommen, hatte das Haus in der Kirchgasse im schlichten Gebirgsstil bauen lassen und hier seine Praxis eingerichtet, um den Menschen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Es hatte nicht lange gedauert, bis Pankraz sich eingelebt hatte und als Landarzt akzeptiert worden war.
Mit Frau und Kind hatte er im schönen Zillertal eine Heimat gefunden, doch das familiäre Glück sollte nur wenige Jahre dauern, dann hatte das Schicksal dem Landarzt viel zu früh die geliebte Frau genommen. Pankraz hatte damals schwer zu tragen gehabt an dem Verlust. Sein elfjähriger Sohn Martin, der ihn brauchte, und die patente Hauserin Zenzi Bachhuber hatten verhindert, dass er vollends verzweifelt war.
Die drei waren im Laufe der Zeit von einer Notgemeinschaft zu einem harmonischen Ganzen geworden. Zenzi, die auch heute noch den Haushalt im Doktorhaus führte, wurde für Martin zur geliebten Ersatzmutter.
Der kluge Bub war ganz nach dem Vater geraten. Schon in jungen Jahren wusste er, dass auch er einmal Mediziner werden wollte. Das Helfen und Heilen lag ihm ebenso im Blut wie die Liebe und Faszination für diesen Beruf, der zugleich Wissenschaft und praktische Lebenshilfe war.
Nach einer Einser-Matura hatte Martin sein Studium mit Leichtigkeit und Leidenschaft hinter sich gebracht. Bereits als junger Assistenzarzt im Spital von Schwaz war er bei Kollegen wie auch bei Patienten sehr beliebt gewesen. Man hatte seine Leistungen honoriert und seine offene, herzliche Art geschätzt.
Pankraz war glücklich gewesen, weil seine Praxis auch in der nächsten Generation Bestand haben sollte. Und als Martin seine Jugendliebe Christl geheiratet und sich Nachwuchs angekündigt hatte, da schien das Glück im Doktorhaus perfekt zu sein.
Leider ist solch ein Zustand im menschlichen Leben nur sehr selten von Dauer. Und auch Martin Burger hatte schon in jungen Jahren die volle Wucht eines ungnädigen Schicksals getroffen.
Nur ein Jahr nach der Eheschließung war seine junge Frau im Kindbett gestorben und hatte das Kleine mit sich zu den Engeln genommen.
Der junge Arzt hatte den Schock lange nicht verwinden können. Er hatte sich in die Arbeit gestürzt und darin Vergessen gesucht. Doch der Schmerz in seinem Herzen war kaum zu ertragen gewesen. Pankraz und Zenzi hatten sich große Sorgen um Martin gemacht. Schließlich hatte er beschlossen, sein Heimattal zu verlassen und woanders neu anzufangen. Ein scharfer Schnitt sollte ihm dabei helfen, mit dem bitteren Verlust fertig zu werden.
So hatte Pankraz seinen Sohn schweren Herzens ziehen lassen. Martin hatte eine Anstellung in einem großen Münchener Klinikum gefunden, wo er sich zum Unfallchirurgen ausbilden ließ und über Jahre nur noch für seinen Beruf gelebt hatte. Ein Privatleben hatte es nicht mehr für ihn gegeben.
Irgendwann hatte er gelernt, mit dem Verlust zu leben. Zugleich war das Heimweh nach seinem geliebten Zillertal immer stärker geworden. Und als sein Vater schließlich an den Ruhestand gedacht hatte, hatte Martin Burger beschlossen, endlich heimzukehren.
Nach einer gründlichen Renovierung hatte der junge Dr. Burger die Praxis im Anbau des Doktorhauses übernommen. Hier gab es seither neben Warte- und Sprechzimmer ein eigenes Labor, einen voll ausgestatteten OP, einen Röntgenraum sowie zwei Krankenzimmer für einen stationären Aufenthalt. Mit dieser außergewöhnlich guten Ausstattung hatte die Praxis in der Kirchgasse einen Sonderstatus. Es hatte nicht lange gedauert, bis sie im Tal den Spitznamen „Miniklinik“ bekommen hatte.
Nach seiner Rückkehr hatte Martin Burger auch weiterhin nur für seinen Beruf gelebt, der für ihn stets auch Berufung war. Zenzi und Pankraz hatten schon befürchtet, dass dies für immer so bleiben würde.
Doch dann hatte Martin die zauberhafte Kollegin Dr. Sabine Rodenwald im Haus ihrer Tante in St. Christoph bei einem Hausbesuch kennengelernt. Es war für beide Liebe auf den ersten Blick gewesen, ein tiefes, wunderbares Gefühl, dass sie sich bis auf diesen Tag bewahrt hatten. Deshalb wirkten die Burgers auch oft noch wie ein frisch verliebtes Paar, obwohl sie schon eine ganze Reihe von Ehejahren hinter sich hatten.
Drei muntere Kinder krönten nun dieses besondere Glück. Da war Tessa, die Älteste, ein kluges und aufgewecktes Schuldmadel von acht Jahren. Ihr jüngerer Bruder Philipp, der Filli gerufen wurde und noch in den Kindergarten ging, war ein kleiner Philosoph und wollte alles immer ganz genau wissen. Und die süße kleine Laura war mit ihren zwei Jahren das Nesthäkchen der Familie.
So war das Leben im Doktorhaus oft überaus munter und manchmal auch turbulent. Doch die verschiedenen Generationen kamen gut miteinander aus, stets herrschte Harmonie im Hause Burger.
An diesem sonnigen Samstagmorgen Anfang Oktober saßen alle beim Frühstück zusammen. Die Kinder hatten Zeit, um später im Garten zu spielen. Sabine wollte Zenzi bei der Ernte des letzten Gemüses helfen, und Pankraz freute sich bereits auf eine Gassirunde mit Familiendackel Poldi. Martin hatte an diesem Wochenende etwas Besonderes vor.
Der hochgewachsene, sportliche Bergdoktor war ein passionierter Kraxler. Schon als Bub hatte er es geliebt, mit seinem Vater in die Berge zu gehen. Pankraz, der auf die achtzig zuging, hatte seine Steigeisen lange an den Nagel gehängt und frönte nun anderen Hobbys. Dazu zählten die Heimatgeschichte und auch ein wenig Zenzis überaus schmackhaftes Essen, wie das kleine Bäuchlein des alten Doktors bewies.
Martin hingegen unternahm nur zu gern ausgedehnte Klettertouren mit seinem guten Spezl Dominikus Salt, dem Leiter der Bergwacht von St. Christoph. Die beiden waren ein eingespieltes Team, einer vertraute dem anderen, ohne zu zögern, sein Leben an. In unzähligen gemeinsamen Rettungseinsätzen hatte sich ihre Dutzfreundschaft gefestigt.
An diesem Wochenende wollten die beiden die Saison mit einer Tour auf den Feldkopf ausklingen lassen. Obwohl Sabine immer froh war, wenn Martin mit Dominikus unterwegs war, machte sie sich doch auch Sorgen. Immerhin hatte ihr Mann ein gefährliches Hobby. Und sie atmete stets erleichtert auf, wenn er gesund und unbeschadet von einer Klettertour zurückkam.
„Wann holt der Dominikus dich denn ab?“, fragte die hübsche Blondine ihren Mann gerade ein wenig unbehaglich.
„In einer halben Stunde.“ Martin lächelte ihr zu. „Keine Sorge, wir sind vorsichtig. Außerdem kennen wir die Tour ganz genau. Da kann gar nix schiefgehen, mein Schatz.“
„Beim Aufstieg zur Feldkopfhütte vielleicht net. Aber der Abstieg über den Gletscher, das wäre mir zu riskant.“ Pankraz schüttelte leicht sein in Ehren ergrautes Haupt.
„Mei, Opa, mir auch!“, merkte Filli naseweis an.
„Dann sind wir ja schon zwei.“ Pankraz wandte sich nun wieder seinem Sohn zu. „Der Gletscher ändert ständig sein Aussehen. Man kann sich auf nix verlassen in dem Gebiet. Und es gibt keine festgelegten Routen, keine Steigeisen.“
„Ich weiß, Vater. Letzten Monat haben Dominikus und ich dort droben einen Urlauber aus Bergnot gerettet. Bei der Gelegenheit haben wir uns auch den Gletscher angeschaut. Und da sind wir auf die Idee gekommen, es noch mal zu wagen. Das letzte Mal waren wir vor über fünf Jahren dort droben und mussten unseren Aufstieg abbrechen, weil ein Gewitter aufkam. Das ist im Moment eher unwahrscheinlich. Das Wetter ist ideal.“
„Ja, mag sein. Trotzdem solltet ihr sehr vorsichtig sein.“
„Können wir net mitkommen?“, schlug Tessa vor. „Wir könnten mit der Kabinenbahn zur Feldkopfhütte fahren und dort auf euch warten. Und dann essen wir zusammen zu Mittag.“
„Wir könnten den Papa anfeuern“, sinnierte Filli.
„Ja, freilich. Und wie willst du das anstellen? Sie kommen net mal in die Nähe vom Steig. Magst vielleicht in die Wand einsteigen?“ Tessa lachte. „Das wäre ein Spaß!“
Filli bedachte seine Schwester mit einem finsteren Blick.
„Komm doch mit, dann gibt’s erst recht was zu lachen“, forderte er sie wütend auf.
„Schluss mit dem Unfug!“, mahnte Sabine. „Der Papa und sein Freund werden keine Zeit haben, uns Gesellschaft zu leisten. Außerdem übernehme ich übers Wochenende die Notfallbereitschaft und kann deshalb hier net weg.“
„Und ich brauch jemanden, der mir bei der Ernte hilft“, meldete Zenzi sich zu Wort, die nun mit einem Tablett erschien, um den Frühstückstisch abzuräumen. Pankraz sicherte sich mit einem nonchalanten Lächeln rasch noch die letzte Semmel.
„Wir helfen dir“, versprach Filli. „Gell, Mama?“
„Das tun wir.“ Sie nahm die kleine Laura aus ihrem Hochstuhl. „Aber zuerst braucht unser Mauserl eine neue Windel.“
„Stinkerl!“, rief Filli und lachte.
Tessa schüttelte hoheitsvoll den Kopf, dass ihre schwarzen Zöpfe flogen, enthielt sich aber eines Kommentars.
Wenig später hielt Dominikus Salts Geländewagen in der Kirchgasse vor dem Doktorhaus. Die Freunde begrüßten sich per Handschlag. Während Martin Burger seine Ausrüstung ins Auto räumte, sagte der Salt, ein hagerer Mann mit wettergegerbtem Gesicht und auffallend hellen Augen, jedem im Doktorhaus ein freundliches „Grüß Gott“.
„Pass mir gut auf den Martin auf“, bat Sabine ihn.
„Ich glaub, meistens ist’s umgekehrt, weil der Martin doch der bessere Kraxler von uns beiden ist“, entgegnete er.
„Wir geben schon aufeinander acht“, meinte Martin, klopfte seinem Spezl die Schulter und ließ ihn wissen, dass er startklar war. Mit einem zärtlichen Busserl verabschiedete er sich dann von Sabine, und los ging’s zu einem Abenteuerausflug, der weitaus abenteuerlicher werden sollte, als Martin Burger ahnte.
***
Wenig später hielt Dominikus auf dem Wanderparkplatz am Fuße des Feldkopfs an. Noch verkehrte die Kabinenbahn, doch schon in Kürze ging sie in die Winterpause. Das schöne Wetter hatte viele Ausflügler, Bergwanderer und Kraxler auf die gleiche Idee gebracht. Der Parkplatz war gut belegt, an der Talstation der Kabinenbahn hatte sich sogar eine Schlange gebildet.
Die Spezln legten ihre Ausrüstung an, nahmen ihre Rucksäcke und machten sich dann an den Aufstieg.
Zu der Vorbereitung einer solchen Kraxeltour gehörte stets auch das intensive Kartenstudium. Die beiden Mannsbilder hatten eine Route zum Gipfel gewählt, die etwas länger dauerte als der direkte Weg.
Sie kletterten zunächst Richtung Gipfel, machten aber auf halber Höhe einen Schlenker nach rechts und folgten eine Weile einem alten, schmalen Fußpfad, der dann zu einer glatten, senkrechten Wand führte. Die Steigeisen waren hier dünn gesät, man musste mit seinen Kräften haushalten und sehr überlegt den Aufstieg durchführen, Schritt für Schritt.
Eine solche Kletterpartie hatte etwas von einem Schachspiel. Ein falscher Zug, in diesem Fall ein falscher Schritt, konnte die Niederlage bedeuten. Und die war trotz Sicherungsseils nicht unbedingt erstrebenswert.
Es waren solch anspruchsvolle Routen, an denen ein Kraxler wuchs und auch über sich selbst hinauswuchs. Martin und Dominikus, beide schon über fünfzig, waren körperlich und geistig fit genug, um eine solche Herausforderung mit Leichtigkeit zu bestehen.
Der athletische Bergdoktor machte jedem jüngeren Kraxler in der Wand etwas vor. Allerdings nicht aus dem Gefühl der Eitelkeit oder dem Wunsch heraus, etwas zu beweisen. Für ihn war es einfach nur schön, eins mit der Natur zu sein, die so viel zu geben hatte, zugleich aber auch Respekt von jedem verlangte, der sich im Gebirge aufhielt.
Wer das nicht wusste oder einfach ignorierte, der hatte eine harte Lektion zu lernen. Und mancher Unbedarfte, der sich selbst überschätzte, bezahlte dies sogar mit seinem Leben.