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Dr. Burger und der Notruf vom Kaiserhof
Mit diesem Rückschlag hat keiner gerechnet
Von Andreas Kufsteiner
"Martin, da liegt jemand!" Eine unbeschwerte Herbstwanderung sollte es werden, aber mitten im Wald stoßen der Bergdoktor und seine Frau auf einen Verletzten. Tot ist er noch nicht, der Bauer vom Kaiserhof, aber viel fehlt nicht. Er blutet aus tiefen Wunden an Bauch und Beinen.
Dr. Burger gelingt es, das Leben des Mannes zu retten. Josef Stöckl wird mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen und operiert.
Jetzt warten alle, dass er aus dem Koma erwacht und sich hoffentlich daran erinnern kann, was passiert ist ...
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Seitenzahl: 129
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Dr. Burger und der Notruf vom Kaiserhof
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Bastei Verlag / Anne von Sarosdy
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-8821-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Dr. Burger und der Notruf vom Kaiserhof
Mit diesem Rückschlag hat keiner gerechnet
Von Andreas Kufsteiner
„Martin, da liegt jemand!“ Eine unbeschwerte Herbstwanderung sollte es werden, aber mitten im Wald stoßen der Bergdoktor und seine Frau auf einen Verletzten. Tot ist er nicht, der Bauer vom Kaiserhof, aber viel fehlt nicht mehr. Er blutet aus tiefen Wunden an Bauch und Beinen.
Dr. Burger gelingt es, das Leben des Mannes zu retten. Josef Stöckl wird mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen und operiert.
Jetzt warten alle, dass er aus dem Koma erwacht und sich hoffentlich daran erinnern kann, was passiert ist …
Der Oktober meinte es gut in diesem Jahr: Im Zillertal folgten warme goldene Tage aufeinander wie die Blätter im Kalender. Die Sonne schien von morgens bis abends, und die Temperaturen luden zu Eiscreme und Sonnenbädern ein. Über dem Wald zogen Schwärme von Wildgänsen südwärts. Und der Wind neigte das Gras auf den Wiesen.
Martin Burger und seine Frau nutzten das herrliche Wetter für einen Spaziergang. Der Bergdoktor trug eine grüne Hose mit zahlreichen Taschen, ein helles Hemd und Wanderschuhe, deren dicke Sohlen ihn nichts von dem steinigen Untergrund spüren ließen.
Sabine hatte sich für ein kürbisfarbenes Kleid entschieden. Ihre Jacke trug sie um die Hüften gebunden. Unter ihrem Hut blitzten blonde Haare hervor. Sie schritt kräftig neben ihm aus, seufzte nur verhalten.
„Ist alles in Ordnung, Liebes?“, erkundigte er sich.
„Freilich. Es ist nur … Ohne die Kinder fehlt mir etwas“, gestand sie. „Ich hab ständig das Bedürfnis, mich umzuschauen, ob es ihnen gutgeht. Dabei sind sie gar net mitgekommen.“
„Mach dir keine Sorgen. Den dreien geht es gut. Filli wird sich auf dem Geburtstag seines Freundes amüsieren, Tessa lernt mit ihrer Freundin für das nächste Diktat, und das Mauserl bekommt von Zenzi ein paar neue Kleidungsstücke genäht.“
„Ich hoffe nur, Filli übergibt sich heute Abend net wieder, weil er zu viel Kuchen in sich hineingestopft hat. Im vergangenen Jahr folgte auf die Feier bei Linus postwendend eine Nacht mit Zwieback und Kamillentee.“
„Unsere Kinder werden langsam groß.“
„Da sagst du was. Bald wird der erste Bub für Tessa vor der Tür stehen.“
Martin Burger schüttelte den Kopf. „Net, wenn er weiß, was gut für ihn ist. Wenn es nach mir geht, verabredet sich unsere Kleine net vor ihrem dreißigsten Geburtstag. Und dann idealerweise auch nur, wenn wir dabei sind, versteht sich.“
Sabine lachte. „Darauf wird sie sich wohl kaum einlassen. Das Herz fragt net nach dem Alter. Hab ich dir eigentlich erzählt, wie ich zum ersten Mal verliebt war? Es war in der Schule. Wir hatten einen neuen Lehrer. Er war jung und sportlich, und als er zum ersten Mal in unsere Klasse kam, waren alle Madeln hin und weg. Dann hat er zur Kreide gegriffen, und an seiner Hand glitzerte ein Ehering. Ich schwöre, man konnte die Herzen aller Madeln im Raum mit einem lauten Kracks brechen hören.“
„Also hatte ich eine große Konkurrenz um dein Herz?“
„Unbedingt, ja.“ Sie zwinkerte.
„Dann bin ich doppelt froh, dass ich es geworden bin.“ Martin Burger schob seine Hand in die seiner Frau. „Hab ich dir heute eigentlich schon gesagt, wie sehr ich dich liebe?“
„Net so sehr wie ich dich, Martin.“ Sie reckte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihren Mund auf seinen.
Ihre Lippen fanden sich zu einem innigen Busserl, und sekundenlang versank alles rings um sie her. Mochte es in der Welt auch noch so laut und hektisch zugehen, so waren sie doch stark und voller Zuversicht, weil sie einander hatten.
„Sieh nur, mein Schatz!“ Martin Burger deutete zu einem Eichhörnchen, das am Fuß einer Kiefer scharrte und wieselflink den Stamm hinaufkletterte, ehe es im dichten Grün verschwand.
„Der Kleine hat wohl einen Vorrat für den Winter vergraben.“ Sabine lächelte. „Es bringt Glück, Eichhörnchen zu sehen.“
„Mein Glück halte ich schon hier im Arm.“ Er gab ihr gleich noch ein Busserl. Dann wanderten sie Hand in Hand weiter.
Sie folgten einem Pfad, der zum Kuckuckssee führte.
Der Bergsee wurde von Gletschern gespeist und war selbst an warmen Tagen eiskalt. Das klare Wasser glitzerte in der Herbstsonne, und das Schilf raschelte im Wind wie eine beruhigende Melodie. Ein Entenpärchen schwamm in Ufernähe. Und das Wasser schlug mit sachtem Plätschern gegen den Bootssteg.
„Wollen wir hier rasten und …“ Martin Burger unterbrach sich, als seine Frau seine Hand fester umklammerte. „Stimmt was net?“
„Martin, da drüben liegt jemand!“ Sabine war auf einmal ganz blass um die Nase. „Ich glaube, er ist tot!“
„Was sagst du da?“ Er folgte ihrem Blick. Tatsächlich waren in einem dunkelgrünen Gebüsch zwei Beine auszumachen. Feste Stiefel mit dunklen Sohlen, eine grobe Arbeitshose.
Dort lag tatsächlich ein Mann!
Ohne zu zögern, eilte der Bergdoktor durch das Gestrüpp und kniete sich neben den Reglosen. Das Hemd des Mannes war ebenso zerfetzt wie die Hose. Er blutete aus mehreren tiefen Wunden. So stark, dass sich eine dunkle Blutlache um ihn ausgebreitet hatte.
Martin Burger tastete nach dem Puls, fand keinen und suchte weiter. Da! Schwach nur, furchtbar schwach, schlug etwas gegen seine Fingerkuppen.
„Tot ist er noch net, aber viel fehlt wirklich net.“
Sabine war ihm gefolgt und schnappte nun erschrocken nach Luft.
„Mei, das ist doch der Bauer vom Kaiserhof!“
In der Tat. Das war der Stockl-Josef, ein fünfundfünfzigjähriger Bauer, der mit seiner jüngeren Tochter den Kaiserhof bewirtschaftete. Seine Frau war vor sechs Jahren gestorben.
Er war ein sehniger Mann von mittelgroßer Statur, mit einem dunklen Kinnbart und einer kleinen, runden Brille. Sie lag zerbrochen neben ihm im dichten Grün. Längliche Hufabdrücke mit gut erkennbaren Afterklauen zeichneten sich um ihn herum auf dem Waldboden ab. Wildschweinspuren!
Der Körper des Bauern war mit Wunden übersät. Schlimm war er zugerichtet, sehr schlimm sogar. Sein Herz schlug so schwach, als müsste es sich zu jedem Pumpen erst mühsam aufraffen.
Er hatte schon viel zu viel Blut verloren!
Martin Burger untersuchte ihn. Der Landwirt war nicht bei Bewusstsein. Er atmete, aber sein Kreislauf stand kurz davor, zu versagen. Seine Haut war von kaltem Schweiß überzogen.
Polytrauma, spulte sein Gehirn automatisch ab. Mehrere Körperteile sind verletzt. Schocksymptomatik.
„Sabine, ruf in der Zentrale an. Sag Bescheid, dass wir einen Heli brauchen. Mit dem Rettungswagen wären wir zu langsam. Josef muss so schnell wie möglich in die Klinik.“
„Bin schon dabei.“ Sie tippte bereits die Nummer in ihr Handy.
Der Bergdoktor drehte den Verletzten vorsichtig herum, sodass er flach im Gras lag. Er vermisste seine Instrumente und die Ausrüstung in seiner Praxis schmerzlich. Sein Patient brauchte zusätzlichen Sauerstoff, einen venösen Zugang und Flüssigkeit. Von Medikamenten gar nicht zu reden. Hier im Wald stand ihm nichts davon zur Verfügung. Er konnte lediglich eines tun: Die Blutungen stillen, so gut er es vermochte.
Martin Burger zog sein Hemd aus, riss es in Fetzen und verband den Landwirt damit. Blut sickerte sogleich durch den Stoff, aber mit etwas Glück, würde der Verband den Blutverlust lange genug aufhalten, bis sie im Krankenhaus waren.
„Er darf nicht sterben, Martin“, flüsterte seine Frau. „Seine beiden Töchter haben doch nur noch ihn.“
„Ich weiß“, erwiderte er rau. „Ich weiß.“ Dann beugte er sich vor. „Kannst du mich hören, Josef?“
Die Lider des Bauern flatterten, aber er kam nicht zu sich.
Sabine schob ihr Handy in die Tasche. „Die Zentrale schickt den Heli sofort los. Er sollte in zehn Minuten hier sein.“
„Ich hoffe, Josef schafft es noch so lange. Kann ich deine Jacke haben, Liebes?“
„Natürlich.“ Sie wickelte das Kleidungsstück von ihrer Hüfte und gab es ihm.
Er nahm es und deckte den Bauern damit zu. Zwar war es noch angenehm warm hier im Tal, aber durch den Schock nahm die Hautdurchblutung des Verletzten ab. Sein Körper reagierte darauf mit Kältezittern, was Energie kostete und an seinen Kräften zehrte. Das wiederum verschlimmerte seinen Zustand. Die Jacke konnte ihm Zeit verschaffen.
Wenigstens ein bisschen.
„Was ist hier nur passiert, Martin?“ Sabine schaute sich unsicher um. „Das sieht beinahe nach einem Kampf aus.“
„Ich würde sagen, Josef wurde von Wildschweinen angegriffen.“
„Aber warum? Sind Wildschweine nicht eher Fluchttiere, die sich davonmachen, wenn sie auf einen Menschen stoßen?“
„Normalerweise schon. Es sei denn, sie haben gerade Frischlinge und wollen ihre Jungen beschützen.“
„Aber jetzt im Herbst?“
„Mir kommt das auch merkwürdig vor.“ Der Bergdoktor furchte die Stirn. Josef Stockls Verletzungen waren verheerend. Sein Leib war regelrecht aufgerissen worden. Es würde einem Wunder gleichkommen, wenn er den Transport zum Krankenhaus überlebte!
***
Nebel begrüßte den nächsten Morgen im einhundertsechzig Kilometer entfernten München. Er waberte von der Isar über die Uferwiesen und dämpfte alle Geräusche.
Sina Stockl joggte mit ruhigen, gleichmäßigen Schritten am Fluss entlang und sog tief die würzige Morgenluft ein.
Sie hatte schlecht geschlafen in dieser Nacht und war erleichtert aufgestanden, als ihr Wecker geklingelt hatte. Flink war sie in ihre Laufkleidung und Sportschuhe geschlüpft, hatte ihre Ohrhörer eingestöpselt und die Musik eingeschaltet, zu der sie am liebsten lief.
So früh am Morgen warfen die Laternen noch orangefarbene Lichtinseln auf den Gehweg. Nur eine Handvoll Spaziergänger war unterwegs, jeder mit einer Leine in der Hand. Winzige Fellknäuel flitzten durch das Gras, und selbst die größeren Hunde, die sonst gern gemächlich trotteten, ließen sich anstecken und tollten über das Grün.
Der milde Morgen versprach einen schönen Tag. Das spürten die Tiere.
Das Laufen hatte Sina durch eine bittere Zeit geholfen. Seitdem gehörte es zu ihrem Tag wie die morgendliche Dusche und die Stunde, in der sie abends gern noch im Bett las. Sie lief jeden Morgen mit eiserner Disziplin. Bei Wind und Wetter.
Vor ihr huschte ein kleines Pelztier über den Weg, einer der vielen Waschbären, die längst in der Stadt eingezogen waren. Im selben Augenblick vibrierte das Mobiltelefon in ihrer Tasche. Sina zog er hervor und warf einen Blick darauf.
Unwillkürlich zuckte sie zusammen.
Der Anruf kam von ihrer Schwester!
Das rot-grüne Tastenfeld blinkte und mahnte sie zu einer Entscheidung: annehmen oder ablehnen?
Sina grub die Zähne in die Unterlippe. Ihr Telefon war nachts ausgeschaltet. Sie hatte es erst kurz vor ihrem Aufbruch eingeschaltet. Dabei waren ihr zwölf verpasste Anrufe ihrer Schwester angezeigt worden. Zwölf!
Um diese frühe Stunde hatte sie nicht zurückrufen wollen. Nun, um ehrlich zu sein, hatte sie überhaupt nicht zurückrufen wollen. Das Verhältnis zu ihrer Schwester war getrübt, seit …
Nein, darüber wollte sie jetzt lieber nicht nachdenken. Doch wie es aussah, wurde ihr die Entscheidung nun abgenommen, denn Kati probierte es wieder.
Sinas Finger schwebte über dem Display. Aus einem Impuls heraus, wollte sie den Anruf wegdrücken, aber dann stöpselte sie ihre Ohrhörer doch aus, nahm das Handy ans Ohr und meldete sich.
„Kati?“
„Endlich erreiche ich dich!“
„Was ist denn los?“
„Was los ist?“ Die Stimme ihrer Schwester überschlug sich beinahe. Erstickte Schluchzer schwangen darin mit. Sekundenlang waren nur die schweren Atemzüge ihrer Schwester zu hören. Kati kämpfte offenbar mit ihren Emotionen. Sie schien nicht zu wissen, wie sie die Worte über die Lippen bringen sollte.
Sina wurde es himmelangst. Sie blieb stehen und presste das Telefon fester ans Ohr.
„Kati, was ist denn passiert?“
„Unser Vater … er liegt im Krankenhaus!“
„W-was sagst du da? Wo?“
„In Schwaz. Es geht ihm sehr, sehr schlecht.“
„Wie ist das möglich? Er war doch immer gesund. Abgesehen von seinem Rücken, aber ich dachte, der hätte sich gebessert.“
„Hat er auch. Es ist auch net sein Rücken. Er wurde angegriffen.“
„Angegriffen?“ In Sinas Kopf drehte sich plötzlich alles. Ihr Vater war mit Leib und Seele Landwirt. Er tat nie jemandem etwas zuleide. Im Gegenteil. Er half immer, wo er konnte. „Wer war es, Kati? Erzähl mir, was passiert ist.“
„Es waren die Wildschweine. Doktor Burger hat unseren Vater gestern im Wald gefunden. Die Tiere haben Vater angegriffen und schwer verletzt. Sie haben ihm den Bauch und die Beine aufgerissen. Er wäre fast verblutet.“
„Wildschweine?“ Als Kind war Sina diesen Tieren häufig im Wald begegnet, und immer waren sie davongelaufen, ehe sie einen näheren Blick auf sie werfen konnte. Und nun sollten sie ihren Vater angegriffen haben?
Kati schluchzte leise.
Vor ihrem inneren Auge sah Sina das liebe, herzförmige Gesicht mit den veilchenblauen Augen ihrer Schwester vor sich. Kati war immer die sanftere von ihnen beiden gewesen. Sie ging offen auf andere Menschen zu, wo Sina zurückhaltend und skeptisch blieb.
„Bist du sicher, dass es Wildschweine waren?“
„Ja. Der Bergdoktor sagt es. Wenn er net zur Stelle gewesen wäre, wäre unser Vater vielleicht noch net einmal gefunden worden. Er wollte Pilze sammeln und hatte sich ziemlich weit vom Haus entfernt.“ Kati schniefte. „Sie haben ihn ins Krankenhaus ausgeflogen und operiert. Stundenlang.“
„Und wie geht es ihm jetzt?“
„Er ist ins Koma gefallen. Die Ärzte sagen, es war schon ein Wunder, dass er es überhaupt bis ins Krankenhaus geschafft hat. Es sieht schlecht aus, Sina, sehr schlecht.“
„O nein!“ Ein bitterer Geschmack breitete sich auf Sinas Zunge aus.
Sechs Jahre war sie nicht mehr daheim gewesen. Sie hatte den Hof ihrer Familie verlassen, um sich ein eigenes Leben in München aufzubauen. Ihre Arbeit verschlang den größten Teil ihrer Tage, und sie wollte es auch gar nicht anders haben. Dass sie in die Stadt geflohen war, um den schmerzlichen Erinnerungen zu entrinnen, mochte sie nicht einmal sich selber eingestehen.
Seit ihrem Umzug war Sina nicht mehr daheim gewesen. Der Kontakt zu ihrer Familie beschränkte sich auf gelegentliche Anrufe, die meistens von ihrer Schwester ausgingen. Kati hatte den Kontakt nie ganz abreißen lassen. Dabei hatte Sina es ihr alles andere als leichtgemacht.
Sina war nach dem frühen Tod ihrer Mutter ein rebellischer Teenager gewesen. Sie hatte nichts und niemanden an sich herangelassen und ihre Gefühle tief in sich verschlossen. Das hatte letztlich auch zum Bruch mit ihrem ersten Freund Cassian geführt. Er hatte ihr vorgeworfen, ihn aus ihrem Leben auszuschließen, und damit hatte er recht gehabt. Leider.
Sina war nach München gezogen und hatte sich als Werbetexterin selbstständig gemacht. Ihr Beruf füllte ihre Tage aus. Öfter als ihr lieb war, drängte sich die Frage in ihr hoch, was zwischen Cassian und ihr hätte sein können, wenn sie damals den Mut gehabt hätte, zu ihrer Liebe zu stehen.
Vorbei, schob sie den Gedanken hastig zur Seite. Was vorbei ist, kann man net zurückholen.
„Sina, kannst du heimkommen?“, fragte ihre Schwester leise. „Ich brauche dich.“
„Heimkommen? Das geht net, Kati. Ich muss arbeiten.“
„Ich weiß, aber ich schaff‘s net. Die Arbeit auf dem Hof. Schon für zwei ist es eine Menge zu tun, und wenn unser Vater nun für unbestimmte Zeit ausfällt, weiß ich net, was werden soll. Allein komme ich net über die Runden.“
„Ich … kann net, Kati. Tut mir leid.“
„Bitte, Sina. Ich würde dich net fragen, wenn es net wichtig wäre. Du weißt, wie viel es alleweil zu erledigen gibt.“
Sina schwieg und schaute schweigend vor sich hin. Dabei sah sie in Gedanken den elterlichen Hof vor sich …
***
Der Kaiserhof wurde auf drei Seiten von dichtem Wald umgeben wie von einem schützenden grünen Ring. Nach hinten öffnete sich der Blick auf grüne Bergwiesen und die beiden schrundigen Gipfelspitzen des Hexensteins.
Von St. Christoph aus gelangte man über eine steile Serpentinenstraße hier herauf. Als Kinder waren Sina und ihre Schwester in den wärmeren Jahreszeiten quer über die Wiesen zur Schule gelaufen. Im Winter ging es mit dem Schulbus ins Dorf.