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Die letzte Gratulantin
Darauf war man im Doktorhaus nicht gefasst
Von Andreas Kufsteiner
Im Doktorhaus von St. Christoph tut es allen gut, nach den festlichen Tagen zum Praxisjubiläum die Seele ein wenig baumeln zu lassen. Jetzt steht nur noch - sozusagen als Abschluss der Feierlichkeiten - ein K-&-K-Abend im engsten Freundeskreis an, "Kamin & Kerzen" in einer stimmungsvollen Atmosphäre.
Just in dem Moment, als Martin und Sabine die ersten Kerzen auf dem gedeckten Esstisch anzünden, klingelt es an der Tür. Ob schon der erste Gast ...
Doch als Dr. Burger öffnet, verschlägt es ihm förmlich die Sprache. Mit allem hat er gerechnet, mit diesem Besuch nicht ...
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Seitenzahl: 107
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Die letzte Gratulantin
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Bastei Verlag / Anne von SarosdyFotos (Innenteil): Shutterstock: Pressmaster; Kaspars Grinvalds; jaras 72; MJTH; nvphoto; petereleven; lassedesignen; VarnaK, MAKSYM CHUB; Sergii Sobolevskyi (2); riopatuca;
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-8950-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die letzte Gratulantin
Darauf war man im Doktorhaus nicht gefasst
Von Andreas Kufsteiner
Liebe Leserinnen und Leser!
Im Doktorhaus von St. Christoph tut es allen gut, nach den festlichen Tagen zum Praxisjubiläum die Seele ein wenig baumeln zu lassen. Jetzt steht nur noch – sozusagen als Abschluss der Feierlichkeiten – ein K-&-K-Abend im engsten Freundeskreis an, „Kamin & Kerzen“ in einer stimmungsvollen Atmosphäre.
Just in dem Moment, als Martin und Sabine die ersten Kerzen auf dem gedeckten Esstisch anzünden, klingelt es an der Tür. Ob schon der erste Gast …
Doch als Dr. Burger öffnet, verschlägt es ihm förmlich die Sprache. Mit allem hat er gerechnet, mit diesem Besuch nicht …
Das leuchtende Herbstgold verblasste nach und nach. Der Oktober verabschiedete sich mit zwei, drei geschenkten Tagen voller Sonne und milder Luft.
Noch einmal funkelten im Morgenlicht kristallklare Tautropfen auf den Wiesen, ein Gruß und ein Lebewohl für alle, die dankbar auf die schönen Tage zurückblickten.
Dann zogen Wolken auf, es wurde empfindlich kühl, und in der Folge regnete es von früh bis spät. Nach dem Regen begann die Zeit der Stille und der weißen Nebelschleier, die pünktlich Anfang November aus den Bergwäldern aufstiegen.
Nur hin und wieder durchdrangen in der Frühe ein paar Sonnenstrahlen das feine Nebelgespinst, von dem es hieß, es sei kunstvoll aus Elfenhaar gewebt.
Aber das waren märchenhafte Geschichten, die man sich in den Zillertaler Alpen allerdings auch heute noch gern erzählte.
Märchen und Sagen aus den Bergen gehörten zum Jahreslauf wie die Sterne bei Nacht und die Sonne am Tag.
Erstaunlich, dass die Kinder im Dorf trotz aller elektronischen Spielereien wie gebannt die Ohren spitzten, wenn ihnen jemand von den Elfen, Feen und den Weißen Frauen erzählte. Bestimmt war etwas Wahres an der alten Überlieferung, dass diese wundersamen Wesen durch das Gebirge und die Wälder gingen, um verirrten Wanderern den Weg zu weisen und ihnen aus Angst und Not zu helfen.
Auch die Doktorskinder in der Kirchgasse – Tessa, acht, Filli, fünf, und Nesthäkchen Laura, zwei Jahre und vier Monate alt – fanden es spannend und kurzweilig, wenn ihr Großvater Dr. Pankraz Burger das alte, in rotes Leder gebundene Zillertaler Sagenbuch hervorholte und duftenden Orangenpunsch – natürlich nach einem Geheimrezept zubereitet – in seine guten Porzellanbecher füllte. Es gab sechs davon, die entweder mit einem freundlich lächelnden Mond oder Sternen bemalt waren. Sie standen fast das ganze Jahr lang in Opas Vitrine und wurden nur ab Ende Oktober bis zum Lichtmesstag im Februar für die sogenannten „Wintergetränke“ benutzt.
Heute, am Sonntag nach Allerheiligen, hatte der Senior wieder einmal seine Enkel um sich geschart.
Er blickte nachdenklich aus dem Fenster.
„Tja, der November hat auch sein Gutes, das darf man net vergessen“, stellte er fest. „Es schaut zwar recht trüb aus da draußen, aber ich denke, wir machen es uns drinnen so richtig gemütlich. Das ist ja gerade das Schöne an den Novembertagen, die oft grau daherkommen. Man rückt zusammen und ist dankbar für das kuschelige Zuhause.“
„Und wir können uns Geschichten erzählen“, ergänzte Tessa.
„Und ob! Dabei wird’s einem net langweilig“, nickte Großvater Burger. „Kennt ihr eigentlich schon die Geschichte vom alten Köhler Hias? Nein? Nun, er lebte vor langer Zeit droben im Achenwald und hatte eines Tages im bitterkalten Winter nichts anderes mehr zu essen als ein kleines Stückerl Brot. Wenn nicht etwas Wundersames passiert wäre, dann hätte er ins Dorf hinuntergehen müssen, aber durch den vielen Schnee kam er net voran. Er besaß zwar einen Hörnerschlitten, aber der war schon brüchig und krumm und fuhr nur noch bis zur nächsten Wegbiegung.“
„Hat der Hias denn net im Dorf angerufen?“, fragte Filli. „Damit er abgeholt wird? Oder damit ihm jemand ein Packerl mit Essen heraufbringt?“
„Es gab zu jener Zeit noch kein Telefon und erst recht kein Handy“, schmunzelte der Senior. „Auch keinen Strom, nur Kerzen. Die langen, kalten Winter waren immer sehr hart für die Menschen, vor allem hier droben in den Bergen. Wenn man vorankommen wollte, brauchte man Brettl oder einen stabilen Kufenschlitten, vor den man auch Pferde spannen konnte. Aber die meisten Älpler konnten sich gar kein Pferd leisten.“
„Ein Slitten is zön“, strahlte Klein-Laura. „Und ein Sneemännlein. Opa baut auch ein Häuschen aus Snee.“
„Nun, bis dahin haben wir noch ein bisserl Zeit, Mauserl“, erwiderte der Opa. „Aber ich hab euch Kindern ja versprochen, dass wir heuer im Winter ein Iglu im Garten bauen wie die Eskimos. Fragt sich nur, was eure Eltern dazu sagen werden.“
„Papa hat immer so viele Patienten“, überlegte Tessa, „im Winter husten und niesen alle und haben Grippe. Ein paar Leute fallen auch hin und brechen sich die Knochen oder renken sich aus. Es tut arg weh. Schlimm! Papa muss die Leut dann wieder zusammenflicken, das ist schwierig. Er kann es gut, weil er es ja studiert hat. Wenn er so viel zu tun hat, dann denkt er sicher überhaupt net an das Iglu. Und Mama sagt bestimmt, dass ein Schneehäusl eine fixe Idee ist, aber dann vergisst sie es wieder, weil sie auch so viel zu tun hat. Also – Mama und Papa sagen bestimmt nix zu dem Iglu. Erst dann, wenn es fertig ist. Mama sagt immer zu Papa: Martin, wo bist du wieder mit deinen Gedanken? Und er antwortet dann: Das könnte ich dich auch fragen.“
„Wenn wir irgendwas Besonderes machen wollen, dann meint Mama immer, dass es eine fixe Idee ist“, stellte Filli fest. „Was ist das überhaupt, Opa, eine fixe Idee?“
„Das ist ein toller Einfall, den sonst keiner hat“, scherzte der Senior. „Etwas, das man unbedingt tun möchte, weil es Spaß macht und weil man glaubt, dass man es auch schafft. Man will sich davon net abhalten lassen. Auch dann net, wenn die anderen sich darüber aufregen. Das trifft alles auf uns zu. Wir vier sind ein gutes Team!“
„Und die Zenzi?“, überlegte Tessa. „Sie kriegt es mit, wenn wir ein Iglu bauen. Ach ja, ich weiß, was sie vielleicht sagt. Dass wir uns im Schneehäusl erkälten und Halsweh kriegen und ganz kalte Füße. Aber wenn wir dann doch drinnen sitzen, bringt sie uns bestimmt roten Hagenbuttentee und Kipferln. Poldi darf auch mit rein, er ist dann unser Schneehund. So was Ähnliches wie ein Schlittenhund. Es wird echt toll!“
„Wir wollen erst einmal gut durch den November kommen“, dämpfte Großvater Burger die Erwartungen seiner Enkel. „Ich fürchte allerdings, dass Poldi sich net zum Schlittenhund eignet, mit seinen kurzen Dackel-Beinchen kommt er ja eh kaum durch den Schnee. Jetzt hockt euch hin, ich schlage jetzt das Buch auf. Aha – da hab ich sie ja auch schon, die Geschichte vom Hias! Aber ich sag euch, dass im Buch net alles steht, was wirklich passiert ist. Ich hab noch einiges herausgefunden. Ihr sollt alles erfahren, was damals geschehen ist. Hört also gut zu!“
***
Während es in Großvater Burgers Kabinettl nun richtig „magisch“ und geheimnisvoll wurde, gönnten sich Dr. Burger und seine Frau, ebenfalls Dr. med., einen ruhigen, gemütlichen Sonntagnachmittag am Kamin.
Nach den festlichen Tagen, die Dr. Burgers 20-jähriges Praxisjubiläum umrahmt hatten, tat es wieder einmal richtig gut, die Seele baumeln zu lassen und sich gleichzeitig im Glanz der schönen, vergangenen Zeit zu sonnen. Die harmonischen Stunden im goldenen Licht des Oktobers klangen immer noch nach wie eine Melodie, die man nie mehr vergisst.
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich so viel Aufmerksamkeit von allen Seiten bekommen würde“, sagte Martin Burger. „Ich nehme ein ganzes Packerl an guten Wünschen mit in die Zukunft, natürlich auch für uns alle. Und ich freue mich, dass ich neben dir, mein Schatz, und meiner wunderbaren Familie so viele gute Freunde habe. Es gibt großartige Menschen in meinem Leben, die zu mir stehen. Diese Erkenntnis hat mich tief berührt. Und noch etwas. Durch die wunderbare Auszeit droben in den Bergen hab ich mich selbst wieder neu entdeckt. Es war ein ganz großes Geschenk.“
„Das sollte ja auch so sein“, lächelte Sabine. „Man muss sich von Zeit zu Zeit auf sich selbst besinnen. Du verzichtest immer wieder zugunsten anderer auf deine eigenen Wünsche. Wir brauchen dich, wir sind deine Familie, und wir nehmen dich natürlich in Anspruch. Ganz zu schweigen von deinen Patienten. Es ist nur recht und billig, dass du mal den Kopf frei bekommst.“
Dr. Burger nickte. „Dass mir nicht viel Zeit für mich bleiben würde, hab ich gewusst, als ich mich für das Medizinstudium entschieden habe. Umso kostbarer ist jede freie Stunde für mich. Liebling, ohne dich hätte es diese unvergesslichen Tage, die ich sozusagen mit mir selbst verbracht habe, nicht gegeben. Du hast es mir ermöglicht, einmal alles hinter mir zurückzulassen. Ich konnte droben in den Bergen viele Erinnerungen wachrufen, Gefühle zulassen und dankbar auf alles zurückschauen, was ich in meinem Leben schon erreichen durfte. Und mir wurde wieder einmal klar, dass auch Schmerz und Trauer einen Sinn haben, auch wenn man zunächst mit dem Schicksal hadert.“
Schmerz und Trauer, dachte Sabine, während sie sich in Martins Arme kuschelte.
Jetzt war er glücklich, das spürte sie. Zufrieden mit sich und dem Leben, das ihm ab und zu schon hart und unbarmherzig die „kalte Schulter“ gezeigt hatte.
Der allzu frühe Tod seiner Mutter, die er im Alter von elf Jahren verloren hatte, die Tragödie um seine erste Frau Christl und ihr gemeinsames Baby, diese Schicksalsschläge hatten Martin niedergedrückt. Christl und das Kleine waren nach schwersten Komplikationen während der Geburt gestorben.
Damals war er als junger Assistenzarzt an der Klinik in Schwaz tätig gewesen. Um nicht zu verzweifeln, hatte er die Ablenkung gesucht, in seinem Fall waren es Arbeit und ein neues Betätigungsgeld gewesen.
Martin war nach München gegangen, um an der dortigen Uniklinik seinen Facharzt für Chirurgie zu machen.
Obwohl ihm eine vielversprechende Karriere in der bayrischen „Stadt mit Herz“ sicher gewesen wäre, hatte er sich dann doch entschieden, in sein Heimatdorf in den Zillertaler Alpen zurückzukehren.
Sein Vater war froh gewesen, dass sein Sohn die Landarztpraxis übernommen hatte. Martin hatte keine Mühe gescheut, um aus der etwas veralteten Praxis nach und nach ein modernes medizinisches Zentrum zu machen, natürlich von den Räumlichkeiten her nicht allzu groß, aber mit allem ausgestattet, was eine umfassende Behandlung garantierte: Röntgen, Sonografie, ein eigenes Labor, Bestrahlungsräume, Diagnostik, ein kleiner, aber perfekt eingerichteter Operationssaal und zwei Krankenzimmer.
Fünfzehn Jahre lang war der engagierte Arzt nur für seine Patienten da gewesen.
Aber dann hatte er im Haus seiner Patientin Rika Althäuser deren Nichte Dr. Sabine Rodenwald kennengelernt, eine junge Anästhesistin aus Wien. Sabine, Martins Herzensmensch: Fesch, bezaubernd und blond mit wunderhübschen braunen Augen, in denen goldene Pünktchen tanzten – obendrein herzlich und praktisch veranlagt, aber auch verträumt und romantisch.
„An meiner Wiege hat eine gute Fee gestanden, die mir lauter schöne Geschenke gemacht hat“, meinte Sabine hin und wieder. „Ein klarer Kopf ist wichtig. Aber man wäre doch arm dran, wenn man in seinen Träumen nicht die Flügel ausbreiten und davonfliegen kann. Ich kann es. Und noch viel mehr. Ab und zu stelle ich mir vor, dass ich mein eigenes Fantasie-Land hab. Und wenn mir mal alles zu viel wird, kann ich dorthin gehen. Sobald ich dann zurückkomme, fühle ich mich wieder taufrisch!“
Man muss sich also nicht wundern, dass Martin Burger die bezaubernde Wienerin nie mehr loslassen wollte.
Für sie war der gut aussehende „Kollege“ – braunes Haar, braune Augen, groß und sportlich durchtrainiert – auch heute noch der Mann ihrer Träume. Es hatte sie keinen Augenblick lang gestört, dass zwischen ihnen ein Altersunterschied von sechzehn Jahren lag.
Inzwischen war Sabine Mitte dreißig, Martin einundfünfzig. Jedenfalls stand es so in seinem Ausweis. Man hätte ihn gut und gerne fast zehn Jahre jünger geschätzt.
Dass Liebe jung erhält, ist nicht einfach nur ein rasch dahingesagter Spruch. Wenn man sich Martin und Sabine ansah, konnte man dieses Sprüchlein guten Gewissens unterschreiben.
Ein immer noch verliebtes Ehepaar, mittlerweile acht Jahre lang verheiratet, drei wunderbare Kinder (manchmal auch anstrengend!), Rauhaardackel Poldi, der Senior Dr. Pankraz Burger, ein Feinschmecker und im Dorf sehr beliebt, siebenundsiebzig Jahre alt, gewichtig, humorvoll und zweifellos der beste Großvater aller Zeiten – und natürlich die Zenzi, ohne die gar nichts ging.
Seit vierzig Jahren werkelte sie als Wirtschafterin im Doktorhaus, sie hatte einen sehr guten Abschluss der stattlichen Hauswirtschaftsschule Innsbruck vorzuweisen, worauf sie aber nur ganz selten zu sprechen kam.