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Was tut man nicht alles, wenn das Eheglück der besten Freundin in Gefahr ist? Romy schickt das Ehepaar kurzerhand in einen Versöhnungsurlaub und verspricht ihnen, sich in dieser um ihre Tochter und den Berghof zu kümmern.
Damit die kleine Leonie ihre Eltern nicht allzu sehr vermisst, überlegt sich Romy jeden Tag ein neues Erlebnis. An diesem Sonntag soll es mit der Gondel zum Feldkopf hinaufgehen. Staunend presst Leonie ihr Näschen an die Scheibe, als die Gondel über die Schluchten schwebt. Da gibt es plötzlich einen Ruck - und es geht nicht mehr weiter.
Auch Stunden später, als es längst dunkel geworden ist, sitzen Romy und Leonie fest. Zudem klagt Leonie auch noch über heftiges Kopfweh und Sehstörungen ...
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Seitenzahl: 131
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Notruf aus der Gondel
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: gorillaimages / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9 – 783 – 7325 – 9165 – 7
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Notruf aus der Gondel
Kann Dr. Burger die Tragödie verhindern?
Von Andreas Kufsteiner
Was tut man nicht alles, wenn das Eheglück der besten Freundin in Gefahr ist? Romy schickt das kriselnde Ehepaar kurzerhand in einen Versöhnungsurlaub und verspricht ihnen, sich in dieser Zeit um ihre Tochter und den Berghof zu kümmern.
Damit die kleine Leonie ihre Eltern nicht allzu sehr vermisst, überlegt sich Romy jeden Tag ein neues Erlebnis. An diesem Sonntag soll es mit der Gondel zum Feldkopf hinaufgehen. Staunend presst Leonie ihr Näschen an die Scheibe, während die Gondel über die Schluchten schwebt. Da gibt es plötzlich einen Ruck – und es geht nicht mehr weiter.
Auch Stunden später, als es längst dunkel geworden ist, sitzen Romy und Leonie fest. Zudem klagt Leonie auch noch über heftiges Kopfweh und Sehstörungen …
Ein bitterkalter Wind fauchte durch das tief verschneite Zillertal. Er wirbelte weiße Schwaden über den Hängen auf und zerrte an den Kiefern, sodass sie sich ächzend unter seiner Macht neigten. Am nachtdunklen Himmel wirkte die Milchstraße wie ein fein gewebter Schal aus seidigem Licht.
In einem hoch gelegenen Seitenarm des Zillertals schmiegte sich ein Dorf an die Berge: St. Christoph. Der kleine Ort bestand aus gepflegten Bauernhöfen, die sich um eine weiße Kirche mit einem Zwiebelturm scharten. Es gab ein Hotel und ein Barockschlössl, das Reiseführer gern für einen Abstecher empfahlen. Sechs Bergspitzen ragten hoch über dem Dorf auf.
Nur eine einzige Straße schlängelte sich vom Tal hierherauf, schmal genug, um im Winter selbst den ortskundigen Autofahrern den Schweiß auf die Stirn zu treiben. Meterhohe Schneewälle türmten sich links und rechts von der Fahrbahn auf, aufgehäuft vom Räumdienst. Die weißen Wände ließen gerade genug Raum, dass zwei Fahrzeuge aneinander vorbeikamen, aber wenn ein Bus die Serpentinenstraße nutzte, wurde es eng. Sehr eng sogar.
Die abgelegene Lage des Dorfes tat seiner Beliebtheit jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil. Im Winter kamen gern Skifahrer hierher, die das herrliche Winterwetter nutzten und von früh bis spät auf den Brettln standen.
Am Ende der Kirchgasse, nur einen Steinwurf vom Wald entfernt, stand das Doktorhaus. Hier lebte und arbeitete Dr. Burger. So spät am Tag war seine Praxis bereits geschlossen. Die Fenster des Wohnhauses hingegen waren hell erleuchtet und warfen Lichtpfützen heraus in den Schnee.
„Du, Papa, was ist eigentlich dieses Mumiensystem?“ Tessa saß neben ihrem Bruder am Küchentisch und knabberte auf ihrem Federhalter herum. Vor ihr lag ein aufgeschlagenes Schulheft.
„Was für ein System?“ Martin Burger blickte von der medizinischen Fachzeitschrift hoch, in der er gerade einen Artikel über die heilende Wirkung von Kälte bei rheumatischen Erkrankungen las.
„Das Mumiensystem. Das macht, dass wir net krank werden.“
„Das Immunsystem, meinst du?“
„Genau! Für die Schule soll ich etwas über den Winter schreiben. Du sagst doch immer, man soll das Mumiensystem stärken, damit man net krank wird. Schmarrn, das Immunsystem, mein ich“, verbesserte sie sich hastig.
„So ist es. Das Immunsystem unseres Körpers wehrt Krankheiten ab. Es ist teilweile angeboren und teilweise erworben. Angeboren ist, zum Beispiel, unsere Haut. Sie ist leicht sauer und verhindert damit das Eindringen von fremden Keimen. Unsere Tränen enthalten Enzyme, welche Bakterien abtöten. Und unsere Magensäure enthält Salzsäure, die viele Bakterien vernichtet, ehe sie uns krank machen können.“
„Echt praktisch.“ Tessa kritzelte eifrig mit.
„Das erworbene Immunsystem tragen wir in unseren weißen Blutzellen. Davon gibt es ganz verschiedene Arten, und jede erfüllt einen Auftrag. Die T-Zellen krallen sich an Krankheitserregern fest. Dann rasen sie zu einer B-Zelle. Die wiederum bildet Antikörper gegen den Eindringling. Und die Makrophagen schließlich fressen den Krankheitserreger auf, ehe er Schaden anrichten kann.“
„Wow.“ Tessa hielt kurz beim Schreiben inne. „Ganz schön kompliziert.“ Sie beugte sich tiefer über ihr Heft.
Die Küche des Doktorhauses war hell beleuchtet und mollig warm. Neben Tessa saß Filli und malte ein Mandala aus. Beide Kinder hatten einen Becher mit Kakao vor sich stehen. Auf der Eckbank hatte sich Klein-Laura mit Poldi zusammengerollt. Kind und Rauhaardackel schlummerten friedlich.
Dr. Burger tauschte einen innigen Blick mit seiner Frau. Sabine schrieb einen Brief an eine Freundin, schenkte ihm nun jedoch ein Lächeln, das ihm das Herz weit machte.
Seine Frau hatte sein Haus mit Liebe und Leben erfüllt, als er schon geglaubt hatte, für immer alleine zu bleiben. Sie war sein Ein und Alles, und er achtete sorgfältig darauf, neben seiner anstrengenden Arbeit auch immer Zeit für seine Familie zu haben.
An der Anrichte bestrich Zenzi gerade die Plätzchen auf einem Backblech mit Eigelb. Plötzlich hielt die Wirtschafterin inne und drehte das Radio lauter.
„… erwarten wir für morgen weitere Schneefälle und Temperaturen von minus fünf bis minus acht Grad. Der Wind wird stärker. Im Zillertal besteht sogar die Gefahr von Orkanböen.“
„Na servus“, murmelte Zenzi. „Da werden die Straßen wieder zum Abenteuer. Womöglich gibt es sogar einen Stromausfall. Wär‘ ja net das erste Mal heuer.“
„Au ja. Dann machen wie ein Lagerfeuer und rösten Brot an Stöcken.“ Filli strahlte. „Und wir gehen rodeln.“
„Net im Schneesturm“, bremste der Vater seinen Übermut. Unwillkürlich wanderte sein Blick aus dem Fenster. In der Ferne schimmerten die Lampen einer Kabinenbahn. Wie ein Band zogen sie sich den Feldkopf hinauf. In dieser Nacht war das Wetter klar und kalt, aber wenn es wirklich einen Schneesturm gab, wurde es gefährlich!
Mitten in seine Gedanken hinein klingelte jemand an der Haustür Sturm.
„Na, na, wer veranstaltet denn so einen Lärm am Abend?“, brummelte Zenzi.
„Ich werde nachsehen.“ Dr. Burger legte seine Zeitschrift zur Seite und eilte in den Flur.
Als er die Haustür öffnete, wehte ihm ein Schwall bitterkalter Winterluft entgegen. Alarmiert weiteten sich seine Augen, als er den Besucher erkannte: Es war Ludwig Sirch.
Der Gendarm des Dorfes war ein untersetzter Mann mit einem buschigen schwarzen Schnurrbart und braunen Augen, denen kein Detail zu entgehen schien. Sein energisches Kinn warnte, dass man sich besser nicht mit ihm anlegte, aber das freundliche Funkeln in seinen Augen verriet, dass er herzensgut war und half, wo er konnte.
An diesem Abend trug er nicht seine Uniform, sondern eine warme wattierte Jacke und Jeans. Die waren an den Oberschenkeln zerrissen und klebten ihm dunkel vor Blut an den Beinen. Obendrein breitete sich nicht nur unter ihm im Schnee eine blutrote Lache aus, nein, auch der Schnee auf dem Weg vom Gartentor hierher war rot gesprenkelt!
„Tut mir leid, dass ich so spät noch bei Ihnen hereinplatze“, ächzte er, „aber ich könnte Hilfe gebrauchen.“
„Natürlich! Komm bitte rein, Ludwig.“ Dr. Burger führte seinen Patienten in den Praxisanbau. Hier schaltete er sämtliche Lichter ein und deutete auf die Behandlungsliege. „Rasch, leg dich da hin“, bat er und streifte sich Handschuhe über. „Was ist denn passiert?“
„Ich hab zufällig jemanden gesehen, der um den Brandl-Hof herumgeschlichen ist. Schwarz gekleidet und mit einer tief ins Gesicht gezogenen Kapuze. Das kam mir verdächtig vor. Eigentlich war ich nimmer im Dienst, aber bei so was kann ich net wegschauen. Also bin ich zu ihm hingegangen und hab ihn angesprochen und gefragt, was er da macht.“
„Und dann?“, fragte der Bergdoktor gespannt.
„Plötzlich ist er herumgewirbelt und mit einer Schneeschaufel auf mich losgegangen! Keine Ahnung, wo er die so schnell hergenommen hat. Jedenfalls hat er mir damit die Beine weggeschlagen. Bevor ich mich umschauen konnte, lag ich schon im Schnee und hab geblutet wie ein waidwunder Hirsch.“
„Hast du den Mann erkannt?“
„Leider net. Es ging alles so schnell, und er hatte sich den Schal über Mund und Nase gezogen. Dazu die Kapuze … Ich könnt net sagen, wer es war.“ Der Gendarm schüttelte den Kopf.
„Die Hose ist vermutlich nimmer zu retten. Ich muss sie aufschneiden und mir die Verletzungen genauer ansehen.“
„Machen Sie ruhig. Ich fürchte nur, ich hab Ihnen schon den ganzen Fußboden vollgeblutet.“
„Darum kümmern wir uns später.“ Martin Burger griff zur Schere und legte die Verletzungen frei. Sie waren tief und bluteten. Die metallene Stoßkante der Schneeschaufel hatte dem Gendarmen klaffende Wunden an den Oberschenkeln zugefügt.
Behutsam untersuchte er ihn.
„Du hattest Glück, die Knochen sind net verletzt. Ich muss die Verletzungen säubern und nähen. Vorher bekommst du etwas gegen die Schmerzen von mir.“
„Das hört sich gut an“, erwiderte der Gendarm schnaufend, dem trotz der Kälte der Schweiß auf der Stirn stand.
Dr. Burger gab ihm zwei Spritzen, ehe er sich an die Arbeit machte. Sorgfältig spülte er die Wunden aus und befreite sie von Schmutz- und Stoffpartikeln, bevor er die Wundränder zusammenfügte und vernähte.
Wenig später waren die Verletzungen sauber verbunden, und der Gendarm atmete auf.
„Ich hab ja schon einiges gesehen in meinem Beruf, aber von dem vielen Blut ist mir jetzt doch ein bisserl flau“, gestand er.
„Kein Wunder. Die Verletzungen waren schlimm. Ich werde dir vorsorglich ein Antibiotikum verschreiben, damit sich nichts entzündet. Und ein Schmerzmittel kannst du einnehmen, sobald die Betäubung nachlässt. Außerdem kommst du bitte täglich zum Verbandswechsel zu mir in die Praxis.“
„Das werde ich machen. Dabei hab ich alle Hände voll zu tun und eigentlich keine Zeit für so was. Sie wissen ja, dass mein Kollege mit einer Lungenentzündung im Bett liegt. Den muss ich vertreten.“
„Ein paar Tage wirst du es ruhiger angehen lassen müssen.“
„Das hab ich schon befürchtet.“ Der Gendarm seufzte.
„Wurde bei den Brandls denn etwas gestohlen?“
„Glaub ich net. Ich hab den Bazi wohl noch rechtzeitig erwischt, aber ich werde die Familie warnen, dass jemand um ihr Haus herumgeschlichen ist. Sie müssen die Augen offen halten, falls der Halunke wiederkommt.“
„Du meinst, er könnte es noch einmal probieren?“
„Denkbar wäre das.“
Dr. Burger dachte an die Bewohner des Brandl-Hofes. Lars Brandl lebte dort mit seiner Frau Lena und seiner kleinen Tochter. Leonie war ein liebes Madel, das mit Tessa in dieselbe Klasse ging.
„Die Brandls sind alleweil fleißig“, murmelte sein Patient nachdenklich, „aber sie sind bestimmt net reich. Ich frage mich, was der Bazi von ihnen wollte. Womöglich wollte er gar nichts stehlen, sondern nur … Ach, ich weiß auch net.“
„Woran denkst du?“
„Es wär doch möglich, dass er gar net einbrechen wollte, sondern nur durch das Fenster geschaut hat. Wenn ich mich net irre, stand er geradewegs vor dem Badezimmer der Familie.“
„Und weiter?“
„Was, wenn er ein Stalker ist?“
„Herrje. Jemand, der der Familie nachstellt?“
„Oder der Bäuerin. Wer weiß, was dieser Hallodri im Schilde führt.“ Das bärtige Gesicht des Gendarmen verdüsterte sich. „Mir gefällt das net. Wer weiß, was sich da zusammenbraut!“
***
„Tun Sie das net, Herr Moosbacher.“ Romy wechselte das Telefon von einem Ohr an das andere. „Ich brauche meine Wohnung. Wo soll ich denn sonst hin? Bitte, überlegen Sie es sich noch einmal und rufen Sie mich zurück. Vielen Dank.“ Sie schluckte und überlegte, ob sie ihn daran erinnern sollte, dass sie als Mieterin durchaus pflegeleicht war.
Sie bezahlte ihre Miete stets pünktlich und hatte nicht einmal gemurrt, als sich die Sanierung der Fassade länger als ein Jahr hingezogen und ihre Aussicht monatelang aus grünen Schutzplanen bestanden hatte. Vom Lärm der Baumaschinen jeden Morgen ab sechs Uhr ganz zu schweigen. Doch sie entschied sich dagegen und ließ das Telefon sinken.
Würde ihr Appell ausreichen, um ihren Vermieter daran zu erinnern, dass sie mehr als nur ein Name auf einem Klingelschild war? Sie war ein Mensch und brauchte ein Dach über dem Kopf. Und genau das wollte ihr Vermieter ihr nehmen.
Herr Moosbacher hatte ihr die Wohnung gekündigt. Wegen Eigenbedarf. Sein Sohn zog zum Studium nach München und brauchte eine Unterkunft, deshalb sollte Romy zum Ende des Monats ausziehen. So bald schon!
Anfangs hatte sie versucht, eine neue Bleibe zu finden. Bezahlbarer Wohnraum war in München allerdings so leicht aufzuspüren wie ein Zebra am Marienplatz. Irgendwann war Romy klar geworden, dass sie nichts finden würde. Zumindest nicht rechtzeitig.
Seit Tagen versuchte sie daher, ihren Vermieter zu erreichen. Sie hatte ihm geschrieben, ohne eine Antwort zu erhalten. Sie hatte ihm gemailt. Vergeblich. Und am Telefon erreichte sie immer nur seinen Anrufbeantworter. Nach der nunmehr achten Nachricht schrumpfte ihre Hoffnung auf einen Rückruf seinerseits gegen null.
Nur noch drei Wochen!
In ihr ballte sich ein flaues Gefühl zusammen. Mit einem Mal schien Eis durch ihre Adern zu fließen. Das Atmen fiel ihr schwer. Hastig nestelte sie an ihrem Rollkragen, aber das half nicht. Das Büro verschwamm vor ihren Augen. In ihren Ohren rauschte es. Und ihr Herz hämmerte zum Zerspringen. Sie fühlte sich, als würde sie sich buchstäblich in Nichts auflösen!
O mein Gott! Was passiert hier mit mir? Sterbe ich jetzt? Romy tastete nach einem Halt, stieß irgendetwas um und fühlte plötzlich zwei starke Hände, die nach ihren griffen.
„Romy? Romy! Was machen Sie denn?“ Eine dunkle Stimme drang durch das Rauschen in ihrem Kopf. „Atmen Sie! Tief ein und langsam wieder aus. Ja, gut so, gleich noch mal.“
Romy befolgte den Rat und merkte, wie sich der weiße Nebel um sie herum lichtete und sie wieder klarer sah.
„Geht es wieder?“ Ihr Chef ließ ihre Hände los und schaute sie forschend an.
Josef Stiegler hatte die Werbeagentur vor dreißig Jahren gegründet und seitdem stetig ausgebaut. Inzwischen arbeitete ein Team aus fünfzehn Grafikern, Textern und Gestaltern für ihn.
Romy gehörte seit ihrem Abschluss vor einem Jahr dazu. Sie liebte ihre Arbeit und besonders das Klima in der Agentur. Josef Stiegler leitete sein Team mit sanfter Hand. Er wurde wie ein Vater geliebt und respektiert.
„Es geht wieder“, keuchte Romy, noch immer ein wenig atemlos. „Ich … weiß gar net, was das eben war.“
„Eine Panikattacke, würde ich sagen. Ich habe so etwas selbst schon erlebt. Bereitet Ihnen vielleicht irgendetwas Sorgen?“
„Das kann man so sagen“, seufzte sie. „Mein Vermieter hat mir die Wohnung wegen Eigenbedarf gekündigt. Ich habe noch nichts Neues gefunden, und mir läuft allmählich die Zeit davon.“
„Herrje! Das ist tatsächlich schlimm.“ Ihr Chef lehnte sich mit dem Rücken gegen das Fensterbrett und verschränkte die Arme vor der Brust, während er überlegte.
Die Räume der Agentur lagen südlich von München, in einer Villa am Rand von Grünwald. Vor den Fenstern breitete sich der tief verschneite Wald aus. Romy teilte sich ihr Büro mit zwei Kolleginnen, die beide gerade auf einem Außeneinsatz waren.
„Wie Sie vielleicht wissen, haben meine Frau und ich eine Wohnung für Gäste unter dem Dach unseres Hauses“, erklärte ihr Chef. „Dort können Sie gern eine Weile unterkommen. Ihre Möbel müssten wir derweil einlagern. Das sollte kein Problem sein.“
„Das ist wirklich großzügig, aber das kann ich net annehmen.“
„Freilich können Sie das. Ich werde net zulassen, dass eine meiner Mitarbeiterinnen auf der Straße sitzt. Ein Freund von mir ist Immobilienmakler. Ich werde ihn kontaktieren. Vielleicht kann er Ihnen sogar eine Wohnung vermitteln.“
Romy nickte, hatte diesbezüglich jedoch nicht viel Hoffnung. Sie hatte schon mit mehreren Maklern gesprochen und immer wieder dieselbe Auskunft erhalten: Derzeit war kaum bezahlbarer Wohnraum frei.
Ihr Blick fiel auf die braune Lache, die sich über den Papieren auf ihrem Schreibtisch ausbreitete.
„Oh nein!“ Sie hatte nicht bemerkt, dass sie während ihrer Panikattacke ihren Becher umgestoßen hatte. Der Kaffee hatte ihre Notizen schon völlig durchnässt. Hastig sprang sie auf, holte einen Lappen und machte sich daran, die Bescherung aufzuwischen.
Ihr Chef deutete auf die Unterlagen.
„Waren das wichtige Papiere?“
„Meine Notizen für die Gerber-Kampagne. Ich werde heute Abend länger bleiben und alles neu ausarbeiten.“
„Kommt net infrage. Sie werden pünktlich Feierabend machen und sich erholen. Gehen Sie in die Sauna, oder legen Sie sich mit einem guten Buch in die Badewanne. Egal, was Sie tun, aber spannen Sie einmal aus, Romy. Sie sehen alarmierend blass aus. Wann haben Sie zuletzt etwas nur für sich gemacht?“