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Auch nach vier Jahren ist die Ehe von Anja und Harald Wenninger noch kinderlos. An Harald liegt es nicht, und auch bei Anja findet man keine medizinische Ursache für die Kinderlosigkeit. Ihre krampfhaften Bemühungen, endlich ein Baby im Arm zu halten, belasten ihre Beziehung. Liebe findet nur noch nach dem Kalender statt. Auch wird die früher so lebensfrohe Frau immer vergrämter.
Dr. Burger rät Anja zur Geduld, und um sie von ihrem Kummer abzulenken, vermittelt er ihr eine Anstellung als Pflegerin auf einem Bauernhof am Achenkegel. Die alte Bäuerin Gundl Moser ist nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt und braucht dringend Hilfe.
Anfangs kommt Anja gern auf den Moserhof - bis sie dort einem unglaublichen Geheimnis auf die Spur kommt ...
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Seitenzahl: 132
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Anja blutet das Herz
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9171-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Anja blutet das Herz
Dr. Burger und ein spätes Geständnis
Von Andreas Kufsteiner
Auch nach vier Jahren ist die Ehe von Anja und Harald Wenninger noch kinderlos. An Harald liegt es nicht, und auch bei Anja findet man keine medizinische Ursache für die Kinderlosigkeit. Ihre krampfhaften Bemühungen, endlich ein Baby im Arm zu halten, belasten ihre Beziehung. Liebe findet nur noch nach dem Kalender statt. Auch wird die früher so lebensfrohe Frau immer vergrämter.
Dr. Burger rät Anja zur Geduld, und um sie von ihrem Kummer abzulenken, vermittelt er ihr eine Anstellung als Pflegerin auf einem Bauernhof am Achenkegel. Die alte Bäuerin Gundl Moser ist nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt und braucht dringend Hilfe.
Anfangs kommt Anja gern auf den Moserhof – bis sie dort einem unglaublichen Geheimnis auf die Spur kommt …
„Mautz …?“ Anja Wenninger runzelte die Stirn. „Du meinst doch net etwa das Dörfchen bei St. Christoph im Zillertal?“
Ungläubig blickte sie ihren Mann an und ließ sich in einen Sessel der gemütlichen Sitzgruppe im Wohnzimmer fallen. Was ihr Harald gerade eröffnet hatte, zog ihr den Boden unter den Füßen fort. Sie kannte St. Christoph und seine Weiler vom Urlaub her. Aber dort leben? Das konnte nicht sein Ernst sein.
Der hochgewachsene Mann nickte. Er öffnete eine Flasche Bier, goss zwei Gläser ein und schob eines seiner Frau zu, während seine Hand leicht zitterte. Würde Anja ihm seine Eigenmächtigkeit verzeihen und mit ihm kommen? Oder versetzte er nun seiner ohnehin angeschlagenen Ehe einen Todesstoß?
„Das ‚Sanatorium Bergfrieden’ in Mautz ist zwar klein, hat aber einen guten Ruf“, fuhr er zögernd fort. „Sein Leiter ist ein Bekannter von mir.“
Harald war Physiotherapeut und arbeitete in einer Rehabilitationsklinik in Salzburg, fühlte sich dort aber nicht mehr wohl. Deshalb war ihm die Anfrage von Dr. Peter Marbach gerade recht gekommen, der einen Physiotherapeuten für sein Sanatorium suchte, als Vertretung für seinen jetzigen Mitarbeiter. Dieser wollte eine zweijährige Zusatzausbildung im Ausland absolvieren.
Obwohl es nur eine befristete Anstellung war, sah Harald es als Chance, der quälenden Eintönigkeit seines Alltags zu entfliehen. In der düsteren, unpersönlichen Klinik verlor er schon fast die Freude an seinem Beruf.
Außerdem würde Anja und ihm ein Tapetenwechsel guttun, bevor sie sich noch mehr im Alltagstrott und den ständigen Querelen aufrieben. Er liebte seine Frau, aber inzwischen konnte er ihre Stimmungsschwankungen, die sie ihrem unerfüllten Kinderwunsch verdankte, kaum noch ertragen. Mal war sie himmelhoch jauchzend und dann wieder zu Tode betrübt.
Am schlimmsten fand er jedoch die Liebe nach dem Kalender. Dabei blieb jede Spontaneität auf der Strecke. Doch Anja wollte keine noch so kleine Chance verpassen, endlich ihr ersehntes Baby in den Armen zu halten.
Er selbst hatte inzwischen akzeptiert, dass ihnen das Schicksal den Kindersegen verwehrte – aus welchem Grund auch immer. Die Ärzte hatten bislang weder bei ihm noch bei seiner Frau eine Ursache gefunden, warum es nicht klappen wollte. Aber Anja wollte sich ihren Wunsch ertrotzen und zermürbte ihn langsam mit ihrem Starrsinn.
Daran waren nicht zuletzt auch ihre Freundinnen schuld, die ihr unsinnige Ratschläge erteilten. Schon deshalb sah Harald es als einzige Lösung an, aus dem gewohnten Umfeld herauszukommen und irgendwo, wo man sie und ihre Probleme nicht kannte, neu zu beginnen.
Das abgeschiedene Hochtal um St. Christoph mit seiner idyllischen Bergwelt erschien ihm genau der richtige Ort, um zu ihrer früheren Zweisamkeit zurückzufinden, als noch kein unerfüllter Kinderwunsch ihr Glück getrübt hatte. Doch Anja schien davon wenig begeistert.
Sie verdrehte die Augen.
„In die tiefste Provinz willst du mich verschleppen?“ Sie sah ihren Mann fassungslos an. „Das meinst du net ernst, Harald. Ich bin in der Großstadt aufgewachsen und kein Landei. Für ein paar Tage Urlaub mag es in der Bergidylle ja recht entspannend sein, aber dort wohnen?“ Sie schüttelte genervt den Kopf. „Net mit mir. Ich habe hier meine Arbeit, meinen Freundeskreis und …“
„Ich habe schon zugesagt“, fiel Harald ihr ins Wort.
Er seufzte. Natürlich war es falsch gewesen, diese wichtige Entscheidung zu treffen, ohne vorher mit Anja zu reden. Aber sie hätte alles darangesetzt, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen.
Empört funkelte Anja ihren Mann an.
„Wie konntest du mich so übergehen! Eine derart wichtige Entscheidung trifft man in einer Partnerschaft doch net allein.“ Mit einem frustrierten Seufzer packte sie ihr Glas und trank einen großen Schluck. Sie arbeitete in einem Seniorenheim als Altenpflegerin und war gerade erst nach Hause gekommen. Ihre Schicht war stressig genug gewesen, und nun überfiel Harald sie auch noch mit dieser schockierenden Nachricht.
Der Physiotherapeut hob beschwichtigend die Hände.
„Bitte versteh doch, ich musste mich sofort entscheiden und hatte keine Zeit für lange Diskussionen. Es war die Chance, nach der ich gesucht habe, um der Maschinerie der Rehaklinik zu entkommen. Die vielen Überstunden, die man mir aufhalst, weil es an Fachkräften mangelt, lassen mir kaum noch Luft zum Atmen. Auch das Verhältnis zu den Kollegen wird immer schlechter, da sich jeder überfordert fühlt. Doch am schlimmsten sind die Patienten selbst, denen die Genesung net schnell genug geht, was sie dann unserer Behandlung anlasten.“
„Glaubst du, im Sanatorium sind die Patienten weniger nervig?“, fiel Anja ihrem Mann ungehalten ins Wort. „Und woher willst du wissen, dass du dort besser mit den Kollegen harmonierst?“
„Es geht dort auf jeden Fall ruhiger und gelassener zu“, antwortete Harald geduldig. „Patienten, die sich in einem Sanatorium therapieren lassen, nehmen sich bewusst Zeit für ihre Genesung und drängen net auf ein Wunder. Allein die idyllische Umgebung des Sanatoriums sorgt schon für eine harmonische Atmosphäre. Dazu hat jeder Mitarbeiter sein Aufgabengebiet und muss net für Kollegen einspringen, deren Fachbereich net dem eigenen entspricht.“
Als seine Frau abermals einen Einwand vorbringen wollte, bremste er sie mit einer Geste und sah sie eindringlich an.
„Anja, ich muss aus dieser Tretmühle raus. Ich kann so net mehr weitermachen. Außerdem …“ Er holte tief Luft und wusste nicht recht, wie er das heikle Thema ansprechen sollte, das mit ein Grund für seine Entscheidung war. „Meinst du net, dass ein vorübergehender Ortswechsel uns beiden guttun würde?“, fragte er sie schließlich. „Unsere Ehe ist in letzter Zeit …“
„Ich weiß“, stöhnte Anja entmutigt auf. „Wir sind in eine Sackgasse geraten. Aber ein Umzug, noch dazu in die tiefste Provinz, löst unsere Probleme gewiss net. Oder glaubst du, die klare Luft von St. Christoph beschert uns ein Wunder?“ Jetzt breitete sich ein schräges Grinsen auf ihrem hübschen Gesicht aus, was jedoch gleich wieder von Missmut verwischt wurde. Langsam driftete sie noch in Depressionen ab, wenn sich ihr sehnlichster Wunsch nicht endlich erfüllte.
Dennoch würde sie ihr geliebtes Salzburg nicht verlassen und ans Ende der Welt ziehen, nicht einmal vorübergehend. Ihr graute vor der Einsamkeit des weltabgeschiedenen Hochtals, in das sich von Mayrhofen aus nur eine einzige, kurvenreiche Straße hinaufschlängelte.
In St. Christoph sagten sich doch Fuchs und Hase Gute Nacht, von dem Fünfzigseelendorf Mautz ganz zu schweigen. Dort würde sie vor Langeweile umkommen.
„Warum müssen wir überhaupt umziehen?“, fasste sie nach. „Du könntest dich doch im Personaltrakt vom Sanatorium einquartieren und in deinen Freischichten nach Hause kommen. So weit ist St. Christoph net von Salzburg entfernt.“
„Anja, dann würden wir uns noch weniger sehen, als es bereits der Fall ist“, hielt Harald dagegen. Er knetete nervös seine Hände. „Gerade bei unseren Problemen ist eine längere Trennung net ratsam. Ich will dich an meiner Seite und net erst Kilometer weit fahren müssen, um dann vielleicht einen Kuss zwischen Tür und Angel zu erhaschen, weil du auf dem Sprung zur Arbeit bist. Bei deinen ungeregelten Schichten weiß man nie, wann du freihast.“
„Und was mache ich, während du im Sanatorium Dienst tust?“, murrte Anja. „Zuhause sitzen und Däumchen drehen?“ Sie schüttelte unwillig den Kopf. Sie konnte sich nicht vorstellen, ohne ihre Arbeit zu sein, so stressig es im Seniorenheim mitunter auch war.
„Wir suchen dir einen Job“, schlug Harald vor. „Irgendwas in deiner Branche wird sich schon finden. Außerdem wirst du genug damit zu tun haben, unser Haus in Ordnung zu halten.“ Er schmunzelte in sich hinein. Er hatte ihr noch gar nicht gesagt, dass sie ein eigenes Haus haben würden. Das hatte sie sich schon lange gewünscht.
Doch Anja reagierte nicht darauf. Sie war erbost, dass ihr Mann sie zum Heimchen am Herd degradieren wollte.
„Ich bin kein Hausmütterchen, Harald!“, schleuderte sie ihm entgegen. „Putzen und Scheuern, nur um aus unserem Haus eine Puppenstube zu machen, das ist absolut net mein Ding.“ Sie runzelte die Stirn. „Welches Haus überhaupt?“
„Doktor Marbach stellt uns ein kleines Häuschen zur Verfügung, das zum Besitz des Sanatoriums gehört“, erklärte Harald und geriet ins Schwärmen. „Es ist hoch über St. Christoph am Waldrand gelegen, mit einem fantastischen Blick über die herrliche Bergwelt. Es wird dir gefallen.“
Er stockte kurz und schenkte seiner Frau ein zärtliches Lächeln, ehe er fortfuhr.
„Die klare Luft allein kann unser Problem wahrscheinlich net lösen. Aber wer weiß schon, was die Ruhe und die einmalig schöne Natur, fernab von Autolärm und Hektik der Großstadt, bewirken können. Schließlich gibt es keine eindeutige Diagnose, warum uns der Kindersegen verwehrt ist. Vielleicht sind es einfach nur Stress und die Alltagsroutine, die uns blockieren.“
Er griff über den Tisch nach der Hand seiner Frau und drückte sie fest.
„Gib uns eine Chance, Anja, es ist doch nur vorübergehend. Sobald mein Vorgänger seine Arbeit im Sanatorium wieder aufnimmt, kehren wir nach Salzburg zurück. Du hast mein Wort.“
Nachdenklich musterte Anja ihren Mann. Seine früher so lebhaft funkelnden grauen Augen blickten müde in die Welt, und um seine Mundwinkel hatte sich ein resignierter Zug eingegraben, der ihr bisher noch nicht aufgefallen war. Sie wusste, dass sie über ihren Schatten springen musste, wenn sie ihn nicht verlieren wollte.
Harald war jetzt dreiunddreißig, ein attraktiver Mann in der Blüte seines Lebens. Seine drahtige Figur verriet seine Sportlichkeit und die Lachfältchen in seinem markanten Gesicht seinen Humor. Dazu war er großzügig und die Sanftmut in Person.
Manchmal konnte Anja kaum fassen, dass der begehrte Therapeut sich ausgerechnet in sie verliebt hatte, das vier Jahre jüngere Pummelchen. Sie fand sich eher mittelmäßig als hübsch, war klein, etwas mollig und hatte ein schmales Gesicht mit einem herzförmigen Mund und schräg stehenden grünen Augen, die sie verabscheute.
Ihr Mann fand ihre Augen dagegen sehr anziehend, unergründlich wie Katzenaugen und schön wie funkelnde Smaragde, schwärmte er. Ebenso bewunderte er ihr dichtes brünettes Haar, das in natürlichen Locken auf ihre Schultern fiel. Oft beteuerte er, dass sie die bezauberndste und begehrenswerteste Frau sei, die ihm je begegnet sei. Trotzdem konnte er ihre Selbstzweifel nicht zerstreuen, die besonders schlimm waren, seit sie vergebens auf ein Baby hoffte.
Insgeheim gab Anja sich die Schuld an der Kinderlosigkeit, obwohl die Ärzte betonten, dass keine organische Ursache vorlag. Sie war kerngesund und ihr Hormonhaushalt völlig in Ordnung. Trotzdem war sie bisher in ihrer vierjährigen Ehe nicht schwanger geworden, während alle ihre Freundinnen bereits Mutter waren.
Vielleicht hatte Harald recht. Möglicherweise brachte der Stress, dem sie permanent ausgesetzt war, ihren Körper aus dem Gleichgewicht. Vielleicht, wenn sie zur Ruhe kam …
„Versprich mir, dass ich jederzeit nach Salzburg zurückkehren kann, wenn mich das Heimweh überfällt“, gab sie schließlich nach.
Harald stand auf, ging zu seiner Frau und schloss sie in die Arme.
„Vertrau mir, Anja, die Auszeit wird unserer Ehe guttun und uns den richtigen Weg weisen, wie wir auch ohne Kind eine erfüllte Partnerschaft führen können“, sagte er leise. „Hör auf, dir Schuldgefühle einzureden. Weder du noch ich können etwas für die Laune der Natur. Wir müssen endlich akzeptieren, dass es für uns net vorgesehen ist, Eltern zu werden. Nur dann können wir die Mauer wieder einreißen, die uns immer mehr entzweit.“
Er beugte sich zu seiner einen Kopf kleineren Frau hinunter und küsste sie zärtlich, und sie erwiderte seinen Kuss mit der gleichen Innigkeit.
***
„Wie machen Sie das nur, Martin?“ Bewundernd blickte Dr. Marbach, der Leiter des „Sanatoriums Bergfrieden“, zu Dr. Martin Burger auf, der gerade die Spritze entsorgte, die er ihm zwecks einer Impfung gesetzt hatte. „Sie haben goldene Hände, man spürt den Piks kaum“, lobte er ihn. „Dabei bin ich wirklich eine Mimose, was Spritzen betrifft. Ich bekomme schon das große Zittern, wenn ich nur daran denke.“ Er schüttelte sich.
Der Bergdoktor, wie der Landarzt von St. Christoph von seinen Patienten respektvoll genannt wurde, lachte.
„Das kaufe ich Ihnen nun doch net ab, Peter. So couragiert, wie Sie sind, schreckt Sie doch keine simple Spritze. Sonst übernimmt das doch auch Ihre Ärztin, die Elena. Die junge Tschechin steht mir an Sanftheit gewiss net nach, wie ich mich selbst überzeugen konnte. Sie hatte mir damals die Injektion verabreicht, als ich mit einem tollwütigen Fuchs in Berührung kam. Weder mein Vater noch meine Frau waren an dem Tag zugegen gewesen.“
Seine Frau Sabine war Ärztin mit dem Fachgebiet der Anästhesie und stand ihm in der Praxis zur Seite. Auch sein Vater Pankraz sprang gern noch ein, wenn Not am Mann war. Der alte Landarzt war trotz seiner siebenundsiebzig Jahre noch agil und geistig fit.
Dr. Burger lehnte sich mit dem Rücken an seinen Schreibtisch und musterte sein Gegenüber aus engen Augen.
„Also, was ist der wahre Grund, weshalb Sie mich heute konsultieren, Peter?“ Er schätzte den Leiter des Sanatoriums, der nur wenig älter als er selbst mit seinen einundfünfzig Jahren war, als engagierten Arzt und fairen Kollegen. Oft fachsimpelten bis spät in die Nacht auf der Suche nach einer Problemlösung.
„Elena ist im Urlaub“, erwiderte Dr. Marbach achselzuckend. Er rückte seine Brille zurecht, dann gab er zu: „Aber Sie haben recht, die Impfung ist net der einzige Grund, warum ich Sie heute aufsuche, Martin. Wie Sie wissen, macht Ludwig Gerlach, mein bisheriger Physiotherapeut, eine längere Fortbildung in England. Und ob der Bursche wiederkommt, steht in den Sternen. Kann sein, dass er in London bleibt, weil’s ihm bei uns ein bisserl fad ist, wie er schon verlauten ließ.“
„Aber Sie haben doch bereits Ersatz gefunden“, fasste Dr. Burger verwundert nach. „Ist der Mann net kompetent genug?“
„Oh doch!“, bekräftigte Dr. Marbach. „Harald Wenninger ist ein fähiger Physiotherapeut, engagiert und geduldig. Die Patienten sind von ihm begeistert und loben seine Feinfühligkeit sowie seine immer gleichbleibend gute Laune.“
Der Bergdoktor runzelte irritiert die Stirn.
„Und wo drückt nun der Schuh?“
Der Leiter des Sanatoriums blies verdrossen die Luft aus.
„Der Mann wird uns wohl net lang erhalten bleiben. Seine Frau hat Probleme mit der Eingewöhnung in unsere abgeschiedene Gegend. Sie ist eine echte Großstadtpflanze und sehnt sich nach Salzburg zurück, obwohl sie gerade mal vier Wochen hier ist. Dort hat sie ihre Arbeit und ihre Freunde, während sie hier keinen Anschluss findet. Sie igelt sich im Haus ein und wird immer schwermütiger.“
„Das ist natürlich ein Problem“, meinte Dr. Burger.
„Stimmt. Ich wäre aber ziemlich enttäuscht, wenn ich einen so fähigen Mitarbeiter wie Harald wieder verlieren würde. Doch der Mann sitzt in der Zwickmühle. Er will net nach Salzburg zurück und fühlt sich hier wohl, kann aber auch net mit ansehen, wie seine Frau leidet.“
Er hob den Kopf und blickte den Bergdoktor hoffnungsvoll an.
„Deshalb dachte ich, vielleicht wissen Sie einen Rat, wie man die Großstadtpflanze in unserer ländlichen Gegend verwurzeln kann, sodass sie sich hier net länger fremd fühlt, Martin. Vielleicht können Sie Anja Wenninger eine Aufgabe vermitteln, die sie von ihrem Heimweh ablenkt. Sie ist gelernte Altenpflegerin, und von ihrem Mann weiß ich, dass sie gerne arbeiten würde, aber hier nix Passendes findet.“
„Die Frau schickt der Himmel, Peter!“, erklärte Dr. Burger freudig überrascht. „Das ist genau die Helferin, nach der ich suche. Wie Sie wissen, ist die Gundl Moser, die Altbäuerin vom Moserhof am Achenkegel, seit einem Schlaganfall halbseitig gelähmt.“
Dr. Marbach nickte grimmig.