Der Bergdoktor 2022 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 2022 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Ein paar Tage Auszeit in den Bergen, mehr hat Jannes nicht im Sinn. Und gewiss rechnet er nicht mit der bezaubernden Bewohnerin des Hofes, die ihm vom Apfelbaum geradewegs in die Arme fällt!
Aus Dankbarkeit und weil gerade ein heftiges Unwetter aufzieht, bietet Bianca dem Fremden spontan Schutz unter ihrem Dach an. Ihre Hilfsbereitschaft und ihre Güte bleiben nicht ohne Wirkung auf ihn - und auch nicht ihr hartes Schicksal.
Er beschließt, Bianca zu helfen - allerdings darf sie nie den wahren Grund dafür erfahren!

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Seitenzahl: 123

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Du küsst meine Ängste fort

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Michael Wolf / Bastei Verlag

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9765-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Du küsst meine Ängste fort

Ein Fremder brachte Hoffnung auf den Birkenhof

Von Andreas Kufsteiner

Ein paar Tage Auszeit in den Bergen, mehr hat Jannes nicht im Sinn. Und gewiss rechnet er nicht mit der bezaubernden Bewohnerin des Hofes, die ihm vom Apfelbaum geradewegs in die Arme fällt!

Aus Dankbarkeit und weil gerade ein heftiges Unwetter aufzieht, bietet Bianca dem Fremden spontan Schutz unter ihrem Dach an. Ihre Hilfsbereitschaft und ihre Güte bleiben nicht ohne Wirkung auf ihn – und auch nicht ihr hartes Schicksal.

Er beschließt, Bianca zu helfen – allerdings darf sie nie den wahren Grund dafür erfahren!

„Anton?“ Bianca Neuhauser trat vor das Bauernhaus, beschattete ihre Augen mit einer Hand und schaute sich um. „Anton, wo steckst du wieder?“

Vor ihr breiteten sich grüne Hügel und Hänge aus. Ein Dutzend Milchkühe lagen im Gras und käuten gemächlich wieder. Das Läuten ihrer Glocken mischte sich mit dem Zirpen der Insekten und dem Raunen des Windes.

Für Bianca war es die Melodie des Sommers. Ihr Herz wurde weit, als sie die Gipfel betrachtete. Die Silhouette der Berge zeichnete sich so deutlich vor dem blauen Himmel ab, als wären sie zum Greifen nah. Jede Schrunde und jedes Gipfelkreuz waren zu erkennen.

Im Radio wurde bereits vor aufziehenden Gewittern gewarnt, aber noch trübte kein Wölkchen die wunderbare Aussicht.

Am Fuß der Birken, die dem Hof zu seinem Namen verholfen hatten, plätscherte der Mühlbach vorüber. Er wurde von Libellen umschwirrt wie von winzigen Helikoptern.

Ein Dankgebet stieg aus Biancas Herzen in den Himmel.

Wie froh sie war, hier mit dem kleinen Anton leben zu dürfen. Nach dem Tod seines Vaters hatte sie geglaubt, es würde nie wieder etwas Gutes in ihrem Leben geben, aber auf diesem Hof hatten sie eine neue Heimat gefunden. Hier konnte Anton glücklich aufwachsen und gedeihen.

„Anton?“ Sie hörte einen gedämpften Ruf und ging durch ihren Kräutergarten hinter das Haus.

Ihr Sohn kauerte auf der Lehne der Gartenbank und klammerte sich mit beiden Händen fest. Obwohl er kaum mehr wog als eine Feder, knirschte das morsche Holz bedrohlich unter ihm.

„Jesses, Anton, komm da runter!“

„Guck, was ich kann, Mami!“ Er ließ seinen Halt los und streckte die Hände von sich weg. In der nächsten Sekunde ruderte er mit den Armen – und purzelte geradewegs ins Gras!

„Anton!“ Bianca stürmte zu ihrem Sohn und kniete sich neben ihn. „Ist dir etwas passiert?“

„Ach wo.“ Mit roten Wangen blickte der Fünfjährige hoch. „Hast du das gesehen?“

„Freilich. Warum hast du denn auf der Lehne gesessen?“

„Weil ich es machen wollte wie die Trudi.“

„Trudi?“ Bianca blickte sich um. Tatsächlich hockte die kleine braune Henne auf der Lehne und klackerte mit ihrem Schnabel.

„Ich wollte es genauso lange aushalten wie Trudi, aber ich hab es net geschafft.“

„Du bist ja auch kein Huhn, Spatzerl.“

„Aber wir sind Freunde, die Trudi und ich. Und die anderen Kinder können das auch. Warum ich net?“

„Du wirst es noch lernen. Hab ein bisserl Geduld.“

„Immer muss ich warten“, murrte Anton.

Es gab Bianca einen Stich, ihren Sohn so bekümmert zu sehen. Es stimmte ja, Anton brauchte für viele Dinge länger. Sein erstes Wort hatte er mit zwei Jahren gesprochen. Bis dahin war er stumm gewesen. Damals hatte Bianca geglaubt, ihr kleiner Schatz würde niemals ein Wort reden, aber eines Tages hatte er „lieb“ gesagt und dabei die Ärmchen nach ihr ausgestreckt.

Diesen Augenblick würde sie niemals vergessen.

Wie gern hätte sie es ihrem Kind leichter gemacht, aber es war nun einmal so, dass Anton einen schweren Start ins Leben gehabt hatte. Viel zu früh war er auf die Welt gekommen, mit einem Gewicht von gerade mal sechshundertvierzig Gramm, und daran hatte er bis zum heutigen Tag zu knabbern.

Früher hatten sie in Schwaz gelebt. Dort hatte ihr eine Kinderpsychologin geraten, Anton ein Jahr später einzuschulen. In der Stadt mit den großen Klassen und überlasteten Lehrern hätte Bianca gewiss zugestimmt, aber hier in St. Christoph kümmerte sich Lehrer Werth um die Kinder. Die Klassen waren klein, und der Lehrer hatte genügend Zeit, auf jedes Kind einzugehen.

Anton würde bei ihm gut aufgehoben sein, daran zweifelte sie nicht. Außerdem brannte er darauf, im kommenden Jahr in die Schule zu wechseln und Lesen und Schreiben zu lernen.

Trudi flatterte von ihrem Sitz herunter und knabberte zutraulich an Antons Schnürsenkel.

„Sieht ganz so aus, als hätte sie Hunger.“

„Glaub ich auch.“ Anton bückte sich und strich über die flaumigen Federn der Henne. „Warte, ich hab etwas für dich.“ Er fasste in seine Hosentasche, brachte eine Schachtel hervor und nahm den Deckel ab. Dann streute er der kleinen Henne einige Mehlwürmer hin. Hungrig pickte Trudi danach.

Bianca hatte es längst aufgegeben, sich zu wundern, wenn ihr Sohn Futter mit sich herumtrug. Er hatte ein riesengroßes Herz für Tiere. Gerade pflegte er in seinem Zimmer eine Feldmaus gesund, die er entkräftet am Gartenzaun gefunden hatte. Der Tierarzt hatte festgestellt, dass sie dehydriert gewesen war. Anton wollte sie aufpäppeln und später wieder freilassen.

„Ich hab uns Kirschkuchen gebacken“, verriet Bianca ihm. „Hast du Interesse an einem Stück?“

„Au ja!“ Und ob er das hatte!

In diesem Augenblick hielt der Linienbus vor dem Hof an, und ein grauhaariger Mann stieg aus. Es war Sepp Praxlhuber, der Bauer, dem der Hof gehörte. Er war ein stämmiger Mann mit Schnurrbart und einer Haut, die von Wind und Wetter gegerbt war.

An anderen Tagen blitzte ein fröhliches Funkeln aus seinen grauen Augen. An diesem jedoch nicht. Er trottete ein paar Schritte den Bürgersteig hinauf, als würde er eine schwere Last auf den Schultern tragen. Dann blieb er stehen und starrte ganz verloren auf die Birken, an denen der Sommerwind zupfte.

„Sepp? Ist alles in Ordnung?“

„Hm?“ Er blickte sich zu ihr um. Normalerweise sah man ihn nur in karierten Hemden, Latzhosen und Gummistiefeln. An diesem Tag trug er jedoch seinen Sonntagsanzug: Lederhose, ein weißes Trachtenhemd und weiße Kniestrümpfe. Und an seinem Hut flatterte ein Gamsbart.

„Sie haben sich ja so schick gemacht, Sepp. Hatten Sie eine Verabredung in der Stadt?“

„Die hatte ich in der Tat.“ Er strich sich über den Schnurrbart und schien nicht recht zu wissen, wie er fortfahren sollte.

„Mit einer netten Dame?“

„Aber nein. Aus diesem Alter bin ich raus.“

„Für die Liebe ist man nie zu alt.“

„Das sagt mir die Richtige“, erwiderte er mit sanftem Tadel in der Stimme. „Wer gibt denn allen Burschen einen Korb?“

„Das ist etwas anderes.“ Bianca schlang die Arme um ihren Oberkörper. Ihr Mann war alles für sie gewesen. Seit seinem Tod war sie einsam, aber an eine neue Beziehung dachte sie nicht. Das wäre ihr wie ein Betrug vorgekommen.

Ihr Vermieter trat von einem Fuß auf den anderen.

„Anton? Geh spielen, ja? Ich muss etwas mit deiner Mutter besprechen.“

„Aber der Kirschkuchen …“

„Den esst ihr ein bisserl später.“

„Na gut.“ Anton trollte sich ins Haus.

Bianca blickte ihren Vermieter alarmiert an. Die Sorgenfalten um seinen Mund schienen plötzlich tiefer zu werden. Und er schwieg, als wüsste er nicht, wo er beginnen sollte. Angespannt wartete sie ab, was er ihr sagen wollte.

„Die Sache ist die“, begann er schließlich umständlich, „ich muss dir etwas erzählen …“

***

„Verkauft?“ Bianca taumelte einen Schritt rückwärts. Dabei stieß sie mit dem Fuß gegen die Gießkanne. Das Gefäß stürzte polternd um, und Wasser sickerte ins Gras, aber die Achtundzwanzigjährige bemerkte es nicht einmal. Die Worte ihres Vermieters hallten schmerzhaft in ihrem Kopf nach. „Sie haben den Hof verkauft?“

„Es war leider unumgänglich.“

„Das verstehe ich net.“ Bianca schüttelte den Kopf. Sie konnte nicht glauben, was sie soeben gehört hatte: Er kam gerade vom Notar und hatte den Kaufvertrag perfekt gemacht! Ohne ein Wort. Ohne Vorwarnung.

Der Bauer war seit über einem Jahr ihr Vermieter. Für Anton war er ein lieber Großvater geworden. Sie kochten mindestens zwei Mal in der Woche zusammen und verbrachten Zeit miteinander. Wenn den älteren Mann mal ein Wehwehchen quälte, kümmerte sie sich um ihn.

Bianca hatte geglaubt, den Landwirt zu kennen, aber nun schien sie einem Fremden gegenüberzustehen. Seine Ankündigung traf sie wie ein Schlag.

„Warum haben Sie un…“ Sie stockte, weil sie um ein Haar „unseren“ Hof gesagt hätte, aber natürlich gehörte ihr kein einziger Halm. „Warum haben Sie Ihren Hof verkauft?“

„Weil ich das Geld gut brauchen kann.“

„Ich bezahle doch jeden Monat Miete.“

„Freilich, und immer pünktlich. Das weiß ich zu schätzen, aber ich werde auch net jünger. Ich möchte mir eine Wohnung in der Nähe meiner Tochter suchen. Ich will noch ein bisserl was von meinen Enkeln und ihr haben. Das Leben in Wien ist net billig, deshalb kommt es mir gelegen, den Hof verkaufen zu können.“

Benommen rieb sich Bianca die Schläfen. Ihr Zuhause sollte verkauft werden?

Der Birkenhof sah im Licht der tief stehenden Sonne besonders schön aus. Trudi und die anderen Hühner pickten im Gras. Vor den Fenstern blühten Geranien, umschwirrt von wilden Hummeln.

Hier auf dem Hof hatten sie Geborgenheit gefunden. Aber damit war es nun vorbei. Bianca strich sich mit der Hand über die Stirn, als könnte sie den Gedanken fortwischen.

„Was wird aus den Tieren, wenn Sie von hier weggehen?“

„Die Tiere werden alle verkauft.“ Sein Blick verdunkelte sich, als würde er in einen tiefen Brunnen schauen. „Es fällt mir net leicht, das zu tun. Immerhin ist der Hof seit zweihundert Jahren im Besitz meiner Familie. Aber meine Tochter macht sich nichts aus der Landwirtschaft, und bis ihre Kinder alt genug dafür sind, werden noch viele Jahre vergehen. So lange kann ich net warten.“

Bianca blickte sich um. Der Hof lag an einem Feldweg, der an Heustadeln und Scheunen vorüberführte. Mit dem Fahrrad war man in zehn Minuten in St. Christoph. Im Westen ragte der Rautenstein auf, ein Tafelberg, auf dem zahlreiche Schafe weideten. An klaren Abenden wie diesem konnte man weit über die Berge bis nach Italien schauen.

Sie liebte das stille Bergdorf. Hier in St. Christoph schienen die Uhren ein wenig langsamer zu ticken. Und ihr Sohn war so glücklich hier. Im Kindergarten „Spatzennest“ hatte er Freunde gefunden. Außerdem sang er bei den „Gletscherflöhen“, einem vom Schullehrer neu gegründeten Kinderchor.

All dies konnten sie verlieren, wenn sie von hier wegmussten.

Hannibal strich um Biancas Beine. Der orangefarbene Kater hatte seit einem Zusammenstoß mit einem Fuchs nur noch drei Pfoten, aber das hielt ihn nicht davon ab, von früh bis spät herumzustromern. Würde es damit auch vorbei sein, sobald der neue Besitzer hier alles übernahm?

Eine kalte Furcht kroch in ihr hoch.

Das Zusammenleben mit ihrem Vermieter war unkompliziert. Sepp bewohnte die obere Etage des Bauernhauses und kümmerte sich um die Kühe und Wiesen. Bianca wohnte mit ihrem Sohn im Erdgeschoss und versorgte den Garten. Sie arbeitete von zu Hause aus und erledigte Schreibarbeiten für mehrere Anwaltsbüros. Es war einfach perfekt.

Eine Weile sagte niemand von ihnen ein Wort. Nur das helle Klingeln des Windspiels über der Eingangstür war zu hören.

„Können der Anton und ich weiter hier wohnen bleiben?“

„Leider net. Der Käufer möchte den Hof selber nutzen. Ich hätte dir das gern erspart, aber diese Gelegenheit musste ich nutzen. Du hattest mir ja schon gesagt, dass du den Hof niemals kaufen würdest.“

Wovon denn auch? Bianca hatte plötzlich einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Ihre Arbeit von zu Hause aus erlaubte es ihr, Zeit für ihren Sohn zu haben. Sie kamen finanziell zurecht, es blieb jeden Monat sogar etwas Geld übrig, das sie für Anton sparte. Aber einen Bauernhof kaufen? Das war für sie so illusorisch wie die Anschaffung einer Rakete, um damit zum Mond zu fliegen. Und nun war er verkauft worden, und sie mussten ausziehen.

„Ich hab mit dem Käufer eine Vereinbarung für euch getroffen. Er räumt euch genug Zeit ein, um ein anderes Zuhause zu finden. Es eilt also net mit eurem Umzug.“

Bianca war sich da nicht so sicher.

Früher oder später mussten sie fort. Ihr blutete das Herz bei diesem Gedanken. Anton und sie hatten ihre Wohnung selbst gestrichen und eingerichtet. Anton hatte die Tapete mit den Welpen für sein Zimmer ausgesucht. Es war glücklich hier.

Und nun sollte er hier weg?

„Wer hat den Hof gekauft?“, fragte sie leise.

Ihr Vermieter rieb sich das Kinn.

„Sein Name ist Tanner.“

„Etwa Rudolf Tanner? Der Anwalt?“

„Sein Sohn. Ihm gehören mehrere Zeitschriften und Magazine. Auch ein Fernsehsender, glaube ich.“

Bianca hatte schon von diesem Mann gelesen. Josef oder Jost oder so ähnlich war sein Vorname. Ein Mann wie ein Eisberg. Er hatte sich aus dem Nichts ein Millionenvermögen aufgebaut. Es hieß, er trug kein Herz in seiner Brust, sondern einen Tresor.

„Er hat mehrere Zeitungen kurz vor der Pleite billig aufgekauft, umgekrempelt und wieder zum Erfolg geführt, nicht wahr?“

„Ja, das ist er.“

„Was will er denn mit einem Bauernhof anfangen?“

„Er will ihn net bewirtschaften, sondern umbauen. Für ein Schulungszentrum für seine Mitarbeiter.“

„Dann wird er sich net ewig gedulden, bis Anton und ich fort sind. Wenn er den Hof umbauen lässt, wird es ihm pressieren.“

„Ihr werdet genug Zeit haben. Das verspreche ich dir.“

Aber letztlich würden sie ausziehen müssen. Ausgerechnet jetzt, wo sie gedacht hatte, alles würde sich zum Guten wenden.

Biancas Gedanken wanderten zurück.

An einem trüben Herbsttag vor ziemlich genau anderthalb Jahren hatte sie Anton vom Kindergarten abgeholt. Ganz allein hatte er in einer Ecke gesessen, mit einem Pflaster auf der Stirn, umringt von Papierschnitzeln. Die anderen Kinder hatten sich von ihm ferngehalten. Wie sich herausgestellt hatte, waren die Fetzen einmal ein Bild gewesen.

Anton war todunglücklich gewesen. Während die anderen Kinder Bäume und Menschen gemalt hatten, hatte er nur Kleckse zustande gebracht. In seinem Kummer hatte er das Bild zerrissen und seinen Kopf gegen die Wand geschlagen.

Das hatte den Ausschlag gegeben. Bianca hatte entschieden, ein neues Zuhause für ihr Kind und sich selbst zu suchen. Eines, in dem Anton glücklich aufwachsen konnte und nicht als Außenseiter abgestempelt wurde.

Hier im Zillertal war Anton ausgeglichen und fröhlich. Er durfte die Hühner füttern und liebte es, sie zu beobachten. Er schlief besser und stotterte nicht mehr. Sein Wortschatz war explodiert. Und er hatte Freunde gefunden. Sollte es damit wirklich vorbei sein?

„Bianca?“ Der Bauer berührte sie an der Schulter. „Ihr werdet schon eine neue Bleibe finden. Ganz gewiss.“

Eine Bleibe? Vielleicht. Ein Zuhause? Ungewiss!

„Ich muss noch den Weidezaun reparieren. Wir reden später weiter, ja?“ Damit stapfte ihr Vermieter zur Scheune.

Er hatte den Hof verkauft. Mit einem Fingerschnippen!

Wo sollten sie denn nun hin?

***

Die Sonne näherte sich allmählich den Gipfeln der Berge.